Mr. Maximilian Holscher

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Mr. Maximilian Holscher
Arthur F. Burns Fellowship Report 2013
Stipendiat: Max Holscher, Hessische/Niedersächsische Allgemeine Zeitung
Gastmedium: Miami Herald
Als ich vor dem Haus mit den 20 Einschusslöchern stand, TV-Teams sich mit Anwohnern unterhielten und
eine Redakteurin vom Miami Herald mich am Handy mit lauter werdender Stimme fragte, warum die
Angehörigen des erschossenen 12-jährigen Mädchens nicht mit mir sprechen, kroch in mir kurzzeitig das
Gefühl hoch, im falschen Film zu sein. Die anfängliche Spannung, rauszufahren und zu berichten, wich der
Erkenntnis, was an diesem Ort geschehen war: Ein Kind war gestorben.
Doch zum Grübeln war keine Zeit. Die Redaktion beziehungsweise der Newsdesk war an diesem Tag dünn
besetzt. Ich war als Reporter allein verantwortlich für die Story, die am nächsten Tag in der Zeitung stehen
sollte: Schießereien, Mord, Tränen – Alltag in Miami, aber Neuland für mich. Eine Email mit der Adresse
vom Vater des erschossenen Mädchens sollte mir am Schluss zu einer Geschichte auf der ersten Seite
verhelfen. Doch dazu später mehr.
Gleich vom ersten Tag an hat mich Jeff Kleinman, der quasi die Schnittstelle von Print und Online am
Newsdesk ist, in die Arbeit eingebunden. Für den Einstieg an meinem neuen Arbeitsplatz war das perfekt –
denn ich war sofort gefordert. Der Herald beschäftigt immer einige Praktikanten und Fellows, die sofort ins
kalte Wasser geworfen werden. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass die “Breaking News”– also Unfälle,
Schießereien und andere Ereignisse – ausschließlich von den Interns und Fellows übernommen werden. Das
mag auch daran liegen, dass der Herald in den vergangenen Jahren viele Stellen abgebaut hat. Die Zeitung
kämpft wie viele andere ums Überleben. Der Verlag, McClatchy, hat ein Spardiktat verhängt – eingestellt
wird also kaum. Derzeit arbeiten in dem Gebäude in Doral, in das die Redaktion im Juni gezogen ist,
ungefähr 150 Redakteure. Der neue Sitz des Herald ist nun ein etwas anonymes und funktionales Gebäude,
das ursprünglich fürs Militär gebaut wurde. Es gibt eine große Bürofläche mit den typischen Cubicles, in
denen die Reporter und Editoren sitzen. In der Mitte des Raumes befindet sich der Newsdesk, wo unter
anderem auch ich saß.
Die Aufträge, die ich zunächst bekam, bestanden aus kleineren Aufgaben, die mich trotz eines Studienjahres
in den USA anfangs doch ab und an vor Probleme stellten: telefonieren mit der Feuerwehr oder der Polizei –
in Deutschland kein Problem, in den USA schon. In solchen Situationen fühlt man sich wie ein Anfänger.
Am Newsdesk war es an manchen Tagen auch häufiger mein Job, die Gespräche von Anrufern
entgegenzunehmen, wenn Jeff Kleinman in einer Konferenz war. Nuschelt der Gesprächspartner oder ist ein
Wort unklar, können solche Gespräche sehr anstrengend und zäh werden. Das Hörverständnis schärfen sie
aber allemal. Und auch mit dem amerikanischen Polizeivokabular hatte ich nach einigen Tagen keine
Probleme mehr.
Häufig lautete der Auftrag, Angehörige von Verbrechen jeglicher Art ausfindig zu machen und zu
interviewen. Das war nicht immer angenehm: In einem Fall wurde eine Frau mit ihrem Freund beim
Überqueren des Highways angefahren – und das gleich zweimal, allerdings von unterschiedlichen Autos. Ihr
Freund starb, die Frau überlebte schwer verletzt und die Fahrer flüchteten. Ich ließ mich also per Telefon ins
Krankenhaus durchstellen, ohne zu sagen, dass ich für den Herald arbeite und landete im Krankenzimmer der
verletzten Frau. Am Apparat die Mutter, der ich so sensibel es eben ging, erklärte, dass ich Journalist bin. Zu
meiner Überraschung plauderte sie einfach los. Das ist mir immer wieder aufgefallen: Im Gegensatz zu
Deutschland sind die Angehörigen häufig zu einem Statement bereit.
Dabei spielt es dann auch keine Rolle, was ihnen oder der Familie gerade widerfahren ist.
Wer sich nicht ausschließlich mit dem Thema Kriminalität beschäftigen möchte, kann das natürlich auch tun.
In diesem Fall ist die Meinungsredaktion um Myriam Marquez eine gute Anlaufstelle. Sie freut sich
eigentlich immer über Kolumnen für die Sektion “Other views”. Alle meine Texte wurden mit ein paar
sprachlichen Änderungen gedruckt. Thematisch bieten sich dabei vor allem kulturelle Unterschiede an –
zumindest nach den Lesermails zu urteilen. In einer Kolumne habe ich darüber geschrieben, warum es für
uns Deutsche in Amerika seltsam ist, von wildfremden Amerikanern Komplimente zu bekommen. Ich
beschrieb, wie ich in einem Starbuckscafé stand, eine durchaus attraktive Frau hereinkam und betonte, wie
sehr sie meine Schuhe mag. Nach der Veröffentlichung bekam ich einige Mails von Lesern, die sich für diese
Kolumne bedankt haben. Sie hätten sich bisher nie Gedanken gemacht, wenn sie anderen Menschen im
Fahrstuhl oder im Café ein Kompliment für Haare, Shirts oder Schuhe machten. Noch wochenlang ging der
Gag im Newsroom herum und die Kollegen sagten “Hey schöne Schuhe”, wenn sie an meinem Tisch vorbei
kamen. Sogar das deutsche Konsulat hat mich daraufhin in Miami eingeladen. In der letzten Woche beim
Herald emailte mir eine Leserin nach meiner letzten Kolumne, wie sehr sie bedauert, dass ich nicht mehr für
den Herald schreibe. Eine tolle Erfahrung.
Miami und Florida haben sich in den acht Wochen auch als guter Themenpool für meine Heimatzeitung
erwiesen: Todesstrafe, Waffengesetze oder auch Politik aus Washington – ich konnte einige Themen
umsetzen. In Absprache mit Jeff Kleinman oder Nancy San Martin, die ebenfalls am Newsdesk sitzt und sich
um die Stipendiaten kümmert, ist es kein Problem, wenn man sich für seine eigenen Recherchen abmeldet.
Sie wissen Bescheid, dass man für andere Medien berichtet und sind deshalb ziemlich entspannt. Das gilt
auch, wenn man mal einen anderen Fellow besuchen möchte und deshalb ein, zwei Tage fehlt.
Neben Nancy San Martin und Jeff Kleinman würde ich empfehlen, sich mit John Yearwood zu unterhalten.
Er ist für die Auslandsberichterstattung zuständig und vergibt gelegentlich Themen. An wen man sich
außerdem halten sollte, ist Scott Andron. Ein wirklich netter Redakteur, der einem fast immer weiterhelfen
kann, wenn man einen Experten braucht und der gerne mit zum Lunch geht – zum Beispiel in einen
kubanischen Sandwichladen oder in die Cafeteria der nahegelegenen und schwer bewachten Bank.
Noch kurz zurück zu der eingangs erwähnten Geschichte: Nachdem sich die Angehörigen des erschossenen
Mädchens in ihrem muffigen Wohnzimmer bei laufendem Fernseher nicht äußern wollten, erhielt ich per
Mail von der Redakteurin die Adresse vom Vater des getöteten Kindes: Er lebte getrennt von der Mutter, bei
der das Mädchen wohnte. Ein Mann vom Typ des Rappers Xzibit öffnete die Tür: Er hatte eine tätowierte
Träne unter dem Auge (was ein Zeichen für einen Mord oder den Verlust eines Angehörigen sein kann),
vergoldete Frontzähne, trug ein Basecap und eine Sonnenbrille. Tatsächlich sprach er mit mir und brach in
Tränen aus. “Ich rede nur mit dir, nicht mit dem Fernsehen”, sagte er. Bingo. Dabei hatte ich eher erwartet,
dass er mich vom Grundstück jagt. Mit meinen Notizen fuhr ich zurück in die Redaktion. Das “good job”
von der Kollegin, die mir am Telefon ziemlich Druck gemacht hatte, ließ mich den Stress und die
Anspannung vergessen. Diese Situation war das prägendste Erlebnis beim Herald, persönlich und
journalistisch. Was mich beruhigte: Auch die Kollegen sagten, dass sie sich an diese Art der Berichterstattung
nie wirklich gewöhnen werden - auch wenn sie eine gewisse Routine entwickelt haben. Wer zum Herald geht,
muss sich also ein wenig darauf einstellen, dass Miami eine Newsstadt ist: korrupte Bürgermeister, Armut,
Bandenkriege etc. Dort läuft einfach sehr viel schief: Aber gerade deshalb ist es als Journalist auch so
spannend, in dieser Stadt zu arbeiten. Ich habe es zumindest nie bereut, nach Miami gegangen zu sein, weil
ich dort über Themen berichten konnte, mit denen ich in Deutschland bisher nichts zu tun hatte.
Zum Leben in Miami muss ich, glaube ich, nicht viel sagen: Als ich bei meiner ersten Tour durch Miami mit
dem Mietwagen bei Sonnenschein auf dem Venetian Causeway in Miami Beach landete, Yachten und
Palmen sah und schließlich am Strand ankam, wusste ich, dass diese zwei Monate nicht die schlechtesten
werden würden. Jeden Morgen mit Sonnenschein aufzuwachen und am Wochenende die Wahl zwischen zig
verschiedenen Stränden zu haben, das sind einfach gute Voraussetzungen für eine unvergessliche Zeit in den
USA. Und offenbar hat nicht nur das tolle Wetter auf mich abgefärbt: Denn inzwischen ertappe ich mich in
Deutschland manchmal dabei, dass ich, wie die Amerikaner, mit wildfremden Leuten im Fahrstuhl oder an
der Bushaltestelle kleine Gespräche anfange – Komplimente mache ich Menschen, die ich kaum kenne, aber
immer noch nicht. Dafür bin ich wahrscheinlich noch zu deutsch.
Hier noch einige Tipps:
Schreiben: Macht euch nicht zu viele Gedanken über das Schreiben auf Englisch: Die Editoren bügeln Fehler
wieder aus. Teilweise verändern sie die Texte auch nur minimal.
Wohnen: Ich kann nur empfehlen, wenn möglich im Bereich Miami Beach/South Beach zu wohnen: Dort ist
am meisten los und die Strände sind unschlagbar. Dafür ist es dort aber auch teuer.
Auto mieten: ist nicht ganz billig. Ich hatte den Vorteil, dass ich nur den Mietwagen und nicht die Wohnung
zahlen musste, weil ich bei Verwandten wohnen konnte. Alamo bietet ganz gute Konditionen an, auch mit
Journalistenrabatt. Ein Kollege gab mir noch den Tipp, auf Craigslist nach Autos zu schauen. Einige
Studenten vermieten dort ab und an in den Semesterferien ihre Autos.
Wetter und Stadt: Lasst die Pullover zu Hause. Braucht man in Miami wirklich nicht. Die Hitze fand ich
nicht unangenehm. Zur Einführung empfiehlt sich eine Touristen-Bus-Tour. Das habe ich erst am Schluss
gemacht und gemerkt, dass ich einige Ecken nicht gesehen habe. Zur Arbeit kann man ganz normal mit
Hemd und Jeans kommen.
Smartphone: Am besten das eigene mitbringen und nur die Karte tauschen. Beim Herald wird viel gemailt,
da lohnt es sich, auch unterwegs Zugriff auf das Mailkonto zu haben.
Eine Tour mit der Polizei: Das ist wirklich eine spannende Erfahrung. Allerdings muss man ein Dokument
unterschreiben, in dem man im Falle einer Schießerei und tödlichen Verletzungen keine Ansprüche an die
Polizei erhebt.