Skaten und Streetbiken in Zürich
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Skaten und Streetbiken in Zürich
Skaten und Streetbiken in Zürich Räume, Lebensstile, Geschlecht Diplomarbeit von Yvonne Müller Leitung Betreuung Prof. Dr. Hans Elsasser Dr. Elisabeth Bühler Geographisches Institut der Universität Zürich Zürich, Juli 2007 “Skateboarding is local, beeing fundamentally concerned with the micro-spaces of streets, yet is also globally dispersed and proliferous practice, with tens of millions of practitioners worldwide. It addresses the physical architecture of the modern city, yet responds not with another object but with a dynamic presence. It says almost nothing as codified statements, yet presents an extraordinary range of implicit enunciations and meanings. It produces space, but also time and the self. Skateboarding is a constantly repressed and legislated against, but counters not through negative destruction but through creativity and production of desires. It has a history, but is unconscious of that history, preferring the immediacy of the present and coming future. It requires a tool (the skateboard), but also absorbs that tool into the body. It involves great effort, but produces no commodity ready for exchange. It is highly visual, but refutes the reduction of activity solely to the spectacle of the image. It begun in the suburbs, but has come downtown to the core of urban conflicts. It is seen as a child’s play activity, but for many practitioners it involves nothing less than a complete and alternative way of life”. (Borden 2001: 1) Adresse der Autorin: [email protected] Titelblatt: Thomas im Letzibad, fotografiert von Debolli Zusammenfassung Die vorliegende Studie verfolgt das Ziel, Einblicke in das Selbstverständnis der Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen zu geben. Der Fokus liegt dabei auf ihrer spezifischen Interpretation der gebauten Umwelt. Eine weitere Fragestellung der Untersuchung bezieht sich auf die Geschlechterverhältnisse in diesen männerdominierten Szenen. Von Juni 2006 bis Januar 2007 habe ich im Raum Zürich ausgedehnte Beobachtungen durchgeführt und 12 StreeterInnen in durchschnittlich einstündigen Interviews befragt. Darunter waren 8 SkaterInnen und 4 StreetbikerInnen. In der Zürcher Skateboard-Szene lassen sich vier grössere soziale Zentren unterscheiden. Das sind zum einen der „Toni-Skatepark“, der „Network“1, sowie die Gruppen um die zwei Zürcher Labels „Safari“ und „5th District“. Bei der Auswahl meiner InterviewpartnerInnen habe ich darauf geachtet, jede dieser losen Gruppierungen vertreten zu haben. Auch habe ich von jedem Fahrstil und von jeder Alters- und Geschlechtergruppe mindestens einen Vertreter / eine Vertreterin befragt. Das Durchschnittsalter meiner InterviewpartnerInnen zum Zeitpunkt der Befragung belief sich auf ungefähr 26 Jahre. Im Folgenden fasse ich die wichtigsten Ergebnisse meiner Diplomarbeit zusammen: In der Stadt Zürich können drei öffentliche Räume lokalisiert werden, in denen sich, bei günstigen Bedingungen, häufig SkaterInnen aufhalten. Dies sind die Landiwiese, die „Bellevue-Curbs“ und der Turbinenplatz. Warme Temperaturen und trockener Boden sind aber auch an diesen Orten keine Garanten, SkaterInnen anzutreffen. Die Landiwiese stellt einen Spezialfall dar, da dieser öffentliche Raum sehr oft anderweitig genutzt wird, und für SkaterInnen in solchen Fällen kein Platz ist. Die grösste Freestyle-Anlage der Stadt, welche sich auf dem Areal der ehemaligen Toni-Molkerei befindet, wurde bei jedem meiner Besuche rege genutzt. Diese Anlage besitzt aber eingeschränkte Öffnungszeiten. Sie ist, abgesehen von den Wochenenden, wo sie auch nachmittags geöffnet ist, nur abends benutzbar. Auf der Basis der Informationen aus meinen Interviews habe ich eine Karte der Zürcher Skate- und Streetbike-Spots erstellt.2 Insgesamt konnte ich in der Stadt Zürich 60 – 70 einzelne Skate- und Streetbike-Spots unterscheiden. Durch meine Interviews und Beobachtungen ist im Laufe der Untersuchung ein komplexes Bild einer Welt entstanden, welche unbeteiligten BeobachterInnen weitgehend verborgen bleibt: Die Stadt in den Augen der Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen. Für sie ist die ganze Stadt ein Spielplatz. Ihre spezielle Sicht auf die Umgebung ergibt ein einzigartiges Bild der Stadt von skatebaren und bikebaren Orten und deren Verbindungen. Die bevorzugten Räume der SkaterInnen und StreetbikerInnen bestehen aus einer Kombination idealer Hindernisse und Materialen. Das beliebteste Hindernis ist das „Mürli“, im Englischen auch Curb oder Ledge genannt. Weitere kleinste architektonische und städtebauliche Elemente der Stadt, die die SkaterInnen und StreetbikerInnen in ihrem Sinne umdeuten, sind Randsteine, Hauswände, Bänke, Treppen und Geländer. Das optimale Material eines Spots besteht aus ebenen, glatten, harten Oberflächen, welche keine Rillen aufweisen sollten. Für die StreetbikerInnen ist es wichtig, dass die Oberflächen nicht zu rutschig sind. Als weiteres Kriterium 1 2 Skateboard-Geschäft im Kreis 4 Siehe Anhang A 1 sollten diese Räume so situiert sein, dass niemand gestört wird, und sie selber in Ruhe gelassen werden. Die SkaterInnen und StreetbikerInnen in Zürich verhalten sich wie „Nomaden der Stadt“: Sie bevölkern für ihre Bedürfnisse optimale Räume, wenn der Widerstand aber zu gross wird, geben sie nach und ziehen weiter. Sich in einem Raum bewegen zu können, der für ihre Interessen definiert ist, in dem sie in Ruhe gelassen werden und unter sich sein können, ist eines der Argumente meiner InterviewpartnerInnen für eine Freestyle-Anlage. Niemand würde jedoch auf das Streeten verzichten. Die Herausforderung, einen Trick an einem Ort zu machen, der nicht dafür gedacht ist, stellt für viele einen der grössten Reize ihres Sportes dar. Dies ist für einige auch eines der Kriterien an einen Wunsch- oder Ideal-Ort: Er soll entdeckt werden können. Das Neuinterpretieren und Umdeuten von Räumen, Formen und Funktionen sowie die Kreativität spielt beim Skaten und Streetbiken eine zentrale Rolle. Die skatenden und streetbikenden Personen in Zürich eignen sich den urbanen Raum nicht nur durch Bewegung, sondern auch durch die Sprache an. Sie geben ihren Spots oftmals eigene Namen. Durch diese Namensgebungen passiert eine noch tiefgreifendere Aneignung von Räumen durch die Freestyle-SportlerInnen, als durch die blosse physische Präsenz. Durch diese Dekonstruktion und Umfunktionalisierung, aber auch durch die Umnennung des urbanen Raums gestalten sie Symbolwelten mit eigenen Werthaltungen, Handlungsmustern und Botschaften. Sie gewinnen so Definitionsmacht über ihre Stellung in diesem Raum. Anhand von mehr oder weniger abstrakten Konstrukten im Leben meiner InterviewpartnerInnen, in denen sie versuchen, die unterschiedlichsten Handlungen und Aktivitäten aufeinander zu beziehen, kann das Skaten, respektive Streetbiken als Teil eines Lebensstils definiert werden. Die SkaterInnen und StreetbikerInnen in Zürich leben in beinahe reinen Männer-Welten. So reproduzieren auch diese Gruppen durch ihre Denkweisen und Handlungen aktiv unser kulturelles System der Zweigeschlechtlichkeit, in welchem die Frauen und Mädchen einer untergeordneten Position zugeschrieben sind. 2 3 Inhalt Zusammenfassung.............................................................................................................................. 1 Inhalt ..................................................................................................................................................... 4 Abbildungen......................................................................................................................................... 6 1 Einleitung und Fragestellung..................................................................................................... 8 2 Theoretische Ansätze ............................................................................................................... 10 3 4 2.1 „Raum“ aus soziologischem Blickwinkel............................................................................. 10 2.2 Raumaneignung ................................................................................................................. 11 2.3 Die (geschlechtsspezifische) Sozialisation ......................................................................... 11 2.4 Die „Institutionelle Reflexivität“ von Erving Goffman (2001, 1977) ..................................... 12 2.5 Die Subkultur des Skateboarding ....................................................................................... 13 Untersuchungsmethoden......................................................................................................... 15 3.1 Literatur- und Dokumentanalyse ........................................................................................ 15 3.2 Beobachtungen .................................................................................................................. 15 3.3 Problemzentrierte Interviews .............................................................................................. 17 Historischer Hintergrund und Übersicht über die verschiedenen Szenen .......................... 20 4.1 4.1.1 Allgemeine Entwicklungen mit Fokus auf den USA ................................................... 20 4.1.2 Geschichte des Skateboarding in Zürich ................................................................... 23 4.2 5 Geschichte des Skateboarding........................................................................................... 20 Übersicht der verschiedenen Szenen................................................................................. 25 4.2.1 BMX, Street-Bike, Dirt-Bike........................................................................................ 26 4.2.2 Parkour ...................................................................................................................... 28 Forschungsstand ...................................................................................................................... 29 5.1 Skateboarding als performative Kritik an der Architektur, an der Stadt und am Kapitalismus – der Ansatz von Iain Borden (2001, 2004)..................................................................................... 29 5.2 Skateboarding und Gentrifizierung - das Beispiel von Philadelphia bei Ocean Howell (2005)…. ......................................................................................................................................... 31 5.3 SkaterInnen, die „Nomaden der Stadt“ - die Untersuchung von Lia Karsten und Eva Pel (2000)…. ......................................................................................................................................... 33 5.3 SkaterInnen, Identität und Girlhood – die Studien von Dawn H. Currie, Deirdre M. Kelly und Shauna Pomerantz (2004, 2005) .................................................................................................... 34 5.4 Skateboarding als sozialer Widerstand – die Arbeiten von Becky Beal (1995, 1996) ........ 37 6 Zusammenfassende Hypothesen ............................................................................................ 39 7 Ergebnisse................................................................................................................................. 40 7.1 Beobachtungen .................................................................................................................. 40 4 7.1.1 Beobachtungen als Velokurierin ................................................................................ 40 7.1.2 Beobachtungen auf dem Turbinenplatz ..................................................................... 44 7.1.3 Beobachtungen im Toni-Areal ................................................................................... 45 7.1.4 Beobachtungsreihe in Zürcher Skateboard-Geschäften ............................................ 46 7.2 Interviews ........................................................................................................................... 50 7.2.1 Arbeitsschritte bei der Durchführung der „Problemzentrierten Interviews“................. 50 7.2.1.1 Leitfaden .................................................................................................................... 50 7.2.1.2 Auswahlstrategie........................................................................................................ 51 7.2.1.3 Theoretische Sättigung .............................................................................................. 53 7.2.1.4 Qualitative Inhaltsanalyse .......................................................................................... 53 7.2.1.5 Kodierungen .............................................................................................................. 54 7.2.2 Analyse der Interviews............................................................................................... 55 7.2.2.1 Die Skate- und Bike-Spots......................................................................................... 55 7.2.2.2 Suchen / Schaffen neuer Skate- und Bike-Spots....................................................... 61 7.2.2.3 Ideale Skate- und Bike-Spots .................................................................................... 65 7.2.2.4 Performative Aneignung – Skate- und Bike-Touren durch die Stadt.......................... 69 7.2.2.5 Diskursive Aneignung - Aneignung durch Namensgebung........................................ 71 7.2.2.6 Toleranz im öffentlichen Raum .................................................................................. 72 7.2.2.7 Das Selbstverständnis der Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen ..................... 77 7.2.2.8 Gender und Skateboarding / Streetbiking .................................................................. 83 8 Synthese .................................................................................................................................... 89 Literatur .............................................................................................................................................. 97 Anhänge ........................................................................................................................................... 101 Anhang A: Glossar ....................................................................................................................... 101 Anhang B: Interviewleitfaden für Skater und Skaterinnen ............................................................ 104 Anhang C: Karte der Zürcher Skate- und Streetbike-Spots…………………………………………..108 5 Abbildungen Abb. 1: Nico beim Grinden beim besetzten Haus an der Kalckbreite, fotografiert von Alan Maag .... 133 Abb. 2: Die ewige Schwingung in der Wüste, 1977; Gregg fotografiert von Warren Bolster. .............. 21 Abb. 3: Titelbaltt des „’zin“ „The Radical Vegetables“, März 1991 ..................................................... 233 Abb. 4: Skate-Guide aus dem „Rubber Mag“, Dezember 1993 ......................................................... 233 Abb. 5: „Ghetto-Park“, Obstacles im autofreien Abschnitt der Hohlstrasse ....................................... 244 Abb. 6: Lukas fährt den Wallride am Sihlquai.................................................................................... 277 Abb. 7: Die berühmten Pyramiden vom Albisriederplatz ..................................................................... 41 Abb. 8: Andy bei der Ausübung von Parkour an der Dorfstrasse ...................................................... 422 Abb. 9: Curb auf dem Turbinenplatz.................................................................................................. 455 Abb. 10: Freestyle-Anlage auf dem Areal der ehemaligen Toni-Molkerei.......................................... 466 Abb. 11: Langstrasse-Unterführung................................................................................................... 566 Abb. 12: Wallride beim oberen Letten ............................................................................................... 566 Abb. 13: Die bei den SkaterInnen beliebte Treppe auf dem Bürkliplatz ist wohl bis auf weiteres „geschlossen“............................................................................................................................ 588 Abb. 14: Kunst an der Kunst. Miguel fotografiert von Alan Maag…..……………………………………..60 Abb. 15: „Selnau Banks“...................................................................................................................... 60 Abb. 16: „Höfliweg“ ............................................................................................................................ 622 Abb. 17: Wachsspuren ...................................................................................................................... 644 Abb. 18: „ETH-Rail“: Das beste Rail der Stadt!.................................................................................. 733 Abb. 19: Auf der Polyterrasse ist skaten verboten............................................................................. 733 Abb. 20: Anti-Skate-Massnahme ....................................................................................................... 766 Abb. 21: Judith am Streeten .............................................................................................................. 833 6 7 1 Einleitung und Fragestellung Mich fasziniert immer wieder von neuem, wie sehr sich unsere physische und soziale Umwelt in Abhängigkeit der Betrachterin oder des Betrachters, verändert. Meinen Lebensraum nimmt niemand anders so wahr, wie ich. Dasselbe Gebäude, ein und dieselbe Strassenecke sieht für jeden Menschen anders aus, beinhaltet für jedeN etwas anderes. Dieser spezifische Blickwinkel setzt sich aus den Bedürfnissen, Erfahrungen und Gewohnheiten eines Individuums zusammen. Er ist abhängig von seinem Wissensstand, seinen sozialen Netzwerken und seinen materiellen Möglichkeiten3. Der theoretischen Freiheit, einem Gegenstand oder einer Situation eine eigene Bedeutung zuzumessen, wird durch gesellschaftliche Normen und Regeln, aber auch repressive Massnahmen, Grenzen gesetzt. Auf der einen Seite ermöglicht zwar erst ein gewisser Interpretationskonsens gesellschaftliches Leben, auf der anderen Seite aber werden so Interpretationen von Minderheiten eingeschränkt und unterdrückt. Mir erscheinen aber gerade Stellen, an denen dieser Konsens aufgebrochen wird, von grossem Interesse. Die Kultur des Skateboarding ist eine solche Subkultur, die in den unterschiedlichsten Ausprägungen vom dominanten Konsens losgelöst erscheint. Dabei spielt die Umdeutung und Neuinterpretation der gebauten Umwelt eine zentrale Rolle. In den USA hat das Skateboarding schon Mitte der 60er Jahre eine erste Boomphase erlebt. Seit den 80er Jahren breitet sich diese sportive Körperpraxis in den urbanen Ballungszentren weltweit aus. Auch in Zürich gehören Menschen auf Skateboards inzwischen zum gewohnten Stadtbild. Dass Skateboarding mehr ist als nur ein Kinderspiel, zeigen seine Kontinuität und globale Verbreitung sowie die Umsätze der Skateboardindustrie in Milliardenhöhe. Aber auch der kulturelle Einfluss des Skateboarding ist heute in den verschiedenartigsten Ausprägungen zu spüren und mittlerweile aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die spielerische Art, wie SkateboarderInnen ihre urbane Umwelt immer wieder uminterpretieren, kann als Ursprung einer Reihe von sportiven Formen und Ausdrucksweisen, welche sich in den letzten 30 Jahren entwickelt haben, verstanden werden. Es sind in dieser Zeit unzählige Sportgeräte und Bewegungsformen entstanden, von denen viele in der Zwischenzeit wieder in Vergessenheit geraten sind. Der Fokus dieser Untersuchung liegt auf der Szene der StreetskaterInnen, welche sich in weiten Teilen von anderen Variationen des Skateboarding, wie dem Slalomskating oder Downhillskating, abgrenzt. Bei der anderen Szene, welche in dieser Arbeit untersucht wird, dem Streetbiking, kann auf den Strassen Zürichs seit ein paar Jahren eine stetige Zunahme festgestellt werden. Ein Merkmal dieser „Sportarten“ besteht darin, dass ihre Ausübung über das blosse Sporttreiben, im traditionellen Verständnis, hinausreicht. Die sportiven Körperpraxen werden im Selbstverständnis vieler AkteurInnen eher als individualisierter Lebensausdruck, denn als Sport angesehen. Sie erscheinen oft als selbstverständliches und häufig zentrales Element eines Lebensstils. Eine Skaterin geht in dem Sinne nicht zum skaten, sondern führt das Leben einer Skaterin. In dieser Studie werden die Handlungsräume sowie das Selbstverständnis von Street-SportlerInnen untersucht. Von zentralem Interesse ist dabei ihre alternative Schaffung des urbanen Raums. Es wird das vielschichtige Bild einer Welt erarbeitet, welche unbeteiligten BeobachterInnen weitgehend verborgen bleibt: Die Stadt in den Augen der Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen. Die 3 Gemäss den Kapitalsorten nach Bourdieu. 8 Geschlechterverhältnisse in diesen männerdominierten Szenen stellen einen weiteren Gegenstand der Untersuchung dar. Es soll in dieser Studie nicht von einer genuinen Jugendsubkultur die Rede sein, vielmehr wird der Tatsache einer stetig wachsenden Zahl erwachsener SkaterInnen und StreetbikerInnen Rechnung getragen. Auch möchte ich diese nicht an den äusseren Rand unserer Gesellschaft, als reine Subkultur, verorten. Skateboarding, aber auch Streetbiking und verwandte Praxen müssen sehr wohl als komplexe Wertesysteme, die eine Verwurzelung und einen festen Platz in unserer Gesellschaft finden, verstanden werden. Fragestellungen Welche Räume wünschen und schaffen sich die skatenden und streetbikenden Personen in Zürich? Welches Selbstverständnis haben die SkaterInnen und StreetbikerInnen von sich selbst? Beinhaltet der alternative Habitus der SkaterInnen und StreetbikerInnen auch egalitäre Geschlechterverhältnisse? Aufbau der Arbeit Anschliessend an die einführenden Erläuterungen werden die grundlegenden theoretischen Ansätze dieser Untersuchung vorgestellt. Schwerpunkte bilden darin Konzepte zu Raum und Gender. Im 3. Kapitel werden die verschiedenen verwendeten Methoden meines qualitativen Forschungskonzepts genauer erläutert. Kapitel 4 stellt den historischen Hintergrund des Skateboarding und eine Übersicht der verschiedenen sportiven Street-Szenen Zürichs dar. Daraus, und aus dem in Kapitel 5 ermittelten Forschungsstand zum Thema, habe ich die zusammenfassenden Hypothesen (Kapitel 6) erstellt. In Kapitel 7 werden die Resultate der durchgeführten Interviews und Beobachtungen vorgestellt und interpretiert. Im Anschluss werden die gewonnen Erkenntnisse rekapituliert und zu einer Synthese zusammengeführt. 9 2 Theoretische Ansätze In meiner Arbeit setze ich mich mit theoretischen Zugängen zum Begriff des Raums, aber auch mit einem Verständnis von Raumaneignung und geschlechtsspezifischer Sozialisation auseinander. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf Ansätze von Pierre Bourdieu, Ursula Nissen, und Carol Hagemann-White. Mit Erving Goffmans „Institutioneller Reflexivität“ möchte ich ein Konzept vorstellen, welches mir ermöglicht, meine beobachteten Phänomene bezüglich Skateboarding und Gender, sowie die Stellen in den Interviews, die sich auf das Thema Gender beziehen, besser verstehen zu können. Anhand Jürgen Schwiers Untersuchungen zu Skateboarding und seiner Verortung dieser Praxis in einer Konzeption von Subkultur, werde ich meinen eigenen diesbezüglichen Ansatz definieren. 2.1 „Raum“ aus soziologischem Blickwinkel Da ich in meiner Studie den öffentlichen und halböffentlichen Raum und dessen Aneignung durch Freestyle-SportlerInnen untersuche, stelle ich in diesem Kapitel das Konzept „Raum“, wie es dieser Arbeit zugrunde liegt, vor. Dazu liefern mir vor allem Pierre Bourdieu’s und Maurice Jean-Jacques Merleau-Ponty’s Arbeiten wichtige Beiträge. Bourdieu (1991: 26) sieht in dem vom Individuum eingenommenen physischen Ort einen herausragenden Indikator für seine Stellung im sozialen Raum. Diesen Ort bezeichnet Bourdieu auch als „angeeigneten physischen Raum“, beziehungsweise als reifizierten sozialen Raum. In einer hierarchisierten Gesellschaft gibt es, gemäss Bourdieu, keinen Raum, der nicht hierarchisiert ist und nicht Hierarchien und soziale Distanzen zum Ausdruck bringt (1991: 26). Für Bourdieu hängt die Fähigkeit, einen angeeigneten Raum zu dominieren, sowohl vom ökonomischen wie vom kulturellen und sozialen Kapital ab. Merleau-Ponty (zit. in Löw 1994: 65) versteht den Raum des eigenen Körpers als Ursprung jeglicher Räumlichkeit. Der Körper wird somit als Quelle und Medium der Weltaneignung gesetzt. Er ist die Quelle, da nur durch ihn Raum im Allgemeinen erfahrbar ist. Der Körper ist aber auch Medium, weil der Mensch sich mit ihm und in ihm in der Welt bewegt. In dieser Bewegung wird der Raum angeeignet, die Erfahrungen im Raum sind durch die Erfahrungen mit der eigenen Leiblichkeit geprägt. List (1993: 141) geht mit Merleau-Ponty davon aus, dass alle Erkenntnisakte ein leibliches Fundament haben: „Leiblichkeit erweist sich als die existentielle Daseinsform des Menschen, und in dieser Daseinsform sind Leiblichkeit und Räumlichkeit als Erfahrungsformen und Handlungsbedingungen wechselseitig aufeinander bezogen. Die Grundaktivität des lebendigen Leibes ist Bewegung – spontane Bewegung. Bewegung organisiert die Raumerfahrung, so wie umgekehrt der bereits gestaltete und objektivierte Raum den Bewegungsspielraum leiblicher Existenz begrenzt und oft genug beschränkt. Und schliesslich entfaltet sich Leiblichkeit als Daseinsform immer schon eingebettet in eine historisch gewordene und kulturell vermittelte soziale Lebenswelt…“ 10 2.2 Raumaneignung Für eine theoretische Auseinandersetzung mit dem für meine Arbeit zentralen Begriff der Raumaneignung, beziehe ich mich auf die Arbeiten von Kruse und Graumann (1978) sowie Nissen (1998). Für Kruse und Graumann (1978: 185) heisst Aneignung des Raums, sich den physikalischen (aber auch den sozialen und geistigen) Raum handelnd so zu erschliessen, dass Orientierung, also Handlungsentwurf und Handlungsrealisation, in ihm möglich ist. Dabei ist die Erschlossenheit des Raumes oder einzelner seiner Bereiche oder Merkmale als Erkenntnisstand individuellen Lernens persönlich historisch kumuliert und Regeln, Normen und Machtverhältnisse sind darin gesellschaftlich vermittelt. Aneignung des Raumes heisst dann aber: Nicht die Räume und die in ihnen angetroffenen Objekte werden „angeeignet“, wie Sachen, die man lediglich in Besitz nimmt, um sie zu besitzen, vielmehr werden Haltungen und Verhaltensweisen ihnen gegenüber angeeignet. Nissen (1998: 155) geht davon aus, dass die Aneignung von Raum ein Teilbereich individueller Sozialisation und abhängig von subjektiven situationsspezifischen Interessen, sowie von objektiven Macht- und Herrschaftsverhältnissen ist. „Raum“ ist dabei zum einen bestimmt durch den konkreten geografischen, physisch-materiellen, funktional und ästhetisch gestalteten Aufenthaltsort; zum anderen ist räumliches Verhalten bestimmt durch die Körperlichkeit und die Bewegung des Körpers im Raum. Sozialisation im (öffentlichen) Raum heisst für Nissen daher sowohl subjektives Erleben und Verhalten des Individuums in seiner Leiblichkeit im materiell-geografischen Raum, als auch das Schaffen und die Einnahme einer Position im gesellschaftlichen Raum, im Sinne des Sich-RaumNehmens und Zugestanden-Bekommens (Nissen 1998: 155). 2.3 Die (geschlechtsspezifische) Sozialisation Nissen (1998: 155) geht davon aus, dass Aneignung von Raum einen Teilbereich individueller Sozialisation darstellt.4 Aus diesem Grund, aber auch im Zusammenhang mit meiner Fragestellung bezüglich der Geschlechterverhältnisse beim Skateboarding beziehungsweise Streetbiking, scheint mir eine Auseinandersetzung mit einem theoretischen Verständnis von Sozialisation, beziehungsweise geschlechtsspezifischer Sozialisation, wichtig. Jede Persönlichkeitsentwicklung ist einmalig, gleichzeitig aber gibt es typische Formen der Sozialisation, die ähnliche individuelle Biografiemuster hervorbringen. Solche unterscheidbaren Sozialisationsmuster gibt es z. B. in historisch unterschiedlichen Epochen und zwischen einzelnen Generationen, zwischen verschiedenen Kulturen, sozialen Schichten und auch zwischen den Geschlechtern. Diese Sozialisationsmuster stehen nicht einfach nebeneinander, sondern in hierarchischen Beziehungen zueinander. So ist laut Prengel (1994: 64) Sozialisation immer Anpassung an die Hierarchie und Widerstand in der Hierarchie. Sie ist immer Auseinandersetzung mit Dominanz und Unterlegenheit. 4 Vergleiche Kapitel 2.2 11 Für die Entwicklung von Persönlichkeit im Sozialisationsprozess ist Geschlecht zweifellos ein zentrales Moment. Die Ursachen für die unterschiedliche Sozialisation der Geschlechter sind, laut Nissen (1998: 102), nicht die biologischen Merkmale, über die das Geschlecht eines Menschen festgelegt wird, vielmehr wird Geschlechtlichkeit selbst aktiv zugeschrieben und angeeignet. Nissen (1998: 102) geht davon aus, dass die Entwicklung eines Menschen zu einer Persönlichkeit mit individuellen geschlechtsbezogenen Verhaltensweisen, Eigenschaften und Fähigkeiten über die Aneignung gesellschaftlicher Erfahrungen und Strukturen erfolgt. Sie verläuft in unserer Gesellschaft entlang eines kulturellen Systems der Zweigeschlechtlichkeit. Hagemann-White (1988: 228) legt dar, dass die Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft nicht notwendig vorgeschrieben ist, sondern auf kulturellen Konstruktionen beruht. Diese Konstruktionen wirken sich auf die soziale Praxis in der gelebten Realität aus. Laut Hagemann-White sind „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ kulturelle Setzungen, zu denen sich jede Person zuordnen muss, um eine Ich-Identität entwickeln zu können. „So wird sichtbar, dass in Kulturen, die zwei Geschlechter unterscheiden und sie ungleich setzen, die Geschlechterpolarität in einem vielschichtigen Verhältnis zu Statushierarchien jeder Art in derselben Kultur steht. Einerseits bestimmt die Geschlechterpolarität auch den Zugang eines Geschlechts zu Tätigkeiten und Rechten; umgekehrt ist die Wertigkeit von Tätigkeitsfeldern davon mitbestimmt, welchem Geschlecht sie zustehen.“ (Hagemann-White 1988: 288). Durch das Alltagswissen von der Zweigeschlechtlichkeit können Personen (z. B. Eltern, LehrerInnen) andere Personen (z. B. Kinder) nur entweder als Mädchen/Frau oder Junge/Mann sehen. Diese Zuschreibung von Geschlechtsbedeutung erfolgt nicht nur gegenüber Personen, sondern auch gegenüber den meisten kulturellen Objekten, so z. B. Spielzeug, Kleidung, aber auch Tätigkeiten und Örtlichkeiten. Vor diesem Hintergrund wird es irrelevant, ob sich die Verhaltensmuster und Möglichkeiten sowie Eigenschaften von Mädchen und Jungen einer bestimmten Alterstufe unterscheiden oder nicht, „denn entscheidend ist ihre Aneignung der Wertigkeit und der Bedeutung des Verhaltens“ (Hagemann-White 1988: 231). Ein Beispiel auf mein Thema bezogen: In unserer Gesellschaft ist ein BMX oder ein Skateboard ein „Spielzeug für Jungen“. Deshalb schenken Eltern ihren Mädchen seltener ein BMX oder ein Skateboard als ihren Jungen. Mädchen lernen, dass risikoreiches Verhalten für sie nicht angebracht ist. Spielzeuge und Spiele sind als sexuierte kulturelle Objekte von besonderer Bedeutung, da sie offensichtlich späteres Sozial- und Berufswahlverhalten beeinflussen; verschiedene Studien (z. B. Nötzel 1987) belegen die spielerische Einübung in die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie und auf dem Arbeitsmarkt. 2.4 Die „Institutionelle Reflexivität“ von Erving Goffman (2001, 1977) Goffman (2001, 1977) legt in seinem Werk „Interaktion und Geschlecht“ dar, wie Industriegesellschaften zahllose „Turbulenzen der öffentlichen Ordnung“, wie zum Beispiel MigrantInnenströme und Wirtschafts- und Arbeitsmarktzyklen, verkraften können. Goffman schliesst daraus, dass Industriegesellschaften in ihrer sozialen Organisation eine hohe Flexibilität aufweisen. Aufgrund dieser hohen Flexibilität fragt er sich, ob das System der sozialen Organisation dieser Gesellschaften überhaupt irgendwelche notwendigen Kennzeichen aufweist (2001: 106). In Betrachtung der „Geschlechter-Arrangements“ argumentiert er, dass unter modernen Bedingungen 12 nicht allzu viel organisatorischer Aufwand nötig wäre, wollten spürbare soziale Folgen der biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern verhindert werden. Goffman legt dar, dass es auf der anderen Seite aber eines umfassenden, geschlossenen Bündels sozialer Glaubensvorstellungen und Praktiken bedarf, um die - im Vergleich zu allen anderen „Turbulenzen der öffentlichen Ordnung“ - geringen biologischen Unterschiede als Ursache derjenigen sozialen Konsequenzen ansehen zu können, die scheinbar selbstverständlich aus ihnen folgen. Daran anschliessend argumentiert er, dass nicht die sozialen Konsequenzen der angeborenen Geschlechterunterschiede einer Erklärung bedürfen, sondern vielmehr wie diese Unterschiede als Garanten für unsere sozialen Arrangements geltend gemacht wurden und werden und, mehr noch, wie die institutionellen Mechanismen der Gesellschaft sicherstellen konnten, dass uns diese Erklärung stichhaltig erscheint. Diese Zusammenhänge nennt Goffman „Institutionelle Reflexivität“ (2001: 107).5 Er will damit erklären, wie der Glaube an die Geschlechterunterschiede in einer Art Teufelskreis (reproduziert wird. 2.5 Die Subkultur des Skateboarding In diesem Kapitel möchte ich meinen Standpunkt bezüglich der Kultur des Skateboarding in Anlehnung an Jürgen Schwier (1996) verorten. Damit möchte ich einen Hintergrund schaffen, vor dem ich meine Auffassung gegenüber dieser Subkultur und seinen Protagonisten verstanden sehen will. Abb. 1: Nico beim Grinden beim besetzten Haus an der Kalckbreite, fotografiert von Alan Maag Vorneweg möchte ich Henrik Kreutz’s (1994) Definition von Subkultur vorstellen. Laut dieser kann von einer Subkultur gesprochen werden, wenn ein Interaktionssystem hinsichtlich seiner Symbolwelt, seinen Interaktionsformen, Normen, Werthaltungen, Zielsetzungen, Verhaltensmustern und Prüfkriterien für Wahrheit und Realität von anderen Interaktionssystemen der gleichen Gesellschaft abweicht. Schwier (1996, zit. in Oltmanns 1998: 20) untersuchte in Anlehnung an eine solche Definition die Kultur der SkaterInnen insbesondere unter den Aspekten der Einbettung der spezifischen Bewegungspraxen in das jugendkulturelle Alltagsleben, ihrer Stile und Kodes sowie ihrer distinktiven Stilisierungsbemühungen durch Kleider, Musik und eigene Symbolwelten. Dabei verweist er auf die der Szene immanente Konstitution eigener sozialer Felder durch Dekonstruktion und Umfunktionalisierung etablierter semiotischer Milieus. Dies bedeutet, dass in der Kultur der 5 Ein Beispiel dazu findet sich in Kapitel 7.1.4 13 SkaterInnen Altbekanntes – Kleidung, urbane Räume der Repräsentation, der Monofunktionalität (Strassen) und des Konsums (Einkaufszentren und -Passagen) – in einen mit veränderter Bedeutung besetzten Kontext gestellt wird, um so in kreativer Art und Weise handelnd neue Symbolwelten mit je eigenen Werthaltungen, Handlungsmustern und Botschaften zu gestalten. Schwier definiert die SkateSzene im Rekurs auf den Subkultur-Ansatz von Dick Hebdiges (1997, zit. in Oltmanns 1998: 20) als „spontanes Versuchslabor“, in dem Jugendliche versuchen, durch einen sich im ständigen (Aus-) Handlungsprozess befindlichen Lebensstil symbolische Selbständigkeit und damit Definitionsmacht sowie eine eigenständige soziale Identität zu gewinnen. Er erkennt Skateboarding dabei als nicht nur blosses Sporttreiben, sondern Ausdruck eines bewusst gewählten distinktiven Lebensstils. Meiner Ansicht ist es richtig von Skateboarding als einer Subkultur zu sprechen, mir ist aber wichtig zu betonen, dass überall Verflechtungen verschiedenster Art zwischen sogenannten Sub- und Mainstream-Kulturen festgestellt werden können. Auch möchte ich festhalten, dass, nicht zuletzt durch diese Verflechtungen, nicht von einer reinen Jugendkultur gesprochen werden kann. So gibt es viele erwachsene SkaterInnen, die ihren Lebensunterhalt mit einer Tätigkeit verdienen, die in irgendeiner Weise klar in der Kultur des Skateboarding verwurzelt ist oder aus dieser heraus erst entstanden ist. 14 3 Untersuchungsmethoden In diesem Kapitel werde ich die verschiedenen Methoden, die in dieser Arbeit zur Anwendung kamen, genauer erläutern. Als Grundlage für mein qualitatives Forschungskonzept diente mir vor allem Uwe Flick’s Werk „Qualitative Sozialforschung“ (2005). Ein zentrales Kennzeichen qualitativer Forschung ist, gemäss Flick, die Methoden so offen zu gestalten, dass sie der Komplexität des untersuchten Gegenstandes gerecht werden (2005: 17). Dabei ist der zu untersuchende Gegenstand Bezugspunkt für die Auswahl von Methoden. Gegenstände sollen dabei nicht in ihre einzelnen Variablen zerlegt, sondern in ihrer Komplexität und Ganzheit in ihrem alltäglichen Kontext untersucht werden (Flick 2005: 18). Anders als bei quantitativer Forschung wird bei qualitativen Methoden die Kommunikation der forschenden Person mit den im jeweiligen Feld Beteiligten zum expliziten Bestandteil der Erkenntnis. So erklärt Flick (2005: 19) die Subjektivität von Untersuchten und UntersucherInnen zu einem Bestandteil des Forschungsprozesses. In der qualitativen Forschung ist es also relevant, wie ich an die einzelnen Personen herantrete und welchen Eindruck sie nach ersten Gesprächen mitnehmen. Die Fähigkeit, auf andere Menschen und Situationen einzugehen, ist nichts, was in einem Methodenbuch erlernt werden kann, noch ist es als Teil meiner Ergebnisse als solches zu erkennen, aber dennoch von grundsätzlicher Wichtigkeit in der qualitativen Forschung. Flick benennt als Ziel der Forschung, Neues zu entdecken und empirisch begründete Theorien zu entwickeln (2005: 18). Die Bestimmung der Gültigkeit der Untersuchung wird, laut Flick, unter Bezug auf den Gegenstand vorgenommen und folgt nicht – wie bei quantitativer Forschung – ausschliesslich abstrakten Kriterien der Wissenschaftlichkeit. Zentrale Kriterien sind vielmehr, ob Erkenntnisse im empirischen Material begründet sind, und ob die verwendeten Methoden dem untersuchten Gegenstand angemessen ausgewählt und angewendet wurden (2005: 18). 3.1 Literatur- und Dokumentanalyse Die Methode der Literatur- und Dokumentanalyse dient der Orientierung und Standortbestimmung im Diskurs des jeweiligen Themengebiets. Sie soll den Rahmen schaffen, in den die eigene Forschung eingereiht werden kann. Im Kapitel 4 sind die Ergebnisse dieser Analyse zusammengetragen. 3.2 Beobachtungen Zu Beginn meiner Arbeit verfolgte ich die Idee, Daten durch Beobachtung zu generieren. Es sollten dadurch Handlungsweisen erkennbar werden, die nur der Beobachtung zugänglich sind, wohingegen Interviews als Daten nur Darstellungen über eben diese Handlungsweisen anbieten. In einer ähnlichen Untersuchung in Amsterdam hat diese Methode einen grossen Anteil an der effektiven empirischen Arbeit ausgemacht. Es hat sich aber zu einem frühen Zeitpunkt meiner Arbeit gezeigt, dass sich der Amsterdamer Kontext nicht ohne weiteres auf das Zürcher Umfeld übersetzen liess. Flick (2005: 202) bezeichnet in seinen „Phasen der Beobachtung“ als ersten Punkt die Auswahl des Settings. Wo und wann können die interessierenden Prozesse und Personen beobachtet werden? Um ein solches Setting bestimmen zu können, muss erst ein Muster in der Frequentierung von beliebten 15 Skate-Spots6 erkennbar sein. Zürich, als mein Untersuchungsraum, ist jedoch um einiges kleiner als Amsterdam. Dementsprechend muss davon ausgegangen werden, dass auch die Anzahl der Skatenden kleiner ist, was sich wiederum auf eine etwaige Besucherfrequenz bei allfälligen Treffpunkten der Skate-Szene auswirken würde. Wie sollte also ein Beobachtungsmuster aussehen? Unter „Probleme der Durchführung“ nennt Flick (2005: 202) als zentrale Schwierigkeit, eine praktikable Rolle für den Beobachter, die Beobachterin definieren zu können, mit der er oder sie sich im Feld oder an seinem Rand aufhalten und es gleichzeitig beobachten kann. Das Dilemma der Beobachtung beschreibt Flick (2005: 203) folgendermassen: Die forschende Person muss Zugang zum interessierenden Feld gewinnen, er oder sie möchte aber auch in einer Weise beobachten, die den Fluss der Ereignisse möglichst wenig beeinflusst. Zusätzlich ergibt sich eine problematische Situation, wenn die beobachteten Handlungen zum Teil verboten sind. Davon kann in meinem Untersuchungsfeld ausgegangen werden, da die gesetzlichen Grundlagen für SkateboarderInnen und StreetbikerInnen durchaus unbefriedigend sind.7 Es stellte sich für mich also die Frage, ob ich mich durch solch „unkonformes“ Verhalten, wie stundenlanges Herumsitzen an diesen Orten, wo doch sonst geskatet wird, eher unter Generalverdacht setzen würde, anstatt mir Tür und Tor zu öffnen für die Welt der SkaterInnen. Teilnehmende Beobachtung kam insofern nicht in Frage, als ich zwar ein paar Grundformen des Skateboardens kenne, es jedoch keinen Sinn gemacht hätte, diese an einem der angesagten SkateSpots praktizieren und ausbauen zu wollen, da dort ein viel höheres Niveau gefragt ist. Weiter hatte ich Bedenken hinsichtlich meiner Rolle als beobachtende Frau in dieser männerdominierten Szene, eine Situation, die als „Geschlechtsspezifik der Feldarbeit“ (Adler und Adler 1998: 95, zit. in Flick 2005: 205) bekannt ist. Was eine Rolle als aussenstehende, unbeteiligte Beobachterin in den meisten Fällen zusätzlich verunmöglicht hätte, ist die Tatsache, dass, durch die geringe Grösse Zürichs, aber auch durch meine eigenen, bereits vorhandenen Kontakte zu mehreren Exponenten der Szene, mich wahrscheinlich immer jemand gekannt hätte. Ich fürchtete um meine Street-Credibility. Aus allen diesen Gründen schien mir die Methode der Teilnehmenden Beobachtung für meine Fragestellung grundsätzlich nicht angebracht. Trotzdem, auch ohne systematische Beobachtungen, habe ich mir einen groben Überblick über die Skate–Aktivitäten in Zürich erschaffen können. Das verdanke ich zwei Tatsachen in meinem Leben, die nichts Direktes mit meiner Forschungsarbeit zu tun haben. Ich möchte die Erkenntnisse daraus aber doch als groben Hintergrund darstellen, da, gemäss Flick (2005), qualitative Forschung mehr beinhaltet, als das Aufzeichnen und Auswerten von systematisch erhobenen Daten. Was sich also im vorliegenden Kontext als optimal hinsichtlich des Erarbeitens von Hintergrundwissen über die Zürcher Skate-Lokalitäten und deren Frequentierung herausgestellt hat, ist meine Arbeit als Velokurierin. Ich bin mit dem Fahrrad drei Nachmittage in der Woche in der ganzen Stadt, inklusive angrenzende Gemeinden, unterwegs. Ich halte meine Augen immer offen und bin, nicht zuletzt durch den fortlaufenden Forschungsprozess, sensibilisiert, wo eventuell Spuren von Skate-Aktivitäten zu suchen sind. Ohne meine Arbeit zu vernachlässigen, konnte ich auch ab und zu kleine Abstecher oder andere Routen als gewohnt fahren und so zu verborgeneren Skate-Spots vordringen. Durch diese hohe Präsenz im ganzen Stadtgebiet und die grosse Zufälligkeit ergibt sich, meiner Ansicht nach, ein guter Überblick, wo sich zu welchen Zeiten wie viele SkaterInnen aufhalten. 6 Alle kursiv gestellten Ausdrücke sind im Glossar erklärt. 7 Vergleiche Kapitel 7.2.2.6 16 Ein anderer Punkt, den ich zufällig für meine Forschungsarbeit nutzen konnte, ist die Lage meines Wohnortes. Wo immer ich hin will, oder ich gerade her komme, mein Weg führt mich über den Turbinenplatz. Dieser Platz ist, wie ich schon recht zu Beginn meiner Arbeit herausgefunden habe, der beliebteste Skate-Spot bei den Zürcher SkaterInnen. Diese beiden Begebenheiten erwiesen sich als ideal für meine Untersuchung, da selbst Sonne, trockener Boden und angenehme Temperaturen keine Garantie bilden, SkaterInnen an einem ihrer Lieblingsorte anzutreffen. Aufgrund der gesammelten Erfahrungen, habe ich mich entschieden, drei Schauplätze näher vorzustellen: Den Toni-Skatepark, den Turbinenplatz und den Skateboardshop Network. Die ersten beiden Lokalitäten sind eigentlich die gegenwärtigen Lieblingsorte der SkaterInnen.8 Sie sind sehr oft bei milden Temperaturen und schönem Wetter von SkaterInnen bevölkert. Der Network ist das angesagteste Skateboard-Geschäft in der Szene. Er ist mehr als nur ein Geschäft, um neue Rollen oder Decks zu kaufen, er ist ein eigentlicher Treffpunkt für die SkaterInnen.9 Bei meiner anderen Untersuchungsgruppe, den StreetbikerInnen, wären Beobachtungen mit noch grösseren Problemen verbunden gewesen. Die Anzahl Praktizierender ist bei dieser Gruppe nochmals kleiner, sodass die Wahrscheinlichkeit, einen Streetbiker oder eine Streetbikerin auf der Strasse oder auf einem Platz anzutreffen, noch viel geringer ist als bei den SkaterInnen. Zusätzlich ist ihre Mobilität um einiges grösser, was die Fluktuation der besuchten Orte erhöht. Weiter kann mit einem Street-Bike fast jeder Untergrund angefahren werden. Somit könnte theoretisch eine beliebig grosse Anzahl von Street-Bike-Spots bestehen, was die Wahrscheinlichkeit, zufällig einen Streetbiker oder eine Streetbikerin anzutreffen, nochmals verringert. Was sich auf der anderen Seite aber positiv auf die Generierung meiner Daten auswirkte, ist, dass ich mich als aktiven Teil dieser Szene zählen kann. So bin ich mit all meinen InterviewpartnerInnen schon biken gewesen und kenne fast alle in den Interviews genannten Spots durch eigene Erfahrung. 3.3 Problemzentrierte Interviews Für meine empirische Untersuchung habe ich mich vor allem auf „Problemzentrierte Interviews“ konzentriert. Gemäss Martin Kohli (1978, zit. in Flick 2005: 117) kommen in der relativ offenen Gestaltung der Interviewsituation die Sichtweisen des befragten Subjekts gut zur Geltung. Theoretischer Hintergrund dieses methodischen Instruments ist die Auseinandersetzung mit subjektiven Sichtweisen. Beim „Problemzentrierten Interview“ sollen, laut Andreas Witzel (1982, 1985, zit. in Flick 2005: 134), anhand eines Leitfadens, der aus Fragen und Erzählanreizen besteht, insbesondere biografische Daten mit Hinblick auf ein bestimmtes Problem thematisiert werden. Dieser Interviewtyp ist durch die drei zentralen Kriterien der Problemzentrierung, der Gegenstandsorientierung und der Prozessorientierung gekennzeichnet (Flick 2005: 135). Die Problemzentrierung, laut Witzel (1982, 1985: 230, zit. in Flick 2005: 135) die Orientierung der forschenden Person an einer relevanten gesellschaftlichen Problemstellung, ist in meiner Untersuchung durch die Fragestellung nach alternativer Nutzung urbanen Raums durch Freestyle-SportlerInnen, sowie nach den Geschlechterverhältnissen in dieser männerdominierten Szene gegeben. Die Gegenstandsorientierung, das heisst, dass die Methoden am Gegenstand orientiert entwickelt bzw. 8 9 Vergleiche Kapitel 7 Vergleiche Kapitel 7.1.4 17 modifiziert werden sollen, besteht im Kontext meiner Untersuchung darin, dass ich die Interviewsituationen so ungezwungen und offen wie möglich gestaltet habe, um dem alternativen Habitus der FreestylesportlerInnen entgegenzukommen. Ich versuchte, mich den jeweiligen InterviewpartnerInnen soweit anzupassen, dass grösstmögliche Ungezwungenheit erreicht werden konnte. So habe ich junge Skater innerhalb der angesagten Skateboad-Geschäfte interviewt, wo sich die Interviewsituation, meiner Meinung nach, durch die vertraute Umgebung entspannter gestaltet hat. Mit Street-BikerInnen und SkaterInnen eher in meinem Alter habe ich mich in Gartenkaffees oder am frühen Abend in Bars getroffen. Das dritte Kriterium der Prozessorientierung in Forschungsprozess und Gegenstandsverständnis ergibt sich, durch die im Verlaufe der Forschungsarbeit generierten Informationen, von selber. Sie erlaubt das präzisere Nachfragen und tiefere Verständnis während der Interviewsituation. So kumuliert und verdichtet sich das Wissen und die Fragestellung von Interview zu Interview. Ebenfalls trägt die schrittweise Auswahl von InterviewpartnerInnen der Prozessorientierung Rechnung. Ich habe die Konzeption des „Qualitativen Interviews“ von Witzel (1985: 235-241, zit. in Flick 2005: 135) übernommen. Sie umfasst einen vorgeschalteten Kurzfragebogen, den Leitfaden, die Tonbandaufzeichnung und das Interviewprotokoll. Der Leitfaden soll dazu beitragen, den von der befragten Person selbst entwickelten Erzählstrang zum Tragen kommen zu lassen. Er soll aber in erster Linie Grundlage sein, dem Interview bei stockendem Gespräch, bzw. unergiebiger Thematik, eine neue Wendung zu geben (Witzel 1985: 237, zit. in Flick 2005: 135). Als zentrale Kommunikationsstrategie im „Problemzentrierten Interview“ nennt Witzel (1985: 245, zit. in Flick 2005: 135) den Gesprächseinstieg, allgemeine und spezifische Sondierungen und Ad-hoc-Fragen. Ich habe in den Interviewsituationen selten den Leitfaden zur Hilfe nehmen müssen. Meistens entwickelte sich nach einem individuellen Gesprächseinstieg eine Situation, bei der mit allgemeinen und spezifischen Sondierungen viele interessante Aspekte und Fakten zum Vorschein traten.10 Im Kurzfragebogen werden z.B. demografische Daten, die für die Themen des eigentlichen Interviews weniger relevant sind, aus diesem herausgenommen. Er kann, gemäss Witzel, vor oder auch nach dem eigentlichen Interview angeführt werden. Ich habe meinen Kurzfragebogen in zwei Teile aufgeteilt: Fragen nach Namen und Alter der Person am Anfang, die nach Wohnort, Herkunft und Arbeit der Eltern sowie Ausbildung und Arbeitssituation der befragten Person am Schluss des Interviews. Anschliessend habe ich mit der Anregung nach „Bemerkungen“ das Interviewprotokoll eingeleitet. Darin sollen, nach Witzel, unmittelbar im Anschluss an das Interview möglicherweise aufschlussreiche Kontextinformationen dokumentiert werden. In meiner Auslegung des Interviewprotokolls ging es mir aber vor allem darum, herauszufinden, ob ich in meinem Fragebogen etwas Wichtiges ausser Acht gelassen hatte. So lautete meine Aufforderung meistens, ob es irgendwelche Fragen gäbe, die im Interview vermisst wurden. Die Auswahlstrategie, die ich in meinem Forschungsprozess angewendet habe, orientiert sich am „Theoretischen Sampling“, das von Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss (1967/1998) entwickelt wurde. Dabei werden Entscheidungen über die Auswahl und Zusammensetzung des empirischen Materials im Prozess der Datenerhebung und –auswertung gefällt (Flick 2005: 102). Es geht in diesem Verfahren weder darum, die Repräsentativität der Stichprobe durch Zufallsauswahl ihrer Mitglieder zu gewährleisten, noch um ihre geschichtete Zusammensetzung. „Vielmehr werden Personen, Gruppen etc. nach ihrem (zu erwarteten) Gehalt an Neuem für die zu entwickelnde Theorie aufgrund des bisherigen Standes der Theorieentwicklung in die Untersuchung einbezogen.“ (Flick 2005: 102). Flick beschreibt die Notwendigkeit, Kriterien festzulegen, mit denen sich die prinzipielle Unbegrenztheit der 10 Der Interviewleitfaden für die SkaterInnen findet sich im Anhang C. 18 Wahlmöglichkeiten begründet einschränken lässt. Zu Kriterien werden hier, wie vielversprechend die jeweilige nächste Person ist, und wie relevant sie für die zu entwickelnde Theorie sein dürfte. Bei der Auswahl der InterviewpartnerInnen stellen sich weitere, in der persönlichen Sphäre anzusiedelnde Kriterien. Morse (1998: 73, zit. in Flick 2005: 110) formuliert verschiedene allgemeine Kriterien für „gute Informanten“: „Sie sollten über das notwendige Wissen und die notwendige Erfahrung mit dem jeweiligen Thema oder Gegenstand verfügen, die zur Beantwortung von Fragen im Interview oder – bei Beobachtungsstudien – zur Ausführung der interessierenden Handlungsweisen notwendig sind. Ebenso sollten sie die Fähigkeit zur Reflexion und Artikulation besitzen, die Zeit haben, um befragt (oder beobachtet) zu werden, und bereit sein, an der Untersuchung teilzunehmen.“ (Morse 1998: 73, zit. in Flick 2005: 110). Eine weitere ähnlich zentrale Frage ist, wonach sich die forschende Person bei der Entscheidung richten soll, wann er oder sie mit der Einbeziehung weiterer InterviewpartnerInnen aufhören kann. Glaser und Strauss geben dabei das Kriterium der „Theoretischen Sättigung“ an: „Das Kriterium, um zu beurteilen, wann mit dem Sampling je Kategorie, aufgehört werden kann, ist die „Theoretische Sättigung“ der Kategorie. Sättigung heisst, dass keine zusätzlichen Daten mehr gefunden werden können, mit deren Hilfe der Soziologe weitere Eigenschaften der Kategorie entwickeln kann.“ (Glaser und Strauss 1967/1998: 96, zit. in Flick 2005: 104). Ohne den Resultaten vorgreifen zu wollen, kann ich hier schon sagen, dass ich die beiden Konzepte „Theoretisches Sampling“ und „Theoretische Sättigung“ - in meiner empirischen Arbeit erfolgreich anwenden konnte. Insgesamt habe ich 8 SkaterInnen und 4 StreetbikerInnen befragt. 19 4 Historischer Hintergrund und Übersicht über die verschiedenen Szenen In diesem Kapitel werde ich als Hintergrund zu meiner Arbeit einen kurzen Abriss der Geschichte des Skateboarding geben. Dies scheint mit wichtig, da eine Momentaufnahme der aktuellen Praxis des Skateboarding nicht ohne den historischen Hintergrund verständlich wird. Auch kann die Geschichte des Skateboarding in Zürich, auf welche ich später eingehen werde, nicht losgelöst von der weltweiten Entwicklung des Skateboarding dargestellt werden. Anschliessend werde ich weitere Szenen des Freestyle-Bereichs genauer beleuchten. Dabei werde ich mich vor allem auf die StreetbikerInnen konzentrieren. Einen Spezialfall stellt die Praxis des Parkour dar. Diese Form urbaner Asphaltkultur, bei der zu Fuss Hindernisse, wie Mauern oder Gebäudefassaden überwunden werden, ist in Zürich verschwindend klein. Sie verdient, meiner Meinung nach, an dieser Stelle aber, aufgrund ihrer hohen Übereinstimmung mit meiner Fragestellung, Erwähnung. 4.1 Geschichte des Skateboarding Bei der nachfolgenden Schilderung der Skateboardgeschichte beziehe ich mich hauptsächlich auf Informationen, welche Iain Borden in seinem Werk „Skateboarding, Space and the City“ (2001) zusammengetragen hat. Diesen Autor werde ich in Kapitel 5.1 noch näher vorstellen. Bei der Darstellung der Entwicklung des Skateboarding in Zürich beziehe ich mich auf Erzählungen von Exponenten der Zürcher Szene, wie Skater der ersten Stunde und Besitzer von SkateboardGeschäften und -Labels. 4.1.1 Allgemeine Entwicklungen mit Fokus auf den USA Das Skateboard hat seinen Ursprung in Kalifornien zwischen 1930 und 1950 (Borden 2001: 13). Als Spielzeug für Kinder gedacht, hatte diese frühe Version aber noch einen Lenker und ist daher eher mit einem Microscooter zu vergleichen. Das Skateboard, wie es heute bekannt ist, wurde von den späten 50er Jahren bis in die frühen 70er Jahre in den Strandgemeinden Kaliforniens von den SurferInnen genutzt, um die Surfbewegungen auf dem Asphalt nachzuahmen. Die ersten kommerziellen Skateboards, die 1956 auf den Markt kamen, hatten Stahlrollen (Borden 2001: 15). Skateboarding blieb in diesem frühen Stadium vor allem ein Phänomen der Westküste der Vereinigten Staaten. Als 1965 in Anaheim, Kalifornien, die ersten internationalen Skateboardmeisterschaften im Freestyle- und Slalom-Skateboarding stattfanden, war Skateboarding, gemäss Borden, aber bereits eine weit verbreitete Aktivität mit nationaler Medienpräsenz. Es kamen die ersten fabrikfertigen Skateboards auf den Markt und die Produktion der Firma „Vita-Pact“ erreichte 1965 über sechs Millionen Stück (Borden 2001: 16). Diese erste Boom-Phase des Skateboarding war aber sehr kurzlebig. Um 1972 trat Skateboarding mit der Einführung der Urethan-Rollen in seine zweite Phase (Borden 2001: 18). Das moderne Skateboard war geboren. Von dem Zeitpunkt an fuhren die meisten SkaterInnen die breiten Holzdecks mit dem Kicktail, mit Trucks aus einer Aluminiumlegierung und Stahl-Achsen. Es werden bis heute spezielle Modelle, zum Beispiel zum Slalom-Skaten11, zum Downhill-Skaten12 und zum 11 12 Decks aus Fiberglas oder ähnlich flexiblem Material, mit Aussparungen für maximale Beweglichkeit der Räder Längere Bretter, grössere Räder 20 Freestyle-Skaten13 entwickelt. Vor allem das Slalom-Skaten erlebte Mitte der 90er Jahre eine neue Boom-Phase. Gemäss Borden (2001: 21) erforschten die SkaterInnen mit ihren Brettern immer mehr Terrain, auf dem sie ihre Surfbewegungen ausweiten konnten. Mit der Entdeckung von wasserfreien, runden oder nierenförmigen Schwimmbecken als Spielplatz wurde eine neue Welle ausgelöst. In den späten 70erJahren wurde mit der Erbauung von Skateparks, vor allem in den USA und Grossbritanien, dem Skateboarden zu einem erneuten Boom verholfen. Einige der berühmtesten Parks sind „Marina del Rey“ (Los Angeles) und „Pipeline“ (Uplands, Los Angeles) in den USA und „The Rom“ (Romford) und „Solid Surf“ (Harrow) in Grossbritanien (Borden 2001: 22). Nach diesem Boom verlor Skateboarding wieder stark an Popularität, war aber nie ganz verschwunden. In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre erlebte es, durch das neue Interesse am Streetskating, einen erneuten Aufschwung (Borden 2001: 23). Der erste Streetstyle-Contest – später die Geburtstätte des Streetstyle-Skateboarding genannt – fand im April 1983 im „Golden Gate Park“ in San Francisco statt. Jetzt wurde in den Zentren der Städte weltweit geskatet. Die urbane Praxis des Skateboarding wurde ein globales Phänomen. Das Zentrum aller Aktivitäten liegt aber bis jetzt in den USA. Abb. 2: Die ewige Schwingung in der Wüste, 1977; Gregg fotografiert von Warren Bolster. (Quelle: Borden 2001, eingescannt von der Autorin) 13 Kleine Bretter mit parallelen Seiten, engeren Achsen und kleineren Rädern 21 Absolute Zahlen, wie viele Menschen skaten, sind schwierig zu nennen. Das „Time Magazine“ (Cocks 6. Juni 1988 in Time 131: 90) schätzte die Zahl der US-amerikanischen SkaterInnen im Jahr 1988 auf 20 Millionen und laut einer Schätzung des Herausgebers des „TransWorld Skateboarding“ (1997, 15/11: 30, zit. in Borden 2001: 184) könnte 1997 die globale Zahl der Skatenden 12 Millionen betragen haben. Borden schätzte die Zahl der SkaterInnen 2001 weltweit auf 40 Millionen (Borden 2001: Rückendeckel). Für das „Time Magazine“ (Cocks 6. Juni 1988 in Time 131: 90) könnte sich 1988 der Marktwert des Skateboardens auf jährlich zwischen 300 und 500 Millionen US$ belaufen haben. Einige der professionellen Skater versuchten schon früh, Kontrolle über den Herstellungs- und Verteilungsprozess ihrer Skateboards zu erlangen und gründeten eigene Firmen. Tony Alva gründete 1977 „Alva Skates“, Stacy Perlata und Jim Muir verliessen ebenfalls ihre Teams, um ihre eigenen Firmen zu gründen. Steve Rocco („World Industries“), Tony Magnusson („H-Street“), Mark Gonzales („Blind“) und Tony Hawk („Birdhouse“) haben später dasselbe getan (Borden 2001: 157). Anfangs der 90er Jahre machte das Skateboarddesign seine bislang letzte grosse Entwicklung. 1991/1992 hat sich das sehr technische, unidirektionale Streetstyle-Skateboarding zur dominanten Skate-Form entwickelt. Die neuen Decks waren von dem Zeitpunkt an ein bisschen länger (80cm) und schmaler (20cm) mit parallelen Seiten und beinahe identischen steilen Kicktails vorne und hinten (Borden 2001: 25). Somit konnten Tricks über die Nose gemacht und switchstance geskated werden. Eine andere wichtige Entwicklung beinhaltet, laut Borden, die Ästhetik. Bis zu dem Zeitpunkt wurden jährlich neue Modelle herausgebracht, um 1995 wurde jedoch die Lebensdauer eines Modells auf ein paar Monate heruntergedreht. Heute gebrauchen die Skateboard-Hersteller hauptsächlich die Grafik, um ihre Produkte voneinander zu unterscheiden, da alle dieselben Formen, Materialien und Konstruktionsstandards gebrauchen (Borden 2001: 26). Viele Firmen machen ihre Decks nicht selber, sondern kaufen Rohlinge von den drei grossen Produzenten „Taylor-Dykema“, „Prime“ und „PS Stix“. Die Rollen werden von ein paar wenigen Hauptproduzenten hergestellt, und die Trucks werden vorwiegend bei zwei US-Giessereien produziert (Borden 2001: 27). Seit den frühen 90er Jahren fliessen die Profite der Skateboardindustrie zunehmend zu den drei kalifornischen Herstellern Fausto Vitello, Steve Rocco und Lawrence Balma. Sie alle produzieren für den weltweiten Markt Skateboarddecks, Trucks, Rollen, Kleider, Schuhe und Videos. Es existieren viele komplexe Besitzerverhältnisse, aber Borden vermutet, dass Vitello, Rocco und Balma 70 Prozent des Skateboardgeschäftes kontrollieren (Borden 2001: 158). Jeder der drei besitzt eines der grossen Skate-Magazine, „Big Brother“, „Trasher“ und „TransWorld Skateboarding“ (Borden 2001: 158). Trotz dieser Machtkonzentration wird – nicht zuletzt durch diese drei Magazine - ein Image von einer Industrie von kleinen, unabhängigen, von SkaterInnen geführten Firmen aufrechterhalten. Mitte der 90er Jahre kam das Skateboarden mehr und mehr in Mode und Skateboardkleider wurden populär in der Mainstream-Kultur. „Vans“ zum Beispiel, 1966 gegründet und tief in der Skatekultur verwurzelt, ist seit 2000 eine im NASDAQ-Index geführte Firma (Borden 2001: 160). 22 4.1.2 Geschichte des Skateboarding in Zürich Zürichs Skateboard-Szene orientierte sich in ihren Anfängen stark an den US-amerikanischen SkaterInnen. Beach Mountain, 1985 eröffnet, war das erste Fachgeschäft für Skateboards in Zürich. Das traditionsreiche Sportgeschäft Och Sport und der Neuenburger Sport, hatten jedoch schon einige Jahre früher begonnen, die begehrten Bretter aus den USA zu importieren. Beach Mountain gehört unterdessen der Jelmoli-Gruppe an und ist mit seinen drei Filialen in der Stadt Zürich bis zum heutigen Zeitpunkt für die lokale Skateboardszene prägend geblieben. Beach Mountain, wie auch No Way, ebenfalls ein Skateboard-Geschäft der ersten Stunde, ist Importeur verschiedenster Marken im Skateboard-Bereich. Diese Umstände vergrössern meines Erachtens den Einfluss dieser Geschäfte auf die lokale Szene. Abb. 3: Titelblatt des „’zin“ „The Radical Vegetables“, März 1991 (Quelle: Private Sammlung, eingescannt von der Autorin) Abb. 4: „Skate-Guide“ aus dem „Rubber Mag“, Dezember 1993 (Quelle: Private Sammlung, eingescannt von der Autorin) Anregungen über die neusten Tricks und Trends lieferten, vor allem am Anfang, die amerikanischen Skateboard-Magazine und -Videos. Die Zürcher Szene war aber selber ziemlich innovativ. Dies lässt sich gut durch die grosse Zahl der in den 80er und frühen 90er Jahren erschienenen „’zines“ belegen. „’zines“ sind handgefertigte Magazine, oft mit dem Fotokopierer kopiert und per Post verteilt und dienten der Verbreitung lokaler News aus dem Umfeld der Skate-Szene. Sie sind eines von zahllosen Beispielen für die Einbettung und Verflechtung der Skateboard-Kultur in andere Subkultur-Praktiken. 23 Ohne diese Magazine, die später durch Low-Budget-Videoproduktionen der lokalen Skate-Szenen ersetzt wurden, wäre die Verbreitung der Skatekultur in Zürich nicht so schnell vor sich gegangen. Drei Zürcher Filme haben es, gemäss Manuel Gschwend, dem Besitzer des Network, über die Landesgrenzen hinweg zu einiger Beachtung gebracht. Es sind dies die von den Brüdern Kämpfen produzierten „Turicum“ (1998), „Secundum“ (1999) und „ZH2K“ (2000). Ende der 90er Jahre herrschte, laut Gschwend, kein Zweifel darüber, dass die Zürcher Skater zur Europäischen Spitze gehörten. Guy Kämpfen war der erste professionelle Zürcher Skater mit internationalen Sponsoring-Verträgen. Er ist Mitgründer des Skate-Labels „Safari“. Mit den aus Winterthur übergesiedelten „5thDistrict“ möchte ich an dieser Stelle noch ein weiteres Label vorstellen, das in Zürich und über den Stadtraum hinaus Innovation bringt. Beide Marken unterhalten ihre eigenen Skate-Teams und produzieren in regelmässigen Abständen ihre eigenen Videos. Der von Gschwend geführte Skate-Shop Network sowie die Crew um das Skatepark-Provisorium in der ehemaligen Toni-Molkerei sind zwei weitere soziale Zentren der Zürcher Skate-Szene. Ich werde diese in Kapitel 6.1 genauer beschreiben. Abb. 5: „Ghetto-Park“, Obstacles im autofreien Abschnitt der Hohlstrasse (Foto: Y. Müller) Die erste Halfpipe, zu der Zürcher SkaterInnen pilgerten, stand auf dem Hönggerberg. Seit dem Verschwinden der Steinfels-Halle im Jahr 2000 existieren in Zürich nur wenig „legale“ Alternativen für SkaterInnen, ihren Sport auszuüben. Die Landiwiese, die Urstätte des Zürcher Skateboarding, die aber den Grossteil des Sommers andersweitig besetzt ist und der Toni-Skatepark sowie einige wenige Obstacles, die unter der Kornhausbrücke und neben der Bäckeranlage verteilt sind, stellen auf 24 Stadtgebiet die einzigen Freiräume für SkaterInnen dar. Seit Jahren bestehen in Zürich, unter anderem Dank intensiven Bemühungen des Vereins Freestyle Park Zürich, Bestrebungen, den Bau einer Freestyle-Anlage zu realisieren. 2003 segnete der Stadtrat 150'000 Franken zur Projektierung eines Freestyle-Parks ab. Der Gemeinderat bewilligte 2004 einen Kredit von 4,5 Millionen und im darauf folgenden Jahr erteilte die Bausektion des Stadtrats die Baubewilligung. Nichts desto Trotz steht der Baubeginn der Anlage noch nicht fest. Hindernisse sind unter anderem immer wieder eingereichte Rekurse von AnwohnerInnengruppierungen. Im Moment (Stand Juli 2007) hat die Stadt ein Baugesuch für den geplanten Freestyle-Park in der Allmend Brunau zurückgezogen, weil sie den Rechtsstreit mit AnwohnerInnen fürchtet, da die geplante Anlage zum jetzigen Zeitpunkt an der Stelle nicht zonenkonform sein würde. Die Stadt will erst eine Umzonung des Gebiets vornehmen, bevor sie das Baugesuch erneut einreichen will (Schneebeli 2006). Einige Zürcher SkaterInnen pendeln regelmässig nach Winterthur, wo auf altem Industriegebiet eine grosse Skatehalle betrieben wird. Der „Block“, ehemals „Block 37“, existiert seit 1998 und zieht jährlich 65'000 Besucher an (Gmür 2006). 4.2 Übersicht der verschiedenen Szenen In den vorangehenden Kapiteln habe ich mich vor allem mit der Praxis und Geschichte des Skateboarding auseinandergesetzt. Dies liegt zum einen daran, dass Skateboarding, im Vergleich zu anderen urbanen Sportarten, in Zürich und wahrscheinlich auch weltweit, die grösste Verbreitung aufweist, zum anderen aber auch, weil im Bereich Skateboarding einige wissenschaftliche Publikationen vorliegen, was in meinen anderen Interessengebieten – dem Streetbiking und dem Parkour - viel weniger bis gar nicht der Fall ist. Ich möchte in diesem Kapitel nun aber weitere urbane Sportarten vorstellen. Die Auswahl der Szenen habe ich durch Abwägungen hinsichtlich der Relevanz für mein Thema vorgenommen. Bei Aktivitäten zum Beispiel, die auf der Strasse als solcher stattfinden, schätze ich die Relevanz als gering ein. So wird beim Downhill-Skateboarding, Slalom-Skateboarding oder InlineSkating, die asphaltierte Strasse eigentlich in ihrer ursprünglichen Bestimmung benutzt. Es wird ihrer konventionellen Bedeutung wenig Neues hinzugefügt, einmal abgesehen von dem durchaus wichtigen Postulat, dass unsere Strassen keine Hoheitszonen ausschliesslich für den motorisierten Verkehr sind, wie dies oft von AutofahrerInnen, PolitikerInnen, usw. verstanden wird. Weiter sind Aktivitäten für meine Arbeit von geringerem Interesse, wenn sie ausschliesslich in dafür vorgesehenen speziellen Anlagen stattfinden (wie zum Beispiel Street-Basketball) oder eine zu geringe Anzahl Praktizierender in Zürich existiert. 25 4.2.1 BMX, Street-Bike, Dirt-Bike Die Praxen des BMX und des Streetbiking sind - nach dem Skateboarding - meines Wissens, in Zürich die zweitverbreitetsten Aktivitäten, mit welchen sich Freestyle-SportlerInnen den urbanen Raum alternativ aneignen. Aus diesem Grund werde ich mich etwas ausführlicher mit diesen Szenen befassen. Das BMX ist der Ursprung aller Arten urbanen Freestyle-Velofahrens. BMX steht als Abkürzung für „Bicycle Motocross“. Erst in den letzten ungefähr zehn Jahren kamen die Dirt- und Street-Bikes auf. Die Anfänge des BMX-Velos finden sich Ende der 60er Jahre in den USA, als sich Jugendliche für den Motocross-Sport zu interessieren begannen und sich entweder keine Maschine leisten konnten oder einfach noch zu jung dafür waren.14 Kleine Fahrräder wurden mit Motorradlenkern ausgestattet und bekamen entsprechende Bereifung. Die Laufräder haben einen Durchmesser von 20 Zoll. Dirtund Street-Bikes weisen 24- aber auch 26-Zoll-Laufräder auf. Die Rahmen der Dirt- und Street-Bikes sind grundsätzlich grösser und besitzen eine andere Geometrie als die der BMX-Velos. Der entscheidendste Unterschied aber ist wohl, dass Dirt- und Street-Bikes eine gedämpfte Vordergabel aufweisen. Diese ermöglicht das Befahren einer grösseren Auswahl an Spots und eine andere Fahrweise. Die ursprüngliche Form des BMX-Sports manifestierte sich in der Disziplin Race. Die ersten BMXBahnen wurden in Kalifornien Anfang der siebziger Jahre gebaut. Seither hat sich der BMX-Rennsport kontinuierlich weiter entwickelt. Die Bahnen wurden anspruchsvoller, mit größeren und technisch schwieriger zu fahrenden Hindernissen.15 Erst später entstand die Disziplin Freestyle. Dabei ging es nicht mehr um die Geschwindigkeit wie beim Race, sondern um Tricks, den dazu benötigten Mut und die Geschicklichkeit. Es können heute folgende Teildisziplinen ausgemacht werden: Vert, Flatland, Street, Dirtjump / Trails und Park. Die einzelnen Disziplinen gehen teilweise stark ineinander über. Dirt-Tricks werden zum Beispiel auch beim Park-Fahren gemacht. Die Geometrie und der Aufbau der Velos können zwischen den einzelnen Teildisziplinen variieren. So ist es zum Beispiel für Flatland von Vorteil, ein BMX zu fahren, dessen Rahmen einen kürzeren Radstand hat. Die Anzahl der Bremsen sowie die Nutzung solcher Vorrichtungen können ebenfalls variieren. StreetfahrerInnen haben meistens gar keine oder nur eine Hinterbremse, die über ein langes Kabel mit dem Bremshebel verbunden ist. Dieses ermöglicht das Drehen des Lenkers um 360 Grad und ist sehr wartungsarm. VertfahrerInnen sind oft mit zwei Bremsen anzutreffen und FlatlanderInnen fahren meistens keine oder nur eine Vorderradbremse, deren Kabel durch die Gabel verlegt ist. Der Aufbau eines BMX oder Street-Bikes ist in erster Linie zwar durchaus vom Einsatzbereich abhängig, beinahe ebenso viel machen jedoch die Vorlieben des Fahrers oder der Fahrerin aus. 1996 gewann BMX durch die amerikanischen „Extreme Games“ (später „X-Games“) stark an Popularität. Heute hat sich der Sport mit zwei internationalen, von FahrerInnen organisierten und akzeptierten Wettbewerbsserien etabliert und wird von einer Industrie getragen, die sich weitgehend vom konventionellen Fahrradmarkt abgeschottet hat und zum Großteil von FahrerInnen selbst betrieben wird.16 Im Bereich des Street- und Dirt-Biking existieren ebenfalls einige kleine 14 http://de.wikipedia.org/wiki/BMX, 14.2.07 http://de.wikipedia.org/wiki/BMX, 14.2.07 16 http://de.wikipedia.org/wiki/BMX, 14.2.07 15 26 Wettbewerbserien. In Peking 2008 soll BMX-Racing zum ersten Mal als olympische Disziplin ausgetragen werden. Die wichtigsten Adressen für BMX, Street- und Dirt-Bikes in Zürich sind das Wheelhouse der Backyard und der Cycle Shark sowie, seit neuem, der Biroma. Vor allem in den Anfängen des BMX wurden Veloteile von Privatpersonen direkt aus den USA oder Grossbritannien nach Zürich importiert, was auch heute noch vorkommt. Die BMX-, Street- und Dirt-Bike-Szene in Zürich beschränkt sich, nach Schätzungen von Exponenten der Szene, auf ein paar Dutzend FahrerInnen.17 Die Innovationskraft geht vor allem von einzelnen enthusiastischen Fahrern aus, die immer mal wieder die Schaufel in die Hand nehmen und da und dort, legal oder auch weniger, Sprungabfolgen aus Lehm und Erde, sogenannte Dirt-Lines, hinbauen. Im legendären Zürcher Pizza Cup, einer inoffiziellen Wettkampfserie für Velo-AllrounderInnen, war in den letzten Jahren jeweils ein Anlass dem Bauen und Befahren von Erdhügeln gewidmet. Offiziell existieren im Raum Zürich ein kleiner Dirt-Park in Zollikerberg, ein paar permanente Sprünge im Wald des Zürichbergs, sowie der Trail auf dem Üetliberg18. BMXerInnen und StreetbikerInnen können aber auch im Toni-Provisorium sowie im kleinen Park unter der Kornhausbrücke angetroffen werden. Die nächste BMX-Bahn befindet sich in Winterthur. Der Zutritt zum Block, der Skatehalle in Winterthur, ist für Velos verboten. Abb. 6: Lukas fährt den Wallride am Sihlquai (Foto: Flo Streit) 17 Ich spreche hier nicht von der um einiges grösseren Freeride- und Downhill-Szene, welche von diesen Geschäften ebenfalls beliefert wird. 18 Der Trail auf dem Üetliberg ist ein von der Stadt bewilligter Pfad für DownhillerInnen und FreeriderInnen, der vom Fernsehturm ausgehend entlang extra gebauter Steilwandkurven und Sprünge ins Triemli führt. 27 4.2.2 Parkour Es entstehen kontinuierlich neue Formen urbaner Aktivitäten. Eine Sport- oder Bewegungsart, die auf meine Forschungsfrage zugeschnitten zu sein scheint, ist Parkour. Der Traceur (französisch: der den Weg ebnet), schlägt dabei andere Wege ein als die, die ihm auf architektonische und sonstige Art und Weise vorgegeben sind. Er oder sie läuft entlang einer selbst vorgegebenen Route und versucht jegliche Hindernisse zu überwinden, die auf diesem Weg liegen. Dabei werden Mauern, Zäune, Baugerüste, ganze Hochhäuser und Gebäudefassaden uminterpretiert. Indem sie überwunden werden, werden neue Wege geschaffen. Dadurch ergibt sich ein völlig neues Bild der gewohnten Umgebung. Der Traceur macht sich den öffentlichen bzw. urbanen Raum in seiner Materialität zunutze. Scheinbar festgelegte Funktionen von Material und Orten werden aufgebrochen, umgedeutet und neu interpretiert. Parkour kann prinzipiell überall, sowohl in ruralem, wie in urbanem Umfeld praktiziert werden. Als Begründer und Szene-Idol gilt der Franzose David Belle. Parkour ist in der „Parkour Worldwide Association“ organisiert.19 In der Schweiz existiert ebenfalls eine kleine Szene. Ich habe im Internet Schweizer Parkour-Seiten gefunden, deren Foren und Chats ich durchforstete. Im Raum Zürich stiess ich vor allem auf einzelne Jungen, auf der Suche nach andern, denen sie sich anschliessen konnten, um zusammen diesen Sport zu erlernen. Es schien mir keine bestehende Parkour-Gruppe in Zürich zu geben. Eine solche Aussage bestätigte mir auch Andy, der „beste“ Österreichische Traceur.20 19 20 http://de.wikipedia.org/wiki/Parkour, 18.12.06 Vergleiche Kapitel 7.1.1 28 5 Forschungsstand In diesem Kapitel werde ich mit einer Literatur- und Dokumentanalyse einen Überblick über die für diese Arbeit relevantesten wissenschaftlichen Publikationen schaffen. Es soll dabei die Breite der Themen und Problematiken, die im Zusammenhang mit dem Phänomen des urbanen Skaters, der urbanen Skaterin interessieren, vorgestellt werden. In meinen Recherchen hat sich gezeigt, dass auf wissenschaftlicher Ebene nur ganz wenige Studien speziell über SkaterInnen existieren. Es stellt sich hier aber die Frage, ob und wie diese Studien überhaupt verglichen werden können. So ist der nordamerikanische Kontext, in welchem die meisten Studien entstanden sind, bestimmt sehr verschieden von einem europäischen oder schweizerischen Kontext. Für meine Nachforschungen waren vor allem die Sammlungen „Elektronischer Medien“ der Zentralbibliothek Zürich hilfreich. Eine erste Analyse des Materials erlaubt eine Aufteilung der gefundenen wissenschaftlichen Publikationen in zwei Hauptkategorien. In die erste Kategorie fallen architektonische, beziehungsweise raumplanerisch-architektonische Studien. Für Iain Borden (2001, 2004) stellt das Skateboarding eine Kritik an der bestehenden architektonischen Praxis dar, für Ocean Howell (2005) eine Kritik an der politischen Klasse. Eine weitere Kategorie erschliessen zwei Autorinnen-Teams, die sich von einer sozialwissenschaftlichen Seite her mit dem Thema des Skateboarding befassen. Es sind dies die Studien von Dawn H. Currie, Deirdre M. Kelly und Shauna Pomerantz (Kelly et al. 2004, Pomerantz et al. 2005), die SkaterInnen in Vancouver beobachtet und interviewt haben, sowie Lia Karsten und Eva Pel (2000), die ihre Untersuchungen mit SkaterInnen in Amsterdam durchführten. Ich werde diese Arbeiten kurz zusammenfassen, um später ihre wichtigsten Aussagen und Ergebnisse in einen Dialog mit den Resultaten meiner Untersuchungen stellen zu können. Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass ich eine eher unkonforme Art, die AutorInnen und ihre Werke darzustellen, gewählt habe. So habe ich jeweils einer Untersuchung oder einer These ein ganzes Kapitel gewidmet. Ich habe diese Vorgehensweise bewusst so gewählt, da die jeweiligen Publikationen so unterschiedliche Spektren meines Themas beleuchten, dass die wenigsten in einen Vergleich zueinander gestellt werden können. 5.1 Skateboarding als performative Kritik an der Architektur, an der Stadt und am Kapitalismus – der Ansatz von Iain Borden (2001, 2004) “Here in the movement of the body across urban space, and in its direct interaction with the modern architecture of the city, lies the central critique of skateboarding – a rejection both of the values and of the spatio-temporal modes of living in the contemporary capitalist city” (Borden 2004: 292). In diesem Kapitel werde ich die Arbeit von Iain Borden und seinen Verdienst an einer theoretischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema der urbanen Praxis des Skateboarding vorstellen. Iain Borden ist Direktor der „Bartlett School of Architecture“ am „University College of London“, wo er Architektur und „Urban Culture“ lehrt. Ursprünglich Architekturhistoriker, hat er zu diversen Themen, darunter auch über die Geschichte des Skateboarding als einer urbanen Praxis publiziert. Seine letzten Arbeiten beschäftigten sich mit der Geschichte verschiedener Arten von Bewegung und dem 29 architektonischen Raum. Er produzierte kürzlich eine Fernseh-Dokumentation und eine internationale Wanderausstellung über Skateboarding und urbanen Raum. Borden hat in seinem Buch „Skateboarding, Space and the City. Architecture and the Body“ (2001), auf das ich mich in diesem Kapitel vor allem beziehe, mehr als nur eine Abhandlung über die Geschichte des Skateboardens geschaffen. Anhand der historischen Entwicklung des Skateboarding zeichnet er ein Raum-Körper-Konstrukt auf, das sich in der Abfolge der Begriffe: „Found Space“, „Constructed Space“ und „Body Space“ wiederfindet. Mit der Darstellung der frühen Jahre, in denen SkaterInnen nach Rundungen suchten, nach Böschungen, leeren Schwimmbecken, Pipelines und Abwasserkanälen, definiert er einen Zustand, den er „Found Space“ nennt. Die SkaterInnen suchten nach etwas Bestimmtem, Definiertem. Die zweite Phase nennt er „Constructed Space“. Dies ist die Phase der Skateparks und Holzrampen. Die Parks werden extra für die SkaterInnen erschaffen. Im Kapitel „Body Space“ beleuchtet er auf einer mehr theoretischen Körper-Raum-Ebene die Entwicklungen, die die Praxis des Skateboarden bis heute erlebt hat. Er legt in den folgenden Kapiteln dar, wie die zeitgenössisch dominante urbane Praxis des Skateboardens, als „performative Kritik an der Architektur, an der Stadt und am Kapitalismus“ gelesen werden kann (Borden 2004: 292). Mit einer starken Anlehnung an das körperzentrierte Raumverständnis von Lefebvre (1991) hat er Architektur, Raum und Skateboarding zu einem theoretischen Konstrukt verknüpft. Nach Lefebvre reproduziert sich Architektur in denjenigen, die sich den Raum hinterfragend aneignen, in ihrer gelebten Erfahrung (Lefebvre 1991: 137). In Bordens Formulierung kommen die Körper der SkaterInnen, die Momentaufnahme der gelebten Performance, die Ausrüstung und die Architektur zusammen, um eine neu rekonzeptualisierte urbane Architektur zu formen, die sich fortlaufend verändert. SkaterInnen lassen so, gemäss Borden, durch ihre urbanen Aktionen ihr Verständnis von der Stadt und ihre Kritik an derselben sprechen. In dieser Bewegung des Körpers durch den urbanen Raum und in seiner direkten Interaktion mit der modernen Architektur der Stadt, liegt, so Borden, die zentrale Kritik des Skateboarding – eine Ablehnung der Werte und der räumlich-zeitlichen Modi des Lebens in der zeitgenössischen kapitalistischen Stadt. SkaterInnen sehen also die Stadt als eine Ansammlung von Objekten. Aber Städte sind nicht einfach neben- oder übereinander gereihte Objekte, sondern, nach Ansicht von Borden, die sichtbaren Formen der Urbanisierungsprozesse, die mit Ideen, Kultur und Geschichte, mit Geldbewegungen, Informationen und Ideologien beladen sind und auf dynamische Weise zur kontinuierlichen Reproduktion des Urbanen gehören. Wenn SkaterInnen also die Stadt als eine Ansammlung von Objekten sehen, verkennen sie den wahren Charakter der Stadt. Und das ist es, was Borden am Skateboarding kritisiert: Es trägt nichts oder wenig bei, die Prozesse, die das Urbane formen, zu analysieren (Borden 2004: 292). Die Stadt und ihre Architektur sind, gemäss Borden, für die SkaterInnen lediglich ein Ding. Borden argumentiert, dass wenn SkaterInnen einer Wand entlang fahren oder über einen Hydranten springen, ihnen der ideologische Inhalt oder die Funktion dieser „Hindernisse“ egal ist. Gemäss Borden setzen sich SkaterInnen nicht mit der Präsenz von Gebäuden auseinander, im Sinne einer Komposition aus Raum und Materialien, die ein zusammenhängendes urbanes Ganzes bilden will. Indem sie sich nur auf gewisse Elemente eines Gebäudes fokussieren, verneinen SkaterInnen, laut Borden, die Existenz der Architektur, als ein diskretes dreidimensional unsichtbares Ding, das nur als Ganzes erkannt werden will. Sie behandeln die Architektur als ein Set voneinander isolierter physischer Elemente (Borden 2004: 293). In Borden’s Argumentation reproduziert Skateboarding Architektur mit seinen eigenen Messwerten, es überschreibt sie als eine Serie von Oberflächen, Texturen und Mikro-Objekten. SkaterInnen analysieren in diesem Sinne 30 Architektur nicht anhand ihres historischen, symbolischen oder sonstigen Gehalts, sondern anhand der Skatebarkeit ihrer Oberflächen. Sie betrachten ihre Umwelt durch das sogenannte Skater’s Eye.21 Ich möchte in dieser Arbeit untersuchen, ob sich die SkaterInnen, die ich befragt habe, ähnliche Gedanken machen, oder ob ihre Antworten in einem solchen Sinne interpretiert werden können. 5.2 Skateboarding und Gentrifizierung - das Beispiel von Philadelphia bei Ocean Howell (2005) Ocean Howell’s Artikel: “The ‘Creative Class’ and the Gentrifying City. Skateboarding in Philadelphia’s Love Park“ (2005), den ich in diesem Kapitel vorstellen will, verfolgt die neusten Entwicklungen der Raumpolitik der Stadt Philadelphia anhand der „John F. Kennedy Plaza“. „Love Park“, wie dieser Ort von den SkaterInnen genannt wird, war von Ende der 90er Jahre bis zu seiner Umgestaltung 2002, Zentrum einer stetig wachsenden internationalen Skateboard-Szene. Howell hat anhand von lokalen Zeitungsberichten, Stadtplanungsdokumenten und persönlichen Interviews aufgezeigt, wie versucht wurde, Skateboarding als Bestandteil der Stadtentwicklungspolitik der Stadt Philadelphia zu instrumentalisieren. Howell beschreibt, wie der Platz, der Mitte der 60er Jahre entstanden ist, bis in die 80er Jahre von der in der Umgebung arbeitenden Bevölkerung zum Mittagessen genutzt wurde. Im Zuge der Sozialreformen in der Reagan-Administration sei er aber immer mehr zu einem Zuhause der Obdachlosen geworden. Zu dieser Zeit hätten auch die SkaterInnen, die meisten von ihnen männliche Teenager aus angrenzenden Arbeiterquartieren, begonnen, den Platz zu nutzen. Laut Howell wurden sie am Anfang von der Polizei und der lokalen Presse gleich negativ behandelt wie die Obdachlosen. In den späten 90er Jahren, so stellte Howell fest, wurden sie aber bereits von der Hälfte des Stadtrats sowie von PlanerInnen, lokalen ArchitekturkritikerInnen und HerausgeberInnen grosser Zeitungen gepriesen. In der öffentlichen Meinung setzte sich die Ansicht durch, dass die SkaterInnen durch ihre Präsenz das Erscheinungsbild des Platzes als Zuhause der Obdachlosen abgeschwächt hätten. Sie hätten das Kapital der Skateboardindustrie auf den Platz gebracht und der Stadt ein trendiges Image verpasst. „Love Park“ war zu dieser Zeit in den grossen Skate-Magazinen und Videos stark vertreten. Etliche Werbungen für Skateboards, Rollen, Schuhe, Kleider und Läden waren im Love Park situiert (Howell 2005: 34). Aber was ihn, laut Howell, wohl endgültig zu einem „world famous icon“ für Jugendkultur (On Video, Love Story, zit. in Howell 2005: 34) gemacht hat, ist der Fakt, dass der Park als Vorbild für eine Szenerie in einem Videospiel Modell gestanden hat. Solche Spiele erreichen einen Markt, der um ein mehrfaches grösser ist als die Skateboard-Szene selber. Howell beschreibt, wie Philadelphia Ende der 90er Jahre eines der wichtigsten Zentren der internationalen Skateboard-Szene wurde. Die prestigeträchtigste Extremsport-Veranstaltung überhaupt, die X-Games, veranstaltet vom grössten amerikanischen Sportsender, ESPN, fand 2001 und 2002 in Philadelphia statt. Die Spiele brachten der Stadt, laut Howell, geschätzte 80 Millionen Dollar Einnahmen. Im Jahr 2000 erliess der Stadtrat jedoch aus unerklärlichen Gründen ein stadtweites Verbot gegen Skateboarding. Howell versucht nun darzulegen, wie die Instrumentalisierung und schlussendlich die Vertreibung der SkaterInnen stattgefunden hat und verweist dabei auf Parallelen zu aktuellen urbanen Wirtschaftstheorien. 21 Eine Beschreibung dieses Ausdrucks findet sich in Kapitel 7.2 31 Howell zitiert einen Leitartikel des „Inquirer’s“ mit dem Titel: „Love Park remains a test case of Philadelphia’s will to thrive.“ (Satullo 2004, Inquirer 6. Juni, zit. In Howell 2005: 37). Anhand dieses Artikels und Äusserungen des Finanzdirektors der Stadt mit ähnlichem Inhalt, stellt er sich die Frage, was sich so verändert habe, dass ein Teil der MeinungsmacherInnen in Philadelphia, die SkaterInnen nicht nur als eine Möglichkeit zur Entwicklung, sondern als einen Indikator, ob die Stadt überleben kann oder nicht, sehen. Er zitiert im folgenden ein von Richard Florida verfasstes Standardwerk für StadtplanerInnen: “The Rise of the Creative Class: And How It’s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life”. Für Florida ist die „kreative Klasse“ heute die normsetzende, die dominante Klasse in Amerika (Florida 2002, zit. In Howell 2005: 38): „The economic need for creativity has registered itself in the rise of a new class, which I call the creative class. Some 38 million Americans, 30 percent of all employed people, belong to this class.” Howell beschreibt, wie Florida anhand von Beobachtungen einen “Composite-Diversity-Index” entwickelt hat. Dieser Index setzt sich aus dem „Gay-Index“, dem „Foreign-Born-Index“ und dem „Bohemian-Index“ zusammen. Zu letzterem zählt er auch die SkaterInnen. Florida fand markante Korrelationen mit der Grösse der Hochtechnologie-Industrie und Wachstumsentwicklungen. Das heisst: Dort wo viele Homosexuelle, Ausländer und Bohemians wohnen, soll mehr Hochtechnologie-Industrie und eine höhere Wachstumsentwicklung existieren als an Orten, an denen der „Composite-Diversity-Index“ klein ist. Auf die Stadtplanung und –politik umgesetzt, fordert Florida, dass sich die Städte nicht länger damit beschäftigen sollten, zu versuchen, Arbeitsplätze zu schaffen, indem sie Firmen mit dem Bereitstellen von Infrastruktur und Steuerbegünstigungen ködern. Stattdessen sollte – gemäss Florida - dafür gesorgt werden, die Mitglieder der „kreativen Klasse“ mit hohen Lifestyle-Standards anzuwerben. Hier setzt nun Howells Kritik an Floridas theoretischer Perspektive an. Er fragt sich, auf welcher Basis diese Mitglieder der „kreativen Klasse“ sich miteinander identifizieren, da ihre „Kreativität“ offensichtlich extrem verschieden ist. Nach Howells Interpretation ist der Faktor, der diese „Klasse“ definiert, das urbane Wachstum, welches sie vorantreiben, (wobei er grundsätzlich nicht von einer „Klasse“ sprechen will). Die einzige gemeinsame Basis der „Kreativen“ sei ihre Teilnahme am Prozess der Gentrifizierung. Er zieht Vergleiche mit San Francisco’s „SoMa-Distrikt“ und Manhattan’s „SoHoDistrikt“. Für Howell ist das, was Geschichten über Gentrifizierung gemeinsam haben, nicht, wer die Gewinner sind oder wer die Verlierer, sondern der Fakt, dass die Verlierer typischerweise im Verlauf der Geschichte vertrieben werden. Die SkaterInnen hätten die Obdachlosen in ihren Berichten und Erzählungen weggelassen (Howell 2005: 40), jetzt würden sie durch das Skateverbot und AntiskateDesign des Platzes vertrieben. Viele SkateboarderInnen beteuern zwar, so Howell, dass sie sich durchaus mit den Obdachlosen angefreundet hätten, aber dennoch sei es klar, dass einige der lokalen MeinungsbildnerInnen sich mit den SkaterInnen zusammengetan hätten, weil sie glaubten, dass diese die Obdachlosen vertreiben würden. So wie die Obdachlosen langsam aus der Debatte um Zugang zum Park verschwunden seien, so sei nun die unterste Stufe auf der sozialen Leiter durch die SkaterInnen besetzt. Der nordamerikanische Kontext von Howell’s Arbeit kann nicht ohne weiteres auf Zürich übertragen werden, und das Fallbeispiel Philadelphia ist in seiner Ausprägung einzigartig. Dieses Muster von Instrumentalisierung, Vertreibung und Ausgrenzung der SkaterInnen aufgrund wirtschaftlicher und politischer Interessen ist jedoch nicht einmalig. Ob oder in welchem Masse diese Prozesse auch in Zürich festzustellen sind, werde ich in meinen Interviews analysieren. 32 5.3 SkaterInnen, die „Nomaden der Stadt“ - die Untersuchung von Lia Karsten und Eva Pel (2000) Die Untersuchung, welche in diesem Kapitel vorgestellte wird, könnte als eine Art Referenzpunkt für meine eigene Studie betrachtet werden. Lia Karsten und Eva Pel haben in ihrem Artikel: „Skateboarders exploring urban public space: Ollies, obstacles and conflicts“ (2000), ihre Forschungsarbeit über SkaterInnen in Amsterdam zusammengefasst. Ihre Fragestellungen betreffen die Identität der SkaterInnen, die Gruppeninteraktionen und die Aneignung des urbanen Raums. Die Autorinnen haben an einem Indoorspot und neun Streetlocations, alle im oder um das Zentrum von Amsterdam, systematische Beobachtungen durchgeführt. Laut den Autorinnen bilden die neun Streetlocations in ihrer Abfolge unter den erfahrenen SkaterInnen so etwas wie eine populäre SkateTour. Die Autorinnen halten fest, dass die meisten dieser Streetlocations nicht zum Skaten gedacht seien, aber wegen ihres speziellen Designs die SkaterInnen anziehen würden. Das Alter der beobachteten SkaterInnen variierte stark, einige waren über 30, andere unter 12 Jahren alt. 96 Prozent der Beobachteten waren Jungen. Als Antwort auf ihre Frage, warum so wenige Mädchen skateten, sagten einige, dass es wohl an der harten Natur des Sports und am grossen Verletzungsrisiko liege (Karsten, Pel 2000: 331). Andere antworteten, dass es Stärke und Mut brauche und dies nicht weibliche Charakterzüge seien. Hingegen meinten aber auch ein paar, dass es Balance und Flexibilität zum Skaten brauche und diese Charakteristika eigentlich nicht an das Geschlecht gebunden seien. Die Autorinnen halten jedoch fest, dass für viele die ungleiche Teilnahme der Mädchen kein Thema zu sein schien. Eine einseitige Zusammensetzung unter den SkaterInnen konnten die Autorinnen zu einem kleineren Teil auch hinsichtlich der ethnischen Zugehörigkeit feststellen. Laut Karsten / Pel waren im Park fast 90 Prozent der SkaterInnen holländischer Ethnizität, auf der Strasse waren es mehr als 60 Prozent (Karsten, Pel 2000: 334). In Amsterdam haben, gemäss Karsten / Pel ungefähr 50 Prozent der Jugendlichen eine nicht holländische Herkunft. Diese Jugendlichen weisen vor allem türkische, marokkanische und surinamesische Wurzeln auf (Karsten, Pel 2000: 334). Der Fakt, dass die ethnische Durchmischung in den Strassen grösser war als im Park, hat wahrscheinlich, so vermuten die Autorinnen, etwas mit dem Eintrittsgeld, dem Mangel an Information über die Existenz des Parks und seinem abgelegenen Standort zu tun. Die meisten SkaterInnen, die die Autorinnen interviewten, waren in einer Sekundarschule eingeschrieben oder besuchten verschiedene fortgeschrittene Ausbildungskurse. Die Autorinnen schliessen daraus, dass die interviewten SkaterInnen nicht Teil einer marginalisierten Jugendkultur seien. Die Autorinnen schildern die Atmosphäre an den Skate-Spots als friedlich und nicht kompetitiv (Karsten, Pel 2000: 335). Ihren Beobachtungen zufolge ist Skateboarding sowohl ein Individualsport, als auch ein sozialer Anlass. Sie fanden heraus, dass die meisten zwischen alleine skaten und skaten in der Gruppe abwechselten. Die Bestätigung untereinander war dabei ebenso wichtig, wie die Anerkennung durch andere Gruppen (Karsten, Pel 2000: 335). Laut Karsten / Pel wollten die SkaterInnen mit ihrer spezifischen Kleidung ein klares Statement setzen. Für den harten Kern der SkaterInnen war skaten nicht einfach ihre Lieblingsbeschäftigung, sondern Teil ihrer Identität (Karsten, Pel 2000: 338). Die Autorinnen beschreiben die Situation an den Skate-Spots als dynamisch. Skate-Spots entstehen, gemäss ihren Beobachtungen, spontan (Karsten, Pel 2000: 336). Die Popularität eines solchen Spots hängt davon ab, wie oft eine Gruppe ihn besucht. Nach einer gewissen Zeit können Orte zu wichtigen Aktivitätszentren und Treffpunkten der Skateboard-Szene werden, sie können aber auch wieder in Vergessenheit fallen (Karsten, Pel 2000: 336). Die Autorinnen haben weiter beobachtet, dass immer 33 wieder neue Orte entdeckt, ausprobiert und bewertet wurden. Postmoderne Gebäude wiesen im Speziellen oft gut passende „Hindernisse“ und Oberflächen auf. Wenn diese neuen Orte als geeignet betrachtet worden waren, war die Chance gross, dass sie einen speziellen Namen erhielten, der nur in der Skateboard-Szene bekannt war. Die Autorinnen nennen die SkaterInnen Amsterdams in Anlehnung an Lyn H. Loftland die „Nomaden der Stadt“ (Loftland 1973, zit. in Karsten, Pel 2000: 337). In Loftlands Auslegung ziehen die SkaterInnen in den Städten in Rudeln umher. In dem sie im und durch öffentlichen Raum skaten, kreieren sie ihren eigenen „privaten“ Besitz. Gemäss Loftland, lösen die SkaterInnen die aufkeimenden Konflikte, die ihre „Kolonisierung“ des öffentlichen Raums manchmal hervorruft, meistens, indem sie an einen anderen Ort ziehen oder zu einer anderen Zeit skaten. In einer vergleichbaren Studie haben Helen Woolley und Ralph Johns (2001) SkaterInnen in den drei englischen Städten Manchester, Sheffield und Cardiff befragt und beobachtet. Sie untersuchten, aus welchen Gründen die SkaterInnen spezifische Lokalitäten in den Zentren dieser Städte zum Skaten aussuchten. Ein Ziel meiner Forschung ist es, ein Netz der Skate-Spots in Zürich zu zeichnen. Zudem strebe ich an, Vergleiche bezüglich der bevorzugten Beschaffenheit, Ausstattung und Lage der Skate-Spots anzustellen. Die These der SkaterInnen als umherziehende Nomaden ist von einem geographischen Standpunkt her ein spannender Ansatz, den ich in meiner Arbeit in Zürich ebenfall verfolgen möchte. 5.3 SkaterInnen, Identität und Girlhood – die Studien von Dawn H. Currie, Deirdre M. Kelly und Shauna Pomerantz (2004, 2005) Die Autorinnen Dawn H. Currie, Deirdre M. Kelly und Shauna Pomerantz (2004, 2005) haben Skater und Skaterinnen in Vancouver beobachtet und befragt. Ihre Studien befassen sich beide mit dem auch in der Genderforschung lange vernachlässigten Thema der Girlhood.22 Das Autorinnenteam geht dabei der Frage nach, wie eine feministische Politik in Bewegung bleiben muss, um für TeenagerMädchen relevant zu bleiben. Sie zitieren die amerikanische Schriftstellerin Susan Faludi, welche die Meinung vertritt, dass ein Generationenkonflikt eine Kluft zwischen den Mädchen von heute und den Feministinnen der 60er und 70er Jahre geschaffen habe. Diese bestehe darin, dass den jüngeren Generationen vorgeworfen wird, all die Freiheiten, die sie durch die Frauenbewegung gewonnen hätten, zu geniessen, ohne sich selber für Gleichberechtigung zu engagieren. Sie würden die Traditionen der Frauenbewegung nicht fortführen und trügen in dem Sinne das Erbe des „SecondWave-Feminism“, von kollektiver politischer Aktion und sozialer Veränderung, nicht weiter. Pomerantz et al. beschreiben den Status quo mit Angela McRobbie (2000: 211, zit. in Pomerantz et al. 2004: 547), die in Bezug auf Grossbritannien festhält: „…few young women identify themselves as feminist. It’s old and weary.” „Mädchen“ haben nie auf der politischen Agenda der „Second-Wave-Aktivistinnen“ gestanden (Pomerantz et al. 2004: 547). Seit Mitte der 90er Jahre, wird die Jugendzeit der Mädchen aber in Mädchenuntersuchungen und im „Third-Wave-Feminism“23 (Findlen 1995, Walker 1995, Heywood und Drake 1997) immer mehr zum Thema. 22 Girlhood ist die Bezeichnung für die Jugendzeit eines Mädchens. Der „Third-Wave-Feminism“ bezieht sich in seiner Ideologie auf eine poststrukturalistische Interpretation von Gender und Sex, welche beide als gesellschaftliche Konstrukte angesehen und deshalb als Klassifikationseinheiten abgelehnt werden. Er grenzt sich somit vom „Second-Wave-Feminism“ ab, der sich auf eine essentialistische Definition von Weiblichkeit beruft. 23 34 Pomerantz et al. (2004: 548) betonen, dass es nur wenige Untersuchungen gibt, die das Leben von „normalen“ Mädchen und ihre praktischen Erfahrungen in der sozialen Welt zum Fokus haben. Pomerantz et al. zitieren Anita Harris (Harris 2001: 128, zit. in Pomerantz et al. 2004: 549), die in ihrer Studie über Schlafzimmer-Kulturen zu zeigen versucht hat, dass Mädchen neue Formen von politischem Ausdruck entwickelt haben, welcher auch an neuen Orten stattfindet. „..(Y)oung women are passionately engaged in social change agendas, but these occur in marginal, virtual or underground places” (Harris 2001: 139, zit. in Pomerantz et al. 2004: 549). Die Untersuchung der Kanadierinnen kann in einen grösseren Zusammenhang von Studien über alternative Mädchenjahre eingereiht werden. Das Autorinnenteam hat über einen Zeitraum von drei Jahren eine Gruppe von acht Skaterinnen jeweils zweimal interviewt. Die Geschichte der „Park Gang“, wie sie sie nennen, veranschaulicht für sie eine diskursive und verkörperte Neubestimmung von Girlhood. Diese neue Deutung von Girlhood besitzt feministische Signifikanz, da sie einen neuen Zugang zur Erforschung von Feminismus in Girlhood, sowie Girlhood im Feminismus öffnet (Pomerantz et al. 2004: 549). “The act of resignification entails a change in meaning that was previously accepted as „natural“ and fixed. As meaning is created within the social sphere, resignification necessitates a change in something that is accepted within a social context” (Pomerantz et al. 2004: 549). Einen solchen Bedeutungswandel veranschaulicht für sie die Geschichte der Park Gang innerhalb der Sphäre des Skateparks. Die Unterordnung und Delegitimation von Mädchen gegenüber Jungen ist eine häufig beobachtete Wirklichkeit in Jugend- oder Subkulturen (z.B. Willis 1981, Hebdiges 1979, Pomerantz 2004: 550). So werden auch in der Skate-Kultur, wie Pomerantz et al. betonen, die Mädchen dieser untergeordneten Position zugewiesen. Skateboarding ist auch in Vancouver keine weit verbreitete Aktivität für Mädchen und ein Mädchen auf einem Skateboard anzutreffen, ist sehr selten. Die Mitglieder der Park Gang waren zur Zeit der Untersuchung 14 und 15 Jahre alt. Sie lebten alle in einer Gegend von Vancouver, die für ihre familiäre Orientierung und ihren urbanen Chic bekannt ist. Bis auf eine Ausnahme besuchten alle Mädchen eine städtische Sekundarschule. Die ethnische Mischung der Gruppe war sehr divers, gemäss den Autorinnen, repräsentativ für die Stadt selber. Der Skatepark, den sie oft besuchten, sei, im Vergleich zu den grösseren und eindrucksvolleren Parks im Zentrum der Stadt, eher klein und weniger gut ausgestattet gewesen. In ihren Interviews stellten Pomerantz et al. bei einigen der Mitglieder der Park Gang eine nichtfeministische Weltanschauung fest. Sara zum Beispiel, sähe keine aktuelle Relevanz des Feminismus, weil sie nie eine Situation angetroffen hätte, in der sie: „…etwas tun wollte, weil etwas nicht so war wie sie es wollte.“ (Sara, zit. in Pomerantz 2004: 551) Und Emily glaubte nicht, dass es ein Stigma sei, ein Mädchen zu sein. Für einige Mitglieder der Park Gang sei Feminismus gar zu einer Form von „umgekehrter Diskriminierung“ geworden. Damit meinen sie, dass Jungen und Männer im Namen des Feminismus unterdrückt würden. Obwohl einige der Mitglieder der Park Gang nichtfeministische Empfindungen ausdrückten, wird von Pomerantz et al. betont, dass das Verlangen dieser Mädchen, Skateboarding zu „machen“, eine andere Geschichte erzählt. Pomerantz et al. beschreiben in der Folge, wie die Mädchen, als sie das erste Mal in den Skatepark gingen, feststellen mussten, dass der Park von Skaterjungs dominiert war, welche sie unter Beobachtung stellten. Die Mädchen hätten schnell realisiert, dass diese Situation sie zum Ziel von Belästigungen und Schikanen prädestinierte. Für die Skaterjungen sei der Park ihr Raum gewesen – ein Raum, der sehr wenig Platz liess für Mädchen, wenn sie nicht die traditionellen weiblichen Subjektpositionen, wie Zuschauerin, Fanin, oder Freundin einnahmen. Das Territorium des Parks sei 35 deshalb zu einem umkämpften Raum geworden. Die Mädchen wollten, dass die Jungs sie als gleichwertig betrachteten, die Jungs jedoch hätten sie als Eindringlinge mit geringem legitimem Anspruch auf den Platz gesehen. Als Anschuldigungen fielen, die Mädchen seien doch nur wegen den Jungs hier, hätten die Mädchen reagiert, indem sie zwei Wochen nicht mehr in den Park gingen, sondern an einem anderen Ort skateten. Nach diesem Boykott hätten die Mädchen mehr Respekt erhalten und weniger Belästigungen durch die Jungs erfahren. Die Mädchen glaubten, dass sie so erfolgreich die Meinung der Jungs geändert hätten. Pomerantz et al. bezeichnen diesen Boykott in mehrfacher Hinsicht als wichtig für die Mitglieder der Park Gang. Diese hätten sich in einen Raum zurückgezogen, indem sie uneingeschränkt über ihre Handlungen verfügen konnten und die Definitionsmacht über deren Bedeutung hatten. Erst als sie wieder zurückgekehrt seien, seien sie bereit gewesen, die Subjektposition der Skaterin vollständig zu besetzen. Indem sie das taten, hätten sie die hegemoniale Deutungsmacht der Jungen, wer ein Skater, und wer eine Skaterin sein könne, in Frage gestellt. Sie hätten so den Machtanspruch der Skaterjungen über den Park herausgefordert. Indem die Jungs zuvor die Subjektposition des „Skaters“ blockiert hätten, hätten sie einen Teil der Kontrolle über die Eigenwahrnehmung der Mädchen besessen. Als die Mädchen realisiert hätten, wie unfair das war, hätten sie reagiert, indem sie die Kontrolle über ihre eigene Subjektivität gewonnen hätten. Die Mädchen haben mit diesem Schritt, gemäss Pomerantz et al., den Jungen Autorisationsmacht weggenommen und sich selber legitimiert. Diese diskursive Neuzuschreibung von Girlhood durch das Skater-Label hat, laut den Autorinnen, eine feministische Politik erzeugt, die es geschafft hat, Genderkategorien auf einem männerdominierten Schauplatz umzugestalten. In ihrer verkörperten Neuzuschreibung von Girlhood haben die Mädchen, so Pomerantz et al., nicht nur die Skaterjungs, sondern auch die traditionelle Weiblichkeit von anderen Mädchen im Park herausgefordert. Einige der Skaterinnen verstanden die Risiken, die mit dem Skateboarden verbunden sind, als eine Möglichkeit, sich von dieser anderen, dominanten Form von Weiblichkeit zu distanzieren. Diese Skaterinnen haben, laut den Autorinnen, realisiert, dass sie, indem sie „Skaterinnen“ wurden, nicht nur die Skaterjungs im Park herausfordern, sondern auch Formen von Weiblichkeit, mit der sie nicht einverstanden waren, in Frage stellen konnten. Für Currie, Kelly und Pomerantz zeigt die Geschichte der Park Gang, dass der Feminismus, zumindest in diesem lokalen Skatepark, am Blühen ist. Der Feminismus der Park Gang ist durch ihre bewusste Positionierung als Skaterinnen dargestellt, eine Subjektposition, die eine diskursive aber auch eine körperliche Neudeutung von Girlhood notwendig macht. In ihrer Positionierung als „Skaterinnen“ haben die Mitglieder der Park Gang feministisch polititisiert und damit ein Bewusstsein von Ungleichheit, die auf Gender beruht, geschaffen. Hinsichtlich meiner Forschungsarbeit über die Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen interessiert, ob Parallelen zum Fallbeispiel Vancouver gefunden werden können. Was lässt sich bezüglich der Bedeutung und Legitimierung von weiblichen und männlichen Personen in der Zürcher Skate- und Streetbike-Szene beobachten? Ich werde die Aussagen in meinen Interviews, die sich auf das Geschlecht beziehen, analysieren, unter anderem indem ich sie mit den Erkenntnissen aus den Untersuchungen von Pomerantz et al. in Verbindung bringe. 36 5.4 sSkateboarding als sozialer Widerstand – die Arbeiten von Becky Beal (1995, 1996) Die Autorin, die ich in meiner Literatur- und Dokumentenrecherche am häufigsten angetroffen habe, ist Becky Beal (1995, 1996). Sie hat diverse Publikationen zu den Themen Subkultur und Skateboarding veröffentlicht. Ich habe ihre Artikel: „Disqualifying the Official: An Exploration of Social Resistance Through the Subculture of Skateboarding“ (1995), und „Alternative Masculinity and Its Effects on Gender Relations in the Subculture of Skateboarding“ (1996) ausgewählt, da ich denke, dass diese zwei Untersuchungen für meine eigene Arbeit interessante Anregungen liefern können. Zwischen 1990 und 1992 hat Beal Befragungen und Beobachtungen bei Skatern und Skaterinnen in zwei Städten Colorados durchgeführt. Beal zeigt auf, dass in der Subkultur des Skateboarding durch die Ablehnung von dominanten Werten traditioneller Männlichkeit, wie zum Beispiel dem Wettkampfdenken im Sport, eine alternative Männlichkeit erkennbar ist. Sie untersuchte weiter, welche Effekte diese alternative Männlichkeit in Bezug auf die Genderbeziehungen unter den SkaterInnen zur Folge hat. Beal geht davon aus, dass die bürokratischen Strukturen und Verflechtungen, die den nordamerikanischen Mainstream-Sport beherrschen, die Positionen der dominanten Klasse unterstützen und legitimieren. Beal versucht in ihrer Arbeit zu zeigen, dass die SkaterInnen, indem sie diesen bürokratischen Formen im Sport widerstehen, diese kapitalistischen Werte und Normen ablehnen. Die SkaterInnen kreieren, laut der Autorin, alternative Normen und Werte, indem sie bei ihren Wettkämpfen auf offene Teilnahme, im Gegensatz zu Elite-Wettkämpfen und Eigenkontrolle der TeilnehmerInnen über ihre physische Aktivität, setzen. In diesen flexiblen und informellen Strukturen seien die SkaterInnen die ExpertInnen (Beal 1995: 260). Skateboarding hat keine Regeln, keine Coaches und keine Schiedsrichter. Durch ihre Beobachtungen bei Wettkämpfen und durch die Interviews versuchte Beal darzulegen, dass Skateboarding ohne Wettkämpfe im traditionellen Sinne auskomme, und dass das Verhalten an solchen nicht mit dem Wettkampfdenken in anderen Sportarten zu vergleichen sei. Wettkämpfe würden eher als sozialer Anlass besucht (Beal 1995: 258). Die von Beal befragten SkaterInnen waren offenkundig gegen Wettkämpfe, wenn sie als Mittel zur Erlangung eines Elite- oder Exklusiv-Status dienen sollten. Es hätten schon Statusunterschiede unter den SkaterInnen existiert, diese seien aber nicht durch den Wettkampf mit anderen etabliert worden. Die Kriterien für einen hohen Status unter den SkaterInnen sind, gemäss Beal, ein hohes Können und Kreativität, Ausprägungen, die jedoch nicht dazu genutzt werden dürfen, sich über andere SkaterInnen zu stellen (Beal 1995: 261). Vielmehr beobachtete Beal, wie sich die SkaterInnen untereinander gegenseitig halfen und lobten. Beal hält jedoch fest, dass die Subkultur des Skateboarding keinesfalls homogen sei. Sie bezieht sich in ihrer Untersuchung denn auch vor allem auf diejenigen SkaterInnen, die den bürokratischen Formen des Sports widerstanden. Sie macht also eine klare Abgrenzung zwischen diesen, den sozialen Widerstand übenden SkaterInnen und denjenigen, die die vorherrschenden Werte und Normen durch ihr Verhalten unterstützten. Solches Verhalten, welches mit der Teilnahme an Wettkämpfen und durch das Produzieren von Videos nur das Ziel des Erlangens eines SponsoringVertrags verfolgen würde, wurde von Beals Interview-PartnerInnen verachtet (Beal 1995: 255). Im zweiten Artikel (1996) bezieht Beal dieses Phänomen des sozialen Widerstands auf die Genderbeziehungen innerhalb der Szenen. Organisierter Sport ist seit jeher ein Bereich, in dem 37 Männer eine hegemoniale Männlichkeit kreieren und verfestigen, welche Weiblichkeit, Frauen und Homosexuelle degradiert (Beal 1996: 212). Die Subkultur des Skateboarding, die Beal untersuchte, war ebenfalls männlich dominiert (90% der Teilnehmer waren männlich) und begünstigte, gemäss Beal, eine Aufspaltung und Hierarchisierung von Männern und Frauen sowie Männlichkeit und Weiblichkeit (Beal 1996: 212). Beal stellte fest, dass die traditionellen patriarchalen Beziehungen in der Subkultur des Skateboarding reproduziert wurden (1996: 213). Es scheint, dass männliche Skater Skateboarding als einen typischen – wenngleich alternativen – Männersport sehen, wo Mädchen „einfach nicht hingehören“ (Beal 1996: 213). Die Skaterinnen hatten, gemäss Beal, das Gefühl, mehr leisten zu müssen, um als Skaterinnen akzeptiert zu werden als dies ihre männlichen Kollegen müssten. Weiter hält Beal fest, dass die interviewten Frauen und Mädchen glaubten, sie müssten sich wie „einer der Jungs“ verhalten, um akzeptiert zu werden. Für Beal heisst das, dass Frauen und Weiblichkeit in der Praxis des Skateboarding nicht akzeptiert sind (1996: 218). Ich nehme an, die Erkenntnisse von Beal zu einem grossen Teil ebenfalls in der Züricher Skatekultur vorfinden zu können. Das Alter der Studien spielt in diesem Fall insofern eine Rolle, als heute Handkameras eine weitere Verbreitung finden als noch vor 15 Jahren und mit dem Internet eine billige Plattform zur Präsentation der selbst produzierten Videos besteht. So ist es heute kein Tabu und keine Rarität, SkaterInnen auf der Strasse zu beobachten, die sich gegenseitig filmen und eine Manifestation sozialen Widerstandes muss daher an einem anderen Ort gesucht werden. 38 6 Zusammenfassende Hypothesen Aufgrund der in den Kapiteln 2 bis 5 gewonnenen Erkenntnisse lassen sich für die empirischen Untersuchungen folgende Hypothesen formulieren: Die skatenden und streetbikenden Personen in Zürich sehen die Stadt anders als nichtskatende oder streetbikende Personen. Ihre spezielle Sicht auf die Umgebung ergibt ein einzigartiges Bild der Stadt von skatebaren und bikebaren Orten und deren Verbindungen. Die skatenden und streetbikenden Personen in Zürich eignen sich den urbanen Raum durch Bewegung aber auch durch die Sprache an. Die SkaterInnen und StreetbikerInnen in Zürich verhalten sich wie „Nomaden der Stadt“: Sie bevölkern für ihre Bedürfnisse optimale Räume, wenn der Widerstand aber zu gross wird, geben sie nach und ziehen weiter. Es besteht eine Art Teufelskreis zwischen dem sehr geringen Anteil weiblicher Freestyler, den institutionellen Strukturen und dem Glauben daran, dass Freestyle-Sportarten etwas Unweibliches seien. (Konzept der „Institutionellen Reflexivität“ von Goffman)24 Skateboarding und Streetbiking kann als Lebensstil verstanden werden. 24 Vergleiche Kapitel 2.4 39 7 Ergebnisse Der Zeitraum meiner Untersuchungen erstreckte sich vom Juni 2006 bis Januar 2007. Im ersten Teil dieses Kapitels werde ich meine durchgeführten Beobachtungen und deren Interpretation darstellen. In einem zweiten Teil werde ich meine Arbeitsschritte bei der Durchführung der „Problemzentrierten Interviews“ erläutern und eine Analyse der Interviews vornehmen. 7.1 Beobachtungen Wie ich in Kapitel 3.2. beschrieben habe, konnte ich meine Beobachtungen fast ausschliesslich während meiner alltäglichen Aktivitäten und meiner Arbeit durchführen. Ich habe mir so, ohne eine systematische Beobachtungsanlage, einen Überblick über die beliebtesten Zürcher Skate-Spots sowie deren Frequentierung erarbeiten können. Diese „Methodik“ ist allerdings bezüglich der Zürcher Streetbike-Spots unzulänglich, da die Chance in Zürich zufällig auf StreetbikerInnen zu treffen, aufgrund der geringen Grösse dieser Szene, verschwindend klein ist. Zum Schluss dieses Kapitels stelle ich meine Analyse der räumlichen Settings der Zürcher Skateboard-Fachgeschäfte vor. 7.1.1 Beobachtungen als Velokurierin In meiner Arbeit als Velokurierin bin ich mit dem Fahrrad im Durchschnitt drei Nachmittage in der Woche in der ganzen Stadt, inklusive angrenzende Gemeinden, unterwegs. Durch diese hohe Präsenz im ganzen Stadtgebiet ergibt sich ein guter Überblick, wo und wann sich wie viele SkaterInnen aufhalten. Zudem wurde ich, durch den fortlaufenden Forschungsprozess, immer sensibler auf Spuren von SkaterInnen. Ohne meine Arbeit zu vernachlässigen, fuhr ich ab und zu kleine Abstecher oder andere Routen als gewohnt. So konnte ich zu verborgeneren Skate-Orten vordringen oder solche suchen, von denen ich durch Beschreibungen in Interviews wusste. Dadurch, dass ich früher selber ein bisschen geskatet bin und heute in meiner Freizeit ab und zu mit meinem Streetbike unterwegs bin, kenne ich viele der beschriebenen Orte aus eigenem Interesse. Doch offensichtlich kommen immer wieder neue Skate-Spots zur Liste der angesagten Orte dazu, und manchmal sind diese auch etwas versteckt und müssen gesucht werden. Zwei Skater erwähnten mir gegenüber einen Spot in Örlikon namens „Sunrise-Spot“. Beim Sunrise-Gebäude hatte ich aber bisher nie SkaterInnen angetroffen, noch ist mir von weitem eine skatebare Form ins Auge gestochen. Als ich dann einmal in dieser Gegend als Velokurierin auf einen Auftrag warten musste, hatte ich Zeit, das ganze Gebiet um das Hochhaus abzufahren und entdeckte so an der Hinterseite des Gebäudes ein schier endloses Curb. Dieses erstreckt sich, mit einem Unterbruch an der Thurgauerstrasse, entlang der Andreasstrasse, bis hin zur Schaffhauserstrasse. Ein einziges Mal habe ich junge Skater beobachtet, wie sie beim obersten Abschnitt an der Andreasstrasse geskatet sind. Warum der Spot jetzt „Sunrise-Spot“ heisst, wo doch das Element entlang der ganzen Andreasstrasse anzutreffen ist, wurde mir erst in einem meiner letzten Interviews beantwortet. Den Spot, den die SkaterInnen meinen, wenn sie vom „Sunrise-Spot“ sprechen, befindet sich tatsächlich im obersten Abschnitt des 200 Meter Curbs, vis-a-vis des Unigebäudes. Diesen Spot nennen sie so, weil von dort die zwei Türme des Sunrise-Gebäudes dominant im Blickfeld sind. 40 Ein anderes Mal bin ich während meiner Arbeit am frisch renovierten Albisriederplatz vorbeigekommen und habe dort zwei Skater und eine Skaterin angetroffen. Sie wohnen nicht in der Stadt, Skate-Touristen also, die von diesem Spot gehört hatten. Sie waren extra hierher gekommen, um diesen berühmten Spot zu fahren. Die Pyramiden vom Albisriederplatz sind weit herum bekannt. Sie sollen schon, gemäss der Aussage meines Interviewpartners Stefan, in einem amerikanischen Skate-Video vorgekommen sein. Den ganzen Sommer durch aber wären SkaterInnen und StreeterInnen vergeblich zu diesem Spot gepilgert, der Albisriederplatz befand sich nämlich im Umbau, die Pyramiden waren weg. Eines Tages im Herbst 2006 aber lugten dieselben Pyramiden in neuer Makellosigkeit unter dem Bauschutt hervor. Der Albisriederplatz ist einer der wichtigeren Verkehrsknotenpunkte der Stadt und daher fast immer mit Autos verstopft. Zusätzlich verkehren dort zwei Tramlinien. Das heisst, dass dieser Platz immer auch mit vielen Leuten bevölkert ist. Die drei Pyramiden sind Teil einer Verkehrsinsel auf der einen Seite des Platzes. Die Lage könnte zum Skaten und Streetbiken also nicht unidealer sein. Aber trotzdem ist dieser Spot legendär. Das Zusammentreffen mit diesen drei SkaterInnen war unter einem weiteren Gesichtspunkt bemerkenswert: Es war das erste und einzige Mal, dass ich in Zürich, während meines Untersuchungszeitraums, eine Skaterin beim Skaten angetroffen habe!25 Als ich sie fragte, ob sie Zürcher Skaterinnen kenne, verneinte sie und meinte, dass es in der Schweiz überhaupt nur sehr wenige Frauen gebe, die skaten würden. Abb. 7: Die berühmten Pyramiden vom Albisriederplatz (Foto: Y. Müller) 25 Die jungen Mädchen, die, gemäss den Kursleitern, an den Skateboard-Kursen in der Toni teilnahmen, zähle ich nicht dazu, weil bei diesen Mädchen nicht auszumachen ist, ob dieser Skate-Kurs eine einmalige Sache bleiben wird oder nicht. 41 Durch meine eigene Leidenschaft zum Streetbiken kenne ich beinahe alle durch meine streetbikenden InterviewpartnerInnen erwähnten Spots. Viele habe ich, zumindest das, was an den jeweiligen Spots mit meinem technischen Niveau machbar ist, schon selber gefahren. Wenn ich an einen dieser Spots denke, spüre ich auch gleich, wie es sich anfühlt, dort zu fahren. Die Nervosität, die Konzentration, dann die Anfahrt, oft nicht ideal, um Hindernisse herum, über Unebenheiten, so viel Geschwindigkeit machen wie möglich, der Moment des Absprungs, das Hochziehen des schweren Vorderteils und das Nachziehen des restlichen Velos, die kurze Schwerelosigkeit in der Luft, die Landung, das Konzentrieren auf die Ausfahrt. Der Kick. Diese Abläufe sind in meinem Körper gespeichert. Ich kann sie vor meinem inneren Auge, wann immer ich will, abrufen. Nach ein paar Stunden intensiven Fahrens sind die inkorporierten Eindrücke so tief, dass sie sich teilweise nicht mehr aus dem Körper aussperren lassen, der Körper fährt und springt und landet noch bis weit in die Nacht hinein. Durch diese physischen Erfahrungen im materiellen Raum erzeugt mein Körper und mit ihm meine Wahrnehmung eine andere Realität. Orte sehen nicht nur in meinen Augen anders aus, ich spüre sie auch anders und bewerte sie anders. Abb. 8: Andy bei der Ausübung von Parkour an der Dorfstrasse (Foto: Y. Müller) Ebenso entwickelt sich ein gewisser Blick für Situationen, die zu einer Freestyle-Aktion führen werden. So ist für mich klar, was jetzt dann geschehen wird, wenn ich eine Streetbikerin mitten in einem FussgängerInnenstrom in der Nähe einer Treppe warten sehe: Sie wartet auf den Moment, in dem keine FussgängerInnen im Weg sind, damit sie die Treppe hinunterspringen kann. Dieser Schluss ist jetzt nicht so weither geholt, dass da nicht auch andere, zufällige BeobachterInnen darauf kommen könnten, den Unterschied jedoch macht, so scheint mir, dass ich, oder andere FreestylerInnen, die Situation in einem Blick erfassen, sie als „normal“ interpretieren, und die Herausforderungen und der 42 Adrenalin-Kick mit dem ganzen Körper vorgestellt werden kann. Die Situation ist daher nicht nur ein Bild, das interpretiert werden kann oder auch nicht, sie ist inkorporiert. Sogar dann, wenn FreestylerInnen Aktionen durchführen, die die eigenen Fähigkeiten übersteigen. Ich möchte mit einem weiteren Beispiel darlegen, was ich damit meine, wenn ich von inkorporierten Situationen spreche. Als ich eines Tages letzten Herbst mit dem Velo vor dem Hauptbahnhof vorbeifuhr, entdeckte ich auf dem Geländer einer Passage zum Shop-Ville einen jungen Mann, der dort auf eineinhalb Meter Höhe auf der dünnen Stange in Kauerposition harrte. Der junge Mann trug weder irgendwelche auffälligen Kleider noch hatte er eine Entourage um sich. Er kauerte einfach in seinen Trainerhosen und Turnschuhen auf diesem Geländer, inmitten der um ihn herumströmenden PassantInnen. Ich hatte zuvor noch nie eine solche Situation gesehen, mir war aber sofort klar, was sich da gerade vor mir abspielte! Dieser Mensch übte Parkour aus, ich hatte einen Traceur vor mir!26 Umdeutung der Stadt: Mit einem Traceur unterwegs Als ich den jungen Mann auf dem Geländer kauern sah, stoppte ich und ging näher und entdeckte weiter unten auf der Treppe einen Fotografen. Wir kamen ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass ich zufällig auf den, laut Aussagen des Fotografen, besten österreichischen Traceur getroffen war. Sie waren extra zum Fotografieren nach Zürich gekommen. Die beiden baten mich, sie durch Zürich zu führen, beziehungsweise an Orte, von denen ich dachte, dass sie für Parkour ideal wären. Ich kenne diese Sportart hauptsächlich von Ariel Zeitoun’s Film: „Yamakasi – Les samouraïs des temps modernes“, aus dem Jahr 2001 und vom Surfen im Internet. Meine Herausforderung bestand nun darin, dass ich mich spontan in diesen Sport hineindenken und mir vorstellen musste, wie ein urbanes Umfeld aussehen sollte, um ideale Voraussetzungen für Parkour zu bieten. Die alte Industrie in der Umgebung Hardbrücke-Förrlibuckstrasse-Pfingstweidstrasse schien mir am geeignetsten. Wir parkierten das Auto in Wipkingen und gingen langsam zurück Richtung Escher-Wyss-Platz. Dieser Weg entlang der Nordstrasse öffnete mir die Augen, was dieser Sport alles beinhalten kann! Während ich mich mit dem Fotografen unterhielt, sprang und kletterte Andy den Häusern der Strasse entlang herum. Kaum schaute ich ein paar Sekunden nicht auf ihn, klebte er schon wieder irgendwo an einem Balkon oder war dabei, von einem Dach zu springen. Er war ständig verschwunden, um dann im nächsten Augenblick mit einem gewaltigen Satz wieder in unserem Blickfeld aufzutauchen. Manchmal konnte ich nur erahnen, wohin ihn sein Weg jetzt wohl geführt haben könnte. Der Raum des Traceur erschien mir extrem dicht. Wenn für SkaterInnen und StreetbikerInnen der Raum auf etwa zwei Metern Höhe aufhört, (bei den StreetbikerInnen auch mal mehr und bei den SkaterInnen eher mal weniger), fängt er dort für die Traceure erst richtig an. Jede Fassade, jeder Vorsprung, schien für ihn Lockrufe auszusenden. Weder der Balkon auf sechs Metern Höhe noch das zehn Meter hohe Dach, wo er, kaum realisierte ich es, runter und wieder rauf geklettert war, schien für ihn ein grosses Hindernis darzustellen. Durch seine Art und Weise, wie er seinen Sport ausübte, die Konzentration mit der er vorging, und dadurch, dass ich die Aufgabe hatte, ihm meine Stadt zu zeigen, entstanden für mich ebenfalls neue Räume. Andy’s Fazit über Zürich war eher negativ, er hatte sich mehr erhofft. Er empfand Zürich als nicht ideal für die Ausübung seines Sports, wobei zu sagen ist, dass er grundsätzlich für das Suburbane als 26 Vergleiche Kapitel 4.2.2 43 idealen Raum plädierte. Er begründete seine Argumentation damit, dass in der Stadt mehr Überwachung in Form von Überwachungspersonal und Kameras sei und daher mit mehr Repression gerechnet werden müsse. Auch seien die Häuser in der Stadt im Allgemeinen höher, was gegen einem flüssigen Run sprechen würde. In diesem Sinne haben ihn die Häuser mit den kleinen Balkons entlang der Nordstrasse auch viel mehr inspiriert als die alten Industriegebäude in der Nähe der Hardbrücke. 7.1.2 Beobachtungen auf dem Turbinenplatz Die oben genannten Erfahrungen hab ich alle während meiner Arbeit oder bei meinen alltäglichen Aktivitäten in der Stadt gemacht. Diese Methode ermöglicht zwar keine systematische Aufzeichnung, aber aufgrund meiner hohen Präsenz im ganzen Stadtgebiet einen guten Überblick sowie - wie sich zeigte – auch einige „Zufallstreffer“. Systematischer kann ich aber meine Frequentierung des Turbinenplatzes beschreiben: Die Lage meines Wohnortes ergibt, dass, wo immer ich hin will, oder ich gerade her komme, mein Weg mich über den Turbinenplatz führt. Dieser Platz ist, wie ich schon zu Beginn meiner Arbeit herausgefunden habe, einer der beliebtesten Skate-Spots unter den Zürcher SkaterInnen. Durch die oben genannten Umstände konnte ich mir einen ziemlich guten Überblick schaffen, wann sich dort wie viele SkaterInnen aufhielten. Aufgrund seiner hohen Beliebtheit, möchte ich diesen Spot nun ein bisschen genauer beleuchten. Der Turbinenplatz wird von einem Hotel, dem Technopark, einem kommerziellen Zentrum und einem Bürogebäude eingegrenzt. Er ist in der Nähe des Escher-Wyss-Platzes situiert. In seiner Ausdehnung ist er weitläufig und offen gestaltet, es scheint hier Platz für alle zu geben. Für SkaterInnen bietet der Turbinenplatz fast alles: Die Holzbänkli und die „Mürli“ bieten verschieden grosse Curbs oder ManualTables. Es hat sich gezeigt, dass sich an sonnigen Sommer- und Herbst-Tagen ziemlich oft kleinere Gruppen von SkaterInnen dort aufhalten. Die Kombination von trockenem Boden und milden Temperaturen ist jedoch kein Garant, SkaterInnen anzutreffen. Sehr oft wurde gefilmt oder fotografiert. Meistens konnte ich, bezüglich des Alters, relativ homogene Gruppen ausmachen. Homogen waren die Gruppen auch bezüglich des Geschlechts, nie sah ich innerhalb dieser Gruppen eine Frau. Der Turbinenplatz ist einer der wenigen Räume der Stadt, in dem die SkaterInnen in Ruhe gelassen werden. Die Polizei kommt hier selten vorbei, und die Architekten des Platzes begrüssen es, dass sich die SkaterInnen dort aufhalten, da es ihre Vorstellung war, dass auf dem Platz Leben herrscht.27 27 Vergleiche Kapitel 7.2.2.6 44 Abb. 9: Curb auf dem Turbinenplatz (Foto: Y. Müller) 7.1.3 Beobachtungen im Toni-Areal Seit 2002 betreibt der Verein Freestyle-Park mit finanzieller Unterstützung des Sportamtes der Stadt Zürich auf dem Areal der ehemaligen Toni-Molkerei einen kleinen Skate-Park. Neben Elementen aus dem alten Block 37 und der ehemaligen Steinfels-Halle und einigen selbst gebastelten Ledges, Bumps und Banks, gibt es auch eine überdachte Miniramp. 2004 wurde eine Halfpipe aufgebaut, laut der offiziellen Homepage des Parks, die einzige Halfpipe der Deutschschweiz.28 Das Sportamt der Stadt Zürich stellt den Betreibern zudem seit einigen Jahren einen Aufenthaltscontainer mit Kiosk zur Verfügung. Für Nichtmitglieder kostet ein Besuch zwei Franken, für Mitglieder des Vereins FreestylePark ist er gratis. Die Anlage ist jeden Tag von 18:00 bis 21:00 offen, Samstag und Sonntag schon ab 14:00. Sie ist beleuchtet und teilweise wettergeschützt. Den Sommer durch finden ab und zu Wettkämpfe und Filmvorführungen statt. Bei jedem meiner Besuche war der Skate-Park sehr gut genutzt. Oft schien er gar aus allen Nähten zu platzen, und die Skater standen Schlange, um die einzelnen Obstacles anfahren zu können. Den Bereich mit den Sitzgelegenheiten um den kleinen Kiosk nutzen die Skater dazu, eine Pause zu machen oder einfach nur um sich zu unterhalten. Die diversen Veranstaltungen erfreuten sich grosser Beliebtheit. Um die „Toni“ scheint so etwas wie ein Mythos zu schweben. Vor allem für die jüngeren Besucher ist sie mehr als nur der Ort, wo sie ihren Lieblingssport ausüben können. Bei einigen Skatern habe ich in meinen Interviews sogar eine gewisse Identifikation mit diesem Ort feststellen 28 http://www.freestylepark.ch/anlagen/toni-molkerei, 19.12.06 45 können. Die einzigen weiblichen Personen, die ich an diesem Ort angetroffen habe, waren Mütter, die ihre Jungen hier ablieferten oder abholten. Abb. 10: Freestyle-Anlage auf dem Areal der ehemaligen Toni-Molkerei (Fotograf: Alan Maag) 7.1.4 Beobachtungsreihe in Zürcher Skateboard-Geschäften Aufgrund der Tatsache, dass ich auf den Strassen und Plätzen Zürichs keine Skaterinnen angetroffen habe, beschloss ich einen anderen wichtigen Raum, die Zürcher Skateboard-Geschäfte, zu beobachten. Diese Geschäfte, wie auch die Produzenten, differenzieren die angebotenen Kleider und Accessoires, wie ich aus persönlicher Erfahrung weiss, nach „Männer-Produkten“ und „Frauen-Produkten“. UnisexKleider und –Accessoires gibt es weder in den Produkte-Katalogen der angebotenen Marken noch in den Läden. Möchte ein Mann trotzdem einen als weibliches Kleidungsstück deklarierten Artikel kaufen, müssen zuerst die Grössenbezeichnungen umgerechnet werden. Die Zweigeschlechtlichkeit wird in den Skateboard-Fachgeschäften also aktiv aufrechterhalten. Mich interessierte nun, wo die Frauen- und wo die Männer-Produkte in den Geschäften angeboten werden. Ich wollte die räumlichen Settings der verschiedenen „In-Shops“ Zürichs analysieren. Dabei ging ich von folgender Hypothese aus: 46 Es besteht eine Art Teufelskreis zwischen dem sehr geringen Anteil weiblicher Freestyler, den institutionellen Strukturen und dem Glauben daran, das FreestyleSportarten etwas Unweibliches seien. (Konzept der „Institutionellen Reflexivität“ von Goffman)29 Ich habe folgende sechs Geschäfte besucht: • Beach Mountain, Birmensdorferstrasse • Beach Mountain, Jelmoli • Beach Mountain, Niederdorfstrasse • Network, Birmensdorferstrasse • No Way, Kasernenstrasse • Snowboard Garage, Waldmannstrasse Die zwei „reinen“ Skateboard-Geschäfte, No Way und Network30, sind grundsätzlich von den anderen Geschäften zu unterscheiden. „Rein“ bedeutet hier, dass diese Läden, im Gegensatz zu den anderen Geschäften, die auch Snowboard-Artikel anbieten, nur Skateboards und skateboardspezifische Marken im Angebot haben. Der No Way kann von der Strasse aus mit einem Blick durch das Schaufenster erfasst werden. Hier sind Skateboards und Zubehör, Skateschuhe und Streetwear im Verkauf. Auch beim Network ist das gesamte Sortiment von der Strasse aus überblickbar. In diesem Geschäft wird kein einziges Kleidungsstück oder Accessoire speziell für eine weibliche Kundschaft angeboten. Solche können zwar im No Way gefunden werden, sie sind jedoch an einer Hand abzählbar. Ich schliesse daraus, dass diese Geschäfte offensichtlich nur Männer ansprechen wollen. Aufgrund seiner hohen Beliebtheit, vor allem unter den jüngeren SkaterInnen, möchte ich an dieser Stelle etwas genauer auf den Network eingehen. 29 Vergleiche Kapitel 2.4 Nicht besucht habe ich „01“ im Kreis 4, der ebenfalls zu den „reinen“ Skateboard-Geschäften gezählt werden kann. 30 47 Network Luc: „Das ist einfach der Network, der hat was Magisches bei den Skatern 31 …der bringt auch ein bisschen so das Soziale bei.“ Der Network ist ein kleiner Skateboardladen, der im Jahr 1995, in der Blütezeit in der Geschichte des Zürcher Skateboarding, am Kreuzplatz eröffnet wurde und fünf Jahre später an die Birmensdorferstrasse gezogen ist. Mir scheint, dass dieser Laden viel mehr ist, als der blosse Bereitsteller von neuen Decks und Rollen. Jedes Mal, wenn ich in diesen Laden ging, waren einige Skater und, wie ich feststellen konnte, immer auch einige Freunde des Besitzers da. Die meisten von ihnen schienen unter 20 Jahre alt zu sein. Im Umfeld des Ladens war ich während meines gesamten Beobachtungszeitraums von ungefähr zehn Monaten stets die einzige Frau. Nie habe ich irgendjemanden etwas kaufen sehen. Selbst als der Laden einmal umgebaut wurde, und es weder ein Angebot an Skate-Artikeln, noch Sofas oder Stühle zum Sitzen gab, kamen die Skater. Einige unter ihnen trafen sich, wie Gschwend, der Besitzer, mich aufklärte, oft im Network, um von da aus an irgendeinen Spot skaten zu gehen. Das räumliche Setting der Snowboard Garage an der Waldmannstrasse sieht folgendermassen aus: Beim Eingang befinden sich die Kleider für Frauen, hinten anschliessend, die Alltags-Kleider für Männer. Weiter geht es mit den Snowboardjacken und -hosen für Männer. In diesem hinteren Teil des Ladens führt eine Treppe hinunter in die Abteilung der Snowboards und Skateboards. Ähnlich ist die Aufteilung beim Beach Mountain an der Birmensdorferstrasse. Hier führt in der Mitte des Geschäfts eine Treppe hinunter in den Bereich der Snowboards und Skateboards. Das Konzept der Filiale im Jelmoli besteht darin, die Frauensachen ganz links im Geschäft zu präsentieren und die Männersachen zusammen mit den Snowboards und Skateboards, von der Mitte an gegen rechts zu platzieren. Am auffälligsten ist die Trennung zwischen einem Bereich ohne Sportgeräte und spezifisch auf eine weibliche Kundschaft ausgerichtete Kleider und Accessoires und einem Bereich mit Sportgeräten und spezifisch auf Männer ausgerichtete Kleider und Accessoires im Beach Mountain im Niederdorf. In diesem Geschäft befinden sich die Kleider für die Frauen auf einer Etage, und die der Herren befinden sich, zusammen mit den Skateboards, auf einer anderen. Für mich ist eindeutig, dass für Mädchen und Frauen erste Annäherungen zum Sportgerät Skateboard in einem Fachgeschäft, dessen Räume so eingerichtet sind, zusätzlich erschwert werden. Meines Erachtens fördern und verstärken die Fachgeschäfte die Geschlechterdifferenzen in dieser beinahe reinen Männerwelt. Goffman’s Konzept der „Institutionellen Reflexivität“, welches im Wesentlichen beschreibt, wie der Glaube an die Geschlechterunterschiede in einer Art Teufelskreis (re-)produziert wird, kann am Beispiel der Zürcher Skateboard-Fachgeschäfte idealtypisch aufgezeigt werden.32 31 32 Erläuterungen zur Darstellung meiner Zitate finden sich in Kapitel 7.2 Vergleiche Kapitel 2.4 48 Der Teufelskreis der „Institutionellen Reflexivität“ am Beispiel der beobachteten Skateboard-Geschäfte Im Vergleich zu den Männern kaufen viel weniger Frauen Skateboards, also werden die Skateboards räumlich eher in der Nähe der Männer-Artikel platziert. Wollen Frauen trotzdem Skateboards kaufen, müssen sie sich in die Männer-Abteilungen begeben. Dieser Umstand gestaltet eine erste Annäherung mit dem Sportgerät Skateboard für die weibliche Kundschaft weniger einfach, als es dies für die männliche tut. Unter anderem deshalb skaten weniger Frauen, weshalb die Meinung vorherrscht, dass sich Frauen von Natur aus weniger fürs Skaten interessieren und eignen. Aus diesem Grund werden skatende Frauen seltsam angeschaut und deshalb denken selbst Frauen, dass Skateboarding eine Männer-Sache sei. Deswegen skaten weniger Frauen, also verkaufen Geschäfte weniger Skateboards an Frauen, weshalb diese räumlich weit weg von den Frauen-Artikeln platziert werden, usw. Dieser Teufelskreis – das Kernelement der „Institutionellen Reflexivität“ von Goffman ist daher äusserst schwierig zu durchbrechen. Die „reinen“ Skateboard-Geschäfte verkörpern diesbezüglich sogar eine noch extremere Sicht, da dort ganz selbstverständlich in einer Männer-Welt gelebt wird. Das Argument, dass Skateboard-Artikel unisex seien, muss ich zurückweisen, da die Produzenten in Bezug auf Bezeichnung und Grössen stets klar nach Geschlechtern unterscheiden. Die Zweigeschlechtlichkeit wird damit bereits bei der Produktion reproduziert. 49 7.2 Interviews Im Verlaufe meiner Untersuchung habe ich mit 8 SkaterInnen und 4 StreetbikerInnen Interviews durchgeführt. In der Gruppe der SkaterInnen und in der Gruppe der StreeterInnen konnte ich je eine Frau interviewen. Im Durchschnitt dauerten die Gespräche ungefähr eine Stunde. Mein jüngster Interviewpartner war zur Zeit des Gesprächs 14 Jahre alt, der zweitjüngste 18 Jahre. Alle andern InterviewpartnerInnen waren zwischen 23 und 32 Jahre alt. Die verwendeten Zitate in den folgenden Kapiteln sind Auszüge aus den transkribierten Interviews. Meine Äusserungen sind in den Zitaten jeweils in Grossbuchstaben dargestellt. Wenn ich innerhalb eines zitierten Abschnitts gekürzt habe, habe ich dies mit Klammern und Punkten dazwischen dargestellt. Punkte ohne Klammern bedeuten Gesprächspausen. Alle Namen habe ich frei erfunden. 7.2.1 Arbeitsschritte bei der Durchführung der „Problemzentrierten Interviews“ In diesem Kapitel möchte ich die verschiedenen Arbeitsschritte darstellen, die bei der Durchführung der Problemzentrierten Interviews nötig waren. Zuerst werde ich den Leitfaden zu meinen Interviews beschreiben. Weitere Unterkapitel stellen die konkrete Vorgehensweise in der Auswahl meiner InterviewpartnerInnen dar und die Beschreibung der „Theoretischen Sättigung“. Weiter werde ich die Theorie der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ nach Mayring (2000) in Bezug zu meiner Arbeit darstellen sowie Angaben zu meinem Kodierungs-Schlüssel machen. 7.2.1.1 Leitfaden Ausgehend von meinen Fragestellungen und Hypothesen entwickelte ich den Leitfaden zu den Interviews. An dieser Stelle möchte ich die Blöcke auflisten, in die mein Leidfaden unterteilt werden kann. Da sich diese Unterteilung bewährte, habe ich sie zu einem späteren Zeitpunkt genau so für die Kodierung verwendet. Aus Gründen der Lesbarkeit beziehen sich die folgenden Fragen nur auf die SkaterInnen. Natürlich habe ich meine Fragen für BikerInnen adaptiert. Themenblöcke des Interviewleitfadens • • • • • • • • • • • • Wo und wann skatet die Person? Wie sieht der ideale Ort zum Skaten aus? Neue Skate-Spots; sucht die Person oft nach neuen Skate-Spots? Wo werden die SkaterInnen toleriert und wo nicht? Werden sie oft vertrieben, beschimpft? Mit wem skatet die Person, und wie trifft sie sich mit anderen SkaterInnen? Wer bringt Innovation in die Szene? Gibt es Vorbilder? Was denkt die Person über skatende Mädchen / Frauen? Wie lange skatet die Person schon? Wo und mit wem hat sie damit begonnen? Was denkt die Person über Wettkampfgeist beim Skateboarden? Was bedeutet skaten für diese Person? Gibt es noch einen anderen Freundeskreis, andere Hobbies? Wie lange möchte die Person noch weiter skaten? 50 7.2.1.2 Auswahlstrategie Die Auswahlstrategie für meine InterviewpartnerInnen orientiert sich am „Theoretischen Sampling“ von Glauser und Strauss (1967/1998). Dementsprechend habe ich meine Entscheidungen über die Auswahl meiner InterviewpartnerInnen im Prozess der Datenerhebung und –auswertung gefällt (Flick 2005:102). Es ging mir dabei weder darum, die Repräsentativität der Stichprobe durch Zufallsauswahl ihrer Mitglieder zu gewährleisten, noch um ihre geschichtete Zusammensetzung. Bei einer Zufallsauswahl hätte ich vor allem junge Personen befragen müssen. Wie sich aber zeigte, kamen Antworten, die ich für meine Theorieentwicklung als relevant befand, alle, bis auf eine Ausnahme, von über 23-Jährigen. Meine InterviewpartnerInnen sollten über notwendige Erfahrung als SkaterInnen und StreetbikerInnen verfügen und ebenso die Fähigkeit zur Reflexion und Artikulation besitzen. Wie sich durch meinen jüngsten Interviewpartner zeigte, war dies bei allzu jungen Personen nicht gegeben. Den ersten Pretest habe ich mit einer 24-jährigen Zürcher Streetbikerin durchgeführt. Wir sind befreundet und ab und zu zusammen mit unseren Streetbikes unterwegs. Es hat sich ein sehr interessantes und aufschlussreiches Gespräch entwickelt. Zum Teil führte es in einer Eigendynamik entlang meiner Fragen, sodass ich diese gar nicht extra zu stellen brauchte. Auch tauchten während unseres Gesprächs einige neue Aspekte auf, an die ich bisher noch nicht gedacht hatte. Ich würde meine Interviewpartnerin auf jeden Fall als sensibel hinsichtlich Fragen bezüglich öffentlichem Freiraum, aber auch der Genderdebatte bezeichnen. Mein erster Pretest mit einer Streetbikerin hat also sehr gut funktioniert. Im Gegensatz zu den StreetbikerInnen, die meiner Ansicht nach, eine nicht eigentlich organisierte, also eher lose Gemeinschaft bilden, ist die Skate-Szene viel grösser und strukturierter. Es war mir wichtig, einen richtigen Einstieg in diese Szene zu finden. Indem ich mir zuerst einen Gesamtüberblick zu erarbeiten versuchte, wollte ich vermeiden, plötzlich herausfinden zu müssen, dass ich lediglich in einem kleinen Kreis der Zürcher Skate-Szene Interviews durchführe. Ich vermutete, dass es in Zürich Gruppen gibt, zwischen denen Missgunst herrscht und die den gegenseitigen Umgang meiden. Mit unverbindlichen Gesprächen mit Bekannten, die sich in der Skate-Szene bewegen, erarbeitete ich mir einen Überblick über die „Eckpunkte“ der Zürcher Skate-Szene. Welches sind die wichtigsten Personen? Wer bringt Innovationen und setzt Ideen um? Welche Skateboard-Geschäfte sind aus welchen Gründen angesagt oder eben nicht? Wie gross ist die Skate-Szene in Zürich? Wie ist sie in Bezug auf das Alter und das Geschlecht durchmischt? Gibt es Aufspaltungen, verschiedene Crews, die sich gegenseitig missgönnen? Wo sind die „In-Orte“, und wer sind die richtigen Leute, um Insiderinformationen zu generieren? Ich habe schliesslich zwei wichtige Zentren der Zürcher Skate-Szene lokalisieren können. Das sind zum einen der Network, ein Skateboardladen im Kreis 4, und zum anderen der provisorische Skatepark auf dem Areal der ehemaligen Toni-Molkerei. Angesichts dieser Tatsache wollte ich versuchen, in diesen zwei sozialen Zentren erste Kontakte aufzunehmen, um darauf basierend mein weiteres Vorgehen zu planen. Ich habe also eine Person aus dem grösseren Umfeld des Toni-Provisoriums getroffen, um mit ihr meinen ersten Pretest mit einer Person aus der Gruppe der SkaterInnen zu machen. Kurz darauf habe ich mit dem Besitzer des angesagten Skateboard-Geschäfts gesprochen. Das Gespräch war sehr aufschlussreich und diente mir zu einem besseren Einblick in die Szene. 51 Ich wollte mit Hilfe dieser Informationen – sowie der Informationen meines Kontaktes zum ToniProvisorium – ein ungefähres Schema meines „Theoretischen Samplings“ meiner InterviewpartnerInnen erstellen. Konsequenterweise habe ich mich als nächstes um einen Interviewtermin mit einem der Verantwortlichen des Toni-Provisoriums bemüht. Das Interview mit Nic sollte bis zum Schluss mein aufschlussreichstes bleiben. Somit war klar, dass ich mit meinem Interview-Leitfaden auch bei der Gruppe der SkaterInnen richtig lag. Mein Fazit war, dass ich mich vor allem an den älteren und erfahreneren SkaterInnen orientieren musste. Ich wollte aber sichergehen, dass ich dadurch nicht einen Aspekt oder eine Sichtweise der ganz jungen Generation übergehen würde. So liess ich mir bei einem Besuch eines „Kiddy Kontests“, einer Wettkampf-Serie im ToniProvisorium für bis und mit 16-jährige, von verschiedenen anwesenden Bekannten, Kontakte zu potenziell interessanten jungen Interviewpartnern geben. Neue Erkenntnisse aus dem Interview mit dem 14-jährigen Malik beliefen sich aber in einem so bescheidenen Rahmen, dass ich keine weiteren jungen SkaterInnen mehr befragte. Stattdessen wählte ich Tom als meinen nächsten Interviewpartner. Tom war früher Wettkampf-Skater. Seine Aussagen ergänzten Nic’s eher theoretisch-philosophische Sicht um interessante praktische Aspekte. Eine optimale Kombination dieser beider Interviews lieferte mir Chris, ebenfalls ein Wettkampf-Skater. In meiner Auswahl der InterviewpartnerInnen schien mir ebenfalls von grosser Wichtigkeit, dass diese ein möglichst breites Spektrum an Szenen und Gruppierungen abdeckten. So kamen meine beiden letzten Interviewpartner eher weniger vom Umfeld des Toni-Skateparks, Chris schien sich dort sogar fast nie aufzuhalten. Er würde sich auch nicht zum Umfeld des Network zählen. Keiner meiner bisherigen InterviewpartnerInnen stammte aus Örlikon, ich wollte jedoch auch SkaterInnen interviewen, die in Zürich Nord zu Hause waren. Dort wurden in den letzten paar Jahren ganze Viertel neu gebaut. Natürlich habe ich in allen Interviews, wenn die Personen nicht von sich aus davon angefangen haben von Örlikon zu erzählen, gefragt, ob sie dort manchmal skaten würden. Die meisten bejahten dies, doch ich wollte zusätzlich eine Beschreibung von einem Insider erhalten. Aus diesem Grund erkundigte ich mich im einzigen Örlikoner Skateboard-Geschäft33 nach einer geeigneten Person dafür. Entgegen meinen Erwartungen brachte dieses Interview keine grundsätzlich neue Sicht auf Zürich Nord. Als ich schon mit der Erhebung meiner Daten abgeschlossen hatte und bereits bei der Kodierung der Interviews angelangt war, ergaben sich zum ersten Mal Kontakte mit Zürcher Skaterinnen. Die eine Skaterin vermittelte mir ein Angestellter in einem der Fachgeschäfte. Die andere sprach ich, ebenfalls in einem Fachgeschäft, aufgrund ihres offensichtlichen Interesses an den ausgestellten Skateboards, an. Es blieb mir aber unmöglich, mit dieser zweiten Frau einen Interviewtermin auszumachen. Bei der Auswahl der InterviewpartnerInnen unter den StreetbikerInnenn ging ich ähnlich wie bei den SkaterInnen vor. Ich wählte sie nicht zuletzt aufgrund ihrer Fähigkeit, sich differenziert über Dinge auszudrücken, aus. Weiter achtete ich darauf, die verschiedenen Stile, die ich unter den StreetbikerInnen unterscheiden konnte, zu berücksichtigen. Michi ist ein Fahrer, der gerne Street fährt, aber auch ab und zu im Wald anzutreffen ist. Er ist eine der treibenden Kräfte in der Stadt, wenn es darum geht, irgendwo eine Schaufel in die Hand zu nehmen. Simon ist mehr der reine StreetFahrer, er geht weniger in den Wald, ist dafür aber öfters in den Rampen und in der Toni anzutreffen. Stefan ist ein BMX-Fahrer. Für diese kleineren Velos und Rädern gelten andere Massstäbe in der Auswahl der Spots. Dazu kommt, dass der starre Aufbau des Velos, im Vergleich zu den Streetbikes, die mit Federgabeln ausgestattet sind, ein präziseres Fahren und Springen verlangt. 33 „01“ ist während meines Untersuchungszeitraums von Örlikon in den Kreis 4 gezogen. 52 7.2.1.3 Theoretische Sättigung Nach etwa acht, neun Interviews hatte ich das Gefühl, dass ich die relevantesten Skate- und Streetbike-Spots, sowie die Beschreibungen der Wunsch-Orte zum Skaten und Streetbiken bereits kennen würde. Sozusagen als Test verabredete ich mich trotzdem noch mit einer Person, die ich durch reinen Zufall eruiert hatte. Ich wollte sicher gehen, dass ich, durch einen eventuellen Schneeballeffekt, nicht nur Personen mit allzu ähnlichen Hintergründen interviewt hatte. Dieses Interview ergab ebenfalls wenig Neues, Überraschungen blieben aus. Mein Fazit war, dass ich von weiteren Gesprächen keine wichtigen neuen Erkenntnisse mehr erwarten konnte. Glaser und Strauss nennen dies die „Theoretische Sättigung“. Sie beschreiben damit das Kriterium, wonach sich die forschende Person bei der Entscheidung richten soll, wann er oder sie mit der Einbeziehung weiterer Fälle aufhören kann. „Das Kriterium, um zu beurteilen, wann mit dem Sampling je Kategorie, aufgehört werden kann, ist die theoretische Sättigung der Kategorie. Sättigung heisst, dass keine zusätzlichen Daten mehr gefunden werden können, mit deren Hilfe der Soziologe weitere Eigenschaften der Kategorie entwickeln kann.“ (Glaser und Strauss 1967/1998: 96, zit. in Flick 2005: 104). 7.2.1.4 Qualitative Inhaltsanalyse Die „Qualitative Inhaltsanalyse“, welche ich zur Auswertung meiner Interviews angewandt habe, ist kein Standardinstrument, das immer gleich aussieht. Sie wird an den konkreten Gegenstand, an das Material angepasst und auf die spezifische Fragestellung hin konstruiert. Das Kategoriesystem stellt, laut Mayring (2000: 43), das zentrale Instrument der Analyse dar. Es soll das Nachvollziehen der Analyse für andere und die Intersubjektivität des Vorgehens ermöglichen. Diese Kategorien sollen in einem Wechselverhältnis zwischen der Theorie, der Fragestellung und dem konkreten Material entwickelt, durch Konstruktions- und Zuordnungsregeln definiert und während der Analyse überarbeitet und rücküberprüft werden (Mayring 2000: 53). Bei der Definition der Kategorien handelt es sich um ein induktives Vorgehen: Die Kategorien sollen in einem Verallgemeinerungsprozess direkt aus dem Material abgeleitet werden, ohne sich auf vorab formulierte Theoriekonzepte zu beziehen (Mayring 2000: 75). Mayring unterscheidet drei Grundformen des Interpretierens: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung (Mayring 2000: 58). In der Zusammenfassung soll das Material so reduziert werden, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben. Bei der Explikation soll zu den einzelnen fraglichen Textteilen zusätzliches Material herangetragen werden. Die für meine Arbeit wichtigste inhaltsanalytische Technik, die Strukturierung, hat zum Ziel, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern und unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen. Diese Struktur wird in Form eines Kategoriesystems an das Material herangetragen. Alle Textbestandteile, die durch die Kategorien angesprochen werden, sollen dann aus dem Material systematisch extrahiert werden. Mayring unterscheidet zwischen „Formaler“, „Inhaltlicher“, „Typisierender“ und „Skalierender Strukturierung“ (2000: 89). Die für meine Arbeit wichtigen Strukturierungsmethoden möchte ich hier kurz zusammenfassen. In der „Inhaltlichen Strukturierung“ sollen bestimmte Themen, Inhalte und Aspekte aus dem Material herausgefiltert und zusammengefasst werden. Welche Inhalte aus dem Material extrahiert werden, soll gemäss Mayring (2000: 89) durch theoriegeleitet entwickelte Kategorien und, sofern notwendig, Unterkategorien bezeichnet werden. Nach der Bearbeitung des Textes mittels des Kategoriesystems 53 soll das in Form von Paraphrasen extrahierte Material zunächst pro Unterkategorie, dann pro Hauptkategorie zusammengefasst werden (Mayring 2000: 89). „Typisierende Strukturierungen“ treffen gemäss Mayring (2000: 90) Aussagen über ein Material, indem sie besonders markante Bedeutungsgegenstände herausziehen und genauer beschreiben. Solche „Typen“ müssen nicht immer Personen sein, es können auch typische Merkmale sein, allgemein markante Ausprägungen auf einer Typisierungsdimension. Diese Dimension muss zuerst definiert und einzelne Ausprägungen dazu müssen formuliert werden, um dann mit diesen Kategorien das Material durchzuarbeiten. Aufgrund des Materials zu den Ausprägungen muss dann bestimmt werden, welche davon als besonders markant, als typisch bezeichnet werden sollen. Dabei benennt Mayring (2000: 90) drei verschiedene Kriterien: Es sollen besonders extreme Ausprägungen beschrieben werden, Ausprägungen von besonderem theoretischen Interesse und solche, die im Material besonders häufig vorkommen. Am Schluss der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ steht die Interpretation dieser Ergebnisse in Richtung der Hauptfragestellung. 7.2.1.5 Kodierungen In einem ersten Schritt habe ich die einzelnen Interviews, ähnlich den Blöcken im Leidfaden, unterteilt. Zusätzlich habe ich noch eine Kategorie eingeführt, welche Antworten, die sich auf einen Skate-Park in Zürich beziehen, beinhaltet. In einem weiteren Schritt habe ich diese so gewonnenen Abschnitte weiter unterteilt. Ich habe so im Beispiel der Kategorie „Orte“ zuerst einmal alle Orte festgehalten. Diese habe ich mit speziellen Merkmalen versehen, wenn sie a) bekannt, aber von der jeweiligen Person noch nie gefahren wurden, weil sie entweder zu schwierig sind oder aus verschiedenen Gründen nicht wirklich funktionieren, b) sie geheim sind und daher geografisch nur grob oder gar nicht beschrieben wurden. Weiter habe ich Stellen, die sich auf die „Stadt als einen Riesenspieplatz“ beziehen, in einer Unterkategorie zusammengetragen. In einer weiteren Unterkategorie habe ich Antworten, die sich auf neu gebaute Objekte beziehen, zusammengefasst. Wenn von der Architektur die Rede war und im speziellen von Formen und Linien und von Bausubstanzen oder Belägen, ordnete ich dies einer weiteren Unterkategorie zu. Ebenso, wenn in den Interviews von Objekten die Rede war, die aufgrund von wechselnden Umständen nicht immer, also nur zu bestimmten Zeiten, gefahren werden können. Eine weitere Unterteilung habe ich gemacht, wenn von Spots, die ein gewisses technisches Niveau verlangen, also nicht von allen gefahren werden können, gesprochen wurde. In der Kategorie „Gender“ habe ich die ersten spontanen Reaktionen meiner InterviewpartnerInnen auf meine diesbezügliche Frage34 als einzelne Unterkategorie behandelt. In einem nächsten Schritt habe ich die Interviews in folgende Kategorien weiter unterteilt: • • • • • • • 34 Biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern Soziokulturelle Hintergründe Skateboarding: Ein Rückzugsort für Männer?! Eine Frau muss sich mehr beweisen, um akzeptiert zu sein! Frauen untereinander können sich besser motivieren! Konkurrenz unter Frauen Die Skate- und Streetbike-Industrie und Frauen; Frauen-Wettkämpfe Vergleiche Kapitel 5.2.1.1 54 7.2.2 Analyse der Interviews In meiner Analyse der Interviews habe ich, zusätzlich zu den Blöcken, welche ich schon in meinem Leitfaden und den Kodierkategorien verwendet habe, zwei weitere Unterkapitel geschaffen. In einem dieser Unterkapitel werden anhand der Beschreibungen zweier Skate-Touren und einer StreetbikeTour durch die Stadt konkrete Beispiele performativer Aneignung urbanen Raums durch FreestylerInnen dargestellt. In einem weiteren Unterkapitel lege ich dar, dass eine solche Aneignung auch immer auf einer diskursiven Ebene geschieht. Die Passagen in den Interviews, die sich auf den Stellenwert des Skatens oder Streetbikens im Leben meiner InterviewpartnerInnen oder gar auf ihr Selbstverständnis als SkaterInnen oder BikerInnen beziehen, habe ich in einem weiteren Unterkapitel zusammengefasst. 7.2.2.1 Die Skate- und Bike-Spots „Skaters can exist on the essentials of what is out there. Any terrain. For urban skaters the city is 35 the hardware on their trip.” Ich habe meine Interviews in den allermeisten Fällen mit der Frage nach dem Ort, wo die Person am meisten skate oder bike, eröffnet. Viele gaben zuerst einige konkrete Spots an, fügten aber dann an, dass sie „am liebsten in der Stadt“ skaten oder biken würden. Die Streetbikerin Kata antwortet auf diese Frage: „Ja es gibt viele Orte, die lässig sind, aber du bleibst dann nicht den ganzen Tag dort. Z.B. die kleine Wall beim Letten oder eben der Hardplatz oder der Höfliweg oder spontan…oder Treppen im Kreis 1 oder so…die ganze Stadt ist eben ein Spielplatz.“ Diese Aussage, die ganze Stadt sei eben ein Spielplatz, zieht sich als Grundtenor durch alle meine Interviews. Chris wohnt in der Nähe der Forchstrasse. Er antwortet auf meine Frage, wo er am meisten skate: Chris: „Hm, am meisten von der Forchstrasse bis in den Stadelhofen“ „SCHON?“ „Aber meistens in der ganzen Stadt!“ „ALSO NACHHER WAS MACHST DU…AUF DER FORCHSTRASSE BIS IN DEN STADELHOFEN, DANN FÄHRST DU EINFACH RUNTER, ODER NIMMST EINFACH DIE GANZEN RANDSTEINCHEN?“ „Ja überall, Randsteinchen, Hauswände, Bänkchen, Treppen, ja…“ Chris erklärt, dass es ihm egal sei, welchen Weg er fahre, es könne jeder Weg zu einer Bahnstation oder zu einem Kollegen sein, er habe keine spezifischen Ansprüche an seine Skate-Spots. Auf die Frage, ob er diesen Weg von seinem Zuhause bis zum Bahnhof Stadelhofen als einen interessanten Weg zum Skaten beschreiben würde, antwortete er: „Sehr…er ist aber auch erst gut worden!“ „ALSO WEGEN DIR, NICHT WEIL SIE UMGEBAUT HABEN?“ „Nein, genau, weil ich mehr seh’…aber je nach Stimmung, manchmal cruise ich einfach runter, und manchmal hab ich mehr Lust…“ „JA“ „…nein es hat jene…es hat überall…oder…ja…nein, es ist wirklich so, nicht nur auf dein Thema bezogen…es ist wirklich so…“ 35 Zitat der Skateboard-Legende Stacy Peralta (Borden 2004: 292) 55 In Chris’s Wahrnehmung scheint die ganze Stadt eine Herausforderung zur Neuinterpretation darzustellen. „Vielleicht machen wir an den Bellevue-Curbs ab und gehen dann ins Seefeld, cruisen alles zurück, aber ähm, am Liebsten schon einfach Streetskaten, so wie, das, was in der Strasse ist, es hat immer irgendwie, die bauen ja immer, es ist immer etwas im Weg…(…)…ich find es geil, wenn es lebt…sonst ist es mir so…fast ein bisschen zu Trainingsstyle!“ „JAJA“ „… so Turnhallen-mässig…“ Abb. 11: Langstrasse-Unterführung (Foto: Y. Müller) Abb. 12: Wallride beim oberen Letten (Foto: Y. Müller) Es sind die kleinsten architektonischen und verkehrsplanerischen Elemente der Stadt, die die SkaterInnen und StreetbikerInnen in ihren Bann ziehen: Randsteine, Hauswände, Bänkchen, kleine Mauern, Treppen, Geländer. Und diese werden weiter abstrahiert, von ihrer „ursprünglichen“ Bedeutung gelöst, zerstückelt und neu zusammengesetzt. Meine InterviewpartnerInnen sprechen in ihren Beschreibungen der Spots auch von Formen und Flächen und Linien. Das Objekt, das am häufigsten in meinen Interviews erwähnt wird, ist das „Mürli“. Das Mürli ist überall. Es besitzt keine vorgegebenen Dimensionen, und hat es auch nicht nötig, eine szene-typisch englische Übersetzung zu tragen. Es ist und bleibt einfach das Mürli, auch wenn es an einigen Orten grosse Namen zugeschrieben bekommen hat. So ist zum Beispiel das wohl bekannteste Zürcher Mürli, jenes entlang der Sechsiläuten-Wiese, als „Bellevue-Curb“ bei SkaterInnen weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Das kleinste und weit verbreitetste Mürli ist der Randstein. Tom: „…es reicht eigentlich schon ein Randstein…ja wirklich! Du kannst von der Strasse auf den Randstein und dort Manuals machen und einen Trick wieder runter vom Randstein auf die Strasse…und das reicht eigentlich schon …“ 56 Chris: „…und Randsteine…“ „RANDSTEINE!“ „…ja du kannst dich wirklich zwei Stunden an einem Randstein vergnügen, easy, oder eine Stunde…“ Stefan: „…weil, schlussendlich, wenn ich fahren will, dann bin ich auch mit einem Randstein auf eine Art zufrieden! Ich brauch schlussendlich nicht irgendwie geile Spots oder äh…den fetten Park…“ Es sind aber nicht alle SkaterInnen und StreetbikerInnen so anspruchslos an ihre Spots. Für den Streetbiker Simon sind es hauptsächlich die Industrie und die Umgebung von neuen Bauten, wo er am meisten „schöne Sachen“ findet, wie er sagt. Simon: „Industrie findest du am meisten schöne Sachen eigentlich! (….) Und so neue Überbauungen…neu gemacht Plätze…mit schönen Betonsachen und so!“ „ALSO NEU HEISST EINFACH, WEIL NEUE ARCHITEKTUR MEHR HERVORBRINGT?“ „…ja weil es klarere Formen hat, weil es keine Schnörkel hat und so...die äh…Ja es sind einfach klarere, eckige Formen, Schrägen und so, die man brauchen kann…z.B. jetzt der Park an der Nordbrücke…äh...hat so eine kleine erhöhte Terrasse…und dort hat es auf der Seite zwei Wallrides…obendrauf hat es so eine fette Stufe, die du runter springen kannst…Und dann hat es so ganz kaputte Wallrides hinter den Bänken durch, die ich mich aber nicht getraue…“ Durch die Wahl des Sportgeräts sind die Anforderungen an einen Spot hinsichtlich gewisser Ausprägungen definiert. So können mit dem Velo ganz andere Spots angefahren werden, als mit dem Skateboard. Und mit einem Streetbike sind wieder andere Orte im Bereich des Machbaren, als mit einem BMX. Die Ausprägungen möglicher Spots verändern sich auf mehreren Ebenen. So besteht eine grundsätzliche Limitierung für SkateboarderInnen im Material und der Beschaffenheit des Bodens. Kata: „Das find ich eben das Coole am Biken, du kannst überall durch…du kannst aufs Kies, du kannst auf der Erde, du kannst auf Platten, auf Kopfsteinpflaster,…du kannst überall, das ist das Coole am Biken…du musst nicht wie die Skater eine Holzplatte mitnehmen, weil du vielleicht einen Anlauf hast, der über Gras geht oder eine Landung, sondern du kannst gehen, wo du willst.“ Trotz Unterschieden in den Ausprägungen einzelner Spots, kann die Wahrnehmung und Neuinterpretation der Stadt durch SkateboarderInnen und StreetbikerInnen generell als analog betrachtet werden. Aus diesem Grund habe ich darauf verzichtet, meine Ergebnisse aufgeteilt nach Sportgeräten, darzustellen. Ein Ort, der in den meisten meiner Interviews Erwähnung findet, ist der Turbinenplatz. Die SkaterInnen nennen diesen Ort, zusammen mit den „Bellevue-Curbs“, der Landiwiese und dem ToniProvisorium, als einen der wenigen, wo ohne Verabredung andere SkaterInnen angetroffen werden können. Der Turbinenplatz reiht sich somit in die Galerie der berühmten Zürcher Skate-Spots, wie Globus, ETH und Kunsthaus ein. Diese öffentlichen Plätze haben in der historischen Entwicklung des Skateboarding in Zürich wichtige Treffpunkte der Szene dargestellt. Interessant an dieser Stelle ist, dass die Wiege des Skateboarding in Zürich, die Landiwiese, bis heute ein solcher Treffpunkt geblieben ist. Nic antwortet auf meine Frage, wo SkaterInnen hingehen, wenn sie andere SkaterInnen antreffen wollen: „Ja und sonst Turbinenplatz…früher war das Kunsthaus so ein Ort...diese Orte, die ändern auch immer wieder…“ „ORTE WO MAN SICH TRIFFT?“ „Ja…das Kunsthaus war vor zehn, zwölf Jahren 57 ein regelmässiger Treffpunkt und ETH auch…und so 90 bis 95 ist ETH, Kunsthaus, die Gegend dort oben, da wurde extrem viel geskated, dann hat sich das irgendwann mal Richtung Turbinenplatz verlagert, wobei Landiwiese immer weiter ein Treffpunkt ist, wenn die Rampen stehen, die Rampen werden immer wieder weggebaut, wegen dem Theaterspektakel, wegen dem Knie, usw. und dann gibt’s immer eine Verlagerung, wenn die Rampen stehen, dann gehen viele Leute wieder dorthin, wenn die Rampen weg sind, gehen wieder mehr auf den Turbinenplatz, die Routen sind dann auch anders, und während dieser Zeit werden auch die umliegenden Spots anders gefahren…“ Bei vielen Spots macht die Information über dessen räumliche Lokalisierung nur einen Teil des gesamten lokalen Wissens aus. Dieses enthält oft weitere Kontext-Informationen, wie zum Beispiel Zeiten oder Umstände, bei denen dort geskatet oder Velo gefahren werden können. Ein Beispiel eines Zürcher Spots, der schon fast so etwas wie „geregelte Öffnungszeiten“ kennt, ist die Landiwiese. Zürcher SkaterInnen wissen, dass während auf der Sechseläuten-Wiese das Zelt des Zirkus Knie steht, die Landiwiese ebenfalls vom Zirkus besetzt ist. Das heisst, dass die Obstacles weggeräumt sind, und für SkaterInnen dort im Moment kein Platz ist. Dasselbe gilt während des „Iron Man“, des „Zürich Marathons“, des „Theater Spektakels“ und des „Freestyle.ch“. Abb. 13: Die bei den SkaterInnen beliebte Treppe auf dem Bürkliplatz ist wohl bis auf weiteres „geschlossen“. (Foto: Y. Müller) Ein Beispiel eines Spots mit eher „informellen Öffnungszeiten“ ist die Fritschiwiese. Die meisten StreetbikerInnen verzichten darauf, diese bei schönem Wetter und milden Temperaturen aufzusuchen. In dieser kleinen Parkanlage muss bei solchen Voraussetzungen eine grosse Anzahl spielender Kinder erwartet werden. Diese Situation wollen die meisten meiner InterviewpartnerInnen im Voraus vermeiden, da das Risiko einer Kollision mit BesucherInnen des Parks für sie unannehmbar ist. 58 Ob ein Spot gerade „funktioniert“ oder nicht, ist aber sehr oft nicht voraussehbar, da sich die Stadt im konstanten Wandel befindet. Es verschwinden beliebte Skate-Spots, es kommen dafür auch immer wieder neue dazu. Simon: „…ich meine vieles findest du halt auch einfach beim Verbinden von diesen Sachen…Was natürlich auch ist, die Stadt ändert sich die ganze Zeit! Durch Baustellen entstehen manchmal Sachen, die befristet sind, die nachher wieder weg sind…oder eine Baustelle blockiert eine zeitlang etwas, oder es entsteht etwas ganz Neues! Und ja, die Stadt ist ja nicht etwas Statisches...die Stadt ist etwas extrem Lebendiges…und darum verändert es sich eh immer! Eine zeitlang… es gibt Orte, wo, wenn ein Auto auf den Parkplatz parkiert ist, geht es nicht und wenn das Auto nicht dort steht, kannst du es springen, oder! Und äh…ja dann fährst du einfach vorbei und wenn das Auto nicht dort steht, dann springst du es und wenn es dort steht, dann fährst du halt weiter oder…“ Aber auch das Skateboarding und Streetbiking ist nichts Statisches, die Trends und das technische Niveau verändern sich, und somit verschieben sich auch die Spots, die dafür geeignet sind. Nic: „Und zudem ist es auch so, dass die Entwicklung der Tricks und die Möglichkeiten vom Niveau her, also die Art, wie du fährst, hat sich während den letzten zehn Jahren immer ein bisschen verändert, und so wie sich die Tricks verändern, ändern sich die Spots, die du suchen gehst, also ich würde sagen, in letzter Zeit werden wieder mehr Sachen gefahren, die du vor 15 Jahren schon einmal gefahren bist, die die erste Generation gefahren ist, die wieder hervor kommt…“ „WARUM DENN?“ „Weil sich die Tricks verändern, die Art und Weise, welche Tricks du machst, welche Kombinationen…“ „ES IST ABER NICHT SO, DASS DU ALTE TRICKS MACHST?“ „Nein, du machst neue Tricks an den alten Orten…“ „TECHNISCH WAHRSCHEINLICH HÖHERE, ANSPRUCHSVOLLERE TRICKS“ „Jjja…im Durchschnitt schon…von der Höhe her, von den Distanzen, von den Dimensionen ist alles ein bisschen höher geworden…die Leute kommen höher hinauf, du musst höhere Sachen fahren…(…)…also ich würde sagen, das Niveau ist höher geworden…die Tricks sind vielfältiger geworden, durch dass du so vielfältige Tricks hast, gehst du auch an mehr verschiedene Orte, also du bist nicht mehr so limitiert, vor zehn Jahren hast du, bist du langsamer gefahren, bist du viel technischer gefahren und jetzt beginnen sie wieder andere Sachen zu fahren, Wallrides sind seit zwei, drei Jahren, oder seit einem Jahr sind die wieder voll im Kommen, und die, die sie können, sind plötzlich wieder cool, wenn sie einen Wallride machen, und früher war das so, höö, was ist denn das? Schon cool, aber komisch irgendwie…aber jetzt beginnen sie Wallrides mit technischen Tricks irgendwie zu kombinieren…das eröffnet eine völlig neue Dimension…“ „VÖLLIG LOGISCH!“ „...und es kommen plötzlich wieder neue Tricks hervor, die nicht mehr so super technisch sind und auch nicht super krass, aber mehr, ich glaube die Kreativität steht extrem im Vordergrund momentan, und je kreativer du bist, desto mehr Anerkennung kriegst du irgendwie, und um kreativ zu sein, musst du auch an mehr verschiedene Orte hingehen eigentlich, das macht es momentan wieder interessant in der Stadt Zürich…“ Während den verschiedenen Phasen, die das Skateboarding durchlebt, verschieben sich auch die Ansprüche an einen Spot. Laut Nic gibt es aber Spots, die sich immer haben halten können, Legenden in der Welt des Skateboarding, die in jeder dieser Phasen gefahren wurden. Nic: „…momentan hast du, wenn du die Stadt selber anschaust, die City eigentlich, die wird seit 20 Jahren gefahren, dort wird auch nicht viel Neues gebaut, ab und zu hast du mal was…“ „JA DIE NEUE BÖRSE IST SCHON NEU GEBAUT WORDEN…“ „Ja dort hat es etwas Neues gegeben, aber das wird nicht regelmässig gefahren, aber in der Stadt selber, in der Innenstadt, hast du ein paar alte Spots, die sind seit 20 Jahren dieselben!“ „DIE GUT SIND?!“ „Die gut sind und immer noch gefahren werden…aber so unregelmässig, dass man noch nicht verjagt wird. (…)…aber auf was ich raus will, ist, dass es ein paar einzelne Spots gibt, wie Kunsthaus, „Selnau Banks“, da beim roten Plattenboden, Palmenhochhaus, Sihlstrasse hast du jetzt die Talackerbar, darum ist es ein bisschen schwierig, aber du hast ein paar alte Spots, die sich seit 20 Jahren nicht verändert haben, 59 wo immer wieder eine neue Generation von Skatern hinkommt und neue Tricks dranmacht und „Langstrassen-Banks“ ist noch etwas, die schrägen Wände dort, werden auch immer wieder gefahren oder jetzt, nach 15 Jahren gehen wieder mehr Leute dorthin, weil die Wallrides kommen, ETH eh, die Gegend dort oben, du hast eigentlich in der Innenstadt eine gewisse Anzahl von alten Spots, die wieder belebt werden, und du hast ausserhalb von Zürich die neuen Spots, die entstehen durch neue Bauten und durch das…könntest du auf der Karte Punkte machen mit neuen Spots und Punkte machen mit alten Spots und dann würdest du sehen, dass in der Mitte der Stadt, alles eigentlich alte Spots wären und ausserhalb immer mehr neue entstehen würden oder entdeckt würden. Momentan ist es so, dass in Örlikon am meisten Neues entsteht, jede Woche oder alle zwei Wochen kommt wieder jemand, und meint, he, ich hab wieder was gefunden!“ Abb. 14: Kunst an der Kunst. Miguel fotografiert von Alan Maag. Abb. 15: „Selnau Banks“ (Foto: Y. Müller) In meinen Interviews zählte ich insgesamt 60 – 70 einzelne Skate- und Streetbike-Spots in der Stadt Zürich. Die so entstandene thematische Karte der Zürcher Skate- und Streetbike-Spots36 kann aber nur als unvollständige Sammlung und temporal begrenzte Momentaufnahme betrachtet werden. Die Informationen, die darin enthalten sind, geben ausschliesslich Auskunft über die geografische Lage eines Spots. Weitere zentrale Merkmale, wie skate- und bikebare Zeiten, oder das technische Niveau, welches ein Spot verlangt, um gefahren werden zu können, aber auch die zum Skaten oder Streeten attraktivsten Routen zwischen den einzelnen Spots, sind darin nicht enthalten. Eine Karte kann das spezifische Wissen einer lokalen Szene immer nur begrenzt wiedergeben, besteht es doch zu einem grossen Teil auch aus gemachten Erfahrungen und persönlichen Beziehungen. Eine weitere 36 Die Karte der Zürcher Skate- und Streetbike-Spots findet sich im Anhang. 60 Herausforderung an eine Sammlung von Skate- und Streetbike-Spots stellt die notwendige ständige Aktualisierung dar, ohne die diese ziemlich schnell unbrauchbar würde. Internet-Plattformen bieten die theoretische Möglichkeit ständiger Aktualität von Sammlungen von Skate-Spots. Die „Knowhere“-Internetseite37, auf der, wie die BetreiberInnen bezeugen, beinnahe jede Skate-Location in Grossbritannien verzeichnet ist, ist eine umfangreiche Sammlung von Informationen und Ansichten von SkateboarderInnen für SkateboarderInnen. BesucherInnen können auf dieser Seite Spots eintragen, bewerten und Hinweise zu aktuellen Situationen geben. In den 90er Jahren hatten lokale Skatemagazine diese Funktion besetzt. In unregelmässig erscheinenden Ausgaben wurden darin die angesagtesten Spots vorgestellt und sonstige Neuigkeiten der lokalen Szene verbreitet. 7.2.2.2 Suchen / Schaffen neuer Skate- und Bike-Spots Das Suchen und Schaffen von neuen Spots ist beim Skaten und Streetbiken zentral. Es gibt verschiedene Konzepte, wie StreetbikerInnen und SkaterInnen es angehen, wenn sie in der Stadt unterwegs sind. Die Einen nehmen jeden Weg, jede Gelegenheit als Herausforderung, einen Trick an einem neuen Ort machen zu können, der spontan entdeckte Spot ist das eigentliche Ziel. Andere entdecken oft dann neue Spots, wenn sie gerade nicht mit dem Skateboard oder dem Streetbike unterwegs sind und merken sich diese Spots, um sie zu einem andern Zeitpunkt wieder aufzusuchen. Wahrscheinlich werden beide Konzepte in unterschiedlichem Ausmass von allen angewandt. Chris, zum Beispiel, skatet das, was er auf der Strasse vorfindet. Auf die Frage, ob er denn keine spezifischen Ansprüche an seine Skate-Spots habe, antwortet er: „Eher weniger, wie mehr…man hat ja schon spezifische Ansprüche und geht vielleicht speziell dort hin, aber ich find es fast spannender, wenn du gerade das machst, was dir in den Weg kommt!“ Kata antwortet auf die Frage, ob sie viel auf Entdeckungstour gehe, dass dies manchmal auch spontan entstehe. Sie fahre einfach durch die Strassen, und wenn sie etwas entdecke, dann bleibe sie halt dort. Ich fragte Simon, ob das explizite Suchen-Gehen denn nicht einen grossen Anteil des eigentlichen Streetbikens ausmachte: „Doch sicher…egal ob ich mit dem Velo oder mit dem Arbeitsvelo unterwegs bin, ich schau immer wo ich, ich fahr immer mit offenen Augen durch die Gegend und geh dann Sachen wieder anschauen…“ (….) „ALSO GEHST DU DANN VIEL AUF ENTDECKUNGSTOUR SO ZU SAGEN?“ „Ja...ja! Eigentlich meistens…irgendwie…ich mein, du kennst zwar diese Orte, die du weißt sie sind cool, aber die verbindest du immer wieder anders…Und dann siehst du auch immer wieder andere Sachen und andere Möglichkeiten…dann siehst du auf einmal irgendwo, wo du schon sieben Mal vorbeigefahren bist, dass das eigentlich noch ein geiler Sprung wäre, und dass das machbar ist...“ Es scheint, dass FreestylerInnen stets mit dieser speziellen Sicht auf ihre Umgebung leben. Sie „schalten nicht ab“, wenn sie gerade nicht Skaten oder Streetbiken, sie betrachten ihre Umgebung immer durch das „skater’s eye“. Dazu möchte ich das „Trasher Skateboard Magazin” zitieren, welches das Phänomen des „skater’s eye“ folgend beschreibt: „People who ride skateboards look at the world at a different way. Angles, spots, lurkers and cops all dot the landscape that we all travel.” (Trasher 37 http://www.knowhere.co.uk, 26.4.2006 61 1997: 71, zit in Borden 2004: 249). Das Phänomen des „skater’s eye” werde ich jetzt anhand der Aussagen der Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen noch etwas vertiefter beschreiben. Nic: „Also diese Sachen, die sie neu bauen, sind eigentlich vorwiegend gerade kleine Mauern, so wie sie auf der Gemüsebrücke gebaut haben, da gab’s einen Artikel im 20 Minuten…“ „DEN HAB ICH GESEHEN“ „…da haben viele Leute gedacht, die seien zum Skaten gemacht eigentlich, weil sie einfach die perfekten Dimensionen haben und das perfekte Material…“ Vielleicht entsprechen diese Gedanken nur einem Wunschdenken vieler SkaterInnen, vielleicht leben aber manche unter ihnen tatsächlich in einer solchen Welt, in der Bänke zum Skaten entworfen werden, und das Sitzen nur eine von vielen Optionen, wie eine Bank genutzt werden kann, darstellt. Michi erzählt, dass er Entdeckungen meistens dann mache, wenn er das Velo nicht dabei habe. Und auch Denis beschreibt, wie er im Alltag automatisch immer nach neuen Skate-Spots Ausschau halte: Michi: „…das machen wir noch recht oft, vor allem im Alltag, das machst du automatisch…das ist wirklich extrem, du gehst irgendwohin und...wuah...ein neues Mürli, wuah…das sieht noch neu aus, den Boden schaust du gerade an…ok, das könnte man noch fahren…und dann erzählt man es…also man breitet sich das auch immer aus…erzählst es auch deinen Kollegen und so wuah...das könnte man wirklich mal fahren…ok, machen wir am Samstag ab, gehen wir das fahren!“ Abb. 16: „Höfliweg“ (Foto: Y. Müller) 62 Kenntnisse über neue Spots verbreiten sich durch Mundpropaganda. Sie werden untereinander ausgetauscht. Jede Streetbikerin und jeder Skater entdeckt wieder andere Sachen, hat eine ein bisschen andere Sicht auf die Stadt. Die einen sehen mehr, die anderen sehen weniger. Dies alles ist auch abhängig vom Hintergrund, den eine Person hat und von ihrem technischen Niveau. Michi: „…meine Kumpels schauen diese Stadt ja ein bisschen anders an! Die sehen andere Spots als ich! Ich funktionier immer noch ein bisschen als Skater manchmal! Also weißt du, ich seh manchmal fast ein bisschen zu kleine Sachen, um mit dem Velo zu fahren, weil ich mir denke, hey, mit dem Skate war das lustig früher! Oder seh einen Grind, der einfach nie geht mit dem Velo!“ Es gibt aber auch Spots, die so auffallend oder herausragend sind, dass sie sowieso, ohne dass sie einer speziellen Werbung bedürften, entdeckt werden. Michi: „… z.B. am Grossmünster hat es ja auch so etwas Lustiges! Da hat es am Ende von so einem Gebäude kommt so ein kleiner Vorsprung runter...da kannst du genau von der Treppe auf diesen Vorsprung und dann der Hauswand entlang fahren und vorne runter...und solche Sachen entdeckt immer irgendjemand und mit den Leuten, mit denen ich da unterwegs bin, ich meine, wir haben alle so ein bisschen unsere Sachen, die wir entdecken von der Art her, aber eben, du musst die zuerst sehen und dann musst du sie umsetzen können zum Brauchen überhaupt…“ Es herrscht sozusagen ein Konsens darüber, was einen Spot ausmacht. Manchmal jedoch macht ein Spot erst durch Spuren vormaliger BenutzerInnen auf sich aufmerksam, weil es ausserhalb dieses Konsens liegt, an dieser Stelle einen Spot zu schaffen. Eine unbekannte Person stellt zu einem unbekannten Zeitpunkt durch diese Spuren eine Aufgabe an jede Person, die diese Spur zu deuten weiss. Spuren können aber auch von einem technischen Niveau zeugen, welches weit über dasjenige des Betrachters, der Betrachterin hinausgeht. Es ist wie mit Spuren im Schnee: Solchen blindlings zu folgen, führt einen ins Ungewisse. Michi: „…z.B. auf dem Weg nach Schlieren hat es eine Anfahrtsspur, die dort rechts raus geht, von einem äh…so einer Drecksecke und dann fliegst du irgendwie dort an die äh…an diesen Brückenpfeiler hin…ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen!“ „ALSO DU SIEHST ETWAS, WO DU NICHT WEISST, WAS MAN DAMIT MACHEN MUSS“ „…also doch, ich könnte es mir schon vorstellen, ich wüsste nicht, wie ich so etwas machen könnte…“ „JA…SO GEIL, DU SIEHST ZEICHEN UND SPUREN VON ANDEREN, DIE DICH MEGA INSPIRIEREN, ABER WO DU NOCH NICHT SO GENAU, FÜR DICH SELBER WEISST, WIE DU DAS MACHEN KÖNNTEST.“ (…) „…ich denke, es ist wirklich so eine Fragestellung an sich selber…was mache ich da?“ Dieses Wissen um Spots und das Teilen der Kenntnis darüber erzeugt so etwas wie eine Gemeinschaft. Beim Streetbiking ist dieses Wissen und diese Gemeinschaft subtiler, da abgesehen von wenigen Ausnahmen, zum Beispiel einer präparierten Anfahrt oder einer Grind-Spur, keine Spuren entstehen. Michi: „…das ist eben auch etwas…Skate-Spots z.B. erkennst du, weil sie einfach abgefiggt sind oder einfach irgendwelche Hinterlassenschaften haben…“ „GENAU“ „…und Zürcher Velospots, ich weiss gar nicht, ob es viele Leute gibt, die die brauchen oder die gleichen brauchen…“ „GENAU…DU WEISST NUR, DU BIST DANN DORT, ODER DU BIST MIT DEINEN FREUNDEN DORT UND OB NACHHER ODER VORHER JEMAND DORT IST…“ „Keine Ahnung…“ „KANNST DU NICHT WISSEN…“ 63 Abb. 17: Wachsspuren (Foto: Y. Müller) Weiter ist es längst nicht so, dass Wissen über Spots einfach so, ohne Vorbehalte, verbreitet wird. Gewisse Spots werden sogar geheim gehalten. Dies geschieht aus unterschiedlichen Gründen. Den einen Grund möchte ich in Simons Worten erläutern: „…also das einzige, das geheim behalten wird, ist, wenn wer Schaufeln geht im Wald…“ „JA“ „Und zwar dort hauptsächlich aus dem Grund, dass äh…ich mein to respect the nature! Es ist immer das Gleiche, wenn vier Jungs eine Schaufel in die Hand nehmen und sich im Wald einen Trail schaufeln gehen, ist es absolut kein Problem, weder für die Natur, noch für den Förster, noch für sonst irgend jemanden und auch für die Spaziergänger nicht, aber wenn so ein Platz bekannt wird, und du hast am Samstag 20 Jungs dort oben, äh, dann ist es erstens nicht mehr lustig zum Fahren, zweitens ist absehbar, dass Abfall und Dreck im Wald landen, äh, der Boden wird extrem verfahren, die Ruhe wird kaputt gemacht im Wald drin, und äh, über kurz oder lang wird der Förster darauf aufmerksam und macht diese Line wieder zu und äh…das ist eigentlich der einzige Grund, warum solche Sachen eigentlich geheim behalten werden…“ Solche Spots werden in erster Linie geheim gehalten, damit sie so lange wie möglich gefahren werden können. Ich habe aber bei vielen meiner InterviewpartnerInnen, nicht nur bei Simon, ein ziemlich ausgeprägtes Umweltbewusstsein feststellen können. Ebenfalls konnte ich bei den meisten eine hohe Sensibilität bezüglich des Umgangs mit AnwohnerInnen und SpaziergängerInnen und grundsätzlich gegenüber allen Leuten, die bei der Ausübung des Sports angetroffen werden, feststellen. Nic erörtert mit seinem Beispiel, das sich auf die professionelleren Skater bezieht, noch eine weitere Situation, bei welcher das Wissen um einen Ort geheim gehalten werden kann. 64 „…weil es ist oftmals, wenn ein Ort wirklich gut ist, dann wird er geheim behalten, dann wird er nicht weitererzählt, weil du gehst das Risiko ein, dass zu viele Leute dorthin gehen…“ „ALSO WEGEN DEN ANWOHNERN VOR ALLEM, NICHT WEIL NACHER DORT ZU VIELE LEUTE SIND?“ „Es sind zwei Sachen, das eine sind die Anwohner…dass du die Leute nicht verärgern willst, da du weißt, wenn ich einmal pro Woche dorthin geh, also wenn es einmal pro Woche Leute dort hat, dann ist das weniger schlimm, wie wenn drei, vier Mal pro Woche Leute dort sind… oftmals hat man auch Absprachen mit den Anwohnern, das gibt es selten, aber ab und zu kommt man zu einer solchen Vereinbarung und das Andere, das eine wichtige Rolle spielt, ist dass der Trick…du willst den Rail nicht allen öffnen, damit du deine eigenen Tricks dran machen kannst, bevor ein Besserer kommt, weil es ist extrem, du machst niemals zwei Mal den gleichen Trick an einem Handrail, oder an irgendeinem Ort.“ Hier spricht Nic davon, dass ein Trick an einem Spot nur einmal gefilmt werden kann. Kommt einem jemand zuvor, muss ein anderer Trick, der noch nie dort gefilmt wurde, gemacht werden, der, aufgrund des Konkurrenzdrucks unter den Skateboard-Videos, besser sein muss. In der SkateboardSzene in Zürich wird viel fotografiert und gefilmt, was dieser Problematik eine gewisse Relevanz verschafft. Kann also anhand der Antworten meiner InterviewpartnerInnen Bordens Aussage38, dass SkaterInnen den funktionellen oder ideellen Wert eines Gebäudes verkennen und nur ein Set von aneinandergereihten Objekten sehen, bestätigt werden? Nur bis zu einem gewissen Grad. Das Selbstverständnis, mit dem die Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen die Umgebung unter einem speziellen Blickwinkel betrachten, aber auch ihre diskursive Neuzuschreibung dieser Orte, erlaubt einerseits das Verifizieren Borden’s Hypothese. Andererseits habe ich den Eindruck, dass die Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen, trotz ihres breiten Zugeständnisses an ihre Leidenschaft, sehr wohl über die Nose ihres Skateboards, respektive über den Lenker ihres Velos hinaussehen. Es findet eine ziemlich differenzierte Auseinandersetzung mit der Umwelt statt, wie aus der nachfolgenden Aussage von Nic, dem ich diese Frage als einzigen direkt gestellt habe, hervorgeht: Nic: „Meinst du dass ich nur noch einen Treppentritt sehe anstatt dem ganzen Haus?“ „JA…“ „Ja es kommt draufan…es wäre ein bisschen hart gesagt, wenn es dann nur das…aber man schaut…man bleibt schon hängen…“ 7.2.2.3 Ideale Skate- und Bike-Spots Simon: „…das Einzige, was ich will, ist ein bisschen Beton und ein bisschen Holz…“ Diese radikale Formulierung des Streetbikers Simon kann eigentlich als Kernaussage aller meiner InterviewpartnerInnen stehen bleiben. Grundsätzlich sind die Antworten auf meine Frage nach dem idealen Skate- oder Bike-Spot in die gleiche Richtung ausgefallen: Die Herausforderung, einen Spot erst zu entdecken und dann das Bestmögliche an ihm zu machen, stellt für die meisten den grössten Reiz dar. Die Stadt ist da und will entdeckt werden! 38 Vergleiche Kapitel 5.1 65 Chris: „…das ist ja die Herausforderung, oder, dass man etwas fahren kann, das gar nicht gemacht ist für das! Und man vielleicht auch gar nicht fahren könnte…“ Auch für Stefan ist das Entdecken eines Spots, das, was er sucht: „.. ich finde Spots müssen wie so hinter der Ecke hervorkommen…“ Ein bisschen konkreter formuliert sind seine Idealvorstellungen von Spots Konglomerate aus Elementen und Orten, welche real existieren. „…ich finde so dichte, wie Albisriederplatz, dichte Pflastersteine…Und dann halt coole Objekte so im Sinne von…so…nicht so pyramidenmässig, vielleicht rund…so eine Mischung zwischen 39 Albisriederplatz und Technikum , das wäre eigentlich fast der genialste Umschrieb, was ich noch geil fände so…so eine Mischung zwischen diesen beiden…so ein bisschen…cooler geformt als das Technikum…vielleicht nicht so hoch…oder z.T…und ja…dann halt vom Runden ins Eckige rein…das ist schon geil…alles so ein bisschen Pflasterstein eng…das finde ich auch recht cool zum drauf fahren…also zum umfallen ist es voll Scheisse! Aber zum drauf fahren ist es voll angenehm, du spürst die Rillen mega fein…und beim Skate ist es dann wahrscheinlich schon Scheisse! Oder mit dem Velo ist es noch geil! Das Technikum ist schon sehr an der Grenze, es sind schon rechte Rillen drin…aber Albisriederplatz ist dann schon eher smooth so zum Drüberfräsen! Ja was find ich noch geil? Ich find so Sachen noch geil, wenn z.B. so wie beim Kongresshaus, da ist wie so eine langgezogene 3er Treppe, da kannst du kommen und irgendwie so raufspringen, Manual machen, 3er Treppe, dass du wie so noch bei dieser 3er Treppe noch so Mürli runter hast, wo du vom Manual aufs Mürli springen kannst…das sind halt alles nicht so… park-mässig…aber so ja einfach so wie es ist!“ Ein bisschen theoretischer beschreibt Nic seine Vorstellungen und seine Kritik an der vorherrschenden Architektur der Stadt: „Wir haben es davon gehabt, dass die städtische Architektur relativ einseitig ist…“ „DU MEINST SOZUSAGEN, DAS WÜRDE JA HEISSEN, DASS ALLES IM SELBEN ZEITRAUM ERBAUT WURDE…ABER DAS STIMMT JA NICHT!“ „Nein, das stimmt nicht, ja das ist wahr! Aber ich glaub, die Art zu Bauen ist da anders, als sagen wir einmal in Barcelona zum Beispiel, die als Hochburg von skatebarer Architektur dient, und durch das ist es für mich schwierig Motivation zu finden, weil ich nicht gerne Treppen runter springe, weil ich nicht gerne nur eckige Sachen fahre, sondern alles was… pyramidenförmige Architektur, das sind ja meistens schräge Flächen, die oftmals in eine Wand reingehen, das findest du bei uns in der Stadt nicht, bei uns sind alles rechte Winkel, überall rechte Winkel, findest es schon ab und zu, aber meistens hat’s dann einfach ein kleines spitzes Hindernis, das kann eine Rille in der Anfahrt sein, das kann die Oberfläche selber sein! (…) Und zudem ist in Barcelona ein grosser Teil aus Marmor gebaut, Marmor ist hartes Material und umso härteres Material umso besser ist es für das Skate. Wir haben ziemlich viel Granit, der etwa dem entspricht, der aber nicht so fein geschliffen wird meistens. Dafür haben wir besseren Asphalt.“ Nic’s Antwort auf die Frage nach dem idealen Skate-Spot führt vom genauen Beschrieb des Untergrunds, zur idealen Umgebung und weiter über die Architektur, bis hin zu der Gesetzeslage. Wie es scheint, setzt er dies alles in den Brennpunkt eines Runs, den er wie von aussen sieht, wie durch die Linse einer Kamera: „Harter Boden, die Fläche, auf der du fährst, sollte eben sein, sie sollte also kein Gefälle haben, im Normalfall nicht, keine Ritzen haben, keine Rillen… du hast oftmals schöne Treppen, und dann 39 Stefan spricht hier vom Technikum Winterthur. 66 hast du oben vor der Treppe, hast du 30 cm vorher hat’s eine dünne Linie, also so eine Kante, das ändert gerade wieder alles, das macht’s eigentlich unfahrbar. Ähmm genügend Anlauf und genügend Landung, sonst kannst du eine Treppe, wo du um die Ecke kommst und nur zwei Meter Anlauf hat, kannst du eigentlich nicht fahren, im Normalfall, kein Kies in der Nähe, theoretisch gehen Holzbänke auch zum Fahren, sowie beim Turbinenplatz, solange das Holz genügend hoch ist, ich würd’ jetzt mal sagen, es gibt wie gewisse Linien, die du immer hast…“ „ALSO MÜSSEN DIESE LINIEN, DIE DU FAHREN WILLST, AUCH IM KOPF SEIN?“ „Nein, diese Linien, die sich von der städtischen Architektur ergeben, du kannst dich immer ein bisschen anpassen, aber im Normalfall ist es eigentlich immer eine Linie, ein Fluss, den du gehst, du hast keine rechten Winkel drin, ok, du kannst stoppen und wieder zurück, aber meistens ist es ein Fluss, den du hast, und je fliessender die Architektur ist, desto einfacher ist es zum Fahren, meistens ist es so, dass diese Runs, die angenehm zum Fahren sind, die sind auch für das Auge irgendwie angenehmer, würde ich mal behaupten.“ „DU WÜRDEST VIELLEICHT SAGEN, DIE ZÜRCHERISCHE ARCHITEKTUR ODER SCHWEIZERISCHE ARCHITEKTUR IST NICHT VISIONÄR“ „…das auf alle Fälle, also es ist ein bisschen…“ „PRAGMATISCH, FUNKTIONELL, OHNE WITZ..“ „das…genormt, es ist extrem genormt, du hast die Treppenhöhe, die alle genormt sind, du hast die Geländerhöhen die alle genormt sind, und in einer anderen Stadt findest du vielleicht zehn verschiedene Geländerhöhen, in der Stadt Zürich hast du fast nur eine Normhöhe, oder die Normhöhe, die zwischen 1.20 und 1.40 liegt und in dem Winkel die Treppe runter geht. Und es ist auch so, im Vergleich zu den Staaten z.B., dass alle Treppentritte bei uns grösser sind, alle Geländer steiler und alle Geländer höher. In den Staaten, hast du die Hälfte aller Geländer, die gefahren werden, die du in den Video siehst, sehen zwar hoch aus, weil es Fischaug-Aufnahmen sind, aber sie sind in Tat und Wahrheit vielleicht einen Meter im Vergleich zu einem Meter 40. Diese 40 cm, kombiniert mit der Steilheit, machen den Unterschied aus, dass du sie eigentlich nicht fahren kannst angenehm, darum gibt es in der Stadt Zürich auch sehr wenig Rails, die gefahren werden…“ Zürich scheint, gemäss Nic, nicht gerade die ideale Skateboard-Stadt zu sein. Anhand des folgenden Zitats wird ersichtlich, wie er seine ganze Umgebung in dieser spezifischen „Skater-Sicht“ sieht und Objekte aus seiner persönlichen Wahrnehmung reinterpretiert. Nic kennt in Zürich nur einen einzigen Ort, der eine „neue Dimension von Tricks“ eröffnet, wie sie sonst nur in anderen Städten, allen voran der „Skateboard-Hauptstadt“ Barcelona, gefunden werden kann. Dieser befindet sich beim neuen Schulhaus in der Hardau. Nic: „…da hat’s ne blaue Wand…und so eine Mauer, die eigentlich ein Sitz am Anfang ist und nachher verfliesst es mehr zu einer Schräge…“ „AM ANFANG IST DAS MEGA GEIL!“ „Es ist beides perfekt, weil hinten durch, hast du die kleine Mauer, die eher eckig ist, und vornedurch hast du eine schräge Fläche, wo du oben auch eine Kante hast…es ist extrem rutschig, aber das ist perfekt…also das ist das einzige Beispiel an moderner Architektur, das neue Tricks eröffnet, das so Richtung Barcelona geht…so was findest du in Zürich ja nirgends…so eine Veränderung der Dimensionen, sonst wäre alles Zack-Zack-Zack, gerade, geradlinig, was auch schön ist….“ In der Welt der SkaterInnen scheint ein Bewusstsein darüber zu existieren, was die ideale Architektur zum Skaten ausmache. So wird im „TransWorldSkateboarding“ (1991: 43 zit. in Borden, 2004: 293) das „Marriott Marquis Hotel“ in New York, 1985 vom Architekten John Portman entworfen, als „modern day skate architecture“ bezeichnet und mit seinen „ tight transitions (…) black walls (...) street-level walkway and for its planters“ identifiziert (Trasher 1991: 6 zit. in Borden 2004: 293). Was diese, in architektonischen Thermen, diskontinuierlichen Elemente zusammenhält, folgt weder einer kompositionellen, strukturellen oder funktionellen, sondern einer gänzlich anderen Logik, nämlich derjenigen der SkaterInnen, wenn sie sich schnell von einem urbanen Gebäude oder Element zum anderen bewegen. 67 SkaterInnen und StreetbikerInnen scheinen sich auf ihre spezielle Art intensiv mit architektonischen Details auseinanderzusetzen. Diese scheinen eine so grosse Relevanz zu besitzen, dass Tom’s Antwort, auf die Frage nach dem idealen Skate-Spot, nicht abwegig anmutet. Der ideale Spot existiert nun einmal nicht in Zürich, wohl scheint er aber in Paris zu existieren: „…oder welches Material ist auch noch wichtig…im Louvre z.B. hats so einen geilen Marmor…der grindet super, da kannst du kilometerlang grinden ohne einzuwaxen…“ Natürlich existieren auch Legenden unter den Skate-Lokalitäten. Perfekte Spots, die in der ganzen Skate-Welt bekannt sind. So beschreibt Tom den Urspot des Streetskating: „…EMB, San Francisco, das war schon der perfekte Spot!“ „BIST DU DEN GEFAHREN?“ „Ja. Embarcadero Center. Das war so… das war so vor…Manu, wann ist EMB zugegangen?“ Manu: „Im 96!“ „Ja vor zehn Jahren…(….) Und dann sind die relativ schnell dort hin und da hat’s einfach alles gehabt…Banks, Curbs, Mauern, 3er Treppe, 5er Treppe, 7er Treppe, 8er Treppe, DoubleSets,… das war nicht für die Skater gemacht,...das war in San Francisco auf dem Hauptplatz, im Business District“ „AH GEIL!“ „Das ist schon…dort hat’s eigentlich alles gehabt und alle Skateparks mit Ledges haben sie eigentlich dort nachgebaut...“ Manu: „Das war geil!“ „…alles was so jetzt gemacht wird,…das war so der Spot…der Boden war ein bisschen Scheisse…war so Kopfsteinpflaster, der war aber so glatt, den konntest du auch skaten, das war kein Problem, der war super!“ Dank dem „EMB“, dem „Embarcadero Center“, gilt San Francisco als die Geburtstätte des Streetskating. Bis heute kommen aus den USA die grössten Innovationen im Skateboarding. Vergleiche des Skateboarding in Zürich und den USA fallen zwischen meinen InterviewpartnerInnen aber unterschiedlich aus. Michi: „…. Zürich hat ja eh das Ding, es ist ja nicht wirklich eine Streetstyle-Stadt! Es ist alles entweder eckig oder uncool!“ „WAS IST DANN EINE STREETSTYLE-STADT?“ „Ja, ich meine solche Orte, die natürliche Hips haben, wo es einfach, wie soll man das,… Ditches und Sachen, die halt irgendwie vom Staat gebaut worden sind, um irgendwie Wasser abfliessen zu lassen, das haben wir nicht, wir machen alles Ecken in der Schweiz. „ALSO ZUM WASSER ABFLIESSEN LASSEN, MEINST DU?“ „…in Amerika machen sie ja alles rund, dort gibt es ja automatisch irgendwelche Quarterpipes oder äh…eben die klassischen Ditch-Spots, die du halt über eine Ecke anfahren kannst…“ Für Chris ist Zürich zum Skaten durchaus ein interessanter Ort. Chris: „...also in Zürich ist es glaub geiler zum Skaten…wie in Amerika! (…) Du kannst aus dem Haus und du hast 20 Sachen vor der Nase, und du musst dort mit dem Auto gehen! Du musst einsteigen, du musst zu einem Schulhaus…also weißt du so, Down Town San Francisco, ja, Down Town ist geil, aber LA, gut ich kenn jetzt LA nicht ganz mega gut! Aber es ist nie so kompakt, nie so kompakt, du kannst nicht in zehn Minuten sagen, ich geh an den Spot mit dem Skate! (…) aber Zürich ist eben auch kompakt, das ist nicht nur meine Aussage…es sind auch schon Jungs aus Amerika da gewesen, die Skaten gegangen sind, die das geil gefunden haben…“ Mein jüngster Interviewpartner extrahiert in seinen Vorstellungen seine Lieblingselemente und platziert sie nebeneinander, gerade so wie in einem Skatepark. Hätte er eine Treppe, eventuell mit einem Rail, ein normales Curb mit einem guten Boden und eine Bank und vielleicht ein Gap, und dies alles am selben Ort, er wäre glücklich! Das ist eigentlich die Idee eines Freestyle-Parks: All die Wünsche und Anregungen der FreestylerInnen zu sammeln und an einem Ort, der dafür definiert ist, 68 zusammenzutragen. Alle meine InterviewpartnerInnen würden sofort in einen Freestyle-Park fahren gehen, wenn er dann einmal da wäre. Vor allem jüngere Skater äusserten sich in dem Sinne. Simon: „…aber es wäre schon geil, wenn es einfach einen Platz gäbe, wo du weißt, du wirst in Ruhe gelassen...wo dafür ein Stück weit definiert ist...wo du weißt, es laufen dir keine Fussgänger drein...wo du vielleicht auch Musik laufen lassen könntest…das gehört irgendwie…ich finde das ist irgendwie recht essentiell bei dem Sport, oder allgemein Freestyle-Sportarten, dass du…ich finde Musik gehört irgendwie extrem dazu...“ Niemand würde jedoch auf das Streeten verzichten. Ein Park würde aber für alle Befragten eine Bereicherung darstellen. Michi spricht wohl im Sinne aller FreestylerInnen, wenn er fragt, wer in seinem Leben nicht gerne einmal Pool fahren wolle. 7.2.2.4 Performative Aneignung – Skate- und Bike-Touren durch die Stadt Die folgenden drei Ausschnitte aus Interviews zeigen für mich exemplarisch das Zusammenspiel aus Sport, Faszination und Sozialem beim Freestylen. In der Tour von Stefan kommt deutlich zum Vorschein, wie für ihn die Stadt aus Spots besteht, die er mit beinahe inexistenten Wegen verbindet. Sobald eine Verbindung einen Spot beinhaltet, ist der Weg kein Weg mehr, sondern ein Spot, für den es sich lohnt, gerade diesen Weg zu wählen. Diese drei Beispiele beantworten meine Frage nach den Räumen, welche sich die skatenden und bikenden Personen in Zürich wünschen und schaffen, selbstredend: Die skatenden und streetbikenden Personen in Zürich sehen die Stadt anders als nicht-skatende oder -bikende Personen. Ihre spezielle Sicht auf die Umgebung ergibt ein einzigartiges Bild der Stadt von skatebaren und bikebaren Orten und den Verbindungen zwischen diesen. Den urbanen Raum eignen sich die skatenden und streetbikenden Personen durch Bewegung, aber auch, wie ich in Kapitel 7.2.2.5 noch ausführlicher darlegen werde, durch die Sprache an. Stefan: „Ja…ja ein bisschen so eine cheapo Route hab ich! Das fängt dann meistens im Ghetto an, und nachher fahr ich zum, ja ist dann halt so ein bisschen…die Opa-Route…beim Ghetto an, und nachher fahr ich äh...zum...ähm Bezirksgebäude, so ein bisschen die 2er Treppe, ein bisschen Manuals und so Einwärmen und nachher noch ein bisschen dort herum, kannst ein bisschen Rumdingseln (…) ähm und dann meistens dann so ein bisschen dort herum Rumstreeten bis ich beim Kongresshaus bin…dort ein bisschen Rumspotten, und dann geh ich meistens zum Stadelhofen…dort find ich, hat es noch ein paar geile Sachen…(…) Ja es hat z.B., das recht geil ist, hat es so den Eingang zum normalen Schalter, der zwei Schrägen hat, ist eine 4er Treppe, und ist so breit, da kannst du auch recht cool so, die Schräge rauf irgend ein Bunny-Hop etwas und im Manual nachher die Treppe runter, so…hat es hinten durch hat es noch cool so, hat es ein Mürli, das dann so abgeschrägt ist, weiter oben, kannst du so auf die Abschräge hoch und Sachen machen und dort ist es noch geil! Dann geh ich meistens so...äh…ah ja…da hat es noch mal einen Spot…geh ich meistens so hinten durch weiter...so ein bisschen der Limmat entlang, so…und nachher geh ich Gemüsebrücke…dort hat es dann, dort haben sie jetzt ja umgebaut, aber hat es ja früher die, die, die komischen Podestdinger gehabt am Boden…da konntest du so…da hat es einen gehabt vom einen zum andern, oder du konntest so drauf springen und davon weg einen 360er oder so machen! Das war auch noch geil, der Spot! Und dann bin ich meistens hinten durch weiter, so…äh HB...und…dann so Dynamo-Gegend…dort hinten oben, und dann in der Kornhausbrücke…ein bisschen dort in der Mini rippen und so…und nachher dort hinten oben hat es ein paar Treppen, die ich noch cool finde…beim Veloladen und dann, wo fahr ich dann weiter, dann fahr ich glaub wieder so…hintenrum weiter…so Cinemax-Gebiet zur Toni-Molkerei…von der Toni-Molkerei fahr ich dann…wie so ein Kreis eigentlich, fahr ich dann wieder so ein bisschen 69 Richtung nach Hause…geh vielleicht noch in den Ghetto oder so…“ „UND IN DER TONI BLEIBST DU AUCH ODER NICHT? ALSO FÄHRST DU AUCH?“ „Ja ein bisschen…Ja in der Toni geh ich meistens hin und fahr so ein klein wenig und bin dann so, uah, ich bin ja mega schlecht geworden…und geh dann wieder!“ „UND VORHER, WENN DU ALLEINE BIST, FINDEST DU SO YEAH, HUERE GEIL!“ „Ja eh! Ja beim Streeten ja…ja ich streete halt mehr, und dann kann ich halt auch ein bisschen besser streeten, oder!“ „JA EH...NEIN ABER ÄHM WENN DU SAGST DU GEHST VOM EINEN SPOT ZUM ANDERN…UND DU STREETEST ZWISCHENDURCH…ALSO DANN SCHON BEWUSST, DANN IST DER WEG, IST AUCH GEIL, ODER GEHST DU DANN NUR ZU DEN SPOTS UND…“ „nein der Weg ist schon auch easy…da hat es noch dort, das ist auch ein geiler Spot, ist dort bei der Silberkugel…die 3er Treppe, die find ich auch noch easy…“ „JA…ALSO WELCHE JETZT?“ „Bei der Enge…Silberkugel, bevor du zum Kongresshaus kommst…hat es auch so ein Mürli, dort haben sie jetzt leider so Dings drauf getan…so Blächli…“ „SO ANTISKATE-SCHEISS“ „...das ist noch ein geiles Mürli...ja Landiwiese ist eben eigentlich auch geil…einfach bis du dort vorne bist hat es nicht wirklich viel…paar Sachen…(…)…der Langstrassentunnel ist auch ein geiler Spot…“ „DIE WALL?“ „Die Wall und die Treppen…das ist auch geil, die Treppen…der ist auch noch geil“ (…) „ABER DAS IST COOL, DAS IST WIRKLICH SO EINE TOUR! ABER MACHST DU DIE WIRKLICH EIN PAAR MAL?“ „Ja die hab ich…das ist so…“ „DIE MACHST DU EINFACH IMMER?“ „Ja manchmal ist es dann schon fast so ein bisschen langweilig, ja! So drei Mal in der Woche diese Tour machst…“ Bei Denis’ Tour zeigt sich, wie er die Verbindungen zwischen den Spots gar ganz aus seiner Tour streicht, indem er den Zug nimmt. Der soziale Aspekt kommt bei Denis’ Geschichte gut zur Geltung, wenn er beschreibt, wie er an den potentiell bestbesuchten Skate-Spots nach Bekannten sucht: „...also jetzt zum Beispiel am Sonntag bin ich auch aufgestanden und bin dann einfach vom Bellevue ein bisschen am Rumfetzen gewesen, Richtung Landiwiese, hab für mich ein paar Tricks gemacht, bin so ein bisschen noch in der Landi noch am Skaten gewesen, eine halbe Stunde lang, dann ist es halt ein bisschen windig worden, und dann bin ich wieder zurückgefahren mit dem Board bis an den HB und dann vom HB dann mit dem Zug dann äh zur Toni-Molkerei, und dann war ich dort noch ein bisschen am Fahren und dann wieder nach Hause…und dann, das dann ganz alleine, also ich habe dann erst bei der Toni-Molkerei dann ein paar getroffen, sonst war ich alleine unterwegs…“ „AUF DER LANDIWIESE WAR KEINE SAU DA?“ „Nein, dann, also an dem Tag war keine Sau da! Also es ist wirklich immer unterschiedlich!“ „JA.“ „Und äh ja manchmal geniesse ich das noch recht, und manchmal nervt es auch so ein bisschen, wenn wirklich niemand da ist, dann geh ich auch nach Hause oder mach irgendwas anderes…“ Chris’ „Skate-Session“ ist eine Homage an das Streetskating. Er trifft sich mit Freunden irgendwo in der Stadt, sie skaten irgendwo, auf der Strasse, in Hinterhöfen, was sie gerade finden und erfinden sich und das Skaten in dem Moment neu: „…oder weißt du, letztes Mal, bin ich zwar nur, ich wollte skaten gehen, die Jungs waren aber schon früher, da hab ich sie trotzdem getroffen, hab ich gesagt, komm wir gehen noch eine Runde, sind dann einfach so um den Block rumgefahren, war mega geil! Da hat’s einfach so eine Strassentafel gehabt, weißt du, so ein Parkverbot irgendwie, das war noch nicht montiert, so an der Wand, dann hast du das gerade gesehen, und dann gerade so am Schild nach, so tägg rauf, Wallride, es ist alles gerade gegangen, so die Spontanität, find ich, das gibt dann so, weißt du, das gerade so, uah sehen, uah Trick geil, uah he, uah los, weiter! Oder so, der Drive ist einfach…ist huere geil! Ist huere spannend eigentlich, oder?!“ 70 7.2.2.5 Diskursive Aneignung - Aneignung durch Namensgebung In der Welt des Skateboarding erhält jeder berühmtere Spot einen eigenen Namen. So wurde zum Beispiel der Turbinenplatz von den SkaterInnen schon vor Jahren zum „Turboplatz“ umgetauft, und die kleinen Mauren in der Nähe des Haltestelle Stockerstrasse tragen den viel versprechenden Namen „Air Banks“. Eine spezielle Bezeichnung hat auch der kleine Skatepark neben der Bäckeranlage gekriegt. Der kurze Abschnitt der Hohlstrasse, wo eine Spine, eine Quarter und zwei, drei weitere kleine Elemente stehen, wird in der Szene liebevoll „Ghetto-Park“ genannt. Diese Bezeichnung hat ihren Ursprung darin, dass hier früher die Elemente oft erst von den Junkies zum Skaten und Biken zurückerobert werden mussten. Das 200 Meter lange Curb in Örlikon heisst nicht deshalb „Sunrise-Spot“, weil es an einem Abschnitt neben dem Sunrise Gebäude vorbeiführt, sondern, weil die SkaterInnen von dort, wo dieses endlose Curb geskatet wird, so gut an die Türme sehen können. Denis: „Also wir haben einen Feierabendspot…“ „AH JA?“ „Sunrise-Towers…also Sunrise-Spot sagt man dem, das ist einfach dort bei der HSO…“ „DAS IST ABER EIGENTLICH NICHT SUNRISE, DAS IST JA ANDREASSTRASSE…“ „Jaja genau, wir sagen dem einfach Sunrise-Spot, weil du gerade an diese zwei Türme siehst.“ Einer meiner persönlichen Lieblingsorte zum Streeten ist der Hardplatz. Meine Freundin und ich haben diesen Platz „Hardpark“ getauft. Vielleicht heisst der Platz aber unter StreetbikerInnen schon lange so, wer weiss. Solche Namen entstehen irgendwann und können zu Legenden werden, die über Generationen weitergegeben werden. Diese Namensgebungen bewirken eine noch tiefgreifendere Aneignung von Räumen durch die Freestyle-SportlerInnen als durch ihre blosse physische Präsenz. Durch das Umbenennen wird ein Selbstverständnis von einem besseren, geheimen Wissen um die andere Bedeutung von Orten und Plätzen verbreitet. Spezielle Bezeichnungen für beliebte Skate- und Street-Spots haben eine lange Tradition. Unter diesen Namen erlangten lokale Spots erst weltweite Berühmtheit. Die damals verwahrloste „John F. Kennedy Plaza“, im Zentrum von Philadelphia hat unter dem Namen „Love Park“, wie ich im Kapitel 5.2. dargestellt habe, Skateboard-Geschichte geschrieben. Die meisten dieser klingenden Namen sind in der Skate-Welt durch Video- und Bilddokumentation weit herum bekannt. So ist zum Beispiel New York für SkaterInnen nicht das New York der Freiheitsstatue, des „Time Square“ und des „Central Park“ sondern New York ist „Bubble Banks“, „Harlem Banks“, „Brooklyn Banks“, „Washington Square Park“, „Mullaly Park“, „Marriott Marquis Hotel“, „Bell Plaza Banks“, und so weiter (Borden 2004: 294). In Tokyo machen für die SkateboarderInnen Namen wie „Akihabara Park“, „Jabu Jabu Banks“, die Ledges bei der „Tokyo Station“, die Curbs bei der „Yotsuya Station“ und so weiter die Stadt aus (Borden 2004: 294). Nicht jeder Spot kriegt einen Namen, aber trotzdem geschieht mit jedem Ort und jedem Element, das Freestyle-SportlerInnen sich performativ aneignen, dasselbe auch auf einer diskursiven Ebene. Ein Punkt auf einer Landkarte, eventuell mit grosser historischer Bedeutung, eventuell nur einfach ein Randstein in einem Hinterhof, wird umgeschrieben in einen „Spot“, und dieser wiederum in einzelne Elemente unterteilt, die in der Betrachtung der Skaterin oder des Streetbikers erst im Fluss des Runs wieder einen Zusammenhang erhalten. 71 7.2.2.6 Toleranz im öffentlichen Raum Auf die Frage, wie die Toleranz im öffentlichen Raum wahrgenommen werde, ob die einzelnen SkaterInnen und StreetbikerInnen schon öfter bei der Ausübung ihres Sports Repression erfahren hätten, wussten alle meine InterviewpartnerInnen viel zu erzählen. Grundsätzlich wollen alle einfach in Ruhe gelassen werden. Bei der Beurteilung eines Spots gehört ganz klar das „in Ruhe gelassen werden“ als wichtiges Kriterium dazu. Denis: „…das ist eben das, das auch beim Sunrise-Spot geschätzt wird, von meinem Umfeld, weil es ist wirklich, da in Zürich ist es manchmal schon ein bisschen krass, wenn es zum Teil Stress gibt mit Leuten, die einem nerven und ihren Hunden oder sonst irgend ein Scheiss und dort ist eigentlich wirklich voll alles noch still, und du hast wirklich deine Ruhe, und es ist praktisch niemand dort, und du hast genügend Platz...in der Stadt selber hast du theoretisch eigentlich nur so 5-Minuten-Spots in dem Sinne, wo du dich auch mit der Zeit recht schnell langweilst, ausser halt jetzt Turbinenplatz oder Landiwiese oder so, halt was die Local-Spots betrifft.“ Es existieren Orte, an denen die SkaterInnen und StreetbikerInnen weniger vertrieben werden, und solche, an denen mit Repression gerechnet werden muss. Nic hat hierzu eine Theorie entwickelt: „…aber das ist auch wieder interessant, weil Anwohner ist auch immer ein Thema, je übler das Quartier ist, in Anführungszeichen, je mehr Ausländer hast du eigentlich, umso weniger wahrscheinlich ist es, dass du verjagt wirst, weil die viel toleranter sind...“ Diese Beobachtung mag so stimmen, ich zweifle jedoch an deren Begründung. Als zutreffender erachte ich, dass Ausländer weniger reklamieren, weil sie sich dies nicht getrauen. Das nächste Beispiel zeigt für mich schön, was Raumaneignung heisst, und wie diese an einem konkreten Beispiel ablaufen kann. Die SkaterInnen haben sich in einem Neubau, durch ihre Aneignung des Raumes zu einem frühen Zeitpunkt, ein hohes Definitions-Kapital erschaffen. Die neu einziehenden MieterInnen konnten sich diesen Raum nun nicht mehr ohne eine Auseinandersetzung mit den SkateboarderInnen aneignen. Nic: „…oder oftmals ist es so, dass die Skater an einen Ort hinkommen, bevor die Anwohner überhaupt reinkommen, weil sie sehen, oh, dort wird was neu gebaut, jetzt können wir es noch fahren, bevor die neuen Leute kommen…und dann ist es so, dass die eingezogen sind und die Skater von Anfang an dort waren…gut dann ist es nun mal so…“ In solchen Beispielen, wie Nic sie beschreibt, stellen die SkaterInnen an einem Ort die ersten Anzeichen von Leben dar. Es scheint, dass sie nur einen „unbelebten“ Raum, in ihrem Sinne definieren können. Nic weiss der Erzählung nach, dass die Architekten des Turbinenplatzes die Anwesenheit der SkaterInnen begrüssten. Die SkaterInnen hätten dazu beigetragen, ihre Vision eines lebendigen Platzes umzusetzen. Der Turbinenplatz ist einer der wenigen Orte, an dem die SkaterInnen in Ruhe gelassen werden. Sie „verteidigen“ ihren Raum mit selbstbewusstem Auftreten. Nic kann sich die seltenen Kontrollen durch Polizisten auf dem Platz so erklären: Nic: „…also so kann ich mir das erklären, das sind dann Polizisten, die neu in dem Gebiet zugeteilt werden, die noch nicht wissen, wie es läuft, blöd gesagt…“ „MEGA GEIL, HE WAS WILLST DU IN 72 MEINER HOOD?!“ „...ja…und die werden dann auch komisch angeschaut…he sorry…wir skaten da schon seit ein paar Jahren und es hat noch nie Lämpen gegeben, es war immer mehr oder weniger in Ordnung, und jetzt kommt ihr und macht Stress!? Dann werden sie vielleicht wütend, aber sie merken, wenn sie jeden Tag dort durchfahren und sehen, dass immer die gleiche Gruppe dort ist, ohne, dass es gross Scherereien gibt, dann normalisiert sich alles wieder…“ Vor zehn Jahren sei das Verhältnis zur Polizei jedoch noch ein ganz anderes gewesen: Nic: „…ich kann mich erinnern, wie vor zehn Jahren in der ETH, vorne draussen vor dem Hauptgebäude, nicht auf der Polyterrasse, sondern vorne auf dem Halbkreis, da waren wir extrem viel, und dort kann ich mich an Szenen erinnern, wo zwei Polizeiautos mit Vollgas rangefahren sind und du alle Skater davonrennen gesehen hast…das sind Szenen, die du sonst nur aus den Staaten gekannt hast…solche Sachen gibt es nicht mehr mittlerweile…“ „WIESO?“ „Keine Ahnung…ich glaube einerseits sind wir älter worden…und andererseits reagiert die Polizei nicht mehr so.“ Abb. 18: „ETH-Rail“: Das beste Rail der Stadt! (Foto: Y. Müller) Abb. 19: Auf der Polyterrasse ist skaten verboten. (Foto: Y. Müller) 73 Aber wie sieht eigentlich die Gesetzesgrundlage aus? Auf welchen Plätzen und an welchen Orten haben SkaterInnen und StreetbikerInnen vom Gesetz her das Recht, ihre Leidenschaft auszuüben? Für die SkaterInnen lautet der zuständige Wortlaut gemäss Strassenverkehrgesetz (SVG) und der dazu gehörigen Verordnung40: 1) Auf der Fahrbahn, ausgenommen verkehrsarme Strassen (z.B. in Wohnquartieren), sind Spiel und Sport untersagt, namentlich Fahren mit Kinderrädern, Rollschuhen, Rollski und dergleichen sowie Schlitteln und Skifahren. Bei Spiel und Sport auf verkehrsarmen Strassen dürfen andere Strassenbenützer weder behindert noch gefährdet werden. 2) Spiel und Sport auf dem Trottoir sind nur gestattet, wenn die Fussgänger und der Verkehr auf der Fahrbahn weder behindert noch gefährdet werden. 3) Ski und Schlitten dürfen als Verkehrsmittel benützt werden, wo dies ortsüblich ist. Für StreetbikerInnen gilt dasselbe Gesetz, wie für alle RadfahrerInnen. Für Simon ein sehr unbefriedigender Zustand: „…wie geh ich mit dem um, dass es eigentlich häufig illegal ist…also mit dem, dass man auf gewissen Plätzen nicht fahren darf, dass ist mal das eine, mit dem hab ich nicht so Probleme, was mich eher stresst, ist eben, dass ich mein Fahrzeug nicht als das deklarieren darf, was es eigentlich ist. Es gibt ja so die so genannten FaG’s, Fahrzeugähnliche Geräte, dazu zählt z.B. Kickboard, Skateboard, Inline-Skate, solche Sachen, oder, äh…dort ist ja die Regel irgendwie so, du darfst nicht auf der Strasse fahren, äh auf dem Trottoir musst du Rücksicht nehmen auf die Fussgänger und musst glaub ich Beleuchtung haben in der Nacht. Was Velo ist, gilt einfach als Velo und es muss den gesetzlichen Normen entsprechen, der Lenker muss eine gewisse Breite haben, es muss eine Vorder- und eine Hinterbremse haben, es muss Licht und eine Glocke dran haben.“ „ALSO DEIN VELO GEHT ALS VELO?“ „Genau, und es muss eine Vignette dran haben. Und jetzt ist das eigentlich nicht mein Verkehrsvelo, mit dem ich in den Verkehr geh, sondern mein Spass-Velo, mit dem ich Sport betreibe. Jetzt ist aber durch das, dass ich wo hinfahren muss, um meinen Sport zu betreiben, bin ich halt trotzdem auf der Strasse, oder, wenn ich es dann als FaG betreiben würde, und sag, ich fahr nur auf dem Trottoir, äh, dann hab ich ein Problem, dass das jetzt halt ein Fahrzeug ist, dass man auf der Strasse fahren muss und nicht darf auf dem Trottoir fahren…andererseits, wenn ich es wirklich als Fahrzeug brauchen wollte, müsste ich noch Licht dran machen und das macht keinen Sinn an so einem Velo, weil das abfällt, oder…das ist ein grosser Konflikt für mich, der mich stört, wo man die Gesetzgebung anpassen sollte und endlich auch ein BMX als FaG akzeptieren sollte!“ Die StreetbikerInnen befinden sich also in einem Zustand ohne befriedigende rechtliche Grundlage. Das Dilemma ist gross. Gemäss der geltenden Gesetzeslage werden ihre Fahrzeuge als Fahrräder deklariert. Die Normen für Fahrräder, welche auch für diese in vielen Punkten veraltet sind, sind für Streetbikes oder BMX’s gänzlich unsinnig. Das Problem wäre aber auch nicht gelöst, wenn die Streetbikes einfach als Spielzeuge angeschaut würden und der gleiche Gesetzestext wie für die SkateboarderInnen gälte. Streetbikes werden nämlich sehr wohl auch auf normalen Strassen und nicht auf Trottoirs gefahren. Selbst auf öffentlichen Plätzen gibt es keine Garantie für die FreestylerInnen, in Ruhe gelassen zu werden. Hausabwarte und Personal privater Bewachungsfirmen vertreiben die FreestylerInnen auch im öffentlichen Raum. Hinzu kommt, dass Reaktionen von AnwohnerInnen und PassantInnen nie 40 http://www.admin.ch/ch/d/sr/c741_11.html, 31.3.07 74 einzuschätzen sind. Diese können, wenn sie sich belästigt fühlen, immer auch die Polizei auf den Platz rufen. Häufig sind die Grenzen zwischen öffentlichem und halböffentlichem Raum nicht einfach auszumachen. Ein Beispiel eines solch fliessenden Übergangs zwischen einem Raum, in dem die FreestylerInnen geduldet sind und einem, in dem sie vertrieben werden, ist der Turbinenplatz. Auf diesem Platz haben die FreestylerInnen ihre Ruhe, es gibt keine Probleme. Im Nordwesten des Platzes erstreckt sich auf etwa 150 Quadratmetern eine rote, leicht erhöhte Fläche. Diese zu befahren ist aber strikte verboten. Es gibt keine Hinweise, dass oder warum dies so ist, wer aber mit seinem Skateboard oder Streetbike in die Nähe dieser roten Fläche kommt, wird sofort vertrieben. Seit einer Weile nun liegt auf der ganzen Fläche Kies verstreut, ein deutliches Zeichen für SkaterInnen, dass sie dort nicht erwünscht sind. Ich kann mir diese Situation nur so erklären, dass diese Fläche Teil einer Künstlerischen Plastik darstellt, worauf es aber keine eigentlichen Hinweise gibt. Dies wirft wiederum die Frage auf, ob Kunst nicht etwas Lebendiges sein kann oder soll, gerade wenn sie im öffentlichen oder halböffentlichen Raum stattfindet. Und natürlich kann weiter gefragt werden, was überhaupt Kunst ist. Kann nicht auch die Praxis des Skateboarding und des Streetbiking als eine künstlerische Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt verstanden werden? Alle meine InterviewpartnerInnen versuchen, den Problemen mit der Polizei oder mit AnwohnerInnen aus dem Weg zu gehen. Sie haben Strategien entwickelt, wie sie dies am besten bewerkstelligen. Nic: „…es gibt gewisse Orte, wo du weißt, dass ein Securitas da ist…oder dass irgendein Anwohner da ist, und der Ort aber so gut ist, oder vor allem zum Filmen ist er so gut, dass du einfach dorthin willst, und dann ist es vielleicht so, dass die Gescheiteren das Brett dorthin tragen, sie fahren nicht dorthin, einfach allein schon wegen dem Geräusch, und dass du versuchst aufgewärmt dorthin zu gehen, aber das ist selten, aber ja…es ist vielleicht höchstens so, wenn es einen neuen Ort gibt, der wirklich super ist, den noch niemand gefahren ist, dann passiert das eher, dass du das so zu machen versuchst…aber das sind eher die Ausnahmefälle, dass du so etwas wirklich geplant machst, oftmals versuchst du es einfach einmal, gehst dorthin, gehst fahren, mal schauen, vielleicht werden wir nach einer viertel Stunde rausgeschmissen, vielleicht erst nach zwei Stunden. Und je öfter du rausgeschmissen wirst, desto weniger gehst du dorthin, oder die Leute sagen sich dann vielleicht, he, oder sie sagen es vielleicht nicht einmal, sondern es ist ein Verständnis das da ist, dass du einfach noch ein halbes, dreiviertel Jahr wartest, und nach einem Jahr hockst du irgendwo dort, und wo hin könnten wir? Und nachher denkst du, wir könnten es eigentlich dort wieder einmal versuchen! Vielleicht hat dann der Anwohner gewechselt oder so. Und es ist z.T. so, dass wenn du an gewissen Orten fährst, dann kommt plötzlich wer, wo vorher ein halbes Jahr nie jemand gekommen ist, und plötzlich kommt wer! Und die rasten dann fast aus! Aber das sind eher die Ausnahmefälle.“ Kies ist die einfachste Lösung, SkaterInnen von einem Ort fernzuhalten. Das macht einen Spot zum Skaten unbenutzbar. Heisses Wasser, Tomaten, Eier, all dies sei schon von wütenden AnwohnerInnen auf meine InterviewpartnerInnen geschmissen worden. Die härteste Antwort aber, auf die SkaterInnen und StreetbikerInnen treffen, ist „Antiskate-Design“. Viele neue Objekte in Örlikon sind, laut Aussagen einiger meiner InterviewpartnerInnen, so konstruiert, dass sie zum Skaten nicht zu gebrauchen sind. In einem Fall scheint sogar eine Vorsichtsmassnahme getroffen worden zu sein, für den Fall, dass SkaterInnen sich einmal für dieses spezielle Objekt zu interessieren beginnen sollten. 75 Tom: „Ja vielfach, die neuen die sie in Örlikon gebaut haben, die sind skateunbrauchbar gebaut!“ „AH NEIN!“ „Es hat einfach Metallklötze drin! Weißt du dann wären es geile Betonteils, aber wenn sie sie skaten, kannst du einfach einen Stahlnoppel reinhauen…irgendwie alle zwei, drei Meter…“ Abb. 20: Anti-Skate-Massnahme (Foto: Y. Müller) Dass „Antiskate-Design“ Teil der Planung ist, ist aber doch eher selten, in den meisten Fällen wird erst reagiert, wenn die SkaterInnen sich den Raum schon geschaffen haben. Solche Massnahmen reichen von extra montierten Metallplatten, Noppen, Schwellen bis zu ganzen Zäunen und Treppengeländern. Beliebte Spots werden natürlich nicht einfach so aufgegeben. Mit Vorschlaghammer, aber auch Winkelschleifern, werden die unerwünschten Objekte zum Teil wieder entfernt. Stefan sieht eigentlich nur eine Lösung, wie Streeter von ihrer Leidenschaft abzuhalten sind: Stefan: „...dann müssten Architekten halt Sachen designen, die du nicht fahren kannst, dann würdest du sie wahrscheinlich loswerden! So, wie viel von Zürich, so mega langweilig, und einfach nichts, so eckig, flach…“ „MACHEN SIE JA SCHON“ „...ja das machen sie…die geilen Spots tun sie dann gerne so irgendwelche Sachen draufmontieren, dass du sie nicht mehr fahren kannst, dann musst du sie wegflexen gehen!“ Meinem Eindruck nach sind es weniger die Verbote, die die FreestylerInnen hindern, ihren Sport auszuüben, sondern das eigene Verantwortungsbewusstsein. Vielleicht kann, so betrachtet, die fehlende Gesetzesgrundlage als eine Chance gesehen werden. Eine Gesellschaft von Individuen, die ihr Handeln im eigenen Verantwortungsbewusstsein gründen und nicht aufgrund von Gesetzen und Vorschriften handeln, wäre doch höchst erstrebenswert. So gesehen geben die Zürcher FreestylerInnen, zumindest, die, die ich interviewt habe, ein gutes gesellschaftliches Vorbild. Zusammenfassend, für den Standpunkt, den die meisten meiner InterviewpartnerInnen vertreten, möchte ich zum Schluss Simon zitieren: 76 Simon: „…Verbote hindern mich eigentlich nicht daran...es ist mehr, dass es an den einen Orten einfach zu gefährlich ist von den Leuten her…“ Bei unzureichender Gesetzesgrundlage sind die FreestylerInnen am Ende aber immer der Willkür von Beamten ausgeliefert. Bessere Gesetze könnten sie jedoch nur teilweise von solcher Willkür schützen. Gegen die weitverbreiteten Vorurteile und die fehlende Toleranz muss anders vorgegangen werden. Chris’ Geschichte zeigt die Problematik mit all ihren Facetten: Chris: „Am Bahnhof haben sie mich letztes Mal, ähm, auseinandergenommen…bin wirklich nur ein bisschen dort die Wand raufgefahren…da hat es vielleicht zwei weißt du, von den Rädern, zwei schwarze Streifen gegeben…dann ist die Securitas gekommen, aber wirklich, oberfrustriert, ultra hart, also mega müh…also eben…alle Sätze, die du eh schon kennst, die ja irgendwie stimmen, aber es gibt ja viele Wahrheiten, oder also…es gibt auch unsere Wahrheit (…) dann haben sie die Bahnpolizei, äh, die Polizei rufen lassen…dann haben die mich durchsucht…“ „WELCHES CURB IST ES GENAU?“ „Das war nur eine Wand…dort bei den Parkplätzen auf der LandesmuseumSeite…nachher ist noch der Bahnhofsvorstand gekommen…und äh…ja…da haben sie so Streifen und so…da haben sie gefunden ja, das gibt eine Anzeige…jetzt habe sie mich durchsucht, ich habe keinen Ausweis gehabt…(…) wenn sie wollen, hol ich einen grossen Radiergummi…ich bringe das wahrscheinlich weg…ähm…und wenn sie wollen, geh ich auch in einem halben Tag Broschüren verteilen für die SBB, für irgendetwas Gutes, oder irgendetwas, aber etwas das cool ist, etwas das Sinn macht…nicht einfach, Busse, Geld zahlen und so Bullshit, das bringt doch nichts, das ist nur…das führt doch zu nichts, oder…ich meine sie sehen den ganzen Background nicht, Skaten ist so viel, einfach alles, was es hat…“ 7.2.2.7 Das Selbstverständnis der Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen Welches Selbstverständnis haben die Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen von sich selbst? In den verschiedenartigsten Antworten und Beschreibungen zieht sich eine Andeutung davon im Hintergrund durch alle meine Interviews. Sie schwingt dort mit, wo in einzelnen Aussagen oder Geschichten die Faszination gegenüber ihrem Sport zu spüren ist, wenn selbstverständlich von für Aussenstehende Unselbstverständlichem gesprochen wird. Die Antwort auf diese Frage ist herauszuhören, wenn meine InterviewpartnerInnen beschreiben, wie sie neue Skate- oder Bike-Spots einfach so, im Alltag, auch wenn sie ohne Skateboard oder Velo unterwegs sind, entdecken, in der Detailversessenheit, mit der sie Spots beschreiben, in der Differenziertheit, mit der sie Auskunft geben über die Beschaffenheit des idealen Spots. Und was nicht auf ein Blatt Papier gebannt werden kann, wenn Augen zu leuchten beginnen. Zusätzlich habe ich anhand einiger konkreter Fragen versucht, dem, was Skaten, beziehungsweise Streetbiken für meine InterviewpartnerInnen bedeutet, ein bisschen näher zu kommen. Welchen Stellenwert nimmt diese Aktivität in ihrem Leben ein? Die Antwort auf die Frage, wie lange die Person denke, dass sie noch skaten oder streeten werde, zeigt für mich beinahe am deutlichsten, was dieser Sport für sie bedeutet. Durchwegs alle meine InterviewpartnerInnen gaben zur Antwort, sie würden skaten oder biken, so lange es gehe. Diese Aussage spiegelt für mich ein starkes Bewusstsein für den eigenen Körper wider und zeigt eine Auseinandersetzung mit den möglichen Folgen der Ausübung dieser Sportarten auf. Meine InterviewpartnerInnen sind sich bewusst, was sie sich „antun“ und welche Risiken sie in Kauf nehmen. Simon macht sich konkrete Gedanken darüber, welche Möglichkeiten für ihn in Frage kämen, müsste er eines Tages aus körperlichen Gründen mit dem Streeten aufhören: 77 Simon: „Wie lange? Bis ich nicht mehr kann! Ich denke mehr…mit dem Velo werd’ ich irgendwann aufhören müssen…weil äh…es ist einfach klar, dass das irgendwann nicht mehr gut ist, oder dass das irgendwann auf die Gelenke geht! Mit ungefederten Velos grob im Zeugs rumspringen gehen…ich denke mehr, ich werde irgendwann mir ein Fully kaufen und halt meine Interessen ein bisschen verlagern…äh...zwangsläufig, aber bevor das nicht kommt, fahr ich mit dem Velo weiter, weil das ist schon das, was mir am meisten Spass macht!“ Simon sucht ziemlich pragmatisch nach einer Lösung für das Problem, dass er seiner Lieblingsbeschäftigung irgendwann nicht mehr wird nachgehen können. Stefan stellt sich dieselbe Frage, eine Antwort zu finden, fällt ihm hingegen schwer: „ALSO DU WILLST JETZT AUCH NICHT AUFHÖREN?“ „Nein voll nicht! Ich fühle mich, es ist wie so, wie Midlife-Crises so ein bisschen im Moment!“ „NEIN!“ „So ein bisschen, eigentlich möchte ich weiter fahren, und auf eine Art will ich schon gerne auch einen anderen Sport finden, den du wie bis ans Lebensende machen kannst, der mich flashed! Das ist noch schwierig! Wenn du irgendwie geskatet bist und Snowboard und BMX ist es dann so ein bisschen bff...jaa…was willst du machen?“ Was er damit meint, ist die Tatsache, dass seine Anforderungen an einen Sport enorm hoch sind. Ein neuer Sport müsste ihn auf verschiedensten Ebenen ansprechen. Skateboarding, Snowboarding und BMX sind alles Sportarten, die in eine ähnliche Kategorie fallen. Es sind alles Einzelsportarten, bei der die eigene Kreativität im Vordergrund steht. Sie sind, zumindest abseits des Wettkampfgeschehens, frei von Verbandsstrukturen und werden von einem Markt hervorgebracht, der ein hohes Identifikationspotential besitzt. Glücksgefühl, Adrenalin, Geschwindigkeitsrausch, Schwerelosigkeitsflash, Flow, Kick, so werden die Gefühle, die die Ausübung dieser Sportarten hervorbringen können, beschrieben. Wer solche Gefühle einmal erlebt hat und, wie wissenschaftliche Erkenntnisse bezeugen, eine Veranlagung dazu besitzt, der oder die wird wohl immer auf der Suche nach ihnen bleiben. Ob diese Gefühle, und somit diese Sportarten, so zu einem Teil eines ganzen Lebensgefühls oder eines Lebensstils werden, kann nur unzureichend in einer Interviewsituation, wie sie vorliegt, in Erfahrung gebracht werden. Ich kann höchstens interpretieren, welchen Stellenwert das Skaten oder Streetbiken im Leben meiner InterviewpartnerInnen einnimmt, indem ich versuche, die Verflechtungen zwischen den verschiedenen Sphären und Situationen in ihrem Alltag herauszuarbeiten. Was bedeutet Skaten, respektive Biken für meine InterviewpartnerInnen? Eva: „Es bedeutet für mich, es ist quasi ein Sport auf der einen Seite, etwas, wo ich nachher am Abend müde bin und weiss warum, etwas, wobei ich mich abreagieren kann, meine Energie frei lassen kann, und dann auf der anderen Seite natürlich auch der Lifestyle, eben du machst es zusammen, du machst es mit Leuten, du kannst durch die Strassen fetzen sozusagen, und dann, keine Ahnung, wenn du irgendwo bist und willst nicht gerade auf den Boden sitzen, sitzt du auf dein Skateboard, es sind so die Kleinigkeiten, die es dann ausmachen…“ Ist Skaten, respektive Biken für meine InterviewpartnerInnen also mehr als nur ein Hobby? Diese Frage bejahen alle, für Luc bedeutet es sogar „alles“. Er möchte, wie er sagt, mit Skaten alt werden. Nic sagt, dass Skaten ein Teil seiner Existenz geworden ist: Nic: „…ja eh ist es mehr als ein Hobby, es ist ein Teil von meinem Leben, es ist ein Lebensinhalt…(…)…von einem Tag auf den andern wäre es gar nicht möglich ohne, es ist Teil von meinem Leben geworden, es ist Teil von meiner Existenz geworden…“ 78 Chris möchte diese Aktivitäten in einem grösseren gesellschaftlichen Zusammenhang verstanden sehen. Er sagt, dass wenn eine Person skate, er oder sie ein Ventil habe, um Aggressionen abzulassen. Für ihn ist Skateboarding eine Lösung gegen Gewalt und Drogen. Chris: „Skaten ist so viel, einfach alles, was es hat…und dann ist es eben auch noch ein Release, das ist äh…etwas wo man sich dreingeben kann und, ich meine, uns ist es nicht langweilig, oder, wir skaten nicht aus Langeweile da rum! Wir skaten, weil wir Skaten geil finden! Aber wenn es einem langweilig ist, kommt man manchmal auf ganz andere Gedanken, das heisst, ja…von Gewalt bis Drogen…sonst Sachen…“ Stefans Bekenntnis, das BMX-Fahren habe ihn von den Drogen weggebracht, bestätigt Chris’ Annahme. Stefan: „…das BMX-Fahren ist für mich mehr…es hat mich mehr aus dem Siff rausgeholt…So ja… fetter Drogensiff hat es mich raus geholt, wenn ich es auf den Punkt bringen will.“ Auch Simons Aussage, das Velofahren sei der Ort, wo er seine Aggressionen abbauen und Erfolgserlebnisse erfahren könne, pflichtet Chris bei. Simon: „…ja es ist für mich, ich würd’ jetzt nicht behaupten, dass es irgendwie eine Art ist, wie ich meine Persönlichkeit ausdrücke oder so…das ist für mich wirklich mehr so Aggressionen abbauen, Erfolgserlebnisse haben, also äh, das ist für mich eigentlich wie kein Hobby in dem Sinn…“ „ABER DU KÖNNTEST AUCH NICHT OHNE IN DEM FALL?“ „Nein ich könnte nicht wirklich ohne!“ Luc vergleicht das Skateboarden mit dem Leben. Wenn jemand gelernt habe, nach dem Hinfallen wieder aufzustehen und vorwärts zu schauen, dann helfe das der Person auch sonst im Leben. Luc meint auch, dass es einen lehre, auf unterschiedlichste Leute einzugehen und Rücksicht zu nehmen, weil immer wieder Situationen auftauchten, wo mit FussgängerInnen, AnwohnerInnen oder der Polizei umgegangen werden müsse. Für ihn ist Skateboarding also eine Schule, in der er fürs Leben lernt. Für Tom gehört das Skaten einfach zu seinem Leben wie das Zähneputzen. Tom: „Nicht den reinen Lebensinhalt, sicher nicht! Aber ja…gehört einfach zu meinem Leben…sagen wir es so…es ist so fast wie Zähneputzen, nein nicht ganz…aber musst du auch machen! Also weißt du…irgendwie, nein...es fehlt mir einfach etwas, wenn ich nicht skaten kann…“ Denis’ Analogie mit dem Ausgang zeigt, meiner Meinung nach, seinen Wunsch, die verschiedenen Aspekte seines Lebens miteinander zu verflechten. Die verschiedensten Handlungen werden aufeinander bezogen, sollen miteinander ein Ganzes ergeben. Solche abstrakten Konstrukte tragen dazu bei, Lebensstile zu produzieren. Denis: „…also es ist eigentlich praktisch wie wenn man in den Ausgang geht…wieso geht man jeden Freitagabend und Samstagabend in den Ausgang? Oder ich meine, es ist eigentlich genau…man kann es eigentlich schon ein bisschen mit dem vergleichen…ich meine, wenn man in den Ausgang geht, macht man auch mit den Kollegen ab und dann geht man auch überall hin in den Ausgang, von Bar zu Bar und sonst irgendwo und hat auch seine Local-Bar in dem Sinn, wo man sich manchmal trifft und dann geht man irgendwo sonst irgendwo hin oder an Konzies und sonst irgendwo…und man geht auch irgendwann mal alleine raus und äh…ja und sonst bleibt man halt zuhause…mit dem Skaten ist es bei mir eigentlich genau gleich! Es ist wirklich, man macht mit den Kollegen ab und man hat ein bisschen Gesellschaft um einem rum und das ist halt ein Sport und das Konzept ist eigentlich genau gleich, wie im Ausgang…“ 79 Alle meine InterviewpartnerInnen betonen den sozialen Aspekt von Freestyle-Sportarten. Denis sagt, dass er manchmal einfach nur ein bisschen Gesellschaft suche, wenn er mit dem Skateboard unterwegs sei. Auf die Frage, ob sie immer mit den gleichen Leuten bike, antwortet Kata: Kata: „Ja schon. Das gehört ja auch dazu, das Gesellschaftliche…Du kannst es zwar alleine machen…es ist eigentlich Einzelsport, wie all die Freestyle-Sportarten, aber es gehört auch dazu, dass man miteinander abhängen kann…“ Die meisten meiner InterviewpartnerInnen geben an, durch ihren Sport neue Bekanntschaften gemacht zu haben. Mit diesen verabreden sie sich ab und zu zum Skaten, respektive Biken, was jedoch nicht automatisch heisst, dass diese Skate- oder BikekollegInnen zu den „richtigen“ FreundInnen gezählt würden. Michi: „…für das haben wir alle viel zu fest unser sonstiges Umfeld…wir können im sozialen Bereich, können wir miteinander umgehen, wir treffen uns, wir finden auch, ok, komm wir gehen alle zusammen bei einem von uns essen, das hat es alles auch schon gegeben…“ Nic: „Du gehst dann halt noch zusammen skaten, aber du bist dann eigentlich kein Kollege, du hast Skaterkollegen, und du hast enge Kollegen, und du hast noch andere Kollegen irgendwie…“ Diese Aussagen widerspiegeln für mich die Tatsache, dass mehrere Lebens-Konzepte vorliegen müssen. Die Trennung zwischen Skate-Freunden und anderen Freunden, wie Nic sie beschreibt, ist mit dem Konzept eines ganzheitlichen Lebensstils nicht kongruent. Trotzdem gehe ich von der Annahme aus, dass Freestyle-Sportarten stark mit Lebensstilen verbunden sind oder diese gar begründen können. Die abstrakte Ebene nimmt im Konzept eines Lebensstils, meiner Meinung nach, eine ebenso wichtige Rolle ein, wie die konkret gelebte. Die meisten meiner InterviewpartnerInnen hat ihre Leidenschaft zum Skateboarding oder Streetbiking früher oder später zu Engagements in der Szene geführt. Manche verdienen zu gewissen Anteilen ihren Lebensunterhalt mit Aktivitäten, die im weitesten Sinne mit Skateboarding oder Streetbiking zu tun haben. Oft geschieht solches Engagement aber ohne Aussicht auf eine finanzielle Entschädigung. Einige meiner InterviewpartnerInnen haben, zumindest zeitweise, ihr Leben zugunsten des Skateboarding oder Streetbiking organisiert und so auf Teile ihres Lohns verzichtet. Und dies, wie sie behaupten, ohne Wettkampf-Ambitionen. Wer seine Leidenschaft professionell ausüben kann und dafür von Sponsoren einen Lohn bekommt, hat wohl die angesehenste Art, wie FreestyleSportlerInnen Geld verdienen können, erlangt. Einige meiner InterviewpartnerInnen werden aufgrund ihres Könnens von der Skateboard-Industrie unterstützt oder wurden es zu einem anderen Zeitpunkt in ihrem Leben. Aus dem Bedürfnis heraus, zu Publikationen in Magazinen oder Videos zu gelangen, was wiederum für (potentielle) Sponsoren interessant ist, beginnen FreestylerInnen sich oftmals auf das Fotografieren oder Filmen zu konzentrierten. Nic hat irgendwann in der Skateboard-Szene zu fotografieren begonnen. Was daraus entstanden ist, würde er kein finanzielles, sehr wohl aber ein psychisches Standbein nennen: „Jaja, es ist kein Standbein, aber eine Zehe, würd’ ich jetzt mal sagen…doch es ist ein Standbein, es ist kein finanzielles Standbein, aber ein Standbein, wo man Kontakte aufmacht, das ein 80 Beziehungsnetzwerk gibt, und das persönlich für mich sehr wichtig ist, wie soll ich sagen, ein psychisches Standbein in dem Moment vielleicht…“ Er stellt den Kontext seines Engagements über eine etwaige finanzielle Entschädigung. In dieser Subkultur zeigt sich die Relevanz von Netzwerken wie überall auch. Aber gerade wenn die Netzwerke der Zürcher Skate-Szene unter die Lupe genommen werden, kommt zum Vorschein, dass diese nicht nur auf die global vernetzte Subkultur des Skateboarding, also geografisch, weit greifen, sondern dass auch starke Vernetzungen mit der „Mainstream-Kultur“ bestehen. Skateboarding ist eine Subkultur, aber doch mitten in unserer Gesellschaft verankert. Für Leute, die nicht skaten, ist Skateboarding jedoch kaum mehr als ein Kleinkinder-Hobby, welches ausserhalb unserer Gesellschaft stattfindet. Nic: „…das Paradoxe ist, dass Skater wütend werden, wenn sie das hören, aber gleichzeitig sind sie stolz drauf, immer noch ein bisschen etwas für sich zu haben, von dem die Welt noch nicht davon weiss irgendwie…“ „OBWOHL ES GIBT MILLIARDEN-UMSÄTZE IN DIESER SZENE!“ „Ja es ist riesig!“ Skateboarding ist eine Industrie mit einer halben Milliarde Umsatz und 40 Millionen Skatenden41. Die Geschäfte, die mit dieser Subkultur gemacht werden, zahlen sich aus. Nic beschreibt, Zürich habe den Ruf, dass überall Kameras präsent seien. Wenn Ausländer einen Artikel schrieben, werde, gemäss Nic, immer wieder berichtet, dass praktisch nichts ohne Kamera passiere. Es heisse in diesen Artikeln aber auch immer wieder, dass das Niveau extrem hoch sei. Zürich gälte, vom technischen Fahren her, als eine der führenden Städte Europas. Nic glaubt, dass zwischen dem hohen Niveau und der Tradition des Filmens ein Zusammenhang bestehe. Nic: „Die Generation, die wirklich auf einem hohen Level fährt, die filmen, wenn die wo hinfahren, haben die immer eine Video-Kamera dabei…(…) Ich glaube in anderen Städten gibt’s diese Mentalität noch eher, dass du einfach die Stadt fahren gehst…das ist etwas, das mir extrem verloren gegangen ist, ich mach’ das mega gerne, aber das macht bei uns fast niemand mehr, weil Zürich so extrem filmorientiert ist! Es ist Tradition in Zürich, dass du eigentlich immer am Filmchen machen bist, du hast immer eine Kamera und schlussendlich ist für diese Leute, die gut skaten, mit denen ich auch noch viel unterwegs bin, ist es eigentlich existentiell, dass du die Kamera dabei hast, weil Kamera ermöglicht Video und Video ist für eine Firma die beste Werbemöglichkeit, unabhängig vom Budget, das du hast. Wenn du es schaffst, einen guten Video zusammenzubringen, dann hast du automatisch einen extrem hohen Stellenwert.“ Denis unterscheidet klar zwischen „einfach durch die Strassen ein bisschen rumfahren“ und dem Filmen, was für ihn im Gegensatz dazu, etwas „Produktives“ darstellt. Denis „…es gibt dann noch die, die das mega ernst nehmen und nur irgendwie raus gehen um irgendeinen Trick zu filmen, und dann gibt es einfach die, die einfach nur ein bisschen Spass wollen und nur ein bisschen skaten wollen…Scheissegal was für einen Spot und scheissegal wo es ist, Hauptsache, man ist in Bewegung…dann gibt es halt immer so die halb-halb, weißt du wirklich mehr so ein bisschen Gefühlssache, also es gibt auch mega viele, die einfach so in die ToniMolkerei gehen, so ein bisschen rumjibben…“ Denis hat Partner in der Industrie, die ihn als Skateboarder unterstützen. Er sagt, ab und zu Wettkämpfe mitzufahren, sei das Mindeste, was er diesen zurückgeben könne. Videos schätzt er jedoch, im Vergleich zu Wettkämpfen, als bedeutender ein. Er will aber den Sponsoren mehr zurückgeben, als nur einmal im Jahr einen Auftritt in einem Video. Darum nimmt er auch ab und zu an 41 Siehe Kapitel 4.1.1 81 Wettkämpfen teil. Von sich aus würde er aber eigentlich keine mitfahren wollen. Er empfindet es durchaus als positiv, dass es solche Veranstaltungen gibt, die, wie er sagt, „alles ein bisschen pushen“, für ihn sei das aber nichts. Chris glaubt, dass solche Anlässe oder Events wichtig seien, da sie auf eine gewisse Art eine Repräsentation des Skateboarding darstellten. Er glaubt, dass es für Zuschauer extrem „cool“ sei, ob sie nun skateten oder nicht. Er fährt schon lange Wettkämpfe, und dies auch auf internationaler Ebene. Er sieht darin eine Herausforderung, die er gerne annimmt. Chris: „Es ist halt einfach ein Thrill irgendwie, weißt du…du hast eine Minute, du hast alle Leute…zäck…und dann bin ich einfach drin! Und dann geb’ ich einfach alles!“ „DIE INTENSITÄT VOR DEM START!“ „Das ist einfach…das ist Energie und Power!“ Er weiss aber, dass er nicht für alle SkateboarderInnen sprechen kann. Er glaubt, dass Wettkampffahren bei vielen verpönt sei. Tom sagt, der Wettkampfgeist sei ab einem gewissen Alter einmal vorbei, und er sei mit über 30 in einer anderen Situation. Tom ist früher ebenfalls Wettkämpfe gefahren. Tom: „…aber das ist irgendwie vorbei, mit der Zeit ist das egal…du kommst auch in ein gewisses Alter, mit 16 ist es anders, da willst du gesponsort werden und, und, und, oder?“ Viele meiner InterviewpartnerInnen sind der Meinung, sie hätten nicht genügend grosse Fähigkeiten, um an Wettkämpfen teilnehmen zu können. Was die meisten aber schon reizen würde, ist auf den extra für diese Events präparierten Parcours zu fahren. Aber das müsse nicht während eines Wettkampfes sein, bei dem Leute zuschauten und bewerteten. Einfach für einen selber und mit Kollegen, das mache am meisten Spass, meint Kata. Sie mache es ja für sich. Michi’s Vorstellung davon, wie er seinen Sport ausüben will, geht in die gleiche Richtung: Michi: „…ja du musst dir mal überlegen, Freestyle, oder jetzt Dirtjump oder Streeten…das ist immer eine Style-Frage! Du musst einerseits wissen, wie du fährst, also dich selber auch manchmal sehen, also müsste dich jemand filmen und dann müsstest du vielleicht noch so anfangen zu feilen…“ „AH OK, DU SPRICHST DA SCHON WIRKLICH VON AUSGEREIFTEN…“ „oder du findest, he ich möchte auf jeden Fall in einem Film sein! Und dann dir den Hals brechen! Und da ich beides zu streng find’ und lieber find’, ich möchte velofahren gehen und nicht irgendwie einen Tross an Kameras dabei haben, der sagt: jetzt darfst du!“ Da Freestyle-SportlerInnen traditionellerweise weder in Klubs mit TrainerInnen organisiert sind, noch Trainingsgemeinschaften für diejenigen, die Wettkämpfe bestreiten wollen, existieren, stellt sich die Frage, wie das Wissen über Tricks unter den FreestylerInnen weitervermittelt wird. In Zürich werden von der Schtifti, in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Sportamt, Schulsport-Kurse in Streetskating und BMX-fahren angeboten. Solche Kurse stellen aber eine Ausnahme dar. Grundsätzlich geschieht die persönliche Weiterentwicklung in den Freestyle-Sportarten durch gegenseitiges Abschauen und dem Austauschen von Tipps und durch das Lernen von Videos. Dies macht das Soziale beim Skateboarden und Streetbiken zu einem zentralen Punkt. Stefan spricht vom Unterschied zu Sportarten, die in Klubs organisiert sind: Stefan: „…wo du beim Freestyle halt einfach mal rausgehst und du hast irgendwas im TV oder im Video (gesehen) mit Kollegen und sprichst mit deinen Kollegen, ah nein, den Trick würde ich imfall so und so probieren…und das ist mehr der Unterschied…“ 82 s7.2.2.8 Gender und Skateboarding / Streetbiking Was ist der Grund für die so geringere Anzahl Frauen und Mädchen beim Skateboarding und Streetbiking? Ich wollte herausfinden, welche Gedanken sich meine InterviewpartnerInnen zum ungleichen Geschlechterverhältnis in ihrem Sport machen. Einige wussten spontan keine Antwort. Für viele schien dies eine schwierige Frage zu sein. Die ersten, unmittelbaren Reaktionen auf diese Frage habe ich in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst. Da ich dieser Thematik in meiner Arbeit einen grossen Stellenwert beimesse, bohrte ich nach, liess mich auf Argumente ein und forderte meine InterviewpartnerInnen heraus. Die wichtigsten Aussagen sind in den weiteren Unterkapiteln zusammengetragen. Abb. 21: Judith am Streeten (Foto: Y. Müller) Erste Reaktionen Eine Analyse der ersten, unmittelbaren Reaktionen zeigt klar einen Konsens über den vermuteten Grund dieser einseitigen Geschlechterverteilung. Fast alle meiner InterviewpartnerInnen antworteten spontan, dass Skateboarding, beziehungsweise Streetbiking einfach schmerze. Simon meint, dass Frauen weniger bereit seien, Schmerz in Kauf zu nehmen. Kata glaubt dagegen, einer der Gründe sei, dass eine Frau immer „mehr geben“ müsse, als ein Mann. Ich möchte mit Eva eine Skaterin selber zu Wort kommen lassen. Der Inhalt ihrer Aussage unterscheidet sich zwar nicht von dem meiner 83 männlichen Interviewpartner, Eva beweist aber in der gelebten Praxis ihres eigenen Handelns etwas anderes. Eva: „Erstens Skaten ist definitiv ein Sport, da tust du dir weh! Und zwar bei den kleinsten Sachen, einfach Schrammen und Narben inklusive, das ist einfach, das gehört dazu! (…)…mich stört das in dem Moment nicht, aber ich denke Frauen sind noch eher die, die das stört auf die Zukunft hin…“ „AH DU MEINST WEGEN DEM SCHÖNHEITSIDEAL?“ „Das ist das eine, auch wenn das jetzt tussi-mässig tönt, wenn ich das jetzt sage…aber das hab ich so das Gefühl…und das andere ist das Kopfzeugs, so das, sich schliisse, (sich kaputt machen), so richtig den Körper kaputtmachen quasi und skaten ist für mich, nicht nichts anderes, aber es schliisst dich halt…(…)…aber einfach sich schliisse, quasi sich einfach kaputt machen und wissen in zehn Jahren hab ich nachher Folgen davon, so bewusst, da denke ich, ist dann eine Frau noch eher die, die findet, nö, tu ich mir nicht an, und das andere ist, es ist ein anstrengender Sport…also ich will jetzt nicht die Frauen schlecht machen, oder so, aber zum reinkommen, wenn du dann mal drin bist, findest du es dann lässig und so, aber zum reinkommen ist es definitiv schwer, weil du kannst nicht, einfach mal ein bisschen, also du kannst schon, aber einfach ein bisschen rumkürfeln ist nicht wirklich skaten…“ Weitere Antworten habe ich in die verschiedenen Kategorien, wie ich sie in Kapitel 5.2.1.4 aufgelistet habe, eingeteilt. Den grössten Anteil machen solche Aussagen aus, die einen, als gegeben betrachteten, Unterschied zwischen Frauen und Männern annehmen. Biologie Viele meiner InterviewpartnerInnen beziehen sich in ihren Schlussfolgerungen auf die Biologie, die anders sei. Beispielsweise würden Männer mehr Testosteron produzieren, sie seien genetisch anders oder gar besser gebaut, hätten mehr Muskulatur, sie suchten mehr einen Kick, sie seien mutiger als Frauen, sie hätten eher eine Veranlagung dazu. Kata denkt, Männer suchten mehr den Beweis untereinander, jeder wolle etwas Krasseres machen. Einige glauben auch, dass sich mit der Pubertät die Interessen verschieben würden. Simon spricht davon, dass eine andere Bereitschaft, Schmerz in Kauf zu nehmen, vorhanden sei. Simon: „Das ist aber nicht das Ding, ich sage nicht, sie machen es nicht, weil sie weniger Schmerzen vertragen, sie machen es nicht, weil sie nicht dazu bereit sind, so viel Schmerz in Kauf zu nehmen, für den Spass, der dabei rausschaut, für das Resultat! Du bist vielleicht nicht dazu bereit ständig mit offenen Schienbeinen rumzulaufen, weil du irgendwie den Pedal-Flip am Üben bist. Ich denke es ist wirklich das! (…)…keine Frau kommt auf die Idee, mit dem Velo eine 18 Meter Klippe runter zu springen, das glaub ich effektiv nicht, dass es eine Frau gibt, die auf die Idee kommt! Das ist einfach wirklich typisch männlicher Leichtsinn! Das ist etwas, das machen einfach nur die Männer, hab ich das Gefühl! So einen Blödsinn!“ Er denkt, dass Männer sich gegenseitig mehr beweisen wollten, und es an einem „männlichen Leichtsinn“ liege, solche riskanten Dinge zu machen. Frauen seien in dieser Hinsicht vernünftiger. Auch Chris glaubt, dass es weniger in der Natur der Frau liege, sich irgendwo „runterzustürzen“. Tom meint, der entscheidende Punkt sei eben, dass wer gut werden wolle, jeden Tag skaten gehen müsse. Er spricht von einer notwendigen Kontinuität, und dass Frauen und Mädchen diese eben nicht aufbringen würden. Er sagt, dass dies vor 20 Jahren, als er mit dem Skaten begonnen habe, schon genau gleich gewesen sei wie heute. 84 Einzig Simon spricht davon, dass sich Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Sport auch einmal positiv für die Frauen auswirken könnten. Auf die Frage, ob er es dann nicht langweilig fände, mit einer Frau biken zu gehen, antwortet er: Simon: „Nein, also erstens haben die Frauen einen anderen Style, einen feineren Style z.B., der schön zum Anschauen ist, wo man auch lernen kann davon…also Frauen haben einen anderen Style, einen feineren, flüssigeren Style in solchen Sachen, meistens als Männer, die mehr so ein wenig…das siehst du auch beim Skaten, die aller, aller meisten sind sehr abrupt und hacken eigentlich auf der Piste rum und es gibt ganz wenig, die so einen sehr feinen flüssigen Flow haben und jetzt grad beim BMX ist das eigentlich was, das gerade bei Frauen gut drauf haben…sie machen nicht die absolut absurden, abartigen Tricks, aber was sie machen, machen sie mit Flow und fein, und das ist etwas, wo man, wo ich finde, kann man davon lernen! Das andere ist, das ich gerne Leute zuschaue, die Fortschritt machen!“ Soziokulturelle Hintergründe Viele meiner InterviewpartnerInnen fügen irgendwann im Verlaufe des Gespräches an, dass einige dieser Unterschiede auch auf soziokulturelle Hintergründe zurückzuführen sein könnten. Tom meint, dass Eltern ihren Mädchen halt eher etwas anderes als ein Skateboard schenken würden. Das sieht Kata ähnlich. Für sie ist klar, warum das Niveau bei den Jungen generell höher ist, als bei den Mädchen: Jungen würden meistens früher mit Skateboard- oder Velofahren beginnen und allgemein viel früher im Sport gefördert als Mädchen. Kata: „...also wenn ein Junge sagt, ich will ein BMX kriegt er eher eins von den Eltern, als wenn ein Mädchen sagt, ich will ein BMX, nicht? Dort beginnt es!“ Derselben Meinung ist auch Eva: Eva: „Erstens weil sie halt eben viel schon lange skaten…sie beginnen früher und kommen mehr mit dem in Kontakt und das macht man dann, und dann pushed man sich gegenseitig!“ Kata denkt, dass spätestens mit dem Beginn der Pubertät das gesamte Umfeld eines Kindes anfange, auf ein Mädchen wie als auf eine Frau zu reagieren. Nic spricht von dem Phänomen, dass wenn es wenige Frauen gibt, die skaten, dies wieder weniger Frauen motiviere es auszuprobieren. Dies ergäbe einen Kreislauf, bei dem sich schlussendlich das Frauen-Skateboarding weniger stark entwickle. Nic: „…und vielleicht ist es auch noch z.T. die Gesellschaft, die ein bisschen vorgibt, dass du als Frau oder als Mädchen weniger Schürfungen haben solltest, du solltest weniger umenandgheie, du solltest dich nicht wie ein Junge anziehen, blöd gesagt, und dass es die Gesellschaft ist, die das ein bisschen vorgibt, also diese Tendenz, so zu denken, Skater halt eher dreckig sind in Anführungszeichen…“ Skateboarding / Streetbiking: ein Rückzugsort für Männer? Weiter wollte ich herausfinden, wie und ob die Jungen und Männer, die ich befragte, das Freestyling als beinahe reine Männerwelt wahrnehmen. Die meisten gingen von einem Selbstverständnis aus, es ist für sie normal so, sie sind sich an einen solchen Zustand gewöhnt. Die allerwenigsten hatten sich diesbezüglich also Gedanken gemacht. Auf meine Aufforderung, sich zu überlegen, was sich für sie 85 verändern würde, wenn sich plötzlich ebenso viele Mädchen wie Jungen an den Skate-Spots aufhalten würden, sagten die meisten, dass das ihnen egal wäre. Diese Antwort ist für mich ein weiterer Hinweis, dass meine Interviewpartner es nie richtig hinterfragt hatten, warum es in der Skateboard-Welt fast keine Frauen oder Mädchen gibt. Chris ist sich bewusst, dass er in einer Männerwelt lebt. Er war sich zuerst gar nicht so sicher, ob er es begrüssen würde, wären da auf einmal viel mehr Frauen, weil, wie er sagt, man gewöhne sich ja auch an etwas. Er kam dann aber für sich zum Schluss, dass er sich eigentlich für jede Person freue, die gerne skate. Simon würde es gefallen, hätte es mehr Frauen, da es dann, seiner Meinung nach, weniger „Macho-Getue“ geben würde, welches er in den meisten Fällen als nicht sehr produktiv einschätze. Nic sprach einen interessanten Punkt an. Er glaubt, dass die Tatsache, dass es wenig Frauen gibt, die skaten, die männlichen Skater glauben lasse, dass Skateboarding eine Männersache sei. Und später im Interview sagte er, dass so wenige Frauen überhaupt mit Skateboarding anfangen, sei der Grund, warum Skateboarding eine Männerwelt sei. Eine solche Aussage trifft genau Goffmans Konzept der „Institutionellen Reflexivität“.42 Bezeichnend ist natürlich, dass sich meine weiblichen Interviewpartner sehr differenziert mit dieser Frage auseinandergesetzt hatten. So denkt Kata, dass viele Jungen, wenn sie so einen Sport machten, dieses unter sich sein können, schätzen würden. Eva beschreibt, dass jedes Mal, wenn sie in die Miniramp fahren gehe, es ihr wie ein Eindringen in eine Welt vorkomme, in der Frauen nicht viel verloren hätten. Eva: „Ja...also mehr so ein ja, eben am Anfang du kommst an, du läufst hin und dann so hö, was will denn die da, das schon! Und dann, wenn du nichts machst, oder wenn du zuerst mal nur so ein bisschen, dann finden sie jaja, soll sie halt und wenn du dann eben etwas probierst und umfällst und wieder aufstehst und es noch mal probierst, dann, das war so der Punkt, wo sich der Blick geändert hat!“ Hat sie sich erst einmal bewiesen, scheint sie akzeptiert. Eva empfindet aber nicht nur im Skatepark ein Befremden, sie fühlt auch sonst, dass sie anscheinend etwas Unkonformes tut: Eva: „Das andere ist, alleine, wenn du da in der Stadt alleine als Frau schon nur mit dem Skate rumfährst, da kriegst du schon ein paar komische Blicke!“ Eine Frau muss sich mehr beweisen als ein Mann, um akzeptiert zu sein! Eine Aussage, die sich vor allem in den Gesprächen mit meinen weiblichen Interviewpartnern wiederholt hat, ist, dass sich eine Frau mehr beweisen muss, als ein Mann, um in Freestyle-Kreisen akzeptiert zu sein. Kata: „Es ist schwer…wenn du als Frau dich in dieser Szene behaupten möchtest, musst du immer ein bisschen mehr geben, hab ich das Gefühl als die anderen. Es gibt auch viele, die dann finden, ah, die möchte ja nur mit den Jungs rumhängen…das ist noch schnell…nur mit den coolen Jungs rumhängen, und dass du dann sagen kannst, nein, ich mach’s wegen dem Sport, wegen dem Biken, dann musst du dann auch etwas beweisen können, und das ist eigentlich blöde.“ 42 Vergleiche Kapitel 2.4 86 Nic: „…wenn es eine Frau schafft, über ein gewisses, an ein gewisses Niveau ranzukommen, geniesst sie extremen Respekt unter den Männern, also u huere Respekt eigentlich, du bist dann gleichwertig…“ Häufig fallende Sprüche wie, „Die ist mega gut für ein Mädchen!“ beweisen eigentlich, dass Männer Frauen nicht als gleichwertig akzeptieren, da sie für sie andere Massstäbe ansetzen. Kata hat beobachtet, wie Frauen, nur um bei den Jungen akzeptiert zu sein, dieselbe Sprache wie diese zu sprechen begonnen hätten, oder „grundsätzlich übertreiben und sich die härtesten Sachen geben“. Frauen untereinander können sich besser motivieren! Mangels Alternativen sehen sich viele Frauen, die skaten oder biken, damit konfrontiert, dass sie zur Ausübung ihrer Leidenschaft, wollen sie nicht alleine sein, eigentlich immer mit Männern unterwegs sein müssen. Kata motiviert es aber viel mehr, mit einer Frau, die gut snowboardet, in den Bergen unterwegs zu sein als mit einer Gruppe von Jungen. Sie sagt zwar, dass sie von Jungen viel lernen könne, es aber einfach anders sei. Tom denkt, dass es für eine Frau bestimmt cooler sei, mit einer Gruppe von Frauen skaten zu gehen, anstatt alleine in einer Gruppe nur von Männern zu sein. Konkurrenzverhalten unter Frauen Kata hat aber auch schon gegenteilige Erfahrungen gemacht, nämlich dass ein Konkurrenz-Verhalten unter Frauen enstanden sei, sobald eine andere Frau die Szene „mit den krassen Jungs“ betreten habe. Kata: „…ich hab dann jahrelang keine einzige Frau gesehen, und ich hab dann einmal eine gesehen, das war aber vor zwei, drei Jahren und die hat sogar eher ein bisschen abweisend getan, so, nein jetzt hat’s da auch noch eine Frau, die kommt sozusagen in mein Revier rein mit den krassen Jungs…“ „DAS FIND ICH SO KRASS!“ „…es gibt auch beim Snowboarden solche, die nicht wollen, die dann das wie eine Konkurrenz sehen, wenn noch mal eine Frau dort ist…“ „DAS SEHE ICH IMFALL AUCH SONST AN ANDEREN ORTEN…“ „…Frauen unter vielen Jungs, und dann kommt eine andere Frau, und dann ist es gerade so, öh…ist die wohl besser als ich oder nicht…“ Die Skate- und Streetbike-Industrie und Frauen; Frauenwettkämpfe Nic spricht das Thema Skateboard-Industrie, und wie diese auf die Zielgruppe der Frauen zugeht, an. Dort liegt offensichtlich ein riesiges Potential an Profitwachstum brach, auf welches die Industrie seit einigen Jahren in Form von Frauen-Wettkämpfen reagiert. Nic beschreibt, dass sich viele Skater daran störten, dass das tiefe Niveau, auf welchem dort gefahren würde, durch Preisgelder und Sponsoring-Verträge belohnt werde. Nic: „…und was z.T. auch viel Neid erweckt und viele Männer als unverhältnismässig empfinden, ist dass viele Sponsoren, viele Marken, die denken, dass sie mit einer eigenen Linie für Frauen Geld machen können, die schieben dann den Skaterinnen, den weiblichen Skatern recht viel Geld zu, die bekommen Flüge bezahlt, die haben z.T. einen Monatslohn, aber können nicht fahren, 87 wirklich, das ist mega unverhältnismässig...“ „ALSO DIE KÖNNEN NICHT FAHREN?“ „Doch sie können schon fahren, aber wenn sie einen Männerkontest mitfahren würden, dann…“ „ABER SIE SIND GUT UNTER DEN FRAUEN, DAS SCHON?“ „Ja, aber das Niveau ist nicht vergleichbar!“ Nic findet es nicht gut, dass beim Skateboarding überhaupt eine Unterscheidung zwischen Männerund Frauen-Wettkämpfe existiert. Er sagt, dass Skateboarding diesbezüglich bis jetzt eine Ausnahme dargestellt habe. Er vertritt die These, dass das Niveau der Frauen heute an einem anderen Punkt wäre, hätte die Industrie nicht irgendwann angefangen, eine parallele Wettkampfserie, speziell für Frauen, zu fördern. Nic: „…der Glaube daran sich technisch so weit weiterentwickeln zu können, wäre glaub ich von Natur aus schon eher da, darum hab ich das falsch gefunden, dass beim Skaten, wo eigentlich die Chance bestanden hat, dass das gar nicht passieren hätte können, wenn man es von Anfang an weggelassen hätte, wäre es sogar für gewisse Frauen unter Umständen einfacher den Glauben zu haben, technisch sich so weit weiterentwickeln zu können, wie bei den Männern…“ Michi sieht das aber anderes. Er glaubt, dass wenn Frauen, gerade auch durch die Industrie und die Medien, mehr gefördert würden, dies für sie einen enormen Anreiz schaffen würde. Michi: „…bei den Frauen ist höchst wahrscheinlich die Bezahlung, ich erinner’ mich einfach beim Snowboarden, da sind die Frauen etwa zu einem zehntel so gut bezahlt, wie die Typen!“ „JA“ „…und ich glaub auch, dass es beim Velofahren so ist, also das Interesse an weiblichen Bikestars ist kleiner, von der Wirtschaft her…“ 88 8 Synthese In meinen Schlussfolgerungen nehme ich zuerst Stellung zu den Hypothesen, die ich auf der Basis meiner Literaturanalyse formuliert habe.43 Anschliessend beantworte ich die drei Hauptfragestellungen der Diplomarbeit. Hypothese 1 Die skatenden und streetbikenden Personen in Zürich sehen die Stadt anders als nichtskatende oder -streetbikende Personen. Ihre spezielle Sicht auf die Umgebung ergibt ein einzigartiges Bild der Stadt von skatebaren und bikebaren Orten und deren Verbindungen. Diese Hypothese – gewonnen aus den Ergebnissen der Arbeiten von Borden (2001, 2004)44 und den Resultaten der Untersuchungen aus Amsterdam von Karsten / Pel (2001)45 – kann auch am Beispiel der Stadt Zürich bestätigt werden. Das Umdeuten von Räumen, Formen und Funktionen spielt beim Skaten und Streetbiken eine zentrale Rolle. Die meisten meiner InterviewpartnerInnen sehen die ganze Stadt als einen „Riesenspielplatz“. Am liebsten skaten oder biken sie „in der Stadt“. Die Herausforderung einen Trick an einem Ort zu machen, der nicht dafür gedacht ist, stellt für viele einen der grössten Reize ihres Sportes dar. Dies ist für einige auch eines der Kriterien an einen Wunsch- oder Ideal-Ort: Er soll entdeckt werden können. Die Räume, die sich meine InterviewpartnerInnen schaffen, bestehen aus einzelnen Spots. Spots können aus einzelnen Obstacles, die für das Skateboarding und Streetbiking geeignet sind, aber auch aus mehreren solcher Obstacles an einem Ort, bestehen. Ein wichtiges spezifisches Merkmal eines Spots ist die Beschaffenheit des Untergrundes. Er sollte glatt und hart sein und keine Rillen aufweisen. Von grosser Wichtigkeit ist auch das Material der Obstacles. Hier, wie auch beim Untergrund, wünschen sich die meisten SkaterInnen Marmor. Auf keinen Fall sollte Kies in der Nähe sein. Für die StreetbikerInnen sind die Charakteristika des Untergrundes und der Obstacles nicht so limitiert, wie für die SkaterInnen. Für sie ist es wichtig, dass es nicht zu rutschig ist. Das meistgenannte Obstacle ist das „Mürli“, im englischen auch Curb oder Ledge genannt. Entlang eines Mürli’s lässt es sich gut grinden oder mit den verschiedensten Tricks rauf und runter springen. Viele meiner InterviewpartnerInnen betonten, oft würde ihnen ein Randstein genügen, damit sie Spass hätten. Weitere beliebte architektonische und städtebauliche Elemente der Stadt sind Hauswände, Mauern, Bänke, Treppen und Geländer. Grundsätzlich liegt es an der Fantasie und am technischen Niveau der Freestylerin, des Freestylers, welche Objekte angeeignet werden können. In den Ausführungen meiner InterviewpartnerInnen werden die Objekte des urbanen Raums abstrahiert, von ihrer „ursprünglichen“ Bedeutung gelöst, zerstückelt und neu zusammengesetzt. Meine InterviewpartnerInnen sprechen in ihren Beschreibungen der Spots auch von Formen und 43 Vergleiche Kapitel 5 Vergleiche Kapitel 5.1 45 Vergleiche Kapitel 5.3 44 89 Flächen und Linien. Sie wollen Dimensionen, die sich ändern, schräge Flächen, die ineinander übergehen, Rundes, das ins Eckige verläuft und umgekehrt. Sie wollen keine „Schnörkel“, sondern „schöne, klare Betonsachen“. Sie wünschen sich grundsätzlich weniger bauliche Normen. Auf der Basis der Informationen aus meinen Interviews habe ich eine Karte der Zürcher Skate- und Streetbike-Spots erstellt.46 Insgesamt konnte ich in der Stadt Zürich 60 – 70 einzelne Skate- und Streetbike-Spots unterscheiden. Für eine vollständige Interpretation dieser Karte wären verschiedene Kontextinformationen notwendig, welche skate- oder bikebare Zeiten oder aktuelle Bautätigkeiten und Situationen mit MieterInnen oder AnwohnerInnen und vieles mehr beinhalten können. Aus forschungsethischen Überlegungen verzichte ich bewusst auf die Vermittlung dieser Informationen. Meine Karte der Zürcher Skate- und Streetbike-Spots enthält lediglich Informationen über die räumliche Verteilung dieser Spots. Hypothese 2 Die SkaterInnen und StreetbikerInnen in Zürich verhalten sich wie „Nomaden der Stadt“: Sie bevölkern für ihre Bedürfnisse optimale Räume, wenn der Widerstand aber zu gross wird, geben sie nach und ziehen weiter. Bei den meisten urbanen Räumen, welche von den SkaterInnen und StreetbikerInnen bevölkert werden, handelt es sich um Zuweisungen. Sie können diese Räume nur deshalb bevölkern, weil sie ihnen nicht verwehrt sind. Bei der Beurteilung eines Spots gehört ganz klar das „in Ruhe gelassen werden“, als wichtiges Kriterium dazu. Wenn möglich, versuchen meine InterviewpartnerInnen Konflikten mit AnwohnerInnen oder der Polizei aus dem Weg zu gehen. Sich in einem Raum bewegen zu können, der für ihre Interessen definiert ist, und in dem sie unter sich sein können, ist eines der Argumente meiner InterviewpartnerInnen für eine Freestyle-Anlage. Niemand würde jedoch auf das Streeten verzichten. Die Zürcher FreestylerInnen können nur urbane Räume in „Übergangsphasen“ in ihrem Sinne definieren. Das Beispiel der Neubauten47 zeigt dies exemplarisch. Dort haben sich die FreestylerInnen einen Raum geschaffen, bevor die ersten MieterInnen eingezogen sind. Diese konnten sich den Raum dann nur in der Auseinandersetzung mit den vor ihnen da gewesenen FreestylerInnen aneignen. Viele meiner InterviewpartnerInnen betonen, dass sie sich in ihrem Handeln auf das eigene Verantwortungsbewusstsein beziehen. Sie versuchen, sich jeden optimalen Raum anzueignen, geben aber nach, wenn die Widerstände zu gross werden. Diese Widerstände stellen für sie aber nicht Verbote und Gesetze, welche sie als veraltet bezeichnen, dar. Auch „Anti-Skate-Design“ wird hin und wieder wegmontiert. Widerstände, denen sie nachgeben, sind Reaktionen von AnwohnerInnen, PassantInnen und der Polizei. Aufgrund der fehlenden Toleranz und weitverbreiteten Vorurteilen, aber auch wegen der ungenügenden Gesetzesgrundlage, können alle meine InterviewpartnerInnen Beispiele von Repressionen aufzählen. 46 47 Vergleiche Anhang A Vergleiche Kapitel 7.2.2.6 90 Wie in Howells Studie zum „Love Park“ in Philadelphia (Howell 2005)48 ist Vertreibung und Ausgrenzung von FreestylerInnen auch in Zürich ein Thema und Hypothese 2 kann damit bestätigt werden. Hypothese 3 Die skatenden und streetbikenden Personen in Zürich eignen sich den urbanen Raum durch Bewegung aber auch durch die Sprache an. Die FreestylerInnen geben ihren Spots oftmals eigene Namen. Obwohl dies nicht mit jedem Spot passiert, geschieht dasselbe aber trotzdem mit jedem Element, das Freestyle-SportlerInnen sich performativ aneignen, auch auf einer diskursiven Ebene. Ein Punkt auf einer Landkarte, eventuell mit grosser historischer Bedeutung, eventuell nur einfach ein Randstein in einem Hinterhof, wird umgeschrieben in einen „Spot“. Dieser wiederum wird in einzelne Elemente unterteilt, die in der Betrachtung der Skaterin oder des Streetbikers erst im Fluss des Runs wieder einen Zusammenhang erhalten. Durch diese Namensgebungen passiert eine noch tiefgreifendere Aneignung von Räumen durch die Freestyle-SportlerInnen, als durch ihre blosse physische Präsenz. Die in Kapitel 7.2.2.4. beschriebenen Skate-Touren und die Streetbike-Tour durch die Stadt zeigen exemplarisch diese Kombination performativer und diskursiver Aneignung urbanen Raums auf. Die Zürcher FreestylerInnen entziehen sich dem dominanten Wertesystem, in welchem sie als FreestylerInnen im urbanen Raum auf einer tiefen hierarchischen Stufe stehen würden, dadurch, dass sie sich diesen performativ und diskursiv alternativ erschaffen. Durch ihre Dekonstruktion und Umfunktionalisierung des urbanen Raums gestalten sie Symbolwelten mit eigenen Werthaltungen, Handlungsmustern und Botschaften. So gewinnen sie für sich selber Definitionsmacht über ihre Stellung in diesem Raum. Das Selbstverständnis, mit welchem die Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen ihre Umgebung unter einem speziellen Blickwinkel betrachten, aber auch ihre diskursive Neuzuschreibung dieser Räume, erlauben mir die Verifizierung von Borden’s Theorie der „performativen Kritik an der Architektur durch SkateboarderInnen“ (Borden 2001, 2004)49 und damit auch die Bestätigung meiner dritten Hypothese. 48 49 Vergleiche Kapitel 5.2 Vergleiche Kapitel 5.1 91 Hypothese 4 Skateboarding und Streetbiking kann als Teil eines Lebensstils verstanden werden. Diese Hypothese habe ich aus Beals Studien (Beal 1995, 1996)50 und der Arbeit von Karsten / Pel (Karsten / Pel 2000)51 abgeleitet. Gemäss diesen Studien sind Freestyle-Sportarten stark mit Lebensstilen verbunden oder können diese gar begründen. Alle meine InterviewpartnerInnen betonen, dass Skateboarding, respektive Streetbiking mehr als ein Hobby sei, das sie „so lange es geht“ ausüben wollen. Die einen wollen diese Aktivitäten in einen grösseren gesellschaftlichen Zusammenhang setzen. Für sie ist Skateboarding, respektive Streetbiking eine Lösung gegen Gewalt und Drogen und eine Schule fürs Leben. Die Gefühle, die bei der Ausübung dieser Sportarten entstehen, spielen in verschiedenster Hinsicht eine grosse Rolle. Um herauszufinden, ob diese Gefühle, und somit diese Sportarten, so zu einem Teil eines ganzen Lebensgefühls oder eines Lebensstils werden, habe ich versucht zu eruieren, welchen Stellenwert das Skaten oder Streetbiken im Leben meiner InterviewpartnerInnen einnimmt. Ich habe die Verflechtungen zwischen den verschiedenen Sphären und Situationen in ihrem Alltag herausgearbeitet. Ich habe bei einigen meiner InterviewpartnerInnen den Wunsch feststellen können, die unterschiedlichsten Handlungen und Aktivitäten aufeinander zu beziehen. Durch solche mehr oder weniger abstrakten Konstrukte, kann, meiner Meinung nach, das Skaten, respektive Streetbiken als Teil eines Lebensstils definiert werden. Hypothese 5 Es besteht eine Art Teufelskreis zwischen dem sehr geringen Anteil weiblicher Freestyler, den institutionellen Strukturen und dem Glauben daran, das Freestyle-Sportarten etwas Unweibliches seien. (Konzept der „Institutionellen Reflexivität“ von Goffman)52 Die wichtigste Erkenntnis, die ich bezüglich der Geschlechterverhältnisse in den Zürcher FreestyleSzenen im Verlaufe meiner Untersuchung erhalten habe, ist, dass die Zürcher FreestylerInnen in einer beinahe reinen Männerwelt leben. Während meines gesamten Untersuchungszeitraums sah ich im ganzen Stadtgebiet nur eine Skaterin. Diese war aber nur zu Besuch in Zürich. Auch verschiedenartigste Nachforschungen nach weiteren Skaterinnen ergaben, bis erst ganz am Ende meiner Forschungsarbeit, keine Erfolge. Insgesamt konnte ich deshalb nur zwei Frauen, eine Skaterin und eine Streetbikerin, befragen. Aus diesen Gründen analysierte ich als weitere wichtige Räume die Zürcher Skateboard-Fachgeschäfte und deren räumliche Settings.53 Typisch für diese Settings sind die räumliche Trennung von Frauen50 Vergleiche Kapitel 5.5 Vergleiche Kapitel 5.3 52 Vergleiche Kapitel 2.4 53 Vergleiche Kapitel 7.1.4 51 92 und Männerbekleidung und die Platzierung der Sportgeräte bei den Männerkleidern. Goffmans Konzept der „Institutionellen Reflexivität“ kann durch diese Beobachtungen idealtypisch aufgezeigt werden. Für mich ist eindeutig, dass für Mädchen und Frauen erste Annäherungen zum Sportgerät Skateboard in Fachgeschäften, deren Räume so eingerichtet sind, zusätzlich erschwert werden. Meines Erachtens fördern die Fachgeschäfte die Geschlechterdifferenzen in dieser beinahe reinen Männerwelt. In meinen Interviews konnte ich einen starken Konsens in den Begründungen bezüglich des ungleichen Geschlechterverhältnisses feststellen: Den grössten Anteil von Antworten machen solche aus, die einen, als gegeben betrachteten, biologischen Unterschied zwischen Frauen und Männern annehmen. Männer akzeptieren Frauen in Freestyle-Sportarten nicht als gleichwertig. Für diese gelten andere Massstäbe. Aussagen wie: „Die ist mega gut für ein Mädchen!“ unterstreichen dies. Weibliche Freestylerinnen sehen sich damit konfrontiert, sich in einer Szene zu bewegen, in der sie sich oft genug als Eindringlinge fühlen. Einzig durch die distinktiv gelebte Praxis meiner beiden weiblichen Interviewpartnerinnen wird diese männliche Definitionsmacht angefochten. Die Zuschreibung von Geschlechtsbedeutung erfolgt in unserem kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit nicht nur gegenüber Personen, sondern auch gegenüber den meisten kulturellen Objekten, wie zum Beispiel Spielzeug. Ein Skateboard oder ein BMX ist kein Spielzeug für Mädchen, dies ist, wird die Situation auf den Strassen Zürichs betrachtet, offensichtlich. Grundsätzlich decken sich die Ergebnisse meiner Analysen mit den Resultaten der Studie von Karsten Pel aus Amsterdam (Karsten / Pel 2000).54 Ebenso wie in der Untersuchung aus Vancouver (Pomerantz et al. 2004, 2005)55 stellen meine weiblichen Interviewpartner Befremden fest, wenn sie in das „Territorium der Skater“ eindringen Die Feststellung, dass sich Mädchen und Frauen mehr beweisen müssen, um als Skaterinnen akzeptiert zu sein, als ihre männlichen Kollegen, machte auch Beal in ihren Studien in Colorado (Beal 1995, 1996).56 54 Vergleiche Kapitel 5.3 Vergleiche Kapitel 5.4 56 Vergleiche Kapitel 5.5 55 93 Beantwortung der Fragestellungen Welche Räume wünschen und schaffen sich die skatenden und bikenden Personen in Zürich? Für die Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen ist die ganze Stadt ein Spielplatz. Grundsätzlich bevölkern sie für ihre Bedürfnisse optimale Räume, wenn der Widerstand aber zu gross wird, geben sie nach und ziehen weiter. Die bevorzugten Räume der SkaterInnen und StreetbikerInnen bestehen aus einer Kombination von optimalen Hindernissen und Materialen. Sie sollten so situiert sein, dass niemand gestört wird, und sie selber in Ruhe gelassen werden. Das beliebteste Hindernis ist das „Mürli“, im Englischen auch Curb oder Ledge genannt. Weitere kleinste architektonische und städtebauliche Elemente der Stadt, die die SkaterInnen und StreetbikerInnen in ihrem Sinne umdeuten, sind Randsteine, Hauswände, Bänke, Treppen und Geländer. Das optimale Material eines Spots besteht aus ebenen, glatten, harten Oberflächen, welche keine Rillen aufweisen sollten. Für die StreetbikerInnen ist es wichtig, dass die Oberflächen nicht zu rutschig sind. Bei der Beurteilung eines Spots gehört ganz klar das „in Ruhe gelassen werden“, als wichtiges Kriterium dazu. Wenn möglich versuchen meine InterviewpartnerInnen Konflikten mit AnwohnerInnen oder der Polizei aus dem Weg zu gehen. Sich in einem Raum bewegen zu können, der für ihre Interessen definiert ist, in dem sie in Ruhe gelassen werden und unter sich sein können, ist eines der Argumente meiner InterviewpartnerInnen für eine Freestyle-Anlage. Niemand würde jedoch auf das Streeten verzichten. Der Turbinenplatz, die „Bellevue-Curbs“, die Landiwiese und das Toni-Provisorium sind die einzigen Orte, an denen, bei milden Temperaturen und trockenem Boden, mit ziemlicher Gewissheit SkaterInnen angetroffen werden können. Dagegen können streetbikende Personen, bedingt durch ihre geringe Anzahl, selten zufällig angetroffen werden. Die Herausforderung, einen Trick an einem Ort zu machen, der nicht dafür gedacht ist, stellt für viele einen der grössten Reize ihres Sportes dar. Das Neuinterpretieren und Umdeuten und die Kreativität sind bei der Ausübung dieser Sportarten zentral. Meine InterviewpartnerInnen sprechen in ihren Beschreibungen der Spots auch von Formen und Flächen und Linien. Diese werden abstrahiert, von ihrer „ursprünglichen“ Bedeutung gelöst, zerstückelt und neu zusammengesetzt. Durch ihre Dekonstruktion und Umfunktionalisierung des urbanen Raums gestalten die Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen Symbolwelten mit eigenen Werthaltungen, Handlungsmustern und Botschaften. So gewinnen sie für sich selber Definitionsmacht über ihre Stellung in diesem Raum. Welches Selbstverständnis haben die SkaterInnen und StreetbikerInnen von sich selbst? Die Frage nach dem Selbstverständnis meiner InterviewpartnerInnen als SkaterInnen, respektive StreetbikerInnen, ist nicht so einfach zu beantworten. Bestimmt feststellen konnte ich ein starkes Bewusstsein für den eigenen Körper. Meine InterviewpartnerInnen setzen sich differenziert damit auseinander, welche Folgen die Ausübung dieser Sportarten haben können. 94 Auf der einen Seite sind die Zürcher SkaterInnen und StreetbikerInnen stolz, sich als Subkultur von der „dominanten“ Kultur abzugrenzen, auf der anderen Seite wollen sie von dieser aber auch ernst genommen werden. Freestyle-Sportarten sind stark mit Lebensstilen verbunden oder können diese gar begründen. Die Engagements innerhalb der Szenen, in die meine InterviewpartnerInnen involviert sind, zeigen Verflechtungen verschiedenster Art auf. Dabei werden nicht nur verschiedene Aspekte im Leben der einzelnen Personen, wie zum Beispiel Leidenschaft und Geldverdienen, miteinander verbunden, sondern Netzwerke innerhalb, aber auch ausserhalb der Szenen geschaffen. In diesen Engagements werden Überschneidungen der verschiedensten Subkulturen, aber auch mit der „dominanten Kultur“, sichtbar. Beinhaltet der alternative Habitus der SkaterInnen und StreetbikerInnen auch egalitäre Geschlechterverhältnisse? Nein. Die SkaterInnen und StreetbikerInnen in Zürich leben in beinahe reinen Männer-Welten. Dieser Tatsache sind sich meine weiblichen Interviewpartner bewusst. Sie wünschen sich, dass dies anders wäre. Meinen männlichen Interviewpartnern ist dieser Sachverhalt weniger bis gar nicht bewusst, für sie ist es normal so. Von einigen wird gerade dieser Zustand geschätzt. Die SkaterInnen und StreetbikerInnen in Zürich reproduzieren durch ihre Denkweisen und Handlungen aktiv unser kulturelles System der Zweigeschlechtlichkeit, in dem die Frauen und Mädchen einer untergeordneten Position zugeschrieben sind. 95 96 Literatur Beal, B. (1995): Disqualifying the Official: An Exploration of Social Resistance Through the Subculture of Skateboarding. In: Sociology of Sport Journal. Vol. 12, S. 252-267. Beal, B. 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Abfolge von Erdhügeln, die gebaut sind, um mit Dirtbikes oder BMX’s darüber zu springen Hier: Künstlich gebaute Wasserabflussrinne Abfahrt Längeres Deck, grössere und weichere Rollen, weniger ausgeprägte Nose und Tail, niedriger Radachsenstand; Downhill Skaten ist die auf Höchstgeschwindigkeit angelegte Bewältigung einer Abfahrtsstrecke. Wettkämpfe im Freestyle-Bereich werden oftmals als „Events“ organisiert, das heisst, es wird mehr geboten als nur ein Wettkampf. Eine Art modernes Kunstradfahren Bewegung; Fluss Hindernis oder Zwischenraum, über das mit dem Skateboard oder dem Velo gesprungen wird. Skateboard: mit einer oder zwei Achsen auf der Kante eines Gegenstandes rutschen Streetbike / BMX: mit den Pegs oder mit dem Kettenblatt auf der Kante eines Gegenstandes rutschen Spur, die beim Grinden entsteht Eine im Profil U-förmig konstruierte Anlage, bestehend aus zwei gegenüberliegenden, im oberen Teil senkrechten Steilwänden (Vert), die durch Rundungen (Transitions) mit einer dazwischen liegenden, waagrechten Ebene (Flat) verbunden sind. Ende des Skateboards, welches über die Achse hinausragt. Höher und massiver als das Curb, führt oftmals auch Treppen hinunter. Ort, ähnlich dem Spot 101 Longboard Manual Manual-Table Miniramp Miniscooter Nose Obstacle Ollie Park / Skatepark Parkour Peg Pool Quarter (-pipe) Rail / Handrail Release rippen (to rip) Run Shape Slalom-Skateboard Spine Spot Street-Biking Streeten Street-Skating Streetlocation Style Switchstance Tail Traceur Ähnlich wie das Downhill-Skateboard, aber mit höherem Radachsenstand und öfters ausgeprägteren Nose und Tail; gut zum Cruisen. Skateboard: Auf den hintern Rädern balancierend fahren Velo: Auf dem Hinterrad fahren ohne zu trampen Erhöhte Fläche, günstig um einen Manual darauf zu machen, Kleine Halfpipe mit sehr kurzem senkrechtem Teil (Vert) Kleines Trottinett Vorderes Ende eines Boards Gegenstand, der von FreestylerInnen als Hindernis genutzt wird. Trick, bei dem das Skateboard ohne Hilfe der Hände vom Boden abhebt. Basis-Trick des modernen Skateboardens Künstlich angelegte Hindernislandschaft, meistens aus Holz oder Beton, die dem städtischen Raum in skateboardoptimierter Form nachempfunden ist. Siehe Kapitel 4.2.2. Achsverlängernde Stangen an Vorder- und Hinterrad Schwimmbecken, ohne Wasser zum Skaten oder Biken genutzt Hälfte einer Halfpipe Treppengeländer Befreiung; Entlastung Loslegen; Gas geben Lauf; Ablauf Form; Umriss Oft aus flexibel schwingendem Holz und häufig ohne jeglichen Überstand an Nose und Tail; beim Slalomskaten geht es oft um das schnelle und fehlerfreie Durchfahren einer Slalomstrecke. Zwei mit den Rückseiten aneinander gestellte Quarterpipes Ort; Platz; Punkt; ein für das Street-Skating und –Biking geeignetes Hindernis oder mehrere solcher Hindernisse an einem Ort. Zentral ist dabei, dass es sich nicht um einen künstlich geschaffenen Skatepark handelt, sondern um „natürliche“, im Stadtbild bereits vorhandene Architektur, welche zum Skaten oder Streetbiken zweckentfremdet werden kann. Siehe Streeten Das Fahren in der Stadt, in der Strasse, bei dem die Tricks an den im städtischen Raum vorzufindenden Hindernissen (Obstacles) gemacht werden, aber auch in künstlich angelegten Hindernislandschaften, die dem städtischen Raum in skateboardoptimierter Form nachempfunden sind. Siehe Streeten Siehe Spot Persönlicher Ausdruck Verkehrt herum auf dem Board stehen, entgegen der individuellen und intuitiv gegebenen Fussstellung. Hinteres Ende eines Boards siehe Kapitel 4.2.2 102 Trail Transition Trick Truck Vert Wall Wallride Wheel Pfad; künstlich angelegte Wege oft mit Sprüngen und Steilwandkurven versehen. Abgerundete Wand der Halfpipe Kunststück Skateboardachse Senkrechter Teil der Halfpipe Wand Fahren entlang einer Wand Rolle, Rad des Skateboards 103 Anhang B: Interviewleitfaden für Skater und Skaterinnen Name: Vorname: Alter: Geschlecht: Wie oft skatest du auf diesem Platz hier? Wie lange skatest du schon auf diesem Platz, wie lange kennst du ihn schon? An welchen Orten skatest du am meisten? Welche anderen Orte besuchst du sonst noch zum Skaten? Welche Orte wie oft? Gehst du oft in den Block? Gehst du oft ins Toni-Provisorium? Warum gehst du wann an welchen Ort? Wechselst du den Spot während eines Tages? Wenn ja, wievielmal und wie? Woher weisst du von den „In-Orten“ zum Skaten? Was macht einen idealen Skate-Ort aus? Wie muss er aussehen? Wo muss er liegen? Gehst du oft auf Entdeckungstour nach neuen geeigneten Orten? Wie viele neue Orte hast du (und deine Freunde) schon entdeckt? Behältst du diese Orte geheim? Wenn ja, warum? Gibt es oft Ärger mit Besitzern von Grundstücken, Anwohnern oder der Polizei? Wie könnten solche Situationen vermieden werden? 104 Braucht es neue/bessere Gesetze? Vorschläge? Verabredest du dich vorher zum Skaten, oder trefft ihr euch spontan an den verschiedenen Skate Plätzen? Skatest du immer mit den gleichen Leuten? Wenn ja, wie würdest du euren Gruppenzusammenhalt beschreiben? Trefft ihr euch nur zum Skaten oder auch sonst, und was macht ihr dann meistens? Wenn nein, mit wie vielen verschiedenen Gruppen oder einzelnen Leuten skatest du? Skatest du oft alleine? Gibt es eine Gruppe von Skatern in Zürich, die die meisten Innovationen in die Szene bringen? Sind sie deshalb deine Vorbilder? Hast du sonst irgendwelche Vorbilder? Warum? Warum denkst du, hat es weniger Mädchen und Frauen, die skaten? Warum denkst du, ist das Niveau bei den Männern generell höher als bei den Frauen? Sollten mehr Frauen und Mädchen skaten? Warum? Was würde sich ändern an den Skate-Orten, wenn sich mehr Skaterinnen dort aufhalten würden? 105 Wie viele Jahre skatest du schon? Wo hast du zu skaten begonnen? Mit wem hast du zu skaten begonnen? Warum hast du zu skaten begonnen? Wie bist du auf das Skaten gekommen? Ist es dein Wunsch in einem Skatefilm mitzumachen oder in einem Magazin zu sein? Gehst du an Competitions oder ist es dein Ziel an Competitions teilzunehmen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Welches sind die coolsten Competitions? Was bedeutet Skaten für dich? Was ist es, das skaten zu mehr als einem Hobby macht? Hast du noch einen anderen Freundeskreis, in dem nicht geskatet wird? Hast du noch andere Leidenschaften (Hobbies)? Welche? Wie lange, denkst du, wirst du noch skaten? Wo wohnst du? (Kreis) Woher kommen deine Eltern und was arbeiten sie? Welche Ausbildung hast du? Was arbeitest du? Bemerkungen 106 “Find it. Grind it. Leave it behind.”57 57 Trasher, September 1997:56, zit in: Borden 2004: 293 107