Wie ein Jungunionist zum Sozialisten auf Zeit wurde

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Wie ein Jungunionist zum Sozialisten auf Zeit wurde
Wie ein Jungunionist zum Sozialisten auf Zeit wurde
in Chemiker mittleren Alters aus
Oranienburg, Michael Küfer nennt
er sich, ist aus Frust über Arbeitsplatzverluste nach der Wende in die Partei
der Sozialen Gerechtigkeit, kurz PSG, eingetreten und sitzt seit 2005 für sie im Bundestag. Das Problem an der ganzen Sache:
Weder Küfer noch seine Partei existieren in
der Realität. Und doch ist die PSG die viertgrößte Fraktion in der Legislative: Im bundesweiten Planspiel „Jugend und Parlament“ des Deutschen Bundestags.
Ausgerechnet der konservative JungeUnion-Vorsitzende aus Fellbach, Stefan
Hämmerle, durfte – oder musste – in die
Rolle des Sozialisten aus dem Osten schlüpfen. Hämmerle war vom CDU-Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer angefragt
worden, ob er am Planspiel im Berliner
Reichstag teilnehmen wolle. Anfang Juni
war der 16-jährige Schüler des Gustav-Stresemann-Gymnasiums (GSG) also in der
E
Hauptstadt Michael Küfer. 312 Jugendliche
aus der ganzen Bundesrepublik zwischen
16 und 20 Jahren verkörperten die von der
Bundestagsverwaltung erfundenen Politiker. Die ebenfalls fiktiven Parteien hatten
dieselbe Größe wie ihre verwandten Originale. Die Teilnehmer durften sich während
des Spiels im Reichstag frei bewegen.
Um den parlamentarischen Alltag möglichst echt nachzustellen, begaben sich die
Nachwuchskräfte zuerst in die Fraktionssäle, um den Fraktionsvorstand zu bestimmen, die Rednerlisten zu erstellen und die
Ausschüsse zu besetzen.
Stefan Hämmerle wurde der Rechtsausschuss zugewiesen, wo er sich mit der Frage
nach einer allgemeinen Wahlpflicht beschäftigen musste. In den Ausschussräumen im Paul-Löbe-Haus wurden insgesamt vier Gesetzesentwürfe diskutiert, darunter auch die Einführung der Pkw-Maut,
eine Freistellung vom Beruf aufgrund eines
Pflegefalls im engsten Familienkreis und
die Einführung anonymisierter Bewerbungen. So galt es, die persönliche Meinung
hintenanzustellen und, für Stefan Hämmerle, der sozialistischen Sache zu dienen.
Die allermeisten Spielteilnehmer waren
Mitglieder der Jugendorganisationen der
Bundestagsparteien.
„In der PSG-Fraktion
gab es auffallend viele
JuLis, wobei der Fraktionsvorsitzende Sozialdemokrat war und
sich daher nicht so
weit verbiegen musste“, sagte Stefan HämStefan Hämmerle merle. Die anschließenden Lesungen im
Plenarsaal wurden von den Bundestagsvizepräsidenten geleitet.
Zwar trat Stefan Hämmerle nicht ans
Rednerpult, doch unterbrach er durch Zwischenfragen die Reden zweier Kollegen aus
der Fraktion der Christlichen Volkspartei,
darunter die eines JU-Kollegen: Andreas
Schildknecht, Schriftführer der JU RemsMurr, war vom Backnanger Abgeordneten
Foto: Privat
Der Fellbacher JU-Vorsitzende Stefan Hämmerle war bei
„Jugend und Parlament“. Von Fabian Zahlecker
Berlin
Norbert Barthle nominiert worden und der
„richtigen“ Fraktion zugeteilt worden. „Besonders witzig war die Zwischenfrage, die
ich an meinen Parteifreund aus dem JUKreisvorstand gestellt habe. Natürlich vertrat er als CVP-Abgeordneter meine eigentliche Position. Da musste ich einfach von
links eine kritische Zwischenfrage stellen“,
sagte Stefan Hämmerle.
Nicht nur Abgeordnete wurden von den
jungen Spielteilnehmern verkörpert, sondern auch die Hauptstadt-Presse. Bei der
veranstalteten Berliner Runde konnte sich
die PSG-Fraktion nicht einigen, wer aus der
Doppelspitze teilnehmen durfte. Und da
zwei Politiker derselben Partei nicht zugelassen waren, verließen die Parlamentarier
der PSG unter Protest den Raum.
Zum Abschluss der Gesamtveranstaltung richtete Bundestagspräsident Norbert Lammert einige Worte an die Spielteilnehmer und bedankte sich für deren Engagement. „Es ist großartig, dass der
Deutsche Bundestag jungen Leuten mit
dieser Plattform die Chance gibt, mehr
über politische Prozesse zu erfahren“, sagte Stefan Hämmerle.