Lipofuszin: «Alterspigment» in der Muskelzelle

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Lipofuszin: «Alterspigment» in der Muskelzelle
162
Übersichtsartikel
Schneider A. et al.
A. Schneider, F. Graber, H. Hoppeler
Anatomisches Institut der Universität Bern
Lipofuszin: «Alterspigment» in der Muskelzelle
Zusammenfassung
Abstract
Ein mehrwöchiger Aufenthalt von Bergsteigern in Höhen über
5000 m verursacht eine Abnahme der Muskelmasse, einen Mitochondrienschwund und eine Akkumulation von Lipofuszin (Lf) in
quergestreiften Muskelzellen. Lf ist ein ubiquitäres intrazelluläres
Pigment, das schon seit langem als Mass für die Zellalterung gilt
und aktuell als Folgeprodukt von Sauerstoffradikalen angesehen
wird, die unter oxidativem Stress und Hypoxie vermehrt gebildet
werden. Wir haben die Muskelbiopsien tibetanischer Sherpas auf
deren Lf-Gehalt untersucht und dabei festgestellt, dass die Lf-Mengen trotz ähnlicher Höhenexposition signifikant niedriger sind als
bei westlichen Extrembergsteigern. Diese Befunde, zusammen mit
den Resultaten einer Analyse des Muskelproteoms von Tibetanern
und Nepali [9], deuten darauf hin, dass die Tibetaner intrinsische,
möglicherweise genetisch determinierte Detoxifikationsmechanismen besitzen, die diese hypoxischen Gewebeschäden vermindern
könnten.
In lowlanders a sojourn above 5000 m for several weeks induces
muscle wasting, a loss of mitochondria and an accumulation of
lipofuscin (lf) in sceletal muscle fibres. Lf is an ubiquitous intracellular pigment and a generally recognised hallmark of aging. It is
currently considered to be the product of reactive oxygen species,
which are formed under oxidative stress and hypoxia. While investigating the muscle biopsies of Tibetan Sherpas with a history
of high altitude exposure, we found that there is a much smaller
amount of Lf in their muscle fibres compared to those of caucasian
mountaineers. These facts, as well as the results of a new analysis
of the muscle proteom of Tibetan Sherpas and Nepali [9], let us
conclude that Sherpas may possess an intrinsic and possibly genetically determinded detoxification system to diminish tissue damage induced by hypoxia.
Schlüsselwörter:
Lipofuszin, Muskel, Sherpas, Hypoxie, HIF-1α, Sauerstoffradikale, Lipidperoxidation
Key words:
lipofuscin, muscle, Sherpas, hypoxia, HIF-α, reactive oxygen species (ROS), lipid peroxidation
Schweizerische Zeitschrift für «Sportmedizin und Sporttraumatologie» 52 (4), 162–165, 2004
Was ist Lipofuszin?
Lipofuszin (Lf)-Akkumulation ist eine der auffälligsten altersabhängigen zytologischen Veränderungen in einer Vielzahl von
postmitotischen Zellen in Nerven, Leber, Herz- und Skelettmuskel.
Zum ersten Mal wurde dieses Pigment vor mehr als 150 Jahren in
Neuronen beschrieben [11] und später «Lipofuszin» genannt [19].
Der Begriff setzt sich zusammen aus dem griechischen «lipo»
für Fett und dem lateinischen «fuscus» für dunkel. Schon früh
wurde erkannt, dass einerseits die Menge dieses Zellpigmentes
praktisch linear mit dem Alter des betroffenen Individuums zunimmt [21] und dass andererseits die Akkumulationsrate negativ mit der Langlebigkeit korreliert. Aus diesen Gründen nannte
man es Alterspigment [25, 26]. Erst viel später, durch die Entdeckung der Lysosomen und durch das Verständnis der Histochemie der lysosomalen Enzyme, wurde im Zusammenhang mit diesen Organellen die Entstehung von Lf besser verstanden [6, 8, 28].
Einige pathologische Zustände wie lysosomale Speicherkrankheiten, Malnutrition, Tumoren und strahleninduzierte Schäden
können ebenfalls lysosomale Pigmentablagerungen verursachen,
die ähnliche Eigenschaften haben wie Lf, sich jedoch in der Ätiologie unterscheiden [2]. Diese Pigmente werden häufig «Ceroide»
genannt. Lf und Ceroide haben zwar zahlreiche gemeinsame physikochemikalische Eigenschaften und werden deshalb oftmals mit-
einander verwechselt, sie haben jedoch eine andere Gewebsverteilung sowie verschiedene Akkumulationsraten und Vorläufer [10].
Lipofuszin-Bildung
Lf ist ein chemisch und morphologisch polymorphes Material, das
durch den Abbau einer Vielzahl intrazellulärer Strukturen entsteht
und das primär in den lytischen Kompartimenten der Zellen, in
den sogenannten Lysosomen, abgelagert wird. Die Zelle verfügt
über verschiedene Mechanismen, um defekte Makromoleküle und
Organellen in niedermolekulare Substanzen zu zerlegen, die entweder als solche ausgeschieden oder aber wiederverwertet werden:
Einige Proteine, vor allem die kurzlebigen, werden durch zytosolische Cystein-Proteasen (Calpaine) zerkleinert, während andere
durch spezielle Mini-Organellen, die sogenannten Proteasomen,
degradiert werden. Die meisten langlebigen Proteine, aber speziell
Makromoleküle und Organellen, werden in den Lysosomen degradiert, die verschiedene lytische Enzyme mit einem pH-Optimum
im sauren Bereich enthalten.
Trotz intakter Proteasomen und Lysosomen gibt es aber immer
wieder oxidativ veränderte Proteine, andere Makromoleküle oder
Zellorganellen, deren Abbau unvollständig ist und die sich dadurch in den postmitotischen Zellen als «biologischer Abfall» in
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Lipofuszin: «Alterspigment» in der Muskelzelle
Form von Lf niederlassen. Weil diese Ablagerungen bereits zum
Zeitpunkt der Geburt einsetzen und sich mehr oder weniger linear
fortsetzen, wird angenommen, dass die Recyclingmechanismen
der Zellen unvollkommen sind, was ein wichtiger Grund für die
Zellalterung darstellen könnte.
Obwohl die Zellen kontinuierlich gealterte oder beschädigte
Bestandteile ersetzen, steigt mit dem Alter der Prozentsatz der
schlecht funktionierenden oder wertlosen Strukturen. In den postmitotischen Zellen beginnen sich diese im Laufe des Lebens zu
akkumulieren, weil sie einerseits nicht weiter abgebaut, andererseits auch nicht via Exozytose entfernt oder durch Zellteilungen
verdünnt werden können, wie dies bei proliferativen Zellen möglich ist. Zellen im Knochenmark, intestinale Epithelien und andere
proliferative Zellpopulationen zeigen damit keine oder nur sehr
geringe Ablagerungen im Alter [10, 29]
Grundsätzlich gilt, dass sich das Material intrazellulär zu akkumulieren beginnt, sobald die Geschwindigkeit der Autophagie
überschritten wird oder aber wenn das membranöse Material chemisch alteriert bzw. denaturiert wurde, z.B durch Lipidperoxidation. Für das genaue Verständnis der Lf-Bildung müssen wir
einige biochemische Überlegungen anstellen. Brunk et al. [4] postulieren ein Szenario für die Lf-Bildung unter oxidativem Stress
(Sauerstoffpartialdruck von 40%) wie es in Figur 1 dargestellt
ist. Dasselbe gilt auch für die Hypoxie. Diese äusserst reaktiven
HO•--Moleküle greifen die Makromoleküle in der unmittelbaren
Umgebung an und verursachen deren oxidativen Veränderungen.
Mitochondrium
_
HO +OH
_
3+
Fe
_
+
2O2 + 2H
O2 + H2 O 2
2+
Fe
2H2O
SOD2
2GSH GSSG
GST
HO
2 2
H+
LE
LE
HO
2 2
3+
Fe
2+
_
OH + HO
_
3+
Fe
_
O2 HO
HO
2 2
LE
HO
2 2
_
Fe
2+
Aspekt, Inhalt, Eigenschaften
Lichtmikroskopisch sind die Lf-Körperchen gelblich-braune Pigmentflecken unterschiedlicher Farbintensität mit sehr unspezifischer Verteilung innerhalb der Zelle. Im Elektronenmikroskop imponieren sie als elektronendichte, meist runde oder unregelmässig
geformte und von einer Membran umschlossenen Granula, die
häufig kleine Lipidtröpfchen enthalten (Figur 2). Manchmal sind
auch Reste von Zellorganellen erkennbar. Lf besteht zum grössten
Teil aus Proteinen und Lipiden, zu einem geringen Prozentsatz
enthält es aber auch Kohlenhydrate sowie Kupfer- und Eisenione,
die als Abfallprodukte des oxidativen Metabolismus angesehen
werden müssen [5]. Histochemisch können diverse lysosomale
Enzyme nachgewiesen werden. Eine sehr wichtige Eigenschaft des
Pigmentes ist seine typische Autofluoreszenz zwischen 440 und
600 nm. Ausserdem ist es ein Fluorochrom, d.h es kann Lysosomen
auf sichtbares Licht sensibilisieren und spielt über diesen Mechanismus eine entscheidende Rolle bei der Maculadegeneration.
Heutzutage ist noch nicht ganz klar, inwieweit Lf die Zellfunktionen beeinflusst. Weil Lf-Akkumulationen mit verschiedenen
anderen Veränderungen des Alters einhergehen (z.B. Proteinmodifikationen), ist es schwierig, die spezifische Rolle in altersabhängigen Erkrankungen zu identifizieren. Bei den lysosomalen
Speicherkrankheiten hingegen, wo die Akkumulation von CeroidPigment schnell und ausgeprägt ist, werden zahlreiche funktionelle Störungen beobachtet. Möglicherweise verursacht Lf im hohen
Alter ebenfalls lysosomale Störungen.
Fe
_
OH + HO
_
Autophagolysosom
Oxidativ beschädigte Makromoleküle, vor allem Mitochondrienteile und andere zellulären Strukturen, werden von den Lysosomen durch Autophagozytose aufgenommen, wo sie ebenfalls
durch die HO•--Radikale beschädigt und miteinander verknüpft
werden (cross linking), so dass daraus das nicht mehr weiter abbaubare Lf entsteht [5, 21, 29, 31].
Zumindest in vitro vermindern Antioxidantien wie Glutathion,
Vitamin E, Selenium usw. die Lf-Genese, weil damit die Radikale
effizient abgefangen werden können [3]. Oxidativer Stress mit einer gleichzeitigen Hemmung der lysosomalen Proteasen hingegen
erhöht die Lf-Genese drastisch [4]. Diese Tatsachen scheinen obige
Theorie zu bestätigen. Die Autophagozytose der Mitochondrien
scheint dabei die Hauptursache der Lf-Bildung zu sein, denn die
Mitochondrien sind der wichtigste Ort der Bildung von Sauerstoffradikalen und somit auch das Hauptziel ihrer Attacken.
Lipofuszin in der Muskelzelle
Lipofuszinbeladenes
Lysosom
Figur 1: Hauptmechanismen der Lipofuszinbildung (adaptiert aus [4]): Superoxide (O2°-) entstehen als Nebenprodukt der mitochondrialen Atmung.
Durch die mitochondrialen Superoxiddismutasen (SOD2) werden sie
weiter in Wasserstoffperoxid (H2O2) und dann, in Gegenwart von Eisenionen (Fe2+), in Hydroxyl-Radikale umgewandelt (OH-). Dies entspricht
der sogenannten Fenton-Reaktion. Während die äusserst reaktiven HO°-Moleküle die umliegenden Makromoleküle angreifen und lokal oxidative
Modifikationen verursachen, diffundiert H2O2 problemlos durch die ganze
Zelle. Durch Autophagozytose werden oxidativ veränderte Makromoleküle (Mitochondrienteile und andere zelluläre Strukturen) in Lysosomen
aufgenommen, wo ein gutes Milieu herrscht für die Bildung von HO°-Molekülen via oben genannten Mechanismus. HO°--Radikale verursachen
hier weiteren oxidativen Schaden am autophagozytierten Material. Dabei
werden Moleküle miteinander verknüpft, so dass als Endprodukt das nicht
mehr weiter abbaubare Lipofuszin entsteht.
Beachte die Glutathion-S-Transferase (GST), die den zytoprotektiven Effekt von reduziertem Glutathion (GSH) katalysiert. Die GST ist bei den
Sherpas im Vergleich zur Kontrollgruppe um einen Faktor vier überexprimiert. LE = lysosomale Enzyme.
Dieser Übersichtsartikel beschäftigt sich speziell mit dem Lf in der
Skelettmuskulatur und geht nicht weiter auf die andern Gewebe
ein, in denen ebenfalls Lf gefunden werden kann. Wie erwähnt,
sind Lf-Ablagerungen in einer Zelle per se nichts Pathologisches,
sondern eine natürliche Nebenerscheinung des ständigen Um- und
Abbaus der Zellen. Neuerdings sind jedoch Situationen erkannt
worden mit grösseren Lf-Akkumulationen, die das Mass des Normalen weit übersteigen. In der Skelettmuskulatur ist dies einerseits
der Fall bei einer Langzeithypoxie, wie sie beispielsweise auf mehrwöchigen Bergexpeditionen in den Himalaya auftritt, andererseits
auch bei chronisch pulmonalen Erkrankungen (COPD), die mit
einer protrahierten Hypoxämie einhergehen. Auch in Muskeln der
Rotatorenmanschetten nach Sehnenrupturen und Atrophie werden
eindrückliche Lf-Mengen gefunden [persönliche Beobachtung].
Während langer Zeit wurde angenommen, dass eine hypoxische
Umgebung die oxidativen Fähigkeiten der Muskeln erhöhen würde, um den Sauerstoffmangel in der Atmosphäre zu kompensieren
[27, 30]. In der Zwischenzeit weiss man jedoch, dass durch chronische Hypoxie ein Mitochondrienschwund und eine Reduktion der
Muskelfasergrösse stattfindet [15, 16, 18], die auch trotz Gegenregulationen durch einen hypoxieinduzierten Faktor (HIF-1∝),
einem Transkriptionsfaktor, der unter Hypoxie eine Vielzahl von
Genen induziert, nicht kompensiert wird. HIF-1∝ wirkt als Haupt-
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Schneider A. et al.
Figur 2: EM-Bilder Lipofuszin: a und b zeigen Lipofuszinakkumulationen (Lf) in Muskelbiopsien von Sherpas, die typischerweise nur eine geringe Anzahl
solcher Läsionen zeigen. Das Lf liegt zumeist subsarkolemmal und in der Nähe von Myonuklei. Nu = Nukleus, Kap = Kapillare, Mi = Mitochondrium,
Mf = Myofibrille, Ly = Lysosom
regulator für die Proteinexpression, die in der Hypoxieantwort des
hämatopoetischen, pulmonalen, valskulären und muskulären Systems von Bedeutung ist [17]. Das kapilläre Netzwerk bleibt von
diesem Katabolismus verschont, was die Sauerstoffversorgung der
Muskeln verbessert, weil die Kapillaren weniger Muskelgewebe
zu versorgen haben. Eine kapilläre Neubildung, wie dies früher
postuliert worden war, tritt unter Hypoxie nicht ein [14, 22].
Eine weitere bedeutende Erkenntnis war die Tatsache, dass in
Muskelbiopsien von kaukasischen Expeditionsteilnehmern nach
einer mehrwöchigen Höhenexposition mehr als doppelt so hohe
Werte von Lf-Einschlüssen gefunden wurden als vor der Expedition [23, 24].Wie bereits erwähnt, geht man heute davon aus, dass
Lf ein Abbauprodukt vor allem der Mitochondrien darstellt und
vermehrt unter Bedingungen gebildet wird, wo Sauerstoffradikale vorherrschen [5]. Die erhöhten Lf-Werte und die erniedrigten
Mitochondrienwerte nach der Expedition – beides vor allem in
der subsarkolemmalen Region der Muskelfasern – sprechen demnach dafür, dass während der Expedition die Mitochondrien durch
Sauerstoffradikale zerstört und unvollständig zu Lf abgebaut werden.
Tiefe Mitochondrienwerte wurden 1991 auch in Biopsien von
Muskeln bei Sherpas gefunden [20]. Als Sherpas bezeichnet man
eine Population von etwa 30 000 bis 40 000 Bewohnern des himalayischen Hochgebirges, die vor allem wegen ihrer anekdotischen
Ausdauer als Träger bei Expeditionen im Himalaya bekannt wurden. Es wurde postuliert, dass Sherpas und Quechuas genetische
Spezialisierungen zum Leben in grosser Höhe aufweisen könnten
[12, 13].
Im Laufe des letzten Jahres untersuchten wir elektronenmikroskopisch erneut die Muskelschnitte der Sherpas und studierten
sie unter dem Gesichtspunkt des Lf. Die Morphometriemethoden
waren dieselben, wie sie zuvor angewandt worden waren [23] und
lieferten uns folgende Ergebnisse [9]: Die Lf-Dichte in der Sherpamuskulatur betrug 0,3 Promille der Faserfläche, während sie bei
kaukasischen Bergsteigern vor der Expedition bei 0,2 Promille und
nach der Expedition bei 0,7 Promille lag. Sie war also unsignifikant höher als bei den westlichen Bergsteigern vor der Höhenexposition und signifikant tiefer als in den Vergleichspräparaten
der Expeditionsteilnehmer nach der Expedition! Damit stellte sich
die Frage, ob die nativen Himalayabewohner möglicherweise mittels eines Schutzmechanismus weniger empfindlich auf die Sauer-
stoffradikale reagieren, die unter hypoxischen Bedingungen vermehrt produziert werden.
Gelfi et al. [9] untersuchten kürzlich das Muskelproteom dreier
Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Genomen und phänotypischen Charakteristika. Tibetaner schienen für diese Art von
Studie sehr geeignet zu sein, weil sie mit rund 25 000 Jahren wie
sonst keine andere Volksgruppe auf eine sehr lange Expositionsgeschichte in grossen Höhen zurückblicken können.
Die erste Gruppe bestand aus tibetanischen Flüchtlingen, die
wie schon ihre Vorfahren auf Höhen über 3500 m lebten (Tib 1),
und deren Proteinexpression 5–30 Tage nach Abstieg auf 1300 m
studiert wurde. In der zweiten Gruppe befanden sich native Tibetaner zweiter Generation, die permanent auf 1300 m wohnhaft waren
(Tib 2), während in der dritten Gruppe nepalesische Kontrollpersonen (Kon) zu finden waren, die ebenfalls in niedrigen Höhen
wohnten, aber im Gegensatz zu den vorherigen Gruppen über keine evolutionsgeschichtliche Höhenexposition verfügen. In dieser
Studie wurden sieben verschieden exprimierte Moleküle separiert
und mittels Massenspektromie analysiert. Proteomische Versuche
ergeben Informationen über die funktionelle Proteinexpression der
spezifischen Gewebe unabhängig von den post-transkriptionalen
Mechanismen, der Syntheserate oder der Halbwertszeit der betreffenden Moleküle. Die Glutathion-S-Transferase (GST) ist ein
Enzym, das den protektiven Effekt von reduziertem Glutathion
katalysiert (Figur 1) und somit eine wichtige detoxifizierende und
zytoprotektive Stellung einnimmt. Erstaunlicherweise war die
GST in Tib 1 um 380% und in Tib 2 um 50% überexprimiert im
Vergleich zu Kon. Dieses Ergebnis ist möglicherweise ein Grund,
wieso in den Tibetanern die Sauerstoffradikale viel besser abgefangen werden können! Wir spekulieren, dass ohne die markante
Aufregulierung dieses Enzyms die muskulären Vorräte an antioxidativem Glutathion wohl allzu schnell aufgebraucht wären
und die Sauerstoffradikale auch hier grösseren Schaden anrichten
würden.
Wie oben erwähnt, leiden COPD-Patienten oftmals unter erhöhter muskulärer Ermüdbarkeit, deren Ursache noch nicht vollständig geklärt ist, die aber mit dem bewegungsinduzierten oxidativen
Stress in Zusammenhang stehen könnte: Couillard et al. [7] zeigten
in einem Knieextensionstest, dass die Ausdauer der Quadrizepsmuskulatur in Patienten mit COPD signifikant reduziert ist im
Vergleich zu gesunden Vergleichspersonen. Ausserdem wurden 48
Lipofuszin: «Alterspigment» in der Muskelzelle
Stunden nach der Übung bei COPD, nicht aber bei gesunden Probanden eine deutliche Erhöhung der Lipidperoxidation und oxidierten Proteine festgestellt. Die ebenfalls untersuchte antioxidative Peroxidaseglutathion-Aktivität konnte in gesunden Personen
aufreguliert werden, nicht aber bei COPD. Diese Befunde decken
sich mit den Untersuchungen von COPD-Patienten, in denen im
Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen erhöhte Lf-Werte gefunden wurden [1]. Heute gilt deshalb als gesichert, dass COPD mit
einer Muskeldysfunktion und einem Muskelabbau einhergehen
kann, der auf den erhöhten oxidativen Stress zurückzuführen ist.
Schlussfolgerungen
Permanente Hypoxie schadet der Muskulatur. Selbst Kompensationsmechanismen wie zum Beispiel die Aufregulierung von HIF1∝ reichen offenbar nicht aus, um den muskulären Mitochondriengehalt zu erhalten. Die Zerstörung der Mitochondrien durch
Sauerstoffradikale scheint die Ursache zu sein für eine vermehrte
Lf-Akkumulation in der quergestreiften Muskulatur von westlichen Höhenbergsteigern während Expeditionen. Sherpas scheinen
durch genetisch fixierte Schutzmechanismen von dieser Form von
Katabolismus weitgehend verschont zu bleiben.
Verdankungen
Unser Dank gilt Ch. Lehmann und B. Krieger vom Anatomischen
Institut Bern, die uns bei der Elektronenmikroskopie und der Fotografie tatkräftig zur Seite gestanden sind, sowie Prof. Dr. med.
H. Howald für die Überarbeitung des Artikels.
Korrespondenzadresse:
Adrian Schneider, Schulhausstrasse 11, 8307 Ottikon
[email protected]
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