Wie sich der Gehirntumor verrät
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Wie sich der Gehirntumor verrät
48 rubin | winter 11 mikroRNA als Marker für primäre ZNS-Lymphome Wie sich der Gehirntumor verrät Der Verdacht allein ist für Patienten eine große Belastung: Primäre ZNS-Lymphome sind seltene Tumore, die Gehirn, Auge oder Rückenmark befallen. Für die Diagnosestellung ist bisher eine Biopsie notwendig – eine Prozedur, die Ärzte den Betroffenen gern ersparen würden. In mikroRNAs haben sie jetzt vielversprechende Marker gefunden, die im Liquor vorkommen und einfacher zu gewinnen sind. Abb. 2: Kernspintomographische Aufnahme eines ZNS-Lymphoms, zu erkennen am hellen Fleck in der Mitte rechts. An den Symptomen allein kann man sie nicht erkennen: primäre Lymphome des Zentralen Nervensystems (ZNS), seltene Tumore, die ausschließlich das Gehirn, Auge oder das Rückenmark betreffen (s. Info und Abb. 1). Sie rufen ähnliche Anzeichen hervor wie viele andere Gehirnerkrankungen. Lähmungen, Gedächtnisstörungen, Seh- oder Sprachstörungen können bei Lymphomen des Gehirns ebenso auftreten wie bei anderen Hirntumoren und entzündlichen Prozessen, etwa der Multiplen Sklerose. Die notwendige Behandlung unterscheidet sich jedoch grundlegend und je eher sie beginnt, desto größer sind die Heilungschancen. Eine genaue und rasche Diagnostik ist also unverzichtbar. Doch auch modernste bildgebende Untersuchungen wie die kernspintomographische Aufnahme (Abb. 2) helfen vielfach nicht weiter. „Man erkennt eine Läsion, also eine Veränderung, aber ob es sich dabei um einen Entzündungsherd, ein Lymphom oder einen anderen Tumor handelt, kann man anhand der Bilder oft nicht unterscheiden“, sagt Prof. Dr. Roland Schroers, Oberarzt und Leiter der Stammzelltransplantation in der Medizinischen Klinik (Hämatologie und Onkologie) des RUB-Klinikums im Knappschaftskrankenhaus BochumLangendreer (Direktor Prof. Dr. Wolff Schmiegel). Um sicher zu sein, dass es sich um ein ZNS-Lymphom handelt, müssen die Mediziner eine Biopsie vornehmen. Das bedeutet einen operativen Eingriff am Gehirn zur Entnahme einer Gewebeprobe aus dem verdächtigen Areal – für den Patienten eine Belastung, die die Ärzte den Betroffenen gerne ersparen würden. Um zu untersuchen, ob die Diagnostik auch schonender möglich ist, taten sich die Bochumer Hämatologen mit Kollegen aus der Neurologie und Neuroonkologie um Prof. Dr. Uwe Schlegel zusammen. Ihre Überlegung: ZNS-Lymphome stehen oftmals in Kontakt mit dem Liquor, der Nervenflüssigkeit, die das Gehirn und das Rückenmark umgibt. Sie wird in den Hirnkammern (Ventrikeln) im Inneren des Gehirns gebildet und gelangt von dort aus in den Zwischenraum der Hirnhäute sowie in die Umgebung des Rückenmarks. Lymphome liegen häufig nah am Ventrikelsystem. „Es könnte also gut sein, dass man im Liquor Anzeichen für den Tumor finden kann“, schildert Dr. Alexander Baraniskin von der Medizinischen Klinik die Hypothese der Ärzte. „Wenn wir einen zuverlässigen Marker im Liquor kennen würden, würde es genügen, mit einer Punktion am unteren Rücken, der sog. Lumbalpunktion, etwas Liquor zu entnehmen und zu untersuchen. Die Biopsie wäre dann möglicherweise nicht mehr in jedem Fall zwingend nötig.“ In ersten Experimenten untersuchten die Forscher den Liquor von Lymphompatienten mikroskopisch und mit Hilfe der Durchflusszytometrie, um auffällige Zellen zu finden, die aus dem Lymphom im Gehirn stammen. Aber nur bei etwa 20 Prozent der Patienten fanden sie Tumorzellen in der Nervenflüssigkeit. Die Forscher weiteten ihre Suche also auf andere mögliche Marker aus und suchten nach sog. freien Immunglobulin-Leichtketten. Diese kleinen Eiweiße könnten ebenfalls auf ein Lymphom hinweisen. Ergebnis: Bei etwa der Hälfte der Patienten fanden sich auffällige Werte. Auch die Eiweiße sind also keine Marker, die eine Diagnose bei der Mehrzahl der Patienten erlauben. In den Fokus rückten jetzt sog. mikroRNAs. Diese kurzen RNA-Stränge, die 49 Abb. 1: Dr. Baraniskin (rechts) und Prof. Schroers betrachten die kernspintomographische Aufnahme einer Patientin mit ZNS-Lymphom. Allein anhand der Bilder lässt sich die Diagnose nicht stellen. 50 rubin | winter 11 Abb. 3: Dr. Alexander Baraniskin hatte sich aus anderem Grund mit mikroRNA befasst, bevor sie als möglicher Marker für ZNS-Lymphome in den Fokus rückte. Die Forscher machten sechs Kandidaten aus, die bei Lymphompatienten vermehrt vorkommen, und analysierten Proben im Labor. sich aus nur 23 Nukleotiden zusammensetzen und eine besondere Struktur aufweisen, wurden erstmals Anfang der 1990er Jahre beschrieben. Da sie sehr klein sind, hatte man sie zuvor nicht gefunden oder als Artefakte interpretiert. Ihre Aufgabe besteht in der Regulation von Genen. Die in der DNA kodierten Baupläne für Proteine werden im Zellkern zunächst in messenger-RNA, auch Boten-RNA genannt, umgeschrieben. Dann werden die messengerRNA-Stränge von Ribosomen abgelesen, die anhand der RNA-Information Proteine zusammensetzen. Die Proteine wiederum erfüllen unzählige Aufgaben in der Zelle. mikroRNAs tragen keine Information zum Bau von Proteinen, sie sind nichtkodierend. Dennoch haben sie eine wichtige Funktion: Sie können auf verschiedene Weise mit kodierender RNA interagieren und so verhindern, dass diese abgelesen wird. So unterbinden mikroRNAs die Produktion derjenigen Proteine, deren Bauplan in der entsprechenden messengerRNA kodiert ist. Jede mikroRNA – zurzeit sind bei Menschen etwa 1500 bekannt – hat rund 100 mögliche Interaktionspartner. mikroRNAs können über ihre Schalterfunktion sowohl zur Entstehung von Krank- heiten beitragen, aber auch den Ausbruch von Erkrankungen verhindern. Das Vorhandensein einer bestimmten mikroRNA allein ist daher kein Zeichen für eine bestimmte Erkrankung. „Der Unterschied zwischen gesund und krank liegt in den Mengenverhältnissen der unterschiedlichen mikroRNAs“, erklärt Dr. Baraniskin. Er hatte sich zum Zeitpunkt der Untersuchungen zum Lymphom aus anderem Grund im Labor für molekulare gastroenterologische Onkologie unter der Leitung von Prof. Dr. Stephan Hahn mit mikroRNAs beschäftigt. „Es gab Studien über mikroRNAs im Blut bei anderen Krebsarten. Die bisher einzige veröffentlichte Untersuchung über mikroRNAs im Liquor befasste sich allerdings mit der Alzheimer-Erkrankung“, erzählt er. Die Mediziner betraten also Neuland. In der Literatur recherchierten sie, welche mikroRNAs Forscher in Lymphomgewebe vermehrt gefunden hatten. Sie machten sechs „Kandidaten“ aus, die in Lymphomen in deutlich größerem Ausmaß zu finden waren als in Vergleichsproben (Abb. 3). „Wir haben angenommen, dass man im Liquor der Patienten entsprechend diese mikroRNA erfassen kann“, so Prof. Schroers. 51 80 60 40 20 0 100 60 20 150 100 50 Konzentration miR-92a Konzentration miR-19b Konzentration miR-21 500 300 100 20 15 10 5 0 PatientenKontrollen 80 60 40 20 0 PatientenKontrollen PatientenKontrollen Abb. 4: Bei den drei mikroRNAs miR-21, miR-19b und miR-92a gab es signifikante Unterschiede zwischen ZNS-Lymphompatienten und Kontrollpersonen. Die drei mikroRNAs kamen bei Patienten in deutlich höherer Konzentration vor und lassen hoffen, dass Marker gefunden sind, die helfen, zuverlässig und risikoarm auf ein ZNS-Lymphom zu schließen. In ihre Studie schlossen sie 23 Lymphompatienten und 30 Patienten als Kontrollen ein, die an unterschiedlichen anderen Hirnerkrankungen wie Multipler Sklerose litten oder einen Schlaganfall erlitten hatten. Nach einer einfachen Lumbalpunktion wurde aus dem Liquor dieser Patienten dann im Labor die RNA isoliert. Die Forscher ermittelten jeweils die Konzentrationen der sechs vorher ausgewählten mikroRNAs in den Proben. „Es hat sich herausgestellt, dass es bei drei der von uns untersuchten mikroRNAs signifikante Unterschiede zwischen Lymphompatienten und anderen Patienten gab“, sagt Dr. Baraniskin. Als signifikante Marker stellten sich miR-21, miR19b und miR-92a heraus (s. Abb. 4). Dabei kam es nicht auf einen einzelnen Marker an, sondern auf das Profil der Konzentrationen mehrerer mikroRNAs. Zusammengenommen erlaubten die Marker mit über 90-prozentiger Genauigkeit einen Rückschluss auf das Vorliegen eines Lymphoms. „Vielleicht haben wir bald mit der Liquoruntersuchung eine zuverlässige und risikoarme Möglichkeit, ZNS-Lymphome zu erkennen“, hoffen Dr. Baraniskin und Prof. Schroers. Weitere Studien mit größeren Patientenzahlen müssen diese Ergebnisse bestätigen. md info Primäre ZNS-Lymphome Primäre ZNS-Lymphome wachsen ausschließlich im Zentralen Nervensystem (ZNS). Gehirn, Hirnhäute, die Augen und das Rückenmark können betroffen sein. Warum ein Lymphom entsteht, ist bisher ungeklärt. Etwa 400 Deutsche erkranken jährlich an einem ZNS-Lymphom. Besonders gefährdet sind Menschen mit einer Schwächung des Immunsystems, sei es durch Immunsuppression mit Medikamenten oder durch Erkrankungen wie HIV. Mehr als die Hälfte der Betroffenen leidet zunächst unter einem „Organischen Psychosyndrom“, also unter sich schnell entwickelnden geistigen Leistungseinbußen und Persönlichkeitsveränderungen. Hinzutreten oder isoliert auftreten können Lähmungen, Sehstörungen, Sprachstörungen, epileptische Anfälle und andere neurologische Symptome. Die primäre Behandlung besteht heute in einer Chemotherapie. Dabei stehen ein Therapieprotokoll, das eine Gabe der Chemotherapie in die Venen und in die Hirnkammern vorsieht, und eine Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation zur Verfügung. Bei der auch im Knappschaftskrankenhaus durchgeführten autologen Stammzelltransplantation werden dem Patienten vor der Behandlung gesunde Blutstammzellen entnommen und eingefroren. Durch die Chemotherapie wird das Knochenmark zerstört. Nach der Chemotherapie erhält der Patient seine eigenen Blutstammzellen zurück, die ihren Weg ins Knochenmark finden und mit der Blutproduktion beginnen. In Einzelfällen, insbesondere im Rezidivfall eines ZNS-Lymphoms, wird auch die Strahlentherapie eingesetzt. Um die Behandlung von primären ZNS-Lymphomen weiterzuentwickeln, ist ab 2012 eine deutschlandweite, prospektive, multizentrische Therapiestudie unter Leitung der Kliniken am Knappschaftskrankenhaus und an der Charité Berlin geplant, deren Sponsor die Ruhr-Universität ist.