Knutschen im Paralleluniversum

Transcrição

Knutschen im Paralleluniversum
24
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
Berlin Kultur
FREITAG, 22. JAN UAR 2016
Knutschen im Paralleluniversum
COMICAUSSTELLUNG Die Schau „SuperQueeroes. Unsere LGBTI*-Comic-Held_innen“ im Schwulen Museum
VERWEIS
Polnischer
Falco
Jemek Jemowit steht für Trash und
für White Trash, trägt Jogginghose
zur Plastiktüte und macht große
neodadaistische Kirmesmusik.
Der in Berlin lebende Exilpole ist
eine Art aus der Zeit gefallener
Falco, der in Songs wie „Das ist
Jemek (der Hit)“ ziemlich eindeutig
zu verstehen gibt, dass er der einzig
wahre technoide Rapper von Format ist. Er weiß: „Keiner kriegt ’ne
Latte/ von ’ner Jammerlappenplatte“, und deshalb macht er auch auf
seinem Album „Jemek Jemowit Is
Doktor Dres“ keine halben Sachen,
sondern beweist echte gropiusstädtische Street Credibility. Heute
Abend kann man sich um 21 Uhr
im West Germany (Skalitzer Straße)
bei der Record-Release-Party davon
überzeugen, dass der Mann es ernst
meint.
liefert Subtexte und Hintergründe zu den berühmtesten Figuren und Ikonen der Comicgeschichte
die X-Men Wolverine und Hercules knutschen bloß im Paralleluniversum. Die Ausstellung heißt im Untertitel „Unsere LGBTI*-Comic-Held_innen“
und macht schnell klar: Hier
geht es nicht bloß um Figuren
mit überirdischen Superkräften, sondern auch um harte Realität. Alltagsheld*innen. In Comics lebt LGBTIQ-Personal vor,
wie man sich gegen Heteronormativität durchsetzen kann.
Ähnliches gilt auch für die
Autor*innen dieser Bücher: Etwa
wenn die US-Zeichnerin Alison
Bechdel in „Dykes to watch out
for“ Lesben sichtbar macht. Die
Ausstellung zeigt ihre Rarität
„Fun Home“. Und Howard Cruse,
einer der ersten offen schwulen
prominenten Comiczeichner,
VON STEFAN HOCHGESAND
Was haben Batman und Robin
eigentlich getrieben, bevor man
sie im Comic so oft Morgenkaffee schlürfend gemeinsam im
Bett sieht? Viele malten es sich
aus, im Kopf, aber auch auf Papier. Die Ausstellung „SuperQueeroes“ im Schwulen Museum zeigt nun (Vorsicht: Spoiler!), wie Robin mit Superman
knutscht. Batman betrachtet
die Szene im Hintergrund voller
Groll. Okay, das ist Fan-Fiction.
Aber dafür, dass einer der beiden Mainstreamverlage, Marvel
Comics, noch in den achtziger
Jahren offiziell „No gays in the
Marvel Universe“ verordnete,
hat sich seither was getan: Der
X-Man „Northstar“ wurde 1992
geoutet und durfte 2012 schwul
heiraten. Batwoman ist lesbisch,
Catwoman bi. Hochoffiziell.
250 Exponate –
extrem ansprechend
an knallgelbe
Wände gehängt
Mehr ist mehr
BERLI N ER SZEN EN
GEN DER I N DER KITA
Mehr Nutellabart
In einer Kita im Spandauer Ortsteil Wilhelmstadt wird gerade
gefrühstückt. Die zwei Dreijährigen Felix und Noah sitzen sich
am Esstisch gegenüber, essen
Nutellabrote und reden über
eine Rangelei, die sie am Vortag hatten.
Felix sagt: „Ich habe dich geschossen.“ Noah schüttelt den
Kopf. „Ich hab’ mehr geschossen.“ Felix widerspricht. „Nein.
Ich.“ Er deutet eine Schießbewegung an und macht laut: „Bumbumbumbumbum.“ Noah lacht
lauthals, sagt: „Nein ich“. Deutet
eine stärkere Schießbewegung
an und macht doppelt so laut
„Bumbumbumbumbum.“ Fe-
Noah sagt:
„Nein, du bis’
ein Frau“
lix muss daraufhin so lachen,
dass er sich beinahe an seinem
Nutellabrot verschluckt und etwas ausspuckt. Noah sagt zu
ihm: „Nutella, da!“ Er zeigt auf
Felix’ Gesicht. Felix macht nun
einen strengen Gesichtsausdruck und sagt: „Bart. Nutellabart.“ Noah spiegelt sein Gesicht
in der vor ihm stehenden Saftkaraffe und ruft laut: „Mehr Nutellabart!“
Eine anwesende Praktikantin sagt zu den beiden: „Ich habe
auch einen Nutellabart.“ Beide
schütteln entschlossen den
Kopf. Noah sagt: „Nein, du bis’
ein Frau.“ Sie insistiert: „ Und
wenn ich trotzdem einen Nutellabart habe?“ Felix studiert ihr
Gesicht aufmerksam und überlegt einen Moment. Dann sieht
er sie streng an: „Das darfst du
nich’.“
Die beiden Jungs haben aufgegessen und rennen rüber ins
Spielzimmer. Zunächst spielen
sie beide mit einem Ball, dann
stolpert Felix über eine Babypuppe, hebt sie auf, setzt sie
in einen Puppenwagen, deckt
sie behutsam zu und fährt sie
rum. Die Praktikantin kommt
ins Spielzimmer, beobachtet
Felix eine Weile mit der Puppe
und sagt dann: „Felix, du bist ja
ein toller Puppenpapa!“
Felix sieht sie nicht einmal
an. Er lässt den Wagen sofort
stehen, sucht den Ball und rennt
schnell zu Noah.
EVA-LENA LÖRZER
All das zeigt die Ausstellung, die
(wie der Kulturwissenschaftler
Kevin Clarke aus dem siebenköpfigen Kurationsteam selbst sagt)
eine „Mehr-ist-Mehr-Schau“ geworden ist: nur ein Raum, aber
gut 250 Exponate, darunter
viele original Comicstrips, optisch trotz der Fülle extrem ansprechend gehängt und gerahmt
an knallgelben Wänden. Das attraktive Raumdesign verstärkt
die Lust, sich auf dieses Thema
einzulassen, dem sich erstmals
ein Museum in Deutschland
widmet. Schon sehr früh nach
den Stonewall Riots 1969 gab
es queere Superheld*innen, wie
die Ausstellung beweist, aber
erst mal in Independent-Verlagen. Im Mainstream tauchen sie
erst 15 Jahre später am Rande auf.
Inzwischen boomt es: Iceman,
einer der zentralen X-Men, hat
vor Kurzem gemerkt, dass er
schwul ist. In der Ausstellung
sieht man auch die brandneue
Ausgabe von „Wonder Woman“,
die von Clark Kent alias Superman begleitet wird und eine les-
Toll trieben es die alten Superhelden Batman und Robin F.: Schwules Museum
bische Trauung im Central Park
durchführt. Superman stottert.
„To us, it’s not ‚gay’ marriage,
it’s just marriage”, hält Wonder Woman dem entgegen. „Ein
Satz, der auch von Hilary Clinton stammen könnte”, sagt Kurator Clarke bester Laune. Man
sollte allerdings nicht vergessen,
dass es bei den Amazonen, deren Prinzessin Wonder Woman
ist, eben nur Frauen gibt. Das
dürfte einem potentiellen Shitstorm oft verblüffend konservativer Comicleser*innen Einhalt gebieten.
Aus Furcht vor ihnen wird
Queerness im Mainstream-Comic oft auch nur im Paralleluniversum „angetestet“: Green Lantern aus den DC Comics darf
in einer alternativen Realität
schwul sein, wohingegen er im
Hauptplot hetero bleibt. Auch
der 1995 in „Stuck Rubber Bay“
einen Pastorensohn sein Coming-out erleben lässt. Mitunter werden auch ikonographische Querverbindungen sichtbar: Tom of Finland sieht man,
die Ikone homoerotischer Illustration schlechthin. Hypermaskuline Typen aus den Sechzigern.
Als lesbisches Pendant dazu
organisierte das Team eine Leihgabe vom Leslie Lohman Museum of Gay and Lesbian Art
New York. Aus der Serie „Prison Breakout” der kanadischen
Zeichnerin G. B. Jones. Zum Kurationsteam, das sich zwischen
San Francisco, New York, BadenBaden, Stuttgart und Berlin koordinierte, gehören unter anderem: Markus Pfalzgraf, Autor
von „Stripped“ (Bruno Gmünder
Verlag) einer zweisprachige Geschichte des schwulen Comics.
Und Justin Hall, der mit „No
Straight Lines“ eines der bedeutendsten Bücher über queere Comics in Nordamerika geschrieben hat. Er ist mit „Glamazonia
– the uncanny Super-Tranny“
selbst ein prominenter Zeichner und kuratierte die weltweit
erste museale queere Comicausstellung, 2006 im Cartoon Art
Museum in San Francisco.
Dahin, wo es wehtut
Das Schwule Museum zeigt
nicht nur queeren Pride, sondern schaut auch dahin, wo es
wehtut: In den Fünfzigern gab
es in Deutschland „Schmutz
und Schund“-Kampagnen, etwa
vom katholischen Volkswartbund. Ko-Kurator Hannes Hacke erzählt von der „Schmökergrab-Aktion“ 1956, als Comics
in Deutschland verbrannt wurden. „Selbst Ralf Königs Werke
wurden in den Neunzigern teilweise noch beschlagnahmt. Da
gab es Razzien in Buchläden
und Bibliotheken“, fügt Kollege
Pfalzgraf hinzu. Die ersten zwei
Dutzend Titel, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurden, waren allesamt Comics. Obwohl asiatische Comics nur am
Rande vorkommen, machen die
Mangas Mut: Der Zeichner Gengoroh Tagame hat letztes Jahr einen von der japanischen Regierung ausgeschriebenen Preis
bekommen – für eine Familiengeschichte mit zwei Schwulen.
Das erste Mal im japanischen
Mainstreamcomic, einer Millionenindustrie. Hoffentlich doch
auch mit genug Platz für Millionen sexueller Identitäten. Die
Ausstellung im Schwulen Museum jedenfalls ist ein mal spaßiger, mal nachdenklicher, aber
stets inspirierender Kick-off. So
sehr, dass die Frage, was Batman
und Robin morgens treiben, fast
egal ist.
■■ Schwules Museum, Lützowstr.
73, Mi.–Mo. 14–18 Uhr, Sa. bis
19 Uhr, bis 26. Juni
Die Erfindung von Krautrock
KAUZ
Einst begründete der Gitarrist Michael Rother in der Band Neu! ein eigenes Genre. Am Montag spielt er in der Volksbühne
Höchste Zeit, eine Hymne auf
das Eigenbrötlerische und das
Kauzige anzustimmen. Ohne
diese charakterlichen Eigenschaften wäre die Popgeschichte
des 20. Jahrhunderts jedenfalls
um einige Kapitel ärmer. Zum
Beispiel um das Kapitel Krautrock. So lautet die bis heute gängige Genrebezeichnung des
Musikentwurfs, den Bands wie
Kraftwerk, Can, Harmonia, Neu!,
Cluster oder Tangerine Dream
in den 70ern vertraten und der
– besonders für deutsche Verhältnisse – wegweisend und visionär war.
Für die Erfindung von Krautrock brauchte es diese leicht verschrobenen, nerdigen Typen,
die die bis dato gültigen Grenzen von Komposition und Musikproduktion nicht einfach so
hinnahmen. Die mit Synthesizern und spacigen Sounds, Field
Recordings und Loops operierten und denen es zum Beispiel
schnurz war, dass ein Popsong
sich an einer zeitlichen Norm –
einer bestimmten Länge etwa –
zu orientieren hatte.
Michael Rother ist einer der
bedeutendsten Vertreter dieser
Generation, er hat sowohl bei
den frühen Kraftwerk als auch
bei Harmonia und bei Neu! mitgemischt. Das Musikverständ-
nis des Krautrock-Zirkels hat
der heute 65-Jährige in einem
De:Bug-Interview mal recht gut
auf den Punkt gebracht: „Einfach spielen. Nach vorne streben, sich am Horizont ausrichten. Nicht gucken, was links und
rechts ist. Sich nicht bremsen
lassen. Durch alle Mauern. Grenzen sprengen. Fliegen.” Eine solche Herangehensweise an das
kreative Schaffen einte ihn mit
Künstlern wie seinen ehemaligen Bandkollegen Hans-Joachim Roedelius (Harmonia),
den verstorbenen Neu!-Schlagzeuger Klaus Dinger, Jaki Liebezeit (Can) oder auch den ebenfalls verstorbenen Produzenten
dieser Bands, Conny Plank. Die
ganze Kraut-Clique eben.
Flammende Herzen
Die Auftritte Rothers sind – zumindest in Deutschland – rar,
von daher darf man gespannt
sein auf zwei Veranstaltungen,
die in den kommenden Tagen
in Berlin stattfinden. Zuvorderst
auf das Konzert am kommenden
Montag in der Volksbühne, für
das Rother Songs aus dem Repertoire seiner Bands genauso
wie Solo-Werke ankündigt. Mit
Drummer Hans Lampe ist ein
Neu!-Mitglied dabei, komplettiert wird das Trio vom Gitar-
risten Franz Bargmann, der früher bei der Berliner Band Camera spielte. Bereits einen Tag
vor dem Konzert, am Sonntag,
ist Michael Rother im Gespräch
mit dem Journalisten Max Dax
auf dem Podium im Acud macht
Neu zu sehen und zu hören.
Rother ist dabei vielleicht der
einzige aus dieser Generation,
der es früh zu wirklichen Erfolgen brachte. Zunächst nahm Rother mit Neu! und Harmonia bis
Mitte der 70er Jahre Alben wie
„Neu!“ und „Neu! 2“ sowie Harmonias „Deluxe“ auf, die später
als epochal galten, damals aber
in der Nische blieben. Songs wie
das repetitive „Deluxe (Immer
Wieder)“ von Harmonia oder
„Hallogallo“ von Neu! sollten
zu Klassikern werden und ihre
Spuren in den folgenden musikalischen Epochen wie NoWave,
Postrock oder auch im Techno
hinterlassen. Ende der Siebziger
startete Rother eine Solokarriere
und verkaufte mit seinem Debüt „Flammende Herzen“ (1977,
Soundtrack zum gleichnamigen
Film) gleich mal mehr Alben als
er je mit seinen Bands an den
Mann und an die Frau gebracht
hatte (von über 150.000 Exemplaren ist die Rede). Konstante in
seinem Solo-Werk blieben in der
Folge die nach Vorabendserie
klingenden Titel („Sterntaler“,
„Süssherz und Tiefenschärfe“,
„Traumreisen“) und ein feiner
Sinn für Ironie. Dass Rother bis
Ende der 80er zwar immer wieder Alben veröffentlichte und
für diese gefeiert wurde, aber
live nicht in Erscheinung trat,
passt gut zu den Künstlern dieser Ära, denen Startum fernlag.
In der Reihe an Bands, die
Neu! als wichtige Inspirationsquelle nennen, finden sich
Namen wie Sonic Youth, LCD
Soundsystem oder Radiohead.
Auch zu David Bowie gab es eine
gewisse Nähe, da Brian Eno sowohl mit den deutschen Avantgardisten als auch mit dem verstorbenen britischen Ausnahmekünstler kooperierte (Bowies
„Heroes“ bezieht sich übrigens
auf den Neu!-Song „Hero“).
Wer sich in aller Ausführlichkeit
dem Werk Rothers und seiner
Kompagnons widmen will, der
ist bei dem von Herbert Grönemeyer betriebenen GrönlandLabel an der richtigen Adresse.
Das Gesamtwerk von Harmonia ist dort kürzlich als VinylBox („Complete Works“) erschienen, auch von Neu! gab es einige
Reissues. Daneben ist das Hamburger Label Bureau B fleißiger
Wiederveröffentlicher des umfangreichen Kraut-Katalogs.
Rother ist übrigens weiterhin im
Weserbergland zu Hause, wo die
Band Harmonia damals als Musikkommune startete. Mitte der
70er war das, als die Käuze zueinander fanden. JENS UTHOFF
■■Michael Rother im Gespräch
mit Max Dax: 24. Januar, 19 Uhr,
Acud macht Neu, Veteranenstraße 21. Und: Michael Rother plays
Neu!, Harmonia & Solo Works:
25. Januar, Volksbühne, 20 Uhr
LOKALPRÄRI E
KONTAKTE + FREUNDE
■■Große, attraktive Genossin wünscht sich
männliches Pendant für freitags: zum Essen
gehen, reden, tanzen, herumlümmeln.
✉ Freitag, taz Kleinanz. PF 610229, 10923
Berlin
JOBS
■■Suche dringend Hilfe bei Buchhaltung.
Kompetenz wird entsprechend honoriert.
☎ 030-53650945.