Das Alles-drin-NEF

Transcrição

Das Alles-drin-NEF
Praxis
Jeep Grand Cherokee
Das Alles-drin-NEF
Wie sieht das ideale Notarzt-Einsatzfahrzeug (NEF)
aus? Welche Innovationen erleichtern den Einsatzalltag
der Besatzung? Der erfahrene Notarzt Dr. Stefan Lührs
hat zusammen mit WAS und weiteren Unternehmen einen
Prototyp konzipiert, um diese Fragen zu beantworten.
E
ine grüne Wiese im Münsterland. Blau blinkend kommt ein
Notarzt-Einsatzfahrzeug auf Jeep
Grand Cherokee näher. Der V6-Dieselmotor des SUV (Sport Utility Vehicle)
brummt sonor beim Vorbeifahren. Am
Steuer sitzt Dr. Stefan Lührs, Notarzt
und Inhaber der Firma Lührs Rescue.
Nach einer kleinen Runde über das nasse Gras stoppt er das auffällig gestaltete
Fahrzeug.
„Gute Sichtbarkeit im Straßenverkehr
ist überlebenswichtig“, sagt Dr. Lührs
beim Aussteigen. Er hat den Jeep von
WAS ausbauen lassen und als Prototyp
mit allem ausgestattet, was er bei einem
Notarzt-Einsatzfahrzeug für sinnvoll
hält. Ein Projekt, das dem InnovationsRTW des DRK Hannover ähnelt (vgl.
dazu Rettungs-Magazin 6/2014)
So ist der Jeep nicht nur mir leuchtroten und -gelben Folien beklebt, sondern
auch mit Reflexstreifen im Karomuster
des so genannten Battenburg-Designs.
Auf den Innenseiten der Türen kleben
rote Punkte aus Reflexfolie. „Die leuchtroten und -gelben Streifen sorgen tagsüber für Aufmerksamkeit. Nachts leuchten das Karomuster und die Reflexpunkte auf, wenn das NEF angestrahlt wird“,
erzählt der Notarzt.
Auch bei der optischen Sondersignalanlage gilt für Dr. Lührs das Motto: Lieber mehr als weniger. „Als ich das erste
NEF auf Transporter-Fahrgestell mit
zwei Warnbalken vorstellte, erklärten
mich viele für verrückt“, schmunzelt der
57-Jährige. „Mittlerweile ist das häufig
zu sehen.“
Auf dem Dach des NEF sind ein
LED-Warnbalken Hella RTK7 sowie eine besonders flache Rundumkennleuch-
50
Rettungs-Magazin
Januar/Februar 2016
te Hella K-LED 2.0 montiert. Zusätzlich
zum Lichtbalken, der einen Fernblitz beinhaltet, warnen nach vorn vier Frontblitzer im Kühlergrill, ein Scheibenblitzer sowie zwei kleine Leuchten in den
Außenspiegeln.
„Die Blitzer hinter der Scheibe und in
den Außenspiegeln befinden sich genau
in der Höhe der Rückspiegel vorausfahrender Pkw“, sagt der Notarzt. An den
Kotflügeln sind außerdem so genannte
Intersection Lights (deutsch: KreuzungsLichter) angebracht, die beim Einfahren
in eine Kreuzung zur Seite hin warnen.
Auf zwei mitgeführten Stangen (kurz
und lang) lässt sich auf dem Dach entweder ein LED-Arbeitsscheinwerfer
oder eine weitere Rundumkennleuchte
befestigen. „Mit dem Zusatzblaulicht
stellen wir auch dann eine gute Fernwirkung sicher, wenn die Heckklappe
geöffnet ist und die anderen Blaulichter
auf dem Dach verdeckt sind“, so Dr.
Auch bei geöffneter
Heckklappe ist das
Fahrzeug dank
zahlreicher LEDKennleuchten gut
zu erkennen.
Lührs. Weitere LED-Blitzer in Blau und
Gelb befinden sich in der Heckklappe,
am oberen Bord des Heckausbaus sowie
auf dem Heckauszug.
Im Lichtbalken sind auf der Rückseite ein gelbes LED-Lauflicht sowie ein
LED-Matrixdisplay für Textanzeigen
integriert. „Bei Bedarf können wir noch
mobile Blitzleuchten aufstellen, die wir
auf dem Fahrzeug mitführen“, berichtet
der Notarzt.
Video-Dokumentation eingebaut
Die Steuerung der Sondersignalanlage
erfolgt nicht über konventionelle Tasten,
sondern per CAN-Bus über das System
IDECS Mobile von Selectric. Dafür stehen Fahrer und Beifahrer am Armaturenbrett ein Bedienteil mit 7-Zoll-Touchscreen zur Verfügung.
Der Benutzer kann mit diesem System
auch den analogen und digitalen BOSFunk bedienen. Dabei wird auf dem
Touchscreen das Originaldisplay des
digitalen Sepura-Funkgeräts angezeigt.
Für die komplette Informations- und
Kommunikationstechnik ist nur eine
einzige Antenne erforderlich.
Ein digital gesteuertes Navigationssystem ist in IDECS Mobile ebenfalls
integriert. „So kann die Leitstelle mit
Hilfe des Kurzmitteilungsdienstes SDS
direkt eine Einsatzbeschreibung und die
GPS-Koordinaten übermitteln“, sagt
Dr. Lührs. „Dann zeigt das Navigationssystem den Einsatz sofort im Display an und berechnet die Route zum
Einsatzort. Das Besondere dabei ist:
Die Navigation erfolgt in Echtzeit und
nicht zeitverzögert wie bei den meisten
Systemen.“
Der Notarzt klappt die Sonnenblende des Beifahrers herunter. Dort, wo
normalerweise ein Schminkspiegel zu
erwarten wäre, ist ein Farbdisplay montiert. Auf dieses Display werden die
Bilder der beiden Kameras des Video-/
Telemetrie-Daten-Systems von Trajet
übertragen, die hinter der Front- und der
Heckscheibe angebracht sind.
Diesen Jeep Grand Cherokee
Limited hat Notarzt Dr. Stefan
Lührs als Muster-NEF konzipiert. Das geländegängige
SUV verfügt über einen 250 PS
starken V6-Dieselmotor.
Technische Daten
Fahrzeugtyp: Notarzt-Einsatzfahrzeug
(NEF), Fahrgestell: Jeep Grand Cherokee Limited 3.0L V6, Motor: 6-ZylinderDiesel-Motor mit Common-Rail-Direkteinspritzung MultiJet II, Turbolader
mit variabler Turbinengeometrie und
Ladeluftkühlung, Hubraum: 2.987 ccm,
Leistung: 184 kW/250 PS bei 4.000/
Das 7-Zoll-TFT-Farbdisplay der Instrumentenanzeige lässt sich konfigurieren.
E
min, Drehmoment: 570 Nm bei 2.000/
min, Schadstoffklasse: Euro 6, Antrieb:
permanenter Allradantrieb Quadra-Trac
II mit variabler Antriebskraftverteilung
(sperrbar), Traktionskontrolle mit
Bremseingriff an allen vier Rädern,
Getriebe: 8-Stufen-Automatikgetriebe,
Geländeuntersetzung, Fahrwerte:
Höchstgeschwindigkeit: 202 km/h,
Beschleunigung 0-100 km/h: 8,2 Sekunden, Maße/Gewichte: Länge: 4.828
mm, Breite: 2.156 mm, Höhe: 1.900
mm (mit Warnbalken), Radstand: 2.915
mm, Leermasse: 2.600 kg, zulässige
Gesamtmasse: 2.949kg, Reifengröße:
265/60 R18, fahrzeugtechnische
Ausstattung: ABS, BAS, ESP mit Anhängerstabilisierung, ERM (Wank- und
Überrollschutz), ASR, Assistenzsystem
Selec-Terrain, Berganfahrhilfe, Bergabfahrassistent, Offroad-Paket mit Unterfahrschutz, Bi-Xenon-Scheinwerfer mit
Reinigungsanlage und automatischer
Leuchtweitenregulierung, SmartBeam
Fernlichtassistent, LED-Tagfahrlicht,
Reifendruckkontrollsystem mit Anzeige
im Display, ParkView Rückfahrkamera,
Parksensoren vorn/hinten, Alarmanlage,
elektrisch verstellbare Vordersitze und
Lenksäule, Klimaautomatik, beheiztes
Lenkrad, Standheizung Webasto Thermo Top Evo 5+, Regensensor, uconnect
Phone Bluetooth-Freisprecheinrichtung,
uconnect Smartouch Multimedia-System mit 8,4-Zoll-VGA-Farbbildschirm,
Stromversorgung Leab Lithium Power
Supply (LPS), Video-/Telemetrie-DatenSystem von Trajet, elektrisch öffnende/
schließende Heckklappe, Baujahr:
2015, Ausbau: Wietmarscher Ambulanz- und Sonderfahrzeug GmbH
(WAS), Wietmarschen.
Rettungs-Magazin
Januar/Februar 2016
51
Praxis
Jeep Grand Cherokee
1 1
2
Videoüberwachung nach vorn
mittels Scheibenkamera.
2
In der Sonnenblende des
Beifahrers ist
ein VideoBildschirm
integriert.
Einbauschrank hinterm Beifahrersitz:
Büroschublade mit Hängeregistratur
(rechts) sowie Fach für Schutzkleidung
und Werkzeug (oben).
Sicherheit
beim Aussteigen:
Reflexpunkte auf
den Türen.
4
Dr. Lührs am Heckauszug
des NEF. Zur Beladung
zählen EKG/Defibrillator
Corpuls3, Beatmungsgerät
Weinmann Medumat
Standard2 auf Life-Base 3
NG sowie Absaugpumpe
Weinmann Accuvac Rescue.
4
Auf dem Lichtbalken lässt sich ein
Arbeitsscheinwerfer oder ein weiteres
Blaulicht montieren.
7
5
6
3
2
1
9
3
8
5
Lowtech trifft Hightech: Regenschirm
(Pfeil) und jede Menge Funktechnik.
6
7
8
9
Das Equipment des NEF wird größtenteils
in Lührs-Rescue-Taschen – hier mit
Höhenrettungsausrüstung – mitgeführt.
Die Heckkamera der Videoüberwachung
ist über der Ablage in einem robusten
Schutzgehäuse untergebracht.
Energieversorgung unterm Heckauszug:
Lithium Power Supply von Leab (rechts) mit
100-Ah-Lithium-Battiere.
IDECS Mobile von Selectric: Steuerung
der Sondersignalanlage und des BOSFunks sowie Navigation zum Einsatzort.
52
Rettungs-Magazin
Januar/Februar 2016
„Mit diesem System werden zum eigrundbeschaffenheit ab. Aus fünf Vornen dieselben Fahrzeugdaten erfasst
einstellungen kann der Fahrer das paswie bei einem Unfall-Daten-Speicher“,
sende Programm wählen: Auto, Sand,
erklärt Dr. Lührs. „Zum anderen zeichMud (Schlamm), Snow (Schnee) und
net es die Bilder der Kameras auf, die
Rock (Fels).
den Bereich vor und hinter dem Fahr„Wir befinden uns jetzt im Modus Auzeug abdecken.“ Bei Alarmfahrten nähto“, sagt Dr. Lührs. „Damit bin ich die
men immer weniger Verkehrsteilnehmer
meiste Zeit unterwegs. Beim Ziehen eines
Rücksicht auf die Einsatzfahrzeuge.
Anhängers schalte ich schon mal in einen
Durch die umfassende Dokumentatider anderen Modi.“ Der Notarzt betont,
on könne der Fahrer im
wie wichtig es ist, auch im
Zweifelsfall sein Verhalten
Stadtverkehr über mehr
belegen.
Bodenfreiheit als bei einem
Um eine stabile Energienormalen Pkw zu verfügen.
versorgung auch bei stehen„Denken Sie beispielsweidem Fahrzeug sicherzustelse an das Überfahren von
len, ist das NEF mit einer
Bordsteinen und Straßen100-Ah-Lithium-Batterie
bahntrassen“, so Dr. Lührs.
ausgestattet. Es ist der Kern
Wir fahren für ein paar
des Lithium Power Supply
Kilometer auf die Auto(LPS, deutsch: Lithiumbahn. Der Grand Cherokee
Energie-Versorgung) von An Bord sind Schwimmliegt ruhig auf der Straße.
Leab. Im Unterschied zu westen, Fluchthauben
In Sachen Fahrdynamik erkonventionellen Systemen und schusshemmende
weist er sich als erstaunlich
Westen (Foto).
ist es deutlich kompakter
agil: Trotz seines Leergeund wiegt nur 28 Kilogramm. „Damit
wichts von rund 2,4 Tonnen lässt sich
habe ich zwölf Stunden lang autark
der Jeep in etwas mehr als 8 Sekunden
Strom“, sagt der Notarzt.
von 0 auf 100 km/h beschleunigen. Die
Höchstgeschwindigkeit liegt nach HerElektronisches Allradsystem
stellerangaben bei 202 km/h.
Als wir nach unserer Testtour wieder
Dr. Lührs lädt uns zu einer Testfahrt
aussteigen, beginnt es zu regnen. „Kein
ein. „Ich fahre jetzt schon die dritte GeProblem“, sagt Dr. Lührs, und holt eineration Jeep Cherokee und bin damit
nen großen Regenschirm mit der Aufsehr zufrieden“, berichtet der 57-Jährischrift „Rettungsdienst“ aus dem NEF.
ge. „Die Fahrzeuge sind zuverlässig und
„Der gehört bei mir zur Standardbelaimmer sparsamer geworden. Und im
dung“, erzählt der Notarzt. Er eigne
Unterschied zu manchen anderen SUV
sich nicht nur als Regen-, sondern auch
lassen sie sich auf der Straße und im
als Sichtschutz bei der Behandlung von
Gelände gleichermaßen gut bewegen.“
Patienten. „Es sind manchmal solche
Beim Anlassen ist der 250 PS starke
simplen Details, die den Einsatzalltag
3-Liter-Motor kaum hörbar. Wir drehen
erleichtern“, betont Dr. Lührs.
ein paar Runden auf dem nassen Gras.
Auch bei abruptem Anfahren und höUnser Autor: Dr. Michael Rüffer (Jg. 1967),
heren Kurvengeschwindigkeiten bleibt
Fachjournalist für Feuerwehr- und Rettungswesen,
der Jeep gut beherrschbar. Der rutschige
Redakteur Rettungs-Magazin (Text und Fotos)
Untergrund stellt für ihn keine besondere Herausforderung dar.
In der Version Limited besitzt der
Informationen
Grand Cherokee den permanenten Allradantrieb Quadra-Trac II mit variabler
Auf der Website http://luehrsrescue.de/
Antriebskraftverteilung (sperrbar). Die
finden Sie weitere Informationen
zur Firma Lührs Rescue.
Traktionskontrolle erfolgt mittels Bremseingriff an allen vier Rädern. Ebenfalls
DRK Hannover:
serienmäßig ist das Selec-Terrain Assisder Innovationstenzsystem. Es soll laut Jeep eine optiRettungswagen,
male Traktion bei allen Fahrbedingunals eDossier zum
gen ermöglichen.
Dowload in unserem
Das Assistenzsystem stimmt die
Online-Shop
Fahrzeugregelsysteme auf unterschiedHier gehts zum Download: shop.rettungsmagazin.de
liche Gelände- beziehungsweise UnterRettungs-Magazin
Januar/Februar 2016
53