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La Grande Bellezza
Il Divo (2008) und This must be the place (2011) waren zwei sehr verschiedene Filme eines
Regisseurs, der mit seiner Art des Schauens und Zeigens die Verfasserin dieser Zeilen für sich
eingenommen hat. Gedankliche Vorschusslorbeeren also, als angekündigt wurde, dass Paolo
Sorrentino nichts weniger tut, als mit La Grande Bellezza sowohl eine Hommage an Fellini als auch
ein Porträt der unbeschreiblich schönen ewigen Stadt ins Kino zu bringen (etwas, woran im
vergangenen Jahr Woody Allen kläglich gescheitert ist).
Und dann dieser Film, fast zweieinhalb Stunden lang. Ein gefühlt unendlicher Reigen an Sequenzen,
die jede für sich eine bildgewaltige Geschichte in der Geschichte erzählen; eine Fülle an
Einstellungen, so wuchtig komponiert, dass man ständig den Film anhalten möchte, weil da schon
wieder ein Bild entstanden ist, das vielschichtig und ungesehen scheint. Ein Kaleidoskop an Themen,
jedes für sich ein Schwergewicht: Oberfläche und Leiden einer Geld-Gesellschaft; Jugendwahn und
die Verneinung des Todes; Geheimnisse und Hohlheit der katholischen Kirche; Sinnlosigkeit von und
Ausbeutung durch Kunst, Prostitution in diversen Ausprägungen … nur einige der Gegenstände, die
verhandelt werden. Unterfüttert mit Skurrilitäten, die Fellini wenig subtil zitieren: die Zwergin, die
kitschrosa Flamingos auf der Terrasse, die Giraffe inmitten der Ruinen, die uralte Missionarin.
Womit die zentrale Schwäche des Films benannt ist: Er will viel zu viel zu viel. Er stopft den Zuschauer
voll und voller, la grande bouffe: mit Bedeutung, mit Geheimnisvollem, mit opulenter Musik, mit
römischer Architektur, mit einer fantastischen Kamera. Ein Sittengemälde, das den erschöpft, der ihm
ausgesetzt ist.
Erschöpfung – das ist auch die Ausstrahlung Jep Gambardellas, Hauptfigur des Films. Er ist der
Janusköpfige: Initiator und Mittelpunkt der stilisierten Partys auf der dem Colloseum gegenüber
liegenden Dachterrasse; nach dem Fest sitzt der 65-Jährige alleine am Küchentisch und philosophiert
über die Banalität der Inszenierung. Oder enttarnt mit wortgewaltigem moralischen Monolog die
Verlogenheit einer Freundin (die natürlich keine Freundin ist, weil Freundschaft nicht existiert).
Gambardella gehört dazu und versteht dennoch die Leere, als deren Teil er sich immer wieder aufs
Neue arrangiert. Das ist tragisch und trivial gleichermaßen. Und dem zu entkommen, ist so vergeblich
wie der Versuch, nach 40 Jahren ein zweites Buch zu schreiben: Gambardella wird der eitle Journalist
bleiben, harmloser Chronist alltäglicher Geistlosigkeit.
Toni Servillo hat mit Giulio Andreotti in Il Divo den zutiefst verkommenen Vertreter der politischen
Kaste phänomenal verkörpert; mit Jep Gambardella fügt er gewissermaßen die Facette des
desillusionierten Repräsentanten einer vierten Gewalt hinzu, die schon lange fester Teil der
dekadenten Gesellschaft ist. Er wird weiterhin Zeit mit Dingen verbringen, „auf die ich keine Lust
habe“.
Und Rom? Die Hauptdarstellerin? Zu Beginn des Filmes sieht man, wie japanische Touristen die Stadt
fotografieren. Einer der Männer fasst sich ans Herz, kippt um. Rom sehen und sterben – das steht hier
nicht für Begeisterung, sondern für einen Ort, der sowieso schon zu Tode fotografiert wurde. Paolo
Sorrentino lässt ihn im Laufe des Films keine Wiederauferstehung feiern. Sondern inszeniert ihn als
Sarg für alle seine Protagonisten.
Iris Hobler
Italien/Frankreich 2013, 141 Minuten
Regie: Paolo Sorrentino
Mit Toni Servillo, Calo Verdone, Sabrina Ferilli, Carlo Buccirosso u. a.