“Napoleon, Viktoria! Beethoven, Gloria!” Ludwig van Beethoven

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“Napoleon, Viktoria! Beethoven, Gloria!” Ludwig van Beethoven
“Napoleon, Viktoria! Beethoven, Gloria!”
Ludwig van Beethoven: Das erdrückende Vorbild
“O Beethoven! ... du bist die Verkörperung des Heldentums in der ganzen
modernen Kunst, du bist der größte und beste Freund der Leidenden, der
Kämpfenden“, jubelt Romain Rolland in seinem Beethovenroman „JeanChristophe“. Kaum ein anderer Komponist, nicht einmal Johann Sebastian
Bach oder Richard Wagner, erlangte eine derart hohe Anerkennung durch
die Nachwelt wie der 1770 in Bonn geborene Meister. Ludwig van Beethovens
Leben und Werk ist früh zum Mythos erhoben worden, schon durch die
Zeitgenossen seiner mittleren Schaffensjahre, bereits seit E.T.A. Hoffmanns
Begeisterung für Beethovensche Instrumentalmusik 1814. Beethoven wird zum
Leitbild der Romantiker. Was sich aber auf diese nicht immer inspirierend
auswirken muss; für einige romantische Komponisten wird das selbsterhobene
Denkmal zu übermächtig, der Vergleich mit dem Idol macht mutlos. Johann
Brahms beispielsweise sieht nach der für ihn ultimativen Oper „Fidelio“ keinen
Sinn darin, weitere Musikdramen zu schreiben, Robert Schumann hat
anfänglich Schwierigkeiten mit großformatigen Orchesterwerken, denn gerade auf dem Gebiet der Sinfonie scheint Beethoven alle künstlerischen
Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Franz Schubert, der seinen großen
Kollegen zutiefst verehrt, bekennt demütig: „Der kann alles, wir aber können
noch nicht alles verstehen, und es wird noch viel Wasser die Donau
dahinwogen, ehe es zum allgemeinen Verständnis gekommen ... Beethoven
begreift niemand so recht, er müsste denn recht viel Geist und noch mehr
Herz haben und entsetzlich unglücklich liebe oder sonst unglücklich sein“:
„wenn man wagt, nach Beethoven noch Sinfonien zu schreiben, so müssen
die ganzen anders ausschauen“, glaubt Brahms, der an anderer Stelle
schreibt: „Ich werde nie eine Sinfonie komponieren, du hast keinen Begriff
davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter
sich marschieren hört“: war es nur das hohe Menschentum, das die Nachwelt
an Beethoven schätzte, das einen Franz Grillparzer begeistert ausrufen ließ:
„Ein Künstler war er, aber auch ein Mensch, ein Mensch in jeden, im höchsten
sinne“? und warum verkörpert gerade Ludwig van Beethoven dieses
Menschen-Ideal? Weil er ein ganzes Leben, alle seine Leidenschaften auf
seine Kunst richtete? Grillparzer: „Er entzog sich den Menschen, nachdem er
ihnen alles gegeben und nichts dafür empfangen hatte.“ Aber das könnte
man von vielen anderen Komponisten genauso sagen: auch Franz Schubert
hat gelitten, für alle Unglücklichen geschrieben, einzig seiner Kunst gelebt;
Johannes Brahms’ Biografie weist ähnliche Züge auf; Hugo Wolf, Georg
Friedrich Händel, Heinrich Schütz, die Reihe könnte endlos werden. von ihnen
allen erhält nur Beethoven mythische Verehrung, im Extrem während des
gesamten 19. Jh. bis etwa zur Zeit der Weimarer Republik. Für die
romantischen Komponistengenerationen wird seine Musik sogar zum
Programm der Romantik, seine Biografie ihr Manifest. „Beethovens Musik
bewegt die Hebel der Furcht, des Schauers, des Entsetzens, des Schmerzes
und erweckt eben jene unendliche Sehnsucht, welche das Wesen der
Romantik ist. Er ist daher ein rein romantischer Komponist“, behauptet E.T.A.
Hoffmann.
Die Sehnsucht, ein Begriff, mit dem die Romantiker durchaus konkrete
Vorstellungen verbanden. Er steht für Aufbruchsstimmung und Befreiungssucht; Befreiung von einem Zeitalter, „Das noch mit tausend Ringen am alten
Jh. hängt“ (Robert Schumann), aus einem politischen System, das mit dem
Bleigewicht der Restauration auf den Menschen liegt. „Sehnsucht“ wird das
Hauptthema der Künste, Achim von Arnim, Joseph von Eichendorff werden
die Dichter der Sehnsucht: Viele der lyrischen Texte Eichendorffs beklagen die
drückende reale Situation und entwerfen Gegenbilder von Sehnsucht nach
Weite.
Es schienen so golden die Sterne,
am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn mit stillem Land
Das Herz mir im leib entbrennte,
da hab ich mir heimlich gedacht:
ach, wer da mitreisen könnte
in der prächtigen Sommernacht!
Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
ich hörte im Wandern sie singen
die stille Gegend entlang:
von schwindelnden Felsenschlüften,
wo die Wälder rauschen so sacht,
von Quellen, die von den Klüften
sich stürzen in die Waldesnacht.
Für die Musik gilt Beethoven als Verwirklicher der Sehnsucht, als Befreier von
überkommenen Formen und Ideen; seine Musik als eine Abkehr von „jenen
schönen Kunstaltern ... die zuerst Beethoven schüttelte in den Fugen, dass es
bebte“ (Robert Schumann). Feruccio Busoni bemerkt in seinem 1907
veröffentlichten „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“: Befreiungslust
erfüllte einen Beethoven, den romantischen Revolutionsmenschen“. Der
Mythos des Bonner Meisters nährt sich also wesentlich von seiner Schwellenposition zu einem neuen Zeitalter, in einer politischen Umbruchphase.
Beethoven bedient sich seit den mittleren Werken einer neuen Tonsprache,
die ihn von der konventionellen Musik trennt und die von Johannes Brahms
folgendermaßen charakterisiert wird: „Es ist alles und durchaus Beethoven!
Das schöne edle Pathos, das Großartige in Empfindung und Phantasie, das
Gewaltige, auch wohl Gewaltsame im Ausdruck.“ Am Beginn der mittleren
Schaffensphase steht unter anderem die Sonate „Pathétique“ von 1798 – ihr
Beiname ist Symbol. Höhepunkt dieser Periode und zugleich seiner Karriere ist
das Orchesterstück „Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria“ op. 91
von 1813, ein Stück Zeitgeschichte und mit 4000 fl. Für zwei Aufführungen
auch ein finanzieller Erfolg. Auf sein Auditorium wirken die neusprachigen
Musiken Beethovens erschütternd und erregend. Davon zeugt Brentanos
sprachmächtiges Gedicht „Nachklänge Beethovenscher Musik“, das mit
einem brausenden Schlussakkord Wellington den Lenker und Beethoven den
Verherrlicher der Schlachten in einem Atemzug feiert: „Wellington, Viktoria“
Beethoven, Gloria!“ Frauen liegen dem Meister wegen seiner Musik zu Füßen,
er selbst ist „klein ... braun, voll Blatternarben, was man nennt: garstig“, alles
andere als ein Liebling der Damen. „Musiktoll“ klängen seine Werke,
schreiben seine Kritiker. „Wellingtons Sieg“ streift eine naturalistische Musikauffassung mit seinen „Kanonen- und Gewehrfeuer“-Klängen, das getreue
Gemälde einer Schlacht, das einer an Revolutionsschrecken und Kriegsgreulen gewöhnten Zuhörerschaft noch Nervenkitzel zu bereiten vermag und
für die sinfonischen Kriegsbilder des 19. Jh. schulbildend wirkt.