Bündner Tagblatt, 29.8.2014

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Bündner Tagblatt, 29.8.2014
Fre i t a g , 2 9. Au g u s t 2 0 1 4
Der grosse rat
Statt debatte über Kultur ein
Machtkampf um das Budget
Die gestrige Kulturdebatte weitete sich zur Machtprobe zwischen Parlament und Regierung darüber aus,
wer bei der Gestaltung des Budgets wann wie viel zu sagen hat. Die Regierung konnte sich nicht durchsetzen.
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▸ JuLIAN REIch
Irgendetwas würde noch kommen,
Sandra Locher Benguerel wusste es.
Das war in der Pause der Parlamentsdebatte zum Auftrag von Vincent Augustin, der die Fortsetzung
der im Dezember beschlossenen
Kulturbudgeterhöhung forderte.
Eben erst hatte Locher Benguerel als
Zweitunterzeichnerin ihr Eingangsvotum gehalten (alt Grossrat Augustin verfolgte die Debatte vom Balkon aus), gerade hatte eine Mehrzahl der Votanten dem Anliegen zugestimmt: Kultur sei wichtig, sie sei
es wert, dass der Kanton mehr Geld
dafür investiert, gerade auch mit
Blick auf ihre wirtschaftliche Bedeutung. Aber nicht nur, Kultur habe
auch einen ideellen Wert. Klar sei
auch, dass die Erhöhung als Übergangslösung gedacht ist, bis das
totalrevidierte Kulturförderungsgesetz vorliegt. Es gehe um die Sicherung der Existenz der grossen
professionellen Kulturinstitutionen.
Das sei in der Dezembersession, als
die Erhöhung ein erstes Mal beschlossen worden war, doch klar
zum Ausdruck gekommen.
Felix: «Ein Sündenfall»
Nichts zu machen: Finanzministerin Barbara Janom Steiner und Kulturminister Martin Jäger drangen beim
Grossen Rat mit ihren Argumenten nicht durch. (Foto olivia item)
Auftrags, der von über 70 Parlamentarierinnen und Parlamentariern
unterzeichnet worden war. Also hätten sich die Initianten um Locher
Benguerel zur Pause doch eigentlich
zurücklehnen können. Jedoch vermutete die churer SP-Politikerin
richtig: Da kam noch was.
Fortan entwickelte sich die als Kulturdebatte begonnene Diskussion
zu einer Diskussion über die hoheit
in Sachen Budgetgestaltung. Verständlich, dass sich die Regierung
möglichst wenig dreinreden lassen
möchte, zumal das Parlament in der
Dezembersession die Gelegenheit
hat, Einzelpositionen zu verändern.
Verständlich aber auch, dass das
Parlament, dem allgemein die Budgethoheit zugesprochen wird, der
Regierung auch während des Jahres
die Richtlinien vorgeben will.
Es geht ums Prinzip
und auch wenn sich am Ende sogar
noch Finanzministerin Barbara Janom Steiner (BDP) zum Thema äusserte: Der Rat entschied mit 58 zu
44 Stimmen für die Überweisung.
Für die Institutionen, die in den Genuss des Geldsegens kommen (zur
hauptsache sind das Origen, das
Theater chur und die Kammerphilharmonie Graubünden), machte
der Entscheid übrigens keinen unterschied: Die Regierung hat den Betrag für das Budget 2015 mittlerweile bereits eingeplant. Bei der gestrigen Debatte ging es also weniger um
die Kultur oder um deren Finanzierung als ums Prinzip.
Die Regierung wollte den Auftrag deshalb ablehnen,
weil sie selber und nicht der Grosse Rat das Budget erarbeitet. Ist diese Argumentation nachvollziehbar?
Ja, auf der formellen Seite ist die Argumentation
der Regierung verständlich. Andererseits wurde
Vincent Augustin ist froh, dass sein Auftrag an die
Regierung überwiesen wurde. (Foto olivia item)
von verschiedenen Grossräten mit Recht auch gesagt, dass dieser Auftrag sich eigentlich nicht gross
von einem Verpflichtungskredit unterscheidet –
einem bekannten Instrument in der Finanzgesetzgebung.
BDP-Grossrat Andreas Felix sprach von einem «Sündenfall», wenn der Auftrag angenommen werde. Darf
das «heilige Budget» nicht angetastet werden?
Nein, nein, auf das Budget hat man immer wieder
auf verschiedene Arten Einfluss genommen. Dass
wir hier aber von einer konkreten Summe sprechen,
das ist vielleicht etwas aussergewöhnlich.
Vereidigung
Was passiert als Nächstes?
Wie Regierungsrätin Barbara Janom Steiner bereits
zugestimmt hat, wird die Aufstockung des Kulturbudgets um 500 000 Franken nun in den neuen Finanzplan aufgenommen – für die nächsten Jahre.
Ende Jahr entscheiden dann die Grossräte über das
Budget, aber diese Entscheidung wird dann nicht
mehr grosse Diskussionen hervorrufen.
regierungsrat
mario cavigelli
«Ist die Regierung bereit, auch
kreative und unorthodoxe
Lösungen zu prüfen?»
Welche Konsequenzen hätte ein Nein des Parlaments
gehabt?
Für Origen und für die anderen Institutionen hätte
die Sicherheit gefehlt. Andererseits hat die Regierung gerade heute erklärt, dass sie die Aufstockung
des Kulturbudgets für 2015 bereits in die Vorbereitungen aufgenommen habe. Jetzt ist sie aber für
mehrere Jahre gesichert. Wohl, bis das Kulturförderungsgesetz im Grossen Rat behandelt wird, was etwa im Jahr 2016/17 der Fall sein wird.
maurizio michael
(FDp, castasegna)
«Die Regierung ist immer für
kreative Lösungen, was
unorthodox heisst, müssten
wir genauer ansehen.»
regierungsrat
christian rathgeb
stanDespräsiDent
Duri campell
«Bündner TagBlaTT»: Herr Augustin, Sie haben
zwar den Auftrag betreffend fortgesetzte Finanzierung ab 2015 für Kulturinstitutionen noch selber
eingereicht, sind aber nicht mehr Grossrat. Wie war
es für Sie, auf der Tribüne schweigend zuhören zu
müssen, wie der neue Grosse Rat debattiert?
VincenT augusTin: Das war ein ganz neues Ge-
Denkmalpflege kein Thema
In einer Anfrage wollte Yvonne
Michel (SP) wissen, ob die Regierung nicht ebenfalls Vorteile darin
sehen würde, die Denkmalpflege
aus dem Amt für Kultur herauszulösen und näher an das Amt für
Raumplanung und die Bauämter
des Kantons zu rücken. Das
Parlament gab sich gestern mit der
Antwort zufrieden, dass der Status
quo mehr Vorteile als Nachteile
beinhalte. (jul)
«Sinnvollerweise werden Windenergieanlagen dort errichtet,
wo es auch Wind hat.»
«Ich wünsche Ihnen noch einen
schönen Tag heute Nachmittag,
es scheint ja die Sonne.»
vincent augustins
kreativer vorstoss
Auf Ihrem ehemaligen Stuhl im Grossen Rat sitzt jetzt
Grossrat Daniel Blumenthal, der sich ebenfalls für
Ihren Vorstoss ausgesprochen hat. Ein guter Nachfolger für Ihren Stuhl?
Ich mag meinen Parteikollegen Daniel Blumenthal
gerne und bin sehr froh für sein Votum und dass er
meinen Vorstoss mit einem guten Votum unterstützt hat.
Franz sepp caluori
(cvp, chur)
barbara janom steiner
nachgefragt
Was hätten Sie denn in dieser Debatte gerne gesagt,
wenn Sie das Wort bekommen hätten?
Es wurde alles gesagt, was gesagt werden musste.
Beeindruckt hat mich die Argumentation, der Vorstoss sei kreativ. In Kulturfragen tut es gut, wenn
auch die Politik von einem kreativen Geist erfasst
wird.
«Ich wollte mit meiner Frage
keinesfalls alle Staus auf der A13
behördlich verbieten lassen.»
«Wie Grossrat Jäger, Entschuldigung, Kollege Jäger ausgeführt
hat ...»
regierungsrätin
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fühl. Ich war mir gewohnt, wenn es nötig wurde,
das Wort zu ergreifen und mich in die Diskussion
einzubringen. Jetzt muss ich schweigen und schauen, was herauskommt. Aber ich bin sehr zufrieden
mit dem Resultat.
Die wohlmeinenden Voten kamen Jäger: «Ein grosser Fehler»
aus fast allen Parteien, die ablehnen- «Sie machen einen grossen Fehler,
den waren klar in der Minderzahl. wenn Sie den Auftrag überweisen»,
BDP-Politiker Andreas Felix warnte warnte Regierungsrat Martin Jäger
zum Beispiel vor einem finanzpoliti- (SP) bald nach der Pause. Denn es
schen Sündenfall. Dem Parlament sei klar geregelt, wie der Budgetiestehe es nicht zu, derart stark in die rungsprozess abzulaufen habe. und
operativen Belange des Budgetpro- zwar in der Verfassung. Der Grosse
zesses einzugreifen. «Im besten Fall Rat sei im Begriff, sich über die
kommt in zwei Sessionen eine ande- Verfassung hinwegzusetzen. Wolle
re Interessengruppe und lässt sich man die Spielregeln ändern, müsse
eine langfristige Finanzierung ga- man erst das Volk befragen. Das war
rantieren», sagte Felix.
starker Tobak, der in der Folge beim
Dennoch: Der Grundtenor deu- einen oder anderen Parlamentarier
tete in Richtung Überweisung des die erhoffte Wirkung entfaltete.
wortwörtlich
B ü n d n e r Ta g b l a tt
«Ich schwöre, lo giuro, jau engir»
Temporär hat Graubünden sechs Regierungsräte.
Gestern wurde der im Mai gewählte Jon Domenic
Parolini als Regierungsrat feierlich vereidigt. Die Vereidigung war eine reine Engadiner Angelegenheit und
erfolgte auf Romanisch. Auf die von Standespräsident
Duri Campell formulierte Eidesformel antwortete
Parolini in den Kantonssprachen: «Ich schwöre, lo
giuro, jau engir.» Er tritt die Nachfolge des Ende Jahr
aus der Regierung ausscheidenden Volkswirtschaftsministers Hansjörg Trachsel an. (Foto olivia item)
Welche Beziehung haben Sie zu Origen?
Ich bin seit Anfang an einer der Promotoren von Origen und unterstütze auch Giovanni Netzer seit der
ersten Stunde. Ausserdem bin ich im Patronatskomitee tätig. Dort bin ich damals als Präsident der
Lia Rumantscha hineingekommen. Überhaupt hat
mein Einsatz für die Kulturpolitik begonnen, als ich
Präsident der Lia wurde. (bun)
vincent augustin
CVP-Grossrat.
war bis zur letzten Session