Bewegung - von Ralf Beiderwieden

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Bewegung - von Ralf Beiderwieden
tels eines wohl vorbereiteten Arbeitsbogens rascher und effektiver bewältigen
Suche nach sich selbst. In ihr wuchs die Überzeugung, dass das Universum der
lassen. Das alles mag angehen, wenn Sie in Erinnerung behalten:
Bewegung eigentlich nur aus fünf Rhythmen besteht: Flowing, Staccato, Chaos,
Der eigentliche Unterricht beginnt erst jenseits des Arbeitsbogens.
Lyrical und Stillness – in dieser Reihenfolge.
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Flowing: die Mutter, die fließende, endlose Bewegung ohne Stop und Ecken,
der strömende Atem. Sie können die Bewegung im Liegen beginnen, mit
Bewegung
»Especially when you work with men who are not used to dance you have to do
something that they are comfortable with immediately that they see is possible
but at the same time is challenging. So the choreography is very, very simple. But
built into the choreography there are positions and movements which make them
look powerful.«
Royston Maldoom in »Rhythm Is It«
den Fingerspitzen, den Zehen, bis hin zum Gehen in bows and arches. Meine
Lieblingsmusik: Don’t give up, Peter Gabriel und Kate Bush.
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Staccato: der Vater. Die Bewegung mit abrupten Stopps und Ecken, das
kraftvolle Ausatmen, in der Choreographie zum Beispiel die Attacke. Meine Lieblingsmusik: Sledge Hammer von Peter Gabriel.
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Chaos: die Pubertät. Totale, entfesselte Bewegung um alle Achsen. Ungefähr so werden Sie sich den Tanz des Opfers in Strawinskys Sacre du Printemps vorstellen müssen.
Das Thema Musik und Bewegung wird in seiner Bedeutung für den Musikun-
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Lyrical: die Schaffenskraft, die sich vielleicht etwa so, wie es Honegger be-
terricht, glaube ich, überschätzt. Es gibt Musiklehrer, die glauben, es sei im Mu-
schreibt, steigert zum »lyrischen Zustand, zum Gewaltig-Pathetischen
sikunterricht so wichtig wie alle europäische Musik aus 1000 Jahren zusam-
eines Eisenbahnzuges, der mit seinem 300-Tonnen-Gewicht mit einer Stun-
mengenommen. Der didaktischen Ahnungslosigkeit entspricht oft genug auch
dengeschwindigkeit von 120 Kilometern durch die tiefe Nacht rast.«
eine methodische. »Im Studium habe ich mich schwerpunktmäßig mit Musik
und Bewegung beschäftigt.« »Mit welchem Bewegungskonzept haben Sie denn
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Stillness als Erfüllung der Bewegung zur höchsten Ruhe – durchaus im
Doppelsinn: Gabrielle Roth spricht auch vom »Death Cycle«.
gearbeitet?« »Bewegungskonzept? Wie meinen Sie das?« Eine Standard-Gesprächssituation. Ich gebe Ihnen hier keinen Überblick über Bewegungskon-
Ich selbst habe eine Woche lang im Workshop bei Peter Wilberforce in Bretton
zepte, aber ich gebe Ihnen einen Einblick in eines. Das ist vielleicht ein ganz
Hall die Anfangsgründe der Five Rhythms gelernt. Es war eine faszinierende
klein wenig besser als gar keines.
Erfahrung. Meine Freude wuchs, als ich entdeckte, wie direkt und unmittelbar
zumindest die ersten beiden Rhythmen mit Schülern umsetzbar sind. (Ab Cha-
Gabrielle Roth und die Five Rhythms
os wird es schwierig, Sie brauchen einen Spezialisten.) Sie können sich in Musik
wie Ballette von Strawinsky hinein bewegen oder einfache Choreographien
entwerfen, die ziemlich ordentlich aussehen. Mehr brauchen Sie als Musikleh-
Gabrielle Roth hat im engen Umfeld von Gestalttherapie Fritz Perls in Esalen
rerin nicht. Die Five Rhythms lernen Sie allerdings nicht so leicht vom Papier. In
gearbeitet. Sie wollte Tänzerin werden, musste umsatteln und wurde Bewe-
Deutschland gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Bewegungspädagogen,
gungslehrerin. Sie arbeitete mit Menschen, die nach Esalen kamen und mit Ju-
die Five-Rhythms-Kurse anbieten; sie haben sich zum Arbeitskreis The Wave
gendlichen, mit Alten und Kranken und immer wieder mit Menschen auf der
zusammengeschlossen. Siehe www.ecstatic-dance.de
Bewegung
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Cross Crawl
Trommler und Streicher
Gehen Sie. Setzen Sie den linken Fuß vor, den rechten, den linken und immer so
Bewegung, auch rhythmisch-musikalische Erziehung ist eine Kunst, ein Fach
weiter. Was machen Ihre Arme? Wenn der rechte Fuß vorgeht, geht der linke
für sich, sie hat mit Musikunterricht direkt gar nichts zu tun. Mit zwei funda-
Arm vor und umgekehrt, nicht wahr? Die Arme balancieren Gewicht und
mentalen Ausnahmen:
Schwung der Beine aus. Die Urform der Bewegung schlechthin. Sie brauchen
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Der Perkussion – auch Sie haben bestimmt schon manchen Klaviervirtuo-
diese Bewegung in ausgeprägter Form bei so vielen Dingen: beim Bota Fogo in
sen gesehen, der die Zweiunddreißigstel auf der Tastatur spielerisch bewäl-
der Samba; bei der Torsionsbewegung auf Schlittschuhen, beim Nordic Wal-
tigte, aber wie blockiert war, als er auf dem Tisch einen einfachen Para-
king oder im Umsteigeschwung auf dem Alpinski. Sie können sich und den
diddle trommeln sollte. Haben Sie Kinder an Xylophonen beobachtet? So
Kindern diese Bewegung sehr bewusst machen, können damit experimentie-
weit sollten Sie kommen, dass Sie ihnen zeigen können, wie man frei fe-
ren: Was machen die Arme im Hopserlauf? Was im Militärmarsch? Was, wenn
der Meisterdieb sich nachts anschleicht? Mit einfachsten Mitteln können Sie
dernd und aus der Bewegung Kindern die Platten schlägt.
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Dem Spiel auf dem Streichinstrument. Kein anderes Instrument außer dem
eine Choreographie stilisieren, wie Sie sie in einer Opernszene brauchen. Und
Schlagzeug ist so bewegungsintensiv. An Reichtum, Differenziertheit und
Cross Crawl ermöglicht die natürlichsten, unmittelbarsten Bewegungen zur
Harmonie der Bewegung ist es unübertroffen. Dies zu höchstem metho-
Musik, sowohl im Gehen als auch auf der Stelle.
dischem Bewusstsein gehoben zu haben ist das Verdienst Paul Rollands.
Dies sind spartanische Hinweise für Musiklehrer. Ein paar ganz normale Tanzkurse, Bronze und ein bisschen weiter, überhaupt jede Art von Bewegungserfahrung sind nützlich, auch mal ein Seminar über einige Bewegungslieder.
Wenn Sie aber wirklich etwas Substantielles machen wollen mit Bewegung zur
Musik im Unterricht, dann müssen Sie von Grund auf lernen, Ihren Körper zu
bewegen – mit derselben Disziplin wie bei jedem Musikinstrument auch. Wenn
Sie noch einmal Royston Maldoom und Susannah Broughton im Film Rhythm Is
It mit Jugendlichen bei der Arbeit in Tanzklassen beobachten, verstehen Sie,
was ich meine.
Ein wenig Literatur
Abb. 78: »Cross Crawl« aus Paul E. Dennison, Gail Dennison, »Brain Gym«, Freiburg im Breisgau 1990, S. 13.
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ABSCHNITT I: HILFEN UND HÜRDEN
Gabrielle Roth, Sweat Your Prayers. Movement As Spiritual Practice, Paperback Newleaf Dublin
1999, ISBN 0-7171-2949-7;
sowie: Maps To Ecstasy. A Healing Journey To The Antamed Spirit, London 1989, 1998 Usw.; ISBN
0-7225-3873-1.
Sie können auch Marianne Steffen-Wittek lesen, »Musik – Bewegung – Tanz«, in: Werner Jank
»Jetzt sind wir an einem guten Punkt, jetzt sollten wir das aufschreiben, damit
der schöne Ertrag nicht verloren geht.« So entsteht ein Block: ein Impuls, ein
(Hrsg.), Musikdidaktik, Berlin 2005, 223-232. Ich glaube, es veranschaulicht das oben Gesagte,
Unterrichtsgespräch und eine Blocksicherung Dieses Verfahren hat einen Nach-
dass dieser Beitrag in der derzeit jüngsten Musikdidaktik mit neun Seiten neben einem Kapi-
teil: Sie sind, besonders gegen Ende Ihrer Stunden, für einige Zeit damit be-
tel »Klassik und Musikgeschichte im Unterricht« von Frauke Heß mit acht Seiten steht; und
schäftigt, die Ergebnisse des Gesprächs an die Tafel zu schreiben. Es entsteht
dass die ausgewählte Spezialistin mit einem wissenschaftlichen Handbuchabriss über Bewegungskonzepte beginnt und doch Gabrielle Roth gar nicht erwähnt. Sollten Sie sich auf das
Thema einmal vorbereiten, zum Beispiel für eine mündliche Prüfung, sollten Sie den Aufsatz
trotzdem lesen. Vielleicht gewinnen Sie ja doch den Eindruck, etwas Nützliches zu erfahren.
zeitweilig eine gewisse Kommunikationsebbe. Aber die Vorteile überwiegen
bei weitem:
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Sie können das Gespräch frei fließen lassen. Sie können moderieren, strukturieren, akzentuieren, bestärken, auf Widersprüche aufmerksam machen
oder korrigierend eingreifen, wenn die Kinder auf dem Holzweg sind.
Blockverfahren
»Es gibt drei Zeitpunkte: einen richtigen, einen verpassten und einen verfrühten.«
Sten Nadolny, »Die Entdeckung der Langsamkeit«
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Sie können, während das Gespräch fließt, darüber nachdenken, in welcher
Anordnung sich das Gesagte an die Tafel bringen lässt. Als Tabelle? In
zwei, drei Abschnitten untereinander? In Form eines Bildes?
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Sie können, während Sie anschreiben, noch an den Formulierungen basteln. Sie können auch zurückfragen: Katharina, meintest du das so? Sie
Die Frage ist ja immer: Wann schreibe ich an die Tafel?
können auch noch einmal ein Wort wegwischen (meist schreiben Sie viel
Erste Möglichkeit: Sofort. Schlecht. Ich bin die ganze Zeit damit beschäftigt
schneller als die Jugendlichen) und ersetzen, also den sprachlichen Redak-
zu schreiben. Ständig ist der Fluss des Gesprächs unterbrochen.
tionsprozess sichtbar machen. Die Schüler daran teilhaben lassen, den
Entweder schreibe ich alles an, was Kinder sagen – dann werde ich zum
Sklaven der Tafel. Oder ich suche mir aus, was ich anschreibe. Das wäre Will-
Kontakt halten. Das ist besser als mit dem Gesicht zur Tafel abzutauchen.
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Wenn das Ganze steht, können Sie zurückblicken: Was haben wir bis jetzt
kür, aus der Sicht der Kinder Blinde-Kuh-spielen. Ich habe keine Möglichkeit,
stehen? Das sieht doch schon nicht schlecht aus. Oder: zum Aspekt 3 haben
das, was die Kinder sagen, zu strukturieren – außer in einem bereits präfabri-
wir bisher noch wenig.
zierten Tafelbild: »Unser Lehrer schreibt nur an, was er hören will. Nur, was er
hören will, wissen wir nicht.«
Zweite Möglichkeit: Ich schreibe gar nicht an. Das Gespräch fließt wunder-
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Sie erhalten auf diese Weise eine deutliche Phasengliederung der Unterrichtsstunde. Sie kann aus vielleicht ein, zwei oder drei Gesprächsblöcken
bestehen und aus einigen anderen Abschnitten (Musik hören, singen o. ä.).
bar, ich brauche mir um einen Tafelanschrieb keine Sorgen zu machen, eine
wunderbare Erfahrung. Dann klingelt es, und alles, was erarbeitet wurde, ist
weg und verpufft. Noch viel schlechter.
Dritte Möglichkeit: Blockverfahren: Diese Möglichkeit lege ich Ihnen nahe.
Sie setzen ein Gespräch in Gang und moderieren. Die Kinder tragen ihre Ideen
vor. Sie, die Lehrerin, hören zu, geben das Wort weiter. Irgendwann sagen Sie:
Blockverfahren
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