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Simulation des
biomechanischen Verhaltens
dentaler Implantate
Diplomarbeit
im Studiengang
Orthopädie- und Rehatechnik
der Fachhochschule
Gießen-Friedberg
vorgelegt
im April 2005
von
Martin Karstens,
geboren in Göttingen
am 22.08.1970
Gutachter:
• Prof. Dr. rer. nat. Jörg Subke (Referent),
Fachhochschule Gießen-Friedberg,
Fachbereich Krankenhaus- und Medizintechnik,
Umwelt- und Biotechnologie
• Prof. Dr.-Ing. Klaus Schier (Koreferent),
Fachhochschule Gießen-Friedberg,
Fachbereich Maschinenbau, Mikrotechnik, Optronik
Die Diplomarbeit
wurde
im Labor für
experimentelle Kieferorthopädie
am Zentrum für
Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
des Universitätsklinikums Bonn
durchgeführt.
Externer Betreuer war
Prof. Dr. rer. nat. Christoph Bourauel.
Der Studiengang
Orthopädie- und Rehatechnik
wird im Fachbereich
Krankenhaus- und Medizintechnik,
Umwelt- und Biotechnologie
der Fachhochschule
Gießen-Friedberg
angeboten.
Die Diplomprüfung erfolgt
in der Studienrichtung Technik
und nach der Prüfungsordnung
vom 14.05.1997.
Inhalt
1
Einleitung.............................................................................................................. 1
2
Grundlagen.......................................................................................................... 3
2.1 Knochengewebe.................................................................................................. 3
2.1.1 Spongiöser und kortikaler Anteil................................................................ 3
2.1.2 Fibrointegration und Osseointegration....................................................... 4
2.1.3 Veränderung der Knochendichte............................................................... 5
2.1.4 Sofortbelastete Implantate......................................................................... 6
2.2 Kontinuumsmechanik........................................................................................... 7
2.2.1 Aufgabenstellung der Kontinuumsmechanik............................................. 7
2.2.2 Verschiebung............................................................................................. 8
2.2.3 Verzerrung............................................................................................... 10
2.2.4 Spannung und Elastizität......................................................................... 14
2.2.5 Spannung und Kräftegleichgewicht......................................................... 15
2.2.6 Randbedingungen.................................................................................... 16
2.3 Finite-Elemente-Methoden................................................................................. 18
2.3.1 Verschiebungsmethode........................................................................... 20
2.3.2 Elementtypen........................................................................................... 21
2.3.3 Kontaktanalyse........................................................................................ 23
2.3.4 Fehlerquellen........................................................................................... 26
3
Gegenstand der Analyse........................................................................... 27
3.1 ANKYLOS®-Implantate...................................................................................... 27
3.1.1 Geometrie................................................................................................ 28
3.1.2 Material und Oberfläche........................................................................... 29
3.1.3 Einzeltypen............................................................................................... 30
3.2 Implantatbett....................................................................................................... 34
3.2.1 Kieferknochen.......................................................................................... 35
3.2.2 Chirurgischer Eingriff und Sofortbelastung.............................................. 38
3.3 Randbedingungen.............................................................................................. 41
4
Vorlagen aus der Literatur........................................................................ 45
4.1 Zweidimensionale Finite-Elemente-Modelle...................................................... 46
4.1.1 Axialsymmetrischer Zustand (Modell VO_axisym).................................. 46
4.1.2 Ebener Verzerrungszustand (Modell VO_plain_strain)........................... 47
4.2 Dreidimensionale Finite-Elemente-Modelle....................................................... 48
4.2.1 Prothese mit drei Implantaten (Modell VO_prothese)..............................49
4.2.2 Kaninchenexperiment (VO_kaninchen)................................................... 49
-i-
Inhaltsverzeichnis
5
Eigene Finite-Elemente-Modelle.......................................................... 51
5.1 Mechanische Idealisierung................................................................................ 52
5.1.1 Geometrie................................................................................................ 52
5.1.2 Material.................................................................................................... 54
5.2 Tetraeder-Modell................................................................................................ 55
5.2.1 Beschreibung der Körperoberflächen durch getrimmte Flächen............. 55
5.2.2 Erzeugung der Hexaeder-Netze.............................................................. 56
5.2.3 Erzeugung der Tetraeder-Netze.............................................................. 58
5.2.4 Verbindungen unter den einzelnen Netzen............................................. 61
5.2.5 Diskrete Randbedingungen..................................................................... 62
5.2.6 Ergebnisse............................................................................................... 64
5.2.7 Experimentelle Kontrolle.......................................................................... 76
5.3 Hexaeder-Modell................................................................................................ 77
5.3.1 Erzeugung des Hexaeder-Netzes............................................................77
5.3.2 Erste Ergebnisse...................................................................................... 79
6
Zusammenfassung und Ausblick......................................................... 81
7
Verwendete Literatur................................................................................... 83
Anhang
A Vermessung von Implantat und Werkzeug
- ii -
1 Einleitung
Durchschnittlich fehlen jedem Deutschen in der
Altersgruppe zwischen 35 und 44 Jahren bereits
Prothese
6 bis 8 Zähne, und ein Viertel aller Senioren ist
Pfosten
völlig zahnlos. Bei der Restauration des Gebisses
Implantat
stellt der implantatgetragene Zahnersatz heute eine
gängige Alternative zu herausnehmbaren Prothesen und Zahnbrücken dar. Die Verankerung des
Zahnfleisch
Zahnersatzes erfolgt dabei über ein oder mehrere
Knochen
(kortikal)
Implantate, die der Oralchirurg im Ober- oder
Unterkieferknochen platziert (Abbildung 1).
Knochen
(spongiös)
Der das Implantat umgebende Knochen besteht aus
lebendem Gewebe. Laufend wird hier Knochen
einerseits neu gebildet und andererseits abgebaut.
Abbildung 1: Prinzip des implantatgetragenen Zahnersatzes (nach [8])
Nach dem Einbringen des Implantats ist eine vermehrte Knochenbildung im Grenzbereich zum Implantat notwendig, damit eine langfristig
stabile Verankerung des Implantats im Knochen entsteht. Von großem Interesse ist die
Kenntnis von Einflussgrößen, die eine solche Knochenreaktion begünstigen oder hemmen. Der mechanische Verzerrungszustand des Knochens gilt als eine solche Einflussgröße, die genauen Zusammenhänge sind jedoch noch nicht bekannt. Die vorliegende
Arbeit soll einen kleinen Beitrag zu ihrer Klärung leisten.
Diese Arbeit steht im Zusammenhang mit einer übergeordneten Studie, welche die
Reaktion des Knochengewebes auf mechanische Verzerrungen untersucht. Im Rahmen
dieser Studie werden dentale Implantate in Rentiergeweihe eingesetzt und über einen
Kau-Simulator eine Zeit lang kontrolliert belastet. Sobald das Tier sein Geweih abwirft,
wird der entstandene Verbund von Implantat und Gewebe untersucht und daraus auf die
Gewebereaktion geschlossen. Um die Gewebereaktion mit den Verzerrungen im Gewebe
in Beziehung setzen zu können, muss der Verzerrungszustand zunächst ermittelt wer-
-1-
1 Einleitung
den. Dazu wird ein Rechenmodell des Systems aus Implantat und Geweih erstellt, mit
dem die vom Kau-Simulator experimentell aufgebrachte Last numerisch simuliert und der
Verzerrungszustand berechnet werden kann.
Die vorliegende Arbeit liefert einen Beitrag zum Aufbau des oben genannten Rechenmodells. Es handelt sich um eine Finite-Elemente-Analyse, bei der das biomechanische
Verhalten eines einzelnen Implantats im Kieferknochen simuliert wird. Da der
Verzerrungszustand des an das Implantat angrenzenden Knochens wesentlich von der
Wechselwirkung zwischen Implantat und Knochen abhängt, wurde besonderer Wert auf
die Beschreibung und Modellierung der beiderseitigen Kontaktflächen gelegt.
-2-
2 Grundlagen
Die vorliegende Arbeit untersucht das Verhalten eines Implantats im Knochen und
formuliert dazu ein kontinuumsmechanisches Problem, das unter Anwendung einer
Finite-Elemente-Methode gelöst wird. Um das Verständnis der Arbeit zu erleichtern,
werden nachfolgend einige grundlegende Aspekte der Themenbereiche `Knochengewebe´, `Kontinuumsmechanik´ und `Finite-Elemente-Methoden´ behandelt.
2.1 Knochengewebe
Es ist relativ aufwändig, die Materialeigenschaften des Knochengewebes zu beschreiben.
Es unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, von Knochen zu Knochen und von Knochenausschnitt zu Knochenausschnitt. Als biologisches Gewebe reagiert es zudem auf
Reize und ist somit zeitlichen Veränderungen unterworfen. Die folgenden Abschnitte
beschreiben diejenigen Eigenschaften des Knochengewebes, die im Zusammenhang mit
dentalen Implantaten von besonderem Interesse sind.
2.1.1 Spongiöser und kortikaler Anteil
Makroskopisch lassen sich wie in vielen Knochen so auch im Unterkieferknochen (Mandibula) zwei verschiedene Arten von Knochen
unterscheiden. Die eine Art tritt in den Randgebieten des Knochens auf und wird deshalb
als kortikaler Knochen (lat. cortex = Rinde)
bezeichnet. Sie hat ein homogenes Erscheinungsbild. Die andere Knochenart findet sich
Abbildung 2: Kortikaler und spongiöser Knochen
in der Mandibula. Dargestellt ist die rechte Hälfte
einer menschlichen Mandibula (nach [28]).
im Knocheninnern. Sie hat eine schwammartige Struktur und wird deshalb spongiöser Knochen (lat. spongium = Schwamm)
genannt. Die Stege dieser schwammartigen Struktur werden als Trabekeln bezeichnet.
Sie haben typischerweise eine Dicke in der Größenordnung von 0,1 bis 0,3 mm und
einen Abstand in der Größenordnung von 0,3 bis 1,5 mm [23]. Der Bereich zwischen den
Trabekeln ist mit Knochenmark gefüllt und birgt Blutgefäße und Nerven. Abbildung 2 zeigt
die rechte Hälfte einer Mandibula mit dem spongiösen und dem kortikalen Knochenanteil.
-3-
2 Grundlagen
2.1 Knochengewebe
2.1.2 Fibrointegration und Osseointegration
Fast alle metallischen Implantate werden vom Körper mit einer Kapsel aus faserigem
Weichteilgewebe umgeben, so dass das Knochengewebe keinen direkten Kontakt zum
Implantat hat. Diese Art der Verankerung des Implantats im Knochen wird Fibrointegration genannt. Lediglich bei Titan und seinen Legierungen findet man – bei Betrachtung
histologischer Schnitte unter dem Lichtmikroskop – Knochengewebe in direktem Kontakt
zu einer metallischen Oberfläche. Dieser direkte Kontakt führt bei Titan-Implantaten zu
einer vergleichsweise stabilen Verankerung im Knochen, die als Osseointegration
bezeichnet wird.
Die Tatsache, dass Titan-Implantate vom Körper
osseointegriert werden können, bedeutet jedoch
nicht, dass dies auch immer und an jeder Stelle
des Implantats passiert. So kann das in Abbildung 3 gezeigte Implantat als osseointegriert
bezeichnet werden, dennoch finden sich im Bereich des Gewindegrats Gebiete mit Weichteilgewebe.
Ein großer fibrointegrativer Anteil bei TitanImplantaten wird mit Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochen in Verbindung gebracht. In Experimenten von Søballe et al. [33]
bildete sich bei Relativbewegungen von 500 µm
(tangential zur Implantatoberfläche) vorrangig
Weichteilgewebe und Faserknorpel an der
Kontaktfläche. Relativbewegungen von 150 µm
störten die Osseointegration dagegen nicht.
-4-
Abbildung 3: Histologischer Schnitt durch ein
stabil eingewachsenes Implantat und den angrenzenden Knochen. Die Gewindegänge des
Titan(Ti)-Implantats sind mit kortikalem Knochengewebe (bone B) gefüllt. Am Gewindegrat finden sich Gebiete mit Weichteilgewebe
(soft tissue ST, aus [32]).
2 Grundlagen
2.1 Knochengewebe
2.1.3 Veränderung der Knochendichte
Im Knochengewebe finden ständig Umbauvorgänge statt. Überwiegt in einem Gebiet des
Knocheninneren der Knochenabbau, so kommt es dort zu einer Abnahme der Knochendichte. Überwiegt der Knochenanbau, so kommt es zur Zunahme der Knochendichte.
Überwiegt einer der beiden Umbauvorgänge am Knochenrand, so verändert sich die
äußere Form des Knochens [20].
Es gilt als sicher, dass die Umbauvorgänge des Knochens durch mechanische Reize
stimuliert werden. Dies gibt dem Knochen die Fähigkeit, sich an unterschiedliche mechanische Beanspruchungen anzupassen. Der Verlust eines Zahns oder das Einsetzen eines
Implantats verändert die Art und das Maß der Beanspruchung in starker Weise und führt
daher zu vermehrtem Knochenumbau [14].
Zahlreiche Studien haben sich bereits mit der Frage beschäftigt, wie das Knochengewebe
auf unterschiedliche Beanspruchungen reagiert. Van Oosterwyck [34] stellte mehrere
dieser Studien vor und fasste die Ergebnisse sinngemäß wie folgt zusammen:
•
Bei keiner oder sehr geringer mechanischer Beanspruchung findet überwiegend
Knochenabbau statt, so dass sich die Knochendichte verringert,
•
bei mittelmäßiger Beanspruchung besteht ein Gleichgewicht zwischen Knochenabund -anbau, so dass sich die Knochendichte nicht ändert,
•
bei mäßig erhöhter Beanspruchung findet überwiegend Knochenanbau statt, so dass
sich die Knochendichte erhöht, und
•
bei sehr hoher Beanspruchung treten irreversible Knochenschäden auf, die in der
Folge zu Knochenabbau führen.
In welchem dieser vier Bereiche ein Knochengebiet beansprucht wird, hängt nicht nur von
der Stärke der Beanspruchung, sondern auch von ihrer Häufigkeit ab. So überwiegt bei
rein statischer Beanspruchung immer der Knochenabbau.
-5-
2 Grundlagen
2.1 Knochengewebe
Es ist üblich, den Verzerrungszustand eines Knochengebiets als Maß für seine mechanische Beanspruchung zu betrachten. Entsprechend nennt Van Oosterwyck [34] aus der
Literatur [11, 19, 23, 30] Grenzwerte der Verzerrung, die die oben genannten Beanspruchungsbereiche voneinander trennen:
•
Die Grenze zwischen der sehr geringen Beanspruchung und der mittelmäßigen liegt bei
10 bis 200 µε (1 µε = 1 µm/m; der Begriff des Verzerrungszustands wird im Abschnitt
2.2 `Kontinuumsmechanik´ erklärt),
•
die Grenze zwischen der mittelmäßigen Beanspruchung und der mäßig erhöhten liegt
bei ungefähr 2000 µε, und
•
die Grenze zwischen der mäßig erhöhten Beanspruchung und der sehr hohen Beanspruchung liegt bei ungefähr 4000 µε.
2.1.4 Sofortbelastete Implantate
Wird ein Implantat unmittelbar nach der Operation belastet, so ist davon auszugehen,
dass Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochen auftreten. Da Relativbewegungen die Osseointegration stören können, war es in der Vergangenheit üblich, ein dentales Implantat im Kiefer zunächst 3 bis 6 Monate ruhen zu lassen, ehe der Zahnersatz
daran befestigt wurde. Andererseits erhält der das Implantat umgebende Knochen
während dieser Einheilphase kaum mechanische Reize, was zu einer Abnahme der Knochendichte führen kann, obwohl für eine stabile knöcherne Verankerung eine Zunahme
der Knochendichte erforderlich ist.
Diese Überlegungen haben dazu geführt, dass in neuerer Zeit Studien mit sofortbelasteten
dentalen Implantaten durchgeführt werden, zu denen auch die dieser Arbeit übergeordnete
Studie gerechnet werden kann. Wenn in der vorliegenden Finite-Elemente-Analyse ein
System aus Implantat und Knochen modelliert wird, bei dem noch keine Umbauvorgänge
(weder Osseointegration noch Fibrointegration, weder Zu- noch Abnahme der
Knochendichte) stattgefunden haben, bei dem das Implantat aber bereits belastet wird,
so entspricht dies der klinischen Situation eines sofortbelasteten Implantats direkt nach
dem Einsetzen desselben durch den Oralchirurgen.
-6-
2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
2.2 Kontinuumsmechanik
In den vorhergehenden Abschnitten wurden mehrfach die Begriffe „Belastung“ und „mechanischer Verzerrungszustand“ benutzt, ohne das die dazugehörigen kontinuumsmechanischen Größen näher erklärt wurden. Dies wird in den folgenden Abschnitten nachgeholt.
Dazu werden diejenigen Aspekte der Kontinuumsmechanik, die für diese Arbeit wesentlich sind, kurz beschrieben. Weitere Details findet man zum Beispiel bei [5, 13, 15, 31].
2.2.1 Aufgabenstellung der Kontinuumsmechanik
Die Kontinuumsmechanik ist ein Teilgebiet der
100mm
Physik, das sich mit den Verformungen von Körpern beschäftigt. Das Material der betrachteten
Punkten“ [5].
Die
Aufgabe
der
Kontinuums-
100mm
Körper wird dabei als Kontinuum aufgefasst, das
heisst „als eine stetige Anhäufung von materiellen

 00 00
 00 00
00
Verschiebung: 0
0
mechanik besteht darin, „den Spannungs- und
Verzerrung:
Spannung:
Kraft:
Verzerrungszustand sowie die Verschiebungen in
allen Punkten eines Körpers bei vorgeschriebenen
Randbedingungen zu bestimmen“ [5]. Randbedingungen werden unter anderem durch Angabe der
10µm
100mm
Verschiebung von Randpunkten des betrachteten
wertproblem
am
Beispiel
eines
verformten
Quadrats. Abgebildet sind der ursprüngliche,
100mm
gungen werden im Abschnitt 2.2.6 behandelt.
Abbildung 4 veranschaulicht ein solches Rand-

 
 

Verschiebung:
Verzerrung:
Spannung:
Kraft:
?
?
??
??
??
??
?
?
10µm
Körpers formuliert – weitere mögliche Randbedin-
unverformte Zustand des Quadrats einerseits und
der zu berechnende, verformte andererseits. Die
Verformung wurde dabei stark überhöht dargestellt,
-7-
Abbildung 4: Prinzip eines kontinuumsmechanischen Randwertproblems am Beispiel
eines verformten Quadrats. Die Verformung
ist stark überhöht dargestellt
2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
damit die Art der Verformung erkennbar wird1. Die Randbedingungen sind durch die
Zeichnung gegeben. Zu ermitteln sind die Werte aller kontinuumsmechanischen Größen
im Quadratinnern sowie diejenigen Kräfte am Quadratrand, die zu der vorliegenden
Verformung geführt haben. Einige Ergebnisse der Problemlösung werden unten
dargestellt, wenn die Begriffe Verschiebung und Verzerrung näher beschrieben werden.
Die kontinuumsmechanische Aufgabenstellung der Arbeit lässt sich – stark verkürzt – so
formulieren: Das Implantat, der kortikale Knochen und der spongiöse Knochen sollen als
Kontinua aufgefasst werden, die an ihrem Rand gewisse Bedingungen erfüllen müssen;
eine dieser Randbedingungen ist die Belastung des Implantats. Mit Hilfe der Gesetze der
Kontinuumsmechanik sollen die Verschiebungen aller Materiepunkte und die lokalen
Verzerrungen des Kontinuums berechnet werden.
2.2.2 Verschiebung
Bei der Lösung eines kontinuumsmechanischen Problems wird für jeden Materiepunkt ein
Verschiebungsvektor berechnet, der anzeigt, um wie viel und in welcher Richtung sich
dieser Punkt bei der Verformung bewegt. Jeder Raumpunkt eines n-dimensionalen
Körpers kann mit Hilfe eines Koordinatensystems durch n Ortskoordinaten bestimmt
werden. In gleicher Weise kann auch die Verschiebung eines jeden Raumpunktes durch
n Verschiebungskomponenten festgelegt werden, die sich auf dasselbe Koordinatensystem beziehen. Es handelt sich um ein Vektorfeld mit n Komponenten in Abhängigkeit
von n Ortskoordinaten.
Dem Koordinatensystem können die Richtungen der einzelnen Verschiebungskomponenten entnommen werden. Da es frei wählbar ist, wird nach Möglichkeit ein Koordinatensystem benutzt, in dem die physikalische Interpretation der einzelnen Vektorkomponenten leicht fällt. Bei Übergang zu einem anderen Koordinatensystem ergeben
sich auch andere Vektorkomponenten – dieser Übergang wird Koordinatentransformation
genannt.
1 Mit den in dieser Arbeit benutzten kontinuumsmechanischen Größen und Gesetzen können nur Verformungszustände berechnet werden, die sich durch sehr kleine Verschiebungen und Verzerrungen auszeichnen. Deshalb wurde ein Beispiel gewählt, das diese Bedingungen erfüllt.
-8-
2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
Abbildung 5 zeigt die errechneten Verschiebungen aus dem Beispiel von Abschnitt 2.2.1
in Graukodierung. Da es sich bei dem Beispiel um ein zweidimensionales Problem
handelt, besitzt der Verschiebungsvektor nur zwei Komponenten. Diese wurden in
unterschiedlichen Koordinatensystemen berechnet und separat voneinander graukodiert.
Alternativ hätte das Verschiebungsfeld auch als Pfeilegrafik dargestellt werden können.
Die Kontur des abgebildeten Quadrats ist die Kontur des verformten Quadrats. Im
Unterschied zu Abbildung 4 wurde die Verformung jedoch nicht überhöht dargestellt und
kann daher von der unverformten Kontur nicht unterschieden werden. Dieser scheinbare
Mangel vermindert jedoch nicht den Informationsgehalt der Darstellung, da das Verschiebungsfeld durch seine komponentenweise Graukodierung vollständig beschrieben ist.
Insbesondere bei komplizierten Verschiebungsfeldern ist diese Darstellungsform sehr
aussagekräftig und wurde daher auch zur Darstellung des Verschiebungsfelds im
Knochen benutzt.
Verschiebungen (in μm)
xy-System
x-Achse
x'y'-System
y-Achse
y
x'-Achse
y
y'
x
x
-15
-10
y'-Achse
-5
y'
x'
0
5
10
x'
15 µm
Abbildung 5: Verschiebungskomponenten des Beispielproblems aus Abschnitt 2.2.1 in verschiedenen
Koordinatensystemen.
-9-
2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
2.2.3 Verzerrung
Aus dem Verschiebungsfeld in einem Körper lassen sich Aussagen über seine
Verformung herleiten. Dazu wird um jeden Materiepunkt herum ein infinitesimal kleines
Materieelement betrachtet und dessen Verzerrungstensor2 berechnet. Der Verzerrungstensor zeigt an, um wieviel und in welcher Weise sich dieses Materieelement verzerrt. Die
Art und Weise einer Verzerrung wird dabei wiederum mit Hilfe des gewählten Koordinatensystems definiert.
Abbildung 6 zeigt die drei Verzerrungsmodi eines zweidimensionalen Materieelements,
nämlich Dehnungen entlang der zwei Koordinatenachsen und Gleitung in der Koordinatenebene. Unter den einzelnen Teilbildern sind die jeweiligen Modi in Matrixform
dargestellt. Die Matrizen sind symmetrisch zu ihrer Hauptdiagonalen – entsprechend
bezeichnet man den Verzerrungstensor als symmetrischen Tensor. Sie enthalten die
Dehnung
entlang der
x-Achse
Dehnung
entlang der
y-Achse
y
Gleitung
in der
xy-Ebene
y
x
y
x

2

 xx 0
0
0


0 0
0  yy


x
−  xy
0
1

2 xy
1

2 xy
0

Abbildung 6: Ein zweidimensionales, infinitesimal kleines Materieelement hat drei Verzerrungsmodi.
2 Der Tensor ist – ebenso wie der Vektor – ein mathematisches Objekt [4], das hier nicht näher definiert
wird. Grob gesagt, kann man ihn als Verallgemeinerung eines Vektors auffassen. In der vorliegenden
Arbeit werden lediglich einige im Zusammenhang mit dem Verzerrungstensor wesentliche Tensoreigenschaften genannt.
- 10 -
2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
Koeffizienten  xx,  yy und  xy, die das Maß der Verformung in dem entsprechenden
Verzerrungsmodus angeben. Diese Koeffizienten stehen in einer Finite-Elemente-Software als Ergebnisse einer erfolgreichen Rechnung zur Verfügung3. Ihre mathematische
T
Abhängigkeit vom Verschiebungsfeld u =  u x ; u y  wird für den Fall, dass alle auftretenden Verschiebungen klein sind, durch die folgenden Näherungsgleichungen beschrieben:
 xx =
∂u x
∂x
,  yy =
∂u y
,  xy =
∂y
∂u x
∂y

∂u y
∂x
=: 2  xy
(1)
Die Koeffizienten können auch negativ sein, gezeichnet wurden jedoch Verzerrungen mit
positivem Vorzeichen. Dehnungen mit negativem Vorzeichen können auch als Stauchung
bezeichnet werden.
Aus Gleichung 1 geht hervor, dass die Verzerrung eine dimensionslose Größe ist. Deshalb war es möglich, in Abbildung 6 einen Winkel einzutragen, der sich mit Hilfe des Koeffizienten  xy der Gleitung berechnen lässt4. Dennoch ist es üblich, Verzerrungen in einer
Einheit auszudrücken, die sich englisch „micro strain“ nennt und „µε“ abgekürzt wird. Sie
hat die folgende Bedeutung:
1 µε = 1
µm
m
= 10−6
(2)
Abbildung 7 zeigt die errechneten Verzerrungen aus dem Beispiel von Abschnitt 2.2.1.
Das Beispiel stellt einen Sonderfall dar, in dem der Verzerrungszustand im gesamten
Quadrat gleich ist. Die Werte der betreffenden Verzerrungskomponenten wurden deshalb
in die Quadrate eingetragen, statt sie in Grauwerten zu kodieren. Wie bei den Verschiebungen in Abbildung 5 wurden die Ergebnisse bezüglich zwei verschiedener Koordinatensysteme dargestellt.
3 Bei der Finite-Elemente-Software Marc/Mentat werden sie als „component 11“, „component 22“ und
„component 12“ der Dehnung bezeichnet.
4 Da sich der Koeffizient als Winkel geometrisch deuten lässt, wird er auch Gleitwinkel genannt.
- 11 -
2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
Verzerrungen (in με)
xy-System
x'y'-System


0 100
100 0
Dehnungen
x-Achse
0
x'-Achse
y
x
-100
x'
Gleitung
y'-Achse
y'
x
200

Dehnungen
xy-Ebene
y
x
0
−100 0
0 100
Gleitung
y-Achse
y

x'y'-Ebene
y'
100
x'
y'
0
x'
Abbildung 7: Verzerrungskomponenten des Beispielproblems aus Abschnitt 2.2.1 in verschiedenen Koordinatensystemen
Während der zweidimensionale Verzerrungstensor nur zwei voneinander unabhänige
Komponenten besitzt, sind es beim dreidimensionalen Verzerrungstensor sechs: Im
Allgemeinen besitzt er
•
drei Komponenten der Dehnung – eine je Koordinatenachse – und
•
drei Komponenten der Gleitung – eine je Koordinatenebene.
Seine Eigenschaften sind mit denen des zweidimensionalen Tensors vergleichbar und
werden hier deshalb nicht separat beschrieben.
Zu jedem Verzerrungstensor lässt sich ein Koordinatensystem finden, in welchem keine
Gleitungen, sondern nur Dehnungen auftreten. Dieses Koordinatensystem wird Hauptachsensystem genannt und die Dehnungen bezüglich des Hauptachsensystems heißen
Hauptdehnungen5. Die größte der drei Hauptdehnungen6 stellt gleichzeitig ein Maximum
der Dehnungen in allen möglichen Koordinatensystemen dar und die kleinste ein
Minimum. Außerdem ist die Differenz zwischen größter und kleinster Hauptdehnung ein
Maß für die in anderen Koordinatensystemen zu erwartenden Gleitungen: Das Maximum
der Gleitungen in allen möglichen Koordinatensystemen ist gleich der Differenz von
5 engl. principal strains
6 engl. major principal strain
- 12 -
2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
größter und kleinster Hauptdehnung. Aus diesen und anderen Gründen lässt sich ein
Verzerrungszustand im Hauptachsensystem besonders gut verstehen. Das x'y'-System
in Abbildung 7 ist ein solches Hauptachsensystem.
Die Auswertung eines Verzerrungsfeldes im Hauptachsensystem kann durch eine farblich
kodierte Pfeilegrafik erfolgen: In mehreren Materiepunkten werden die Hauptdehnungen
als farbige Pfeile mit den Richtungen des jeweiligen Hauptachsensystems dargestellt.
Dabei richtet sich die Orientierung eines Pfeils nach dem Vorzeichen der jeweiligen
Hauptdehnung: Hauptdehnungen mit positivem Vorzeichen werden durch einen Pfeil dargestellt, der von dem betreffenden Materiepunkt wegweist, und Hauptdehnungen mit
negativem Vorzeichen durch einen Pfeil, der darauf zeigt. Eine solche Darstellung
beschriebe das Verzerrungsfeld ohne Informationsverlust, wenn es sich um eine dreidimensionale „Zeichnung“ handeln würde. In der zweidimensionalen Projektion geht jedoch
schon einiges an Information verloren, so dass die Projektionsebene sorgsam gewählt
werden sollte.
Sollen verschiedene Verzerrungsfelder miteinander verglichen werden, ohne dabei auf
die Details der einzelnen Verzerrungskomponenten einzugehen, so bietet es sich an,
jedem Punkt des Verzerrungsfelds eine Vergleichsdehnung eqv (engl. equivalent strain)
zuzuordnen, deren Wert unabhängig von der Wahl des Koordinatensystems ist:
eqv =

1
[   − 2 2   2 − 3 2   3 − 1 2 ] mit 1, 2, 3: Hauptdehnungen (3)
6 1
Diese Invariante des Verzerrungstensors kann auch ohne Hauptachsentransformation in
einem beliebigen Koordinatensystem aus den einzelnen Tensorkomponenten berechnet
werden7. Die Darstellung in Gleichung 3 wurde lediglich wegen ihrer Anschaulichkeit
gewählt.
In der vorliegenden Arbeit wurden die berechneten Verzerrungen sowohl mit Hilfe ihrer
Hauptdehnungen als auch anhand ihrer Vergleichsdehnung dargestellt.
7 Umgekehrt erfordert eine Hauptachsentransformation aber die Berechnung der Vergleichsdehnung.
- 13 -
2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
2.2.4 Spannung und Elastizität
Die Spannung eines Materieelements ist ebenso wie die Verzerrung ein symmetrischer
Tensor und hat daher vergleichbare Eigenschaften wie der Verzerrungstensor. Dies soll
zur Erklärung des Spannungsbegriffs genügen; denn in der vorliegenden FiniteElemente-Analyse sind die Spannungen nicht von Interesse, sondern die Verzerrungen.
Der Zusammenhang zwischen Verzerrung und Spannung in einem Materieelement ist
abhängig vom Material des zu berechnenden Körpers. In dieser Arbeit werden ausschließlich linear-elastische Materialmodelle benutzt, für die das verallgemeinerte
Hookesche Gesetz gilt:
i, j, k, l : Indizes mit den „Werten" x, y, z
 ij = ∑ E ijkl  kl mit
k ,l
 ij
: Komponente des Spannungstensors
E ijkl : Komponente des Elastizitätstensors
 kl
(4)
: Komponente des Verzerrungstensors
Bei Materialien, deren elastisches Verhalten unabhängig von den Hauptachsen der
Verzerrungen ist, kann der Elastizitätstensor berechnet werden, sobald zwei der drei
Materialparameter Elastizitätsmodul, Gleitmodul und Querkontraktionszahl gegeben sind.
Diese Materialien heißen isotrop. Beispiele sind Titan und das als Kontinuum idealisierte
spongiöse Knochengewebe (siehe Abschnitt 3.2.1).
Materialien, deren elastisches Verhalten abhängig von den Hauptachsen der Verzerrungen ist, werden als anisotrop bezeichnet. Bei diesen Materialien hängt der Elastizitätstensor im Allgemeinen von 21 voneinander unabhänigen Materialparametern ab. Unter
den anisotropen Materialien gibt es jedoch Sonderfälle mit einfacher zu beschreibendem
Materialverhalten. Zu diesen Sonderfällen gehören die orthotropen Materialien wie zum
Beispiel kortikales Knochengewebe (siehe Abschnitt 3.2.1). Kennzeichnend für die
Orthotropie ist die Existenz von drei zueinander senkrechten Vorzugsrichtungen, die
dadurch gekennzeichnet sind, dass zu jeder Dehnung, deren Hauptachsensystem mit
einer der Vorzugsrichtungen des Materials zusammenfällt, eine Spannung mit demselben
Hauptachsensystem gehört.
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2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
2.2.5 Spannung und Kräftegleichgewicht
Ein starrer Körper befindet sich im statischen Gleichgewicht, wenn die Summe aller an
ihm angreifenden Kräfte und Drehmomente verschwindet. Für einen deformierbaren
Körper gilt dies ebenso, allerdings muss die genannte Bedingung hier für jedes beliebige
Materieelement des betrachteten Körpers gelten. Die Kraft, die an der Berandungsfläche
solch eines Materieelementes angreift, kann aus den Spannungen in dem Element nach
der folgenden Beziehung berechnet werden:
i, j : Indizes mit den „Werten" x, y, z
F i = ∑  ij A j
j
mit
F i : Komponente der Kraft
 ij : Komponente der Spannung
(5)
A j : Komponente des Flächenvektors
Die Betrachtung des Kräftegleichgewichts im Inneren eines Körpers führt zur Formulierung von partiellen Differentialgleichungen, die im Rahmen einer kontinuumsmechanischen Fragestellung gelöst werden müssen.
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2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
2.2.6 Randbedingungen
Die Randbedingungen eines kontinuumsmechanischen Problems zwingen dem betrachteten Körper die zu berechnende Verformung auf. Abbildung 8 verdeutlicht dies an einem
zweiseitig gelagerten und zentrisch belasteten Balken. Links ist das kontinuumsmechanische Problem durch den unverformten Balken mit seinen Randbedingungen dargestellt,
rechts die Lösung in Form des verformten Balkens mit den sogenannten Reaktionskräften. Bei dieser Problemstellung lassen sich zwei Arten von Randbedingungen
unterscheiden:
•
Die Lager an der Unterseite des Balkens stehen für kinematische Randbedingungen.
Durch sie sind die Verschiebungsvektoren der Lagerstellen ganz oder teilweise vorgegeben. Gesucht ist also ein Verschiebungsfeld, bei dem die linke Lagerstelle gar nicht
und die rechte nur in horizontaler Richtung verschoben wird. Die auf die Lagerstellen
wirkenden Kräfte heißen Reaktionskräfte und sind anfangs nicht bekannt. Sie sind
vielmehr Bestandteil der Lösung und wurden daher an den verformten Balken
angetragen.
•
Auf die Balkenmitte wirkt eine vorgegebene Kraft (oder Last), eine sogenannte
eingeprägte Kraft. Gesucht ist also ein Spannungsfeld im Balken, das die nötige
Gegenkraft für die eingeprägte Kraft aufbringen kann und das zu einem
Verschiebungsfeld gehört, welches die kinematischen Randbedingungen erfüllt.
Problem
Lösung
eingeprägte
Kraft
eingeprägte
Kraft
Reaktionskräfte
kinematische
Randbedingungen
Abbildung 8: Randbedingungen am Beispiel eines mittig belasteten Balkens.
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2 Grundlagen
2.2 Kontinuumsmechanik
Kinematische Randbedingungen müssen bei jedem kontinuumsmechanischen Problem
in solchem Ausmaß aufgestellt werden, dass der betrachtete Körper statisch bestimmt ist.
Darüber hinausgehende Zwänge können alternativ durch kinematische Randbedingungen oder durch eingeprägte Kräfte ausgeübt werden, je nachdem welche Größe besser
bekannt ist.
- 17 -
2 Grundlagen
2.3 Finite-Elemente-Methoden
2.3 Finite-Elemente-Methoden
Unter dem Begriff „Finite-Elemente-Methoden (FEM)“ werden verschiedene numerische
Verfahren zusammengefasst, mit deren Hilfe sich Probleme unterschiedlicher Problemklassen (Kontinuumsmechanik, Strömungsmechanik, Elektronik, Elektromagnetismus,
Wärmestrom, ...) lösen lassen. Alle diese Problemklassen haben eines gemeinsam: Sie
beschreiben physikalische Sachverhalte durch Differentialgleichungen. Während die
Lösung dieser Gleichungen bei einfach geformten Körpern durch Integration über den
Raum möglich ist, ist dies bei kompliziert geformten Körpern nicht der Fall. Das Prinzip
der FEM besteht darin, kompliziert geformte Körper dadurch berechenbar zu machen,
dass sie aus vielen einfach geformten Körpern – den finiten Elementen – zusammengesetzt werden. Auf diese Weise entsteht ein Finite-Elemente-Modell (FE-Modell) des
kompliziert geformten Körpers. Die Anwendung einer Finite-Elemente-Methode wird als
Finite-Elemente-Analyse (FEA) bezeichnet.
Linie
(2 Knoten)
Linie
(3 Knoten)
Dreieck
(3 Knoten)
Dreieck
(6 Knoten)
Viereck
(4 Knoten)
Viereck
(8 Knoten)
Tetraeder
(4 Knoten)
Tetraeder
(10 Knoten)
Hexaeder
(8 Knoten)
Hexaeder
(20 Knoten)
Abbildung 9: Einige finite Elemente mit ihren Knoten.
- 18 -
2 Grundlagen
2.3 Finite-Elemente-Methoden
Abbildung 9 zeigt beispielhaft einige finite Elemente: Oben sind Linien-Elemente, in der
Mitte Flächen-Elemente und unten Volumen-Elemente dargestellt. Bei den Markierungen
entlang der Elementränder handelt es sich um sogenannte Knoten. Mit ihrer Hilfe können
benachbarte Elemente miteinander zu einem Finite-Elemente-Netz (FE-Netz) verbunden
werden. Jedes finite Element besitzt mindestens an jeder seiner Ecken einen Knoten,
einige Elementtypen besitzen zusätzliche sogenannte Zwischenknoten.
Die folgenden Abschnitte beschreiben einige Aspekte aus dem Themenkreis der FEM,
die zum Verständnis der vorliegenden FEA wesentlich sind.
•
Der Abschnitt `Verschiebungsmethode´ beschreibt die in der vorliegenden FEA
benutzte Finite-Elemente-Methode in ihren Grundzügen,
•
der Abschnitt `Elementtypen´ stellt verschiedene Arten finiter Elemente vor und
beschreibt ihre wichtigsten Eigenschaften,
•
der Abschnitt `Kontaktanalyse´ beschreibt eine Besonderheit der vorliegenden FEA,
die sich auf die Modellierung der mechanischen Wechselwirkung zwischen Implantat
und Knochen bezieht, und
•
der Abschnitt `Fehlerquellen´ behandelt die Frage der Zuverlässigkeit von Rechenergebnissen der FEA.
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2 Grundlagen
2.3 Finite-Elemente-Methoden
2.3.1 Verschiebungsmethode
Die in der vorliegenden Arbeit benutzte Finite-Elemente-Methode heisst Verschiebungsmethode und dient der Lösung kontinuumsmechanischer Probleme. Auf diese Methode
beziehen sich alle weiteren Ausführungen. Bei der Methode wird jedem Elementknoten
ein Verschiebungsvektor zugeordnet, den es zu berechnen gilt. Weiterhin wird davon
ausgegangen, dass jedes Element Kräfte auf seine eigenen Knoten ausübt, die von den
Verschiebungen aller seiner Knoten abhängen. Diese Abhängigkeit ist im einfachsten Fall
linear und wird in der Methode wie folgt hergeleitet [3]:
•
Durch Interpolation wird das Verschiebungsfeld im Inneren eines jeden finiten
Elements als Funktion der Verschiebungsvektoren seiner Elementknoten ausgedrückt.
Diese Verschiebungsinterpolation erfolgt abhängig vom Elementtyp (siehe Abschnitt 2.3.2 `Elementtypen´).
•
Bei jedem Element wird aus dem interpolierten Verschiebungsfeld das zugehörige
Verzerrungsfeld abgeleitet.
•
Jedem Element wird ein Materialgesetz zugeordnet. Über dieses Gesetz lässt sich das
Spannungsfeld eines jeden Elements aus seinem Verzerrungsfeld ableiten
•
Aus den Spannungen an den Elementgrenzen werden diejenigen Kräfte abgeleitet, die
ein Element auf seine Knoten ausübt.
Benutzen mehrere benachbarte Elemente einen Knoten gemeinsam, so sind sie kinematisch miteinander verbunden, und die Kräfte der einzelnen Elemente auf den Knoten
addieren sich. Falls Randbedingungen für den betrachteten Knoten formuliert wurden,
wirken zusätzlich eingeprägte Kräfte bzw. Reaktionskräfte. Zur Herstellung des statischen
Gleichgewichts in dem betrachteten Knoten muss die Summe all dieser Kräfte
verschwinden.
Die Betrachtung des statischen Gleichgewichts liefert in jedem Knoten und für jede
Kraftkomponente je eine Gleichung, in der die Knotenverschiebungen als Unbekannte
stehen. Im einfachsten Fall sind alle diese Gleichungen linear, bilden also zusammen ein
lineares Gleichungssystem. Dieses Gleichungssystem enthält zunächst weniger Gleichungen als Unbekannte und besitzt damit unendlich viele Lösungen. Werden jedoch
- 20 -
2 Grundlagen
2.3 Finite-Elemente-Methoden
zusätzlich die Randbedingungen des kontinuumsmechanischen Problems berücksichtigt,
so kann es mit Hilfe einer elektronischen Rechenanlage gelöst werden. Dazu müssen die
Randbedingungen mit Hilfe von Knotenverschiebungen bzw. Knotenkräften ausgedrückt
werden. Gibt es Nichtlinearitäten im FE-Modell, so erfolgt die rechnerische Lösung iterativ.
In der Praxis erfolgt der Aufbau des FE-Modells am Personal Computer (PC) über eine
Software mit grafischer Benutzeroberfläche, die Preprocessor genannt wird. Anschließend werden die Definitionen aller Knoten und Elemente des Modells in eine Datei
geschrieben und einer weiteren Software, dem Solver, übergeben. Dieser stellt die zu
lösenden Gleichungen auf, löst sie und schreibt die errechneten Verschiebungen,
Verzerrungen, Spannungen und Kräfte in eine weitere Datei. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt anschließend mit einer Software, die Postprocessor genannt wird. In der
vorliegenden Arbeit wurde für diese Aufgaben das Finite-Elemente-Softwarepaket
Marc/Mentat 2003 benutzt (MSC.Software GmbH, München). Bei Marc handelt es sich
um den Solver, bei Mentat um eine Software, die den Funktionsumfang von Pre- und
Postprocessor in sich vereinigt.
2.3.2 Elementtypen
Das FE-Softwarepaket Marc/Mentat stellt zur Lösung kontinuumsmechanischer Probleme
eine Reihe unterschiedlicher finiter Elemente zur Verfügung, von denen jedes Vor- und
Nachteile besitzt. Welcher Elementtyp für die Modellierung eines Körpers am vorteilhaftesten ist, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Die Elemente lassen sich
unterscheiden
•
nach ihrer Dimensionalität in Linien-, Flächen- und Volumen-Elemente und
•
nach der Art ihrer Verschiebungsinterpolation in Elemente mit oder ohne Zwischenknoten.
Linien- und Flächen-Elemente können nur für bestimmte Problemstellungen eingesetzt
werden. Liegt eine solche Problemstellung vor, so sind sie den Volumen-Elementen
deutlich überlegen, da ihre Verwendung den Aufwand für Modellerstellung, Rechnung
und Auswertung erheblich verringert.
- 21 -
2 Grundlagen
2.3 Finite-Elemente-Methoden
Im Kapitel 4 `Vorlagen aus der Literatur´ werden zwei FE-Modelle vorgestellt, die aus
Dreieck- und Viereck-Elementen aufgebaut sind. In beiden Fällen wurde ein Volumen mit
Hilfe von Flächen-Elementen modelliert.
•
Im einen Fall wurden Flächen-Elemente verwendet, die einen axialsymmetrischen
Spannungs- und Verzerrungszustand beschreiben. Das zweidimensionale FE-Netz ist
in diesem Fall als Rotationsprofil zu deuten. Jedes Flächen-Element repräsentiert
dabei ein axialsymmetrisches Teilvolumen des modellierten Gegenstands.
•
Im anderen Fall wurden Flächen-Elemente verwendet, die einen ebenen Verzerrungszustand beschreiben. Hier ist das zweidimensionale FE-Netz als Expansionsprofil zu
deuten, bei dem jedes Flächen-Element ein prismatisches Teilvolumen des modellierten Gegenstands repräsentiert. Ein ebener Verzerrungszustand ist dadurch
gekennzeichnet, dass die Verzerrungen senkrecht zur Ebene des Expansionsprofils
verschwinden.
Bei beiden FE-Modellen wurden finite Elemente mit Zwischenknoten benutzt. Zwischenknoten geben einem Element zusätzliche Freiheitsgrade der Verformung. Die Interpolation des Verschiebungsfelds im Element erfolgt bei diesen Elementen mit einem
parabolischen Ansatz.
Die FE-Modelle der vorliegenden FEA benutzen Vier-Knoten-Tetraeder-Elemente und
Acht-Knoten-Hexaeder-Elemente. Bei diesen Elementen handelt es sich um VolumenElemente ohne Zwischenknoten. Mit ihnen können dreidimensionale Verzerrungs- und
Spannungszustände beschrieben werden, wobei die Verschiebungsinterpolation im
Element durch einen linearen Verschiebungsansatz erfolgt. Es wurde auch versucht,
Zehn-Knoten-Tetraeder anstelle der Vier-Knoten-Tetraeder einzusetzen, der Versuch
scheiterte jedoch an der Größe des FE-Modells: Bei der vorhandenen Vernetzungsdichte
benötigte die FE-Software Marc mehr Hauptspeicher, als vom Betriebssystem zur
Verfügung gestellt werden konnte.
- 22 -
2 Grundlagen
2.3 Finite-Elemente-Methoden
2.3.3 Kontaktanalyse
In der vorliegenden FEA wurde ein System aus Implantat und Knochen modelliert, bei
dem die finiten Elemente des Implantats keine gemeinsamen Knoten mit denjenigen des
Knochens haben – dies geschah, um Relativbewegungen zwischen den Knoten des
Implantats und denen des Knochens grundsätzlich zuzulassen. Andererseits mussten die
beiderseitigen Knoten so miteinander gekoppelt werden, dass Implantat und Knochen
sich nicht gegenseitig durchdringen können. Dies gelang, indem die FEA als Kontaktanalyse ausgeführt wurde.
Eine Kontaktanalyse ist eine FEA, bei der die Formulierung kinematischer Randbedingungen in Teilbereichen des FE-Modells vom gegenseitigen Abstand ausgewählter Elemente
abhängig gemacht wird. Solche bedingten Randbedingungen sind vom Verschiebungsfeld abhängig und werden daher auch als nichtlineare Randbedingungen bezeichnet. Sie
führen zu einem nichtlinearen Gleichungssystem, das iterativ nach dem NewtonRaphsonschen Verfahren gelöst wurde.
Nachfolgend wird beschrieben, wie die Kontaktanalyse durchgeführt wurde. Da das
Regelwerk der Kontaktanalyse, wie es in der FE-Software Marc 2003 implementiert ist,
relativ umfangreich ist, kann dabei nicht auf alle Details eingegangen werden. Eine
ausführlichere Beschreibung findet sich in der Software-Dokumentation [26].
Definition der Kontaktkörper
Bei der Erstellung des FE-Modells wurden zwei sogenannte Kontaktkörper definiert. Dem
einen wurden die Elemente des Implantats zugeordnet, dem anderen die Elemente des
spongiösen und kortikalen Knochens. Alle Knoten im Grenzbereich des Implantats zum
Knochen wurden zu Kontaktknoten des einen Kontaktkörpers erklärt, alle Knoten im
Grenzbereich des Knochens zum Implantat zu Kontaktknoten des anderen Kontaktkörpers. Entsprechendes geschah mit allen Element-Randflächen in den Grenzbereichen. Sie wurden zu Kontaktsegmenten erklärt. Die FE-Software wurde
angewiesen, für jeden Kontaktknoten zu überprüfen, ob er sich in der Nähe eines
- 23 -
2 Grundlagen
2.3 Finite-Elemente-Methoden
Kontaktsegments des jeweils anderen Kontaktkörpers befindet. Zu Beginn der Rechnung
war dies bei allen Kontaktknoten der Fall.
Kontaktbedingung
Ob sich ein Kontaktknoten in der Nähe eines Kontaktsegments befindet oder nicht,
entscheidet sich anhand einer Kontaktzone um das Kontaktsegment herum. In der FEA
wurde eine asymmetrische Kontaktzone von insgesamt 1 µm Breite gewählt. Sie reicht
0,9 µm in das Element hinein und steht auf der Element-Außenseite 0,1 µm über.
Kinematische Kopplung
Wann immer die FE-Software zu einem Kontaktknoten ein passendes Kontaktsegment
fand, in dessen Kontaktzone er lag, wurde der Knoten auf der sogenannten Kontaktfläche
des Kontaktsegments positioniert und ein lokales Koordinatensystem eingeführt, das am
Normalenvektor dieser Kontaktfläche ausgerichtet ist. In diesem Koordinatensystem
wurde als kinematische Randbedingung gefordert, dass die Verschiebungskomponente
entlang der Kontaktflächennormale verschwindet. Die übrigen Verschiebungskomponenten bezüglich des genannten Koordinatensystems wurden nicht eingeschränkt, weder
kinematisch noch über Reibungskräfte. Als Kontaktfläche wurde im Falle des TetraederModells (siehe Abschnitt 5.2) das Kontaktsegment selbst gewählt, im Falle des HexaederModells (siehe Abschnitt 5.3) eine analytische Fläche, die im allgemeinen gewölbt ist, das
Kontaktsegment in seinen Knoten schneidet und die reale Oberfläche des modellierten
Gegenstands besser approximiert als das Kontaktsegment selbst. Wurden alle bedingten
kinematischen Randbedingungen formuliert, erfolgte die Lösung des Gleichungssystems.
Ablösung von Kontaktknoten
Nach Lösung des Gleichungssystems ermittelte die FE-Software alle Reaktionskräfte. Die
Reaktionskräfte an den in Kontakt befindlichen Kontaktknoten wurden auf die Fläche des
zugehörigen Kontaktsegments bezogen und der Quotient als Spannung interpretiert. Bei
Spannungen oberhalb einer Grenze von 0,5 MPa – dieser Wert lehnt sich an die im
- 24 -
2 Grundlagen
2.3 Finite-Elemente-Methoden
Kapitel 4 erwähnten Untersuchungen von Van Oosterwyck [34] an – wurde die betreffende kinematische Randbedingung wieder aufgehoben, so dass sich der Knoten von
der Kontaktfläche lösen konnte. Dies führte zu einem veränderten Gleichungssystem, das
erneut gelöst wurde.
Konvergenz
Mit dem skizzierten Verfahren wurden mehrere Iterationen benötigt, bis ein Satz von
Knotenverschiebungen gefunden war, der den Regeln der Kontaktanalyse nicht widersprach und die Bedingung des statischen Gleichgewichts in allen Knoten näherungsweise erfüllte – letztere Bedingung wird bei der Verschiebungsmethode nie exakt erfüllt,
auch nicht bei linearen Systemen. Als Kriterium dafür, ob die Lösung der letzten Iteration
die Gleichgewichtsbedingungen hinreichend genau erfüllt, wurde der FE-Software ein
Konvergenzkriterium übergeben, das besagt: Das statische Gleichgewicht gilt dann als
erreicht, wenn sich die Verschiebungen der letzten Iteration von denen der
vorhergehenden wenig unterscheiden, nämlich um maximal 10% der maximalen
Verschiebung der letzten Iteration. Wie noch beschrieben wird, wurde das Implantat in
den Rechnungen über kinematische Zwangsbedingungen im Knochen verschoben. Die
Verschiebung erfolgte schrittweise in Schritten von 2,5 µm bzw. 3,3 µm. Folglich wurde
eine Iteration als konvergent betrachtet, wenn sich ihre Verschiebungen höchstens um
0,25 µm bzw. 0,33 µm von der vorhergehenden Iteration unterschieden. Durch das
schrittweise Verschieben wurden mehrere Gleichgewichtszustände berechnet, deren
Verschiebungslösungen aufeinander aufbauen.
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2 Grundlagen
2.3 Finite-Elemente-Methoden
2.3.4 Fehlerquellen
FE-Modelle beschreiben den Gegenstand einer FEA in vereinfachter Form. Im Laufe der
Analyse lassen sich zwei Vereinfachungsstufen unterscheiden: Im Rahmen der mechanischen Idealisierung wird zunächst ein idealisierter Analysegegenstand nach dem Vorbild
des realen konstruiert. Anschließend wird im Rahmen der Finite-Elemente-Lösung ein
FE-Modell dieser mechanischen Idealisierung erstellt. Beide Vereinfachungsstufen stellen
Fehlerquellen für das Ergebnis dar.
Der Gesamtfehler der Analyse lässt sich schwer abschätzen. Daher werden nach
Möglichkeit experimentelle Kontrollmessungen durchgeführt. Große Unterschiede zwischen den Ergebnissen von FEA und Experiment verlangen eine Erklärung und nach
Möglichkeit eine Veränderung von FE-Modell oder experimentellem Aufbau. Deshalb
sollte jede FEA sowohl den realen als auch den idealisierten Analysegegenstand
beschreiben und das Vorgehen beim Aufbau des FE-Modells dokumentieren.
In dieser Arbeit beschreibt das Kapitel 3 `Gegenstand der Analyse´ den realen Analysegegenstand. Der idealisierte Analysegegenstand und zwei FE-Modelle zu seiner
Berechnung sind Gegenstand des Kapitels 5 `Eigene Finite-Elemente-Modelle´.
- 26 -
3 Gegenstand der Analyse
Was wird in dieser Arbeit analysiert? Diese Frage kann in zwei Teilfragen zerlegt und entsprechend in zwei Teilen beantwortet werden.
In der ersten Teilfrage geht es um das zu untersuchende biomechanische System. Ihre
Antwort lautet in Kurzform: „Analysiert wird das (knöcherne) Implantatbett eines ANKYLOS®--Implantats bei Einwirkung äußerer Kräfte auf das Implantat.“ Dieses wird im
Rahmen der Arbeit in verschiedenen Idealisierungsstufen beschrieben. Während die im
Laufe der FEA vorgenommenen Idealisierungen im Kapitel 5 `Eigene Finite-ElementeModelle´ beschrieben werden, enthält das vorliegende Kapitel eine möglichst wirklichkeitsnahe Beschreibung des Systems.
In der zweiten Teilfrage geht es um die kontinuumsmechanische Größe, die als Funktion
des Ortes berechnet werden soll. Ihre Antwort lautet: „Analysiert werden die Verzerrungen im Implantatbett, da diese als Schlüsselreiz für Knochenumbauvorgänge gelten.“ Die
Teilfrage ist damit ausreichend beantwortet, da auf Knochenumbauvorgänge im Kapitel
`Grundlagen´ bereits eingegangen wurde.
Die folgenden Abschnitte beschreiben möglichst wirklichkeitsnah die Bestandteile des zu
untersuchenden biomechanischen Systems (Implantat und Implantatbett) sowie die
Randbedingungen des zu untersuchenden Verzerrungszustands.
3.1 ANKYLOS®-Implantate
Die Marke ANKYLOS® steht für eine Familie von sofortbelastbaren Dentalimplantaten, die
von der FRIADENT GmbH Mannheim angeboten werden. Die vorliegende FEA untersucht nur einen einzigen Typ dieser Implantatfamilie, nämlich den Implantattyp ANKYLOS® B11. In Folgearbeiten sollen aber nach dem Vorbild dieser Arbeit auch FE-Modelle
anderer Implantattypen erzeugt werden. Deshalb wird im Folgenden zunächst die ganze
Implantatfamilie beschrieben und dann der spezielle Typ B11 vorgestellt. Die Beschreibung benutzt die in Abbildung 10 definierten Bezeichnungen.
- 27 -
3 Gegenstand der Analyse
3.1 ANKYLOS®-Implantate
zervikal
apikal
Spanraum
Kopf
Hals
Körper
Spitze
Abbildung 10: Bezeichnungen für Richtungen am Implantat und für einzelne Implantatbereiche. Die Abbildung zeigt den Implantattyp ANKYLOS® B11.
3.1.1 Geometrie
ANKYLOS®-Implantate sind durch ein „patentiertes progressives Sondergewinde“ [8] im
Knochen verankert, wobei das Attribut „progressiv“ sich auf die Gewindetiefe bezieht.
Diese verringert sich allmählich von apikal nach zervikal und läuft an der Grenze
zwischen Implantatkörper und Implantathals auf Null aus. Der Implantathals selbst ist
gewindefrei.
Die Implantatspitze ist kugelförmig – mit einem Radius von knapp 60% des Nenndurchmessers, so dass die Bezeichnung „Spitze“ irreführend ist. Die Bezeichnung wurde
hier dennoch gewählt, da die Implantatspitze in räumlicher Analogie zur Wurzelspitze des
zu ersetzenden Zahns steht.
Im Bereich der Implantatspitze finden sich zwei Ausfräsungen, wie sie bei selbstschneidenden Schrauben in der Technik üblich sind. Da die Kanten der Ausfräsungen
nicht scharf, sondern leicht gerundet sind, ist unklar, ob sie tatsächlich eine Schneidwirkung im strengen Sinn haben. Die Ausfräsungen sind jedoch in jedem Fall dazu in der
Lage, Blut und Knochenbruchstücke aufzunehmen, die sich während des Einschraubvorgangs in dem Hohlraum zwischen Implantat und Knochen sammeln. Deshalb werden
sie in dieser Arbeit als „Spanräume“ bezeichnet.
- 28 -
3 Gegenstand der Analyse
3.1 ANKYLOS®-Implantate
Details zur Geometrie enthält der Abschnitt `Einzeltypen´ ab Seite 30, in dem die
einzelnen Typen der ANKYLOS®-Familie vorgestellt werden.
3.1.2 Material und Oberfläche
ANKYLOS®-Implantate bestehen aus Reintitan vom Grad 2 [9]. Seine stoffliche Zusammensetzung entspricht damit den Normen ISO 5832-2 und ASTM F 67. Das Materialverhalten unter Last kann als homogen und isotrop bezeichnet werden. Isotropes
Reintitan verhält sich bei Hauptnormaldehnungen im Bereich ∣∣ 4000  linear-elastisch mit Elastizitätsmodul E = 110 000 MPa und Querkontraktionszahl  = 0,3.
Die Oberfläche des Implantats ist an keiner Stelle beschichtet. Bezüglich der Rauheit
unterscheiden sich Implantathals und Implantatkörper:
•
Der Implantatkörper ist „präzisionsgestrahlt“ [8]. Verglichen mit dem Zustand nach
Abschluss der Formgebung ist seine Oberfläche ablativ leicht aufgeraut. Histologische
Untersuchungen an nicht oberflächenbehandelten Implantaten und leicht gerauten
Implantaten zeigten bei den aufgerauten eine bessere Osseointegration [2].
•
Der Hals ist „glatt“ [8], um das Risiko einer Infektion des Implantatbetts (Periimplantitis)
gering zu halten. In klinischen Studien trat eine solche Infektion bei glatthalsigen
Implantaten seltener auf als bei rauhalsigen.
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3 Gegenstand der Analyse
3.1 ANKYLOS®-Implantate
3.1.3 Einzeltypen
ANKYLOS®-Implantate sind in vier Durchmessern und verschiedenen Nennlängen lieferbar. Typen mit unterschiedlichem Durchmesser unterscheiden sich auch in einigen Kennvariablen ihres Gewindes (Profil und Steigung) und werden deshalb unterschiedlichen
Bauformen zugeordnet. Den vier verfügbaren Nenndurchmessern 3,5 mm, 4,5 mm,
5,5 mm und 7,0 mm entsprechen die vier Bauformen A, B, C und D. Von jeder Bauform
werden mehrere Typen unterschiedlicher Nennlänge angeboten. Diese unterscheiden
sich voneinander in der Zahl der Gewindegänge, nicht aber in Bezug auf Gewindesteigung und -profil. Abbildung 11 zeigt beispielhaft jeweils zwei Implantattypen der Baugruppen A und B.
Abbildung 11: Einige Implantattypen der ANKYLOS®-Implantatfamilie (von links nach rechts:
B11, B14, A8, A14).
Die Implantate wurden mit einem
Flachbettscanner abgelichtet
und sind hier im Maßstab 5:1
abgebildet.
Der Implantathals ist stets zylindrisch, auch wenn die Bilder (beleuchtungsbedingt) so aussehen,
als ob er eine Abflachung hätte.
Die Bezeichnung eines bestimmten Implantattyps erfolgt durch Angabe von Bauform und
Nennlänge. So hat das Implantat ANKYLOS® B11, um das es in dieser Arbeit geht, die
Bauform B (Durchmesser 4,5 mm) und die Nennlänge 11 mm.
Zur Durchführung der FEA werden weitere geometrische Details benötigt. Da der Hersteller aus patentrechtlichen Erwägungen heraus nicht bereit war, Konstruktionsdaten zur
Verfügung zu stellen, wurde ein Implantat vom Typ B11 mit einem Flachbettscanner
abgelichtet und das erzeugte Bild vermessen.
- 30 -
3 Gegenstand der Analyse
3.1 ANKYLOS®-Implantate
Abbildung 12: Rekonstruierte Außenform des Implantats ANKYLOS® B11, apikale und seitliche Ansicht im Maßstab 10:1. Die Zahl der Nachkommastellen bei den Bemaßungen
spiegelt tendenziell die Genauigkeit der Vermessung wider. Die Messunsicherheit der mit
zwei Nachkommastellen angegebenen Maße liegt bei ±0,03 mm.
- 31 -
3 Gegenstand der Analyse
3.1 ANKYLOS®-Implantate
Abbildung 13: Fotomontage eines Bildes vom Implantat ANKYLOS® B11 in die Zeichnung
seiner Rekonstruktion. Apikale und seitliche Ansicht im Maßstab 10:1. Die zur Schnittführung
A-A gehörige Schnittdarstellung findet sich in Abbildung 14. Die Fotomontage dient als
Kontrolle für die Geometrierekonstruktion des Implantats.
- 32 -
3 Gegenstand der Analyse
3.1 ANKYLOS®-Implantate
Abbildung 14: Geschnittene Darstellung des Implantats aus Abbildung 13 mit Ausschnittvergrößerungen. Die Messunsicherheit der Längenmaße liegt bei ±0,03 mm.
- 33 -
3 Gegenstand der Analyse
3.1 ANKYLOS®-Implantate
Bei der Vermessung wurde zunächst das Gewinde außer Acht gelassen und nur die
Außenform des Implantats mit den Spanräumen vermessen (Abbildung 12). Anschließend wurde das Gewinde analysiert. Es stellte sich heraus, dass es sich um ein
konisches Gewinde (Verjüngungswinkel 4°) mit der Steigung 1,1 mm handelt, bei dem
der Gewindegrund ohne Kante in eine der beiden Gewindeflanken übergeht.
Abbildung 13 zeigt zwei Ansichten des fertig rekonstruierten Implantats, und Abbildung 14
zeigt einen Längsschnitt durch die Implantatachse, in dem die Charakteristik des
Gewindes erkennbar ist. Da der Gewindegrund konisch, die Außenform des Implantats
aber (überwiegend) zylindrisch ist, ergibt sich ein Gewinde mit von apikal nach zervikal
abnehmender Gewindetiefe. Wie anfangs erwähnt, wird das Gewinde wegen dieser
Eigenschaft vom Hersteller als „progressiv“ bezeichnet.
3.2 Implantatbett
Das Implantatbett (oder: Knochenlager) ist derjenige Teil des Kieferknochens, der unmittelbar mit dem Implantat in Kontakt steht. Da im Knochengewebe laufend Umbauvorgänge stattfinden, ändert sich sein Zustand mit der Zeit. Ziel der eingangs genannten
übergeordneten Studie ist es, einen Zusammenhang zwischen dem Verzerrungszustand
des Knochens und der Gewebereaktion herzustellen, um so spätere Zustände des
Implantatbetts durch numerische Simulation der Knochenumbauvorgänge vorhersagen
zu können. Gegenstand dieser Arbeit ist jedoch der anfängliche Zustand, wie er sich
direkt nach dem Einsetzen des Implantats durch den Oralchirurgen darstellt. Dieser
Zustand ist im Folgenden implizit gemeint, wann immer der Begriff des Implantatbetts
ohne zeitliche Bestimmung verwendet wird.
Der anfängliche Zustand des Implantatbetts wird in einem chirurgischen Eingriff geschaffen. Seine Eigenschaften hängen sowohl von der Beschaffenheit des Kieferknochens als
auch vom Vorgehen des Oralchirurgen mit seinen Werkzeugen ab. Im Gegensatz zum
Implantat ist das Implantatbett folglich kein Seriengegenstand, sondern ein Unikat, das
– streng genommen – auf der Grundlage von patientenspezifischen Daten beschrieben
werden müsste. Die im weiteren Fortgang der FEA erstellten FE-Modelle gründen sich
- 34 -
3 Gegenstand der Analyse
3.2 Implantatbett
jedoch auf ein stark idealisiertes Implantatbett, in dem patientenspezifische Unterschiede
keine Berücksichtigung finden konnten.
Das der FEA zu Grunde gelegte Implantatbett wurde aus der Geometrie der chirurgischen Werkzeuge abgeleitet: Der Ablauf des chirurgischen Eingriffs wurde beobachtet
und anschließend an einem anatomischen Knochenpräparat aus dem Unterkiefer zeichnerisch nachvollzogen. Die folgenden Abschnitte beschreiben das so konstruierte Implantatbett.
3.2.1 Kieferknochen
Die folgende Beschreibung des Implantatbetts basiert auf einem anatomischen Knochenpräparat, das aus dem linken Seitenzahnbereich eines erwachsenen Unterkieferknochens (Mandibula) stammt. Abbildung 15 zeigt eine Fotomontage, bei der das
ungeschnittene Implantat in die Schnittansicht des Präparats gelegt wurde. Zusätzlich
wurden die Grenzen des kortikalen Knochens zur Umgebung und zum spongiösen
Knochen eingezeichnet, wobei ein kortikaler Knochenkamm, wie er im zahnlosen Kiefer
üblich ist, zeichnerisch ergänzt wurde. Der Präparat-Schnitt selbst besitzt keinen
kortikalen Knochenkamm, da er nicht durch die Mitte einer Zahnlücke, sondern unmittelbar neben einem Zahnfach verläuft.
In der Abbildung ist erkennbar, dass der Implantathals sowohl mit dem kortikalen als auch
mit dem spongiösen Knochenanteil Kontakt hat, während der Implantatkörper nur den
spongiösen Knochenanteil berührt. Eine Unterscheidung der beiden Knochenanteile ist
wesentlich, da sie unterschiedliche elastische Eigenschaften besitzen. Diese werden im
Folgenden kurz beschrieben. Da keine eigene Literaturrecherche zu den Materialeigenschaften durchgeführt wurde, geht die Darstellung wenig ins Detail. Eine Literaturübersicht findet sich bei [34].
- 35 -
3 Gegenstand der Analyse
3.2 Implantatbett
lingual
bukkal
Knochenkamm
Knochen
(kortikal)
Knochen
(spongiös)
tangentiale
Knochenrichtung
axiale
Knochenrichtung
radiale
Knochenrichtung
Gefäßkanal
Materialelement
Abbildung 15: Fotomontage eines Implantats ANKYLOS® B11 in das Schnittbild des anatomischen Präparats. Das Bild zeigt die räumliche Verteilung von kortikalem und spongiösem Knochen im Verhältnis zu den
Abmessungen des Implantats. Der Gefäßkanal birgt neben Blutgefäßen auch einen Nerv und darf unter
keinen Umständen angebohrt werden. Sowohl Präparat als auch Implantat wurden mit einem Flachbettscanner abgelichtet und sind im Maßstab 5:1 dargestellt. Die Grenzen des kortikalen Knochens zur
Umgebung einerseits und zum spongiösen Knochen andererseits wurden nachträglich gezeichnet.
Die kortikale Knochensubstanz kann als homogen und orthotrop bezeichnet werden. Die
Beschreibung ihres elastischen Verhaltens erfolgt mit Hilfe von drei Elastizitätsmoduln,
drei Schubmoduln und drei Querkontraktionszahlen – zusammen also neun Materialparametern, bei isotropem Material wären es nur zwei. Jedes Materieelement besitzt drei
zueinander senkrechte Vorzugsrichtungen, in denen die physikalische Bedeutung dieser
- 36 -
3 Gegenstand der Analyse
3.2 Implantatbett
orthotropen Materialparameter erkennbar ist. In Abbildung 15 ist beispielhaft ein Materialelement mit seinen Vorzugsrichtungen gezeichnet. Die Vorzugsrichtungen folgen der
Knochengeometrie.
Dechow et al. [6] haben die orthotropen Materialparameter des kortikalen Knochens in
unterschiedlichen Bereichen der Mandibula bestimmt. Die Ergebnisse für den Seitenzahnbereich lassen sich qualitativ wie folgt zusammenfassen:
•
Das Verhältnis von Normalspannung zu Dehnung ist in axialer Knochenrichtung am
größten und in radialer am kleinsten. In axialer Knochenrichtung ist es etwa doppelt so
groß wie in radialer.
•
Das Verhältnis von Schubspannung zu Gleitung unterscheidet sich in unterschiedlichen Knochenrichtungen nur wenig.
•
Die Kopplung von Dehnungen in verschiedenen Richtungen (Querkontraktion) ist bei
dem Richtungspaar axial-radial am stärksten und bei dem Richtungspaar tangentialradial am schwächsten. Die radiale Querkontraktion bei axialer Dehnung ist ungefähr
doppelt so groß wie bei tangentialer Dehnung.
Bei spongiösem Knochen ist die Schwankungsbreite der in der Literatur angegebenen
Materialparameter deutlich größer als bei kortikalem. Der spongiöse Knochen wird durch
zahlreiche Trabekeln gebildet, denen ähnliche elastische Eigenschaften zugeschrieben
werden wie dem kortikalen Knochen. Für Rechnungen ist es meist notwendig, den spongiösen Knochen als homogenes und isotropes Kontinuum aufzufassen. Diese Betrachtungsweise führte zur experimentellen Bestimmung eines effektiven Elastizitätsmoduls
und einer effektiven Querkontraktionszahl. Der Wert des effektiven Elastizitätsmoduls ist
abhängig von der Knochendichte, so dass verschiedene Gebiete desselben Knochens
sich in ihrem elastischen Verhalten unterscheiden können.
Eine Übersicht über verschiedene Arbeiten, die sich mit der Bestimmung der Materialparameter von kortikalem und spongiösem Knochen beschäftigt haben, findet sich bei
Van Oosterwyck [34]. Die in der vorliegenden FEA verwendeten Materialparameter
werden im Kapitel `Eigene Finite-Elemente-Modelle´ beschrieben.
- 37 -
3 Gegenstand der Analyse
3.2 Implantatbett
3.2.2 Chirurgischer Eingriff und Sofortbelastung
Am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des Universitätsklinikums Bonn erfolgen Implantation und Sofortbelastung von Einzelzahn-Implantaten im Seitenzahnbereich
nach der sogenannten Bonner Sofortbelastungsmethode [1]. Wenn nachfolgend der
Ablauf des chirurgischen Eingriffs beschrieben wird, so sind einige Details nicht allgemeingültig für das Einsetzen von ANKYLOS®-Implantaten, sondern beziehen sich ausschließlich auf die Bonner Methode.
Der chirurgische Eingriff erfolgt mit Hilfe von Spezialwerkzeugen, wobei für jeden der vier
Implantattypen A, B, C und D ein eigener Werkzeugsatz zur Verfügung steht. Der Operationsablauf lässt sich im Normalfall in die folgenden Schritte gliedern [10]:
•
Weichteilschnitt mit dem Skalpell
•
Knochenglättung mit dem „Rosenbohrer“
•
Pilotbohrung mit Spiralbohrer: Festlegung von Position und Richtung des Implantats.
•
Tiefenbohrung mit „Tri-Spade-Bohrer“ oder „Schaftbohrer“ vom Typ A: Bohren eines
zylindrischen Lochs mit der gewünschten Tiefe. Beide Bohrer besitzen Tiefenmarkierungen für die unterschiedlichen Implantatlängen. Die Bohrung ist tief genug, wenn die
Oberkante der Tiefenmarkierung auf Kammhöhe liegt.
•
zylindrische Erweiterung mit „Tri-Spade-Bohrer“ oder „Schaftbohrer“: Aufbohren des
Lochs auf den Durchmesser des passenden Implantattyps. Die Kontrolle der Bohrtiefe
erfolgt wiederum über die Tiefenmarkierung des Bohrers.
•
konische Erweiterung mit „konischem Ausreiber“: Ausreiben des kammnahen Lochanteils auf Implantatdurchmesser. Der kammferne Bereich wird nicht verändert, der
Übergang zwischen kammnahem und kammfernem Bereich erhält Kegelform.
•
Gewindeschneiden: Schneiden eines zylindrischen Trapezgewindes. Der kammnahe,
zylindrische Lochanteil bleibt unverändert, der konische Übergangsbereich erhält ein
Gewinde, dessen Gewindetiefe mit dem Abstand vom Kamm linear zunimmt. Der
kammferne, zylindrische Lochanteil erhält ein Gewinde, dessen Gewindetiefe mit dem
Abstand vom Kamm linear abnimmt, da der Gewindeschneider einen konischen
Anschnitt besitzt.
•
Eindrehen des Implantats: Das Anzugsmoment beträgt höchstens 60 Ncm.
- 38 -
3 Gegenstand der Analyse
•
3.2 Implantatbett
Eindrehen des Pfostens in das Implantat: Auf dem Pfosten wird direkt im Anschluss an
die Operation eine provisorische Restauration des zu ersetzenden Zahns befestigt.
Diese wird nach 6 Wochen durch die endgültige ersetzt.
•
Nahtverschluss.
Eine starke Erhitzung des Knochengewebes während der Bearbeitung führt zur Zerstörung der Gewebezellen (Nekrose) und macht das Implantatbett unbrauchbar. Deshalb
werden alle Werkzeuge gekühlt und es wird auf scharfe Werkzeugschneiden geachtet.
Der oben beschriebene Operationsablauf wurde an dem präoperativen Knochenprofil aus
Abbildung 15 zeichnerisch durchgeführt und so das Implantatbett schrittweise konstruiert.
Anschließend wurde in dem so konstruierten Implantatbett eine Schnittzeichnung des
Implantats durch Bildmontage platziert. Abbildung 16 zeigt die Schnittzeichnungen der
Konstruktion zusammen mit den wichtigsten formgebenden Werkzeugen und Abbildung 17 zeigt die Bildmontage. Die Oberkante des Implantats liegt dort 0,4 bis 0,5 mm
unterhalb des Knochenkamms – dies entspricht der Realität.
Die Darstellung zeigt, dass die Kontur des Implantats mit derjenigen des konstruierten
Implantatbetts nicht deckungsgleich ist: In einigen Bereichen ist ein Spalt erkennbar, in
anderen kommt es zu Überlappungen. Die Überlappungen lassen darauf schließen, dass
sich das Implantat die endgültige Form des Implantatbetts selbst formt. Dies deckt sich
mit der Tatsache, dass der Einschraubvorgang mit mäßigem Kraftaufwand verbunden ist.
Die Spalte werden sich in der Realität mit Blut und angefallenen Knochenspänen füllen.
Möglicherweise fallen sie zudem schmaler aus als gezeichnet, da das Verhalten der
einzelnen Knochen-Trabekeln bei der mechanischen Bearbeitung nicht bekannt ist.
Außerdem sei daran erinnert, dass der gegenseitige Abstand einzelner Trabekel nach
[23] in der Größenordnung 0,3 bis 1,5 mm liegt, was die Dimensionen des Gewindes
(Steigung 1,1 mm) nicht wesentlich unterschreitet.
- 39 -
3.2 Implantatbett
Schaftlochbohrer
konischer Ausreiber
Gewindeschneider
3 Gegenstand der Analyse
Abbildung 16: Das Implantatbett wurde über die Geometrie der chirurgischen Werkzeuge schrittweise
konstruiert. Dargestellt ist jeweils eine Schnittansicht des Implantats zusammen mit dem Werkzeug des
zuletzt erfolgten Arbeitsschritts.
- 40 -
3 Gegenstand der Analyse
3.2 Implantatbett
0,4 bis 0,5
1
2
3
4
lingual
bukkal
4
3
2
1
Knochen (kortikal)
Knochen (spongiös)
Implantatkörper
Implantathals
Abbildung 17: Bildmontage der Schnittansicht des Implantats (rot) in die Schnittansicht des Implantatbetts (schwarz) im Maßstab 10:1. Die Darstellung zeigt lokale Inkongruenzen zwischen den Oberflächen
der beiden Kontaktkörper.
3.3 Randbedingungen
Beim Schließen des Mundes führt die Mandibula eine Drehbewegung um die beiden
Kiefergelenke aus, die mit Hilfe der Kaumuskeln gesteuert wird. Sobald die Zähne des
Ober- und Unterkiefers sich gegenseitig direkt oder indirekt über dazwischen liegende
- 41 -
3 Gegenstand der Analyse
3.3 Randbedingungen
feste Speise berühren, kommt es zu einer Kraftwirkung zwischen den Zähnen, die sich
über den Zahnhalteapparat (Parodontium) in die Kieferknochen hinein fortsetzt. Dabei
kann es zu komplizierten Verformungen der gesamten Mandibula kommen [16, 17, 22].
Diese Situation lässt sich als kontinuumsmechanisches Randwertproblem beschreiben,
bei dem die gesamte Mandibula zusammen mit ihren Zähnen als ein verformbares
System mit den folgenden Randbedingungen betrachtet wird:
•
Die Verschiebungen des linken und rechten Gelenkkopfs der Mandibula sind durch die
Gelenkpfanne des Schädels eingeschränkt,
•
die Verschiebungen der Zahnspitzen sind durch gegenüberliegende Zähne eingeschränkt und
•
die Verschiebungen der Muskelansatzzonen sind durch die am Schädel entspringenden Muskeln eingeschränkt.
Die verwendete Wortwahl legt nahe, jede dieser Bedingungen als kinematische
Randbedingung zu formulieren, bei der die wirkenden Kräfte nicht von vornherein
bekannt sind, sondern im Laufe der Rechnung als Reaktionskräfte ermittelt werden. Es ist
aber auch möglich einige dieser Reaktionskräfte im voraus abzuschätzen und die
zugehörigen kinematischen Randbedingungen durch eingeprägte Kräfte zu ersetzen.
Besonders die Randbedingungen an den Muskelansatzzonen lassen sich auf diese
Weise einfacher formulieren. Abb 18 zeigt den menschlichen Schädel mit denjenigen
Muskeln, die beim Schließen des Mundes die größten Kräfte entfalten.
In der vorliegenden Arbeit wird ein Einzelzahnimplantat in einem Ausschnitt der Mandibula untersucht. Zum betrachteten System gehören daher weder die Gelenkköpfe noch
die Muskelansatzzonen der Mandibula, und auch die Zahnspitze des Zahnersatzes liegt
außerhalb des untersuchten Gebiets. Daher müssen für dieses System andere
Randbedingungen aufgestellt werden:
•
Die Verschiebungen an den Schnittflächen des Knochenausschnitts sind durch die
gesamte Verformung des Unterkiefers gegeben. Da diese Verformung jedoch nicht
bekannt ist, wurde in der vorliegenden FEA vereinfachend angenommen, dass das
Verschiebungsfeld in den Schnittflächen verschwindet.
- 42 -
3 Gegenstand der Analyse
•
3.3 Randbedingungen
Die Verschiebungen des Implantatkopfes sind durch die Superkonstruktion aus Pfosten und Prothese vorgegeben. Besser bekannt als die Verschiebung der Superkonstruktion in Relation zum Knochen sind allerdings die an der Zahnspitze wirkenden
Kräfte. Aufgrund von In-vivo-Messungen [7, 12, 24, 25, 29] wird in der Literatur die
normale axiale Belastung eines Implantats während des Kauens mit 100 N angegeben
und die Querkraft in linguo-bukkaler Richtung mit 20 N. Beide Kräfte greifen an der
Zahnspitze an und werden über das Implantat in den Knochen eingeleitet.
5
7
2
3
1
6
4
1 Musculus masseter
2 Musculus temporalis
7 Kiefergelenk
6
Ansatz des Musculus temporalis
an der Mandibula (Unterkieferknochen)
5
Ursprung des Musculus temporalis
am Planum temporale (Schläfe)
4
Ansatz des Musculus masseter
an der Mandibula (Unterkieferknochen)
3
Ursprung des Musculus masseter
am Arcus zygomaticus (Jochbogen)
Abbildung 18: Linke Seite des menschlichen Schädels mit ihrem Kiefergelenk und den kraftvollsten
Kaumuskeln. Die Muskeln sind schematisch mit Ursprungsgebiet, Verlauf und Ansatzgebiet dargestellt (nach [27]).
Bislang nicht ausreichend besprochen wurde die Art der Wechselwirkung zwischen Zahn
und Knochen. Ein natürlicher Zahn ist über das Parodontium materiell mit dem Knochen
verbunden. Daher kann ein System aus natürlichem Zahn und Knochen als ein
Kontinuum mit sich sprunghaft änderndem Materialverhalten aufgefasst werden.
- 43 -
3 Gegenstand der Analyse
3.3 Randbedingungen
Bei einem System aus Implantat und Knochen ist dies unmittelbar postoperativ nicht
möglich. Vielmehr müssen Implantat und Knochen mangels einer materiellen Verbindung
als zwei Einzelkörper aufgefasst werden, die bei gegenseitigem Kontakt miteinander in
Wechselwirkung treten. Diese Wechselwirkung kann tangential zur Kontaktfläche in
Reibungskräften und orthogonal dazu in Druck-, nicht aber in Zugkräften bestehen. Da
diese Kräfte nicht bekannt sind, können sie nicht als eingeprägte Kräfte behandelt
werden. Wie im Abschnitt 2.3.3 `Kontaktanalyse´ beschrieben, kann dieses Problem in
einer FEA jedoch durch Aufstellen von nichtlinearen kinematischen Randbedingungen
gelöst werden.
- 44 -
4 Vorlagen aus der Literatur
In der Literatur werden einige FE-Modelle von Zahnimplantat-Knochen-Systemen beschrieben. Eine Übersicht dieser Modelle findet sich in einer Arbeit von Van Oosterwyck [34].
Van Oosterwyck selbst führte eine umfangreiche FEA an dentalen Implantaten des
Brånemark-Systems® durch. Er erstellte mehrere FE-Modelle, von denen im Rahmen der
vorliegenden Arbeit vier von Interesse sind und deshalb in diesem Kapitel kurz vorgestellt
werden. Die vier Modelle erhalten hier die Namen „VO_axisym“, „VO_plain_strain“,
„VO_prothese“ und „VO_kaninchen“.
Die FE-Modelle unterscheiden sich sowohl in Bezug auf ihren Analysegegenstand als
auch in Bezug auf ihre mechanische Idealisierung:
•
Während bei dem Modell VO_prothese der Analysegegenstand eine mit drei Implantaten im Unterkiefer verankerte Prothese ist, betrachten die übrigen Modelle ein einzelnes Implantat in einem Stück Knochen.
•
Während das Modell VO_kaninchen im Zusammenhang mit einem Experiment an
Kaninchen erstellt wurde und deshalb ein Stück Schienbein (Tibia) eines der Versuchstiere enthält, betrachten die anderen Modelle Stücke der Mandibula.
•
Während es sich bei den Modellen VO_axisym und VO_plain_strain um zweidimensionale FE-Modelle8 handelt, sind die Modelle VO_prothese und VO_kaninchen dreidimensional.
In den folgenden Abschnitten wird jedes der oben genannten FE-Modelle kurz vorgestellt
und dabei vor allem die ihm zu Grunde liegende mechanische Idealisierung beschrieben.
Die Modelle sind in der Darstellung nach der Art ihrer Idealisierung geordnet.
8 Eine Einführung in die Theorie zweidimensionaler FE-Modelle findet sich im Kapitel `Grundlagen´unter Gliederungspunkt 2.3.2.
- 45 -
4 Vorlagen aus der Literatur
4.1 Zweidimensionale Finite-Elemente-Modelle
4.1 Zweidimensionale Finite-Elemente-Modelle
Die zweidimensionalen Modelle VO_axisym und VO_plain_strain bieten eine sehr feine
Zerlegung des Kontinuums in finite Elemente. Eine solch feine Zerlegung würde bei
dreidimensionalen Modellen dazu führen, dass die das System beherrschenden Gleichungen nicht mehr mit vertretbarem Aufwand gelöst werden könnten. Die Ergebnisse
der zweidimensionalen Finite-Elemente-Lösungen weisen wegen der Feinheit der
Zerlegung relativ geringe Fehler auf. Andererseits musste der Analysegegenstand für die
zweidimensionale Modellierung erheblich idealisiert werden, so dass mit den Ergebnissen
nur mit Vorbehalt Aussagen über den realen Analysegegenstand gemacht werden
können. Die folgenden Abschnitte beschreiben die beiden zweidimensionalen FE-Modelle
mit den ihnen zu Grunde liegenden mechanischen Idealisierungen.
4.1.1 Axialsymmetrischer Zustand (Modell VO_axisym)
Bei dem Modell VO_axisym wird ein axialsymmetrischer Zustand des kompletten Systems angenommen, wobei die Implantatachse als Symmetrieachse gewählt wird. Das Rotationsprofil der Modellgeometrie (nicht der finiten
Elemente) ist in Abbildung 19 dargestellt. Die An-
Implantat
F
nahme der Symmetrie bezieht sich jedoch nicht
allein auf die Geometrie, sondern auch auf alle kontinuumsmechanischen Größen wie Verschiebung,
Verzerrung, Spannung und Kraft.
Das Modell besteht aus 2 207 zweidimensionalen
finiten Elementen mit 5 907 Knoten. Der Großteil der
kortikaler
Knochen
spongiöser
Knochen
Profilfläche wurde mit Acht-Knoten-Viereck-Elementen diskretisiert. Lediglich für die Grenzbereiche des
Implantats zum Knochen und des Knochens zum
Implantat wurden Sechs-Knoten-Dreieck-Elemente
benutzt.
- 46 -
Abbildung 19: Rotationsprofil der Modellgeometrie beim FE-Modell VO_axisym
(nach [34])
4 Vorlagen aus der Literatur
4.1 Zweidimensionale Finite-Elemente-Modelle
Dem FE-Modell liegt eine starke Idealisierung zu Grunde, da der reale Analysegegenstand etliche nicht axialsymmetrische Eigenschaften hat:
•
Weder die Spanräume noch das Gewinde des Implantats sind axialsymmetrisch. In
dem Modell wurden die Spanräume daher weggelassen und die Gewindewendel als
eine Reihe von ringartigen Gebilden konstruiert.
•
Die auf den Implantatkopf einwirkende Kraft ist im Allgemeinen nicht axialsymmetrisch.
Das FE-Modell berücksichtigt nur den Lastfall einer Axialkraft9. Für den Lastfall einer
Querkraft wurde ein eigenes zweidimensionales FE-Modell erstellt (siehe unten).
•
Die Außenfläche des Knochens und die Grenzfläche zwischen kortikalem und spongiösem Knochen sind nicht symmetrisch zur Implantatachse. Das FE-Modell beinhaltet
daher nur einen zylinderförmigen Ausschnitt des Knochens, der größtenteils aus spongiösem Knochen besteht und an seinen beiden Enden jeweils eine Schicht kortikalen
Knochens besitzt.
•
Das Verschiebungsfeld des axialsymmetrischen Knochenausschnitts ist in der Realität
nicht axialsymmetrisch – dies folgt aus der Asymmetrie des vollständigen Knochens.
Die Beschränkung des Knochens auf einen zylinderförmigen Ausschnitt mit axialsymmetrischem Verschiebungsfeld ist daher eine stark vereinfachende Annahme.
4.1.2 Ebener Verzerrungszustand (Modell VO_plain_strain)
Bei dem Modell VO_plain-strain wird angenommen, dass senkrecht zur Ebene der finiten
Elemente keine Verzerrungen auftreten (engl. plain strain = ebene Verzerrung), wobei
diese Ebene so angeordnet ist, dass sie sowohl die Implantatachse als auch die
Knochenachse10 enthält. Das Expansionsprofil der Modellgeometrie ist in Abbildung 20
dargestellt. Das Modell besteht aus 5 920 Elementen mit 14 662 Knoten. Genau wie beim
Modell VO_axisym wurde der Großteil der Profilfläche mit Acht-Knoten-Viereck-Elementen und die Grenzbereiche des Implantats zum Knochen und des Knochens zum
Implantat mit Sechs-Knoten-Dreieck-Elementen diskretisiert.
9 Wenn das FE-Modell keine Nichtlinearitäten besäße, so könnte die Querkraft modelliert werden, indem
man sie durch eine Fourierreihe darstellt. In dem hier beschriebenen FE-Modell wurden jedoch nichtlineare kinematische Randbedingungen formuliert.
10 Die Knochenachse verläuft in jedem Teilstück der Mandibula in axialer Knochenrichtung (Abbildung 15,
Seite 36). In der Zahnmedizin wird diese Richtung mesio-distal genannt.
- 47 -
4 Vorlagen aus der Literatur
4.1 Zweidimensionale Finite-Elemente-Modelle
Mit Elementen, die einen ebenen Verzerrungszustand beschreiben, können nur Gegenstände mo-
Implantat
F
delliert werden, deren Berandungsflächen entweder
senkrecht oder parallel zur Elemente-Ebene liegen.
Deshalb konnte der reale Analysegegenstand auch
kortikaler
Knochen
bei diesem FE-Modell nur in stark idealisierter Form
betrachtet werden:
•
Da die Implantatachse in der Elemente-Ebene
spongiöser
Knochen
liegt, kann die runde Grundform des Implantats
nicht modelliert werden. Stattdessen erhält das
Implantat die Grundform eines Quaders. Die
Breite und Tiefe des Quaders werden durch Aufstellen von Äquivalenzbedingungen gewonnen.
•
Abbildung 20: Expansionsprofil der Modellgeometrie beim FE-Modell VO_plain_strain
(nach [34])
Der Quader wird an zwei seiner Berandungsflächen mit Rillen versehen, die das Gewinde darstellen, die Spanräume werden nicht
modelliert.
•
Vom Knochen wird ein quaderförmiger Ausschnitt modelliert, der wie beim Modell
VO_axisym größtenteils aus spongiösem Knochen besteht und an seinen beiden
Enden jeweils eine Schicht kortikalen Knochens besitzt.
4.2 Dreidimensionale Finite-Elemente-Modelle
Bei den dreidimensionalen FE-Modellen VO_prothese und VO_kaninchen wird ein
dreidimensionaler Verzerrungs- und Spannungszustand untersucht. Beide Modelle
betrachten ein Teilstück eines individuellen Knochens, wobei die Geometrie dieses
Knochens aus röntgenografischen Schnittbildern rekonstruiert wurde. Beim Modell
VO_kaninchen erfolgte die Erzeugung der Schnittbilder durch hochauflösende Computertomografie (µCT) und beim Modell VO_prothese durch konventionelle Computertomografie (CT). Die Modelle werden im Folgenden kurz beschrieben.
- 48 -
4 Vorlagen aus der Literatur
4.2 Dreidimensionale Finite-Elemente-Modelle
4.2.1 Prothese mit drei Implantaten (Modell VO_prothese)
Das FE-Modell VO_prothese betrachtet eine von drei Implantaten getragene Prothese.
Als Knochen beinhaltet das Modell den gesamten vorderen Mandibulabogen und
erstreckt sich damit über einen verhältnismäßig großen geometrischen Bereich. Bei
diesem Modellumfang hätte die detailgetreue Modellierung der Implantate zu numerischen Schwierigkeiten geführt. Daher wurden die Implantate vereinfachend als gewindelose Stifte mit kegelstumpfförmiger Spitze modelliert. Abbildung 21 zeigt einerseits die
Geometrie des gesamten Modells und andererseits die idealisierte Geometrie der
Implantate. Das Modell besteht aus 153 934 Vier-Knoten-Tetraeder-Elementen und
30 190 Knoten.
Prothese
auf drei Implantaten
Mandibula
Pfosten
Implantathals
Implantatkörper
Abbildung 21: Modellgeometrie beim Modell VO_prothese. Eines der Implantate ist noch einmal
vergrößert dargestellt. (aus [34])
4.2.2 Kaninchenexperiment (VO_kaninchen)
Van Oosterwyck führte ein Experiment durch, bei dem Brånemark-Implantate in die
Schienbeine (Tibiae) von Kaninchen eingesetzt und kontrolliert belastet wurden. Die
Kaninchen wurden nach Abschluss der Belastungsphase getötet und das Knochengewebe um die Implantate herum histologisch untersucht. Das Experiment wurde durch
ein FE-Modell simuliert. So konnten die Verzerrungen im Gewebe berechnet und mit den
histologischen Ergebnissen verglichen werden.
- 49 -
4 Vorlagen aus der Literatur
4.2 Dreidimensionale Finite-Elemente-Modelle
apikal
zervikal
Implantat
(finite Elemente)
Tibia
(finite Elemente)
Abbildung 22: Finite-Elemente-Netz des Modells VO_kaninchen (nach [34])
Das FE-Modell ist in Abbildung 22 dargestellt. Es besteht aus 51 759 Vier-Knoten-Tetraeder-Elementen und 13 137 Knoten. Das Modell beinhaltet geometrische Details wie
Gewinde und Spanräume des Implantats. Damit ist der Grad seiner mechanischen Idealisierung geringer als bei allen anderen bisher vorgestellten FE-Modellen. Allerdings unterscheidet sich sein Analysegegenstand deutlich vom Analysegegenstand der vorliegenden
FEA:
Das Experiment erfolgte in einem Bereich der Tibia, in dem es keinen spongiösen
Knochen gibt. Deshalb wurde zusätzlich zum Implantathals auch die Implantatspitze im
kortikalen Knochen verankert – diese Art der Befestigung wird „bikortikal“ genannt. Der
mittlere Teil des Implantats befand sich im Knochenmark und kann daher hinsichtlich der
Übertragung mechanischer Kräfte vernachlässigt werden. Damit sind die beiderseitigen
Kontaktflächen im FE-Modell VO_kaninchen deutlich kleiner als in den übrigen FE-Modellen, bei denen die Implantate in der Mandibula monokortikal und spongiös verankert sind.
Diese Eigenschaft des realen Analysegegenstands verringerte den Zwang zu Idealisierungen für die Finite-Elemente-Lösung.
- 50 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden
zwei dreidimensionale FE-Modelle erstellt, die
hier „Tetraeder-Modell“ und „Hexaeder-Modell“
genannt werden. Beide Modelle beschreiben
den in Kapitel 3 beschriebenen Analysegegenstand, und es liegt beiden Modellen dieselbe
mechanische Idealisierung dieses Gegenstands
zu Grunde. Ihr Unterschied besteht in der
Finite-Elemente-Lösung: Während die Grenzbereiche des Implantats zum Knochen und des
Knochens zum Implantat beim Tetraeder-Modell
durch Vier-Knoten-Tetraeder-Elemente modelliert wurden, geschah dies beim HexaederModell durch Acht-Knoten-Hexaeder-Elemente.
Die Grenzbereiche bilden gewissermaßen das
Herz des Modells. Deshalb war die Art ihrer
Modellierung namensgebend.
Abbildung 23 zeigt beide FE-Modelle in einer
Explosionsdarstellung. Das Implantat ist jeweils
gelb gezeichnet, der spongiöse Knochen rot und
der kortikale Knochen blau. Hexaeder-Elemente
sind in satter Farbe und Tetraeder-Elemente in
blasser Farbe gezeichnet. (Das Hexaeder-Modell
besteht ausschließlich aus Hexaeder-Elementen).
Zusätzliche Helligkeitsunterschiede entstehen
durch die Objektbeleuchtung. Die Elementgrenzen wurden nicht gesondert gezeichnet, sind
zum Teil aber durch die Beleuchtung erkennbar.
Die Abbildung lässt erkennen, dass das Tetraeder-Modell das vollständige Implantat mit
Gewinde und Spanräumen enthält sowie einen
- 51 -
Abbildung 23: Explosionsdarstellungen des
Tetraeder-Modells (oben) und des HexaederModells (unten).
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
Ausschnitt der Mandibula. Das Hexaeder-Modell beschränkt sich demgegenüber auf
einen Ausschnitt des Implantatkörpers mit dem umliegenden spongiösen Knochen. Dies
liegt allein daran, dass das Hexaeder-Modell im zeitlichen Rahmen dieser Arbeit nicht
fertiggestellt werden konnte. In Folgearbeiten soll es weiter ausgebaut werden und wird
danach voraussichtlich dieselben Konturen haben wie das Tetraeder-Modell.
5.1 Mechanische Idealisierung
Im Folgenden wird beschrieben, in welcher Weise der Analysegegenstand vereinfacht
wurde, um ihn berechenbar zu machen. Große Teile dieser Beschreibung treffen derzeit
nur auf das Tetraeder-Modell zu, weil – wie oben beschrieben – die Modellierungsarbeiten am Hexaeder-Modell noch nicht abgeschlossen sind. Andererseits soll dem fertigen
Hexaeder-Modell dieselbe mechanische Idealisierung zu Grunde liegen wie dem Tetraeder-Modell. Die folgende Darstellung beschreibt also einen Ist-Zustand des TetraederModells und einen Soll-Zustand des Hexaeder-Modells.
5.1.1 Geometrie
Die Geometrie des Implantats entspricht in den FE-Modellen weitgehend den Abbildungen 12 bis 14 des Kapitels 3 `Gegenstand der Analyse´. Abweichungen ergeben sich
allein aus der Tatsache, dass die Informationen über den Analysegegenstand noch
lückenhaft waren, als mit den Modellierungsarbeiten begonnen wurde. Während die
genannten Abbildungen nachträglich auf den neuesten Informationsstand gebracht wurden, geschah dies bei den FE-Modellen nicht. Sie besitzen daher die folgenden Fehler:
•
Das Gewindeprofil der FE-Modelle unterscheidet sich geringfügig von dem in Abbildung 14 gezeichneten. Der Einfluss dieses Unterschieds auf das elastische Verhalten
ist vermutlich verschwindend gering.
•
Beim Tetraeder-Modell wurde das Implantat im Bereich des Implantathalses um 1 mm
verlängert. Diese Verlängerung beruht auf der falschen Vorstellung, dass die Superkonstruktion aus Pfosten und Prothese bündig mit dem Implantat abschließt. Bei
Axiallast wirkt sich die Verlängerung vermutlich nicht auf das Ergebnis aus. Bei
Querlast führt sie jedoch zu einer Verringerung der Druckbelastung im Bereich des
kortikalen Knochens.
- 52 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.1 Mechanische Idealisierung
Im Gegensatz zur Geometrie des Implantats wurde die Geometrie des Implantatbetts für
die FE-Modelle stark vereinfacht. Abbildung 24 zeigt die idealisierte Geometrie des kortikalen Knochens zusammen mit dem Implantat. Der spongiöse Knochen ist in der Abbildung ausgeblendet. Seine Grenzfläche zum Implantat hin wurde kongruent zur Implantatoberfläche modelliert. Damit ergibt sich seine Geometrie aus den dargestellten Berandungsflächen des kortikalen Knochens und des Implantats.
Abbildung 24: Geometrische Idealisierung des Systems aus Implantat und Knochen.
- 53 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.1 Mechanische Idealisierung
5.1.2 Material
In den FE-Modellen verhalten sich sowohl Implantat als auch Implantatbett linear-elastisch. Die zugehörigen Materialparameter sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Diese wird
nachfolgend erläutert:
•
Das Titan des Implantats wurde in allen Rechnungen mit den im Kapitel `Gegenstand
der Analyse´ genannten isotropen Materialparametern modelliert.
•
Der kortikale Knochen wurde in einer Rechnung mit orthotropen Materialparametern
und in den übrigen mit einer isotropen Näherung modelliert. So konnte der Einfluss der
Näherung auf das Ergebnis untersucht werden. Als orthotrope Materialparameter wurden die von Dechow et al. [6] im hinteren Seitenzahnbereich (zweiter und dritter Molar)
gemessenen Werte verwendet.
•
Es wurden Rechnungen mit unterschiedlichen Werten für den effektiven Elastizitätsmodul des spongiösen Knochens durchgeführt, um seinen Einfluss auf das Ergebnis
zu untersuchen.
Material
Elastizitätsmodul
Querkontraktions-
Schubmodul
in MPa
zahl
in MPa
110 000
0.3
(42 000)
Titan
(isotrop)
kortikaler Knochen
(orthotrop)
kortikaler Knochen,
axial
20 000
axial-tangent.
0.37
axial-tangent. 6 200
tangential
14 000
tangent.-radial 0.25
tangent.-radial 4 200
radial
11 000
axial-radial
axial-radial
0.47
5 000
15 000
0.3
(5 800)
300 bis 1 000
0.3
(115 bis 380)
isotrope Näherung
spongiöser Knochen,
homogene Näherung
Tabelle 1: Materialparameter. Die eingeklammerten Werte des isotropen Schubmoduls wurden dem FEProgramm nicht übergeben, da sie aus den übrigen Materialparametern berechnet werden können.
- 54 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
5.2 Tetraeder-Modell
Das Tetraeder-Modell stellt eine dreidimensionale Finite-Elemente-Lösung der oben
beschriebenen mechanischen Idealisierung von Implantat und Implantatbett dar, bei der
die Grenzbereiche des Implantats zum Knochen und des Knochens zum Implantat durch
Vier-Knoten-Tetraeder-Elemente vernetzt wurden. Beim Implantat wurden die TetraederElemente sogar für das gesamte Volumen und nicht nur für den Grenzbereich benutzt.
Beim Knochen dagegen wurden die implantatfernen Bereiche durch Acht-Knoten-Hexaeder-Elemente modelliert.
Die Aufteilung des Knochens in Gebiete mit unterschiedlichem Elementtyp hängt mit den
numerischen Eigenschaften der verschiedenen Elementtypen einerseits und der Technik
der Netzgenerierung andererseits zusammen: Die Hexaeder-Elemente sind in ihren
numerischen Eigenschaften den Tetraeder-Elementen überlegen, die Generierung von
Hexaeder-Netzen ist bei komplizierten Geometrien jedoch um ein Vielfaches aufwändiger
als die Generierung von Tetraeder-Netzen. Ähnliche Überlegungen liegen auch den im
Kapitel 4 `Vorlagen aus der Literatur´ vorgestellten zweidimensionalen Modellen VO_axisym und VO_plain_strain zu Grunde, bei denen der Knochen im Grenzbereich zum
Implantat mit Dreieck-Elementen vernetzt wurde, während die Vernetzung der
implantatfernen Bereiche mit Viereck-Elementen geschah. Das Tetraeder-Modell
überträgt diese Art der Modellierung ins Dreidimensionale.
Im Folgenden wird zunächst die Art und Weise beschrieben, wie das Tetraeder-Modell
erzeugt wurde. Anschließend werden die Ergebnisse einiger Simulationen mit verschiedenen Modellparametern vorgestellt und ein Weg zur experimentellen Kontrolle dieser
Ergebnisse skizziert.
5.2.1 Beschreibung der Körperoberflächen durch getrimmte Flächen
Der erste Schritt bei der Vernetzung eines Körpers mit dreidimensionalen finiten Elementen ist die zumindest teilweise Vernetzung seiner Oberfläche mit zweidimensionalen
finiten Elementen. Die Körperoberflächen von Implantat und Knochen können in guter
- 55 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Näherung durch eine Kombination mehrerer getrimmter Flächen11 beschrieben werden.
Eine solche Beschreibung wurde mit Hilfe der 3D-CAD-Software12 Solid Edge® (Electronic
Data Systems Corporation, Plano, Texas, USA) erzeugt.
In Solid Edge® wurden die folgenden Körper gezeichnet:
•
Implantat,
•
implantatnaher kortikaler Knochen (zur Vernetzung mit Tetraeder-Elementen),
•
implantatferner kortikaler Knochen (zur Vernetzung mit Hexaeder-Elementen),
•
implantatnaher spongiöser Knochen (zur Vernetzung mit Tetraeder-Elementen) und
•
implantatferner spongiöser Knochen (zur Vernetzung mit Hexaeder-Elementen).
Die Körperoberflächen wurden als getrimmte Flächen im Dateiformat IGES13 gespeichert,
das von der FE-Software Mentat gelesen werden kann. Die getrimmten Flächen wurden
mit Mentat importiert und einige von ihnen mit zweidimensionalen Elementen vernetzt, die
wiederum die Grundlage für die Vernetzung mit dreidimensionalen Elementen bildeten.
Die Details der Vernetzung werden in den Abschnitten `Erzeugung der Hexaeder-Netze´
und `Erzeugung der Tetraeder-Netze´ beschrieben.
5.2.2 Erzeugung der Hexaeder-Netze
Die implantatfernen Bereiche des spongiösen und des kortikalen Knochens wurden durch
die in Abbildung 25 gezeigten Hexaeder-Netze modelliert. Da der implantatferne Knochen
im Modell aus zwei zueinander symmetrischen geometrischen Anteilen besteht, die durch
den implantatnahen Knochen voneinander getrennt sind, wurde zunächst nur einer der
beiden Anteile vernetzt und das erzeugte Hexaeder-Netz an der Symmetrieebene gespie11 Eine getrimmte Fläche ist eine beschnittene Fläche. Sie entsteht durch Beschneiden einer „Basisfläche“,
in der die darzustellende Fläche enthalten ist. Die Basisfläche ist eine Fläche mit maximal vier Ecken
(zum Beispiel eine helixartig expandierte Linie oder ein Kegelmantel), die ein eigenes zweidimensionales Flächen-Koordinatensystem besitzt. In diesem Koordinatensystem ist jeder Punkt der Fläche
über seine Flächen-Koordinaten eindeutig bestimmt – die Eckpunte der Fläche haben die FlächenKoordinaten (0;0), (0;1), (1;0) und (1;1). Das Beschneiden der Basisfläche erfolgt mit Hilfe der „Trimmlinie“,
eines geschlossenen Linienzugs mit zweidimensionalen Koordinaten im Bereich von (0;0) bis (1;1). Die
Trimmlinie wird auf die Basisfläche transformiert, indem ihre Koordinaten als Flächen-Koordinaten aufgefasst werden. Die getrimmte Fläche setzt sich zusammen aus der transformierten Trimmlinie und dem
von ihr eingeschlossenen Teil der Basisfläche.
12 Die Abkürzung CAD steht für `Computer Aided Design´.
13 Die Abkürzung IGES steht für `Initial Graphics Exchange Specifications´ und bezeichnet ein Dateiformat
für CAD-Daten, das unabhängig von einer speziellen CAD-Software entwickelt wurde [18].
- 56 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
gelt. Alle Arbeitsschritte wurden mit der FE-Software Mentat durchgeführt. Die folgende
Darstellung beschreibt die Vorgehensweise bei der Netzerzeugung:
•
Die Körperoberflächen des implantatfernen kortikalen Knochens und des implantatfernen spongiösen Knochens wurden geladen.
•
Die Grenzflächen der genannten Körper zum implantatnahen Knochen wurden mit
Vier-Knoten-Viereck-Elementen vernetzt, die eine Kantenlänge in der Größenordnung
0,5 mm haben. Für die Vernetzung wurde ein automatischer Netzgenerator eingesetzt.
Das so erzeugte Netz musste bereichsweise nachbearbeitet werden, um stark
verzerrte Elemente zu vermeiden.
•
Jedes Viereck-Element wurde durch Expansion entlang der Knochenachse in ein AchtKnoten-Hexaeder-Element umgewandelt. Anschließend wurden die im Rahmen der
Umwandlung neu erzeugten Knoten auf diejenigen Flächen verschoben, die die
Grenzflächen des Knochens zur restlichen Mandibula bilden. Als Verschiebungsrichtung wurde dabei die axiale Knochenrichtung vorgegeben.
Expansionsrichtung
spongiöser Knochen
kortikaler Knochen
durch Expansion
erzeugtes
Hexaeder-Netz
durch Kopieren
und Spiegeln
erzeugtes
Hexaeder-Netz
Abbildung 25: Hexaeder-Netze des implantatfernen spongiösen und kortikalen Knochens. Eines der Netze
wurde durch Expansion zweidimensionaler Elemente erzeugt, das andere durch Kopieren und Spiegeln.
- 57 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
•
5.2 Tetraeder-Modell
Jedes Hexaeder-Element wurde in axialer Knochenrichtung in fünf neue HexaederElemente unterteilt. Die Aufteilung der ursprünglichen Länge erfolgte dabei nicht zu
gleichen Teilen, sondern so, dass die Länge der erzeugten Elemente von der
implantatnahen Grenzfläche zur implantatfernen Grenzfläche allmählich zunimmt.
•
Bei einigen der beschriebenen Operationen entstanden numerische Löcher im FE-Netz.
Gemeint ist damit eine Situation, in der zwei Elemente, die durch einen gemeinsamen
Knoten in einem Punkt P miteinander verbunden sein sollten, statt des gemeinsamen
Knotens je einen eigenen Knoten im Punkt P haben. Diese Löcher wurden durch eine
Operation „gestopft“, bei der alle Knotenpaare mit einem Abstand kleiner als 0,1 µm
durch einen einzigen Knoten ersetzt wurden. Diese Operation wird im Folgenden
„Knotenvereinigung“ genannt.
5.2.3 Erzeugung der Tetraeder-Netze
Die implantatnahen Bereiche des spongiösen und des kortikalen Knochens sowie das
Implantat wurden durch Tetraeder-Netze modelliert. Dazu wurden zunächst die Oberflächen der zu vernetzenden Volumina mit Drei-Knoten-Dreieck-Elementen vernetzt.
Anschließend wurde das von den Dreieck-Elementen eingeschlossene Volumen durch
einen automatischen Netzgenerator mit Vier-Knoten-Tetraeder-Elementen ausgefüllt.
Abbildung 26 zeigt die Dreieck-Netze der drei vernetzten Volumina. In der Darstellung
wurden einige Elemente ausgeblendet, um die Sicht ins Innere der zu vernetzenden Körper freizugeben. Auf eine Abbildung der Tetraeder-Netze wurde verzichtet, da sie, von
außen betrachtet, dasselbe Erscheinungsbild haben wie diejenigen Dreieck-Netze, aus
denen sie erzeugt wurden.
Wie bei den Hexaeder-Netzen, so erfolgten auch hier alle Arbeitsschritte innerhalb der
FE-Software Mentat. Im Folgenden werden einige Gesichtspunkte der Netzerzeugung
näher erläutert.
- 58 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
kortikaler Knochen
spongiöser Knochen
Implantat
Außenseite eines Dreieck-Elements
Innenseite eines Dreieck-Elements
Abbildung 26: Volumenbegrenzende Elemente zur Erzeugung der Tetraeder-Netze des implantatnahen
Knochens und des Implantats. Einige Elemente wurden ausgeblendet. Die einzelnen Vernetzungsgebiete
wurden für die Darstellung verschoben.
Erzeugung von Dreieck-Netzen
Die Dreieck-Netze wurden größtenteils mit Hilfe eines automatischen Netzgenerators auf
Grundlage der mit Solid Edge® erzeugten getrimmten Flächen hergestellt. Dabei wurde
an den Grenzflächen zwischen Implantat und Knochen eine mittlere Kantenlänge von
0,25 mm vorgegeben, in anderen Bereichen 0,5 mm. Die unterschiedlichen Kantenlängen
führten zur Entstehung von Übergangszonen, in denen für ein harmonisches Vernet-
- 59 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
zungsmuster gesorgt wurde. Aneinander angrenzende Flächen wurden so vernetzt, dass
sie entlang ihrer Berührungslinie gemeinsame Knoten haben.
Kongruenz der Grenzknoten
Eine Vorgabe bei der Erzeugung der Tetraeder-Netze war, dass benachbarte Netze stets
an der gleichen Stelle ihrer gegenseitigen Grenzfläche einen Knoten besitzen. Wäre dies
nicht der Fall, so wäre das spätere Zusammenfügen der Einzelnetze zum FE-Modell nicht
oder nur mit großem Aufwand möglich.
An den Grenzen der Tetraeder-Netze untereinander lässt sich diese Bedingung leicht
erfüllen, indem jede Grenzfläche nur einmal mit Dreieck-Elementen vernetzt wird, welche
dann für die Erzeugung beider benachbarter Tetraeder-Netze benutzt werden. Dazu
kopiert man die entsprechenden Dreieck-Elemente und vertauscht bei jedem von ihnen
die Innen- und die Außenseite. Dieses Vorgehen empfiehlt sich schon im Sinne der
Effizienz.
An den Grenzen der Tetraeder-Netze mit den Hexaeder-Netzen musste die Kongruenz
der Grenzknoten auf anderem Wege sichergestellt werden. Hier wurde mit den bereits
vorhandenen Knoten des Hexaeder-Netzes weitgehend manuell ein Dreieck-Netz
erzeugt.
Eine alternative Möglichkeit wäre gewesen, den Anschluss über vierseitige
Pyramiden zu konstruieren. Ein solcher Elementtyp steht in der FE-Software nicht direkt
zur Verfügung, er kann aber aus dem Hexaeder-Typ durch Zusammenlegen von vier
Knoten konstruiert werden. Dieses Vorgehen ließe sich automatisieren und wäre ein
attraktiver Ansatz für eine weitere Arbeit.
Kantenlängen in den Tetraeder-Netzen
Die Kantenlänge der erzeugten Tetraeder richtet sich nach dem zu Grunde gelegten
Dreieck-Netz: Während die oberflächlichen Tetraeder-Kanten direkt aus dem DreieckNetz übernommen werden, lässt sich die Länge der im Volumen befindlichen Kanten über
einen Parameter des Netzgenerators steuern, der das Soll-Verhältnis der Kantenlängen
- 60 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
inmitten des Volumens und an der Oberfläche angibt. Ob dieses Soll-Verhältnis auch
tatsächlich erreicht wird, hängt von der zu vernetzenden Geometrie ab – in einem
Übergangsbereich nahe der Oberfläche wird es nicht erreicht. Das Soll-Verhältnis wurde
bei allen Tetraeder-Netzen so gewählt, dass im Volumeninneren zweifach längere
Elementkanten angestrebt wurden als an der Oberfläche.
5.2.4 Verbindungen unter den einzelnen Netzen
Mit den oben beschriebenen Verfahren wurden fünf einzelne FE-Netze erzeugt:
•
Zwei zueinander symmetrische Hexaeder-Netze für die beiden geometrischen Anteile
des implantatfernen Knochens, in denen die jeweiligen kortikalen und spongiösen
Knochenanteile bereits über gemeinsame Knoten miteinander verbunden sind,
•
zwei Tetraeder-Netze für den implantatnahen Knochen – eines für den kortikalen und
eines für den spongiösen Knochenanteil – und
•
ein Tetraeder-Netz für das Implantat.
Um aus diesen FE-Netzen ein FE-Modell des Implantats im Knochen zu machen, mussten
die Netze miteinander verbunden werden. Bei den vier Netzen der unterschiedlichen Knochenanteile geschah dies über gemeinsame Knoten: Wie oben beschrieben, war bei der
Netzerzeugung auf Kongruenz der Grenzknoten benachbarter Netze geachtet worden.
Die kongruenten Knoten wurden als numerische Löcher behandelt und durch Knotenvereinigung14 in einen einzigen Knoten umgewandelt. Die Knotenvereinigung wurde auf alle
Knoten der vier Knochenanteile angewendet, aber nicht auf die Knoten des Implantats.
So wurden alle Netze des Knochens zu einem einzigen Netz vereinigt, während das Netz
des Implantats unberührt blieb.
Die Verbindung des Implantats zum Knochen erfolgte über die Formulierung nichtlinearer
kinematischer Randbedingungen: Statt die kongruenten Grenzknoten zu vereinigen,
wurden sie zu Kontaktknoten erklärt, die im Verlauf der Rechnung nach den Regeln der
Kontaktanalyse an die Knoten des jeweils anderen Netzes angekoppelt wurden. Die
Kongruenz von Kontaktknoten ist nicht unbedingt notwendig, wirkt sich in diesem Fall
14 Dieser Begriff wurde im Abschnitt 5.2.2 `Erzeugung der Hexaeder-Netze´ eingeführt.
- 61 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
aber günstig auf die Simulationsergebnisse aus. Entsprechende Simulationen mit inkongruenten Kontaktknoten zeigten lokal hohe Verzerrungen, die nicht auf das wirkliche
Systemverhalten, sondern auf die Algorithmen der Kontaktanalyse zurückgeführt wurden.
Die Anzahlen der Elemente und Knoten, mit denen das Implantat und die beiden
Knochenanteile diskretisiert wurden, sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Wegen der
gemeinsamen Knoten der beiden Knochenanteile ist die Anzahl der Knoten im gesamten
Modell geringer als die Summe der Knoten in den einzelnen Bereichen.
Anzahl der Elemente
Gebiet
Anzahl der Knoten
Kontaktknoten mit Kontakt zum Gebiet ...
Tetraeder
(4 Knoten)
Hexaeder
(8 Knoten)
Implantat
spongiöser Kn.
kortikaler Kn.
alle
Knoten
Implantat
30 916
–
–
3 737
435
87 513
spongiöser Kn.
15 766
3 880
3 737
–
–
88 864
kortikaler Kn.
37 047
3 990
3 375
–
–
13 321
Modell gesamt
83 729
7 870
7 974
27 982
Tabelle 2: Anzahl der Elemente und Knoten des Tetraeder-Modells nach Gebieten gleichen Materials.
5.2.5 Diskrete Randbedingungen
Die Randbedingungen des kontinuumsmechanischen Problems wurden entsprechend
den Ausführungen im Abschnitt 3.3 gewählt:
•
Alle Knoten auf den Schnittflächen des Knochens wurden starr gelagert, das heißt
ihnen wurde der Nullvektor als Verschiebungsvektor vorgegeben.
•
Die Wechselwirkung zwischen Implantat und Knochen wurde durch nichtlineare
kinematische Randbedingungen modelliert. Zusätzlich wurde zum Vergleich eine
Simulation mit vereinigten Knoten durchgeführt, bei der die Wechselwirkung gewissermaßen der eines optimal osseointegrierten Implantats entspricht.
•
Es wurde das Auslenkungsverhalten des Implantats bei Axialkräften bis zu 100 N und
bei linguo-bukkalen Querkräften bis zu 20 N ermittelt – dies wird nachfolgend näher
erläutert.
- 62 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Für die Belastung des Implantats mit Axial- bzw. Querkräften wurden alle Knoten des
Implantatkopfes als kinematische Einheit betrachtet. Diese Einheit wurde durch kinematische Randbedingungen schrittweise axial bzw. linguo-bukkal verschoben und die jeweils
zugehörige Reaktionskraft ermittelt. Dies wurde so lange fortgeführt, bis die Reaktionskraft den Zielwert von 100 N bzw. 20 N überschritten hatte. Auf diese Weise konnte die
elastische Charakteristik des modellierten Systems unter den jeweiligen Randbedingungen ermittelt werden. Diese Vorgehensweise ist eine gute Näherung für die in Abschnitt 3.3
beschriebenen Lastfälle.
Die kinematische Kopplung der Knoten am Implantatkopf erfolgte über ein „MSC.Nastran
rigid body element“ vom Typ 2 (RBE2). Ein RBE2 repräsentiert keine Materie und zählt
daher nicht zu den Finiten Elementen. Es dient vielmehr der kinematischen Kopplung
mehrerer Knoten an einen einzelnen Referenzknoten. Als Referenzknoten wurde ein
zusätzlicher Knoten eingeführt; dieser wurde in Verlängerung der Implantatachse 10 mm
oberhalb des Knochenkamms positioniert. Er liegt damit im Bereich der Zahnspitze15, die
den natürlichen Angriffspunkt der betrachteten Kräfte bildet. Alle Knoten des Implantatkopfes wurden starr mit dem Knoten der Zahnspitze verbunden.
Als Referenzknoten eines RBE2 unterscheidet sich der Knoten der Zahnspitze von den
übrigen Knoten des FE-Modells, da bei ihm nicht nur die drei Komponenten des Verschiebungsvektors, sondern auch die drei Komponenten des Rotationsvektors in die numerische Lösung mit einbezogen werden. Welche dieser insgesamt sechs Freiheitsgrade in
den betrachteten Lastfällen mit Randbedingungen belegt wurden, ist in Tabelle 3
zusammengestellt.
Lastfall
Verschiebung
Rotation
x
y
z
x
y
z
„Axialkraft“
0
0
>0
frei
frei
frei
„Querkraft“
0
>0
frei
frei
frei
frei
Tabelle 3: Kinematische Randbedingungen am Knoten der Zahnspitze (0: starres Lager, >0: schrittweise
erhöhte Zwangsverschiebung, frei: keine Randbedingung)
15 Der Begriff Zahnspitze ist hier symbolisch zu verstehen, da Seitenzähne keine einzelne Spitze haben.
- 63 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
5.2.6 Ergebnisse
Wie oben beschrieben, wurden mit dem Tetraeder-Modell mehrere Simulationen mit
unterschiedlichen Modellparametern durchgeführt. Diese werden im Folgenden T1a, T1b,
T1c, T2, T3 und T4 genannt – der Buchstabe „T“ steht dabei für Tetraeder-Modell. Tabelle 4
listet die verschiedenen Simulationen zusammen mit den variierten Modellparametern
auf.
Bezeichnung
spong. Knochen
kort. Knochen
Lastfall
eff. E-Modul in MPa
Wechselwirkung
Implantat – Knochen
T1a-c
300; 600; 1000
isotrop
„Axialkraft“
über Kontaktknoten
T2
300
orthotrop
„Axialkraft“
über Kontaktknoten
T3
300
isotrop
„Axialkraft“
„osseointegriert“
T4
300
isotrop
„Querkraft“
über Kontaktknoten
Tabelle 4: Modellparameter der einzelnen mit dem Tetraeder-Modell durchgeführten Simulationen.
Nachfolgend werden die Simulationsergebnisse vorgestellt. Dabei werden die folgenden
Aspekte beleuchtet:
•
Die Verformungen des Knochens bei einer axialen Zwangsverschiebung der Zahnspitze von 10 µm werden vorgestellt. Die errechnete Reaktionskraft hatte bei dieser
Randbedingung einen Betrag von 101 N. Die Darstellung beinhaltet eine Übersicht
über die Verschiebungen und Verzerrungen in drei zueinander senkrechten Schnitten.
•
Die Ergebnisse der Einflussanalyse bezüglich der Materialparameter des Knochens
werden präsentiert. Dieser Analyse liegen die Ergebnisse der Simulationen T1a-c und
T2 zu Grunde.
•
Die Verformungen des Knochens bei optimal osseointegriertem Implantat (Simulation T3) werden vorgestellt und mit den Ergebnissen der Simulation T1a verglichen.
•
Die Verformungen des Knochens bei einer linguo-bukkalen Zwangsverschiebung der
Zahnspitze von 13,7 µm werden vorgestellt. Dies entspricht einer Reaktionskraft von
20 N. Die Verschiebungen und Verzerrungen in einem Schnitt werden gezeigt.
- 64 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Verformungen des Knochens bei einer axialen Kraft von 101 N (Simulation T1a)
Zur Darstellung der berechneten Felder des Verschiebungsvektors und des Verzerrungstensors wurden die im Abschnitt 2.2 vorgestellten Methoden benutzt: Der Auswertung
wurde ein Koordinatensystem zu Grunde gelegt, das nach den in Abbildung 24 (Seite 53)
eingezeichneten Schnittebenen ausgerichtet ist: Die x-z-Ebene liegt in der Schnittebene A-A
und die y-z-Ebene liegt in der Schnittebene B-B. Die x-y-Ebene wurde 4,4 mm unterhalb
der Grenze zwischen Implantathals und Implantatkörper positioniert, da es in diesem
Bereich des Modells zu einer Vorzeichenumkehr bei der größten Hauptdehnung kommt
(siehe unten).
Die Abbildungen 27a und 27b zeigen Auswertungen der beiden dreidimensionalen Felder
in den drei Koordinatenebenen, wobei in der x-z-Ebene und in der y-z-Ebene jeweils nur
ein Halbschnitt angefertigt wurde. Zur Orientierung sind das Koordinatensystem und die
Schnittverläufe in allen Ansichten eingezeichnet. Außerdem wurden die Konturen der
beiden Knochenanteile und des Implantats eingeblendet. Bei der gestrichelten Kreislinie
im x-y-Schnitt handelt es sich um einen Teilkreis mit dem Nenndurchmesser des Implantats. Er dient der Markierung des Gewindetals vom Implantat – es befindet sich zwischen
der gestrichelten Linie und der Konturlinie.
In Abbildung 27a ist links die axiale Komponente des Verschiebungsfelds farblich kodiert
dargestellt. Deutlich sichtbar sind hier die Relativbewegungen zwischen Implantat und
Knochen – erkennbar daran, dass die Körperkonturen in großen Bereichen mit den
Farbgrenzen zusammenfallen. Die Größenordnung dieser Relativbewegungen liegt
jedoch deutlich unterhalb des von Søballe et al. [33] genannten Wertes von 500 µm, bei
dem eine Störung der Osseointegration beobachtet wurde. Im Gewindetal können
Relativbewegungen vor allem an der zervikalen Gewindeflanke beobachtet werden.
Diese befindet sich in dem x-y-Schnitt im rechten unteren Teil der Ansicht.
Im rechten Teil von Abbildung 27a wurde die Vergleichsdehnung dargestellt. Deutlich
erkennbar ist, dass die Verzerrungen des spongiösen Knochens diejenigen des
kortikalen Knochens und des Implantats in ihrer Größenordnung übersteigen. Die größten
Werte der Vergleichsdehnung finden sich im Bereich des ersten Gewindegangs vom
- 65 -
Verschiebung in axialer Richtung (z)
Vergleichsdehnung
500
0
1
2
3
4
5
6
y
7
8
9
10 µm
x
0
1500 2500 3500 4500 5500 µstrain
1000 2000 3000 4000 5000 6000 µstrain
y
z
x
z
x
x
y
y
Abbildung 27a: Ergebnisse der Simulation T1a in drei verschiedenen Schnittebenen.
- 66 -
Größte Hauptdehnung
-6000
-4000
-5000
y
Hauptdehnungen mit Hauptachsen
-2000
-3000
0
-1000
2000
1000
x
4000
3000
6000 µε
5000 µε
y
z
x
z
x
x
y
y
Abbildung 27b: Ergebnisse der Simulation T1a in drei verschiedenen Schnittebenen.
- 67 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Implantathals aus gesehen. Die errechneten Werte in diesem Bereich sind vermutlich
überhöht. Die Überhöhung wird auf die geometrische Form der Tetraeder-Elemente in
diesem Bereich zurückgeführt: Sie sind langgezogen und ragen relativ weit vom Gewindegang aus in den Knochen hinein. Eine feinere Vernetzung in diesem Bereich hätte den
ohnehin hohen Rechenaufwand für die Simulationen jedoch noch weiter erhöht. Weiterhin
fällt an der Verteilung der Vergleichsdehnungen auf, dass im y-z-Schnitt höhere Werte zu
finden sind als im x-z-Schnitt. Diese Beobachtung wird unten noch einmal aufgegriffen.
Abbildung 27b stellt die Hautdehnungen dar. Links ist der Koeffizient der betragsmäßig
größten Hauptdehnung farblich kodiert dargestellt, rechts sind alle drei Hauptdehnungen
als farblich kodierte Strichgrafik16 dargestellt. Beide Darstellungen ergänzen sich gegenseitig: Während links die Farben leichter zu erkennen sind, ist rechts der Aussagewert
der Darstellung größer.
Deutlich erkennbar ist die gebietweise Ausrichtung der Hauptachsen, die den Verlauf der
Dehnungslinien innerhalb der verschiedenen Materialien erkennen lässt. Entsprechend der
Farbkodierung sind hier vor allem die gelben und blauen Dehnungslinien von Bedeutung:
•
Von der Implantatspitze gehen blaue Dehnungslinien aus und verlaufen durch den
spongiösen Knochen zum kortikalen. Im engeren Sinn handelt es sich dabei nicht um
Dehnungs- sondern um Stauchungslinien.
•
Seitlich vom Implantat finden sich gelbe und blaue Dehnungslinien, die sich senkrecht
überkreuzen. Im x-y-Schnitt gehen diese Linien radial vom Implantat aus und verlaufen
durch den spongiösen Knochen zum kortikalen oder zu den Schnittebenen des Knochens. Im x-z-Schnitt und vor allem im y-z-Schnitt verlaufen sie um den Winkel von 45°
gedreht zu den Koordinatenachsen. Bei den gelben Linien handelt es sich um
Dehnungslinien im engeren Sinne, bei den blauen um Stauchungslinien. Dieses
Nebeneinander von starker Stauchung und Dehnung im Hautachsensystem zeichnet
sich nach den Ausführungen in Abschnitt 2.2.3 durch besonders große Gleitungen in
anderen Koordinatensystemen aus. Diese Gleitungen sind im y-z-Schnitt besonders
ausgeprägt, da hier der spongiöse Knochen besonders dünn ist.
16 Die Strichgrafik unterscheidet sich von der im Abschnitt 2.2.3 beschriebenen Pfeilegrafik nur durch das
Weglassen der Pfeilspitzen.
- 68 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Auf ein interessantes Detail im linken Teil von Abbildung 27b soll noch hingewiesen werden: Im x-z-Schnitt und im y-z-Schnitt kommt es in Höhe des x-y-Schnitts zu einer
Vorzeichenumkehr der größten Hauptdehnung: Unterhalb des Schnitts dominiert in den
weniger verzerrten Bereichen eine Stauchung das Geschehen, und oberhalb des Schnitts
übernimmt eine Dehnung im engeren Sinne diese Rolle. Diese Beobachtung kann, stark
vereinfachend, so gedeutet werden, dass das Implantat über den spongiösen Knochen
am oberen Teil des kortikalen Knochens „aufgehängt“ ist und sich gleichzeitig wiederum
über den spongiösen Knochen auf dem unteren kortikalen Knochen „aufstützt“.
- 69 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Simulationen mit verschiedenen Materialparametern
Nachfolgend werden die Ergebnisse der Einflussanalyse bezüglich der Materialparameter
des Knochens vorgestellt. Im Rahmen dieser Analyse wurden ausgewählte Rechenergebnisse der Simulationen T1a-c und T2 miteinander verglichen. Der Vergleich bezieht
sich auf das Kraft-Verschiebungs-Verhalten der Zahnspitze bei axialer Belastung.
Jede dieser Simulationen wurde in mehreren Verschiebungsschritten durchgeführt, so
dass nicht nur ein einzelnes Wertepaar, sondern mindestens zwei von Null verschiedene
Wertepaare je Simulation ermittelt und in ein Diagramm eingetragen werden konnten.
Hinzu kam bei jeder Simulation der Koordinatenursprung, der den unverformten Zustand
des FE-Modells repräsentiert. Obwohl es sich wegen der nichtlinearen kinematischen
Randbedingungen um nichtlineare Simulationen handelte, konnten die „Messpunkte“ der
einzelnen Simulationen durch Regressionsgeraden approximiert werden. Dazu wurden
Regressionsgeraden gewählt, die durch den Ursprung verlaufen.
Das auf diese Weise erstellte Diagramm ist in Abbildung 28 dargestellt. Offensichtlich
sind die Unterschiede in den Simulationen T1a-c. Das bedeutet, dass sich die Variation
des effektiven Elastizitätsmoduls des spongiösen Knochens erheblich auf das Simulationsergebnis auswirkt. Dies ist nicht verwunderlich, da nur der spongiöse Knochen dem
Implantat Widerstand gegen axiale Verschiebungen bietet. Im Gegensatz dazu zeigt die
Simulation T2 an der Zahnspitze keine nennenswerten Abweichungen von der Simulation
T1a. Für das Kraft-Verschiebungs-Verhalten der Zahnspitze in dem simulierten System
macht es bei axialer Belastung also kaum einen Unterschied, ob der kortikale Knochen
als isotropes oder als orthotropes Material modelliert wurde.
Die Steigungen der Regressionsgeraden in Abbildung 28 sind ein Maß für die Steifigkeit
der simulierten Systeme bei axialer Belastung. Sie wurden daher Ersatzsteifigkeiten
genannt und in einem weiteren Diagramm über dem jeweiligen effektiven Elastizitätsmodul des spongiösen Knochens aufgetragen (Abbildung 29). Die eingezeichnete
Regressionsgerade stellt eine grobe Näherung des funktionellen Zusammenhangs im
betrachteten Wertebereich dar. Der genaue Zusammenhang ist mit Sicherheit nichtlinear.
- 70 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Simulationen mit „Axialkraft“: Reaktionskräfte
Reaktionskraft Fz/N an der Zahnspitze
150
Fz = 29.4N/µm dz
Fz = 37.2N\µm dz
125
Fz = 18.6N/µm dz
T1a
100
T1b
75
T1c
Fz = 10.0N/µm dz
T2
50
T3
25
0
0
2
4
6
8
10
12
axiale Verschiebung dz/µm der Zahnspitze
Abbildung 28: Kraft-Verschiebungs-Verhalten des Tetraeder-Modells im Knoten der Zahnspitze bei mehreren Simulationen. Bei allen betrachteten Simulationen wurde die Implantatspitze schrittweise über
kinematische Randbedingungen in den Knochen hineingeschoben und die zugehörige Reaktionskraft
errechnet.
Simulationen mit „Axialkraft“: Ersatzsteifigkeiten
35
Ersatzsteifigkeit c/(N/µm)
30
c = 0.028m E + 2 N/µm
25
20
15
10
5
0
0
200
400
600
800
1000
effektiver Elastizitätsmodul E/MPa des spongiösen Knochens
1200
Abbildung 29: Abhängigkeit der Ersatzsteifigkeiten vom effektiven Elastizitätsmodul des spongiösen
Knochens. Die Werte der Steifigkeiten entsprechen den Steigungen der Regressionsgeraden in Abbildung 28.
- 71 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Verformungen des Knochens bei optimal osseointegriertem Implantat (Simulation T3)
Unter den in hier vorgestellten Simulationen ist die Simulation T3 die einzige, die linear
gerechnet wurde: Die kongruenten Knoten von Implantat und Knochen wurden zu
gemeinsamen Knoten vereinigt, so dass keine Relativbewegungen zwischen den Oberflächen von Implantat und Knochen möglich waren. Die Simulation T3 beschreibt damit
ein optimal osseointegriertes Implantat im Knochen, wobei zu bezweifeln ist, dass eine
derartig innige Verbindung von Implantat und Knochen klinisch erreichbar ist.
Randbedingung der Verformung war bei dem linearen Modell eine eingeprägte Kraft von
100 N auf, die in axialer Richtung auf die Implantatspitze wirkt.
Abbildung 30 zeigt Ergebnisse der Simulationen T1a (links) und T3 (rechts) im Vergleich.
Oben ist die axiale Verschiebungskomponente farblich kodiert in zwei Halbschnitten
dargestellt und unten die Vergleichsdehnung in einer Ausschnittvergrößerung. Der
Ausschnitt stammt aus dem x-z-Schnitt, ist in dem oben abgebildeten x-z-Halbschnitt
jedoch unglücklicherweise nicht enthalten. Er umfasst einen Teil der Implantatspitze und
zwei Gewindegänge. Zu beachten sind die unterschiedlichen Farbskalen in den einzelnen
Darstellungen.
Die beiden Simulationen zeigen stark unterschiedliche Verschiebungs- und Verzerrungsfelder. Das osseointergrierte Implantat dringt bei gleicher Kraft nur ein Viertel so tief
in den Knochen ein und verformt beim Eindringen den kortikalen Knochen. Ein Ablösen
des Knochens vom Implantat findet an keiner Stelle statt.
Die Ausschnittvergrößerungen zeigen statt des unverformten FE-Modells das verformte.
Die Verformung ist dabei 20-fach überhöht dargestellt. Die weissen Bereiche im linken
unteren Bild zeigen an, dass hier durch Ablösen des Knochens vom Implantat Spalte
entstanden sind. Im rechten unteren Bild finden sich solche Spalte nicht. Hier wurde die
Grenzkontur gezeichnet, damit Implantat und Knochen überhaupt voneinander
unterschieden werden können.
- 72 -
Verschiebung in axialer Richtung (z)
0
1
2
3
4
5
6
7
y
8
9
Verschiebung in axialer Richtung (z)
10 µm
0 0,3 0,6 0,9 1,2 1,5 1,8 2,1 2,4 2,7 3 µm
x
x
y
z
z
Vergleichsdehnung
500
0
1500
1000
2500
2000
3500
3000
Vergleichsdehnung
4500
4000
0
5000 µε
200
400
600
Abbildung 30: Ergebnisse der Simulationen T1a (links) und T3 (rechts) im Vergleich.
- 73 -
800
1000 µε
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Verformungen des Knochens bei einer linguo-bukkalen Querkraft von 20 N (Simulation T4)
Die bisher vorgestellten Ergebnisse stammen alle aus Simulationen axialer Zwangsverschiebungen des Implantats im Knochen. An dieser Stelle sollen noch Ergebnisse präsentiert werden, bei denen linguo-bukkale Zwangsverschiebungen der Zahnspitze simuliert
wurden. Abbildung 31 zeigt das Kraft-Verschiebungs-Verhalten des Tetraeder-Modells
unter dieser Randbedingung in vier ausgewählten Knoten. Es handelt sich dabei um den
Knoten an der Zahnspitze, einen Knoten auf der Kopffläche des Implantats, einen an der
Spitze des Implantats und einen auf der apikalen Außenfläche des kortikalen Knochens.
Alle diese Knoten liegen im unverformten System auf der Implantatachse. Während sich
die Zahnspitze und der Implantatkopf in Richtung der positiven y-Achse verschieben,
bewegt sich die Implantatspitze in entgegengesetzter Richtung. Die Verschiebung des
apikalen Knochenrands ist verschwindend gering.
Zu der Lösung mit 12,5 µm Zwangsverschiebung an der Zahnspitze gehört eine Reaktionskraft an der Zahnspitze von 18,6 N. Um Verschiebungs- und Verzerrungsfeld für den
Fall einer linguo-bukkalen Querkraft von 20 N präsentieren zu können, wurde die Lösung
bei 12,5 µm mit dem Faktor 1,09 hochskaliert. Der Faktor wurde so gewählt, dass die
Simulation mit „Querkraft“
linguo-bukkale Verschiebung dy/µm
15.0
12.5
10.0
7.5
Zahnspitze
5.0
Implantatkopf
2.5
Implantatspitze
0.0
apikaler Knochenrand
-2.5
-5.0
0
5
10
15
20
linguo-bukkale Reaktionskraft Fy/N an der Zahnspitze
25
Abbildung 31: Kraft-Verschiebungs-Verhalten des Tetraeder-Modells bei linguo-bukkalen Zwangsverschiebungen (Simulation T4)
- 74 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
Verschiebung der Implantatspitze den-
Verschiebung in linguo-bukkaler Richtung (y)
jenigen Wert annimmt, der sich durch
lineare
Interpolation
zwischen
dieser
-5 -4 -3 -2 -1
0
1
2
3
4
5 µm
Lösung und der des nächst höheren
Verschiebungsschritts ergibt.
Abbildung 32 zeigt die linguo-bukkale
Verschiebungskomponente in der y-z-Ebene.
Dargestellt ist das verformte FE-Modell in
20-facher Überhöhung. Dadurch sind
Bereiche, in denen sich der Knochen vom
y
Implantat löst, direkt sichtbar und können
z
nicht nur an der Farbkodierung erkannt
werden.
Abbildung 32: Ergebnisse der Simulation T4 in einer
Schnittebene
- 75 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.2 Tetraeder-Modell
5.2.7 Experimentelle Kontrolle
Eine experimentelle Kontrolle der Simulationsergebnisse konnte im Rahmen dieser Arbeit
nicht durchgeführt werden, ist aber Gegenstand weiterer Arbeiten. Das Vorgehen bei der
experimentellen Kontrolle soll nachfolgend kurz skizziert werden.
Im Labor für expermentelle Biomechanik des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde am Universitätsklinikum Bonn gibt es einen Messaufbau zur Erfassung des
Kraft-Auslenkungs-Verhaltens von mechanischen Systemen, die die Größenordnung eines
Zahns besitzen. Mit der von Keilig et al. [21] entwickelten Apparatur kann das zu untersuchende System mit Kräften bis zu 100 N belastet und seine Auslenkung dabei mit einer
Auflösung von etwa 1 µm erfasst werden. Dieser Messaufbau soll zur Kontrolle der
Simulationsergebnisse der vorliegenden Arbeit eingesetzt werden.
Die Messungen erfolgen an Teilstücken von Schweinekiefern, in die jeweils ein Implantat
nach dem üblichen Verfahren eingesetzt wird. Die gemessenen Auslenkungen sollen mit
den simulierten verglichen werden, Abweichungen werden zu Veränderungen an
Experiment bzw. Simulationsmodell führen. Bei Übereinstimmung der Ergebnisse kann
davon ausgegangen werden, dass die durch Simulation berechneten Verzerrungen mit
denen im Experiment übereinstimmen.
Die Erfahrungen, die während des Abgleichs von Experiment und Simulation gesammelt
werden, bauen das Fundament der in der Einleitung erwähnten Studie weiter aus.
- 76 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.3 Hexaeder-Modell
5.3 Hexaeder-Modell
Das Hexaeder-Modell zeichnet sich dadurch aus, dass die Grenzbereiche des Implantats
zum Knochen und des Knochens zum Implantat durch Acht-Knoten-Hexaeder-Elemente
vernetzt wurden. Nachfolgend wird zunächst beschrieben, wie es erzeugt wurde, und
anschließend werden erste Simulationsergebnisse präsentiert.
5.3.1 Erzeugung des Hexaeder-Netzes
Die Erzeugung der finiten Elemente im Hexaeder-Modell lässt sich am einfachsten
anhand von Abbildung 33 beschreiben: Dort ist das Hexaeder-Netz des Implantats in
einem Zustand dargestellt, der sich innerhalb weniger Sekunden in den in Abbildung 23
(Seite 51) gezeigten umwandeln lässt. Die Umwandlung geschieht durch eine Transformation, bei der die kartesische Koordinaten aller Knoten als Zylinderkoordinaten aufgefasst werden. Das längliche FE-Netz aus Abbildung 33 nimmt dann die Form der
Hexaeder-Elemente des Implantats
1,1 mm
Knotenprofile des Knochens
Abbildung 33: Das Hexaeder-Netz des Implantats vor der Transformation.
- 77 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.3 Hexaeder-Modell
Gewindewendel des Implantats an, wobei sich die in der Abbildung erkennbare Kerbe in
das Gewindetal umwandelt.
Die Querschnitte des FE-Netzes sind so konstruiert, dass sich die Oberseite des einen
Gewindeganges über Knotenvereinigung leicht mit der Unterseite des nächsten
Gewindeganges verbinden lässt. Damit ist das Gewinde fertig vernetzt. Die HexaederElemente des Knochens wurden in der Abbildung vollständig ausgeblendet, um die Sicht
auf das Gewindetal freizugeben. Die dargestellten drei Profilebenen vermitteln jedoch
einen Eindruck über die Qualität ihrer Vernetzung.
Die Erzeugung des länglichen Hexaeder-Netzes war mit einigem Aufwand verbunden: Da
sich die Gewindetiefe des ANKYLOS®-Implantats von Element zu Element ändert,
mussten die Knoten in jeder Knotenebene neu justiert werden. Diese Aufgabe wurde mit
Hilfe von Befehlsskripten automatisiert: Die FE-Software Mentat besitzt einerseits einen
reichhaltigen Befehlsvorrat zur Erzeugung und Modifizierung von FE-Netzen und
andererseits eine Schnittstelle zu der Programmiersprache Python. Für die automatische
Generierung des länglichen Hexaeder-Netzes wurde deshalb ein Python-Programm
geschrieben, dass mit Mentat kommunizierte und ihm alle Befehle zur Netzgenerierung
diktierte. Im Anschluss an die Netzerzeugung bereitete das Python-Programm die
Kontaktanalyse vor, indem es Elemente dem richtigen Kontaktkörper zuordnete,
Kontaktknoten definierte und Regeln für die analytische Beschreibung der Kontaktoberfläche aufstellte.
Die Skriptdateien sind parametrisiert, so dass sich in gewissen Grenzen damit auch
andere Gewindegeometrien erzeugen lassen. Andererseits enthalten sie auch noch
kleinere Fehler, so dass bislang nur zweieinhalb Gewindegänge vernetzt werden
konnten.
- 78 -
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.3 Hexaeder-Modell
5.3.2 Erste Ergebnisse
Mit dem in Abbildung 33 abgebildeten Modell wurden bereits erste Rechnungen durchgeführt, wobei die folgenden Randbedingungen vorgegeben waren:
•
Alle Knoten auf der Knochenaußenseite wurden starr gelagert (Null-Verschiebung).
•
alle Knoten entlang der zentralen Röhre des Implantats wurden über ein RBE2 mit
einem Knoten verbunden, der die Implantatspitze darstellt, dieser wurde genau wie
beim Tetraeder-Modell in einzelnen Verschiebungsschritten axial verschoben.
•
Für die Knoten von Implantat und Knochen wurden nichtlineare kinematischen
Randbedingungen formuliert.
Abbildung 34 zeigt einige Elemente des Modells mit farblich kodierten Verschiebungen
und der Vergleichsdehnung.
Verschiebung in axialer Richtung (z)
Vergleichsdehnung
2000
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 µm
0
4000
Abbildung 34: Erste Simulationsergebnisse des Hexaeder-Modells.
- 79 -
6000
10000
8000
14000 18000 µε
12000
16000 20000 µε
5 Eigene Finite-Elemente-Modelle
5.3 Hexaeder-Modell
- 80 -
6 Zusammenfassung und Ausblick
Mittels einer Finite-Elemente-Analyse wurde das biomechanische Verhalten eines dentalen Einzelzahn-Implantats im hinteren Unterkieferknochen bei sofortiger funktioneller
Belastung simuliert. Dazu wurde ein dreidimensionales Finite-Elemente-Modell erstellt,
das ein Teilstück des Knochens in stark vereinfachter Form abbildet, die Geometrie des
Implantats jedoch recht detailliert widerspiegelt. Mit der Erstellung eines zweiten Modells
wurde begonnen, seine Fertigstellung ist jedoch Aufgabe einer Folgearbeit.
Die beiden Modelle unterscheiden sich in der Diskretisierung der Materie durch Finite
Elemente. Das erste Modell benutzt in kritischen Bereichen des Simulationsmodells einen
Elementtyp, der eine teilweise automatisierte Modellerstellung ermöglicht. In dem zweiten
Modell wird dagegen eine Elementtyp benutzt, der sich durch seine numerische Leistungsfähigkeit auszeichnet, der andererseits aber den Aufwand für die Modellerstellung
erhöht.
Da die Art und Weise, wie das Implantat und der Knochen miteinander in Wechselwirkung treten, den Verzerrungszustand des Knochengewebes in starker Weise beeinflusst,
wurden die Geometrien von Implantat und Implantatbett detailliert vermessen und die
gegenseitigen Kontaktflächen mit großer Sorgfalt modelliert. Die Möglichkeit lokaler
Relativbewegungen zwischen Implantat und Knochen wurde im Simulationsmodell durch
Formulierung nichtlinearer kinematischer Randbedingungen berücksichtigt.
Die Simulationsergebnisse erscheinen bei qualitativer Betrachtung plausibel, bedürfen
aber noch einer experimentellen Validierung. Der Einfluss verschiedener Materialparameter auf das Ergebnis wurde untersucht.
- 81 -
7 Verwendete Literatur
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- 85 -
Anhang A: Implantatvermessung
Die Vermessung erfolgte mit Hilfe eines Flachbettscanners Tevion MD 6228, eines
Präzisions-Strichgitters der Firma Heidenhain, einer Bildverarbeitungssoftware und des
Zeichenprogramms OpenOffice Draw.
Der Scanner hat eine maximale optische Auflösung von 2400 dpi in Scanrichtung und
1200 dpi senkrecht zur Scanrichtung. Softwaregesteuert lassen sich auch höhere Auflösungen erreichen. Es wurde in beiden Richtungen mit 2400 dpi gescannt. Bei dem Präzisions-Strichgitter handelt es sich um eine Glasplatte 85 mm x 85 mm mit aufgeprägtem
quadratischem Gitter aus Diadur®. Das Gitter hat die Maße 75 mm x 75 mm (+/- 10 µm),
einen Strichabstand von 0,5 mm (+/- 3 µm) und eine Strichbreite von 40 µm (+/- 10%).
Der Zweck eines Flachbettscanners ist die Ablichtung zweidimensionaler Gegenstände.
Das Ergebnis ist ein digitales Bild, das aus verschiedenfarbigen Pixeln1 gleicher Form
und Größe zusammengesetzt ist. Da die Pixel quadratisch sind und ihre Kantenlänge
bekannt ist (Kehrwert der Auflösung), lässt sich aus der Pixelrasterung ein kartesisches
Koordinatensystem mit den typischen Längeneinheiten des abgelichteten Gegenstands
konstruieren. In diesem Koordinatensystem lassen sich alle im Messbild erkennbaren
Längen und Winkel vermessen. Praktisch umgesetzt wurde dies durch Erstellen einer
Zeichnung mit OpenOffice Draw: Das Messbild wird in die Zeichnung eingefügt und an
die zu messenden Bildstrecken werden Bemaßungspfeile gezeichnet, wobei die Software
automatisch die Längenmaße in Millimetern berechnet und einträgt. Dabei kann die
Zeichnungsansicht so stark vergrößert werden, dass ein Scan-Pixel die Größe eines
Bildschirm-Pixels annimmt.
Auch dreidimensionale Gegenstände können mit dem oben beschriebenen Verfahren
vermessen werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass der Scanner nur für eine
bestimmte Scanebene kalibriert ist, die hier mit Dokumentenebene bezeichnet wird. (Es
handelt sich dabei um die Oberseite der Glasplatte des Scanners.) Sollen Strukturen
vermessen werden, die nicht in der Dokumentenebene, aber in einer dazu parallelen
Ebenen liegen, so muss der Scanner für die neue Scanebene rekalibriert werden.
1 Kunstwort aus dem Englischen: pixel = picture cell
- A1 -
Anhang A: Implantatvermessung
Scanrichtung
6
5
80 mm
1
2
4
3
3,0 mm
t
s
t Scantiefe
s Messstrecke auf Glasplatte
6
5
4
3
2
1
Messobjekt
Distanzstück
Messplatte
Strichgitter
Dokumentenebene
Glasplatte des Scanners
Abbildung A1: Messaufbau zur Kalibrierung des Scanners für eine Scanebene durch die Mitte des Messobjekts. Die Scanebene ist gegenüber der Dokumentenebene um die Scantiefe t parallelverschoben. Die
Zeichnung ist nicht maßstäblich.
Im Rahmen dieser Arbeit wurde zur Rekalibrierung das oben erwähnte PräzisionsStrichgitter mit einem keilförmigen Spalt auf die Glasplatte des Scanners gelegt und
abgelichtet (Abbildung A1). Aus dem so erzeugten Bild des Strichgitters läßt sich
erkennen, dass senkrecht zur Scanrichtung gerichtete Längenmaße vom Scanner desto
kürzer dargestellt werden, je größer ihr Abstand zur Dokumentenebene ist. Im Gegensatz
dazu konnte bei Längenmaßen in Scanrichtung keine dreidimensionale Abhängigkeit
festgestellt werden. Abbildung A2 zeigt sechs Ausschnitte des Bildes.
Für den Aufbau eines FE-Modells werden axiale Längsschnitte durch Implantat und
Implantatbett benötigt. Diese lassen sich näherungsweise durch Betrachtung der
jeweiligen Umrisse rekonstruieren. Deshalb wurden die Implantate und das chirurgische
Werkzeug so auf dem Scanner positioniert, dass ihre Mittelachsen parallel zur Dokumentenebene liegen. Die Rekalibrierung des Scanners erfolgte für eine zur Dokumentenebene parallele Ebene durch die jeweilige Mittelachse.
- A2 -
Anhang A: Implantatvermessung
Scanrichtung
Abbildung A2: Das Bild des Strichgitters ermöglicht die Kalibrierung
für unterschiedliche, zur Dokumentenebene parallele Scanebenen.
Dargestellt sind sechs Ausschnitte
des mit dem Messaufbau von
Abbildung A1 erzeugten Bildes.
Die beiden Kreise wurden später
eingefügt. Sie markieren beispielhaft die Endpunkte einer zur Scanrichtung senkrechten Strecke, die
zur Kalibrierung der Scantiefe
2,25 mm benutzt wurde. In dieser
Scantiefe befinden sich die zu vermessenden Strukturen eines auf
die Dokumentenebene gelegten
Implantats vom Typ B11.
- A3 -