Lernen braucht Zeit - Goldader Bildung eV

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Lernen braucht Zeit - Goldader Bildung eV
„Lernen braucht Zeit“
21.10.2007 16:48 Uhr
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„Lernen braucht Zeit“
Das PZ-Interview mit Pädagogin Signe Brunner-Orawsky, Leiterin der Freien
Reformschule Heidelberg
Artikel wurde erstellt von:
Dorothee Messmer
ZUR PERSON
Signe Brunner-Orawsky
Der Rohrstock und das Ziehen an den Ohren sind Vergangenheit. Moderner Unterricht setzt heute
auf pädagogische Kompetenzen jenseits reiner Wissensvermittlung und Gehorsamsübungen.
Schule kindgerecht gestalten – das wünscht sich der Verein GoldAder Bildung
und hat Signe Brunner-Orawsky, Gründerin der Freien Reformschule
Heidelberg, nach Pforzheim geholt. Mit der Pädagogin hat PZ-Redakteurin
Dorothee Messmer über die Reformschule und die pädagogischen Grundsätze
gesprochen.
Pforzheimer Zeitung: Sie haben sich vor zwei Jahren entschlossen, eine
eigene Schule ins Leben zu rufen. Was waren Ihre Beweggründe?
Signe Brunner-Orawsky: Die Gründe sind sicher biografischer Natur. Mein
ältester Sohn hat in der Schule kein ihm angemessenes Tempo, Lehrerinnen
ohne Verständnis für kindliche Bedürfnisse, Stress und Leistungsdruck erlebt.
Auf der Suche nach anderen Eltern mit solchen Erfahrungen stieß ich auf die
Aktion Humane Schule. Ich begann, mit 33 Jahren Diplom-Pädagogik zu
studieren, weil ich noch bessere Impulse für das Lernen geben wollte.
Sie hat mehrere Berufe:
Signe Brunner-Orawsky
ist ausgebildete
Krankenschwester,
Lehrerin für
Pflegeberufe und
Diplom-Pädagogin.
Außerdem hat die 39 Jährige Lernsoftware
für Mathematik
entwickelt. Die Mutter
von zwei Kindern liebt
es, in die Pilze zu
gehen, Fahrrad zu
fahren und zu
schmökern, besonders
gern Krimis.
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PZ: Und wann kam der entscheidende Impuls, eine Schule zu gründen?
Brunner-Orawsky: In meine Studienzeit fiel die große Pisa-Diskussion, und
ich fand eine Möglichkeit, Finnland zu bereisen. Wichtig ist den Kindern jeden
Tag Mut zum Lernen zu machen und jedes Kind im Lernprozess zu
unterstützen. Auf dem Rückflug beschloss ich, mit meiner Freundin eine eigene
Schule zu gründen. Acht Wochen später gab es unseren Verein LernZeitRäume.
PZ: Warum ist diese Erziehung in normalen Schulen nicht möglich?
Brunner-Orawsky: Ich denke, es wäre möglich, und einige Schulen beweisen
das auch. Es gibt motivierte und engagierte Lehrer. Alle Erwachsenen wären
meiner Meinung nach gut beraten, endlich zu begreifen, dass Lernen Zeit
braucht und das Sprichwort „Weniger ist mehr“ ins Schulrepertoire gehört.
PZ: Sie haben sich für die Struktur einer Ganztagsschule entschieden. Warum
ist es für Sie elementar, die Kinder den ganzen Tag zu betreuen?
Brunner-Orawsky: Wie gesagt, Lernen braucht Zeit. Außerdem pädagogische
Kompetenz, die den Kindern kontinuierlich zur Verfügung steht. Es darf nicht
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sein, dass Kinder Hausaufgaben nur mit elterlicher Hilfe in unverhältnismäßig
langer Zeit am Nachmittag erledigen müssen. Ein Schulsystem, das auf diese
Form setzt, um Bildungspläne zu erfüllen, ist eine Mogelpackung, denn per se
betreibt sie damit Ganztagsschule, nur eben billiger, nämlich auf Kosten der
Eltern.
PZ: Sport und Bewegung haben in Ihrem Stundenplan einen festen
Bestandteil. Warum?
Brunner-Orawsky: Unsere Schule hat im Fokus, dass Lernen gesund sein
muss. Dafür brauchen Kinder Zeit und Raum, aber vor allem auch Bewegung.
Mit ausreichend körperlicher Bewegung und entsprechenden
Bewegungsmöglichkeiten ist das Gehirn auch bei kognitiven Herausforderungen
in Schwung. Hinzu kommt, dass in sportlicher Auseinandersetzung eine Menge
sozialer Kompetenzen entwickelt werden.
PZ: Was unterscheidet Ihren Unterricht von anderen Grundschulen?
Brunner-Orawsky: Unsere Kinder lernen sehr selbstständig in großen Phasen
Freier Arbeit. Die Kinder entscheiden, wann sie sich mit welchen Fragen
auseinandersetzen wollen. Kinder brauchen Erfahrungen durch praktisches
Handeln. Wir haben eine Holzwerkstatt und bald eine Schuldruckerei,
außerdem Echsen und Fische, die die Kinder pflegen.
PZ: Sie setzen sich dafür ein, dass die Kinder Englisch lernen, warum?
Brunner-Orawsky: Englisch ist Pflichtfach. Aber Kinder sind in der
Kindergarten- und Grundschulzeit auch neugieriger als jemals später wieder.
Wir haben deshalb einen Muttersprachler, der mit den Kindern ganz andere
Dinge als Unterricht macht: Er backt und kocht mit ihnen, er spielt und ist
authentisch – er lebt das Englisch.
PZ: Sie unterrichten die Schüler jahrgangsübergreifende. Welche Erfahrungen
haben Sie gemacht?
Brunner-Orawsky: Durchweg gute! Die Chance der Jahrgangsmischung
haben wir sehr schnell in der Praxis als positive Wirkung erlebt. Die Gruppe der
Jüngeren erhält Reibungsmöglichkeiten, schneller in einigen
Kompetenzbereichen voranschreiten. Die älteren Kinder wachsen daran, für die
Jüngeren Verantwortung zu übernehmen. Unsere Kinder haben einen Satz sehr
verinnerlicht: „Jeder gibt sein Bestes“.
PZ: Stimmt es, dass Ihre Schüler keine Klassenarbeiten schreiben müssen und
keine Noten erhalten? Wie bewerten Sie die Leistung der Kinder dann?
Brunner-Orawsky: Tatsächlich schreiben unsere Kinder keine Arbeiten im
Sinne einer Klassenarbeit, in der zur gleichen Zeit alle Kinder das Gleiche
gefragt werden. Wir orientieren das Kind an sich selbst. Wir beobachten ihre
Fortschritte und motivieren sie, wenn nötig, zum nächsten Schritt. Durch das
Üben von Selbstreflexion können Kinder sehr konkrete Aussagen darüber
machen, was an einer Arbeit gelungen ist oder was zu verbessern wäre.
Zweimal im Jahr erstellen die Kinder eine Portfoliomappe, die ausgewählte
Arbeiten und ihre Gedanken dazu enthält. Am Ende des Schuljahres erhalten
die Kinder und Eltern einen Bericht, der die wesentlichen Lernphasen
zusammenfasst.
PZ:Sie integrieren Kinder mit Behinderungen in Ihrer Schule. Welche
Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Brunner-Orawsky: Seit Beginn der Schule integrieren wir Kinder mit
Handicaps. Sie sind mit der Zeit zu einer Gruppe zusammengewachsen, die
keinen dauerhaft ausschließt. Die Unterstützung der Kinder mit Handicaps
wurde für einige Kinder schnell zur Selbstverständlichkeit.
PZ: Nun kann ja nicht jeder eine Reformschule gründen. Welche Tipps würden
Sie Eltern für den normalen Schulalltag geben wollen?
Brunner-Orawsky: Die Gründung von Reformschulen tut unserer Gesellschaft
derzeit gut, meine ich. Sie scheinen einer der Wege zu sein, dass sich auch in
öffentlicher Schule etwas regt, das Eltern zu hinterfragen beginnen. Ich bin
überzeugt, dass nur durch Elternmitwirkung Schule verändert werden kann.
PZ: Was wünschen Sie sich von Eltern?
Brunner-Orawsky: Sie sollten Lehrer unterstützen, die andere Wege gehen
wollen. Sie sind gefordert, wenn es heißt, dem Lernen Zeit zu geben. Eltern
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sitzen an einem wichtigen Hebel. Es ist der, der Druck macht oder Druck
herausnimmt. Ich glaube, dass es ein guter Weg ist, den Prozess des Lernens
gelassen zu begleiten. Wenn Schule das notwendige Lob nicht schafft, dann
brauchen Kinder Eltern, die hinter ihnen stehen und gelegentlich auch
energisch dafür eintreten, dass ihr Kind Wertschätzung auch in der Schule
erfährt. Denn ein Kind ist überall Kind, auch in der Schule.
INFO
Vortrag über Reformschule
Der Verein „GoldAder Bildung“ veranstaltet am Donnerstag, 26. April, von 20
bis 22 Uhr im vhs-Haus einen Vortrag mit Signe Brunner-Orawsky. Die
Gründerin der Freien Reformschule Heidelberg wird Konzept und Alltag der
Reformschule vorstellen. Der Eintritt beträgt fünf Euro.
Erstellt am: 25.04.2007
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