Frauenrechte im Menschenrechtsdiskurs (pdf, 24 S.)

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Frauenrechte im Menschenrechtsdiskurs (pdf, 24 S.)
Unrecht zur Sprache bringen –
Frauenrechte im Menschenrechtsdiskurs
‚Human Rights Lecture’ von Prof. Dr. Ute Gerhard, em., Soziologin und Direktorin im
Cornelia Goethe Centrum für Frauenstudien und Geschlechterverhältnisse
im
Deutschen Institut für Menschenrechte, Berlin
am 3. März 2005
Das ‚Jahrbuch Menschenrechte 2005’ mit dem Schwerpunkt ‚Frauenrechte
durchsetzen!’ führt es uns noch einmal eindrücklich vor Augen: Die Durchsetzung der
Menschenrechte von Frauen ist in vielfacher Hinsicht ungesichert, kompliziert und
völlig unzureichend. Zugleich lernen wir aus der Vielfalt der Expertisen, Berichte und
der darin dokumentierten Initiativen, wie notwendig das Reden und die öffentliche
Debatte über Menschenrechte, über ihre Bedeutung und die Tatbestände ihrer
Verletzung sind. Das heißt, der Diskurs über Menschenrechte ist wesentlicher Teil
einer Menschenrechtspolitik. Dabei geht es nicht ums Reden um des Redens willen,
vielmehr um den Austausch von Erfahrungen und die Veröffentlichung von
Erkenntnissen, die bewusst machen und zu politischem Handeln, zu politischer
Einmischung anleiten und befähigen sollen. Dies hört sich möglicherweise allzu
selbstverständlich an, erst recht im Kontext eines Menschenrechtsinstituts, das diese
Politik betreibt. Doch was ich meine und worum es mir gerade auch im Blick auf die
nicht verwirklichten Frauenrechte geht, möchte ich an einem aktuellen Beispiel
verdeutlichen.
Eine Freundin, die im Fall der am 11. Februar dieses Jahres zur Abschiebung
bestimmten Iranerin Zahra Kameli einen der zahlreichen Briefe an die
verantwortlichen Politiker in Bund und Land geschrieben und damit schließlich ein
Bleiberecht erwirkt hat, erzählte mir, was für sie der Auslöser war, sich angesichts
der alltäglichen Lektüren und Informationen über das Elend der Welt zu Wort zu
melden. Um einen Brief zu schreiben, der ja nur gemeinsam mit vielen anderen
Protesten und Aktionen von Abschiebegegnern, nicht zuletzt der Weigerung eines
couragierten Piloten, in diesem Fall zum Überdenken und zur Revision der
Entscheidung geführt hat, bedarf es auch bei politisch engagierten Leuten eines
Anstoßes: Erst im Gespräch mit anderen war ihr klar geworden, was sie empfunden
hatte, jedoch nicht so deutlich aussprechen konnte: dass die drohende Abschiebung
ein „himmelschreiendes Unrecht“ sei. „Himmelschreiend“ ist erst einmal Ausdruck
einer Empörung, aber es muss mehr hinzukommen, um etwas als ‚nicht in Ordnung’,
als Unrechtstatbestand zu identifizieren. Es muss eine mitteilbare Einsicht und damit
auch ein Wissen bzw. einen Maßstab dafür geben, was Recht bzw. Unrecht ist. Zu
diesem Maßstab und dieser unaufgebbaren Einsicht verhelfen uns die
Internationalen Abkommen, Erklärungen und Verfahren im Bereich der
Menschenrechte, die – darauf weist Heiner Bielefeld zu Recht immer wieder hin –
nicht nur ein humanitärer Appell, eine „religion civile“ (B.Tibi ) sind, sondern kraft ihrer
Verankerung in internationalen Verträgen einen politisch-rechtlichen Geltungsgrund
haben (Bielefeldt 2003, 126).
Nebenbemerkung: Ich habe in diesem konkreten Fall eigentlich nicht verstanden,
warum in Bezug auf Zahra Kameli von einer Härtefallregelung oder „Gnade vor
Recht“ die Rede war, schließlich war die Betroffene, weil aus einer erzwungenen Ehe
geflohen, mit der Abschiebung vom Tod bedroht. Da das Zuwanderungsgesetz seit
dem 1. Januar 2005 nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung als
Asylgrund anerkennt, hätte doch hier bereits das positive staatliche Recht zur
Verhinderung der Abschiebung gegriffen. Es stellt sich somit die Frage, warum
eigentlich nicht.
Nun kommen die Menschenrechte nicht nur oder erst ins Spiel, wenn staatliches
positives Recht versagt. Damit wäre ihre Bedeutung unterschätzt. Zum einen gründet
sich die Geltung der Menschenrechte, wie sie als Katalog von fundamentalen und
unveräußerlichen Rechten in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der
Vereinten Nationen von 1948 formuliert sind und im weiteren in der Europäischen
Menschenrechtskonvention von 1950 und in den Konventionen und internationalen
Pakten weiter entwickelt und konkretisiert wurden, auf diese internationalen
Vereinbarungen. Sie sind damit klar formulierter Teil des Völkerrechts, die nicht
immer erst über die Einzelstaaten zu verwirklichen bzw. wieder herzustellen sind,
sondern auch innerstaatlich unmittelbar gelten können (sog. self-executing
treaties,(vgl. Riedel 1989). Zum anderen sind sie im Grundgesetz der BRD, in
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Zukunft auch in der Europäischen Verfassung, zum Teil als einklagbare Grundrechte
verankert und müssen darüber hinaus mit dem Bekenntnis zu ihrer Anerkennung in
Art. 1 Abs.2 Grundgesetz auch in jedem einzelnen Rechtsfall als Richtschnur der
Auslegung dienen. Das heißt aber auch, sie kommen oft erst dadurch zur Geltung,
dass sie in Anspruch genommen werden. Und hierin liegt eine Schwierigkeit. Denn
die Menschenrechte sagen uns nicht einfach und für alle Zeiten, was richtig oder
ungerecht ist, sie sind vielmehr ein dynamisches, auf Kommunikation und das ‚Zur
Sprache bringen’ von Unrecht ausgelegtes und angewiesenes Konzept. Sie
fungieren als ein „kritisches Prinzip“ (Bielefeldt 2003), das in der Auseinandersetzung
um Gleichheit und Freiheit jedes und jeder Einzelnen zum Schutz der
‚unverletzlichen’ und ‚unveräußerlichen’ Würde des Menschen nicht nur eine
Richtung angibt, sondern eine normative Festlegung vornimmt.
In der Kontroverse zwischen den Skeptikern einer Menschenrechtspolitik, die diese
lediglich für Rhetorik halten, und denjenigen, die auf Realisierung drängen und an
ihrer Wirkungsmächtigkeit arbeiten, möchte ich die unverzichtbare Funktion der
Menschenrechte als Sprachrohr und Medium der Verständigung betonen. Denn sie
verleihen denjenigen eine Stimme, die Unrecht erfahren haben. Die Menschenrechte
als Instanz des Sprechens wäre mein erster Punkt. Zweitens möchte ich anhand
empirischer Untersuchungen begründen, warum gerade die Unrechtserfahrungen
von Frauen so schwer thematisierbar sind, um drittens die politischen Vorbehalte
und die besonderen Schwierigkeiten der Sicherung von Frauenrechten als
Menschenrechten zu diskutieren. Im vierten Abschnitt werden die neuen
Akteurinnen im Menschenrechtsdiskurs vorgestellt, die seit dem Beginn der 1990er
einen bedeutsamen Beitrag zu einer Menschenrechtspolitik leisten. Zum Schluss
wird mit Blick auf die Strategien einer feministischen Rechtskritik noch einmal die
ermächtigende Funktion der Menschenrechte als Redeweise und als Politik
herausgestellt.
1. Die Menschenrechte als „Instanz des Sprechens“
Diese Kennzeichnung habe ich von Cornelia Visman übernommen (Vismann 1996;
1998). Obwohl es mir nicht um eine Bestätigung oder ein Ausweichen in
diskurstheoretische Überlegungen geht und ich auch postmoderne
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Schlussfolgerungen über die „historisch begrenzte Reichweite der Menschenrechte“
(„weil der Mensch, die Verletzung und der Verletzer ihre Eindeutigkeit verloren
haben“ 1996, 335) entschiedener verneinen möchte, verdeutlicht Visman am Beispiel
der Französischen ‚Déclaration des droits de l’homme’, wie dieser Text gerade auch
in seiner universellen Fassung - als Katalog von Menschenrechten und nicht nur von
Staatbürgerrechten – durch die Form seiner Erklärung Wirksamkeit und eine eigene
Wirklichkeit entfaltet. Die Juristen sprechen in diesem Zusammenhang auch vom
‚Eigenleben’ des Rechts. Die Menschenrechte geben – so Visman - ein Rederecht
(auch oder gerade) da, wo die Gesetzgeber versagen. Die paradoxe Situation, dass
dieser vor- oder übergesetzliche Text quasi die nationale Gesetzgebung
überschreitet und damit ein partieller Souveränitätsverzicht des Staates zugunsten
„des Menschen“ stattfindet, verbürgt somit „eine Praxis des Redens jenseits des
(geltenden, positiven) Rechts“ (ebda.1996, 325). Dadurch dass auch in die
französische Menschenrechtserklärung bestimmte Erfahrungen der Menschen und
zwar Unrechts- und Unterdrückungserfahrungen als Argument für ein anderes,
‚richtigeres’ Recht eingegangen sind, stellen sie von da an eine Sprache zur
Verfügung, um bestimmte Erfahrungen als Unrechtserfahrungen zu definieren. Sie
ermöglichen also über Erfahrungen mit Recht zu sprechen, auch wenn es bisher
nicht Recht ist, d.h. entweder nicht kodifiziert ist oder nicht eingehalten wird.
Darüber hinaus sind die Menschenrechte – wie dies ist in der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen 1948 in der Präambel explizit
angesprochen wird – immer auch eine Reaktion auf spezielle historische
Erfahrungen, in diesem Fall auf die „Akte der Barbarei“, die ausgelöst durch den
Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg „das Gewissen der Menschheit tief
verletzt haben“. Als „Antworten auf historisch konkrete Unrechtserfahrungen“
(Bielefeldt\Schwartländer 1992) gehen in ihre Ausformulierung Unrechtstatbestände
ein, die durchaus an eine bestimmte Zeit und Kontexte gebunden sind. Damit aber
stellt sich die Frage, ob mit den bisherigen Redeweisen und Unrechtstatbeständen
tatsächlich alle denkbaren oder künftigen auch Unrechtserfahrungen erfassbar und
erfasst sind? Hat nicht schon zwei Jahre nach der ‚allgemeinen’ französischen
Deklaration die Französin Olympe de Gouges 1791 mit ihrer „Erklärung der Rechte
der Frau und Bürgerin“ die geschlechtsspezifische Begrenztheit der männlichen
Fassung und „die Unkenntnis, das Vergessen und die Missachtung der Rechte der
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Frauen“ paradigmatisch für allen anderen Auslassungen und Differenzen gerügt?
(Gerhard 1990a, 49f. u. 264) Der Vorwurf des Androzentrismus sowie
Eurozentrismus begleitet seither den Menschenrechtsdiskurs, ebenso wie die sich
fortsetzende Kritik am nicht eingelösten Universalismus der Menschenrechte, die
sich im Blick auf andere Differenzen, Klassen, Klassifizierungen, Völker und Kulturen
entzündet und neuer, angemessener und historisch konkreter Antworten bedarf.
Eine unter anderen Antworten auf die Zweifel am Universalismus der
Menschenrechte ist der Hinweis auf den fundamentalen oder exemplarischen
Charakter der so benannten Unrechtserfahrungen (Brugger 1992), wonach in den
klassischen Menschenrechtskatalogen ein „Kern“ von elementaren Rechten
formuliert ist, „ohne den niemand seiner selbst als Person gewahr werden kann.“
(Honneth 1992, 148ff) Welche Rechte im einzelnen dazu gehören, z.B. das Recht, in
Rechtsverhältnissen zu leben oder überhaupt, Rechte zu haben (Arendt 1981), das
"Recht auf Unantastbarbeit des menschlichen Lebens" oder der klassische Katalog
von Freiheitsrechten, die je nachdem als "Basisbedürfnisse" oder "natürliche und
gesellschaftliche Grundgüter" (Rawls 1991, 83) gekennzeichnet werden, das genau
ist nicht nur aus der Geschlechterperspektive, sondern auch im interkulturellen
Dialog immer wieder strittig.
2. Warum die Unrechtserfahrungen von Frauen nicht zur Sprache kommen
Der Vorwurf des Androzentrismus der Menschenrechte wie des Rechts überhaupt
kommt nicht nur darin zum Ausdruck, dass die Gesetze und Rechtsformulierungen
vorwiegend von Männern gemacht und erdacht sind. Männliche
Voreingenommenheit und Dominanz zeigt sich vor allem darin, dass auch die
anscheinend allgemein und geschlechtsneutral formulierten Rechtstatbestände die
besonderen und häufigsten Beschädigungen und Verletzungen der Würde, der
Selbstbestimmung und der körperlichen Unversehrtheit von Frauen sowie ihren
Ausschluss aus der Öffentlichkeit und die Behinderung ihrer Lebenschancen nicht
erfassen. Der Grund liegt darin, dass sie nicht staatlicher Gewalt, sondern der
Privatsphäre zugerechnet werden oder gar dem Schutz der Familie dienen. Insofern
ist die Anerkennung geschlechtsspezifischer Gewalt als Menschenrechtsverletzung
durch die Vereinten Nationen (UN), die Einsetzung einer Sonderberichterstatterin zu
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diesem Tatbestand sowie die Anerkennung sexueller Gewalt als Verbrechen im
Völkerrecht (vgl. Follmar-Otto 2004) ein Durchbruch, der sich weltweiten
frauenpolitischen Initiativen verdankt und nicht hoch genug eingeschätzt werden
kann. Doch es bleibt eine systematische Barriere zwischen öffentlichem und privatem
Recht, die die normative Struktur des Menschenrechtsschutzes bestimmt und den
Schutz vor Gewalt grundsätzlich der Umsetzung bzw. der Duldung durch die Staaten
überlässt.
Die Unrechtserfahrungen von Frauen sind daher zur Kennzeichnung von
Menschenrechten aus der Geschlechterperspektive in besonderer Weise zu
berücksichtigen. Dabei bedarf der Begriff ‚Unrechtserfahrungen’ als Kompositum aus
zwei Konzepten einer kurzen Erläuterung. Da ist einmal der Begriff des Rechts der
im Deutschen bedeutungsschwer drei Ebenen meinen kann. Und ich halte mich da
an Kant mit seiner Antwort auf die Frage „Was ist Recht?“, die, wie er meint, „selbst
einen Rechtsgelehrten in Verlegenheit setzen würde“. (Kant 1968, 336; 1922). Denn
Recht ist nicht nur das, „was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer
gewissen Zeit sagen oder gesagt haben“ (ebda), das sog. positive Recht, auch nicht
nur die praktische Rechtsanwendung oder die Empirie oder Rechtstatsachen,
sondern es enthält immer auch die Vorstellung davon, wie die Beziehungen
zwischen Personen aussehen sollten, die Vorstellung über ‚richtiges’ Recht.
Ebenso komplex ist der Begriff der Erfahrung. Es ist eine Form des Wissenserwerbs
und durchaus zu unterscheiden von bloßem Empfinden oder Empörung. Im
Deutschen verweist er in dem Wort des „Erfahrens, Fahrens“ zugleich explizit auf die
Art und Weise des Wissenserwerbs, das Kennen lernen durch sich Fortbewegen,
Reisen, heute vor allem durch eine grenzüberschreitende Kommunikation. Immer hat
die Bezugnahme auf Erfahrung auch als eine kritische Referenz gegenüber
Bestehendem oder Vorwissen gedient, so auch das für die neuzeitlichen
Wissenschaften maßgebliche Konzept der nach bestimmten Regeln beobachtbaren
und mitteilbaren Erkenntnis und Empirie. Kant hat darauf aufmerksam gemacht, dass
ebenso wie ‚Realität’ keine unabhängig von den menschlichen Erkenntnisleistungen
zugängliche Gegenstandswelt ‚an sich’ ist, Erfahrung an Begrifflichkeiten und VorUrteile geknüpft ist (Kambartel 1972, 615). Gleichwohl ist Erfahrung eine ‚Methode
der Aufklärung’ und kann angesichts je unterschiedlicher Erfahrungen als Prüfinstanz
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dienen. In dieser Weise hat die Berufung auf Erfahrungen auch in der Geschichte
und Politik sozialer Bewegungen eine wichtige Rolle gespielt. Sie galt z.B. in den
Anfängen der neuen Frauenbewegung als „praktische Methode“ der
Bewusstseinsbildung und zugleich als politische Strategie der Veränderung, die in
vielen neu gebildeten Frauengruppen geübt wurde, um die gesellschaftliche und
politische Bedeutung der eigenen individuellen Erfahrung zu erkennen und öffentlich
zu machen. Selbst-Erfahrung, dieser spezifisch deutsche Terminus zeigt damit die
Vermitteltheit von individuellen und kollektiven Lernprozessen auf (Gerhard 2001).
Halten wir fest: In jedem Fall ist die Möglichkeit, Erfahrungen als Unrecht zu
definieren, an bestimmte Voraussetzungen, vor allem an die Möglichkeit zu sprechen
und sich mitzuteilen gebunden, sie ist kein sich von selbst herstellender Lernprozess.
Erfahrungen sind in die Geschichtlichkeit des Wissens und den gesellschaftlichen
bestimmte Vorstellungen und Erwartungen, Diskurse und die Möglichkeit, an ihnen
teilzuhaben, eingebettet. Unrechtserfahrung ist somit mehr als ein
Unrechtsempfinden oder anderes als Empörung, denn sie setzt bereits Vorstellungen
über Recht und Gerechtigkeit voraus. Es ist Wissen und Meinen über Recht bzw.
Unrecht von einem bestimmten Ort aus, also als gesellschaftlich vermittelte
Erfahrung zeit- und kontextgebunden.
Aus einem empirischen Projekt über Durchsetzungschancen gleichen Rechts für
Frauen, das der Entstehung von Rechtsbewusstsein auf der Spur war, habe ich an
Hand von Interviews und Gruppengesprächen gelernt, wie sehr gerade Frauen in
ihrem Alltag sich gegen die Wahrnehmung von Unrecht und die Infragestellung ihrer
Situation wehren (Gerhard 1984; vgl. auch Lautmann 1980). Da Alltagserfahrungen
und das sog. Alltagsbewusstsein im gewöhnlichen Lebensablauf eine wichtige
Orientierungsfunktion haben und uns als Routinen in der Kommunikation und in
alltäglichen Handeln auch entlasten, gibt es eine Sperre gegenüber der eigenen
"bewussten Erfahrung", gegen die Infragestellung des Gewohnten. Wie ethnomethodologische Studien zur die Empirie des Alltagsbewusstseins belegen
(Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1973; Leithäuser et al. 1977) oder
soziologische Untersuchungen über die Arbeitszufriedenheit der Arbeiter
(Negt\Kluge 1977) oder über die Zufriedenheit der Hausfrauen (Pross 1977) gezeigt
haben, würde das Eingeständnis der Unzufriedenheit die alltäglich und mühsam
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hergestellte Balance zwischen Selbstbild und Erwartungsdruck stören. Es bedarf in
der Regel eines zusätzlichen Momentes, einer Störung der Alltäglichkeit, um
Widerstand gegen eine allzu alltägliche Ungerechtigkeit zu mobilisieren. Oftmals
gelingt es erst, wenn die Lebenssituation und der gesellschaftliche Zusammenhang,
in dem man steht, problematisch wird oder sich ändert, "in Krisensituationen, in
denen die routinemäßig praktizierten Handlungsmuster ihren altgewohnten Erfolg
versagen"(Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1973, 22) oder wenn
nicht zuletzt
im Prozess sog. Globalisierung, der Migration und durch die Medien ermöglichter
weltweiter Kommunikationen über lokale Grenzen hinweg
neue Standards und
Vergleichbarkeit hergestellt werden. Dann ist die Wahrscheinlichkeit größer,
bisherige Gewohnheiten, Selbstverständlichkeiten und kulturelle Praktiken in Frage
zu stellen. In neuen Lebenswirklichkeiten und gesellschaftlichen Umbrüchen besteht
die Chance zur Thematisierung des Erfahrenen als Unrecht oder ungerecht im
Verhältnis zu anderen.
In der erwähnten Untersuchung zum Rechts- bzw. Unrechtsbewusstsein, das
empirisch bei den Diskriminierungserfahrungen von Frauen bei der Arbeitssuche
oder im Scheidungsprozess ansetzte, ging es darum herauszufinden, wann oder
warum sich Frauen auf ihr Recht besinnen und zum Bruch mit dem Gewohnten, in
der Regel mit den Zumutungen der traditionellen Frauenrolle bereit sind. Neben den
dramatischen Lebenskrisen, die etwa durch Arbeitslosigkeit oder das Ende einer
Beziehung ausgelöst werden, kann der Akt der Selbstbehauptung oder die
Weigerung, Bevormundung, Gewalt oder Unterdrückung weiter zu dulden, sich auch
allmählich einschleichen. Es gibt dann einen „Knacks“, wie die Frauen sagten, wenn
„das Maß voll ist.“ (Gerhard 1990a, 196ff.) Immer ist dieser Bruch mit dem bisherigen
Zustand ein selbstbewusster, oft schmerzlicher Akt, der das Aufkündigen eines
Arrangements, oft des typischen, arbeitsteiligen und hierarchischen
Geschlechterarrangements bedeutet, der auch „Friedens in der Ehe“ bezeichnet
wird, weil er neben der gewohnten Abhängigkeit auch ein Stück Sicherheit enthielt.
Um wie viel schwieriger ist dieser Schritt in Situationen völliger Rechtlosigkeit oder
Abhängigkeit als Migrantin, Asylbewerberin, Opfer von Verbrechen in einem fremden
Land!
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In einem ganz anderen kulturellen Kontext hat Juliane Ströbele-Gregor diesen
Prozess des Gewahrwerdens von Recht und Unrecht am Beispiel der Erfahrungen
von häuslicher Gewalt gegen Frauen in traditionellen Dorfgemeinschaften der Anden
(Peru) untersucht. Zu diesem Gewahrwerden tragen verschiedene Einflüsse bei, so
wenn die Situation von Frauen in der Familie durch Fraueninitiativen, einer
Frauenbewegung, auch auf nationaler Ebene zum Thema gemacht wird. Aber auch
die international geführte Menschenrechts- und Frauenrechtsdebatte trägt zu
verändertem Rechtsbewusstsein bei. Ströbele-Gregor beschreibt die Reaktionen der
Frauen auf physische und psychische Gewalterfahrungen als einen Lernprozess, der
in mehreren Stufen erfolgen kann: In einer konkreten Situation, nachdem Frauen
durch Medien oder Migration, aber auch durch gesamtgesellschaftliche
Transformationsprozesse oder Umbrüche Zugang zu Wissen, Medien, neue
Handlungsmöglichkeiten erhalten, aber auch Verunsicherung erfahren, ist der erste
Schritt ein Unrechtsempfinden. Es ist zumeist noch gepaart mit Hilflosigkeit, Scham
oder Selbstverachtung. Unrechtsbewusstsein aber drückt sich bereits darin aus, dass
eine Frau jemand anderen, Nachbarn, Eltern oder Freunde über ihr Leid informiert
und damit Hilfe und Schutz sucht. In solchem darüber Reden festigt sich die
Überzeugung, dass die spezifische Gewaltanwendung nicht legitim ist, auch wenn
sie noch nicht sanktioniert wird. Rechtsdenken und Rechtshandeln kommen
schließlich in der Veröffentlichung der Unrechtserfahrungen zum Ausdruck und
werden in der Form einer öffentlichen Anklage manifest (Ströbele-Gregor 1998).
Die Wahrnehmung und Thematisierbarkeit elementarer Unrechtserfahrungen von
Frauen als Menschenrechtsverletzungen - so mein Resümee aus den theoretischen
wie historisch-empirischen Erkentnissen (vgl. auch Gerhard 1999) - ist vor allem
deshalb so schwierig, weil die Zurücksetzung, Bevormundung, Entwürdigung der
Frauen, die Verletzung ihrer körperlichen Integrität sowie ihre Nichtanerkennung als
Gleiche oder Träger von Rechten in vielen, fast allen Kulturen selbstverständlicher
Bestandteil des Geschlechterarrangements und damit der Frauenrolle sind. Kulturelle
Traditionen, Gewohnheiten und Alltagsroutinen nehmen diesem Unrecht
anscheinend die Gewalt. Dabei gibt es auffällige Gemeinsamkeiten bei den Leid- und
Unrechtserfahrungen von Frauen. Ihre besondere Verwundbarkeit liegt in einer
kulturell legitimierten Nähe von Liebe und sexueller Gewalt und beruht auf einer
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, in der Frauen 'Arbeit aus Liebe - Liebe als
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Arbeit' verschenken (vgl. Bock/Duden 1976) Die Inanspruchnahme von Rechten in
dieser Situation, ist oft nicht nur praktisch unmöglich, sie widerspricht auch der
Einübung in diese Rollen sowie dem Bild weiblicher Identität und setzt - so
empfinden es die Beteiligten - schließlich die menschlichen Beziehungen aufs Spiel.
3. Die politischen Vorbehalte und die besonderen Schwierigkeiten, Frauenrechte als
Menschenrechte zu sichern
Wie zentral solch eine ‚Ordnung’ der Geschlechterverhältnisse, nicht nur als
strukturelle Ungleichheit sondern vor allem auch als symbolische Ordnung, für den
gesellschaftlichen Zusammenhalt ist, wird daran deutlich, welche Bedeutung sie in
Prozessen gesellschaftlichen und kulturellen Wandels bekommen und wie sie unter
dem Vorwand des besonderen Schutzes der Moral oder der weiblichen Ehre
verteidigt werden. Der Ausbruch aus der traditionellen Frauenrolle, z.B. die
Verweigerung einer Zwangsheirat oder eines Heiratsarrangements, verletzt die Ehre
der ganzen Familie, wie die erst in jüngster Zeit in der bundesrepublikanischen
Öffentlichkeit bekannt gewordenen ‚Ehrenmorde’ belegen. Wie ist es möglich, dass
zum Schutz der ‚Familienehre’ Frauen von den eigenen Familienangehörigen
ermordet werden? Der „Kampf um die Frauen“ – so Renate Kreile (Kreile 1997) –
spielt deshalb in den machtpolitischen Auseinandersetzungen für die islamischen
Gesellschaften eine so große Rolle, weil Frauen als Hüterinnen der Moral ein
konstitutives Element der politischen und kulturellen Identität dieser Gesellschaften in
der Gegenwart sind. Danach ist die islamistische Geschlechterpolitik Ausdruck einer
moralischen und politischen Krise und ein Versuch ihrer Bewältigung.
Der Blick vor die eigene Haustür zeigt jedoch, wie wenig die Instrumentalisierung der
Frauenfrage ein singulärer oder islamspezifischer Vorgang ist. Denn auch in Europa
ist die Geschichte verhinderter Gleichberechtigung der Frauen noch nicht
abgeschlossen, erinnern die Vorbehalte und dogmatischen Einwände insbesondere
von Seiten der Theologen und Juristen an jahrhundertlange Kämpfe und erst
kurzfristig errungene rechtsförmige Kompromisse, die die faktische Benachteiligung
von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen bis heute nicht haben überwinden
können. Auffällig und verblüffend sind daher die Analogien in den Begründungen,
die von islamischen wie europäischen Apologeten – und vermutlich nicht nur von
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diesen – für die Ungleichheit der Geschlechter vorgebracht werden. Gleichviel ob die
Geschlechterdifferenz als gottgewollt oder mit der menschlichen Natur begründet
wird, in jedem Fall gilt sie als Rechtfertigung für die mindere Rechtsstellung der
Frauen, ihren Ausschluss von Rechten oder noch grundsätzlicher, für die
Behauptung ihrer Unfähigkeit, Träger von Rechten, Rechtssubjekt zu sein. Da die
Frau über ihre Aufgaben in der Familie definiert wird, ist die Beschränkung ihrer
Rechte insbesondere im Familienrecht normiert, erwies sich das 'moderne'
Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), mit seinem Familienrechtsteil 1900 verabschiedet,
(Gerhard 1978) wie auch das islamische, neo-traditional reformierte Familienrecht
(vgl. Mir-Hosseini 2003) immer wieder als Sonderrecht für Frauen oder – wie es
auch von bürgerlichen Rechtstheoretikern schließlich kritisch gekennzeichnet wurde
– als "Enklave ungleichen Rechts" (Grimm 1987)
Dass Frauen unter dem Vorwand des Schutzes von Sitte, Religion und Moral in
besonderer Weise Unrecht erfahren und in eine Abhängigkeit geraten, die dem
Postulat der gleichen Freiheit aller Menschen so diametral widerspricht, ist somit ein
Kennzeichen aller patriarchalischen Gesellschaften. Deren tragende Struktur ist die
Unterordnung, Bevormundung, Fügsamkeit der Frauen, die mit Hilfe einer
hierarchischen Form der Arbeitsteilung und mit der Gewaltförmigkeit der sexuellen
Beziehungen durchgesetzt wird. Weil die Gestaltung dieser Beziehungen fest
verankert ist in der Alltagswelt und zugleich mit religiösen Vorschriften oder
kulturellen Traditionen begründet wird, gerät sie entweder zur gottgewollten Natur
oder Bestimmung der Frau, ist sie fest gefügter Bestandteil einer
Geschlechterordnung, die zugleich Gesellschaftsordnung ist.
Mit welcher Macht und wie einmütig von Vertretern durchaus unterschiedlicher
Kulturen und Religionen diese patriarchalische Geschlechterordnung immer noch
verteidigt wird, kommt schließlich in den Schwierigkeiten zum Ausdruck, denen die
CEDAW -Konvention aktuell in ihrer Umsetzung begegnet. Tatsächlich gilt CEDAW
(die Konvention über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau) als
ein Meilenstein in der Entwicklung des Menschenrechtsschutzes für Frauen. Die
1979 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen vereinbarte Konvention,
die in ihren 30 Artikeln in verbindlicher Form international anerkannte Grundsätze
und Maßnahmen für die Gleichberechtigung der Frau in allen Bereichen sowohl
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politischer, bürgerlicher als auch wirtschaftlicher, sozialer und kultureller
Menschenrechte festlegt, ist bis 2004 von 177 Staaten ratifiziert worden. Jedoch –
dies genau entspricht der systematischen Bruchstelle zwischen öffentlichem
Rechtsschutz und privater Sphäre als Enklave ungleichen Rechts und zwar auch
dort, wie die Trennlinien anders begründet und konstruiert werden als in liberal
westlichen Gesellschaften – mehr als 80 Staaten haben substantielle Vorbehalte
angemeldet, die sich vor allem auf die Abschaffung der Diskriminierung und
Unterordnung der Frau im Ehe- und Familienrecht beziehen und damit einer
Ablehnung zentraler Bestimmungen der Konvention gleichkommen. 27 Staaten,
darunter die USA sowie der Vatikan und zahlreiche islamische Länder, haben die
Konvention bisher nicht einmal ratifiziert (Mayer 1995). Diese bemerkenswerte
Koalition konservativer Gegner weist darauf hin, dass es sich nicht nur um eine für
muslimische Gesellschaften kennzeichnende Rückständigkeit handelt. Und doch ist
gerade auch die Unvereinbarkeit der Menschenrechte mit dem Islam, also die
religiöse Begründung für die mindere Rechtsstellung der Frauen von vielen Seiten,
von Kennern wie gläubigen Muslimen, inzwischen vehement bestritten worden(vgl.
u.v.a.Afkhami 1995; Al-Hibri 2000). Danach gibt nicht der Koran selbst und die auf
ihn gegründete Scharia diese diskriminierenden Regeln vor, vielmehr haben die
Religions- und Rechtswissenschaften (die fiqh-Wissenschaften) die Ungleichheit der
Geschlechter im Laufe der Jahrhunderte fälschlicherweise – wie Ziba Mir-Hosseini
betont – mit der Scharia gleichgesetzt. Tatsächlich sind es „kulturelle und juristische
Konstrukte, die … in Reaktion auf Machtverhältnisse in der Familie und in der
Gesellschaft geschaffen (wurden) und zwar von denjenigen, die die gegenwärtige
Situation entweder beibehalten oder verändern möchten.“(Mir Hosseini 2003, 55; vgl.
auch Mir Hosseini 2000) Andere betonen die Vielfalt der Auslegungsmöglichkeiten
des Koran und verweisen auf neue reformerische Diskurse, auch unter Frauen
(Amirpur 2003), die ähnlich einer feministischen Theologie in den christlichen Kirchen
und im Judentum emanzipatorische Anstöße und damit eine Theologie der Befreiung
aus den biblischen Schriften entwickelt haben.
Dass die Vorbehalte einiger islamischer Staaten mit Rücksicht auf religiöse Gründe
zu respektieren seien, hat Ann Mayer entweder als Vorwand oder Heuchelei bzw.
auf westlicher Seite als Missverständnis religiöser Toleranz entlarvt, zumal sich die
kulturell oder religiös begründete Relativierung der Menschenrechte in Bezug auf
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Frauen weltweit auf sexistische Vorurteile stützen könne. Denn es geht bei den
Staaten, in denen der Islam Staatsreligion ist, nicht um die Religionsfreiheit des
einzelner, auch der gläubiger Muslime, vielmehr geben politische Gründe den
Ausschlag dafür, inwieweit Regierungen ihre Vorbehalte gegen die CEDAW
formulieren. In ihrer detaillierten Untersuchung der jeweiligen Rechts- und
Gesetzeslagen, die sich alle auf die Scharia beziehen, stellt sie vor allem eine große
Bandbreite unterschiedlicher Interpretationen und Lesarten des Koran fest, die sich
nicht nur an den unterschiedlichen Glaubensrichtungen der Schiiten und Sunniten
und ihren diversen Rechtsschulen orientieren, sondern auch über die Jahrhunderte
durch islamische Juristen unterschiedlich ausgedeutet wurden, weshalb die Muslime
selbst in diesen Fragen tief gespalten seien. Am Beispiel Ägyptens weist die Autorin
nach, dass es hier auch in der Gegenwart keinen nationalen Konsens über eine
Scharia gerechte Auslegung des Familienrechts gibt. Ann E. Mayer kommt zu dem
Schluss, dass die Vorbehalte nicht Ausdruck religiöser Überzeugungen oder einer
"genuin religiösen Doktrin" sind, vielmehr politische Interessen in jeweils
unterschiedlichen Machtkonstellationen die Blockaden und Begründungsweisen der
verschiedenen Länder erklären. (Mayer 1995, 111; vgl. auch Mayer 2003b)
In einer geschlechter-sensiblen Perspektive werden im Menschenrechtsdiskurs
inzwischen verschiedene Gründe aufgeführt, die eine grundsätzliche Sicherung und
Durchsetzung der Menschenrechte auch als Frauenrechte behindern. Und es wird in
der Gender-Debatte betont, dass diese Defizite genauso oder ähnlich auf andere
systematisch benachteiligte Gruppe zutreffen, deren Interessen nicht im Mainstream
der Menschenrechtspolitik vertreten sind (vgl. auch zum Folgenden Gallagher 1997).
Das Problem besteht erstens darin, dass nach wie vor viel zu wenige Frauen in den
entscheidenden Gremien der Vereinten Nationen und den Vertragsorganen für den
Menschenrechtsschutz beteiligt sind. Das hat insofern Auswirkungen, als Neutralität
in Geschlechterfragen noch nicht dafür bürgt, dass die besonderen Probleme im
Menschenrechtsschutz für Frauen überhaupt in den Blick geraten oder angemessen
behandelt werden. Zweitens werden viele dringliche Anliegen von Frauen bisher
vorrangig nicht als Menschenrechtsfragen behandelt. Dazu gehören Armut,
Unterentwicklung, Analphabetismus, geschlechtsspezifische Segregation im Hinblick
auf alle Formen der Teilhabe, weshalb Feministinnen auch vom System der
Geschlechter-Apartheit (Mayer 2003a) sprechen, sowie im Kern aller weiteren
Benachteiligungen die Verweigerung sexueller Selbstbestimmung, der reproduktiven
13
Freiheit als auch die in der bisherigen Gesellschafts- und Geschlechterordnung
verankerte Gewalt gegen Frauen. Obwohl Gewalt gegen Frauen seit 1993, seit der
Menschenrechtskonferenz in Wien, erst recht mit der Resolution der
Weltfrauenkonferenz 1995 in Bejing explizit als Verletzung der Menschenrechte von
Frauen anerkannt und durch ein Zusatzprotokoll zu CEDAW zentraler Tatbestand
internationalen Rechts geworden ist, ist der Menschenrechtsschutz in diesem Punkt
nach wie vor mehr als unvollkommen und schwierig. Damit ist eine dritte
entscheidende Barriere gegen die Durchsetzung der Menschenrechte von Frauen zu
benennen. Interkulturell und international besteht die Besonderheit der
Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen darin, dass sie vorwiegend im
Dunkelfeld des Privaten, in der Intimsphäre, in der Familie passieren, geduldet und
nicht geahndet werden und fest in kulturelle Praktiken, gesellschaftliche
Übereinkünfte und soziale Strukturen eingebunden sind. Sie unterliegen damit nicht
unmittelbar dem Zugriff und Schutz des Staates oder des öffentlichen Rechts. Immer
wieder gilt der Schutz der Familie, der Privatsphäre, als vorrangige Begründung,
obwohl gerade das religiös und kulturell verankerte Familienrecht sehr wohl als
staatliche Aufgabe, gar als staatliches Interesse verteidigt wird. Die systematische
Trennung in öffentliches und privates Recht, die gerade auch das liberale
Rechtsverständnis kennzeichnet und die Prinzipien internationalen Rechts bestimmt,
bleibt damit trotz aller Versuche, den Menschenrechtsschutz von Frauen zu
verbessern, eine der Hauptbarrieren gegen die Sicherung der Menschenrechte von
Frauen (Charlesworth\Chinkin 2000). Denn es ist vor allem der private, rechtsfreie
Raum, der so fest und tief in historische Traditionen und kulturelle Eigenarten
eingepasst ist, dass die in der Familie oder in den Nahbeziehungen ausgeübte
Gewalt, Diskriminierungen und Einschränkungen der Handlungsfreiheit und
Beteiligungsrechte im dominanten Diskurs über Menschenrechte kaum oder erst sehr
spät zur Sprache gekommen sind.
4. Akteurinnen im Menschenrechtsdiskurs
Trotzdem ist gerade im Spannungsfeld zwischen Menschenrechtstheorien und
politischer Praxis nicht zuletzt dank einer internationalen Frauenöffentlichkeit eine
Bewegung für die Menschenrechte von Frauen entstanden, die keineswegs nur von
den Frauen des Nordens angeführt wird, im Gegenteil. Entscheidend war das
14
Entstehen einer eigenen internationalen Frauenöffentlichkeit. Auslöser waren die
Dekade der Frau zwischen 1975 und 1985, die zu einer Veränderung, zumindest zu
größerer Aufmerksamkeit für Frauen in der Entwicklungspolitik geführt hat, vor allem
aber die seit 1975 von der UNO veranstalteten Weltfrauenkonferenzen, bei denen
insbesondere auf den nicht offiziell organisierten Foren der
Nichtregierungsorganisationen eine ganz neue Plattform für Frauenanliegen
entstanden ist (vgl. Wichterich 1995). Neben den Ressourcen, die die Vereinten
Nationen in der Vorbereitung der Konferenzen bereitstellten, hat sich unterhalb und
gleichzeitig ein mobilisierendes Netzwerk von lokalen und überregionalen
Organisationen und Projekten gebildet, die die Streitpunkte und Themen vor Ort
diskutieren und vorbereiten. Diese Projekte und Akteurinnen haben die
Menschenrechtskampagne vom Verdacht eines elitären oder westlichen Feminismus
befreit und belegen, wie schon auf der Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985 deutlich
wurde, die Stärke und das Selbstbewusstsein der Frauen in den anderen Teilen der
Welt (vgl. aus der Fülle der Literatur zum Thema insbesondere die beiden
Sammelbände Cook 1994; Peters/Wolper 1995 mit vielen Länderberichten).
Entscheidend für die Inanspruchnahme der Menschenrechte für die Frauen aus
nichtwestlichen Kulturen aber war, dass sie nun selbst die Inhalte und Bedeutungen
ihrer Kultur definieren und damit aus eigener Erfahrung und eigenem Recht den
patriarchalischen Praktiken und der Interpretation ihrer Kultur begegnen können (vgl.
Toubia 1995).
Hinzu kommt, dass das Thema Women’s Human Rights seit der Mitte der 1980er
Jahre, im Anschluss an die Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985, von verschiedenen
Seiten bewusst auf die Agenda der UNO-Konferenzen platziert wurde (vgl. Friedman
1995 auch zum Folgenden). Wichtige Initiativen und Netzwerke waren: The
International Women’s Rights Action Watch (IWRAW), eine internationale Gruppe
von Aktivistinnen und Expertinnen, die sich nach dem Treffen auf der NairobiKonferenz die Aufgabe stellte, die Anwendung der damals noch neuen CEDAWKonvention durch Berichte an die CEDAW-Kommission und den Austausch mit
lokalen Gruppen zu begleiten und zu kontrollieren. Zur gleichen Zeit gingen aus dem
NGO-Forum dieser Konferenz „Third World Forum for Women and Development“
drei wichtige regionale Netzwerke hervor, das lateinamerikanische Komitee zur
Verteidigung der Frauenrechte (CLADEM), das asiatisch-pazifsche „Forum on
15
Women, Law and Development (APWLD) und „Women in Law and Development in
Africa“ (WiLAF). Weitere zunächst nationale Fraueninitiativen, die sich in der
Oppostion gegen die Diktatur in ihrem Land mit spezifischen Unrechtserfahrungen an
die Öffentlichkeit traten und schließlich weltweit Aufmerksamkeit erregten, waren die
„Madres de la Plaza de Mayo“ in Argentinien, die auf Rückkehr ihrer verschleppten
Angehörigen klagten (Navarro 1989), sowie die Koalition von Frauenorganisationen
„GABRIELA“ auf den Philippinen, die in den Jahren 1983 bis 1986 an der Spitze des
Kampfes gegen das Marcos-Regime standen (Largoza-Maza 1995). Unter vielen
anderen ist auch das Netzwerk „Women Living Under Muslim Laws“ bereits 1984
gegründet worden. (Siehe dazu weiter unten)
Durch die Verbindung von lokalen Gruppen und internationalen Netzwerken wurde
der Austausch von Informationen und die Teilhabe am Diskurs über Menschenrechte
organisiert und der Frauenrechtediskurs zugleich an eine weltweite
Menschenrechtsbewegung angebunden, die nach dem Ende des Kalten Krieges und
Zusammenbruch der sowjetischen Herrschaft in der Transformationsphase Auftrieb
erhielt. Diese politische Gelegenheitsstruktur wusste das „Center for Women’s Global
Leadership“ (CWGL) unter der Leitung von Charlotte Bunch zu nutzen und initiierte
eine weltweite, ja, globale Kampagne für Frauenrechte als Menschenrechte
(„Women’s Rights as Human Rights“), die neben Petitionen mit mehr als 300 000
Unterschriften aus 120 Ländern zur Vorbereitung Weltkonferenz für Menschenrechte
in Wien im Jahr 1993 eine systematische Dokumentation von
Menschenrechtsverletzungen von Frauen in aller Welt erstellte. Eindrücklich war
insbesondere die Veranstaltung eines eigenen Tribunals über die Verletzung der
Menschenrechte von Frauen auf dieser Konferenz, womit das ganze Ausmaß der
Gewalt gegen Frauen – Schwerpunkte waren dabei Kriegsverbrechen und Gewalt in
der Familien - auf bewegende Weise durch die Opfer selbst öffentlich zur Sprache
gebracht wurde. Das Hauptthema und der alle Unrechtserfahrungen verbindende
Tagesordnungspunkt auf der Wiener Konferenz war "Gewalt gegen Frauen". Für die
Resolution der Vierten Weltkonferenz 1996 in Bejing konnte deshalb formuliert
werden:
"Gewalt gegen Frauen bedeutet sowohl eine Verletzung als auch eine
Beeinträchtigung bzw. Verhinderung der Ausübung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten der Frau. Unter Berücksichtigung der ... Arbeit der Sonderberichterstatterin sind geschlechtsspezifische Gewalt, wie beispielsweise Misshandlung und
andere Formen der Gewalt in der Familie, sexueller Missbrauch, sexuelle
16
Versklavung und internationaler Frauen- und Kinderhandel ... (usf.) mit der Würde
und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar ..." (Aktionsplattform 1996, Nr.
224)
5. Die ermächtigende Funktion der Menschenrechte: Dimensionen und Strategien
feministischer Rechtskritik
Die internationale Kampagne zur weltweiten Anerkennung der Frauenrechte als
Menschenrechte wie überhaupt die Inanspruchnahme der Menschenrechte durch
Frauen erfordert eine doppelte Strategie. Einerseits macht sie sich die feministische
Kritik am Androzentrismus des positiven Rechts wie auch der Menschenrechte zu
Eigen und beklagt die Unabgesichertheit des Menschenrechtsschutzes für Frauen.
Andererseits aber nimmt sie die Universalität der Menschenrechte nicht nur in
Anspruch nimmt, sondern fordert, sie grundsätzlich zu erweitern und auf
frauenspezifische Belange hin zu ‘re-definieren’ (vgl. Bunch 1995; Friedman 1995).
In dieser Doppeltheit der Begründungen und der Inanspruchnahme von
Menschenrechten als Menschen- und als Frauenrechten kommt ein Dilemma zum
Ausdruck, das auch als Wollstonecraft-Dilemma bezeichnet wird (Pateman 1992): Es
besteht darin, auf der Anwendung der Gleichheit als universalem Menschenrecht und
Rechtsprinzip zu bestehen und zugleich die Berücksichtigung von besonderen
Lebenslagen und die Anerkennung von Differenzen zu fordern. Um dieses
anscheinend paradoxe Verhältnis von Gleichheit und Differenz ist in den
feministischen Debatten der 1990er Jahre hart gerungen worden (siehe z.B.
Benhabib et al. 1993; Gerhard 1990b; Evans 1995). Es handelt sich bei der
Gegenüberstellung um Gleichheit und Differenz – so die Schlussfolgerung vieler
Stimmen aus dieser Debatte – jedoch um eine falsche Alternative, „an impossible
choice“, so Joan Scott, denn: „Feminists cannot give up ‚difference’; it has been our
most creative tool. We cannot give up ‚equality’, at least as long as we want to speak
to the principles and values of a democratic political system”.(Scott 1999, 172)
Diese auf den ersten Blick pragmatische Lösung des Problems ist ebenso
rechtstheoretisch zu begründen. Denn Gleichheit ist nicht als Angleichung (im
Englischen: sameness) misszuverstehen (Gerhard 1990a), sie zielt gerade nicht auf
Identität, deren Gegenbegriff die Differenz wäre. Gleichheit ist vielmehr ein in
historischen Auseinandersetzungen und durch Unrechtserfahrungen gesättigter
17
Rechtsbegriff, der selbstverständlich die Verschiedenheit der Menschen voraussetzt.
D.h. Gleichheit ist kein absolutes Prinzip oder feststehendes Maß, sondern eine
Leitnorm, die die Menschen immer nur von „einer bestimmten Seite“ (Marx 1972,
656 im Anschluss an K.v. Savigny) fasst und in den für ihr Menschsein relevanten
Hinsichten gleichstellen will. Über diese Hinsichten der Gleichheit ist darum in der
Geschichte immer wieder gerungen worden. Aus diesem Grund aber erweist sich
auch das Menschenrecht auf Gleichheit als dynamisches und mit neuen, auch für
Frauen relevanten Sachverhalten zu erweiterndes und kritisches Rechtsprinzip, oder
wie Charlotte Bunch in ihrem Aufruf für die Menschen- und Frauenrechtskampagne
es 1990 formuliert hat:
„The concept of human rights […] is not static or the property of any one group;
rather its meaning expands as people reconceive of their needs and hopes in relation
to it. In this spirit, feminists redefine human rights abuses to include the degradation
and violation of women. The specific experiences of women must be added to
traditional approaches to human rights in order to make women more visible and to
transform the concept and practice of human rights in our culture so that it takes
better account of women’s lives. “ (zit.n. Friedman 1995, 18)
Im Gegensatz zu rechtsnihilistischen oder sich radikal verstehenden feministischen
Auffassung, die Recht, die Menschenrechte und also auch das Rechtsprinzip der
Gleichheit für unbrauchbar halten, weil es eine männliche Sprache spreche und nur
männlichen Interessen diene (vgl. z.B. Cavarero 1990; Irigaray 1990; MacKinnon
1996), sehen andere im Recht nicht nur einen Zwangsapparat, sondern auch ein
Instrument der Befreiung (Habermas 1992) ja, das einzige nicht gewaltsame,
sondern auf Vereinbarung beruhende Mittel gegen strukturelle und wie persönliche
Gewalt. Schließlich belegen historische wie aktuelle Erfahrungen, die Geschichte der
Rechtskämpfe und die unleugbaren Rechtsfortschritte auch der Frauen in
demokratischen und an den Menschenrechten orientierten Gesellschaften die
emanzipatorischen Möglichkeiten und Wirkungsweisen von Recht trotz aller
Unvollkommenheiten und Rückschläge. „Insofern“, so Martha Nussbaum, „sollten die
Erfahrungen von Frauen nicht nur einfach als Fundus von vielen schlechten
Beispielen für soziale Ungerechtigkeit und die schwierige Problematik der
Übereinkunft betrachtet werden, […] sondern auch als eine Quelle mannigfaltiger
Einsichten und Anregungen. (Nussbaum 1996, 465).
18
Ohne Zweifel bleibt da eine berechtigte Skepsis gegenüber den Instrumenten des
Rechts angesichts der vielfältigen Unrechtserfahrungen und der nach wie vor nicht
verwirklichten Menschenrechte der Frauen. In der weltweit geführten Debatte haben
sich sehr unterschiedliche feministische Positionen der Rechtskritik herausgeschält,
die entweder als liberaler, kultureller, radikaler oder postmoderner Feminismus
gekennzeichnet werden. Alle diese Positionen bezeichnen jeweils Teilaspekte der
Kritik, entweder die nach wie vor androzentrische Befangenheit und Einseitigkeit des
Rechts oder die notwendige Anerkennung und die unhintergehbare Bedeutung der
Geschlechterdifferenz, die als „andere Stimme“ oder Moral der Frau (vgl. beispielhaft
Gilligan 1984) auch ein anderes Recht erheischt. Neben den schon erwähnten sog.
radikalen Positionen, die Recht grundsätzlich als Instrument männlicher Herrschaft
und Dominanz ablehnen, haben feministische Theoretikerinnen vor allem auch am
Diskurs über Postmoderne teil und mit postrukturalistischen Ansätzen wesentlich zur
De-konstruktion der abendländischen Vorstellung von einem allen Rechtsbegriffen
zugrunde liegenden autonomen Subjekts beigetragen (Butler 1991; 1993). Allerdings
kommen Diskurse über Gerechtigkeit nicht ohne Konzepte über Subjektivität und ein
in soziale Beziehungen eingebundenes und verantwortlich handelndes Selbst aus
(Flax 1996), insofern wird der Beliebigkeit normativer Regeln ein deutlicher Riegel
vorgeschoben (Mouffe 1992). Gleichwohl hat die neue Aufmerksamkeit für die
konstruktive Funktion von Sprache, Diskursen und Texten auch den Sinn für
Bedeutung und die Kritik an Rechtstexten geschärft und einen neuen Zugang zu
ihren Kontexten eröffnet (vgl. oben Vismann’s Analyse der
Menschenrechtserklärungen).
Die Expertinnen internationalen Rechts und der Menschenrechte betonen ebenfalls
die ermächtigende Funktion des Rechtsdiskurses gerade für Frauen und halten es
für falsch, die verschiedenen Richtungen feministischer Kritik gegeneinander
auszuspielen. Sie plädieren für eine Vielfalt analytischer Strategien, um der
Unterschiedlichkeit der Problemlagen gerecht zu werden (Charlesworth\Chinkin
2000, 50f. ). Sie gehen schließlich davon aus, dass dieser Rechtediskurs
gegenwärtig auch eine mobilisierende Funktion für eine neue internationale
feministische Bewegung haben kann, weil er auch denen, die keine Macht haben
eine Stimme gibt bzw. ihnen für erlittenes Unrecht eine Rechtssprache zur Verfügung
stellt. Diese Bedeutung des Menschenrechtsdiskurses, so folgern Hilary
19
Charlesworth und Christine Chinking, überwiegt gegenüber allen Nachteilen. Denn
die Menschenrechte als Diskursform für Unrechtserfahrungen bieten sowohl einen
theoretischen Rahmen als auch eine politische Plattform zum Handeln, zur
Einmischung in die Verhältnisse und sind damit eine Alternative zu allen
wohlwollenden und protektionistischen Ansätzen, die Frauen in globaler Perspektive
nur als Opfer oder Abhängige präsentieren (Charlesworth\Chinkin 2000, 212).
Ein überzeugendes Beispiel für die ermächtigende Funktion der Menschenrechte als
Redeweise und Politik ist das Netzwerk Women Living Under Muslim Laws
(WLUML), das sich bereits 1984 im Anschluß an ein "Tribunal über Reproduktive
Rechte" in Amsterdam gegründet hat und dem 1997 Aktivistinnen aus 18 Ländern
mit muslimischer Bevölkerung angehören. Das Netzwerk sieht seine Aufgabe darin,
die Isolation von Frauen zu überwinden, über ihre Rechte zu informieren,
Verbindungen herzustellen und Unterstützung für Frauen anzubieten, die in vom
Islam geprägten Rechtsverhältnissen leben. Die ausdrückliche Kennzeichnung
"Muslim Laws" im Plural soll auf die Vielfalt und Unterschiedlichkeit muslimischen
Rechts verweisen, das von einem Land zum anderen, aber auch in den
verschiedenen Gesellschaften je nach kulturellem Kontext variiert und sich zudem
aus unterschiedlichen Rechtsquellen, kodifizierten Gesetzen und einem parallelen
System von Gewohnheitsrechten und Praktiken zusammensetzt. Der Bezugsrahmen
ihrer Aktivitäten sind die Menschenrechte, sie bezeichnen sich selbst als
Aktivistinnen der Menschenrechte mit dem Ziel, ihre Erfahrungen in der Sprache des
Rechts formulieren zu können und ihr Leben autonom zu führen, oder wie sie sagen,
selbstbestimmt zu "erfinden".(http://www.wluml.org)
Dieses Ziel ist noch lange nicht erreicht weder für viele Frauen noch für alle Männer.
Somit bleibt es die Aufgabe einer international agierenden - möglicherweise – dritten
Frauenbewegung, die Menschenrechte zu erweitern und neu zu definieren, die
spezifischen Erfahrungen von Frauen zu berücksichtigen und in die Praxis des
Menschenrechtsdiskurses einzubringen, ohne ein neues Ghetto für
Frauenrechtsfragen zu eröffnen. Denn solange die unterschiedlichen Bedürfnisse
und Erfahrungen von Frauen nicht im Recht repräsentiert sind, sind die
Rechtsnormen nicht wirklich ‚allgemein’, ist es notwendig, sowohl gleiche Rechte als
auch die Berücksichtigung der Geschlechterdifferenzen zu fordern.
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