ESPAD AUSTRIA 2007
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ESPAD AUSTRIA 2007
ESPAD AUSTRIA 2007 Europäische SchülerInnenstudie zu Alkohol und anderen Drogen Band 2 Validierungsstudie ESPAD AUSTRIA 2007 Europäische SchülerInnenstudie zu Alkohol und anderen Drogen Band 2 Validierungsstudie Ludwig-Boltzmann-Institut für Suchtforschung (LBISucht) in Kooperation mit dem Institut für Sozial- und Gesundheitspsychologie (ISG) Wien, Dezember 2008 gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Die vorliegende Publikation „ESPAD – Austria 2007: SchülerInnenstudie zu Alkohol und anderen Drogen, Band 2:Validierungsstudie“ ist eine ungekürzte Originalarbeit, die von MitarbeiterInnen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Suchtforschung (LBISucht) und des Instituts für Sozial- und Gesundheitspsychologie (ISG) verfasst wurde. Der Inhalt des Berichtes, für den die AutorInnen verantwortlich zeichnen, muss sich nicht mit der Position des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) decken. AutorInnen: Irene Schmutterer, Alfred Uhl, Julian Strizek, Sonja Bachmayer, Alexandra Puhm, Ulrike Kobrna, Gerhard Grimm, Alfred Springer Korrespondenzadresse: Dr. Alfred Uhl Suchtpräventionsforschung und -dokumentation (SucFoDok) des Anton Proksch Instituts Gräfin Zichy Straße 6, A-1230 Wien, Tel.: +43-(0)1-88010-950, Fax: +43-(0)1-88010-956 E-Mail: [email protected], Internet: http://www.api.or.at/sp Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Republik Österreich, Bundesministerium für Gesundheit Radetzkystraße 2, A-1030 Wien Internet: http://www.bmg.gv.at Auszugsweiser Abdruck ist mit Quellenangabe gestattet, alle sonstigen Rechte sind vorbehalten. Foto Titelseite © Sonja Bachmayer Alle fünf Bände der Studie, (1) „ESPAD Austria 2007, Band 1: Forschungsbericht“ (2) „ESPAD Austria 2007, Band 2: Validierungsstudie“ (3) „ESPAD Austria 2007, Band 3: Frequenzauszählungen“ (4) „ESPAD Austria 2007, Band 4: Kreuztabellen“ (5) „ESPAD Austria 2007, Band 5: Fragebogen“ können über die Homepage des Bundesministeriums für Gesundheit http://www.bmg.gv.at sowie über die Downloadseite des Bereichs Suchtpräventionsforschung und -dokumentation (SucFoDok) des Anton Proksch Instituts, Wien http://www.api.or.at/sp als PDF-Datei herunter geladen werden. Schmutterer, I.; Uhl, A.; Strizek, J.; Bachmayer, S.; Puhm, A.; Kobrna, U.; Grimm, G.; Springer, A.; (2008): ESPAD Austria 2007: Europäische SchülerInnenstudie zu Alkohol und anderen Drogen, Band 2: Validierungsstudie. Wien, Bundesministerium für Gesundheit Vorwort des Herrn Bundesministers Österreich hat sich, nach 2003, im Jahr 2007 zum zweiten Mal an dem vom „Swedish Council for Information on Drugs and Alcohol (CAN)“ gemeinsam mit der Pompidougruppe des Europarates entwickelten „European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs (ESPAD)“ beteiligt. Mit diesem Erhebungsinstrument werden seit den 1990er Jahren in vierjährigem Abstand 15- und 16-jährige Schüler und Schülerinnen unter Aufsicht des Lehrpersonals mittels eines international standardisierten Fragebogens zu ihrem Konsumverhalten hinsichtlich Alkohol, Tabak und illegalen Drogen befragt. Der internationale Gesamtbericht über die 2007 durchgeführte Erhebung wurde 2009 veröffentlicht und hat für Österreichs SchülerInnen unter den zuletzt 45 einbezogenen europäischen Staaten beim Alkoholkonsum und, trotz deutlich niedrigerer Prävalenzraten als 2003, auch beim Rauchen neuerlich Spitzenplätze ausgewiesen. Zum Cannabiskonsum wurden 2007 deutlich niedrigere Werte erhoben als vier Jahre zuvor, während bei anderen illegalen Drogen, und vor allem beim gleichzeitigen Konsum von Alkohol und Medikamenten Österreichs Jugendliche wiederum an vorderer Stelle lagen. Bereits 2008 wurden die wichtigsten Ergebnisse in dem, jährlich im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und der europäischen Drogenbeobachtungsstelle erstellten Bericht zur Drogensituation veröffentlicht. Mittlerweile wurde die ausführliche Auswertung der insgesamt im Rahmen der Studie in Österreich erhobenen Daten fertiggestellt, das Gesamtergebnis liegt mit dem vorliegenden Forschungsbericht nunmehr vor. Im Unterschied zur internationalen Studie werden in der österreichischen Studie alle Jahrgänge der 9. und 10. Schulstufe berücksichtigt, die Ergebnisse des vorliegenden Forschungsberichtes beziehen sich somit auf die Antworten von Schülern und Schülerinnen zwischen 14 und 17 Jahren. Befragungen zum Konsum psychoaktiver Substanzen, und insbesondere zu Alkohol und illegalen Drogen, sind mit nicht unerheblichen methodologischen Problemen behaftet, die bei der Interpretation der Ergebnisse entsprechende Vorsicht gebieten. Das gilt nach den Erfahrungen bei den ESPAD-Erhebungen 2003 und 2007 in besonderem Maße für schriftliche Fragebogenerhebungen unter Jugendlichen. Da sich bei der Auswertung von ESPAD 2003 Inkonsistenzen zeigten, und manche Ergebnisse offenkundig unplausibel waren, wurde die österreichische ESPAD-Erhebung 2007 durch eine qualitative Validierungsstudie begleitet. Ziel war es, das Ausmaß von Problemen beim Ausfüllen des Fragebogens und die Auswirkung fehlerhaft beantworteter Fragebögen auf das Gesamtergebnis einschätzen zu können, und zugleich Anhaltspunkte für notwendige Verbesserungen des Erhebungsinstrumentes zu gewinnen. Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere zu vage, unbestimmte oder unbekannte Ausdrücke die SchülerInnen vor Probleme stellte, welche die Qualität der Ergebnisse beeinträchtigen. Dennoch sind Konsumerhebungen notwendige Instrumente, um, in Zusammenschau mit anderen Datenquellen, einen repräsentativen Einblick in Zusammenhänge, Problemfelder und Trends beim Konsum psychoaktiver Substanzen zu gewinnen. Aus diesem Grund unterstützt und finanziert mein Ressort regelmäßige, auf standardisierter Basis bundesweit durchgeführte Konsumbefragungen. ESPAD steht in seiner Ausführlichkeit und detaillierten Itemformulierung bislang als einziges auf den Konsum von Alkohol und anderen psychoaktiven Substanzen durch Jugendliche spezialisiertes, auf internationale Vergleichbarkeit ausgerichtetes Befragungsinstrument zur Verfügung. Es ist zu wünschen, dass die im Rahmen der Validierungsstudie aufge- zeigten Probleme und Erkenntnisse von den internationalen Projektorganisatoren aufgegriffen und zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Erhebungsinstruments im Sinne der Optimierung der Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit der Ergebnisse genützt werden. Die Durchführung und Auswertung der österreichischen Befragung lag auch 2007 wieder in den Händen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Suchtforschung und des Instituts für Sozialund Gesundheitspsychologie, in deren Rahmen auch die Validierungsstudie durchgeführt wurde. Das Forschungsprojekt wurde auch 2007 wieder von meinem Ressort finanziert. Die im vorliegenden Bericht umfassend dargestellten österreichspezifischen Ergebnisse sollen der Information aller am Thema Interessierten dienen, und die Weiterentwicklung und Implementierung gesundheitspolitischer Strategien zur Verringerung des Substanzkonsums und seiner gesundheitlichen Folgen unterstützen. Alois Stöger Bundesminister für Gesundheit ESPAD Austria 2007 ǀ Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung.............................................................................................................................................2 2 Methodik .............................................................................................................................................3 2.1 Leitfaden: Konstruktion, Pretest, Adaptionen.............................................................................3 2.2 Auswahl und Ablauf der Interviews ............................................................................................3 2.3 Mögliche Ergebnisverzerrungen..................................................................................................5 2.4 Datenmaterial ..............................................................................................................................5 2.5 Beschreibung der Interviewstichprobe .......................................................................................6 2.6 Kodierung der Fragen ..................................................................................................................7 3 Faktoren, die das Antwortverhalten beeinflussen ..............................................................................8 3.1 Motivation .................................................................................................................................10 3.1.1 Motivation senkende und Motivation steigernde Aspekte ............................................11 3.1.2 Spaßantworten und Unehrlichkeit ..................................................................................13 3.1.3 Wenn ehrliche Antworten einen „falschen“ Eindruck vermitteln ..................................13 3.2 Probleme beim Verstehen der Fragen ......................................................................................14 3.2.1 Unscharfe Begriffe...........................................................................................................15 3.2.2 Mehrdeutige Begriffe ......................................................................................................15 3.2.3 Unbekannte Begriffe .......................................................................................................16 3.2.4 Fragen, die aufgrund unterschiedlicher dahinter liegender Konzepte leicht missverstanden werden können .....................................................................................17 3.2.5 Missverstehen aufgrund der Platzierung ........................................................................17 3.2.6 Komplexität der Fragen ...................................................................................................17 3.3 Probleme mit dem Inhalt...........................................................................................................18 3.3.1 Erinnerungsschwierigkeiten ............................................................................................18 3.3.2 Mangelndes Wissen zum Befragungsgegenstand...........................................................19 3.4 Problematische Antwortkategorien ..........................................................................................19 4 Ausgewählte Schwerpunkte..............................................................................................................21 4.1 Schnüffeln oder einmal am Uhu riechen ...................................................................................21 4.2 Red Bull ein Aufputschmittel? ...................................................................................................24 4.3 Erste ganze Zigarette oder erstes ganzes Glas eines alkoholischen Getränks ..........................26 4.4 Kategorisierung alkoholischer Getränke ...................................................................................29 4.5 Was ist eine Trinkgelegenheit? .................................................................................................32 4.6 Der letzte Trinktag .....................................................................................................................35 4.7 Durchschnittsalkoholkonsum der letzten 30 Tage ....................................................................38 4.8 Der unscharfe Begriff „Betrunkensein“ .....................................................................................41 4.9 Selbstmord und Selbstverletzung ..............................................................................................44 4.10 Schulabschluss der Eltern ..........................................................................................................47 5 Probleme aufgrund der Heterogenität der SchülerInnen .................................................................50 5.1 Lesekompetenz und Sprachverständnis ....................................................................................50 5.2 Mathematisches Grundverständnis ..........................................................................................51 1 ESPAD Austria 2007 ǀ Inhaltsverzeichnis 5.3 Drogenwissen ............................................................................................................................51 6 Anregungen der SchülerInnen bezüglich der Fragebogengestaltung ...............................................52 7 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ................................................................................53 8 Literatur .............................................................................................................................................56 2 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 1 Einleitung Luhmann behauptet in seiner Kommunikationstheorie, dass Kommunikation unwahrscheinlich ist. „Sie ist unwahrscheinlich, obwohl wir sie jeden Tag erleben, praktizieren und ohne sie nicht leben würden.“ (Luhmann 2000, S. 57) Um die unsichtbar gewordene Unwahrscheinlichkeit begreifbar zu machen, fragt Luhmann, wie Kommunikation überhaupt möglich ist, und stößt dabei auf eine Mehrzahl von Hindernissen, die es zu überwinden gilt, damit Kommunikation zustande kommen kann. Es ist erstens unwahrscheinlich, so Luhmann, dass eine/r überhaupt versteht, was der/die andere meint. „Sinn kann nur kontextgebunden verstanden werden, und als Kontext fungiert für jeden zunächst einmal das, was sein eigenes Gedächtnis bereitstellt.“ (ebda., S. 58) Zweitens, so meint Luhmann weiter, ist es unwahrscheinlich, dass mehr EmpfängerInnen erreicht werden, als in einer konkreten Situation anwesend sind. Und drittens ist es unwahrscheinlich, dass Kommunikation angenommen wird und somit als erfolgreich bezeichnet werden kann. „Kommunikation annehmen“ versteht Luhmann hier in dem Sinn, dass der/die EmpfängerIn den selektiven Inhalt der Kommunikation als Prämisse des eigenen Verhaltens übernimmt. Dazu zählt er Handeln nach entsprechenden Direktiven, Erleben, Denken und weitere Kognitionen, sowie Verarbeiten unter der Voraussetzung, dass eine bestimmte Information zutrifft. Die Unwahrscheinlichkeit bzw. die Schwierigkeit von indirekter Kommunikation zwischen ForscherInnen und SchülerInnen anhand eines Fragebogens wurde im Rahmen der Auswertung 2003 der in Österreich durchgeführten ESPAD Erhebung („European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs“) recht offensichtlich. Wie im ESPAD Bericht 2003 (Uhl et al., 2005) beschrieben, ergaben sich dabei Daten, die sich teilweise widersprachen – also in sich inkonsistent waren – bzw. in Wertebereichen lagen, die der Realität unmöglich entsprechen können oder zumindest als äußerst unwahrscheinlich anzusehen sind. Um Licht in die Sache zu bringen, wurde beschlossen, die ESPAD Erhebung 2007 durch eine qualitative Validierungsstudie zu begleiten, welche nun Gegenstand dieses Berichts ist. Ziel der Validierungsstudie war es, zu erfassen, in welchem Ausmaß und in welche Richtung Fragen des ESPAD Fragebogens missverstanden, gar nicht verstanden und/oder nicht ernst genommen wurden, und welche Auswirkungen das auf die Resultate der ESPAD Studie hat. Die Ergebnisse der Validierungsstudie sollen dazu anregen, Anhaltspunkte für die Interpretation von ESPAD Daten zu liefern, Überlegungen zur Optimierung des ESPAD Fragebogens anzustellen und, falls sich viele unlösbare Probleme abzeichneten, über die Sinnhaftigkeit von fragebogengestützten SchülerInnenstudien zum Drogenkonsum nachzudenken. Im vorliegenden Bericht wird zunächst die Methodik der Validierungsstudie – Leitfadenkonstruktion, Ablauf, zugrunde liegendes Datenmaterial und Stichprobe – beschrieben und anschließend Überlegungen zu Ergebnis verzerrenden Faktoren beschrieben; diese werden mit Beispielen und Zitaten aus den Validierungsinterviews veranschaulicht. Danach werden ausgewählte Schwerpunktfragen aus dem ESPAD Fragebogen behandelt, wobei genau darauf eingegangen wird, wie häufig und in welche Richtung diese Fragen missverstanden wurden und welche Probleme die SchülerInnen bei der Beantwortung der Fragen hatten. Hier werden Anhaltspunkte zur Interpretation der ESPAD Daten geboten und Überlegungen zur Optimierung der einzelnen Schwerpunkte angestellt. Darauf folgend werden Probleme infolge der Heterogenität der SchülerInnen besprochen und von SchülerInnen geäußerte Änderungswünsche bzgl. des Fragebogens dargestellt. Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse der ESPAD Validierungsstudie zusammengefasst und Empfehlungen für eine künftige Fragebogenoptimierung ausgesprochen. 2 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 2 Methodik 2.1 Leitfaden: Konstruktion, Pretest, Adaptionen Im Rahmen der Validierungsstudie war geplant, mit 100 zufällig ausgewählten SchülerInnen ein etwa 45-minütiges Validierungsinterview durchzuführen, nachdem diese den ESPAD Fragebogen im üblichen Setting ausgefüllt hatten. So sollte ein möglichst guter Eindruck darüber entstehen, welche Fragen des ESPAD Fragebogens in welchem Ausmaß, wie und warum falsch beantwortet wurden. Die Dauer der Validierungsinterviews sollte – im Sinne eines möglichst ungestörten Unterrichtsbetriebs und aus Zumutbarkeitsgründen für die SchülerInnen – eine Schulstunde nicht überschreiten. Da es in diesem Zeitraum unmöglich gewesen wäre, alle Fragen des Fragebogens systematisch zu thematisieren, musste eine Auswahl der zu untersuchenden Fragen getroffen werden. Zu diesem Zweck wurde zunächst ein Leitfaden erarbeitet. Der Konstruktion des Leitfadens gingen Überlegungen dahingehend voraus, welche Probleme bei der Beantwortung von Fragebögen generell auftreten können, wo Ergebnisse und Konsistenzprüfungen im Zuge der ESPAD Erhebung 2003 Probleme vermuten ließen sowie welche Probleme man beim Durchgehen des Fragebogens 2007 antizipieren konnte. Der Leitfaden wurde in einem Pretest mit 6 SchülerInnen einer an der ESPAD Erhebung beteiligten Schule auf seine Handhabbarkeit hin überprüft und von diesem Zeitpunkt an nahezu unverändert für die 100 Interviews verwendet. Die einzige Änderung des Leitfadens erfolgte nach etwa der Hälfte der Interviews durch das Einbeziehen einer zusätzlichen Frage. Diese Ergänzung erschien zweckmäßig, nachdem aus den ersten ausgefüllten Fragebögen ersichtlich wurde, dass sich bei der Frage nach der durchschnittlichen Anzahl von Drinks an Trinktagen in den letzten 30 Tagen (opt50) unwahrscheinlich hohe Angaben ergeben hatten. Detaillierte Ergebnisse zu diesem Problem werden in Kapitel 4.7 dargestellt. Bei den für die Interviews ausgewählten Fragen des ESPAD Fragebogens, die es zu untersuchen galt, interessierten vier Hauptaspekte: 1. 2. 3. 4. Motivation: Wie motiviert waren die interviewten Personen bei der Beantwortung der Frage im Fragebogen? Frageverständnis: Wurde die Intention der Frage korrekt verstanden? Antwortdiskrepanz: Wie hätten die interviewten Personen geantwortet, wenn sie die Intention der Frage korrekt verstanden hätten? Unsicherheitsbereich: War für die Interviewten eine klare Antwort möglich (wie z.B. „fünf Getränke“ oder „vor 7 Monaten“) oder nur die Angabe in einem Schwankungsbereich (z.B. „zwischen drei und sieben Getränken“ oder „vor 5 bis 9 Monaten“)? 2.2 Auswahl und Ablauf der Interviews An der quantitativen Fragebogenerhebung ESPAD 2007 waren insgesamt 106 Schulen unterschiedlichen Schultyps aus ganz Österreich beteiligt, aus denen 5984 SchülerInnen in 274 Klassen befragt wurden.1 Für die gegenständliche Validierungsstudie wurden aus praktischen und ökonomischen Gründen nur Klassen in den Bundesländern Wien und Niederösterreich ausgewählt. Angestrebt waren 100 Interviews mit SchülerInnen, die möglichst repräsentativ für die Gruppe der in Wien und Niederösterreich an der ESPAD Erhebung 2007 teilnehmenden SchülerInnen sein sollte. 1 Für weitere Informationen zum Setting der ESPAD-Fragebogenerhebung sei auf Band 1: „Forschungsbericht“ verwiesen. 3 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Alle Schulen waren über das zusätzliche Validierungsprojekt vorinformiert und über dessen Ablauf instruiert worden. Zunächst wurden die Schulen durch ein Schreiben zur Teilnahme an der Fragebogenerhebung aufgefordert. Beigefügt war ein Erlass, mit dem das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur die Fragebogenerhebung genehmigte. Sobald sich die Schulleitung zur Teilnahme bereit erklärte und die für die Definition der Befragungsklasse(n) erforderlichen Informationen übermittelt hatte, wurden die als zuständig genannten Lehrkräfte kontaktiert und mit ihnen die Details der Befragung fixiert. In diesen Gesprächen wurden die Lehrkräfte ausdrücklich aufgefordert, die SchülerInnen keinesfalls auf die anschließenden Interviews hinzuweisen, um sicherzustellen, dass die Bedingungen, unter denen die Fragebogenerhebung im Klassensetting erfolgen wird, von jenen in den anderen Bundesländern nicht abweichen. MitarbeiterInnen des LBI-Sucht stellten das Anliegen der Validierungsinterviews am Ende jener Schulstunde, in der die SchülerInnen den Fragebogen ausgefüllt hatten, kurz vor. In einigen Klassen versuchten LehrerInnen besonders „brave“ oder auch besonders „schlimme“ SchülerInnen für die Interviews vorzuschlagen. Diese LehrerInnen wurden allerdings von den ProjektmitarbeiterInnen darauf hingewiesen, dass die Auswahl der SchülerInnen zufällig erfolgen müsse, und dass zu diesem Zweck eine Auswahlprozedur mittels Würfeln vorgesehen sei. In jeder Klasse wurden dann anhand der Katalognummern im Klassenbuch 2-3 SchülerInnen ausgewürfelt. Den ausgewählten SchülerInnen wurde zwar die Möglichkeit eingeräumt, die Teilnahme am Interview zu verweigern, sie wurden aber, angesichts der zugesicherten Anonymität, gebeten, davon möglichst nicht Gebrauch zu machen. In manchen Klassen hielten sich die Lehrpersonen aus diesem Prozess gänzlich heraus, während sie in anderen Klassen die ausgewählten SchülerInnen zur Teilnahme am Validierungsinterview ermunterten. Den SchülerInnen wurden vor Beginn der Interviews wichtige Hinweise gegeben. Sie wurden darüber informiert, dass alle Inhalte des Interviews vertraulich behandelt werden würden, und dass die Möglichkeit bestehe, die Beantwortung von heiklen Fragen – wie z.B. solchen nach dem Konsum von illegalen Drogen – im Validierungsgespräch einfach zu verweigern. Des Weiteren war es wichtig, den Jugendlichen zu vermitteln, dass es nicht um eine Überprüfung ihrer Angaben geht, sondern um eine Beurteilung der Tauglichkeit des Erhebungsinstruments; d.h. dass Kritik an den Fragen ausdrücklich erwünscht sei. Außerdem wurde einleitend darauf hingewiesen, dass sie nicht kritisiert werden würden, falls sie ihren Fragebogen nicht ernsthaft ausgefüllt hätten, dass davon ausgegangen werde, dass dies immer wieder vorkomme und sie es gerne ehrlich sagen könnten, wenn sie bei bestimmten Fragen oder generell ungenau oder falsch geantwortet hätten. Auf diese einleitenden Hinweise folgten einige allgemeine Fragen zum Ablauf der Befragungsstunde in der Klasse (Gab es Zwischenfragen? Wurde untereinander geredet? Entstand der Eindruck, dass die Klasse den Fragebogen ernsthaft ausgefüllt hat?) und Fragen zum allgemeinen Verständnis des Fragebogens (Gab es Verständnisschwierigkeiten aufgrund nichtdeutscher Muttersprache? Bei welchen Fragen hatte der/die SchülerIn Probleme?). Anschließend wurde die Auswahl der lt. Interviewleitfaden für problematisch erachteten Fragen durchgegangen. Hier galt es herauszufinden, wie die Fragen verstanden wurden, ob und welche Schwierigkeiten es bei der Beantwortung der Fragen gegeben hatte und welche Auswirkungen Missverständnisse und Schwierigkeiten auf die jeweiligen Antworten hatten. Um Repräsentativität zu erreichen, wurde darauf geachtet, dass unter den interviewten SchülerInnen möglichst alle Schultypen in einem quantitativ ähnlichen Verhältnis zum Anteil der Schultypen bei der Fragebogenerhebung vertreten sind. Die Interviews wurden in der Stunde unmittelbar nach dem Ausfüllen der Fragebögen jeweils einzeln in einem ruhigen Setting, das Vertraulichkeit zulässt, durchgeführt. 4 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 2.3 Mögliche Ergebnisverzerrungen Auch bei einer qualitativen Interviewstudie, die das Erkennen und Beschreiben möglicher Fehlerquellen einer quantitativen Fragebogenuntersuchung zum Ziel hat – diesbezüglich also durchaus sensibel ist – können Ergebnisverzerrungen auftreten. Aufgrund mehrerer Faktoren (Interviewsituation, Thema der Fragebogenerhebung, Befragungsort Schule) ist damit zu rechnen, dass SchülerInnen während des Interviews nicht immer die Wahrheit sagen. Es ist auch davon auszugehen, dass SchülerInnen unter Umständen im Interviewsetting nicht zugeben wollen, dass sie eine Frage falsch verstanden haben, dass sie Fragen nicht ernst genommen haben oder dass sie bei Antworten womöglich übertrieben bzw. untertrieben haben. Auch ist es denkbar, dass SchülerInnen zwar im Fragebogen den Tatsachen entsprechende Antworten gegeben haben, im Face-to-Face-Interview jedoch aus Vorsicht, Selbstschutz oder weil es ihnen unangenehm war, falsche Angaben machten. Besonders heikel waren hier die Fragen zum illegalen Drogenkonsum, zum Konsum von Substanzen, die in ihrem Alter noch nicht erlaubt sind sowie Fragen nach Selbstverletzung und Selbstmordgedanken. Bei diesen Themen wurde die Antwort auch von einzelnen Personen verweigert. Um das Ausmaß an der Wahrheit nicht entsprechenden Antworten im Interview möglichst gering zu halten, wurde den SchülerInnen nicht nur absolute Anonymität zugesichert, sondern zudem verdeutlicht, dass aufgrund der Komplexität der Fragen davon ausgegangen werde, dass diese teilweise falsch verstanden werden würden bzw. dass SchülerInnen aus Spaß falsche Antworten geben könnten. Es wurde angestrebt, die SchülerInnen davon zu überzeugen, dass es nicht darum gehe, ihre Fehler bzw. Spaßantworten aufzudecken oder zu kontrollieren, ob sie ihren Fragebogen auch richtig ausgefüllt hatten, sondern vielmehr um die Messung der Qualität der Fragebogenerhebung, wofür man sie quasi als ExpertInnen zu Rate ziehen wolle. Trotz dieser einleitenden Zusicherungen und Erklärungen muss man davon ausgehen, dass die InterviewerInnen in den Interviews vereinzelt grob angelogen wurden. Hinweise darauf, dass gelogen wurde, ergab die anschließende Prüfung auf mögliche Widersprüche oder Vergleiche zwischen dem, was angeblich im Fragebogen steht, (die SchülerInnen hatten den Fragebogen vor sich und konnten nachschauen) und den tatsächlichen Antworten im Fragebogen (was wir allerdings im Regelfall erst nach Abschluss des Interviews vergleichen konnten). Da die Fragebögen während des Interviews meist nicht eingesehen werden konnten, war es oft nicht möglich, bei etwaig auftretenden Diskrepanzen zu klären, warum im Fragebogen andere Angaben gemacht wurden, als später behauptet wurde. Es ist denkbar, dass eine Spaßantwort oder ein Missverstehen der Frage im Interview zuzugestehen als zu peinlich erlebt wurde. Ebenso kann im Fragebogen zwar eine ehrliche, den Tatsachen entsprechende Antwort gegeben worden sein, dies jedoch in der (weitaus persönlicheren) Interviewsituation verweigert wurde. In jenem Teil dieses Berichts, der ausgewählte Schwerpunktfragen thematisiert, werden die durch falsche Antworten unklar gebliebenen Fälle quantifiziert und mögliche Erklärungen dafür gesucht (vgl. Kap. 4). 2.4 Datenmaterial Das dieser Studie zugrunde liegende Datenmaterial umfasst: 100 Interviews mit SchülerInnen aus Wien und Niederösterreich, die an der ESPAD Fragebogenerhebung 2007 teilgenommen haben; 98 Fragebögen der schriftlichen ESPAD Befragung von jenen SchülerInnen, die im Anschluss an ihr Interview bereit waren, ihre Fragebögen so zu kennzeichnen, dass diese dem Interviewprotokoll zugeordnet werden konnten (2 verweigerten ihren Fragebogen nach dem Interview zuordenbar zu machen); 5 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Anmerkungen jener an der ESPAD Fragebogenerhebung 2007 teilnehmenden SchülerInnen, die auf ihrem Fragebogen unter „Raum für persönliche Anmerkungen“ oder bei bestimmten Fragen am Rand des Fragebogens Anmerkungen formuliert hatten; Anmerkungen aus den Befragungsprotokollen, in denen die während der ESPAD Fragebogenerhebung anwesenden LehrerInnen, den Instruktionen entsprechend, besondere Vorkommnisse und Fragen der SchülerInnen festhielten; Frequenzauszählungen und Konsistenzprüfungen aus den Datensätzen der ESPAD Fragebogenerhebungen 2003 und 2007. 2.5 Beschreibung der Interviewstichprobe Die Stichprobe dieser Validierungsstudie umfasst 100 SchülerInnen aus Wien und Niederösterreich (63 Burschen und 37 Mädchen), die mündlich befragt wurden. Von den 100 Befragten wurden 37 in niederösterreichischen und 63 in Wiener Schulen befragt. Der Großteil der Interviewten war zwischen 15 und 16 Jahren alt. 35 SchülerInnen waren 15, 41 waren 16 und jeweils 12 waren 14 oder 17 Jahre alt. Von den 100 befragten SchülerInnen besuchten 36 eine AHS, 25 eine HTL, 7 eine HAK bzw. Hasch, 13 einen polytechnischen Lehrgang, 8 eine HBLA (entspricht Kategorie „Fachschule“), 7 eine Berufsschule und 4 eine Schule für Kindergartenpädagogik (entspricht Kategorie „Diverse“). Die Charakteristika der alle Bundesländer umfassenden Gesamtstichprobe für die Fragebogenuntersuchung unterscheiden sich deutlich von jenen der SchülerInnen aus Wien und Niederösterreich, die an der Erhebung teilnahmen. Die ausschließlich in Wien und Niederösterreich gezogene Teilstichprobe (Validierungsstichprobe) unterscheidet sich hinsichtlich zentraler Charakteristika nur unerheblich von der Teilstichprobe der SchülerInnen aus Wien und Niederösterreich (vgl. Tab. 1). Tab. 1: Vergleich der unterschiedlichen Stichproben Stichprobe Interviews (n=100) Fragebögen gesamt (n=5679) Fragebögen Wien & NÖ (n=1814) Geschlecht Männlich 63% 55% 58% Weiblich 37% 45% 42% 14 12% 10,4% 10,9% 15 35% 43,1% 42,7% 16 41% 37,2% 36,5% 17 12% 9,3% 9,8% AHS 36% 19,1% 35,1% HTL 25% 17,1% 29,6% 7% 12,5% 4,5% 13% 14,4% 9,3% Fachschule 8% 13,3% 5,5% Berufsschule 7% 16,3% 9,4% Diverse 4% 7,4% 6,6% Alter Schultyp HAK od. Hasch Poly 6 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 2.6 Kodierung der Fragen Im ESPAD Fragebogen wird zwischen Standardfragen, die unbedingt in die Fragebögen der einzelnen Länder aufgenommen werden sollten, und optionalen Fragen, aus denen sich die Länderverantwortlichen, je nach Interessenslage, bestimmte Fragen aussuchen können, unterschieden. Um es den LeserInnen zu erleichtern, die jeweiligen Fragen im Hauptberichtsband (Band 1), im Frequenzauszählungsband (Band 3), im Kreuztabellenband (Band 4) und im Fragebogenband (Band 5) rasch zu finden, wurden Standardfragen mit „esp“ plus fortlaufender Nummerierung und die Zusatzfragen mit „opt“ plus fortlaufender Nummerierung gekennzeichnet. Den genauen Wortlaut der Fragen und die Antwortkategorien betreffend ist es am zweckmäßigsten, Band 5 („Fragebogenband“) für Vergleiche heranzuziehen, der gratis über das Internet herunter geladen werden kann. 7 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 3 Faktoren, die das Antwortverhalten beeinflussen Sozialwissenschaftliche Methodenlehrbücher (z.B. Atteslander 2000, Diekmann 1999) gehen ausführlich darauf ein, wie der Prozess der Datenerhebung das Ergebnis verfälschen kann. Gültigkeitsprobleme bei Umfragedaten werden in den Sozialwissenschaften immer wieder thematisiert (z.B. Költringer 1993). Der amerikanische Sozialforscher Cannell (1984 zitiert nach ZUMA 1984) betonte in diesem Zusammenhang drei wesentliche Faktoren. Erstens sorgt der Zeitabstand zwischen Ereignis und Befragung dafür, dass die Wahrscheinlichkeit für korrekte Angaben überraschend schnell kontinuierlich abnimmt. Zweitens hängt die Verlässlichkeit der Angaben mit der subjektiven Bedeutsamkeit oder Wichtigkeit der Ereignisse zusammen; je wichtiger etwas erlebt wird, desto vollständiger und genauer kann darüber berichtet werden. Drittens bewirkt der Faktor der sozialen Erwünschtheit, dass Befragte gewisse Ereignisse eher verschweigen oder modifiziert darstellen, wenn diese als peinlich, sozial unerwünscht oder vom eigenen Selbstbild abweichend empfunden werden. Die Frage, inwieweit sich soziale Erwünschtheit bei Face-to-FaceInterviews stärker auswirkt, weil die Anonymität wegfällt, bzw. in welchem Ausmaß umgekehrt während des persönlichen Kontakts zwischen InterviewerIn und interviewten SchülerInnen Ängste abgebaut werden konnten (was den Einfluss der sozialen Erwünschtheit verringert), kann nicht eindeutig beantwortet werden. Diekmann nennt drei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um bei Befragungen möglichst unverfälschte Antworten zu erhalten (Diekmann 2002, S. 377). Diese sind die grundsätzliche Kooperationsbereitschaft (Motivation) der Befragten, das Vorhandensein einer Norm der Aufrichtigkeit sowie die Existenz einer gemeinsamen Sprache zwischen Befragten und InterviewerInnen. Die Motivation der Befragten, unentgeltlich an einer Befragung teilzunehmen, ist keinesfalls selbstverständlich und sollte nicht ohne weiteres als gegeben vorausgesetzt werden. Die Motivation zur Teilnahme an einer Befragung kann im Verlauf der Befragung deutlich steigen oder sinken. Themen, die nicht interessieren, unklare Formulierungen, unbekannte Begriffe, hoher Erinnerungs- und Denkaufwand, als unangenehm erlebte Inhalte u.v.m. können sich sehr negativ auf die Motivation auswirken. Im Schulsetting spielt es bezüglich der Bereitschaft, an einer Befragung teilzunehmen, sicherlich eine große Rolle, dass „bloß“ Unterrichtszeit verloren geht, man also keine Freizeit verliert, und dass man sich, wenn alle teilnehmen, dem Gruppendruck nur schwer entziehen kann. Aufrichtige Antworten sind vor allem dann zu erwarten, wenn die subjektiven Kosten für diese Aufrichtigkeit einen gewissen, individuell variierenden Schwellenwert nicht überschreiten. Die subjektiven Kosten für aufrichtiges Antwortverhalten werden als hoch eingeschätzt, wenn es sich um besonders unangenehme oder heikle Fragen handelt bzw. wenn sozial unerwünschtes Verhalten preisgegeben werden müsste, und davor Angst wegen möglicher Sanktionen besteht. Welche Fragen als heikel oder unangenehm empfunden werden, ist dabei immer stark vom kulturellen Kontext der Erhebungssituation abhängig. Ebenso wirkt sich die subjektive Einschätzung, inwieweit die Anonymität der Daten gewährleistet ist, auf die Bereitschaft der Befragten aus, wahre Angaben zu machen. Das Gefühl, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, ist oft sehr trügerisch. Viele Begriffe sind nur unpräzise definiert bzw. lassen viele Interpretationen offen. Ein Teil der bei jeder Kommunikation auftretenden unvermeidlichen Missverständnisse kann bei Interviews durch systema8 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik tisches Fragen und Rückfragen aufgeklärt werden – eine Möglichkeit, die beim Ausfüllen von Fragebögen im Gruppensetting allerdings kaum gegeben ist. Besonders hoch ist die Gefahr von gravierenden Missverständnissen, wenn die Befragten Subkulturen angehören, in denen bestimmte Worte eine vom Mehrheitsverständnis abweichende Bedeutung haben. Besonders relevant ist dieses Problem bei Studien, welche – wie die ESPAD Erhebung – internationale Vergleichbarkeit der nationalen Ergebnisse anstreben. Viele Begriffe haben in verschiedenen Sprachen keine exakten Äquivalente, und wo es Äquivalente gibt, sind diese in verschiedenen Sprachen mit unterschiedlichen Konnotationen behaftet. Im Rahmen der ESPAD Validierungsstudie wurde auf vier sich teilweise wechselseitig beeinflussende Faktoren, die Ergebnisse besonders stark verzerren können, geachtet: „Motivation“, „Probleme beim Fragenverständnis“, „Probleme mit dem Inhalt“ und „problematische Antwortkategorien“ (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Faktoren, die das Antwortverhalten beeinflussen 1.Motivation 2. Probleme beim Verstehen der Fragen (unscharfe , mehrdeutige bzw. unbekannte Begriffe, komplexe Formulierungen) 3. Probleme mit dem Inhalt (Erinnerungsschwierigkeiten, mangelndes Wissen zum Befragungsgegenstand) 4. Problematische Antwortkategorien (unvollständige, uneindeutige, inadäquate Kategorien) Grad der Koorektheit der Ergebnisse Probleme werden mehr oder weniger explizit wahrgenommen Die Motivation der einzelnen SchülerInnen bestimmt, ob sie sich auf die Aufgabe, den Fragebogen seriös zu beantworten, einlassen, wie intensiv sie sich darum bemühen, Fragen korrekt zu verstehen und wie viel Energie sie dafür aufwenden, sich zu erinnern bzw. die am besten passende Antwortkategorie zu finden. Umgekehrt ist davon auszugehen, dass Schwierigkeiten jedweder Art sich negativ auf die Motivation der Befragten, die nachfolgenden Fragen möglichst gut auszufüllen, auswirken. Probleme mit der Verständlichkeit der Fragen, dem Inhalt und/oder den Antwortkategorien wirken sich in der Regel negativ auf den Grad der Korrektheit der Ergebnisse (Validität) aus 2. Werden den Befragten die Probleme bewusst, so hat das Rückwirkungen auf die Motivation der Befragten, die darauf folgenden Fragen ernsthaft auszufüllen. Da die negative Rückwirkung der genannten Probleme auf die Motivation allerdings nur dann eintritt, wenn diese Probleme den Befragten auch bewusst werden 3, wird dieser Rückkoppelungsmechanismus in Abb. 1 durch gestrichelte Pfeile dargestellt. Zu beachten ist beim ESPAD Fragebogen auch die geringe Zeit, die den SchülerInnen zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung steht. Der ESPAD Fragebogen umfasst insgesamt 228 Items, wovon 220 Items zur Beantwortung von allen SchülerInnen gedacht sind und 8 Items nur für jene SchülerInnen, die bereits in irgendeiner Form Erfahrungen mit Cannabis gemacht 2 3 Die genannten Probleme wirken sich natürlich nicht in allen Einzelfällen negativ auf die Validität der Ergebnisse aus. Es kann sein, dass Personen, die bestimmte Begriffe nicht oder falsch verstehen – intuitiv oder zufällig – die richtige Antwortkategorie wählen. Wer glaubt, eine Frage korrekt verstanden zu haben, diese angemessen beantworten zu können und auch eine passende Antwortkategorie gefunden zu haben, erlebt subjektiv keine Schwierigkeiten, selbst wenn objektiv betrachtet massive Probleme auftreten. 9 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik hatten. Für die Beantwortung der Fragen stehen den SchülerInnen maximal 45 Minuten zur Verfügung, pro Item also 12 Sekunden. Das lässt nicht viel Zeit, um komplexe Fragen zu verstehen und über passende Antworten nachzudenken. Aus den von den LehrerInnen ausgefüllten Befragungsprotokollen geht hervor, dass die meisten SchülerInnen ihre Fragebögen bereits nach etwa 35 Minuten abgaben, diese sich also für die Beantwortung eines Items im Durchschnitt nur etwa 9,5 Sekunden nahmen. Ob 220 Items für SchülerInnen innerhalb einer Schulstunde zumutbar und auch gewissenhaft beantwortbar sind, kann bezweifelt werden. 3.1 Motivation Die Motivation der involvierten SchülerInnen ist maßgeblich dafür entscheidend, ob sie gewillt sind, den Fragebogen ernsthaft auszufüllen, und inwieweit sie darum bemüht sind, die einzelnen Fragen zu verstehen, sich an relevante Aspekte zu erinnern, Wissensinhalte abzurufen bzw. die am besten passende Antwortkategorie zu finden. Treten beim Ausfüllen des Fragebogens zwar objektive, den Befragten jedoch nicht bewusste Probleme auf, so wirkt sich das kaum auf die Motivation, den Fragebogen weiterhin ernsthaft auszufüllen, aus. Werden die Probleme den Befragten allerdings bewusst, so sinkt die Motivation kontinuierlich, weswegen manche letztlich nur noch „Spaßantworten“ gaben, Beliebiges ankreuzten oder Fragen ganz ausließen (vgl. Abb. 1). Bei der Systematisierung der im Zuge der ESPAD Validierungsstudie gewonnenen Erkenntnisse die Motivation betreffend haben sich folgende drei Faktoren als relevant ergeben: 1. Die generelle motivationale Ausgangslage des/der jeweiligen SchülerIn am Tag der Befragung Wenn SchülerInnen von vornherein unmotiviert, desinteressiert, abblockend oder in Gedanken abwesend sind, kann man nur darauf hoffen, dass die Befragung an sich bzw. das Thema der Befragung die Aufmerksamkeit weckt. 2. Die Bereitschaft, Fragebögen auszufüllen, das Interesse am Thema „Substanzgebrauch“ , sowie Freude oder Ärger, eine Unterrichtsstunde anderwärtig zu verbringen Die Bereitschaft Fragebögen auszufüllen, schwankt erheblich von Person zu Person. Auch das generelle Interesse, sich mit dem Thema „Substanzgebrauch“ auseinanderzusetzen, die eigene Meinung zum Thema auszudrücken bzw. die öffentliche Sichtweise zum Phänomen „Jugend und Substanzkonsum“ durch eigenen Beitrag zu beeinflussen ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Zusätzlich erlebten manche SchülerInnen „verlorene“ Unterrichtsstunden als Verlust, andere wiederum als Gewinn. All diese Faktoren haben natürlich deutliche Auswirkungen auf die Bereitschaft, statt einer Unterrichtsstunde einen Fragebogen zum Thema „Substanzgebrauch“ auszufüllen. 3. Die Fragebogengestaltung Von großer Bedeutung für die Motivation ist auch die Gestaltung des Fragebogens, seine Länge, die Verständlichkeit der verwendeten Begriffe, die Komplexität der Fragen sowie die Auswahl der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Man kann davon ausgehen, dass Unzufriedenheit über die Fragebogengestaltung die Motivation zum gewissenhaften Ausfüllen von Frage zu Frage verringert. 10 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 3.1.1 Motivation senkende und Motivation steigernde Aspekte Um einen Eindruck von der Motivation der befragten SchülerInnen beim Ausfüllen der Fragebögen zu bekommen, wurden Kommentare ausgewertet, die SchülerInnen in einem dafür vorgesehenen Feld am Ende des Fragebogens gemacht hatten. Auch Anmerkungen, die direkt zu einzelnen Fragen geschrieben worden waren, wurden in diesem Zusammenhang berücksichtigt. Die Antworten bieten interessante Einblicke, sollten aber mit Vorsicht interpretiert werden, da insgesamt nur etwa ein Viertel der befragten SchülerInnen 4 Anmerkungen formulierten, während man über die Meinung jener, die keine Anmerkungen machten, nur spekulieren kann. Es gab etwa eineinhalbmal so viele Anmerkungen, fehlende Motivation bzw. Motivation senkende Aspekte betreffend (insg. 288), als Anmerkungen über positive Motivation bzw. Motivation steigernde Aspekte (insg. 184). Die Wahl des Themas „Substanzgebrauch von Jugendlichen“ betreffend überwogen positive Aussagen, die „Fragebogengestaltung“ betreffend negative Aussagen (vgl. Tab. 2). 101 SchülerInnen gaben an, die Fragebogenuntersuchung „gut“, „cool“ bzw. „toll“ zu finden. Etwa: „ps: cooler Test“. 37 SchülerInnen schrieben in ihren Fragebogen, dass sie die Untersuchung interessant und wichtig fanden, wie z.B.: „Ich finde diesen Fragebogen wirklich sehr interessant und wichtig.“ Tab. 2: Anmerkungen im Fragebogen die Motivation der SchülerInnen betreffend Anmerkungen, die Befragung zum Thema „Substanzgebrauch von Jugendlichen“ betreffend (insg. 240) positiv (insg. 173) negativ (insg. 67) 37 toll, cool, gut, davon 23 gut, dass zu diesem 101 Thema befragt wird sinnlos/unnötig 10 gut, weil Anstoß zum Nachdenken 3 37 Thema/Untersuchung interessant und wichtig können Thema schon nicht mehr hören 2 14 froh, dass kein Unterricht stattfindet stiehlt Unterrichtszeit 12 9 Interesse an Ergebnissen sollte öfter und bei vielen gemacht werden 6 Fragen zu illegalen Drogen unnötig 14 manche Fragen zu intim/privat 5 9 4 fühlen sich angegriffen wegen negativer Medienberichterstattung Anmerkungen zur Fragebogengestaltung (insg. 238) positiv (insg. 9) negativ (insg. 229) gute Fragen 109 Fragenwiederholungen 55 zu lange 19 undeutliche, unklare Fragen 15 langweilig 7 unpassende Antwortkategorien 6 zu kompliziert 5 für Nichtkonsumenten ist wenig auszufüllen 3 Fragen sind unfair, machen Ergebnis schlecht 2 Drogenfragen kindisch 2 Aufregung über Fragenblock 52: Kampf … 2 schwer erinnerbare Inhalte (30 Tage, Anzahl Getränke) 4 sonstiges 1481 der 5679 befragten SchülerInnen haben Anmerkungen in das dafür vorgesehene Feld am Ende ihres Fragebogens geschrieben. Außerdem wurde bei 707 Fragen im Fragebogen direkt eine Anmerkung dazu geschrieben. 11 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 37 SchülerInnen vertraten hingegen die Ansicht, dass die Untersuchung sinnlos und daher unnötig sei. Z.B.: „Das geht euch normal gar nix an – ok? Die Bögen sind eh unnötig! Wieso wollt ihr das überhaupt wissen?“. 3 Weitere meinten, sie „könnten das Thema schon nicht mehr hören“. Von den 101 SchülerInnen, die angaben, die Fragebogenuntersuchung „gut“, „cool“ bzw. „toll“ zu finden, erklärten 23, dass sie es gut fänden, wenn Befragungen zu diesem Thema gemacht werden. Die Befragung könne z.B. zeigen, was Jugendliche denken, wie viel sie tatsächlich konsumieren und/oder wie leicht man an Drogen herankommt. Einige gaben an, sich als Folge der Befragung eine Widerlegung der These vom „maßlosen Alkoholkonsum Jugendlicher“ zu erhoffen, wie er zum Zeitpunkt der Untersuchung in den Medien dargestellt wurde. 10 gaben an, die Untersuchung deshalb gut zu finden, weil sie Anstoß gäbe, über sich selbst nachzudenken, wodurch man über sich selbst mehr Klarheit erfahren könne. Die übrigen 68 SchülerInnen führten nicht näher aus, warum sie Gefallen an der Untersuchung gefunden hatten. Die 37 SchülerInnen, die angaben, die Befragung sei „sinnlos“ bzw. „unnötig“, begründeten dies unter anderem damit, dass ihrer Meinung nach derartige Befragungen sowieso nichts ändern könnten, dass der Fragebogen nicht wahrheitsgemäß ausgefüllt werde oder auch, dass die Ergebnisse, wenn überhaupt, nur negative Konsequenzen haben würden. 14 SchülerInnen gaben an, sich über die Untersuchung zu freuen, da sie ihnen eine Unterrichtstunde erspare. 2 SchülerInnen gaben hingegen an, sich darüber zu ärgern, dass die Befragung ihnen Unterrichtszeit stehle. So fand sich die durchaus witzige Anmerkung: „Danke dass Sie uns unsere ‚wertvolle’ Unterrichtszeit ‚stehlen’ durch diesen Test. Wie oft machen Sie das in ihrem Leben? nie, 1-2, 10-19, 40 o. mehr“. 12 SchülerInnen bekundeten bei den Anmerkungen Interesse an den Ergebnissen der Auswertung. 9 SchülerInnen merkten an, dass die Fragebogenerhebung öfter und bei möglichst vielen SchülerInnen gemacht werden sollte. Aus den Anmerkungen von 5 SchülerInnen geht hervor, dass sie sich deshalb über die Fragebogenuntersuchung ärgerten, weil sie diese in Zusammenhang mit der Medienberichterstattung über den maßlosen Alkoholkonsum von Jugendlichen brachten und das Gefühl hatten, dass jene Personen, welche die Befragung in Auftrag gegeben hatten, ihnen den von den Medien verbreiteten, maßlosen Alkoholkonsum unterstellten. 14 Befragte gaben an, dass die Fragen zu intim bzw. zu privat wären. 6 weitere meinten schließlich, dass Fragen zu illegalen Drogen unnötig seien. Hauptsächlich negative Anmerkungen die Gestaltung des Fragebogens betreffend: Bezüglich der Fragebogengestaltung kann man aus den Anmerkungen in den Fragebögen hauptsächlich negative Kommentare herauslesen: „Es wäre vielleicht hilfreich, wenn die Fragebögen von Leuten erstellt werden würden, die sich wenigstens ein kleines bisschen auskennen“. Von 238 Anmerkungen die Fragebogengestaltung betreffend sind 9 positiv – „gute Fragen“ – und 229 negativ. 109 SchülerInnen merkten an, dass sich die Fragen wiederholten: „Nit so viel gleiche Frogn“ oder „Fragt nicht immer das Gleiche.“ 55 SchülerInnen schrieben in ihren Fragebogen, dass dieser zu lang sei. „Dieser Test ist mir zu lang.“ 19 andere meinten, dass die Fragen undeutlich oder unklar formuliert seien. „Fragen sind manchmal sehr unklar gestellt.“ 15 weitere äußerten, dass der Fragebogen langweilig wäre: „boring“. Jeweils 5-7 SchülerInnen merkten an, dass der Fragebogen unpassende Antwortkategorien beinhalte, er zu kompliziert sei, dass es für NichtkonsumentInnen wenig auszufüllen gäbe oder sie die Drogenfragen für unnötig erachten würden – „Des ganze war für Katze“. Jeweils 2-4 SchülerInnen bezeichneten die Drogenfragen als kindisch bzw. meinten, dass die Fragen so gestellt seien, dass sie das Ergebnis schlecht ma12 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik chen würden und dass teilweise schwer erinnerbare Erfahrungen erfragt würden, wie z.B. Fragen nach der Anzahl an Getränken oder solche, die sich auf die letzten 30 Tage beziehen. Außerdem beschwerten sich 2 SchülerInnen über jenen Fragenblock (opt52) , in dem unter anderem gefragt wird, wie oft in den letzten 12 Monaten ein Kampf mit einer anderen Person oder Gruppe begonnen wurde. 3.1.2 Spaßantworten und Unehrlichkeit 2 der 100 interviewten SchülerInnen, beides Burschen, gaben in ihrem Fragebogen von Anfang an immer wieder Spaßantworten, sprich absichtlich falsche, irgendwelche oder Antworten nach bestimmten Mustern, wie abwechselnd 4 und 10 oder immer das zweite Kästchen von links. Mindestens weitere 10 antworteten gegen Ende des Fragebogens, besonders bei komplexen Fragen, als die Zeit knapp wurde bzw. die meisten anderen SchülerInnen schon fertig waren, nur noch willkürlich. Es ist also durchgängig mit etwa 2% Spaßantworten, hauptsächlich von Burschen, und bei Items gegen Ende des Fragebogens mit einem deutlich höheren Anteil zu rechnen. Der in den Interviews vermittelte Eindruck, dass Spaßantworten hauptsächlich von Burschen geben werden, deckt sich mit den Ergebnissen der Haupterhebung (5964 Fragebögen). Den Konsum der fiktiven Droge Relevin (esp30f) haben dort dreimal mehr Burschen als Mädchen angegeben (vgl. dazu auch Band 1: „Forschungsbericht“). Erwähnenswert ist, dass kein/keine einzige/r SchülerIn der Validierungsstichprobe im Fragebogen Relevinkonsum angab. Die meisten der interviewten SchülerInnen behaupteten, die Fragen im Fragebogen ehrlich beantwortet zu haben. Über ihre KollegInnen meinten manche, dass diese vermutlich auch ehrliche Antworten gegeben hätten, andere wieder vermuten, dass einige ihrer KlassenkameradInnen unehrlich ausgefüllt hätten. Vor allem bei Angaben zum Konsum von illegalen Drogen meinten viele, dass oft gelogen werde. Unter den Anmerkungen in den Fragebögen finden sich sowohl Mitteilungen von SchülerInnen darüber, dass sie alle Fragen wahrheitsgemäß beantwortet hätten, als auch dahingehend, dass manche Fragen nicht wahrheitsgemäß beantwortet wurden: „Ich war ehrlich!!!“, „Ich habe aber fast immer die Wahrheit angegeben!!!“. Des Weiteren finden sich unter den Anmerkungen Vermutungen darüber, dass nicht alle Befragten Fragebögen ehrlich ausfüllen würden: „Wer würde bei Drogen schon ehrlich antworten!“ oder „Ich denke, dass viele Personen diesen Fragebogen nicht wahrheitsgemäß ausfüllen!“ 3.1.3 Wenn ehrliche Antworten einen „falschen“ Eindruck vermitteln Unter den Anmerkungen in den Fragebögen finden sich teilweise Versuche von SchülerInnen, das Bild, das der ausgefüllte Fragebogen von ihnen zeichnet, zurecht zu rücken. Sie hatten anscheinend den Eindruck, dass der wahrheitsgemäß ausgefüllte Fragebogen ein falsches Bild von ihnen vermitteln würde und wollten das klarstellen. Meist soll ein hoher Alkoholkonsum als Ausnahme erklärt werden, es gibt aber auch die umgekehrte Variante: „Normaler Weise trinke ich nur am Wochenende. Da ich aber derzeit die Berufsschule besuche, ist mein Alkoholkonsum gestiegen. Er wird sich aber nach den 10 Wochen wieder reduzieren!“ oder „Da ich von 15. – 17. Juni das „Novarock“ besucht habe, und 2 Tage später diese Fragen beantworten musste, sind meine Zahlen punkto Alkohol höher, als für gewöhnlich.“ ,aber auch „Ich habe in den letzten 30 Tagen keinen Alkohol getrunken, sonst trinke ich ca. 2 mal pro Woche 1 Bacardi und ein Bier.“ . 13 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Da nicht alle SchülerInnen zum gleichen Zeitpunkt, sondern über einen Zeitraum von mehreren Monaten befragt wurden, gleichen sich höhere Konsumangaben, beispielsweise nach Ferien oder bestimmten Events, und niedrigere Konsumangaben, wie in Prüfungszeiten, aus. Jedoch ergibt sich vermutlich eine systematische Verzerrung den Konsum von BerufsschülerInnen betreffend. BerufsschülerInnen wurden ausschließlich in den Wochen der Berufsschulzeit befragt, die sie in der Regel zusammen mit anderen SchülerInnen in Internaten verbringen. Wenn sie während dieser Phase in deutlich anderem Ausmaß Substanzen konsumieren, als in der übrigen Zeit des Jahres, die sie in den Betrieben arbeiten – wofür es Anhaltspunkte gibt – ist keine realitätsnahe Schätzung möglich. Es gibt gewisse Hinweise darauf, dass SchülerInnen den Konsum des letzten Monats bewusst falsch angaben, wenn dieser von ihrem typischen Konsum abwich, um kein falsches Bild von sich zu vermitteln. Umgekehrt berichteten SchülerInnen im Fragebogen über besonderen Konsum charakterisierende Ereignisse, die eigentlich nicht im befragten Zeitraum stattgefunden hatten, aber gerne mitgeteilt wurden. Ebenfalls einen falschen Eindruck vermitteln ehrliche Antworten, wenn die Frage nicht das erfasst, was von den FragebogengestalterInnen intendiert war. Bei Frage esp33 wird beispielsweise gefragt, wie viel Geld im letzten Monat für Alkohol, Zigaretten und Cannabis ausgegeben wurde. Aus der Sicht der FragebogengestalterInnen handelt es sich um einen indirekten Konsumindikator – man nimmt an, dass jene, die mehr ausgeben, im Wesentlichen auch mehr konsumieren. Implizit wird auch davon ausgegangen, dass konsumierte Drogen tatsächlich von den jeweiligen KonsumentInnen bezahlt werden. Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen, wie Berichte der interviewten SchülerInnen zeigen. Manche SchülerInnen gaben an, oft auf Getränke oder Zigaretten eingeladen zu werden, dass Getränke im Eintrittspreis enthalten – also aus Sicht der SchülerInnen gratis – seien, oder dass primär in Privatwohnungen und/oder auf Partys Alkohol, Zigaretten bzw. illegale Drogen konsumiert würden, wodurch bei Substanzkonsum nicht zwingend Substanzkosten anfielen: „auf Partys ist es sowieso gratis“ (Int. Nr. 84). Andere wiederum gaben hohe Ausgaben für nicht selbst konsumierte Substanzen an, weil sie oft Leute einladen, Partys organisieren oder für andere Einkäufe übernehmen würden: „für Freunde“ (Int. Nr. 28) oder „Wenn ma ane raucht, kommen d’Spezln glei alle zuwe“ (Int. Nr. 47). Wieder andere gaben der Einfachheit halber bzw. weil nicht anders möglich, die Gesamtausgaben fürs Fortgehen an: „Jedes Mal weggehen brauch ich ca. 20 Euro“ (Int. Nr. 13). 3.2 Probleme beim Verstehen der Fragen Wenn Befragte Begriffe oder ganze Fragen falsch bzw. anders verstehen, als von den Befragenden angestrebt, kann dies zu erheblichen Verzerrungen der Ergebnisse führen. Wie bereits erwähnt, kann sich das stark negativ auf die Motivation der Befragten auswirken, je nachdem, ob und in welchem Umfang die objektiven Verständnisprobleme von den Betreffenden wahrgenommen werden oder nicht. Verständnisschwierigkeiten ergaben sich im ESPAD Fragebogen vor allem als Folge von (a) unscharfen Begriffen, (b) mehrdeutigen und (c) unbekannten Begriffen, (d) bei Fragen, die aufgrund unterschiedlicher dahinter liegender Konzepte leicht missverstanden werden können, (e) bei Fragen, die aufgrund ihrer Platzierung – z.B. aufgrund eines wechselnden Zeitraums (Woche/Monat) – für Verwirrung sorgen könnten, sowie (f) bei komplexen Fragen. 14 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 3.2.1 Unscharfe Begriffe Werden in Fragebögen unscharfe Begriffe verwendet, die zwar jede Person kennt, aus denen jedoch nicht eindeutig hervorgeht, was darunter zu verstehen ist, so kann dies zum einen ärgerlich für die Befragten sein, nicht wissend, wie die Frage gemeint ist, und zum anderen zu schwer interpretierbaren Ergebnissen führen, da bei der Auswertung nicht klar ist, wie der Begriff von den Befragten verstanden wurde. Beispiele für unscharfe Begriffe, auf die einige der interviewten SchülerInnen hinwiesen, sind z.B. „Betrunkensein“, „wohlhabend sein“ oder „Schwierigkeit, Wärme und Fürsorge zu bekommen“. Sowohl in den von LehrerInnen ausgefüllten Protokollen, als auch in den Anmerkungen von SchülerInnen im Fragebogen sowie in den Interviews finden sich Forderungen dahingehend, dass der Begriff „Betrunkensein“ klarer definiert werden sollte. Wie die Interviews zeigten, wurde der Begriff des „Betrunkenseins“ von den SchülerInnen sehr unterschiedlich interpretiert (vgl. Kapitel 4.8). Unterschiedliche Interpretationen und Kritik gab es auch bei der Frage: „Wie wohlhabend ist deine Familie im Vergleich zu anderen Familien in Österreich?“ (esp39). Viele SchülerInnen waren durch diese Frage irritiert, weil ihnen nicht klar war, was genau unter „wohlhabend sein“ zu verstehen sei. Aus dem Umstand, dass 52% der 5679 SchülerInnen im Fragebogen angaben, wohlstandsmäßig dem österreichischen Durchschnitt zu entsprechen und 30% (laut Angaben) über dem Durchschnitt lagen, wird offensichtlich, dass diese Frage in vorliegender Form inhaltlich ziemlich bedeutungslos ist. Dazu kommt noch, dass einige SchülerInnen den Eindruck hatten, dass die Frage einen Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Armut unterstelle, was sie auch kritisierten. Besonders irritierend auf die Jugendlichen wirkten auch die Fragen, wie häufig man leicht Wärme und Fürsorge von Eltern bzw. Freunden bekommt (esp42e bzw. esp42i). Hierzu wurde in Fragebögen immer wieder angemerkt, dass nicht klar sei, was die Frage genau bedeuten soll. Die Vermischung von der Häufigkeit, etwas zu bekommen, mit dem Aufwand, es zu bekommen, wobei nicht einmal klar ist, was unter „Wärme und Fürsorge“ zu subsumieren ist, mutet tatsächlich recht befremdlich an. Ein durchaus mehrdeutiger Ausdruck ist auch „Alkopops“, welcher z.B. in den gesetzlichen Regelungen von Deutschland und der Schweiz recht unterschiedlich definiert wird (vgl. Uhl et al., 2009). Viele Jugendliche rechnen alles, was nicht eindeutig in die Kategorien „Wein“, „Bier“ oder „reine gebrannte Getränke“ fällt, zu den Alkopops – also beispielsweise auch Liköre, Cocktails und Radler (vgl. Kapitel 4.4). 3.2.2 Mehrdeutige Begriffe In hohem Maße mehrdeutig sind die Items „Wie schwierig wäre es deiner Meinung nach für dich, an ... heranzukommen, wenn du es möchtest?“ mit den Antwortkategorien „unmöglich“ bis „sehr leicht“ (esp6 und esp10). Unklar ist bei dieser Frage, ob es um einmaligen Konsum oder regelmäßigen Konsum geht, ob eigene Erfahrungen oder Vermutungen abgefragt werden, ob es um externe Hindernisse (z.B. zu wenig Taschengeld, keine Bezugsquellen in der Nähe, Verkäufer, die das Jugendschutzgesetz ernst nehmen, etc.) oder um innere Widerstände (Angst, gegen ein elterliches Verbot oder ein Gesetz zu verstoßen) geht bzw. ob spontane Anschaffungen (wer keinen Dealer oder Konsumenten kennt, kann sich nicht kurzfristig Drogen beschaffen) oder längerfristig planbare Beschaffungen (mit einiger Anstrengung und ohne Zeitlimit ist fast jede Person in der Lage, die notwenigen Kontakte herzustellen) gemeint sind. Da15 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik zu kommt, dass die Schwierigkeit der Beschaffung auch situationsabhängig ist. Die genannten Probleme zeichnen sich auch bei den Interviews ab: So meinte beispielsweise ein Schüler, dass es für ihn zwar kein Problem sei, in einem Lokal an Alkohol zu kommen, in einem Geschäft sei es jedoch schwierig für ihn, weil dort regelmäßig nach einem Ausweis gefragt werde. Eine Schülerin meinte, dass sie zwar keine Zigaretten bei einem Automaten kaufen könne – da sie noch unter 16 sei – aber in Trafiken wäre es für sie kein Problem, da sie alt genug aussehe. Das Problem mit dieser Frage manifestiert sich deutlich im Antwortverhalten. So gaben rund 4% der ab 16-jährigen SchülerInnen an, dass es für sie „unmöglich“, „sehr schwierig“ oder „ziemlich schwierig“ sei, an Zigaretten zu kommen, während über 6% angaben, das nicht beurteilen zu können – und das in einem Land, wo Jugendliche bereits ab 16 Jahren Zigaretten legal in Trafiken und von Automaten erwerben können (vgl. Band 4, „Kreuztabellen“). Sehr unterschiedlich verstanden wurde auch der Ausdruck „Trinkgelegenheit“ 5. Bei Fragen nach der Anzahl an Trinkgelegenheiten wurden unterschiedliche Angaben gemacht: Manche SchülerInnen gaben die Anzahl jener Ereignisse an, bei denen getrunken wurde, andere die Anzahl an getrunkenen Getränken und wieder andere lediglich Gelegenheiten, bei denen die Möglichkeit gegeben war, alkoholische Getränke zu konsumieren. Letztlich wurde bei dieser Frage auch die Anzahl an Getränken, die gelegentlich (also nicht üblicherweise) getrunken wurden, angegeben (vgl. Kapitel 4.5). Große Probleme ergaben sich auch in Zusammenhang mit dem Ausdruck „Amphetamine/Aufputschmittel“. Der Begriff „Amphetamine“ war vielen SchülerInnen nicht bekannt und unter den Ausdruck „Aufputschmittel“ haben viele Befragte auch koffeinhaltige Stimulantien, wie „Red Bull“, subsumiert (vgl. Kapitel 4.2). Auch der Ausdruck „Trinktag“ wurde auf unterschiedlich aufgefasst. Von manchen Personen wurde der Ausdruck, wie intendiert, als „Tag“ verstanden, „an dem Alkohol konsumiert wurde“, von anderen jedoch als „Tag, an dem besonders viel getrunken wurde“. „Trinken“ wird eben umgangssprachlich oft als „exzessiver Alkoholkonsum“ interpretiert und „Trinker“ mit „Alkoholiker“ übersetzt (vgl. Kapitel 4.6). 3.2.3 Unbekannte Begriffe Zu den Ausdrücken, die einigen SchülerInnen zum Zeitpunkt der Befragung unbekannt waren, zählen z.B. „Cannabis“, „Crack“, „High werden durch Schnüffeln“, „Tranquilizer“, „Sedativa“ und „Fachhochschule“. Nicht verstandene Ausdrücke haben bei manchen Fragen wenig Einfluss auf das Ergebnis – wer aus dem Kontext ableitet, dass Cannabis, Crack etc. illegale Drogen sind und noch nie solche genommen hat, kann korrekt angeben, diese Substanzen noch nicht konsumiert zu haben. Bei anderen Ausdrücken kann derartiges Missverstehen jedoch erheblichen Einfluss auf das Ergebnis haben, verdeutlicht dadurch, dass ein Teil der SchülerInnen „High werden durch Schnüffeln“ als „einmaliges an einem Kleber riechen“ missverstand, weswegen die Prävalenz dieses Phänomens unrealistisch hoch ausfiel (vgl. Kapitel 4.1). Unbekannt war vielen SchülerInnen der Begriff „Fachhochschule“, was sich insofern stark auswirkte, als der Begriff in der Folge des öfteren mit „Fachschule“ verwechselt wurde (vgl. Kapitel 4.10). 5 Der Originalausdruck „Drinking Occasion“ ist auch im Englischen uneindeutig, weil nicht klar ist, wann eine „Drinking Occasion“ endet und wann eine neue beginnt . In der deutschen Übersetzung „Trinkgelegenheit“ kommt erschwerend dazu, dass „Gelegenheit“ auch eine Möglichkeit umschreibt, die in Folge nicht genutzt wird. 16 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 3.2.4 Fragen, die aufgrund unterschiedlicher dahinter liegender Konzepte leicht missverstanden werden können Ein Beispiel für Fragen, die aufgrund unterschiedlicher dahinter liegender Konzepte leicht missverstanden werden können, ist das sogenannte „Einstiegsalter“. Die meisten Menschen haben keine konkrete Vorstellung darüber, was das erste mal Zigarettenrauchen oder das erste mal Alkoholtrinken bedeutet. Bei manchen ist es bloßes Kosten (z.B. einmal bei einer Zigarette des Vaters anziehen oder einen Schluck Bier probieren), bei anderen der erste relevante Konsum (z.B. eine ganze Zigarette rauchen oder ein ganzes Glas Wein trinken) und bei wieder anderen der Beginn des üblichen Konsums (also der Zeitpunkt, von dem an mehr oder weniger regelmäßig Nikotin oder Alkohol konsumiert wurde). Um zu verhindern, dass bloßer Probierkonsum erfasst wird, wurde bei den Fragen nach dem Erstkonsum (esp9a, esp19a bis esp19d) explizit nach dem „ersten ganzen Glas“ und der „ersten ganzen Zigarette“ gefragt. Wie sich bei der Validierungsstudie zeigte, waren viele SchülerInnen nicht bereit, ihre fixen Vorstellungen vom „Erstkonsum“ zu ändern bzw. merkten nicht, dass im Fragebogen eine Präzisierung stattfindet, welche die Bedeutung fundamental ändert (vgl. Kapitel 4.3). 3.2.5 Missverstehen aufgrund der Platzierung Da für das Lesen der Fragen nur wenig Zeit zur Verfügung stand, wurden viele Fragen nur oberflächlich gelesen, wodurch Änderungen der Referenzzeiträume oft nicht auffielen. So wird z.B. bei Frage opt48 nach dem Alkoholkonsum der letzten 30 Tage gefragt, unmittelbar danach fünfmal nach dem Konsum der letzten 7 Tage und danach das Zeitfenster wieder auf 30 Tage ausgeweitet –zahlreiche SchülerInnen haben diese Veränderungen nicht bemerkt und damit auch nicht berücksichtigt (vgl. Kapitel. 4.7). Ähnliche Verständnisprobleme ergaben sich bei den aufeinander folgenden Fragen opt54b und opt54c. Bei diesen wird zuerst nach der Häufigkeit von Gedanken an Selbstverletzung gefragt, und danach nach der Häufigkeit von Selbstmordversuchen. Bei den Interviews der Validierungsstudie zeigte sich sowohl ein Missverstehen der Frage opt54b in Richtung tatsächlich getätigte Selbstverletzungen, als auch ein Missverstehen der Frage opt54c in Richtung Selbstmordgedanken (vgl. Kapitel 4.9). 3.2.6 Komplexität der Fragen Das Paradebeispiel für eine komplexe Fragestellung ist die Frage nach der durchschnittlichen Anzahl von Drinks an Trinktagen in den letzten 30 Tagen (opt50). Hier mussten die SchülerInnen sowohl die Anzahl der getrunkenen alkoholischen Getränke als auch die Tage, an denen sie alkoholische Getränke konsumiert hatten, erinnern, und dann daraus ihren Durchschnittskonsum errechnen. Die Frage wurde zudem gegen Ende des Fragebogens gestellt, also zu einem Zeitpunkt, an dem Konzentration und Motivation der SchülerInnen wahrscheinlich weitaus geringer ist als zu Beginn der Befragung. Bei dieser Frage gaben die SchülerInnen teilweise enorm hohe Werte an, die unmöglich dem Durchschnittskonsum entsprechen können. Wie oft und auf welche Art und Weise diese Frage missverstanden wurde, kann in Kapitel 4.7 nachgelesen werden. 17 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Ein weiteres Beispiel für eine komplexe Fragestellung stellt der Fragenblock zum letzten Trinktag (esp14) dar. Hier wurden SchülerInnen aufgefordert, Art und Menge der am letzten Trinktag konsumierten Getränke anzugeben. Der Aufbau dieser Frage ließ einige SchülerInnen die Frage so verstehen, dass nicht das Ausmaß der getrunkenen Getränke am letzten Trinktag, sondern für jede Getränkekategorie die zuletzt konsumierte Menge (also nicht unbedingt jene des letzten Trinktages) anzugeben wäre. In welchem Ausmaß und auf welche unterschiedliche Arten die Frage nach dem letzten Trinktag missverstanden wurde, kann in Kapitel 4.6 nachgelesen werden. 3.3 Probleme mit dem Inhalt 3.3.1 Erinnerungsschwierigkeiten Manche Fragen verlangen eine enorme und präzise Erinnerungsfähigkeit der Befragten. Vor allem bei Items, die nach dem Ausmaß getrunkener Getränke in einem bestimmten Zeitraum (esp14, opt50) oder dem Alter des Erstkonsums fragten (esp11), aber auch bei der Frage nach dem für Alkohol, Zigaretten und Cannabis ausgegebenen Geld in den letzten 30 Tagen (esp33) wurde von den Befragten ein detailliertes Wissen abverlangt, das für die meisten nicht mehr abrufbar war. SchülerInnen, die viel und häufig konsumierten oder bei denen der Erstkonsum schon länger zurück lag, viel das Erinnern der abgefragten Ereignisse schwerer, als SchülerInnen, die selten und wenig konsumierten. Wenn abgefragte Ereignisse nicht ausreichend erinnerbar waren oder es große Anstrengungen erfordert hätte, sich diese in Erinnerung zu rufen, gaben SchülerInnen meist eher grobe Schätzungen an. Besonders bei den Fragen esp11, esp14 und esp17 wurde bevorzugt geschätzt als erinnert, umgerechnet und zusammengezählt. Das Alter beim Erstkonsum wurde teils erinnert, teils geschätzt. Auf die Frage, ob Angaben wirklich erinnert, umgerechnet und zusammengezählt wurden, kamen in den Interviews Antworten wie „Das wäre ja viel zu mathematisch.“ (Int. Nr. 13), „Wird schon ungefähr passen.“ (Int. Nr. 87) oder „Hab mich ja nicht vorbereiten können. Wenn ich gewusst hätte, dass ich interviewt werde, hätte ich einen Zettel mitgenommen und mitgeschrieben.“ (Int. Nr. 87). Große Probleme ergaben sich auch bei Fragen nach konsumierten Standardeinheiten alkoholischer Getränke, in erster Linie dann, wenn SchülerInnen keine üblichen Getränkeeinheiten, sondern bei anderen mittranken, sich Getränke teilten, aus Kübeln oder im Park bzw. auf Parties selbst gemischte Getränke gemeinsam aus einer Flasche tranken, oder aus mit unterschiedlichen Mengen abgefüllten Pappbechern. Zum Umrechnen in Standardeinheiten meinte ein/e SchülerIn im Interview: „Is schwer, wenn man einen Kübel teilt“ (Int. Nr. 74). Fragen, bei denen sich SchülerInnen nur schwer erinnern konnten und deshalb schätzen mussten, verzerren nicht nur das Ergebnis, sondern es ist auch davon auszugehen, dass sich dies negativ auf die Motivation der Befragten auswirkte. Zu Problemen aufgrund mangelnden Wissens und mangelnder Erinnerung siehe auch Kapitel 4.7 und 4.3. 18 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 3.3.2 Mangelndes Wissen zum Befragungsgegenstand Viele SchülerInnen sind über den genauen Schulabschluss ihrer Eltern nicht informiert (vgl. Kapitel 4.10) und haben keine Vorstellungen über das elterliche Einkommen oder das Durchschnittseinkommen der ÖsterreicherInnen. Fragen diese Inhalte betreffend können daher unmöglich sinnvolle Ergebnisse produzieren. Viele Personen haben keine konkreten Vorstellungen von Drogeneffekten sowie von Drogengefahren und/oder können nicht zwischen unterschiedlichen Arten illegaler Drogen unterscheiden. Diese Personen detailliert zu unterschiedlichen Substanzen zu befragen, bewirkt, dass die Betreffenden ermüden und das Gefühl entwickeln, immer das Gleiche gefragt zu werden. Erklärt man wichtige Details oder fragt man Themen nur ganze global ab, so sind jene, die sich detailliert auskennen, verwundert bzw. zweifeln die Kompetenz der beteiligten ForscherInnen an (vgl. Kapitel 5). 3.4 Problematische Antwortkategorien Der ESPAD Fragebogen beinhaltet Fragen, die klar formuliert sind, von den SchülerInnen richtig verstanden wurden, bei denen eine ursprüngliche Motivation zur Beantwortung vorhanden war und zu deren Beantwortung genügend Wissen bzw. Erinnerung vorhanden war. Trotzdem kann es bei der Beantwortung dieser Fragen zu Komplikationen kommen, weil die vorgegebenen Antwortkategorien unvollständig, uneindeutig oder inadäquat sind. Auch wenn man sich sehr bemüht, einen Fragebogen optimal zu gestalten, kommt es immer wieder zu unvollständigen, uneindeutigen und inadäquaten Antwortkategorien. Manche Probleme sind durch umfassende Vortestungen auffind- und behebbar, andere Probleme jedoch werden auch bei Vortestungen kaum entdeckt, weil sie nur bei wenigen Personen manifest werden. Bei anderen Fragen sind infolge der Komplexität des zu erfassenden Bereichs Kompromisse notwendig, die zwar rasch als suboptimal auszumachen sind, für die sich aber keine optimale Lösung anbietet. Ein in letzterem Zusammenhang zu erwähnendes Problem ist die Quantifizierung der Alkoholkonsummenge, -art und -frequenz. Hier ist wünschenswerte Präzision aus den bereits genannten Gründen nicht möglich – darauf vollständig zu verzichten kommt bei einer Erhebung zum Thema „Substanzkonsum“ aber natürlich auch nicht in Frage (vgl. Kapitel 4.4). Eine bezüglich des Substanzkonsum bloß untergeordnete Frage, die von vielen SchülerInnen als besonders unangenehm empfunden wurde, ist die Frage nach dem Schulabschluss der Eltern. Hier führte nicht nur der Umstand, dass viele SchülerInnen den genauen Schulabschluss ihrer Eltern nicht kannten, sondern zusätzlich die Tatsache, dass die Kategorien zu wenig detailliert – also unvollständig – waren, zu Frustration. Die unterste Stufe war „kein Abschluss oder Hauptschulabschluss“, die nächst höhere Stufe „höhere Schule“ und die dritte und letzte Kategorie „Universität oder Akademie“ (vgl. Kapitel 4.10). Deutliche Probleme mit Antwortkategorien gab es auch bei Fragen, deren Beantwortung vom Fragebogendesign für alle SchülerInnen vorgesehen war, von diesen allerdings inhaltlich nicht korrekt beantwortet werden konnten, da sie Drogenkonsum unterstellten und keine Möglichkeit boten, anzugeben, dass diese Drogen nicht konsumiert wurden. Das war beispielsweise bei den Fragen „Wie oft hattest du aufgrund deines Drogenkonsums in den letzten 12 Monaten eines der folgenden Probleme?“ (esp32) und „Wenn du Cannabis konsumierst, wie wahrscheinlich ist es, dass dir folgende Dinge passieren?“ (opt47, siehe Abb. 2) der Fall. 19 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Letztere Frage war ausdrücklich für alle Personen vorgesehen und sollte bei jenen, die über keine Erfahrungen mit Cannabiskonsum verfügen, deren Wirkungs- und Auswirkungserwartungen erfassen. Was dabei nicht beachtet wurde ist, dass das Wort „wenn“ anders als das Wort „falls“ nicht den Konjunktiv sondern den Indikativ anzeigt, und dass „ist es“ statt „glaubst du“ bei der Fragenformulierung verwendet wurde. Aber selbst wenn man die Frage für Cannabisunerfahrene entsprechend anders formuliert hätte, bliebe das Faktum bestehen, dass viele cannabisunerfahrene SchülerInnen keine konkreten Erfahrungen zur Wirkung und Auswirkung von Cannabis haben, und für diese eine Kategorie „weiß nicht/keine Meinung“ vorgesehen werden müsste. Bezüglich der letztgenannten Frage gab es zahlreiche Anmerkungen von LehrerInnen und SchülerInnen die Nicht-Beantwortbarkeit der Frage bei Nicht-Konsum betonend. Die betroffenen SchülerInnen reagierten auf diese Problematik sehr unterschiedlich. Teilweise blieb diese Frage unbeantwortet – mitunter wurde neben der Frage im Fragebogen angemerkt, dass sie kein Cannabis konsumiert hätten –, teilweise wurden Kästchen mit der Antwortkategorie „nehme keines“ angelegt und angekreuzt oder die vorhandene Kategorie „keinesfalls“ angekreuzt. Aus der Validierungsstudie und Fragebogenkommentaren geht hervor, dass in diesen Fällen „keinesfalls“ im Sinne von „Das wird bei mir keinesfalls auftreten, weil ich nicht vorhabe, Cannabis zu konsumieren!“ zu interpretieren ist. Abb. 2: opt47 47. Wenn du Cannabis konsumierst, wie wahrscheinlich ist es, dass dir folgende Dinge passieren? keinesfalls wahrscheinlich vielleicht Kreuze in jeder Zeile ein Kästchen an. nicht a) Ich nehme Dinge intensiver wahr ziemlich wahrscheinlich ganz sicher b) Ich kann einer Unterhaltung nicht mehr länger richtig folgen c) Ich verliere schneller den roten Faden d) Ich bin nicht mehr so schüchtern e) Ich habe Schwierigkeiten mich zu konzentrieren f) Ich gehe eher aus mir heraus g) Ich kann den Moment intensiver genießen h) Ich empfinde meine Gefühle intensiver i) Ich bin weniger gehemmt j) Ich habe das Gefühl, dass Menschen gegen mich sind oder mich verfolgen 20 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 4 Ausgewählte Schwerpunkte 4.1 Schnüffeln oder einmal am Uhu riechen Unter „Schnüffeln“ versteht man im Allgemeinen das bewusste Inhalieren von Dämpfen, Aerosolen, Gasen und ähnlichen flüchtigen Stoffen, um eine berauschende Wirkung zu erzielen. „Sehr oft bilden organische Lösungsmittel die Basis dieser flüchtigen Stoffe. Auch ursprünglich medizinisch verwendete Narkosemittel wie Lachgas, Chloroform oder Äther und Arzneimittel, wie das bei Herzkrankheiten eingesetzte Amylnitrit (in der Szene „Poppers“ genannt), zählen zu den Schnüffelstoffen. Obwohl diese verschiedenen Stoffe chemisch unterschiedlich strukturiert sind und auch anders wirken, werden sie auf ein und dieselbe Art konsumiert. Die Dämpfe werden beim Schnüffeln oder Inhalieren nicht einfach eingeatmet, sondern in tiefen Atemzügen durch Mund und Nase in die Lunge eingezogen. Das bloße Einatmen von flüchtigen Lösungsmitteln aus der Umwelt, etwa am Arbeitsplatz, wird deshalb nicht unter den Begriff des Schnüffelns gefasst. ... Viele Schnüffelstoffe sind in Hunderten von Produkten enthalten, die im Handel frei käuflich und somit für alle leicht zugänglich sind.“ (sfa/ispa 2005) Im österreichischen ESPAD Fragebogen wird bei drei Fragen nach dem „Schnüffeln um „high“ zu werden (z.B. Klebstoff, Lack oder Feuerzeuggas)“ gefragt. Und zwar einmal danach wie schwierig es eingeschätzt wird an Substanzen zum Schnüffeln heranzukommen (vgl. Abb. 3), einmal nach der Anzahl der Gelegenheiten, bei denen bereits Substanzen geschnüffelt wurden um „high“ zu werden (vgl. Abb. 4) und einmal nach dem Alter, in dem zum ersten Mal geschnüffelt wurde (vgl. Abb. 5). Im Zuge der ESPAD Erhebung von 2003 wurden wir damit konfrontiert, dass 15% der Befragten Erfahrungen mit Schnüffeln angegeben hatten. Diese Prävalenz erschien uns verdächtig hoch. Unsere Vermutung war, dass die hohe Prävalenz darauf zurückzuführen sein könnte, dass vielen SchülerInnen das Konzept „Schnüffeln um high zu werden“ gar nicht geläufig ist. Aus diesem Grund wurde die Überprüfung dieser Fragestellung in die qualitative Erhebung aufgenommen. Befremdlich in diesem Zusammenhang war auch, dass bei Substanzen, mit denen Kinder bereits im Kindergarten konfrontiert werden und welche von diesen problemlos in unterschiedlichsten Geschäften erworben werden können, 18% angaben, dass es „unmöglich“ oder „sehr schwierig“ für sie sei, an diese heranzukommen, und dass weitere 20% angaben, dies nicht abschätzen zu können! Es kann davon ausgegangen werden, dass nahezu alle Kinder und Jugendlichen in der Schule irgendwann an Klebstoffen riechen, in Tankstellen Benzingeruch wahrnehmen, bei Reparaturarbeiten im Haushalt mit Lösungsmitteldämpfen Erfahrungen machen usw., ohne davon merklich beeinträchtigt zu werden. Wer ohne Rauschabsicht und ohne etwas Relevantes zu spüren an Schnüffelstoffen riecht, kann nicht als „schnüffelerfahren“ bezeichnet werden. Auch wenn jemand davon gehört hatte, dass man vom Einatmen von Schnüffelstoffen „high“ werden kann und einmal kurz neugierig an einer volatilen Substanz roch – also einen für Rauschzwecke untauglichen Schnüffelversuch unternahm – kann man eigentlich nicht von „Schnüffeln“ reden. Abb. 3: esp27d 27. Wie schwierig ist es deiner Meinung nach für dich, an eine der folgenden Substanzen heranzukommen, wenn du es möchtest? sehr ziemlich unziemlich sehr schwieschwieKreuze in jeder Zeile ein Kästchen an. möglich leicht leicht rig rig d) Substanzen zum Schnüffeln 1 2 3 4 5 (z.B. Klebstoff, Lack, Feuerzeuggas) 21 weiß nicht 6 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Abb. 4: esp29 29. Wie oft (wenn überhaupt) hast du Substanzen (z.B. Klebstoff, Lack, Feuerzeuggas) geschnüffelt um „high“ zu werden? Anzahl der Gelegenheiten 0 1-2 3-5 6-9 10-19 20-39 40 oder Kreuze in jeder Zeile ein Kästchen an. öfter a) in deinem ganzen Leben b) während der letzten 12 Monate c) während der letzten 30 Tage mit 13 Jahren mit 14 Jahren mit 15 Jahren mit 16 Jahren oder älter Abb. 5: esp31d 31. Wann (wenn überhaupt) hast du Folgendes zum ersten Mal getan? mit 9 Jahren mit 10 mit 11 mit 12 Kreuze in jeder Zeile nie oder Jahren Jahren Jahren ein Kästchen an. jünger d) geschnüffelt, um „high“ zu werden (z.B. Klebstoff, Lack, Feuerzeuggas) Wir fragten die SchülerInnen im Rahmen der Validierungsinterviews also zunächst, welche Antwort sie im Fragebogen auf die Frage nach dem Alter beim ersten Schnüffeln (Frage esp31d, vgl. Abb. 5) gegeben hatten. Zu betonen ist hier, dass die SchülerInnen zwar im Bogen nachsehen konnten, wie sie geantwortet hatten, die InterviewerInnen hingegen erst nach Abschluss des Interviews deren Bögen einsehen konnten und somit erst im Zuge der Auswertung die Richtigkeit der Angaben überprüfen konnten. Jene SchülerInnen, die im Interview behaupteten, im Fragebogen „nie“ angekreuzt zu haben, wurden gefragt, was sie sich unter „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ konkret vorstellen würden. SchülerInnen, die während des Interviews berichteten, im Fragebogen bei der Frage nach dem Alter beim Erstkonsum Schnüffelerfahrungen angegeben zu haben, baten wir, diese Erfahrungen zu präzisieren. So wollten wir herausfinden, ob es sich dabei tatsächlich um „Schnüffeln“ im intendierten Sinn handelte, oder ob auch der unbeabsichtigte Kontakt mit „Schnüffelstoffen“ – z.B. beim Basteln – bzw. das bloße Riechen an diesen als „Schnüffeln“ interpretiert wurde. Außerdem wurde bei der Auswertung der Fragebogenergebnisse insgesamt (vgl. Tab. 3) und die Validierungsstichprobe betreffend (vgl. Tab. 4) die Konsistenz der Antworten auf die beiden Schnüffelfragen esp29 (Anzahl der Gelegenheiten) und esp31d (Alter beim ersten Schnüffeln) überprüft. Wie man Tab. 3 entnehmen kann, gaben in der Gesamtstichprobe der schriftlichen Befragung 2007 14,4% der SchülerInnen an, bereits geschnüffelt zu haben (Frage esp29), aber unmittelbar danach, bei esp31d, nur mehr 11,2%. Die für die niederösterreichischen und Wiener SchülerInnen, aus denen die Validierungsstichprobe gezogen wurde, entsprechenden Prozentsätze waren 11,6% bzw. 9,8% und bei den 100 SchülerInnen der Validierungsstichprobe 13% bzw. 10%. Unter Umständen erklärt sich diese Abnahme damit, dass in der Frage esp31d nach dem Einstiegsalter gefragt wurde und einigen SchülerInnen dadurch klar wurde, dass es hier nicht um bloßes Riechen, sondern um relevanten Substanzkonsum geht. Denkbar ist auch, dass der Begriff „Gelegenheit“ 6 dazu verleitete, auch Situationen einzuschließen, in denen man konsumieren hätte können, dies aber nicht getan hatte – eine Option, die sich bei der Frage nach dem Einstiegsalter nicht anbietet. 6 Der Originalausdruck „Drinking Occasion“ ist auch im Englischen uneindeutig, weil nicht klar ist, wann eine „Drinking Occasion“ endet und eine neue beginnt . In der Deutschen Übersetzung „Trinkgelegenheit“ kommt erschwerend dazu, dass „Gelegenheit“ auch eine Möglichkeit umschreibt, die nicht genutzt wird. 22 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Tab. 3: Inkonsistenz der Fragen zum Schnüffeln (esp29 und esp31d) Fragebogen gesamt (n= 5679) Frage nach Alter beim erstmaligen Schnüffeln (esp31d) 11,2% Frage nach Anzahl Gelegenheiten zu Schnüffeln (esp29) 14,4% Fragebogen W & NÖ (n=1814) 9,8% 11,6% Interviews (n=100) 10 % 13 % Stichprobe Besonders interessant sind die diesbezüglichen Ergebnisse aus den Validierungsinterviews. Wie man Tab. 3 entnehmen kann, gaben bei Frage esp29 13 Personen an, bereits geschnüffelt zu haben. 3 von diesen gaben bei Frage esp31d allerdings „nie“ an, berichteten auch im Validierungsinterview korrekterweise, bei Frage esp31d „nie“ angegeben zu haben, und wurden daher von uns nicht über die Art ihrer Schnüffelerfahrungen sondern darüber, was sie unter „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ verstehen, befragt. Eine dieser 3 Personen beschrieb das Konzept „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ so, dass davon ausgegangen werden kann, dass sie dieses, der Intention der FragebogenerstellerInnen entsprechend, verstanden hat. Eine andere Person erklärte, die Frage nach einem Probieren des Schnüffelns an Klebstoff oder Lack mit der Wirkung einer Berauschung für wenige Sekunden in Bezug gesetzt zu haben. Die dritte Person wollte uns zuerst nicht sagen, wie sie die Frage im Fragebogen beantwortet hatte. Sie wies uns aber daraufhin, dass sie bei Frage esp27d (siehe Abb. 3) „ziemlich leicht“ angekreuzt und bei Frage esp29 (siehe Abb. 4) ihre Antwort von 0 auf 1-2x korrigiert gehabt hatte. Sie erklärte, dass sie einmal probiert hätte, an Klebstoff zu schnüffeln. Sie wisse nicht mehr welcher das war, meinte aber, es hätte sich um eine Wette in der Unterstufe gehandelt. Sie habe dabei keine Wirkung verspürt gehabt. 4 weitere Personen hatten bei den Fragen esp29 und esp31d zwar konsistent angegeben geschnüffelt zu haben, behaupteten jedoch im Validierungsinterview, bei Frage esp31d im Fragebogen, „nie“ angekreuzt zu haben. Auch diese wurden daher von uns nicht über die Art ihrer Schnüffelerfahrungen sondern darüber, was sie unter „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ verstehen, befragt. Eine der vier Personen meinte, keine Vorstellung von „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ zu haben und nie etwas in diese Richtung probiert zu haben. Eine weitere erklärte, dass sie unter „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ das absichtliche Schnüffeln größerer Mengen mit dem Ziel der Berauschung verstünde. Eine andere behauptete zu wissen, um was es bei der Frage nach dem Schnüffeln geht, dies aber nicht zu tun. Bei der vierten Person blieb im Interview unklar, was sie unter „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ verstand. Die übrigen 6 Personen hatten bei den Fragen esp29 und esp31d konsistent angegeben, geschnüffelt zu haben und das auch im Validierungsinterview bestätigt. Bei 5 dieser 6 Personen stellte sich allerdings heraus, dass es sich bloß um Riechen ohne Berauschungsabsicht und ohne dass dabei eine Wirkung aufgetreten wäre, gehandelt hatte: Eine/r der SchülerInnen hatte sich aus Langeweile einen Uhu gekauft und einmal daran gerochen, aber keine Wirkung verspürt. Ein/e andere/r hatte ebenfalls probiert, an einem Uhu zu riechen, und ebenso keine Wirkung verspürt. Eine/r hatte an einer Lackdose gerochen, weil er/sie den Geruch mochte, dabei aber keine Wirkung verspürt und ein/e weitere/r hatte beim Basteln einen Uhu verwendet, ohne extra daran gerochen zu haben. Die letzte der 5 Personen machte zu wenige konkrete Angaben, um daraus klare Schlüsse ziehen zu können. Sie meinte nur, es mit Klebstoff probiert zu haben, und dass es lustig gewesen sei (vgl. Tab. 4). Bei einer dieser 6 Personen erwies sich, dass es sich ebenfalls um bloßes Riechen handelte, allerdings eventuell mit einer inadäquat umgesetzten Berauschungsabsicht: Die Person gab an, bloß 1-2 Mal an einem kleinen Feuerzeug gerochen zu haben, um einen Rausch zu erleben, und davon ungefähr 10 Minuten völlig weggetreten gewesen zu sein, was allerdings stark zu bezweifeln ist. (vgl. Tab. 4). 23 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Tab. 4: Lebenszeitprävalenz Schnüffeln (esp29 und esp31d) 13 von 100 FB esp29 tatsächlich FB esp31d tatsächlich FB esp31d angeblich laut Validierungsinterview Ergebnis laut Validierungsinterview 3 davon geschnüffelt nie geschnüffelt nie geschnüffelt ? 4 davon geschnüffelt geschnüffelt nie geschnüffelt ? 5 davon geschnüffelt geschnüffelt geschnüffelt riechen ohne Rauschabsicht 1 davon geschnüffelt geschnüffelt geschnüffelt riechen mit Rauschabsicht Über jene 13 der 100 in der Validierungsstudie erfassten SchülerInnen, die bei Frage esp29 „Schnüffelerfahrung“ angegeben hatten, lässt sich zusammenfassend Folgendes sagen: Bei 7 dieser Personen wurde die Schnüffelerfahrung teilweise bereits bei Frage esp31d und teilweise im Interview nicht mehr bestätigt. Man kann bei diesen Fällen nicht ausschließen, dass tatsächlich Schnüffelerfahrung vorliegt, naheliegend ist allerdings, dass den Betreffenden in der Mehrzahl der Fälle während des Ausfüllens des Fragebogens bzw. im Interview klar wurde, dass was immer sie getan hatten, nicht als „Schnüffeln“ sondern bloß als „Riechen an volatilen Stoffen“ zu werten ist. Bei den 6 Personen, die sich durchgängig als „schnüffelerfahren“ dargestellt hatten, ist in 5 Fällen auszuschließen, dass es sich um Schnüffeln im intendierten Sinn gehandelt hatte während man dies im letzten Fall, zumindest mit großer Wahrscheinlichkeit, ausschließen kann. Beim letzteren Fall kann die Beschreibung des Schnüffelereignisses zwar nicht als Schnüffeln, aber zumindest als eine Art „Probieren mit Berauschungsabsicht“ gewertet werden. Jene 94 SchülerInnen, die im Validierungsinterview keine Schnüffelerfahrungen angegeben hatten, wurden gefragt, was sie unter „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ verstehen, bei den 6 anderen ergab sich deren diesbezügliches Konzept im Rahmen der Beschreibung des Schnüffelereignisses. 42 der 100 SchülerInnen beschrieben „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ so, dass man annehmen kann, dass ihr Konzept mit jenem der FragebogenautorInnen vereinbar ist. Bei 27 anderen war nicht eindeutig entscheidbar, ob ihnen das Konzept hinreichend klar war oder nicht. 31 Jugendlichen schien das Konzept völlig unklar. SchülerInnen, die adäquate Vorstellungen von „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ hatten, erklärten das teilweise damit, dass sie davon im Unterricht – etwa in Englisch oder Religion –, durch Dokumentarfilme oder aber privat im Fernsehen, z.B. über die TV Serie „Eine himmlische Familie“, erfahren hatten. SchülerInnen, für die der Begriff „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ unklar war, gaben das in der Regel auch explizit an. Bei einigen ergab sich die Unklarheit aus der Antwort: z.B. „Kokain schnüffeln“ (Int. Nr. 21). Angesichts des Umstandes, dass der überwiegende Anteil der berichteten „Schnüffelerlebnisse“ in Österreich als sogenannte „false positives“ zu werten ist, sprich als Erfahrungen (wie unabsichtliches Riechen von volatilen Substanzen) ohne Berauschungsmotive zu werten sind, können internationale Vergleiche der Schnüffelprävalenzraten, wie das in den ESPAD Berichten (z.B. Hibell et al. 2009) geboten wird, nicht sinnvoll interpretiert werden. Man kann durchaus vermuten, dass in Ländern, wo die reale Schnüffelprävalenz besonders hoch und in der Folge das gesellschaftliche Wissen über das Phänomen ausgeprägter ist (direkte und indirekte Erfahrungen sowie verstärkte Medienberichterstattung), die „false positive“-Rate erheblich niedriger ausfällt. Das könnte paradoxerweise darauf hinweisen, dass sich hohe Prävalenzraten bei Bevölkerungsbefragungen als Indikator für niedrige, tatsächliche Prävalenzraten erweisen – und umgekehrt. 4.2 Red Bull ein Aufputschmittel? Im ESPAD Fragebogen wurde zweimal nach dem Konsum von „Aufputschmitteln/Amphetaminen (z.B. Speed, Pep)“ (esp30a, esp31a), einmal nach der Schwierigkeit, an 24 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik diese heranzukommen (esp27a) und zweimal nach deren vermuteten Gefährlichkeit (esp36k und esp36l) gefragt. Da die ESPAD Erhebung 2003 keine unmittelbar auffallend hohen Zahlen zum Amphetaminkonsum ergeben und sich auch in der Anfangsphase der Erhebung 2007 keine Hinweise auf Missverständnisse gezeigt hatten, waren die entsprechenden Fragen nicht als Inhalte für die Validierungsinterviews vorgesehen. Es war den AutorInnen des ESPADFragebogens bewusst, dass der Begriff „Aufputschmittel“ mehr umfasst als dies der Begriff „Amphetamin“ oder die Szeneausdrücke „Speed“ und „Pep“ tun, aber da davon ausgegangen wurde, dass ein großer Teil der SchülerInnen weder mit dem Ausdruck „Amphetamin“ noch mit den Bezeichnungen „Speed“ und „Pep“ etwas anfangen können, wurde beschlossen, in der deutschsprachigen Version ergänzend den allgemein verständlichen Ausdruck „Aufputschmittel“ zu verwenden 7. Im europäischen Vergleich liegt Österreich bezüglich Amphetaminkonsum in der ESPAD Erhebung 2007 klar an der Spitze (vgl. Hibell et al. 2009), wobei sich der Amphetaminkonsum in Österreich seit der Erhebung 2003, laut ESPAD Ergebnis, mehr als verdoppelt hat. Bei der ESPAD Erhebung 2007 gaben 7,9% an, schon mindestens einmal Amphetamine konsumiert zu haben (esp30a) und 7,7% gaben ein Alter an, in dem sie Amphetamine zum ersten Mal konsumiert hätten (esp31a). Den mindestens einmaligen Konsum von Amphetaminen hatten bei der ESPAD 2003 nur 4,5% der befragten SchülerInnen angegeben, das Erstkonsumalter damals 2,9% der Befragten. Tab. 5: Auswirkung von LehrerInnenkommentaren anhand des Beispiels ‚Red Bull als Aufputschmittel’ Wie oft in deinem Leben (wenn überhaupt) hast du eine der folgenden Drogen genommen? Aufputschmittel/Amphetamine (esp30a) nie Anzahl „Red Bull“ explizit als „Amphetamin/ Aufputschmittel“ % der jeweiligen Klassen 1-2mal Anzahl % der jeweiligen Klassen 3-5mal Anzahl % der jeweiligen Klassen 6-9mal Anzahl % der jeweiligen Klassen 10-19mal Anzahl % der jeweiligen Klassen 20-39mal Anzahl % der jeweiligen Klassen ≥ 40mal Anzahl % der jeweiligen Klassen Gesamt Anzahl % der jeweiligen Klassen Gesamt 40 5213 78,4% 92,1% 3 231 5,9% 4,1% 1 74 2,0% 1,3% 2 61 3,9% 1,1% 0 27 0,0% 0,5% 0 9 0,0% 0,2% 5 46 9,8% 0,8% 51 5661 100,0% 100,0% In einem der letzten Validierungsinterviews stießen wir auf die Problematik, dass SchülerInnen den Konsum von Energy Drinks als „Aufputschmittel/Amphetaminkonsum“ missinterpretiert hatten. Zwei SchülerInnen erzählten, dass in ihrer Klasse der Begriff „Aufputschmittel/Amphetamin“ nicht verstanden worden wäre und der/die LehrerIn auf Nachfragen erklärt hätte, dass Red Bull dazu gehöre. Daraufhin hätten einige SchülerInnen in der Klasse ihre Antwort im Fragebogen geändert. Ein/e LehrerIn schrieb in das Befragungsprotokoll unter Anmerkungen „Aufputschmittel = Red Bull?“ (Befragungsprotokoll Nr. 78). In den beiden Klassen, in denen LehrerInnen Energydrinks mit „Aufputschmittel/Amphetamine“ gleichsetzten, liegt der Anteil der SchülerInnen, die damit Erfahrungen angegeben hatten, mehr als dreifach und 7 Der englische Originalausdruck lautet „amphetamines (uppers, pep pills, bennies, speed)“, wobei auch der Ausdruck “pep pill” weit mehr inkludiert als Amphetamine (z.B. Koffeintabletten). 25 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik der Anteil jener, die „mehr als 40 Konsumgelegenheiten“ kodierten mehr als elffach über dem Durchschnitt (vgl. Tab. 5). Zudem gab es zwei SchülerInnen, die im Validierungsinterview (Int. Nr. 35) bzw. im Kommentarbereich des Fragebogens angaben, Red Bull bzw. alle Substanzen, die wach halten, als „Aufputschmittel/ Amphetamine“ interpretiert zu haben. Da wir, wie bereits ausgeführt, erst gegen Ende der Validierungsinterviews bemerkten, dass der Ausdruck „Aufputschmittel/Amphetamine“ ganz anderes interpretiert wurde, als von den FragebogenautorInnen intendiert, können wir über das Ausmaß des dadurch verursachten Fehlers nur mutmaßen. Es erscheint uns allerdings plausibel, dass ein Großteil der hohen „Aufputschmittel/ Amphetamine“-Prävalenz nicht als Amphetaminerfahrung interpretierbar ist, und dass das auch erklärt, warum Österreich hier im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz eingenommen hatte. Auch den Amphetaminkonsum betreffend kann es sein – wie wir schon bei Kapitel 4.1, welches das Schnüffeln von volatilen Stoffen thematisiert, angedeutet hatten –, dass in Ländern, wo die reale Amphetaminprävalenz besonders hoch und in der Folge auch das gesellschaftliche Wissen über das Phänomen ausgeprägter ist, die „false-positiv“-Rate erheblich niedriger ausfällt, was vermuten lässt, dass hohe Raten bei Bevölkerungsbefragungen als Indikator für niedrige tatsächliche Prävalenzraten zu werten sind – und umgekehrt. 4.3 Erste ganze Zigarette oder erstes ganzes Glas eines alkoholischen Getränks Im ESPAD Fragebogen wird nach dem ersten Zigarettenrauchen und dem ersten Alkoholtrinken gefragt. Konkret wird gefragt, mit wie vielen Jahren die erste Zigarette geraucht wurde (esp9a, vgl. Abb. 6) und mit wie vielen Jahren das erste ganze Glas Bier, das erste ganze Glas Alkopops, das erste ganze Glas Wein/Sekt bzw. das erste ganze Glas Spirituosen getrunken wurde (esp19a-d) (vgl. Abb. 7). Abb. 6: Frage nach der ersten Zigarette/dem ersten täglichen Rauchen (esp9) 9. Wann (wenn überhaupt) hast du jedes der folgenden Dinge zum ersten Mal getan? mit 9 Kreuze in jeder Zeile ein Kästchen Jahren mit 11 mit 12 mit 13 nie mit 10 an. oder Jahren Jahren Jahren Jahren jünger a) deine erste Zigarette geraucht b) täglich Zigaretten geraucht mit 14 Jahren mit 15 Jahren mit 16 Jahren oder älter Abb. 7: Frage nach dem ersten Glas verschiedener alkoholischer Getränke (esp19) 19. Wann (wenn überhaupt) hast du Folgendes zum ersten Mal getan? mit 9 Kreuze in jeder Zeile ein Kästchen Jahren mit 11 nie mit 10 an. oder Jahren Jahren jünger a) Bier getrunken (mind. 1 Glas) mit 12 Jahren mit 13 Jahren mit 14 Jahren mit 15 Jahren mit 16 Jahren oder älter b) Alkopops getrunken (mind. 1 Glas) c) Wein/Sekt getrunken (mind. 1 Glas) d) Spirituosen getrunken (mind. 1 Glas) e) dich mit Alkohol betrunken 26 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Im Fragebogen wird also ausdrücklich nicht nach dem ersten Zug, Schluck, Nippen oder Probieren, sondern nach der ersten relevanten Konsumeinheit (Zigarette bzw. ganzes Glas/eine ganze Flasche alkoholisches Getränk) gefragt. Unter den 24 SchülerInnen, welche auf die Frage nach ihrer ersten Zigarette mit „nie“ antworteten, gab es keine/n einzige/n, der/die das im Validierungsinterview anders darstellte. Drei gaben an, bereits einzelne Züge an einer Zigarette gemacht zu haben. Damit entsprach das Antwortverhalten jener SchülerInnen, die „nie“ angekreuzt hatten, der Intention der FragebogenautorInnen. Bei jenen, die noch nie auch nur einen Zug probiert gehabt hatten, ist allerdings nicht klar, wie viele zwischen „bloß einen Zug mitrauchen“ und „eine ganze Zigarette rauchen“ unterschieden hätten, wenn das für sie relevant gewesen wäre. Von jenen 76 interviewten SchülerInnen allerdings, die im Fragebogen das Alter angaben, in dem sie die erste ganze Zigarette geraucht hätten, interpretierten nur 26 von 76 (34%) die Intention der Fragestellung richtig. 46 SchülerInnen gaben hier fälschlicherweise das Alter an, in dem sie zum ersten Mal bloß einen Zug mitgeraucht hatten (also keine ganze Zigarette). Von den restlichen 4 SchülerInnen konnten sich 3 nicht erinnern, ob sie zum angegebenen Zeitpunkt eine ganze Zigarette geraucht oder bloß einige Züge genommen hatten, und eine Schülerin, die diese Frage, ohne sie zu lesen, irgendwie beantwortet hatte, konnte verständlicherweise nicht bekunden, wie sie die Frage ursprünglich verstanden hatte (vgl. Tab. 6 und Tab. 7). Zusammenfassend zu dieser Frage kann man sagen, dass die Angaben in 46% der Fälle inkorrekt sind und man bei 4% davon nicht ausschließen kann, dass diese ebenfalls falsch sind. Fragebogen: esp9a: „wann (wenn überhaupt ) erste Zigarette geraucht“ Tab. 6: Frage nach der ersten Zigarette (esp9a): Antworten Fragebogen vs. Validierungsinterviews noch nie Zigarette geraucht bereits Zigarette geraucht Antwort Validierungsinterviews: Konsumform bei angegebenem Einstiegsalter SchülerIn unklar, ob relevante Zigarette geraucht bloß Zug mitgeraucht nie probiert Menge od. weniger 0 3 21 0 26 32+14 = 46 0 4 Die Frage nach dem ersten ganzen Glas Bier beantworteten 61 der 100 befragten SchülerInnen der Intention des Fragebogens entsprechend richtig, nämlich mit dem ersten tatsächlich ganzen Glas Bier. 32 SchülerInnen gaben bei dieser Frage jedoch fälschlicherweise das Alter an, in dem sie zum ersten Mal an einem Bier genippt bzw. ein paar Schluck Bier mitgetrunken hatten. 2 SchülerInnen gaben hier Spaßantworten. Die Frage hätte sie genervt, weil sie betreffend unterschiedlicher Getränkearten wiederholt gestellt wurde. In einem Fall wurde immer „nie“, im anderen immer „mit 10 Jahren“ angekreuzt. Bei 5 Personen schließlich blieb unklar, ob bei dieser Frage das Alter beim Konsum des ersten ganzen Bieres oder der erste Probierkonsum angegeben worden war. Unter den Jugendlichen, welche die Frage korrekt beantwortet hatten, befanden sich viele SchülerInnen, die Bier noch nicht einmal probiert hatten (26 Personen von 61) und bei denen sich daher die Frage, ob sie den Hinweis auf ein „ganzes“ Glas Bier verstanden und auch beachtet hätten, nicht stellte. Dies trifft analog auch für Alkopops, Wein/Sekt sowie Spirituosen zu (vgl. Tab. 7). Zusammenfassend zu dieser Frage kann man sagen, dass in 34% der Fälle der Validierungsstichprobe die Angaben inkorrekt sind und man in 5% nicht ausschließen kann, dass diese ebenfalls falsch sind. 27 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Die Frage nach dem ersten ganzen Glas Wein/Sekt beantworteten 67 der 100 befragten SchülerInnen korrekt als Frage nach dem ersten ganzen Glas Wein/Sekt (davon 15 NichtProbiererInnen). 29 gaben bei dieser Frage das Alter an, in dem sie zum ersten Mal bei einem Glas Wein/Sekt mitgetrunken bzw. an einem Glas Wein/Sekt genippt hatten. 2 gaben hier wieder, wie bereits beschrieben, nur Spaßantworten. Bei 2 Jugendlichen blieb unklar, ob sie bei dieser Frage das erste ganze Glas Wein/Sekt angaben oder weniger (vgl. Tab. 7). Zusammenfassend kann man zu dieser Frage sagen, dass in 31% der Fälle die Angaben inkorrekt sind und man bei 2% nicht ausschließen kann, dass diese ebenfalls falsch sind. Die Frage nach dem ersten ganzen Glas Alkopops beantworteten 69 der 100 befragten SchülerInnen korrekt als Frage nach dem ersten ganzen Glas Alkopops bzw. der ersten ganzen Flasche (davon 19 Nicht-ProbiererInnen). 25 SchülerInnen gaben bei dieser Frage das Alter an, in dem sie zum ersten Mal bei einer Flasche Alkopops mitgetrunken bzw. genippt hatten. 2 hatten, wie im letzten Absatz erwähnt, nur Spaßantworten gegeben. Bei 4 Jugendlichen blieb unklar, ob sie bei dieser Frage die erste ganze Flasche Alkopops angaben oder nur Probekonsum (vgl. Tab. 7). Zusammenfassend zu dieser Frage kann man sagen, dass in 27% der Fälle die Angaben inkorrekt sind und man in 4% nicht ausschließen kann, dass diese ebenfalls falsch sind. Die Frage nach dem ersten ganzen Glas Spirituosen beantworteten 72 der 100 befragten SchülerInnen korrekt mit dem ersten ganzen Glas Spirituosen (davon 24 Nicht-ProbiererInnen). 19 gaben bei dieser Frage fälschlicherweise das Alter an, in dem sie zum ersten Mal bei einem Glas Spirituosen mitgetrunken bzw. genippt hatten. 2 gaben hier wieder, wie bereits beschrieben, nur Spaßantworten. Bei 7 blieb unklar, ob sie bei dieser Frage das erste ganze Glas Wein/Sekt angaben oder das erste Mal Kosten (vgl. Tab. 7). Zusammenfassend kann man zu dieser Frage sagen, dass in 21% der Validierungsstichprobe die Angaben inkorrekt sind und man in 7% nicht ausschließen kann, dass diese ebenfalls falsch sind. Tab. 7: Frage nach erstem Glas/Flasche verschiedener alkoholischer Getränke (esp19) bzw. nach erster Zigarette (esp9a) korrekt beantwortet ganze Zigarete/ ganzes Glas/ ganze Flasche inkorrekt, weil bloß mitkonsumiert bzw. probiert Spaßantworten SchülerIn unklar, ob relevante Menge od. weniger falsche Angaben, bezogen auf alle Personen falsche Angben bezogen auf Personen, die Einstiegsalter angegeben haben Zigarette 50 (davon 24 nie) 46 1 3 47% – 50% 62% – 66% Bier 61 (davon 26 nie) 32 2 5 34% – 39% 46% – 53% Wein/Sekt 67 (davon 15 nie) 29 2 2 31% – 33% 36% – 39% Alkopops 69 (davon 19 nie) 25 2 4 27% – 31% 33% – 38% Spirituosen 72 (davon 24 nie) 19 2 7 21% – 28% 28% – 37% Kommentar : Aus Gründen der Übersichtlichkeit, wurden in diese Tabelle auch die Angaben zur ersten Zigarette aufgenommen, die in ausführlicherer Fassung bereits in Tab. 6 aufscheinen. Die Ergebnisse über alle alkoholischen Getränke zusammenfassend ergibt sich, dass zwischen 21% und 50% der im Rahmen der Validierungsinterviews befragten SchülerInnen die Fragen zum Einstiegsalter Zigaretten und Alkohol betreffend inadäquat geantwortet hatten. Bezieht man sich nur auf jene SchülerInnen, die ein Einstiegsalter und damit relevante Konsumerfahrungen angegeben hatten, also auf jene Personen, deren Werte zur Berechnung des Einstiegsalters herangezogen werden, so erhöht sich die Fehlerrate auf 28% bis 66%. Bei Fragen zum relevanten Erstkonsum von alkoholischen Getränken kommt noch erschwerend hinzu, dass viele SchülerInnen die Kategorien anders interpretierten als von den FragebogenautorInnen in28 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik tendiert – ganz besonders bei „Alkopops“ und „Spirituosen“ – (vgl. Kap. 4.4), was als weitere, erhebliche Fehlerquelle zu beachten ist. Bezüglich einer Neugestaltung des Fragebogens könnte man überlegen, gezielt sowohl nach „probieren“ als auch nach „relevantem Konsum“ zu fragen, um bei der Auswertung zwischen den beiden Konzepten unterscheiden zu können. 4.4 Kategorisierung alkoholischer Getränke Im ESPAD Fragebogen werden alkoholische Getränke in vier Kategorien eingeteilt: in Bier, Alkopops, Wein/Sekt und Spirituosen. Diese vier Kategorien werden innerhalb des Fragebogens zum Teil näher beschrieben (vgl. Abb. 8). Bei der Kategorie Bier wird angemerkt, dass alkoholfreies Bier ausgenommen ist. Alkopops werden als „in Flaschen vorgemischte Getränke mit Spirituosen“ definiert. Als Beispiele werden „Bacardi Breezer“ und „Desperados“ 8 genannt. Die Kategorie Wein/Sekt wird nicht näher bestimmt. Bei Spirituosen werden als Beispiele Whiskey, Kognak und Schnaps aufgezählt. Außerdem wird erklärt, dass zu dieser Kategorie auch „Spirituosen, die mit alkoholfreien Getränken gemischt wurden, aber nicht zu den ‚Alkopops‘ zählen“, gehören. Abb. 8: Beschreibung von verschiedenen Kategorien alkoholischer Getränke laut Fragebogen a) Bier (alkoholfreies Bier ausgenommen) b) Alkopops (in Flaschen vorgemischte Getränke mit Spirituosen z.B. Bacardi Breezer, Desperados) c) Wein/Sekt d) Spirituosen (Whiskey, Kognak, Schnaps) (beinhaltet auch Spirituosen, die mit alkoholfreien Getränken gemischt wurden, aber keine Alkopops) Des Weiteren werden im ESPAD Fragebogen verschiedene Flaschen- bzw. Gläsergrößen definiert (vgl. Abb. 9). 0,33l Bier werden dabei als eine kleine Flasche bzw. ein kleines Glas Bier bezeichnet, 0,1l Wein oder Sekt als ein Achtel Wein oder ein Glas Sekt, 0,33l Alkopops als eine Flasche Alkopops und 0,04l Spirituosen als ein Glas Spirituosen oder ein doppelter Schnaps. Abb. 9: Fragebogenanleitung zur Umrechnung von Einheiten verschiedener alkoholischer Getränke in Flaschenund Gläsergrößen 8 Das Getränk „Desperados“ ist kein Alkopop im üblichen Sinn, da es sich hier um kein Spirituosen-, sondern ein Bier-LimonadeMixgetränk handelt, zu dem allerdings Tequilaaroma hinzugefügt wird. Von Design und Geschmack her entspricht „Desperados“ daher den gängigen Alkopops und nicht den üblichen Biermischgetränken „Radlern“. Da der Begriff „Alkopop“ nicht geregelt ist, wurde bei der Vorbereitung der ESPAD Erhebung „Desperados“ als Beispiel für einen Alkopop erwogen. Seit der impliziten Definition von „Alkopop“ über die sogenannten Alkopopsondersteuergesetze (z.B. in Deutschland und der Schweiz) werden „Alkopops“ weitgehend auf Spirituosen-Limonade-Mixgetränke eingeschränkt. Im ESPAD Fragebogen wurde übersehen, dass das Beispiel „Desperados“ nicht mit der Beschreibung „in Flaschen vorgemischte Getränke mit Spirituosen“ korrespondiert, was den SchülerInnen vermutlich gar nicht aufgefallen ist, aber zeigt, wie schwer es ist, angesichts der Fülle unterschiedlicher Produkte einheitliche und präzise Kategorien von alkoholischen Getränken zu definieren. 29 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Mit der Definition der vier Kategorien „Bier“, „Wein“, „Alkopops“ und „andere Spirituosen“ und ihren jeweilig definierten Einheiten ergeben sich mehrere Probleme. So ist etwa die Zuordnung einiger Getränke unklar, weil z.B. manche aufgespritete Dessertweine als Spirituosen oder der japanische Reiswein „Sake“ eher als aufgespritztes Bier statt als Wein zu behandeln ist. Wie sollen Liköre, wie Baileys eingeordnet werden? In welche Kategorie fällt ein WodkaFeige Fläschchen mit 17 Vol.-% Alkoholgehalt, das unter der Bezeichnung „Klopfer“ oder „kleiner Feigling“ verkauft wird? Sollen Biermischgetränke, wie Radler, der Kategorie Bier zugeordnet werden, und wenn ja, mit welchem Umrechnungsfaktor? Wie quantifiziert man die Menge von Wein- bzw. Sektmischgetränken, wie einen „weißen Spritzer“, Sangria oder Sekt-Orange in der Kategorie Wein/Sekt? – Denn bei Spirituosen-, Bier-, Wein- und Sektmischgetränken muss man implizit berücksichtigen, dass nur der Anteil des enthaltenen alkoholischen Getränks zu zählen ist – was im Fragebogen nicht ausdrücklich erklärt wurde –, weiters die Art und den Anteil der enthaltenen alkoholischen Getränke kennen und über Grundkenntnisse im Bruchrechnen verfügen, um die Umrechnung überhaupt vornehmen zu können. In den Interviews wurden die SchülerInnen gefragt, ob ihnen die vier im Fragebogen verwendeten Alkoholkategorien verständlich gewesen waren und sie alle konsumierten Getränke eindeutig einer dieser Kategorien zuordnen konnten. Weiters wurden sie gebeten, Beispiele für getroffene Zuordnungen zu geben und zu beschreiben, wie sie sich in Fällen von Unsicherheit verhalten hatten. Die spontane – fast standardmäßig von allen interviewten SchülerInnen gegebene – Antwort war, dass alle Kategorien verstanden wurden und alle konsumierten Getränke eindeutig einer Kategorie zugeordnet werden konnten. Bei genauerem Nachfragen wurden jedoch zahlreiche Missverständnisse offensichtlich. Relativ eindeutig und klar für die SchülerInnen war die Kategorie „Bier“. Die Kategorie „Wein/Sekt“ war schon etwas weniger gut handhabbar. Unklar war hier manchen beispielsweise, ob Mischgetränke mit Wein oder Sekt als „Wein/Sekt“ oder als Spirituosen zu zählen sind, da in der Definition von Spirituosen Mischgetränke angeführt wurden, nicht jedoch in Zusammenhang mit Wein und Sekt, wobei letztendlich meist die korrekte Entscheidung für „Wein/Sekt“ getroffen wurde. Die Zuordnung von Sangria oder Bowle ist nicht nur für SchülerInnen schwierig, da oft schwer feststellbar ist, ob neben dem Wein und/oder Sekt auch noch Spirituosen beigemischt wurden. In letzterem Fall wäre das Getränk als „Spirituose“ zu werten. Von den SchülerInnen wurde Sangria meist zu Wein/Sekt gezählt, er findet sich aber auch bei Spirituosen und Alkopops wieder. Die meisten Probleme hatten die SchülerInnen mit den Kategorien „Spirituosen“ und „Alkopops“. Im Gespräch wiesen einige darauf hin, dass für sie die Unterscheidung nicht klar war. Generell wurden auf Kosten der Kategorie „Spirituosen“ weit mehr Getränke den Alkopops zugeordnet, als definitionsgemäß dazugehören. Zur Kategorie „Spirituosen“ wurden von manchen SchülerInnen ausschließlich ungemischte, klare Spirituosen gezählt, während Mischgetränke auf Spirituosenbasis von diesen der Kategorie „Alkopops“ zugeordnet wurden. So gab z.B. eine Person an, zu Spirituosen nur Getränke mit höherem Volumprozentgehalt zu zählen. Während der Reflexion über die Einteilung von alkoholischen Getränken in Kategorien merkte sie dann an: „Eigentlich ist ja jedes alkoholische Getränk eine Spirituose.“ (Int. Nr. 28). Eine andere Person meinte, „Spirituosen ist alles, was mehr als 50 Vol.% enthält.“ (Int. Nr. 81). Eine weitere Person zeigte sich durch die Reflexion im Interview so verwirrt, dass sie nicht mehr wusste, ob sie Schnaps zu den Spirituosen zählen sollte (Int. Nr. 48). Letztlich definierten zwei Personen Spirituosen als „Alles was in 2cl Einheiten ist.“ (Int. Nr. 35) bzw. „Alles, was man aus dem Stamperl trinkt.“ (Int. Nr. 44). 30 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Jegliche alkoholischen Getränke, die süß und/oder bunt sind, wurden oft als „Alkopops“ betrachtet. Die Definitionen reichten von „Alkopops ist alles, was Farbstoffe und Chemikalien enthält“ (Int. Nr. 36) über „Alkopops, das ist Alkohol gemischt mit sehr viel Zucker, damit es besser schmeckt“ (Int. Nr. 40) bis zu „Alkopops, die wo man süßes raus schmeckt, aber nicht den Alkohol.“ (Int. Nr. 73). Auch wurden Alkopops an den kleinen Flaschen festgemacht, in denen sie verkauft werden, was man anhand von Antworten wie „die kleinen Flaschen“ (Int. Nr. 94) oder „die grausigen süßen Getränke in der Flasche“ (Int. Nr. 90) sehen kann. Klar erkannt wurde, dass die Marken „Eristoff Ice“ und „Bacardi Breezer“ Alkopops sind. Manche Jugendliche, die sich unsicher waren, in welche Kategorie sie Mischgetränke auf Spirituosenbasis einordnen sollten, lösten dieses Problem, indem sie diese einmal zu Alkopops zählten, und bei der nächsten Frage zu Spirituosen. Die kleinen Vodka-Feige Fläschchen wurden von manchen zu den Alkopops, von manchen zu den Spirituosen gezählt. Probleme hatten viele auch mit der Einordnung von Cocktails. Manche zählten diese – weil bunt – zu Alkopops, andere – weil ein Mischgetränk – zu Spirituosen. Viele ließen sie einfach weg bzw. vergaßen, sie anzugeben. So meinte beispielsweise eine Person, die gerne Cocktails trinkt, auf die Frage, wo sie diese einordnen würde: „Das ist eine gute Frage.“ (Int. Nr. 27), eine andere Person meinte zur Einteilung von Cocktails: „Ist irgendwas zwischen Alkopops und Spirituosen.“ (Int. Nr. 29). Uneindeutig war für einige SchülerInnen auch die Zuordnung von Likören, wie Baileys. Diese wurden nicht immer, wie vorgesehen, zu Spirituosen gezählt, sondern teilweise auch zu Alkopops. Die Fragebogenanleitung zur Umrechnung von Einheiten verschiedener alkoholischer Getränke in Flaschen- und Gläsergrößen (vgl. Abb. 9) wurde von den SchülerInnen als sehr positiv und eine willkommene Unterstützung betrachtet. Dennoch taten sich viele SchülerInnen sehr schwer dabei, die von ihnen konsumierten Einheiten einzuschätzen und umzurechnen. Zum einen gibt es Bier- und Alkopopflaschen bzw. -gläser mit unterschiedlicher Größe. Zudem werden auf Partys und Festivals unterschiedliche Mengen alkoholischer Getränke in Pappbecher gefüllt und auch immer wieder nachgefüllt, sodass die konsumierte Menge nur schwer zu schätzen ist. Außerdem ist es bei SchülerInnen durchaus üblich, selbst vorgemischte Getränke aus großen Flaschen, etwa im Park, oder mit Strohalmen aus einem im Lokal bestellten Kübel zu trinken. So meinte eine Person im Interview zu der Frage nach der durchschnittlichen Anzahl an Drinks an Trinktagen in den letzten 30 Tagen: „Ist schwer zu sagen, wenn man einen Kübel teilt.“ (Int. Nr. 74). Angesichts der großen Schwierigkeit beim Erinnern, Einteilen in Kategorien und Umrechnen der konsumierten alkoholischen Getränke verloren die meisten SchülerInnen bald die Motivation für präzise Antworten und begannen, mehr oder weniger genau zu schätzen. So rechtfertige sich eine Person im Interview dafür, dass sie sich nicht mehr genau daran erinnern könne, was sie am letzten Trinktag getrunken hatte: „Hab mich ja nicht vorbereiten können. Wenn ich gewusst hätte, dass ich interviewt werde, hätte ich einen Zettel mitgenommen und mitgeschrieben.“ (Int. Nr. 87). Eine andere Person meinte zum Thema „Umrechnen“, dass dies nicht so wichtig sei: „Das wär’ ja viel zu mathematisch.“ (Int. Nr. 13). Es muss also davon ausgegangen werden, dass es sich bei den angegebenen Alkoholmengen meist um eher grobe Schätzungen handelt. Auch ist damit zu rechnen, dass viele Spirituosen fälschlicher Weise der Kategorie „Alkopops“ zugeordnet wurden. Angesichts der Erfahrungen aus den Validierungsinterviews die Mengenangaben zum Alkoholkonsum betreffend, ist zu bezweifeln, dass in einem Selbstausfüllerfragebogenverfahren – also ohne Anleitung durch erfahrene InterviewerInnen – Statistiken mit adäquater Genauigkeit erstellt werden können. Die Anzahl der alkoholischen Getränke mit unterschiedlichem Alkoholgehalt, der Umstand, dass oft gemischt wird, die unterschiedlichen Flaschen bzw. Glasgrößen und die Verbreitung von Konsumformen, die das Zählen von Trinkeinheiten verunmöglichen, lassen selbst daran zwei31 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik feln, ob derartige Daten mit Unterstützung einer/eines sehr gut ausgebildeten und motivierten InterviewerIn, die gezielt nachfragt und unterstützt, sinnvoll erhoben werden können. 4.5 Was ist eine Trinkgelegenheit? Bei zwei Fragen des ESPAD Fragebogens wurde nach der Anzahl der „Gelegenheiten“ gefragt, bei denen alkoholische Getränke getrunken wurden (Trinkgelegenheiten). Zunächst sollte bei Frage esp11 (vgl. Abb. 10) die „Anzahl der Gelegenheiten“ angegeben werden, bei denen man a) im ganzen Leben, b) während der letzten 12 Monate und c) während der letzten 30 Tage ein alkoholisches Getränk getrunken hatte. Dabei ist die kleinste anzukreuzende Kategorie „0“, die größte „40 oder öfter“. Abb. 10: Frage nach Anzahl der Gelegenheiten, bei denen irgendein alkoholisches Getränk getrunken wurde (esp11) 11. Wie oft (wenn überhaupt) hast du irgendein alkoholisches Getränk getrunken? Anzahl der Gelegenheiten Kreuze in jeder Zeile ein Kästchen an. 0 1-2 3-5 6-9 10-19 20-39 40 oder öfter a) in deinem ganzen Leben b) während der letzten 12 Monate c) während der letzten 30 Tage Bei der folgenden Frage (esp12, vgl. Abb. 11) sollte die Anzahl der Gelegenheiten angekreuzt werden, bei denen in den letzten 30 Tagen a) Bier, b) Alkopops, c) Wein/Sekt und d) Spirituosen getrunken wurden. Die kleinste anzukreuzende Kategorie ist wieder „0“, die größte „40 oder öfter“. Abb. 11: Frage nach der Anzahl an Gelegenheiten, bei denen bestimmte alkoholische Getränke in den letzten 30 Tagen getrunken wurden 12. Denke an die letzten 30 Tage. Bei wie vielen Gelegenheiten (wenn überhaupt) hast du folgende alkoholische Getränke getrunken? Anzahl der Gelegenheiten 40 Kreuze in jeder Zeile ein Kästchen an. 0 1 -2 3 -5 6-9 10-19 20-39 oder öfter a) Bier (alkoholfreies Bier ausgenommen) b) Alkopops (in Flaschen vorgemischte Getränke mit Spirituosen z.B. Bacardi Breezer, Desperados) c) Wein/Sekt d) Spirituosen (Whiskey, Kognak, Schnaps) (beinhaltet auch Spirituosen, die mit alkoholfreien Getränken gemischt wurden, aber keine Alkopops) Der Ausdruck „Gelegenheit“ wird im Fragebogen nicht näher ausgeführt. Relativ klar ist bloß, dass nicht nach der Anzahl der getrunkenen Getränke oder der Anzahl der Tage, an denen Alkohol getrunken wurde, gefragt wird. Klar ist aus dem Kontext auch, dass es nicht um die Anzahl der theoretischen Gelegenheiten geht, bei denen man etwas trinken hätte können, aber nicht unbedingt etwas getrunken hatte. Grob kann man „Gelegenheit“ in diesem Zusammenhang mit einem zeitlich und/oder räumlich als abgeschlossen erlebten Ereignis gleichsetzen, bei dem Alkohol konsumiert wurde, wobei sowohl mehrere Ereignisse pro Tag, als auch mehrere Getränke pro Ereignis möglich sind. 32 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Eine genauere Anleitung, wie man zwei „Trinkgelegenheiten“ voneinander abgrenzen sollte, wurde im ESPAD Fragebogen nicht geboten. Damit liegt die Tücke im Detail. Relativ eindeutig ist es, wenn jemand beispielsweise am Nachmittag mit FreundInnen im Park ein Bier getrunken hat und am späten Abend mit anderen FreundInnen in einem Lokal noch zwei Cocktails zu sich nimmt. Das sind zwei Gelegenheiten, bei denen alkoholische Getränke getrunken wurden. Weit weniger eindeutig ist es, wenn zwischen dem Parkbesuch und dem abendlichen Lokalbesuch nur wenig Zeit verstrichen ist und wenn beide Situationen mit den gleichen FreundInnen verbracht wurden. Das könnte man auch als eine in sich geschlossene „Gelegenheit“ interpretieren. Auch die Frage, ob ein Treffen mit FreundInnen zum „Vorglühen“ bei jemandem zu Hause plus anschließendem Lokalbesuch als eine Gelegenheit (weil beides zusammen im Rahmen des Fortgehens) oder als zwei Gelegenheiten (weil verschiedene Orte) zu werten ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Ebenso die Frage, ob es sich um zwei Gelegenheiten handelt, wenn jemand in einem Lokal zuerst mit einer Gruppe von FreundInnen Alkohol konsumiert und im Anschluss daran noch mit anderen FreundInnen, die nicht zu dieser Gruppe gehören. Man könnte hier noch viele ähnlich schwierige Abgrenzungsprobleme anführen. Wichtig war den AutorInnen, bei der Validierungsstudie zu eruieren, wie die SchülerInnen den Begriff „Gelegenheit“ beim Ausfüllen des Fragebogens interpretiert hatten, wobei zu diesem Zweck die Frage esp11 herangezogen wurde. Die Interpretationen der SchülerInnen werden in Tab. 8 dargestellt: 25 SchülerInnen – und damit ein Viertel der 100 interviewten SchülerInnen – hatten die „Anzahl der Gelegenheiten“ bei Frage esp11 mit der Anzahl der getrunkenen Getränke gleichgesetzt. 1 Person hatte „Gelegenheit“ als „Drink“ 9 interpretiert und in diesem Zusammenhang die Menge der getrunkenen Getränke in Drinks umgerechnet. So erklärte der/die SchülerIn im Interview: „Ein Liter Bier sind 3 Drinks, also 3 Gelegenheiten.“ (Int. Nr. 32). 12 der interviewten SchülerInnen verstanden unter „Anzahl der Gelegenheiten“ die Anzahl der Tage, an denen sie getrunken hatten. SchülerInnen werteten „Trinkgelegenheit“ als Trinkmöglichkeit und gaben die Anzahl der Gelegenheiten an, bei denen sie alkoholische Getränke hätten konsumieren können, wobei sie dies manchmal tatsächlich taten, manchmal aber auch nicht. So erklärte beispielsweise eine Person: „Gelegenheit ist, wie oft ich die Chance gehabt habe, etwas zu trinken.“ (Int. Nr. 81). 2 SchülerInnen definierten „Gelegenheit“, ähnlich zu den 5 zuvor genannten SchülerInnen, als Fortgehen mit oder ohne Alkoholkonsum, wobei diese aber, anders als erstere, Trinkgelegenheiten zu Hause nicht mitzählten. Dadurch wurden unter Umständen nicht nur manche Situationen mitgezählt, in denen nicht getrunken wurde, sondern auch manche Situationen unterschlagen, in denen getrunken wurde: „Habe die Tage gezählt, an denen ich weggegangen bin.“ (Int. Nr. 13). 2 weitere SchülerInnen interpretierten „Trinkgelegenheiten“ als Feste oder größere Events, bei denen man trinken kann. Auch hierbei wurden Situationen, in denen gar kein Alkohol konsumiert wurde, dazu gezählt, und eine Reihe von Alkoholkonsumsituationen ignoriert. Bei 14 SchülerInnen stellte sich die Frage nach der Bedeutung des Ausdrucks „Gelegenheit“ beim Ausfüllen des Fragebogens nicht, da sie an den relevanten Tagen nichts oder maximal ein Getränk getrunken hatten: „Das war eine komische Frage. Hab’ nicht ge- 9 Im Fragebogen wurden die SchülerInnen bei manchen Fragen gebeten, die von ihnen konsumierten Getränke in Standarddrinks („Drinks“) umzurechnen und als solche anzugeben. 33 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik wusst, was mit Gelegenheit gemeint ist. Die Getränke? – Ich hab dann die Frage überflogen. Ich hab ja eh nur in Frankreich ein Bier und Absinth getrunken.“ (Int. Nr. 40). Weitere 9 SchülerInnen hatten schlichtweg intuitiv geantwortet, ohne beim folgenden Validierungsinterview erklären zu können, wie sie nun eigentlich gezählt hatten. Nur 30 der 100 SchülerInnen verstanden den Ausdruck „Gelegenheit“, wie von den FragebogenautorInnen intendiert, nämlich im Sinne eines zeitlich und/oder räumlich abgeschlossen erlebten Ereignisses, bei dem tatsächlich Alkohol konsumiert wurde. Von diesen 30 SchülerInnen gaben jedoch 8 im Interview an, die Menge bloß grob geschätzt zu haben, was die Verlässlichkeit der Angaben etwas herabsetzt. Tab. 8: Frage nach Trinkgelegenheiten (esp11) „ Anzahl der Trinkgelegenheiten“ bei Frage 11 verstanden/gezählt als … 25 1 12 einzelne Getränke, die getrunken wurden Standarddrinks, die getrunken wurden Tage, an denen getrunken wurde, wobei meist nur ein Trinkereignis pro Tag stattfand, sich das Missverständnis daher inhaltlich kaum auswirkte 5 Trinkmöglichkeiten – realisiert oder nicht 2 Fortgehen, mit oder ohne Alkoholkonsum 2 Feste oder große Trinkevents 14 9 30 Frage stellte sich beim Ausfüllen nicht, da nichts oder maximal ein Getränk pro Tag getrunken wurde unklar, SchülerInnen können sich selbst nicht erklären, was sie gezählt haben eines von mehreren Trinkereignissen an einem Tag, wobei 8 angaben, die Antwort bloß grob geschätzt zu haben Der Umstand, dass nur 30% der befragten SchülerInnen den Begriff „Trinkgelegenheit“ in diesem Zusammenhang korrekt interpretierten, und dass von jenen 8 angaben, die Menge bloß grob geschätzt zu haben, rückt die Ergebnisse zu Trinkgelegenheiten in ein recht fragwürdiges Licht. Ergänzend muss aber auch erwähnt werden, dass sich nicht alle Missverständnisse auf das Ergebnis auswirken, z.B. wenn im Beobachtungszeitraum gar nicht oder maximal ein Getränk pro Tag getrunken wurde, ergibt das unkorrekte Zählen von Trinktagen oder Einzelgetränken die gleiche Zahl, wie sie beim Erfassen von „Trinkgelegenheiten“ zustande kommt. In 23 Fällen erwiesen sich die Angaben bei der Überprüfung als im Fragebogen falsch angekreuzt, wobei in 2 Fällen die tatsächliche Anzahl an Gelegenheiten über (jeweils „1-2“ Gelegenheiten statt den angekreuzten „0“), und in 21 Fällen unter der angekreuzten Anzahl lag (wobei in rund der Hälfte der Fälle die angekreuzte Zahl mehr als eine Kategorie über der tatsächlichen Zahl lag). Auch hier ergab sich also eine erhebliche Überschätzung der tatsächlichen Anzahl an Trinkgelegenheiten. Tab. 9: Konsistenzprüfung Trinkgelegenheit und Trinktage (esp11c und opt48a) opt48a: „An wie vielen Tagen (wenn überhaupt) hast du irgendein alkoholisches Getränk getrunken? …während der letzten 30 Tage“ esp11c: „Wie oft (wenn überhaupt) hast du irgendein alkoholisches Getränk getrunken? …Anzahl der Gelegenheiten“ Angaben in Zeilenprozent opt48a Esp11c Keine 1-2 3-5 6-9 10-19 20-39 40 + Gesamt an keinem Tag (n=1021) 89% 6% 2% 1% 1% 1% 0% 100% an 1 bis 2 Tagen (n=1198) 16% 51% 19% 8% 5% 1% 1% 100% an 3 bis 5 Tagen (n=1472) 2% 16% 34% 23% 17% 6% 2% 100% an 6 bis 9 Tagen (n=782) 0% 3% 17% 27% 26% 17% 9% 100% an 10 bis 19 Tagen (n=677) 1% 2% 10% 18% 33% 20% 16% 100% an 20 bis 30 Tagen (n=233) 1% 2% 4% 13% 24% 28% 27% 100% Gesamt (n=5383) 21% 18% 18% 15% 15% 8% 5% 100% Kommentar : Die Summe inkonsistenter Antworten im Sinne von mehr Trinktagen als Trinkgelegenheiten basiert auf den Häufigkeiten in den fett umrahmten Zellen = 932 (17,3%) 34 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Vergleich zwischen den Fragen esp11c (vgl. Abb. 10) und opt48a (Abb. 13) im Zuge der Auswertung aller Fragebogenergebnisse. Von Ausnahmen abgesehen – wenn sich eine Trinkgelegenheit über mehrere Tage hinzieht –, sollte es in einem bestimmten Zeitraum entweder gleichviel oder mehr „Trinkgelegenheiten“ wie „Tage mit Alkoholkonsum“ geben. Wie man Tab. 9 entnehmen kann, haben allerdings 17,3% der bei der Fragebogenerhebung befragten SchülerInnen mehr „Tage mit Alkoholkonsum“ als „Trinkgelegenheiten“ angegeben. Wenig plausibel sind aber auch jene Angaben, wo die Zahl der Trinkgelegenheiten erheblich über der Zahl der Trinktage liegt. So haben z.B. 7% jener, die nach eigenen Angaben an 1 bis 2 Tagen im letzten Monat Alkohol konsumierten, für diesem Zeitraum mehr als 10 Trinkgelegenheiten angegeben. Unmöglich wird es gar, wenn zwar Trinkgelegenheiten, aber keine Trinktage angegeben wurden. Konkret gaben 11% jener, die angeblich im letzten Monat an keinem einzigen Tag Alkohol getrunken hatten, zwischen 1 und mehr als 40 Trinkgelegenheiten an. Da aber, wie zuvor ausgeführt, nur 30% der SchülerInnen den Ausdruck „Trinkgelegenheit“ im intendierten Sinn verstanden hatten, werden die in Tab. 9 beobachtbaren Inkonsistenzen und Unmöglichkeiten auf diese Tatsache zurückführ-, und damit erklärbar. 4.6 Der letzte Trinktag Im Fragenblock esp13 sowie esp14 bis esp14e wurden die SchülerInnen über den letzten Tag befragt, an dem sie Alkohol getrunken hatten (vgl. Abb. 12). Bei Frage esp13 wurde nach dem Zeitpunkt des letzten Alkoholkonsums gefragt, bei den Fragen esp14 bis esp14d danach, welche Arten von Getränken (Bier, Alkopops, Wein/Sekt, Spirituosen) an diesem letzten Trinktag in welchem Ausmaß getrunken wurden. Zur Berechnung der Mengen gab es unterstützend ein Bild mit Flaschen- und Gläsergrößen. Abschließend sollten die SchülerInnen auf einer 10stufigen Skala (esp14e) ankreuzen, wie betrunken sie an diesem letzten Trinktag gewesen waren. Bei jeder dieser Fragen gab es auch die Möglichkeit anzukreuzen, dass mit Alkohol bzw. einer bestimmten Alkoholart noch keine Konsumerfahrung gemacht worden ist. Da bei diesen Fragen im Rahmen der ESPAD Erhebung 2003 – in gravierendem Ausmaß – inkonsistente Antworten aufgetaucht waren, wurden jene Fragen – mit Ausnahme der esp14e (Grad der Berauschung) – in den Interviewleitfaden der Validierungsstudie aufgenommen. Die SchülerInnen wurden bei den Interviews gefragt, wie sie diesen Fragenblock beantwortet hatten, wie sie die Fragen verstanden hatten, ob es Probleme bei der Beantwortung gegeben hatte, was sie am letzten Trinktag tatsächlich getrunken hatten und wie sie sich eventuelle Inkonsistenzen in ihren Antworten erklären könnten. 77 von 100 befragten Jugendlichen hatten laut Validierungsinterviews den Fragenblock sinngemäß richtig verstanden, davon konnten aber nur 39 die Fragen problemlos beantworten. 16 hatten den Fragenblock falsch verstanden, 3 gaben Spaßantworten oder kreuzten wahllos an. Bei 4 blieb nach dem Interview unklar, ob bzw. wie sie die Frage verstanden hatten (vgl. Tab. 10). Tab. 10: Fragen nach dem Konsum des letzten Trinktages (esp13 sowie esp14 bis esp14d) Bei den Fragen nach dem Konsum des letzten Trinktages hatten ... 77 von 100 die Fragen sinngemäß richtig verstanden 39 davon konnten die Fragen auch problemlos beantworten 38 davon haben diese Fragen aus verschiedenen Gründen nicht richtig beantwortet 16 von 100 die Fragen klar missverstanden 3 von 100 Spaßantworten gegeben oder wahllos geantwortet 4 von 100 so unklare Aussagen gemacht, dass nicht eruierbar war, wie sie den Fragenblock interpretiert hatten 35 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Abb. 12: Fragen zum letzten Trinktag esp13 und esp14a-d Denke jetzt bitte an den letzten Tag, an dem du Alkohol getrunken hast: 14.Bitte denke an den letzten Tag, an dem du Alkohol getrunken hast. 13. Wann hast du das letzte Mal Alkohol getrunken? Welches der folgenden Getränke hast du an diesem Tag getrunken? (Kreuze alles Zutreffende an) 1 Ich trinke niemals Alkohol 1 Ich trinke niemals Alkohol 2 vor 1 bis 7 Tagen 1 Bier (alkoholfreies Bier ausgenommen) 1 Alkopops (in Flaschen vorgemischte Getränke 3 vor 8 bis 14 Tagen mit Spirituosen z.B. Barcardi Breezer, Desperados) 4 vor 15 bis 30 Tagen 1 Wein oder Sekt 1 Spirituosen (Whiskey, Kognak, Schnaps) (beinhaltet auch 5 vor 1 Monat bis 1 Jahr Spirituosen, die mit alkoholfreien Getränken gemischt wurden, aber keine Alkopops) 6 vor mehr als 1 Jahr 14 a. Wenn du bei dieser Gelegenheit Bier getrunken hast, wie viel hast du getrunken? (alkoholfreies Bier ausgeschlossen) 1 Ich trinke niemals Bier 2 Ich habe an diesem Tag kein Bier getrunken 3 weniger als 2 kleine Flaschen/Gläser 4 2-3 kleine Flaschen/Gläser 5 4-6 kleine Flaschen/Gläser 6 mehr als 6 kleine Flaschen/Gläser 14 c. Wenn du bei dieser Gelegenheit Alkopops getrunken hast, wie viel hast du getrunken? 1 Ich trinke niemals Alkopops 2 Ich habe an diesem Tag keine Alkopops 3 weniger als 2 Flaschen 4 2-3 Flaschen 54-6 Flaschen 6 mehr als 6 Flaschen 14 b.Wenn du bei dieser Gelegenheit Wein oder Sekt getrunken hast, wie viel hast du getrunken? 1 Ich trinke niemals Wein/Sekt 2 Ich habe an diesem Tag keinen Wein/ Sekt getrunken 3 weniger als 2 Achtel Wein/Gläser Sekt 4 2-3 Achtel Wein/Gläser Sekt od. ½ Flasche 5 4-6 Achtel Wein/Gläser Sekt 6 mehr als 6 Gläser oder mehr als 1 Flasche 14 d. Wenn du bei dieser Gelegenheit Spirituosen getrunken hast, wie viel hast du getrunken? 1 Ich trinke niemals Spirituosen 2 Ich habe an diesem Tag keine Spirituosen getrunken 3 weniger als 2 Gläser 4 2-3 Gläser 5 4-6 Gläser 6 mehr als 6 Gläser Bei den 39 SchülerInnen aus den 77, die den Fragenblock richtig verstanden und auch korrekt beantwortet hatten, handelt es sich primär um Jugendliche, die noch nie Alkohol getrunken oder bis zur Erhebung maximal einzelne Gläser Sekt zu Silvester oder zu wichtigen familiären Anlässen konsumiert hatten – also um Personen, die sich aufgrund der Einmaligkeit, der Besonderheit des Anlasses und der geringen Menge sowohl in Bezug auf Ausmaß, als auch in Bezug auf den Zeitpunkt gut erinnern konnten. 38 der 77 Jugendlichen, die die Frage richtig verstanden, konnten diese aus folgenden Gründen nicht korrekt beantworten: Es wurde falsch umgerechnet; der Zeitpunkt des letzten Trinktages wurde falsch erinnert; die vorgegebenen Alkoholkategorien wurden falsch verstanden; das Ausmaß des Alkoholkonsums war zwar erinnerbar, wurde aber der Einfachheit halber (möglicherweise falsch) geschätzt; beim Ausfüllen des Fragebogens wurde nur ein Teil des Konsums erinnert; irrtümlich wurde ein falsches Kästchen angekreuzt; das Ausmaß des Alkoholkonsums konnte nicht mehr erinnert werden oder war nie bewusst wahrgenommen worden, weil Getränke geteilt wurden, gemeinsam aus einer selbst gemischten Flasche getrunken oder bei halb geleerten Bechern immer wieder nachgeschenkt wurde. 36 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 16 der 100 befragten SchülerInnen hatten die Frage nach dem letzten Trinktag auf unterschiedlichste Weise missverstanden: Die häufigste Variante des Missverstehens, die 5 der 16 SchülerInnen betraf, war, die Fragen esp13 und esp14 (richtigerweise) auf den letzten Trinktag zu beziehen, bei den Fragen esp14a bis esp14d jedoch bei jeder Getränkekategorie (fälschlicherweise) den Konsum am letzten Tag, an dem ein Getränk aus dieser Getränkekategorie getrunken wurde, anzugeben. 3 SchülerInnen hatten esp13 und teilweise auch esp14 zwar auf den letzten Trinktag bezogen, bei den Detailfragen esp14a bis esp14d aber dann den Konsum eines durchschnittlichen bzw. typischen Trinktages angegeben. Zwei SchülerInnen, die nur selten trinken und sich daher als Nicht-TrinkerInnen verstanden, hatten bei Frage esp13 zwar korrekterweise den Zeitpunkt des letzten Trinktages angegeben, bei den Fragen esp14 bis esp14d aber konsequent „Ich trinke niemals …“ angekreuzt. Ein/e weitere SchülerIn, der/die nur selten trinkt und sich daher als Nicht-TrinkerIn verstand, hatte den gesamten Fragenblock missverstanden und durchgängig „Ich trinke niemals …“ angekreuzt. Ähnlich gelagert ist der Fall einer befragten Person, die in ihrem Leben erst ein Mal Alkohol getrunken und auch die Fragen esp14a bis esp14d auf die an diesem einzigen Trinktag konsumierte Menge bezogen hatte, jedoch bei den Fragen esp13 und esp14 ihren üblichen Alkoholkonsum angab und mit „Ich trinke niemals ...“ antwortete. Eine weitere Person hatte den Fragenblock teilweise auf den letzten Trinktag, teilweise auf den letzten Tag, an dem sie betrunken war, bezogen, wodurch die Antworten weder richtig, noch in sich stimmig waren. Ein/e andere SchülerIn hatte beim Fragenblock nicht den Konsum des letzten Trinktages (zu Hause ein Bier getrunken), sondern den Konsum beim letzten Fortgehen mit Alkoholkonsum beschrieben. Ein/e weitere Befragte/r hatte beim Fragenblock den Gesamtkonsum eines sich über mehrere Tage ziehenden Feuerwehrfestes angegeben. Letztlich hatte eine weitere Person bei esp14 angegeben, am letzten Trinktag keinen Wein/Sekt konsumiert zu haben, bei Frage esp14b dann aber eine Mengenangabe gemacht und danach im Validierungsinterview erklärt, am letzten Trinktag keinen Wein oder Sekt getrunken zu haben. Was sie am Fragenblock falsch verstanden hatte, ließ sich im Interview nicht klären. Bei den 3 SchülerInnen, die Spaßantworten gegeben oder irgendetwas angekreuzt hatten, handelt es sich ausschließlich um Burschen. Einer hatte zum Spaß immer „Ich trinke niemals …“ angekreuzt, ein zweiter hatte überall die höchst mögliche Kategorie angekreuzt. Der dritte hatte bei dieser Frage nach keinem besonderen Muster geantwortet, aber schon zu Beginn des Interviews erklärt, ab und zu wahllos angekreuzt zu haben – und das vor allem bei Fragen, die ihm nicht sofort verständlich waren. Bei den 4 ungeklärten Fällen behaupteten die SchülerInnen, im Fragebogen Antworten gegeben zu haben, die jedoch nicht mit ihren tatsächlichen Antworten im Fragebogen übereinstimmten. Da die InterviewerInnen erst im Anschluss an die Interviews Einsicht in die Fragebögen hatten, konnte der Grund für diese Falschangaben nicht geklärt werden. In diesen vier Fällen war für uns nicht eruierbar, ob die Betreffenden die Fragen falsch verstanden hatten, einen der Realität nicht entsprechenden Eindruck vermitteln wollten, bloß Fehler gemacht, willkürlich beliebige Kästchen angekreuzt oder Spaßantworten gegeben hatten. 37 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Zusammenfassend zu den Fragenblöcken esp13 sowie esp14 bis esp14e den letzten Trinktag betreffend kann man festhalten, dass nur 39 % der Interviewten die Fragen problemlos verstanden hatten und richtig beantworten konnten. Die sich in diesem Ergebnis ausdrückende Problematik wird auch deutlich, wenn man die Fragebögen der ESPAD Erhebung 2007 auswertet und die von den SchülerInnen angeblich am letzten Trinktag konsumierten Alkoholmengen betrachtet. Eine Schwierigkeit bei dieser Auswertung ist, dass im Fragebogen als Antwortkategorien nicht konkrete Werte, sondern Wertebereiche angegeben wurden, und dass die höchste Kategorie mit „mehr als 6 Gläsern/Flaschen“ angegeben war, was im Zuge der Auswertung auf „7 bis 9 Gläser/Flaschen“ übersetzt wurde. Um dem Rechnung zu tragen, wurde jeweils sowohl eine Minimalschätzung, basierend auf der Untergrenze pro Bereich, als auch eine Maximalschätzung, basierend auf der Obergrenze, durchgeführt, wobei die Obergrenze betreffend anzumerken ist, dass damit Angaben von mehr als 9 Gläser/Flaschen pro Getränkekategorie ausgeschlossen wurden. Bezieht man sich auf die Untergrenzen der SchülerInnenangaben, so ergibt sich, dass 7% der SchülerInnen am letzten Trinktag mehr als 160 Gramm Reinalkohol (entspricht im Alkoholgehalt 2 Liter Wein oder mehr) getrunken hatten, und bezieht man sich auf die Obergrenze, so erhöht sich der Prozentsatz auf 14% der SchülerInnen. Man kann annehmen, dass der tatsächliche Prozentsatz in etwa in der Mitte, also bei rund 10% der SchülerInnen liegt (vgl. dazu auch Band 1: „Forschungsbericht“, wo auch ausgeschlossene, höhere Werte nachgelesen werden können). Es ist zwar denkbar, dass einige SchülerInnen mit problematischem Alkoholkonsum derartig hohe Alkoholmengen verteilt über viele Stunden zu sich nehmen. Dass allerdings jede/r zehnte 14- bis 17-jährige SchülerIn beim letzten Alkoholkonsumereignis derartig große Mengen getrunken haben könnte, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen. Wenig alkoholerfahrene Personen erreichen mit dieser Menge selbst, wenn sie den Alkohol über viele Stunden verteilt trinken, akut lebensbedrohliche Zustände 10. 4.7 Durchschnittsalkoholkonsum der letzten 30 Tage Gegen Ende des Fragebogens wurden die SchülerInnen in einem Themenblock zu Alkohol (vgl. Abb. 13) gefragt, wie viele „Drinks“ sie im Durchschnitt in den letzten 30 Tagen an „Trinktagen“ (Tagen, an denen Alkohol getrunken wurde) konsumiert hatten (opt50). Die Erfassung anhand von „Standarddrinks“ dient zur approximativen Umrechnung des konsumierten Alkohols in Gramm Reinalkohol. Zur Umrechnung der konsumierten Alkoholmenge in „Standarddrinks“ gab es für die SchülerInnen eine anschauliche Hilfestellung mit Umrechnungsbeispielen. SchülerInnen, die in den letzten 30 Tagen keinen Alkohol getrunken hatten, konnten das explizit ankreuzen. Die Übrigen wurden aufgefordert, eine Zahl anzugeben, die ihrem Durchschnittskonsum der letzten 30 Tage an Trinktagen – umgerechnet in „Standarddrinks“ – entspricht. Ursprünglich war eine Validierung dieser Frage im Rahmen der Interviews nicht vorgesehen. Nachdem jedoch bei Durchsicht der ersten ausgefüllten Fragebögen relativ häufig unplausibel hohe Zahlen bzw. Zahlen, die nicht mit den anderen Antworten im Fragebogen zusammenpassten, auffielen, wurde diese Frage nach etwa der Hälfte der Validierungsinterviews zusätzlich in den Interviewleitfaden aufgenommen. 10 Wird eine Alkoholmenge von 160 Gramm Reinalkohol, was 2 Litern Wein entspricht, in relativ kurzer Zeit getrunken, so ergibt das eine Blutalkoholkonzentration von 3 bis 4 Promille (Widmark’sche Formel, vgl. Uhl et al., 2009). Die Grenze, bei der 50% der Personen sterben, wird mit 3,5 Promille angegeben (Feuerlein, 1979). Bei einem durchschnittlichen Alkoholabbau von 0,15 Promille pro Stunde, wird ein Viertel Liter Wein in einem Zeitraum von 2 bis 3 Stunden abgebaut. 38 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Abb. 13: Fragenblock opt48, opt49 und opt50 48. An wie vielen Tagen (wenn überhaupt) hast du irgendein alkoholisches Getränk getrunken? a)während der letzten 30 Tage an Tagen Alkohol getrunken (0 = an keinem Tag) b) während der letzten 7 Tage an Tagen Alkohol getrunken (0 = an keinem Tag) 49. Denke bitte an die letzten 7 Tage. Wie viele Gläser Alkohol hast du in den letzten 7 Tagen insgesamt getrunken? Bitte für jedes Getränk die Anzahl der Gläser angeben: a) In den letzten 7 Tagen kleine Gläser od. kleine Flaschen Bier à 0,33 l (0 = keine) b) In den letzten 7 Tagen Gläser Wein oder Sekt à 1/8 Liter (0 = keine) c) In den letzten 7 Tagen Gläser oder Flaschen Alkopops à 0,33 Liter (0 = keine) d) In den letzten 7 Tagen Gläser SpirituoseBitte beachte die jeweiligen Flaschen- und Gläsergrößen und versuche auf „Drinks“ umzurechnen (z.B. n à 0,04 Liter, d.h. ein „doppelter Schnaps“ (0 = keine) 50. Denke an die letzten 30 Tage. An einem Tag, an dem du Alkohol trinkst, wie viel trinkst du dann ungefähr im Durchschnitt? 1 Viertel Wein = 2 Drinks, 2 Krügel Bier = 3 Drinks usw. Ich habe in den letzten 30 Tagen keinen Alkohol getrunken. Anzahl der Drinks im Durchschnitt an Trinktagen: Die quantitative Gesamtauswertung der Fragebögen zeigt, dass ein nicht geringer Prozentsatz der SchülerInnen sehr große Alkoholmengen als Durchschnittskonsum pro Trinktag angegeben hatte. Es handelt sich dabei um Durchschnittsmengen, die für manche Personen mit Alkoholproblemen zwar durchaus plausibel wären, die aber kaum dem Durchschnittskonsum eines größeren Segments von SchülerInnen entsprechen können. So gaben knapp über 15% aller befragten SchülerInnen an, an einem Trinktag durchschnittlich 14 Drinks oder mehr zu konsumieren, was umgerechnet einen Durchschnittskonsum von mindestens 4,66 Liter Bier bzw. 1,75 Liter 11 Wein ergibt. 102 SchülerInnen (1,8%) gaben an, an Trinktagen im Durchschnitt 40 oder mehr Drinks getrunken zu haben, was einem Durchschnittskonsum von mindestens 13,33 Liter Bier oder 5 Liter Wein entspricht, einer Menge, die kaum jemand überleben könnte 12. Anders als beim Fragenblock zum letzten Trinktag (vgl. 4.6), waren die Angaben hier nicht durch die Vorgabe von Antwortbereichen künstlich nach oben begrenzt. Zudem ergab die Konsistenzprüfung, die zu dieser Frage durchgeführt wurde, dass 0,8% der Befragten zwar ankreuzten, in den letzten 30 Tagen keinen Alkohol getrunken zu haben, gleichzeitig aber für diesen Zeitraum einen Durchschnittskonsum über Null angaben (vgl. Band 1: „Forschungsbericht“). Es ist anzunehmen, dass die Komplexität der Fragen (Konsum der letzten 30 Tage erinnern, in Drinks umrechnen, Durchschnitt berechnen), die Verwirrung durch die beiden vorherigen Fragen (bei denen zuerst auf die letzten 30, dann auf die letzten 7 Tage Bezug genommen wurde) sowie das Nachlassen der Motivation und Konzentration gegen Ende des Fragebogens mögliche Gründe für die teils unrealistischen Antworten sind. 11 12 Ein Problem in diesem Zusammenhang ist, dass Wein sowohl in Achtellitergläsern, als auch in Dezilitergläsern ausgeschenkt wird. Bezieht man sich auf Achtellitergläser, ergeben 14 „Drinks“ 1,75 Liter Wein, bezieht man sich aber auf Dezilitergläser, ergeben sich 1,4 Liter Wein, also 2 Flaschen á 0,7 Liter. Wird eine Alkoholmenge von 400 Gramm Reinalkohol, was 5 Litern Wein entspricht, in relativ kurzer Zeit getrunken, so ergibt das eine Blutalkoholkonzentration von über 7 Promille (Widmark’sche Formel, vgl. Uhl et al., 2009). Die Grenze, bei der 50% der Personen sterben, wird mit 3,5 Promille angegeben (Feuerlein, 1979). Bei einem durchschnittlichen Alkoholabbau von 0,15 Promille pro Stunde, wird ein Viertel Liter Wein in einem Zeitraum von 2 bis 3 Stunden abgebaut. 39 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Insgesamt wurden 56 SchülerInnen im Rahmen der Interviews nach ihrer Antwort auf Frage opt50 und danach, wie sie zu dieser gekommen sind, befragt. Dabei stellte sich heraus, dass 33 der 56 SchülerInnen die Frage richtig verstanden und auch korrekt beantwortet hatten. Bei etwa der Hälfte davon (15) handelt es sich um Jugendliche, die in den letzten 30 Tagen keinen Alkohol getrunken hatten und somit auch keinen Durchschnittskonsum erinnern und berechnen mussten (vgl. Tab. 11). Von den restlichen 23 SchülerInnen verstanden 8 die Frage zwar richtig, hatten jedoch Probleme bei der Beantwortung, weil sie den Konsum der letzten 30 Tage nicht einschätzen bzw. die getrunkenen Getränke nicht in Drinks umrechnen konnten oder wollten. Ein/e SchülerIn hatte, wie er/sie im Validierungsinterview behauptete, im Fragebogen irrtümlich „keinen Alkoholkonsum über die letzten 30 Tage“ angekreuzt – was zu einem Widerspruch führte, weil er/sie für diesen Zeitraum einen Durchschnittskonsum über Null angegeben hatte – obwohl ihm/ihr immer bewusst war, in dieser Zeit Alkohol konsumiert zu haben. 5 gaben an, keine Lust mehr gehabt zu haben, komplexe Fragen zum Alkoholkonsum zu beantworten und daher gegen Ende des Fragebogens bloß irgendwelche Antworten angekreuzt zu haben – teilweise immer die gleichen, z.B. immer 7, oder abwechselnd die gleichen, z.B. 4 und 40 (vgl. Tab. 11). Tab. 11: Durchschnittskonsum an Trinktagen in den letzten 30 Tagen (opt50 13 ) Von 56 SchülerInnen (100%) hatten 33 (59%) die Frage richtig verstanden und beantworten können (davon sind 18 AlkoholkonsumentInnen und 15 Nicht-KonsumentInnen) 8 (14%) die Frage richtig verstanden, aber Probleme bei der Beantwortung 5 (9%) bei der Frage keine Lust mehr und daher bloß irgendwas angegeben 10 (18%) die Frage falsch oder gar nicht verstanden 10 schließlich verstanden die Frage auf unterschiedlichste Weise falsch oder gar nicht. Eine Person verstand „Trinktag“ als einen Tag, an dem besonders viel getrunken wurde, und gab daher statt eines Durchschnitts- einen Spitzenwert an. Ähnlich zog eine weitere Person zur Berechnung des Durchschnittskonsums nur Wochenendtrinktage, also Tage, wo generell mehr als unter der Woche getrunken wird, heran und schätzte diesen Wert, da sie keine Lust mehr hatte zu rechnen. Zwei Personen bezogen die Frage nicht auf den Durchschnittskonsum der letzten 30 Tage, sondern auf einen unbestimmten Zeitraum – was in einem Fall zum eigentlich widersprüchlichen Ergebnis führte, dass über die letzten 30 Tage kein Alkoholkonsum angegeben, aber trotzdem ein durchschnittlicher Alkoholkonsum an einem Trinktag genannt wurde. Eine weitere Person hat statt dem Durchschnittskonsum der letzten 30 Tage, den Gesamtkonsum der letzten 7 Tage angegeben. Wieder eine andere Person hatte ein Feuerwehrfest, das an zwei aufeinander folgenden Tagen stattfand, als einen Trinktag und den Gesamtkonsum der beiden Tage angegeben, bei dem sich der/die SchülerIn, wie er/sie im Interview erklärte, zusätzlich etwas überschätzt haben dürfte. Zwei weitere Personen hatten auf Grund von Verständnisschwierigkeiten die Frage beim Fragebogen gar nicht beantwortet. Eine der beiden hatte ein Fragezeichen ins Antwortfeld geschrieben, die andere es leer gelassen und im Interview erklärt: „Da hab’ ich nichts hingeschrieben. Ich hab die Frage nicht verstanden.“ Bei den übrigen zwei Personen konnte nicht geklärt werden, auf welche Weise sie die Frage falsch verstanden hatten. Eine der beiden Personen gab im Interview an, die Frage im Fragebogen ausgelassen zu haben, weil sie diese nicht verstanden hätte, und wurde deshalb nicht weiter dazu befragt. Tatsächlich hatte sie aber, wie sich später herausstellte, im Fragebogen bei dieser Frage eine Zahl angegeben. Die andere Person hatte im Fragebogen und im Interview eine Menge angegeben, die sehr hoch ist (20 „Drinks“) und uns angesichts der restlichen Antworten im 13 Zum einfacheren Vergleich (sonst handelt es sich immer um 100 interviewte Personen, bei dieser Frage nur um 56) wurde hier die Anzahl der interviewten SchülerInnen auch in %werte umgerechnet. 40 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Fragebogen wenig plausibel erschien. Auf kritisches Nachfragen im Interview bestand die Person jedoch darauf, korrekte Angaben gemacht zu haben (vgl. Tab. 11). Abgesehen von 2 SchülerInnen, die die Frage gar nicht verstanden und daher ausgelassen haben, ergaben die Befragungen, dass bei dieser Frage – egal ob durch falsches Verstehen, verzerrende Schätzungen oder willkürliche Antworten aufgrund mangelnder Motivation – erheblich mehr Drinks angegeben wurden, als tatsächlich in den letzten 30 Tagen im Durchschnitt an Trinktagen getrunken worden waren. Aus den Angaben im Fragebogen ergibt sich für alle SchülerInnen, die im Rahmen der Validierungsstudie interviewt wurden, ein Durchschnittswert von 5,1 „Drinks“. Der Durchschnittswert berechnet über die (korrigierten) Angaben im persönlichen Interview beträgt hingegen nur 3,4 Drinks. Die Fragebogenerhebung überschätzte die Angaben also relativ zum Validierungsinterview um 50%. 4.8 Der unscharfe Begriff „Betrunkensein“ Im ESPAD Fragebogen wurde viermal auf den Zustand des Betrunkenseins Bezug genommen. Und zwar einmal bei Frage esp14e, wo der Grad der Berauschung des letzten Trinktages beurteilt werden sollte, einmal bei Frage esp19 (vgl. Abb. 14), wo nach dem Alter beim erstmaligen Betrunkensein gefragt wurde und bei den Fragen esp18 sowie opt51, wo nach der Anzahl an Gelegenheiten gefragt wurde, bei denen die SchülerInnen betrunken waren. Dabei wurde bei Frage esp18 „Betrunkensein“ spezifisch in Richtung „schwerer Rausch“ definiert; bei Frage opt51 hingegen erfolgt keine nähere Erklärung zum Ausmaß des Betrunkenseins (vgl. Abb. 15 und Abb. 16). „Betrunkensein“ ohne Präzisierung ist einerseits ein sehr weit gefasster Begriff, der Alkoholauswirkungen vom leichten, kaum merkbaren Schwips, bis hin zur lebensbedrohlichen Alkoholvergiftung inkludiert, und andererseits auch ein mehrdeutiger Begriff, weil manche Personen den Ausdruck „Betrunkensein“ ausschließlich auf „starke Intoxikation“ beziehen oder andere auf jegliche Wirkung aufgrund von Alkoholkonsum. Da im ESPAD Fragebogen bei Fragen mehrmals der unklare Begriff „Betrunkensein“ ohne nähere Präzisierung verwendet worden ist, wollten wir im Zuge der Validierungsstudie herausfinden, wie SchülerInnen den Ausdruck „Betrunkensein“ bei diesen Fragen spontan interpretierten. Abb. 14: Frage nach dem Alter des ersten Betrunkenseins (esp19) 19. Wann (wenn überhaupt) hast du Folgendes zum ersten Mal getan? Kreuze in jeder Zeile ein Kästnie mit 9 mit 11 chen an. Jahren mit 10 Jahren oder Jahren jünger e) dich mit Alkohol betrunken mit 12 Jahren mit 13 Jahren mit 14 Jahren mit 15 Jahren mit 16 Jahren oder älter Abb. 15: Frage nach Betrunkensein mit Beschreibung von Betrunkensein (esp18) 18. Wie oft (wenn überhaupt) warst du aufgrund alkoholischer Getränke betrunken, so dass du z.B. beim Laufen hin und hergeschwankt bist, nicht mehr ordentlich sprechen oder dich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern konntest? Anzahl der Gelegenheiten Kreuze in jeder Zeile ein Kästchen an. 40 oder 0 1-2 3-5 6-9 10-19 20-39 öfter a) in deinem ganzen Leben b) während der letzten 12 Monate c) während der letzten 30 Tage 41 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Abb. 16: Frage nach Betrunkensein ohne Beschreibung zu Betrunkensein (opt51) 51. Wie oft (wenn überhaupt) warst du aufgrund alkoholischer Getränke betrunken? Anzahl der Gelegenheiten Kreuze in jeder Zeile ein Kästchen an. 0 1-2 3-5 6-9 10-19 a) in deinem ganzen Leben 40 oder öfter b) während der letzten 12 Monate c) während der letzten 30 Tage 20-39 Die SchülerInnen wurden in den Validierungsinterviews gefragt, welche Antworten sie bei den Fragen esp18 sowie opt51 gegeben und welche Art von Räuschen sie bei den jeweiligen Fragen als „Rausch“ gewertet hatten. Die Palette der Antworten reichte von leichtem „Betrunkensein“ im Sinne von „lustig sein, nicht schwindlig“ (Int. Nr. 7) bis zur expliziten Einschränkung auf schwerere Räusche. So gab z.B. ein/e SchülerIn im Fragebogen an, noch nie betrunken gewesen zu sein und erklärte anschließend im Interview, dass er/sie sich erst dann als betrunken bezeichnen würde, wenn er/sie sich an nichts mehr erinnern könne, nicht mehr in der Lage sei zu gehen und nicht mehr wisse bzw. kontrollieren könne, was er/sie tue. „Ich aber“, so diese Person, „war immer Herr meiner Sinne; ich war immer nur schön angeheitert.“ (Int. Nr. 38). Manche der interviewten Personen erwähnten explizit, dass ihnen eine genaue Definition von „Betrunkensein“ gefehlt hatte und sie es gut fänden, wenn derartige Begriffe präziser definiert werden würden: „Der Begriff ‚betrunken’ sollte besser definiert werden“ (Anmerkung im Fragebogen und im Validierungsinterview von Int. Nr. 16). Selbst zur Frage esp18, bei der eine Präzisierung stattfand, merkte eine der interviewten Personen an, dass ihr diese Definition zu breit sei: „Es ist ein großer Unterschied, ob man beim Gehen – wieso Laufen? 14 – hin und her schwankt, oder sich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern kann.“ (Int. Nr. 94). Auf die Frage, wie die SchülerInnen zwischen den beiden Fragen nach dem Betrunkensein esp18 (spezifisch in Richtung schwerer Räusche) und opt51 (ohne Präzisierung) unterschieden hätten, wurden uns unterschiedlichste Abgrenzungshilfen genannt. So hatten einige Jugendliche „Erbrechen“ zum Unterscheidungskriterium gemacht, andere versuchten es mit der „Anzahl der getrunkenen Getränke“, wie „mehr als 3 Getränke“ oder „mehr als 6-7 Getränke“. Eine Schülerin, die nach eigenen Angaben am Land beim Fortgehen oft bis zu einem starken Rausch trinkt, in Wien aber darauf achtet, nicht stark betrunken zu werden – weil sie sich in Wien weniger Unterstützung bzw. Hilfestellung von anderen Leuten erwartet –, orientierte sich diesbezüglich am Ort des Alkoholkonsums. Unter anderem ging es uns darum, zu erfassen, in welchem Ausmaß der Ausdruck „Betrunkensein“ von den befragten SchülerInnen so verstanden wurde, dass auch „leichtes Beschwipstsein“ bzw. „leichte Räusche“ eingeschlossen sind, und in welchem Umfang der Ausdruck als Synonym für „Vollräusche“ interpretiert wurde. Das zu erheben ist grundsätzlich nicht einfach, da das gezielte Nachfragen bei unscharfen oder mehrdeutigen Begriffen den Befragten signalisiert, dass hier unterschiedliche Definitionen existieren, wodurch zwangsläufig Reflexionsprozesse eingeleitet werden und man damit die Perspektive der Befragten relevant beeinflusst. Im Rahmen der Validierungsinterviews war es allerdings möglich, jene Personen, die im Fragebogen über ihren ersten Rausch berichtet hatten (esp19e), relativ unauffällig genauer nach den Auswirkungen dieses Rausches zu fragen: Von den 65 SchülerInnen, die einen ersten Rausch angegeben hatten, berichteten 13, dass es sich dabei nur um einen leichten Schwips gehandelt hätte, 12, dass es bloß ein leichter Rausch gewesen sei und 19 berichteten von einem schweren Rausch mit Symptomen wie Erbrechen, Blackout, Kater usw. Bei 21 dieser 14 Der etwas unglückliche Ausdruck „Laufen“ an dieser Stelle entspricht dem bundesdeutschen Sprachverständnis und findet sich, da die Version für die deutschsprachigen Länder gemeinsam erstellt wurde, auch im österreichischen Fragebogen. 42 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik SchülerInnen konnten wir das Ausmaß des ersten Rausches nicht eruieren. Aus diesen Ergebnissen kann man ersehen, dass ein nicht unwesentlicher Anteil der SchülerInnen schon einen leichten Schwips oder leichten Rausch als „sich mit Alkohol betrinken“ wertete, was nicht uninteressant für die Interpretation der Daten ist – oder anders formuliert, die Angabe im Fragebogen, dass sich jemand betrunken hatte, kann alles, vom kaum merklichen Schwips bis hin zur schweren Alkoholvergiftung mit Koma bedeuten. Präzise, quantitative Aussagen darüber, wieviele der befragten SchülerInnen auch ganz milde Berauschung unter „Sich-Betrinken“ subsumierten, kann man aus diesen Ergebnissen aber nicht ableiten. Wenn sich die Interpretation des Betrunkenseins während des Validierungsinterviews als leichter Schwips herausstellt, kann man noch daraus schließen, dass die betreffende Person bereits einen „leichten Schwips“ als „Betrunkensein“ versteht. Wenn sich allerdings das Betrunkensein im Validierungsinterview als Vollrausch herausstellt, kann man daraus nicht ableiten, dass von dieser Person nicht auch ein „leichter Schwips“ als „Betrunkensein“ interpretiert werden würde. Darüber, wieviele der SchülerInnen, die ihren ersten Rausch im Validierungsinterview als „leichten Rausch“ oder „Vollrausch“ klassifizierten, auch einen leichten Schwips als „Rausch“ gewertet hätten bzw. bei anderen Fragen zur Anzahl der Räusche mitgezählt hatten, und in welchem Ausmaß – im umgekehrten Fall – Schwips und/oder leichte Räusche nicht als „Räusche“ interpretiert wurden, kann man nur spekulieren. Interessante Einblicke bezüglich der Frage, wie unterschiedlich der Begriff „Betrunkensein“ von SchülerInnen verstanden wurde, bietet auch der Vergleich der beiden Fragen esp18c und opt51c basierend auf den Daten der Fragebogenerhebung. Beide Fragen lauten nahezu gleich, bei opt51c findet sich allerdings keine Präzisierung des Rausches, während bei esp18c eine Einschränkung auf schwerere Räusche stattfindet (vgl. Tab. 12). Während bei der Frage nach starken Räuschen 30,5% (esp18c) der Befragten solche für das letzte Monat angegeben hatten, betrug der dementsprechende Anteil bei der Frage nach Räuschen generell 43,2% (opt51c). Während bei Frage esp18c durchschnittlich 1,1 Räusche pro Monat angegeben wurden, ergaben sich bei der zweiteren Frage (opt51c) durchschnittlich 2,1 Räusche. Man kann aus diesen Ergebnissen ableiten, dass SchülerInnen „Betrunkensein“ keinesfalls überwiegend mit „starken Räuschen“ gleichsetzten, wie das bei Interpretationen in den Medien oft angedeutet wird. Tab. 12: Unterschiede zwischen den Rauschfragen esp18c und opt51c (Monatsprävalenz) opt51c opt51c: „Wie oft (wenn überhaupt) warst du aufgrund alkoholischer Getränke betrunken? …während der letzten 30 Tage“ esp18c: „Wie oft (wenn überhaupt) warst du aufgrund alkoholischer Getränke betrunken, so dass du z.B. beim Laufen hin und her geschwankt bist, nicht mehr ordentlich sprechen oder dich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern konntest? …während der letzten 30 Tage “ esp18c 1-2 3-5 6-9 10-19 nie 2952 577 133 57 16 8 9 3752 1-2 104 634 268 89 32 5 10 1142 3-5 7 43 144 86 33 6 4 323 6-9 0 6 20 45 27 3 2 103 10-19 1 3 4 16 15 6 3 48 20-39 0 3 2 1 2 0 0 8 40 + 1 0 1 1 4 1 12 20 3065 1266 572 295 129 29 40 5396 Gesamt Kommentar : Die unmöglichen Antworten werden in den fett umrahmten Zellen ausgewiesen 43 20-39 40 + Gesamt nie ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Außerdem fällt bei Tab. 12 auf, dass es eine Reihe von Personen gibt, die für das letzte Monat mehr starke Räusche (esp18c) als Räusche insgesamt (opt51c) angegeben hatten (4,1% der Befragten) – was logisch unmöglich ist – und dass 0,7% der Befragten im Verlauf eines Monats 40 oder mehr Räusche gehabt haben wollten, was ebenfalls wenig plausibel erscheint. Sinnvolle Aussagen über Alkoholräusche lassen sich nur formulieren, wenn man den Grad der Räusche hinreichend genau erfasst. Erschwerend für die Auswertung der ESPAD Daten erwies sich auch der Umstand, dass die Häufigkeiten der Räusche im Fragebogen nicht in Form einer offenen Kategorie abgefragt wurden, sondern in Form von Kategorien, die ganze Wertebereiche abbilden, was eine sinnvolle Berechnung von Mittelwerten und Medianen verunmöglicht. Die Kategoriebildung macht es auch schwerer, völlig absurde Spaßantworten zu identifizieren, da die oberste, offene Kategorie meist so gewählt ist, dass Angaben gerade an der Grenze zum offensichtlich Absurden liegen. 4.9 Selbstmord und Selbstverletzung Da bei der ESPAD Befragung 2003 12% der 14- bis 17-jährigen SchülerInnen angegeben hatten, bereits einen gescheiterten Selbstmordversuch hinter sich zu haben und diese Angaben wenig plausibel erschienen 15, wurde auch dieser Frage im Zuge der Validierungsstudie 2007 nachgegangen. Der Wert war bei der Erhebung 2007 mit neuerlich 12% unverändert. Außerdem war es von Interesse, in Erfahrung zu bringen, ob SchülerInnen der Begriff „Selbstverletzung“ bekannt ist bzw. ob sie diesen im intendierten Sinn, also sich absichtlich körperliche Verletzungen, wie z.B. Schnittwunden, beizufügen, verstehen. Die Fragen zu Selbstmord und Selbstverletzung sind die letzten beiden Fragen des ESPAD Fragebogens. Zuerst wird gefragt, wie oft man „Gedanken der Selbstverletzung“ hatte (opt54b) und darauf folgend nach der Anzahl an Selbstmordversuchen (opt54c, vgl. Abb. 17). Aufgrund der Platzierung der beiden Fragen liegt die Vermutung nahe, dass die Frage nach Selbstmordversuchen des öfteren dahingehend missverstanden worden sein könnte, dass sie als Frage nach „Selbstmordgedanken“ fehlinterpretiert wurde, zumal die Frage unmittelbar davor auf „Selbstverletzungsgedanken“ abzielt. Dieser Ankereffekt der vorhergehenden Frage könnte auch noch durch verminderte Konzentration der Befragten verstärkt worden sein, da diese Frage immerhin auch die letzte im Fragebogen ist. Als weitere mögliche Erklärung käme hier auch gesteigertes Imponiergehabe in der befragten Altersgruppe bzw. eine Tendenz bei Jugendlichen, Emotionen stärker zu erleben und auszudrücken, in Frage. Abb. 17: Frage zu Selbstmord (opt54c) und Selbstverletzung (opt54b) 54. Ist Dir das Folgende jemals widerfahren? nie einmal zweimal 3-4mal 5mal oder öfter b) Gedanken der Selbstverletzung c) Suizidversuch (versuchter Selbstmord) Kreuze ein Kästchen in jeder Zeile an. Zur Überprüfung dieser Vermutungen wurden die SchülerInnen in den Interviews über ihre Antworten im Fragebogen befragt. Für den Fall, dass etwas anderes als „nie“ angekreuzt worden war, wurde nachgefragt, worum es sich dabei konkret gehandelt hatte. Zusätzlich wurde 15 Die Suizidrate bis zum 10. Lebensjahr liegt in Österreich nahe 0%, zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr bei 0,0006% und zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr bei 0,011% der Verstorbenen. Selbst wenn man bedenkt, dass nach ExpertInnenschätzungen auf einen erfolgreichen Selbstmord zwischen 25 und 100 Selbstmordversuche kommen, und man ferner noch bedenkt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Selbstmordversuch im Lebensverlauf der Summe der Wahrscheinlichkeiten über die bereits erlebten Jahre entspricht, gelangt man im ungünstigsten Falle zu einer Schätzung von 2% Lebenszeitprävalenz von Suizidversuchen für unsere Stichprobe und keinesfalls zu den aus den Berichten resultierenden 12% (Uhl et al., 2005). 44 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik die Frage gestellt, ob den SchülerInnen bewusst gewesen war, dass bei den Fragen 54b und 54c einmal nach Gedanken (der Selbstverletzung) und einmal nach konkreten Versuchen (Selbstmord) gefragt wurde. Außerdem wurden die SchülerInnen gefragt, ob der Begriff „Selbstverletzung“ für sie klar war bzw. was sie darunter verstanden. Als heikel ist hier der Umstand zu werten, dass gerade jene SchülerInnen, die Erfahrungen mit Selbstmordversuchen bzw. Selbstverletzungen haben, das Thematisieren dieser Situationen als massiv belastend erleben können. Die SchülerInnen wurden daher zu Beginn des Interviews darauf hingewiesen, dass sie Fragen, die ihnen unangenehmen sind, nicht beantworten müssen. Im Interview hatten bei der Frage nach Selbstmordversuchen vereinzelt Jugendliche – eindeutig mehr als bei anderen Fragen – von diesem Angebot Gebrauch gemacht und nicht geantwortet. Andere hatten angegeben, schon einmal einen Selbstmordversuch begangen zu haben, wollten aber dazu keine näheren Angaben machen. Aus diesem Grund fiel es auch nach den Validierungsinterviews oft sehr schwer zu beurteilen, bei wievielen Personen, die Selbstmordversuche angegeben hatten, ein solcher tatsächlich stattgefunden hat. Eine zusätzliche Problematik stellte das zum Zeitpunkt der Befragung verbreitete jugendkulturelle Phänomen der „Emos“ (von emotional) dar, dessen Existenz dem InterviewerInnenteam erst nach einigen Interviews bewusst wurde. In den Fragebögen waren zahlreiche einschlägige Anmerkungen, auch in Form von Codes, 16 zu finden. Jugendliche bringen Emos mit Selbstverletzung und Selbstmordgedanken in Zusammenhang. In diversen Fragebögen finden sich neben der Frage nach Selbstverletzungsgedanken bzw. Selbstmordversuchen Anmerkungen wie: „Bin ja kein Emo“ oder „Ich bin Emo“. Ein Schüler reagierte im Interview auf die Frage, was er im Fragebogen zu Selbstverletzungen und Selbstmordversuchen angekreuzt hatte, mit der Gegenfrage: „Wissen Sie, was Emos sind?“ (Int. Nr. 12). SchülerInnen, die sich selbst als „Emos“ bezeichneten, nahmen ihr „Emo-Dasein“ unterschiedlich ernst. Der eben erwähnte Schüler erklärte beispielsweise unter den persönlichen Anmerkungen am Ende seines Fragebogens: „Und falls sie bei der letzten Frage nicht wissen was Emos sind. Das sind die Typen die schwarze Haare haben, einen Seitenscheitel haben und sich ritzen, also sehr gerne selbst verletzen. Ich bin zwar selber einer, weil die Mädels drauf stehen, aber ich find‘s eigentlich nicht ok – man sollte das abschaffen. Aber in meinem Freundeskreis sind alle Emos. Da muss ich dabei sein.“ Auf Grund der Problematik, dass Personen, die im Fragebogen Selbstmordversuche angegeben hatten, im Interview die Antwort zu dieser Frage verweigerten oder über den Vorfall nicht sprechen wollten, konnte zwar festgestellt werden, ob die Frage nach einem Selbstmordversuch als Frage nach Gedanken an einen solchen missverstanden wurde, nicht aber, ob es sich bei jenen, die die Frage richtig verstanden hatten, tatsächlich um Personen handelt, die bereits Selbstmordversuche unternommen hatten. Bei den Validierungsinterviews gaben 6 von 100 SchülerInnen an, im Fragebogen Selbstmordversuche angekreuzt zu haben. Tatsächlich waren es 8 von 100, somit hatten zwei über ihr Ausfüllverhalten im Fragebogen gelogen und konnten daher nicht weiter zu Details befragt werden. Von den 6 befragten Personen war nur eine einzige Person bereit, Details zum angegebenen Selbstmordversuch zu schildern, wobei es hier allerdings nicht zur praktischen Umsetzung gekommen war. Die Person berichtete, dem Freund gegenüber einen Sprung aus dem Fenster angedroht zu haben, worauf dieser präventiv interveniert hätte. Eine andere Person gab an, Selbstmordversuch mit Selbstmordgedanken verwechselt zu haben und tatsächlich noch keine Selbstmordversuche unternommen zu haben. Eine Person, die die Maximalkategorie „5 oder öfter“ angekreuzt hatte, beteuerte im Interview zwar die Richtigkeit seiner Angaben, da er jedoch, wie sich später herausstellte, im Fragebogen durchgängig Spaßantworten 16 Der Emo Code sieht etwa so aus: „<3“. SchülerInnen haben uns dazu erklärt, dass dieses Zeichen 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn gedreht eine Herzform darstellen soll, die wiederum für die für Emos kennzeichnende Emotionalität stehen soll. 45 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik gegeben hatte und nicht bereit war, Details zu den Selbstmordversuchen anzugeben, erscheint die Richtigkeit seiner Angaben äußerst fragwürdig. Bei einer sehr depressiv wirkenden Schülerin, die die Frage nach den Selbstmordversuchen im Interview nicht beantworten wollte, erschien der Interviewerin die Angabe von 2 Selbstmordversuchen im Fragebogen als durchaus glaubwürdig. Sie betonte, man sollte solche Fragen in einem Fragebogen nicht stellen, da dies (erstens) bei Personen, die schon daran gedacht oder es schon versucht gehabt hatten, unangenehme Erinnerungen hervorrufen könnte und da (zweitens) jene, die noch keine derartigen Erfahrungen gemacht hatten, die Frage oft bloß zum Spaß ankreuzen würden. Bei den restlichen 2 interviewten Fällen ergaben sich für uns keine konkreten Hinweise darauf, ob tatsächlich Selbstmordversuche stattgefunden hatten oder nicht (Tab. 13). Tab. 13: Frage nach Selbstmordversuchen (opt54c) 8 von 100 gaben im Fragebogen bei Frage opt54c an, bereits einmal einen Selbstmordversuch unternommen zu haben: 2 Personen bestritten im Interview, das entsprechende Feld angekreuzt zu haben und wurden daher zum Thema Selbstmordversuch nicht näher befragt 1 Person beschrieb im Interview einen beabsichtigten Selbstmordversuch, der allerdings nie zur konkreten Umsetzung gekommen war 1 Person gab an, Selbstmordversuch mit Selbstmordgedanken verwechselt zu haben und tatsächlich keinen Selbstmordversuch unternommen zu haben 1 Person wirkte depressiv und war nicht bereit zum Thema zu sprechen – sie vertrat aber , dass man derartige Fragen in einem Fragebogen nicht stellen sollte 1 Person Bestätigte mehrere Selbstmordversuche unternommen zu haben, war aber nicht bereit, Details zu erzählen. Da diese Person im Fragebogen durchgehend Spaßangaben gemacht hatte, erscheint die Richtigkeit der Angaben allerdings fraglich 2 Personen bestätigten die Richtigkeit der im Interview angekreuzten Selbstmordversuche, waren aber nicht bereit, Details dazu Preis zu geben Die Validierungsinterviews lassen keine sehr präzise Aussagen über die Verlässlichkeit der Angaben über Selbstmordversuche zu. Die von uns erwartete Verwechslung von Selbstmordversuchen mit Selbstmordgedanken sowie eine Spaßantwort fand nur in jeweils einem von 6 befragten Fällen statt. In jenem Fall, wo Details zum Selbstmordversuch angegeben worden waren, zeigte sich aber, dass der Ausdruck „Selbstmordversuch“ unter Umständen sehr weit verstanden werden könnte – durchaus auch als Versuch, der weit von konkreten Umsetzungsschritten entfernt ist. 31% aller 2007 mittels Fragebogen befragten SchülerInnen gaben im Fragebogen an, schon einmal an Selbstverletzung gedacht zu haben. In der Gruppe der interviewten Personen waren es 26% (26 SchülerInnen). 24 davon gaben an, tatsächlich an Selbstverletzung gedacht zu haben, die restlichen 2 hatten die Frage im Sinn von „Selbstmordgedanken“ missverstanden. Die Frage, ob der Begriff „Selbstverletzung“ bekannt ist bzw. was darunter verstanden wird, ergab, dass ein Großteil der SchülerInnen den Begriff sehr gut kannte. 58 der 100 befragten SchülerInnen verwendeten für die Beschreibung von selbstverletzendem Verhalten den Begriff „Ritzen“. 22 weitere SchülerInnen beschrieben selbstverletzendes Verhalten eindeutig im Sinn von „Ritzen“, allerdings ohne diesen Ausdruck zu verwenden. Bei 15 SchülerInnen bleibt selbst nach dem Interview unklar, ob bzw. wie sie den Begriff „Selbstverletzung“ verstanden. Nur 5 sagten im Interview, dass sie sich unter Selbstverletzungen nichts vorstellen könnten, oder beschrieben etwas, das nicht als selbstverletzendes Verhalten zu bezeichnen ist, wie zum Beispiel sich zu überlegen, was sein könnte, wenn man irgendwo hinunter springt oder sich auf eine Rauferei einzulassen, bei der man dann verletzt wird. 46 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 4.10 Schulabschluss der Eltern Im ESPAD Fragebogen 2007 wurde nach dem höchsten Schulabschluss des Vaters (esp37) und der Mutter (esp38) gefragt. Als Antwortmöglichkeiten standen die Kategorien „Hauptschulabschluss oder kein Abschluss“, „eine höhere Schule (Realschule, Gymnasium) besucht“, „Abschluss einer höheren Schule (Realschule, Gymnasium)“, „Fachhochschule oder Universität besucht“, „Abschluss an einer Fachhochschule oder Universität“ und „ich weiß es nicht/es trifft nichts davon zu“ zur Verfügung (vgl. Abb. 18). Abb. 18: Frage nach dem höchsten Schulabschluss des Vaters esp37 und der Mutter esp38 37. Welches ist der höchste Schulabschluss deines Vaters? (Bitte nur ein Kästchen ankreuzen) 3 Abschluss an einer höheren Schule (Realschule, Gymnasium) 1 Hauptschulabschluss oder kein Abschluss 4 Fachhochschule oder Universität besucht 2 eine höhere Schule (Realschule, Gymnasium) besucht 5 Abschluss an einer Fachhochschule oder Universität 6 ich weiß es nicht / es trifft nichts davon zu 38. Welches ist der höchste Schulabschluss deiner Mutter? (Bitte nur ein Kästchen ankreuzen) 3 Abschluss an einer höheren Schule (Realschule, Gymnasium) 1 Hauptschulabschluss oder kein Abschluss 4 Fachhochschule oder Universität besucht 2 eine höhere Schule (Realschule, Gymnasium) besucht 5 Abschluss an einer Fachhochschule oder Universität 6 ich weiß es nicht / es trifft nichts davon zu Da bei der ESPAD Erhebung 2003 ein großer Teil der SchülerInnen bei der Frage nach dem Schulabschluss der Eltern „ich weiß es nicht/es trifft nichts davon zu“ angekreuzt bzw. die Frage unbeantwortet gelassen hatte (Vater 25%, Mutter 22%), wurden die Kategorien für die Erhebung 2007 im deutschsprachigen Raum auf die Kategorien „keinen Maturaabschluss“, „Maturaabschluss“ und „Hochschulabschluss“ reduziert, wobei der internationalen Version entsprechend auch noch zwischen „bloß besucht“ und „abgeschlossen“ unterschieden wurde. Die Idee hinter dieser Vereinfachung war, dass angesichts der Fülle unterschiedlicher Bildungswege nur BildungsexpertInnen in der Lage wären, unterschiedliche Bildungswege detaillierter und trotzdem korrekt zu beschreiben. Was dabei nicht bedacht wurde ist, dass der Schulabschluss stark mit Status verbunden ist und die Frage daher für jene SchülerInnen unangenehm werden könnte, deren Eltern über keinen Maturaabschluss verfügen und daher in die unterste Kategorie („Hauptschulabschluss oder kein Abschluss“) einzuordnen wären. Bei der Validierungsstudie sollte herausgefunden werden, ob wirklich rund ein Viertel der Jugendlichen nicht über den Schulabschluss ihrer Eltern Bescheid weiß, oder ob bloß Probleme bei der Zuordnung entstanden waren, die eventuell durch geänderte Antwortkategorien verringert werden könnten. Im Interview wurden die SchülerInnen gefragt, was sie bei den Fragen nach dem höchsten Schulabschluss ihrer Eltern angekreuzt hatten und auf Grund welcher Überlegungen sie zu dieser Antwort gekommen waren. Um die Antworten zu validieren, sollten die SchülerInnen erzählen, welche Schulen die Eltern besucht hatten, welche Berufe sie nun ausübten bzw. ob die Eltern akademische Titel hätten. Dabei zeigte sich, dass bei diesen Fragen zahlreiche Missverständnisse und Probleme aufgetreten waren (vgl. Tab. 14). Auf die Frage nach dem höchsten Schulabschluss der Eltern kreuzten rund 2 Drittel die korrekte Kategorie an (64% den des Vaters, 64% den der Mutter). Die Probleme des restlichen Drittels werden im Folgenden geschildert. Eine Schülerin legte zwar für beide Elternteile die Kategorie „Polytechnischer Lehrgang“ an, diese ließ sich jedoch im Zuge der Auswertung in das bestehende Schema einordnen. In einigen Fällen taten sich die SchülerInnen schwer, die passende Kategorie zu finden, schafften es aber letztendlich (3% den des Vaters, 2% den der Mutter). Eine andere Schülerin wählte zwar korrekterweise für ihre Eltern – die beide eine Lehre abgeschlossen hatten – die Kategorie „Hauptschulabschluss oder kein Abschluss“, erzählte aber im Inter47 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik view, dass während der Beantwortung die Frage aufgetaucht sei, ob das „WIFI“ als Fachhochschule zähle (Int. Nr. 35). Einige SchülerInnen hatten zwar die korrekte Kategorie angekreuzt, waren aber darüber verärgert, das Ausbildungsniveau ihrer Eltern damit nicht detailliert genug würdigen zu können (8% das des Vaters, 3% das der Mutter; vgl. Tab. 14). Rund ein Fünftel der Befragten kannte zwar den Ausbildungstand ihrer Eltern (17% den des Vaters, 20% den der Mutter), kreuzte aber aus unterschiedlichen Gründen die falsche Kategorie an. Ein Teil davon kreuzte die Kategorie „ich weiß es nicht/es trifft nichts davon zu“ an (8% beim Vater, 3% bei der Mutter), weil ihrer Meinung nach die adäquate Kategorie fehlte. Diese SchülerInnen hatten teilweise den Teil „es trifft nichts davon zu“ im Fragebogen unterstrichen, um klar zu stellen, dass nicht ihr Unwissen, sondern fehlende Antwortkategorien das Problem darstellten. So wusste z.B. ein/e SchülerIn, dass seine/ihre beiden Eltern den polytechnischen Lehrgang abgeschlossen hatten, konnte diese Kategorie im Fragebogen jedoch nicht finden und kreuzte deshalb „Ich weiß es nicht/es trifft nichts davon zu“ an. Im Interview erklärte er/sie, dass es „komisch“ wäre, „dass das nicht da stand“ (Int. Nr. 82). Ein weiterer Teil kreuzte ebenfalls die Kategorie „ich weiß es nicht/es trifft nichts davon zu“ an (1% beim Vater, 2% bei der Mutter), weil ihnen die Angabe der korrekten Kategorie unangenehm gewesen wäre. Eine Person hat beispielsweise für ihre Mutter mit Hauptschul- und Lehrabschluss „ich weiß es nicht/es trifft nichts davon zu“ angekreuzt und dies im Interview damit erklärt, dass es ihr unangenehm gewesen wäre, die unterste Kategorie anzukreuzen. Die Mutter, so schließt die Interviewperson aus den Kategorien zum Schulabschluss der Eltern, „hat’s nicht weit gebracht.“ (Int. Nr. 23). Einige kreuzten eine höhere Kategorie an, als der Wahrheit entsprach (2% beim Vater, 2% bei der Mutter), weil sie der Meinung waren, dass die korrekte Kategorie den Ausbildungsstand ihrer Eltern nicht entsprechend gewürdigt hätte. Letztendlich wurde von einigen Personen irrtümlich eine falsche Kategorie angekreuzt (6% beim Vater, 13% bei der Mutter; vgl. Tab. 14). Oft wurde z.B. eine abgeschlossene Fachschule fälschlicherweise der Kategorie Fachhochschule zugeordnet. So hat z.B. ein/e SchülerIn die abgeschlossene Hotelfachschule der Mutter als Fachhochschule interpretiert. In 7 Fällen (4% den Vater, 3% die Mutter betreffend) wurde fälschlicherweise „besucht“ statt „abgeschlossen“ angekreuzt. Diese SchülerInnen hatten bloß auf den Schultyp geachtet und dann nicht mehr genau weitergelesen, was bei den Validierungsinterviews manchmal zu Unmut führte. Eine Person hielt die Unterscheidung für unnötig, und führte aus: „Wenn ich eine Schule besuche, dann schließe ich die auch ab. Zumindest bei uns dahoam im Woidviertl is des so.“. Rund ein Achtel der Befragten verfügten nicht über genügend Wissen den Ausbildungsstand der Eltern betreffend, um eine Kategorisierung vornehmen zu können (15% beim Vater, 13% bei der Mutter). In einem Teil dieser Fälle gab es Anhaltspunkte zum Ausbildungsniveau, die aber nicht ausreichten (7% beim Vater, 7% bei der Mutter) und in den restlichen Fällen existierte überhaupt keine Vorstellung zum Ausbildungsniveau (8% den Vater, 6% die Mutter betreffend; vgl. Tab. 14). In einem Fall schließlich wurden Scherzantworten gegeben und in einigen anderen war es uns nicht möglich zu eruieren, ob die betreffenden SchülerInnen eine konkrete Vorstellung über das Ausbildungsniveau der Eltern hatten (3% das des Vaters, 2% das der Mutter betreffend; vgl. Tab. 14). 48 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Tab. 14: Frage nach Schulabschluss der Eltern (esp37 und esp38) Vater kannte Ausbildung und gab korrekte Antwort kannte Ausbildung und gab falsche Antwort kannte Ausbildung nicht unklar Mutter 52 58 tat sich damit schwer 3 2 formulierte eigene Kategorie 1 1 war über Kategorien verärgert 8 3 kreuzte „weiß nicht“ oder „nichts davon“ an, weil „adäquate“ Kategorie fehlte 8 3 2 kreuzte „weiß nicht“ oder „nichts davon“ an, weil unangenehm 1 kreuzte bewusst höhere Kategorie an 2 2 verwechselte Kategorie 6 13 Anhaltspunkte reichten nicht aus 7 7 wusste gar nichts zur Ausbildung 8 6 gab Scherzantwort 1 1 Details nicht eruierbar 3 2 Kommentar : Da 100 Personen befragt wurden, entsprechen die Häufigkeiten gleichzeitig Prozentangaben Zusammenfassend kann gesagt werden, dass einige SchülerInnen den höchsten Schulabschluss ihrer Eltern tatsächlich nicht kannten, und ein relevanter Anteil anderer diesen zumindest nicht genau genug kannte, um ihn korrekt klassifizieren zu können. Obwohl die Unterscheidung in die drei Kategorien „keine Matura“, „Matura“ und „Hochschulabschluss“ recht simpel anmutet, erfolgte eine korrekte Zuordnung bloß in zwei Drittel der Fälle. Die bei der Erhebung 2007 vereinfachte Klassifizierung mit dem Ziel, den SchülerInnen das Ausfüllen zu erleichtern, erzeugte bei einem relevanten Teil der SchülerInnen Widerstand und Verärgerung, was sich stark negativ auf die Motivation beim Ausfüllen der folgenden Fragen auswirken kann. Zu beachten ist hier, dass die Kategorisierung der Eltern nach deren Ausbildungsniveau einer Statuszuschreibung gleichkommt, die besonders bei Kindern von beruflich erfolgreichen Eltern, die keine Matura haben, große Konflikte hervorrufen kann, weil die Schulbildung der Eltern nicht deren beruflichen Erfolg widerspiegelt. Unbedingt zu empfehlen wäre das Hinzufügen der Kategorien „Lehrabschluss“ und „Hauptschulabschluss oder kein Abschluss“; sowie die Unterteilung der beiden Kategorien „Volkschulabschluss“ und „Hauptschulabschluss“, um im ersten Fall dem Lehrabschluss Rechnung zu tragen und im zweiten Fall das Faktum eines Hauptschulabschlusses fragebogentechnisch aufzuwerten. Mit zunehmend detaillierter Differenzierung zwischen Schulabschlüssen steigt jedoch auch die Zuordnungsproblematik – und damit das Ausmaß der zu erwartenden Fehlklassifizierungen –, da viele nicht unmittelbar mit Schulfragen befasste Personen den komplexen Aufbau des österreichischen Schulsystems nicht im Detail nachvollziehen können. Auch das würde aller Voraussicht nach erheblich demotivierend auf die SchülerInnen wirken. 49 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 5 Probleme aufgrund der Heterogenität der SchülerInnen Die Bevölkerung ist hinsichtlich Sprachverständnis, Sachwissen zu bzw. Erfahrungen mit bestimmten Gegenstandsbereichen und anderen in Zusammenhang mit Befragungen relevanten Fertigkeiten sehr heterogen. Bei Fragebogenerhebungen, die auf einen Querschnitt der Bevölkerung abzielen, steht man daher grundsätzlich vor dem Problem, dass man den Fragebogen so gestalten muss, dass er einerseits von Personen mit geringem Wissen und geringem Sprachverständnis bewältigbar ist und gleichzeitig von sehr informierten und sprachgewandten Personen akzeptiert wird. In der gegenständlichen Untersuchung zeigte sich dieses Problem der Heterogenität in vielerlei Hinsicht. Auf einige in diesem Zusammenhang relevante Probleme wird in den folgenden Kapiteln eingegangen. 5.1 Lesekompetenz und Sprachverständnis In Österreichs Schulen gibt es eine relativ große Zahl von SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache, die teilweise Schwierigkeiten haben, komplexe deutsche Texte zu verstehen – aber auch viele SchülerInnen mit deutscher Muttersprache müssen als sehr leseschwach bezeichnet werden. Aus der PISA Erhebung (Reiter, 2005) ist bekannt, dass in dieser Altersgruppe 17 gut 20% große Schwierigkeiten mit dem sinnverstehenden Lesen haben. Aus diesem Grund ist bei einem Fragebogen, der den Befragten pro Frage bloß 12 Sekunden Antwortzeit lässt, zu hinterfragen, ob auch leseschwächere SchülerInnen in der Lage sind, diesen Anforderungen adäquat nachzukommen. Wenn jede/r fünfte befragte/r SchülerIn wichtige Fragen nicht versteht und daher zwangsläufig völlig inadäquate Antworten gibt, werden Ergebnisse mit Prävalenzraten im einstelligen Bereich gänzlich uninterpretierbar. Eine systematische Prüfung der Sprachkompetenz der SchülerInnen kam für uns im Rahmen der Validierungsinterviews aus Zeitgründen nicht in Frage. Auf die bloße Frage, ob es beim Ausfüllen des Fragebogens aufgrund der Sprache Verständnisprobleme gegeben hatte, antworteten die meisten SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache aus der Validierungsstichprobe, keine Verständnisprobleme gehabt zu haben. In einem bilingualen Gymnasium wurde allerdings von SchülerInnen berichtet, dass in ihrer Klasse z.B. die Ausdrücke „ein Angebot ausschlagen“ oder „Berauschung“ bei KlassenkameradInnen mit nicht-deutscher Muttersprache unbekannt wären und diese daher bei den jeweiligen LehrerInnen nachgefragt hätten. Eine Schülerin dieser Schule meinte über ihre KollegInnen mit nicht-deutscher Muttersprache, dass diese eher umgangssprachliche Ausdrücke als die entsprechenden hochdeutschen Begriffe kennen würden: „Sie wissen schon, was besoffen heißt, aber nicht was Berauschung ist.“ In einem Fragebogen fand sich auf diese Probleme bezogen auch eine konkrete Anmerkung: „Sie fragen mehrere Dinge, was ich nicht kenne!“. In einigen polytechnischen Schulen wiesen LehrerInnen spontan darauf hin, dass manche SchülerInnen aufgrund von Leseschwächen vermutlich ernste Probleme beim Ausfüllen der Fragebögen gehabt hätten. Der Frage, wieviele SchülerInnen wegen Leseschwäche und mangelnden Sprachverständnisses nicht in der Lage waren, relativ komplex formulierte Fragen in kurzer Zeit sinnvoll zu beantworten, sollte daher viel mehr Augenmerk gewidmet werden. 17 Seit 2000 werden im Zuge der PISA Erhebungen (Program for International Student Assessment) regelmäßig die Schulleistungen von 15- bis 16-jährigen SchülerInnen überprüft. 50 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 5.2 Mathematisches Grundverständnis Bei vielen Fragen wurde Kompetenz zur Berechnung von Summen, Prozentwerten, Durchschnittswerten und anderen Rechenoperationen vorausgesetzt. Auch hier ist zu vermuten, dass man damit eine Reihe von SchülerInnen erheblich überforderte (siehe z.B. Kap 4.7). Die Frage, wieviele SchülerInnen mit Teilen des Fragebogens aus diesem Grund überfordert gewesen waren, konnten wir im Rahmen der gegenständlichen Validierungsstudie zwar ebenfalls nicht genauer quantitativ erheben – allerdings sollte auch hier genauer untersucht werden, wie sich diese Problematik auf Ergebnisse und unter Umständen auch auf die Motivation, nach derartigen Problemen Fragen engagiert und überlegt weiter zu beantworten, auswirkt. 5.3 Drogenwissen Ein zentraler Inhalt der ESPAD Erhebung ist es, Erfahrungen mit illegalen Drogen zu erfassen. Aus dem Umstand, dass manche SchülerInnen detailliert über illegale Drogen informiert sind, während andere absolut keine konkreten Vorstellungen zu illegalen Drogen haben und nicht einmal zwischen den bekanntesten illegalen Drogen, wie Haschisch, Heroin und Kokain, unterscheiden können, ergibt sich das Problem, dass man bei manchen SchülerInnen viel voraussetzen kann, was man anderen unbedingt erklären müsste. Mit illegalen Drogen vertraute SchülerInnen empfanden es z.B. teilweise als lächerlich, dass bestimmte Begriffe im Fragebogen näher erklärt wurden, was zu einer Geringschätzung der FragebogenautorInnen und ForscherInnen führte. So fanden sich in den Fragebögen beispielsweise Anmerkungen wie: „Die Fragen sind kindisch. Anmerkungen wie Magic Mushrooms sind irgendwie überflüssig.“ oder „Magic Mushrooms sind auch Halluzinogene, aber was ist mit Crystal, CXM, GBL, Ketamin, …? Sollte das nicht auch in den Bogen mit einbezogen werden?“. Andere wiederum fühlten sich von vielen Begriffen und Konzepten überfordert. So schrieb z.B. jemand in den Fragebogen: „Was sind Cannabis?“ oder „Da ich nur zu Silvester ein Gläschen Sekt Orange trinke, oder zu meinem Geburtstag, kenne ich mich da nicht so gut aus.“ SchülerInnen, die bisher noch keinerlei Drogen konsumiert hatten, empfanden es teilweise als sehr demotivierend, im Fragebogen gar nichts ankreuzen zu können und dadurch, ihrer Meinung nach, nichts zur Studie beitragen zu können. In diesem Zusammenhang fanden sich Anmerkungen wie „Ich frage mich, ob dieser Fragebogen für mich Sinn hat, wenn ich nichts rauche, nicht trinke (Ausnahme Geburtstag) und nicht Drogen zu mir nehme!“ oder „Der Fragebogen war nicht so cool, weil ich nur zu besonderen Anlässen od. gelegentlich trinke und rauche.“. Jedoch lehnten nicht alle SchülerInnen, die nur wenig Erfahrung mit psychoaktiven Substanzen hatten, den Fragebogen ab. So fanden sich auch Anmerkungen wie „Ich finde die Fragen sehr interessant, allerdings betreffen sie mich kaum.“; zusätzlich hatten letztere SchülerInnen bei den meisten Fragen auch keine Probleme: sie mussten sich nicht mühsam an Ereignisse erinnern, umrechnen, oder sich bemühen, komplexe Konzepte zu verstehen und waren daher schnell mit der Beantwortung des Fragebogens fertig. 51 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 6 Anregungen der SchülerInnen bezüglich der Fragebogengestaltung Unter den Anmerkungen, die die SchülerInnen in die Fragebögen geschrieben hatten, fanden sich teilweise auch spontan formulierte Wünsche eine Veränderung des Fragebogens betreffend. Die 100 SchülerInnen der Validierungsstichprobe wurden von den InterviewerInnen zwar nicht explizit danach gefragt, teilweise wurden jedoch im Gespräch Wünsche in diese Richtung geäußert. So wurde etwa von den SchülerInnen kritisiert, dass Kategorien zur Beantwortung der Fragen fehlten und angeregt, dass zu jeder Frage auch die Option „keine Ahnung“ hinzugefügt werden sollte bzw. gemeint, dass auch Felder für eine selbst formulierte Antwort vorzusehen seien. Des Weiteren wünschten sich die SchülerInnen an einigen Stellen präzisere Begriffsdefinitionen – besonders beim Wort „Rausch“. Auch forderten einige SchülerInnen, mehr Fragen zu Alkohol zu stellen und dafür weniger illegale Drogen betreffend. Für die Fragen nach illegalen Drogen wurden bessere Filterfragen gefordert, um nur einmal nach illegalen Drogen gefragt zu werden und im Falle des Nichtkonsums weitere Fragen zu diesem Thema überspringen zu können. Einige der von den SchülerInnen geäußerten Änderungswünsche den Fragebogen betreffend korrespondieren gut mit in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Problemfeldern: unvollständige Antwortkategorien, die Verwendung von unscharfen Begriffen, Fragen, die komplexe Denkoperationen bzw. Erinnerungsleistungen erfordern, etc. 52 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 7 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Als sich bei der letzten ESPAD Erhebung im Jahr 2003 herausstellte, dass die mittels Fragebogen erhobenen Daten zum Teil wenig plausibel erscheinen, zum Teil mit Sicherheit nicht der Realität entsprechen können, und zudem bei Konsistenzprüfungen gravierende Widersprüche auftraten, wurde der Entschluss gefasst, die folgende ESPAD Erhebung 2007 durch eine qualitative Validierungsstudie zu begleiten. Ziel dieser Validierungsstudie war es herauszufinden, in welchem Ausmaß und in welche Richtung Fragen des ESPAD Fragebogens missverstanden, gar nicht verstanden und/oder nicht ernst genommen wurden, und welche Auswirkungen dies auf die Ergebnisse der ESPAD Studie hat. Die Validierungsstudie sollte sowohl Anhaltspunkte für die Interpretation der ESPAD Fragebogendaten liefern, als auch Überlegungen zur Verbesserung zukünftiger ESPAD Erhebungen anregen. Dazu wurden in unterschiedlichen Schulen Wiens und Niederösterreichs im Anschluss an die ESPAD Fragebogenbefragung 100 Face-toFace-Interviews mit jeweils 2 bis 3 zufällig ausgewählten SchülerInnen pro Klasse durchgeführt. Jegliche Probleme in Fragebögen wirkten motivationsverringernd, weswegen es wichtig ist, sich mit allen Problemen ernsthaft auseinanderzusetzen, um diese nach Möglichkeit zu beseitigen. Es reicht nicht aus, wenn ein Großteil der Fragen als problemlos anzusehen ist. Fragen, die ernste Probleme verursachen, reduzieren die Validität aller mit dem Fragebogen gewonnenen Ergebnisse erheblich. Im Rahmen der ESPAD Validierungsstudie wurde auf vier, sich teilweise wechselseitig beeinflussende Faktoren, die Ergebnisse besonders stark verzerren können, geachtet: „Motivation“, „Probleme beim Fragenverständnis“, „Probleme mit dem Inhalt“ und „problematische Antwortkategorien“. Der ESPAD Fragebogen umfasste insgesamt 228 Items, wobei 220 Items zur Beantwortung von allen SchülerInnen gedacht waren und 8 nur für jene SchülerInnen, die bereits in irgendeiner Form Erfahrungen mit Cannabis gemacht hatten. Für die Beantwortung der Fragen hatten die SchülerInnen in etwa 45 Minuten Zeit, so standen pro Item etwa 12 Sekunden zur Verfügung – nicht viel Zeit, um Fragen zu verstehen und über korrekte Antworten nachzudenken. Aus den Angaben der von den LehrerInnen ausgefüllten Befragungsprotokollen geht hervor, dass die meisten SchülerInnen bereits nach etwa 35 Minuten ihre Fragebögen abgegeben hatten, also für die Beantwortung eines Items nur etwa 9,5 Sekunden gebraucht oder sich nicht mehr Zeit dafür genommen hatten. In jedem Fall stellt sich die Frage, ob 220 zu beantwortende Items innerhalb einer Schulstunde für SchülerInnen nicht nur unzumutbar sind, sondern ob diese auch gewissenhaft beantwortbar sind. Im Zuge der Validierungsstudie hat sich gezeigt, dass die SchülerInnen generell zwar grossteils motiviert gewesen waren, einen Fragebogen zu Substanzgebrauch auszufüllen, jedoch durch die Länge des Fragebogens, durch die zum Teil sehr komplexen Fragen und teilweise nicht passenden Antwortkategorien deren anfängliche Motivation im Verlauf des Ausfüllens gesunken war. Sicher auch aufgrund sinkender Konzentrationsfähigkeit, nahm die Genauigkeit bei der Beantwortung der Fragen gegen Ende des Fragebogens deutlich ab. 2 der Interviewten (beides Burschen) hatten im Interview angegeben, in ihrem Fragebogen einfach irgendetwas angekreuzt oder absichtlich Spaßantworten gegeben zu haben, und 10 weitere berichteten, gegen Ende des Fragebogens nur noch irgendwie geantwortet zu haben. Die Spaßantworten gehen hauptsächlich in Richtung übertrieben hoher Werte. Die Auswertung der Fragebögen ergab etwa dreimal so viele Spaßantworten von Burschen als von Mädchen. Da damit gerechnet werden muss, dass an die 2% der Befragten durchwegs wahllos und 12% teilweise wahllos geantwortet hatten, sind Fragen, deren Auswertungen niedrigen 53 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Prävalenzzahlen ergeben, schwer interpretierbar. Erwähnenswert ist, dass kein/e einzige/r SchülerIn der Validierungsstichprobe im Fragebogen Relevinkonsum angegeben hatte, und damit der Versuch, das Ausmaß unseriöser Antworten anhand von Angaben zur fiktiven Substanz „Relevin“ abzuschätzen, ganz offensichtlich gescheitert ist. Angesichts dieser Validierungsergebnisse und dem Befund, dass rund 20% der österreichischen SchülerInnen dieser Altersgruppe große Probleme mit dem sinnverstehenden Lesen haben (PISA Studie), ist zu überlegen, wie man in Zukunft das Ausmaß inadäquaten Antwortverhaltens als Folge mangelnder Motivation und sprachlicher Inkompetenz abschätzen und bei der Auswertung berücksichtigen könnte. Genaueres Augenmerk ist auf Ausdrücke zu legen, die einerseits generell als vage und unbestimmt zu bezeichnen sind, wie „Alkoholrausch“, „erster Konsum“ oder „Trinkgelegenheit“; bzw. andererseits einem relevanten Anteil der SchülerInnen nicht bekannt sind, wie „Cannabis“, „Amphetamine“, „Crack“, „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“, „Tranquilizer“, „Sedativa“ oder „Fachhochschule“. Hier sind genauere Definitionen nötig, ein übersichtlicheres Fragebogenlayout sowie genügend Zeit pro Frage, um sich mit den Fragen und den darin enthaltenen Ausdrücken genauer auseinandersetzen zu können. Bei manchen, aus der Forschungsperspektive sicherlich interessanten Fragestellungen, wird man ernsthaft zur Kenntnis nehmen müssen, dass deren Beforschung mit Selbstausfüllerfragebogenmethoden, also ohne Hilfestellung durch kompetente InterviewerInnen, die erklärend und unterstützend mitwirken können, nicht möglich ist. In diesem Zusammenhang sind sicherlich umfassende Forschungsschritte zur Optimierung und Umgestaltung des Fragebogens notwendig, wobei man allerdings um eine empfindliche Kürzung des Fragenvolumens nicht herumkommen wird. Mit einem identen Fragebogen die Erhebung 2011 durchzuführen, erscheint uns in diesem Sinne nicht rechtfertigbar. Zur Unterstreichung der Relevanz dieser Erkenntnis seien an dieser Stelle schlagwortartig einige Ergebnisse der Validierungsstudie angeführt, die natürlich nicht repräsentativ für alle Fragen sind – es wurde hier das Augenmerk auf die Aspekte gelegt, bei denen man besonders große Probleme erwarten musste –, über die man aber keinesfalls kommentarlos hinwegsehen kann. Viele der im Fragebogen verwendeten Begriffe waren den SchülerInnen unklar, einige davon wurden in bestimmte Richtungen missverstanden und verzerrten so das Ergebnis. Z.B. wurden auch Energy Drinks, wie Red Bull, zu Amphetaminen/Aufputschmitteln gezählt. Dass Energy Drinks zu der Gruppe der Amphetamine zählen würden, wurde fragenden SchülerInnen in manchen Klassen sogar von der anwesenden Lehrperson bestätigt. Man kann annehmen, dass die hohen Prävalenzzahlen zum Amphetaminkonsum (7,9% Lebenszeitprävalenz) primär damit zu erklären sind. Ähnlich können auch die hohen Prävalenzzahlen zu „Schnüffeln um ‚high’ zu werden“ erklärt werden. Bei den meisten der interviewten SchülerInnen, die in ihrem Fragebogen angegeben hatten, schon einmal geschnüffelt zu haben, stellte sich im Interview heraus, dass es sich dabei bloß um einmaliges Riechen am Uhu oder Ähnlichem gehandelt hatte. Die Frage nach der ersten ganzen Zigarette und dem ersten ganzen Glas eines bestimmten alkoholischen Getränks wurde meist mit dem ersten Mal Probieren gleichgesetzt. So wurde bei der Frage nach der ersten ganzen Zigarette oft der erste Zug oder das erste Mal Mitrauchen und beim ersten ganzen Glas oft der erste Schluck angegeben. Zwischen 21% und 50% der im Rahmen der Validierungsinterviews befragten SchülerInnen hatten bei den Fragen zum Einstiegsalter Zigaretten und Alkohol betreffend inadäquat geantwortet. Bezieht man sich nur auf jene SchülerInnen, die ein Einstiegsalter und damit relevante Konsumerfahrungen angegeben hatten, also auf jene Personen, deren Werte zur Berechnung des Einstiegsalters herangezogen werden, so erhöht sich die Fehlerrate auf 28% bis 66%. 54 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik Die konsumierten Getränke wurden oft nicht den korrekten Alkoholkategorien zugeordnet. Besonders häufig gab es hier Probleme Mischgetränke mit Wein bzw. Spirituosen und Alkopops betreffend. Generell wurden auf Kosten der Kategorie „Spirituosen“ weit mehr Getränke den Alkopops zugeordnet, als definitionsgemäß dazugehören, was angesichts des Stellenwerts, der den Alkopops in Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen oft beigemessen wird, zu beachten ist. Große Probleme gab es auch mit der Kategorie „Trinkgelegenheit“, die nur 30 von 100 SchülerInnen so verstanden hatten wie von den FragebogenautorInnen intendiert. Trotz erheblichen Versuchen, die Fragen von 2003 bis 2007 präziser zu gestalten, erwies sich die Frage nach dem Alkoholkonsum am letzten Trinktag neuerlich als sehr problematisch. Nur 39 von 100 SchülerInnen hatten diese Frage richtig verstanden und konnten sie auch richtig beantworten. Das in hohem Maße unplausible Ergebnis, dass rund 10% der SchülerInnen beim letzten Alkoholkonsum mehr als 160 Gramm Reinalkohol getrunken hatten – was 2 Liter Wein entspräche – ist nur durch Missinterpretation und inadäquates Antwortverhalten zu erklären. Auch die Frage nach dem Durchschnittsalkoholkonsum der letzten Woche ergab Werte, die für SchülerInnen, die regelmäßig die Schule besuchen, nicht plausibel sind. So gaben 15% einen Durchschnittsalkoholkonsum an, der je nach Berechnungsmodus entweder zwei 0,7-Liter Flaschen Wein oder 1,75 Liter Wein entspräche. Das sind Durchschnittsmengen, die zwar für einzelne Jugendliche, aber nicht für einen so großen Prozentsatz von SchülerInnen denkbar sind. In der Validierungsstudie zeigte sich, dass der Durchschnittskonsum über alle 100 in der Validierungsstudie befragten SchülerInnen von 5,1 Standarddrinks auf 3,4 Standarddrinks sank, wenn man die SchülerInnen beim Verstehen der Fragen und beim Umrechnen unterstützte. Manche Begriffe, wie z.B. der des Betrunkenseins, waren vielen zu ungenau, wodurch SchülerInnen sich für das Beantworten solcher Fragen zum Betrunken-Sein eigene Definitionen zurechtlegen mussten. Die SchülerInnen sind dabei recht unterschiedlich verfahren, was die Interpretation zusätzlich schwierig bis unmöglich macht. Auch die relativ hohen Prävalenzen von Selbstmordversuchen und Gedanken an Selbstverletzung wurden bei der Validierungsstudie überprüft. Dabei zeigte sich, dass Selbstmordversuche teilweise als Gedanken an Selbstmord und als Handlungen ohne konkrete Umsetzungsschritte interpretiert wurden. Die Vermutung, dass viele SchülerInnen nicht wissen, was unter „Selbstverletzung“ zu verstehen sei, wurde widerlegt. Das bewusste Zufügen von Schnittwunden ist ganz offensichtlich eine Verhaltensweise, die so weit verbreitet ist, dass eine überwiegende Mehrheit davon schon gehört hatte. Unerwartet, wenn auch nicht unplausibel, ist schließlich der Umstand, dass einerseits rund 2 Drittel der SchülerInnen den Schulabschluss der Eltern nach den Kategorien „weniger als Matura“, „Maturaabschluss“ und „Hochschulabschluss“ nicht richtig angekreuzt hatten oder angeben wollten – und dass andererseits bei einer detaillierteren Kategorisierung ein großer Teil daran scheitern würde, da der Bildungsabschluss der Eltern und die Details des österreichischen Schulsystems vielen SchülerInnen nicht zur Genüge bekannt wären. Abschließend muss man festhalten, dass nach diesen Ergebnissen keinesfalls zur Routine übergegangen werden kann. Kürzungen, Präzisierungen und Streichen von Fragen nach Inhalten, die man mit einem Selbstausfüllerfragebogen unmöglich erfassen kann, sollten unbedingt ins Auge gefasst werden. Zusätzlich sollten in Zukunft immer wieder präzise, qualitative Begleituntersuchungen in Erwägung gezogen werden, um Fehler aufzudecken und Anhaltspunkte zur Interpretation der Daten zu liefern. 55 ESPAD Austria 2007 ǀ Methodik 8 Literatur Atteslander, P. (2000): Methoden der empirischen Sozialforschung. 9. Aufl., de Gruyter, Berlin, New York Cannell, C. F. (1984): Antwortverzerrungen im Interview – Wie lässt sich die Güte der Daten verbessern. Von ZUMA verschriftlichte Fassung des Vortrags von Charles F. Cannell, gehalten während seines Gastaufenthaltes bei ZUMA im Jahr 1984 Diekmann, A. (1999): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 5. Aufl., Rowohlts Enzyklopädie, Reinbek bei Hamburg Feuerlein, W. (1979): Alkoholismus - Missbrauch und Abhängigkeit. Zweite überarbeitete und erweiterte Auflage. Thieme, Stuttgart Hibell, B.; Guttormsson, U.; Ahlström, S.; Balakireva, O.; Bjarnason, Th.; Kokkevi, A.; Kraus, L. 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