Sexueller Mißbrauch von Kindern

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Sexueller Mißbrauch von Kindern
Geisteswissenschaft
Tanja Mende
Sexueller Mißbrauch von Kindern 'Der
stumme Schrei nach Hilfe'
Diplomarbeit
UNIVERSITÄT DUISBURG – ESSEN
STANDORT DUISBURG
Thema der Diplomarbeit
Sexueller Mißbrauch von Kindern
„Der stumme Schrei nach Hilfe“
von
Tanja Mende
Inhaltsverzeichnis
Thema
Seite
1.
Einleitung
1
2.
Begriffserläuterungen
2
2.1.
Der sexuelle Missbrauch
2
2.2.
Sexueller Missbrauch aus juristischer Sicht
3
2.3.
Der Inzest
5
2.4.
Das Opfer
5
2.5.
Der Täter
6
2.6.
Die Missbrauchshandlung
9
3.
Die Folgen des sexuellen Missbrauchs
10
3.1.
Was sind Sofortfolgen und was sind Langzeitfolgen?
10
3.2.
Die Sofortfolgen
11
3.2.1.
Die Psychodynamik des Opfers
11
3.2.1.1.
Die traumatische Sexualisierung
12
3.2.1.2.
Die Stigmatisierung
12
3.2.1.3.
Der Betrug / der Verrat
13
3.2.1.4.
Die Machtlosigkeit und die Ohnmacht
13
3.2.1.5.
Das Trauma „sexueller Missbrauch“
14
3.2.2.
Körperliche Anzeichen
14
3.2.3.
Das Post- Traumatische Stresssyndrom und die Dissoziation
14
3.2.4.
Der Vertrauensverlust, die Sprachlosigkeit und der Rückzug auf
15
sich selbst
3.2.5.
Die Angst und der Zweifel an der eigenen Wahrnehmung
17
3.2.6.
Die Nähe und Intimität und die Schuld- und Schamgefühle
18
3.3.
Die Langzeitfolgen
19
3.3.1.
Die körperlichen und die psychosomatischen Folgen
19
3.3.1.1.
Alpträume und Schlafstörungen
19
3.3.1.2.
Sprachstörungen, Stottern und Konzentrationsstörungen
20
3.3.1.3.
Einnässen und Einkoten
21
3.3.1.4.
Hauterkrankungen
21
3.3.1.5.
Blutungen
22
3.3.1.6.
Bauchschmerzen, Magen- und Darmprobleme, Unterleibsschmerzen
22
Kopfschmerzen und Migräneanfälle
3.3.1.7.
Essstörungen
23
3.3.1.8.
Atemstörungen
24
3.3.1.9.
Autismus
24
3.3.1.10.
Multiple Persönlichkeitsstörung
25
3.3.2.
Emotionale Reaktionen
25
3.3.2.1.
Aggressives und delinquentes Verhalten
26
3.3.2.2.
Ängste
27
3.3.2.3.
Schuldgefühle und Schamgefühle
28
3.3.2.4.
Depressionen und depressives Verhalten
29
3.3.2.5.
Zwanghaftes Verhalten
29
3.3.2.6.
Überangepasstes Verhalten
30
3.3.3.
Autoaggressionen
30
3.3.3.1.
Suizidversuche
30
3.3.3.2.
Trebegänger
31
3.3.3.3.
Selbstverstümmelung und Selbstverletzung
32
3.3.3.4.
Suchtverhalten
32
3.3.3.5.
Risikoreiches Verhalten
33
3.3.4.
Sozialverhalten
33
3.3.4.1.
Leistungsverweigerung, Leistungsbereitschaft und Probleme in
34
der Schule
3.3.4.2.
Die soziale Isolation
34
3.3.4.3.
Machtverhalten
35
3.3.4.4.
Distanzloses und auffälliges Verhalten
35
3.3.5.
Sexualität
36
3.3.5.1.
Prostitution
36
3.3.5.2.
Sexuelle Funktionsstörungen und Angst vor körperlicher Nähe
36
3.3.5.3.
Bloßstellen der Genitalien
37
3.3.5.4.
Verweigerung sexueller Bedürfnisse
37
4.
Die Kinderzeichnung – ein Signal
38
4.1.
Merkmale der Kinderzeichnungen
38
4.2.
Phasen des Zeichnens
39
4.3.
Missbrauch als Thema in der Kinderzeichnung
41
4.4.
Warum Kinder nicht reden, sondern malen
44
5.
Beratung und Therapie für sexuell missbrauchte Kinder
45
5.1.
Die Beratung und die Arbeit in den Kontaktstellen
45
5.1.1.
Beratung von Mädchen und Jungen
46
5.1.2.
Kontakt zu dem Täter
47
5.2.
Therapie für sexuell missbrauchte Kinder
48
5.2.1.
Schritte in der Therapie
50
6.
Therapie für Erwachsene, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht
54
wurden
6.1.
Die Diagnostik und die Gesprächsführung
55
6.2.
Der Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung
56
6.2.1.
Die Ambivalenz erkennen
57
6.2.2.
Die Angst vor dem Kindern des Kontrollverlust
58
6.2.3.
Hilfe die Loyalitätskonflikte zu überwinden
59
6.3.
Die Bedingungsanalyse und die Definition von Therapiezielen
59
6.4.
Die Veränderung dysfunktionales Kognitionen
61
6.4.1.
Die verzerrte Kognition zum sexuellen Missbrauch
61
6.4.2.
Negative Einstellung zu sich und anderen
62
6.5.
Der Aufbau einer positiven Selbstwahrnehmung
63
6.6.
Lernen, sich abzugrenzen
64
6.7.
Die Bewältigung von posttraumatischen Reaktionen
65
6.7.1.
Linderung von Flashbacks
65
6.7.2.
Der Umgang mit ungewollten Dissoziationen
66
6.8.
Die Bewertung und Förderung sozialer Beziehungen
67
6.8.1.
Die Bewertung der sozialen Beziehungen
67
6.8.2.
Das Einbeziehen des Partners
68
6.9.
Das Aufarbeiten traumatischer Kindheitserlebnisse
68
6.9.1.
Die erlittenen Schmerzen würdigen
68
6.9.2.
Einen Abrechnungsbrief schreiben
69
6.9.3.
Die Aussprache mit dem/der Täter/in
70
6.9.4.
Das Loslassen der angestauten Wut
70
6.10.
Die Behandlung sexueller Probleme
70
6.10.1.
Hinweise zur Paartherapie
71
6.10.2.
Sexualtherapeutische Hilfe für Opfer ohne Partner/in
73
6.11.
Therapiebegleitende Maßnahmen
73
7.
Fakten und Zahlen der PKS von 1998 bis 2003
74
7.1.
Die Entwicklungsgeschichte der PKS
74
7.2.
Die Straftaten „Sexueller Missbrauch von Kindern“
76
7.3.
Die Häufigkeitszahlen der Opfer nach deren Geschlecht
77
7.4.
Die Tatortverteilungen der erfassten Fälle
78
7.5.
Das Geschlecht und die Altersstruktur der Täter
80
7.6.
Die Dunkelziffer
81
8.
Resümee
82
9.
Literaturverzeichnis
84
10.
Anhang
88
1. Einleitung
Ich habe mich für das Thema des sexuellen Mißbrauchs von Kindern entschieden,
da dieses Thema noch immer ein Tabu in unserer Gesellschaft ist. In den Medien
wird zwar oft berichtet, daß ein Kind von einer fremden Person sexuell mißbraucht
wurde, doch spiegelt dies nur eine Minderheit der Opfer wieder. Die Mehrheit der
Opfer erlebt den sexuellen Mißbrauch innerhalb der Familie.
Im Rahmen meines Praxissemesters habe ich ein Praktikum in einem Kinderheim
absolviert. Dabei hab ich mit großer Betroffenheit festgestellt, wie viele Kinder es
gibt, die innerhalb der Familie sexuell mißbraucht werden. Ich wurde in dem
Kinderheim das erste Mal mit diesem Thema konfrontiert und ich beschloß daher
mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Doch leider gibt es nur eine Statistik
über die Anzahl der Vorfälle, diese ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), die
repräsentativ ist; alle anderen Statistiken beziehen sich nur auf einzelne
Bundesländer und sind nur bedingt aussagekräftig. Schließlich spiegelt auch die
PKS nicht die Realität wieder, da die Dunkelziffer der Missbrauchsfälle um ein
Vielfaches höher liegt. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, daß die meisten
Fälle von sexuellem Mißbrauch innerhalb der Familie stattfinden und diese meist
nicht zur Anzeige gebracht werden.
Da ich in meinem weiteren Leben gerne mit Kindern zusammenarbeiten möchte,
werde ich mit größter Wahrscheinlichkeit auch mit sexuell mißbrauchten Kindern in
Berührung kommen. Dies war ein Grund für mich, mich im Rahmen meiner
Diplomarbeit zunächst mit den Definitionen des sexuellen Mißbrauchs, mit den
Folgen und den Therapienmöglichkeiten zu beschäftigen. Die Folgen habe ich in die
Sofort– und in die Langzeitfolgen unterteilt. Bei den Therapiemöglichkeiten war mir
sehr wichtig, auf die Therapie für Kinder und auf die Therapie für Erwachsene, die
in ihrer Kindheit sexuell mißbraucht wurden, einzugehen.
1
2. Begriffserläuterungen
In diesem Punkt meiner Diplomarbeit werde ich auf die zentralen Begriffe eingehen. Ich
werde auf die Definition des sexuellen Mißbrauchs, auf die Definition des sexuellen
Mißbrauchs aus juristischer Sicht, die Definition des Inzests, des Opfers, des Täters und
der Mißbrauchshandlung eingehen.
2.1.
Der sexuelle Mißbrauch
Es gibt eine Vielzahl von Definitionen des sexuellen Mißbrauchs bzw. der sexuellen
Gewalt. Einige der Definitionen gehen von der Vergewaltigung durch den Vater oder
einem Triebtäter aus. Jedoch ist der sexuelle Mißbrauch sehr viel weitreichender.
„Sexueller Missbrauch sind sexuelle Handlungen, die Erwachsene an oder mit Kindern
und Jugendlichen vornehmen.“ (Weber 1991, S. 9) Die sexuellen Handlungen äußern
sich durch Berührungen an Kindern, die gegen den Willen der Kinder oder unter Zwang
ausgeführt werden. „Zu sexuellen Kontakten zählen alle Berührungen: vom Berühren
oder Berührenlassen von Genitalien, Küssen mit sexuellen Absichten bis hin zum
Geschlechtsverkehr (vaginal, oral oder rektal)“ (Rensen 1992, S. 48) Wenn ein Kind
zum Beispiel den Wunsch äußert, einmal den Penis des Vaters anfassen zu wollen, ist es
eine einmalige Berührung und kein sexueller Mißbrauch. „Das Kind wird bei diesem
Wunsch nicht von sexuellen Interessen geleitet, sondern möchte alles Neue durch
Ertasten erforschen und erfahren.“ (Steinhage 1992, S. 9) Der Erwachsene entscheidet
sich bewußt für oder gegen die Mißbrauchshandlung, er handelt immer in klarer
Absicht. Dies wird anhand des folgenden Beispiels deutlich: wenn ein Vater mit seiner
Tochter badet und das Mädchen den Penis des Vaters sieht, ist es kein sexueller
Mißbrauch. Ein verantwortungsbewußter Vater badet entweder bis zum Ende mit seiner
Tochter, oder wenn er Angst hat, die Grenzen nicht wahren zu können, er beendet das
gemeinsame Baden und wiederholt es nicht, um sich und seine Tochter zu schützen.
Wenn das Mädchen aus Neugierde den Penis des Vaters ertastet, liegt ebenfalls kein
sexueller Mißbrauch vor. Zieht der Vater danach keine Grenze und läßt sich weiter von
dem Kind berühren und sexuell erregen, handelt es sich jedoch um sexuellen
2
Mißbrauch. Zwar liegt von Seiten des Kindes kein sexuelles Interesse vor, jedoch vom
Vater.
Weiterhin muß gesagt werden, daß sexuelle Gewalt immer zugleich ein Eindringen in
die Psyche und den Körper des Kindes ist. „Dabei steht für den Mann neben der
sexuellen Befriedigung vor allem die Befriedigung seines Machtanspruchs im
Vordergrund.“ (Steinhage 1992, S. 10)
Schließlich äußert sich der sexuelle Mißbrauch durch die Ausnutzung der
Machtposition gegenüber dem Kind, sowie die Ausübung der körperlichen und der
geistigen Überlegenheit gegenüber dem Kind, um sich sexuell zu befriedigen. Der
sexuelle Mißbrauch hinterläßt nicht ausschließlich körperliche Verletzungen, sondern
auch tiefe Ängste, seelische Schäden und Vertrauensverluste.
Der sexuelle Mißbrauch ist in den seltensten Fällen ein einmaliges Ereignis; meist
dauert er über einen langen Zeitraum an, teilweise sogar Jahre.
2.2.
Sexueller Mißbrauch aus juristischer Sicht
Früher wurde der sexuelle Mißbrauch als eine unzüchtige Handlung mit Kindern
bezeichnet. „“Unzüchtig“ deshalb, weil sie nicht der Fortpflanzung dienten, gegen die
Sittlichkeit, da sie nicht nur die ungestörte geschlechtliche Entwicklung des Kindes,
sondern – schlimmer noch – die Sittlichkeit der Gesellschaft gefährdeten.“ (Balzer
1998, S. 16)
Mit Mißbrauchsdelikte beschäftigt sich der dreizehnte Abschnitt des Strafgesetzbuches.
Seit 1971
gibt es verschiedene Paragraphen zu den Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung. Es sind die Paragraphen 173, 174, 175, 177, 178, 179, 180, 183,
184.
§173 beinhaltet den Beischlaf zwischen Verwandten und die Strafe liegt bei zwei bis
drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe, und die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre. Der
§174 richtet sich gegen den sexuellen Mißbrauch Abhängiger, und das Strafmaß beträgt
bis zu fünf Jahren Haft oder eine Geldstrafe, und die Verjährungsfrist beträgt ebenfalls
fünf Jahre. Der Gegenstand des §175 sind homosexuelle Handlungen, und diese werden
mit einer Haftstrafe mit bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet, und die
3