Böse Wetten, gutes Lotto

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Böse Wetten, gutes Lotto
PRESSEMELDUNG
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Böse Wetten, gutes Lotto
http://www.taz.de/index.php?id=archiv&dig=2007/06/19/a0042
Politik per Zufallsprinzip: Das NRW-Kabinett beschließt Änderungen am
Glücksspielstaatsvertrag. Private Sportwetten sind streng verboten. Das Lotto wird
dagegen auf Druck der FDP liberalisiert
von Klaus Jansen und Martin Teigeler
Sie gehören zum Straßenbild vieler Großstädte wie Handyshops und Internetcafés - die
Wettbüros. Doch die Buchmacher sind nervös. "Wir sind kein Wettbüro, wir sind eine
Lottoannahmestelle", sagt A., der Inhaber eines Ladengeschäfts für Sportwetten in der
Kölner Innenstadt. "Was wir machen, ist völlig legal." A. ist Deutsch-Türke, wie die meisten
der 800 privaten Wettanbieter in NRW ist er Migrant. Die Unternehmer aus den MultikultiVierteln haben Angst. Seit Jahren werden sie vom Staat in die Illegalität getrieben. Geht es
nach den Ministerpräsidenten, dann werden 2008 alle privaten Wettbüros endgültig
geschlossen.
Heute entscheidet das NRW-Kabinett über das so genannte Ausführungsgesetz zum
Glücksspielstaatsvertrag. Mit dem Wortungetüm will CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers
die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Die Karlsruher Richter hatten das
seit 1949 bestehende staatliche Wettmonopol in einem Grundsatzurteil für zulässig erklärt allerdings nur, wenn der Staat das Glücksspiel stärker reguliert und mehr zur Bekämpfung
der Spielsucht beiträgt. Zur Eindämmung der Suchtgefahren wird die Werbung für Lotterien
und Sportwetten untersagt. Bis auf den Baden-Württemberger Günther Oettinger und den
Schleswig-Holsteiner Peter Harry Carstensen (beide CDU) haben alle Landeschefs
unterschrieben.
Während die Unterschrift von Oettinger als sicher gilt, hat sich Carstensen in den
vergangenen Monaten als Schutzpatron der Wettfreunde hervorgetan. Carstensens CDULandtagsfraktion organisiert derzeit in formellen und informellen Runden den Widerstand in
den deutschen Länderparlamenten, die den Staatsvertrag nach der Sommerpause
ratifizieren sollen. "Die Zweifel wachsen überall", heißt es bei der CDU in Kiel. Angeblich soll
sogar SPD-Chef Kurt Beck angeboten haben, die Zustimmung seines Landes RheinlandPfalz im Fall eines Neins aus Schleswig-Holstein zu widerrufen. "Die Position der Länder ist
klar. Sie stehen zum Staatsvertrag", sagt hingegen ein NRW-Regierungssprecher. Die
Zustimmung des Landtages gilt als sicher.
Für Ärger sorgen dennoch die Widersprüche und Ausnahmen beim GlücksspielStaatsvertrag: Private Fußballwetten sind verboten - Pferdewetten nicht. Große Wettfirmen
wie "Bwin" dürfen nicht mehr im Fernsehen Reklame machen, die Ziehung der Lottozahlen
wird es dagegen weiterhin geben. Und auch Lotterien wie "Aktion Mensch" oder "Die
Goldene Eins" dürfen das Fernsehen nutzen. Glücksspiel im Internet gilt als illegal ausgenommen davon sind aber die Angebote von Lotto-Toto sowie das Internet-Spiel der
öffentlichen Spielbanken und die Online-Tippscheine der staatlichen Fußballwette Oddset.
Dem Staat droht eine Schadenersatz-Klagewelle von Glücksspielfirmen, falls der Vertrag in
Kraft tritt. Andere wollen vom Ausland Internetseiten betreiben, um den deutschen
Staatsvertrag auszuhebeln. Eine "völlig unverhältnismäßige Beschränkung der Grundrechte"
sieht der Münsteraner Juraprofessor Bodo Pieroth in dem Vertragswerk. Er hat im Auftrag
des Bochumer Systemlottovermittlers Norman Faber eines von zahlreichen Rechtsgutachten
erstellt, mit denen die private Glücksspielindustrie gegen den drohenden Ruin kämpft.
Zumindest im Fall Faber scheint die Lobbyarbeit per Gutachten, Zeitungsanzeigen und
Postwurfsendungen Erfolg gehabt zu haben: Aus NRW-Regierungskreisen heißt es, dass in
das Landesgesetz Ausnahmen für private Lottovermittler aufgenommen werden sollen.
Ungehalten wegen der Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit ist vor allem die EUKommission. Vier Warnbriefe haben die Brüsseler Beamten bereits an die Bundesrepublik
geschrieben. Bis Mitte Juli muss Berlin Stellung nehmen, um ein Verletzungsverfahren
wegen Verstoßes gegen den EG-Gemeinschaftsvertrag zu verhindern. Und auch die
Sportverbände zweifeln am Vertrag: Sie fürchten um die rund vier Milliarden Euro, die
bislang aus den Lotto- und Glücksspielabgaben an soziale und kulturelle Einrichtungen
sowie an die Sportverbände fließen. "Der Glücksspielstaatsvertrag wird nicht nur die privaten
Sportwetten verbieten, sondern auch die gemeinnützigen Einnahmen aus Oddset und Lotto
gefährden", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert.
Nun ist ein "Konzessionsmodell" als Kompromissvorschlag im Gespräch. Nach dem Vorbild
europäischer Staaten wie Italien und England soll der Markt unter staatlicher Kontrolle
geöffnet und Lizenzen an Wettanbieter vergeben werden, die ihrerseits Abgaben für soziale
Zwecke abführen müssten. Im Wachstumsmarkt Sportwetten könnten so Milliardensummen
für den Staat herausspringen.
Suchtexperten hätten es hingegen am liebsten, wenn sowohl staatliches als auch privates
Zocken verboten und Deutschland zur Glücksspielfreien Zone erklärt würde. Den
Staatsvertrag halten sie für einen Ausdruck von Doppelmoral: "An erster Stelle bei den
süchtig machenden Glücksspielen rangieren die völlig legalen Münz-Automaten", sagt
Verena Verhoeven von der Fachstelle Glücksspielsucht der Caritas. Und neben den
"einarmigen Banditen" sei eine gefährliche Einstiegsdroge die staatliche Fußballwette
Oddset.