Zoff in the City - chilli:freiburg:stadtmagazin

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Zoff in the City - chilli:freiburg:stadtmagazin
Titel
Zoff in the City
Im Einzelhandel rumort es – so sehr, dass sich in
Freiburg nun eine neue Initiative gegründet hat
F
ür Sandra Gintaut-Lutz kam irgendwann
alles zusammen: eine große Baustelle vor
ihrem Geschäft, wegbleibende Kunden,
Umsatzrückgänge von bis zu 50 Prozent und das
Gefühl, dass all das von der Freiburger Politik
ignoriert wird. Gintaut-Lutz betreibt die Boutique
Jump im Bursengang; seit einem Monat ist sie
Co-Vorsitzende der neuen Initiative „Wir“, der
sich bereits mehr als 80 inhabergeführte Geschäfte in Freiburg angeschlossen haben. Ihr
Ziel: den Händlern der Innenstadt endlich eine
stärkere Stimme verschaffen.
chilli | business im Breisgau | 11.2014 | 5
Handel
Händel um Handel: Bernd Dallmann bezeichnet den Ruf nach mehr Parkplätzen als »Argument von gestern«.
Auf den ersten Blick verwundert das. Gibt es doch mit
„z’Friburg in der Stadt“ bereits einen 90 Mitglieder starken
Verband, der für genau diese Ziele eintritt. „Wir sehen uns
nicht als Konkurrenz“, beteuert Gintaut-Lutz. Viele Mitglieder engagierten sich sogar in beiden Initiativen. Der
einzige Unterschied: „Wir“ möchte die Sache emotionaler
angehen. Das konnte man schon beim Auftakt am 9. Oktober beobachten, als eine ganzseitige Anzeige in der Badischen Zeitung erschien. „Wir fühlen uns
ungehört und alleine gelassen“ – so der
Tenor. Das gesteht auch Stefan Huber,
Vorsitzender von „z’Friburg in der Stadt“,
den neuen Kollegen zu: „Wo ist Konkurrenz, wenn man das Gleiche will?“, fragt
Huber. „Ich finde die neue Initiative gut.“
Besonders der Ruf nach einem verkaufsoffenen Sonntag treibt viele Händler um – auch das
freilich nichts Neues. „Die Kirche sorgt sich um die armen
Mitarbeiter“, klagt Huber. Dabei würden an solchen Tagen nur gut bezahlte Freiwillige arbeiten, „die sich darum
reißen.“ Das sieht die große Mehrheit des Freiburger Gemeinderates jedoch anders. Eine Umfrage des business im
Breisgau bei allen Fraktionen ergibt, dass lediglich die Freien Wähler (3 Sitze) einem verkaufsoffenen Sonntag etwas abgewinnen können – und das auch nur, wenn die
vorhandenen Möglichkeiten „behutsam“ genutzt werden,
wie der Fraktionsvorsitzende Johannes Gröger betont. Die
FDP-Fraktion (2 Sitze) hatte sich in der Vergangenheit
ebenfalls für einen verkaufsoffenen Sonntag eingesetzt.
Alle anderen Parteien sprechen sich klar dagegen
aus. „Die vielen im Einzelhandel tätigen, und übrigens
sehr schlecht bezahlten, überwiegend Frauen haben ein
Recht auf einen freien Sonntag“, sagt Irene Vogel von
den Unabhängigen Listen (7 Sitze). SPD, Grüne und
CDU argumentieren ähnlich – und auch die neue Fraktion Freiburg Lebenswert/Für Freiburg (4). „Den Menschen steht wegen eines verkaufsoffenen Sonntags nicht
mehr Geld zur Verfügung, als sie sowieso schon haben“,
meint FL-Fraktionsgeschäftsführer Wolfgang Deppert.
Ohnehin müsste man eher beim Online-Shopping-Verhalten ansetzen.
Also alles gut so, wie es ist? „Wir würden einen verkaufsoffenen Sonntag sofort unterstützen“,
meint Bernd Dallmann, Geschäftsführer der Freiburg Wirtschaft Touristik und
Messe GmbH (FWTM). Der Gemeinderat habe aber anders entschieden. Dass
„Wir“ auf drängende Probleme hinweist,
sei offensichtlich. „Wenn sich so viele engagierte Geschäftsleute zusammentun, muss man ihre Forderungen ernst nehmen.“ Wird es
konkret, schlägt sich Dallmann aber auf die Seite des Gemeinderats: „Die Stadt steckt unglaublich viel Geld in eine
intakte Infrastruktur. Die Fußgängerzone ist per Nahverkehr optimal erschlossen.“ Und der Ruf nach zusätzlichen
Parkplätzen? „Argumente von gestern“, kontert Dallmann.
Das Auto sei nun mal nicht das Fortbewegungsmittel der
Innenstadt.
Tatsächlich ist es fraglich, ob die Mehrheit der Bürger wirklich so unzufrieden mit der Parksituation ist, wie
es der Handel darstellt – nicht nur in der Öko-Hochburg
Freiburg. So brachte eine Bürgerumfrage in Bad Krozingen unlängst interessante Ergebnisse zutage. 60 Prozent
der Teilnehmer wünschen sich demnach eine größere Fußgängerzone; nur 23 Prozent votierten dagegen. Die große
Mehrheit der Befragten beurteilten die Parksituation zudem als positiv – die Gewerbetreibenden hatten stets das
Gegenteil behauptet.
Fotos © ns, privat
Gemeinderat gegen
einen verkaufsoffenen Sonntag in
der Innenstadt
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Titel
Schöne heile Einkaufswelt? Jump-Inhaberin Sandra Gintaut-Lutz fühlt sich von der Politik im Stich gelassen.
Um der Online-Konkurrenz entgegenzuwirken, hat der
Einzelhandel in Bad Krozingen eine gemeinsame Kundenkarte eingeführt, mit der Rabattpunkte gesammelt werden können. „Die Geschäfte haben es selbst in der Hand,
wie sich ihre Umsätze entwickeln“, sagt Peter Lob, Vorsitzender des dortigen Gewerbeverbands. „Viele predigen Qualität,
aber zwischen Sein und Schein besteht oft eine große Differenz.“ Dass ein Vertreter des Handels mit
seiner eigenen Zunft so hart ins Gericht
geht, ist ungewöhnlich, verdeutlicht aber
ein Grundproblem: Viele Geschäftsleute
sind sich uneins, ob ein zusätzlicher Shopping-Sonntag oder ein neues Parkhaus
wirklich genügen, um langfristige Kundenabwanderung zu stoppen.
„Es gibt auch in Freiburg keine einheitliche Meinung unter den Händlern“, bestätigt Michael Walter von der Löwen-Apotheke. Walters Umsätze
sind in den vergangenen vier Monaten um bis zu 20 Prozent eingebrochen, weil vor seinem Geschäft, am Freiburger Bertoldsbrunnen, eine Großbaustelle die Kunden
verschreckte. Mitten in der City waren die Gleise der Straßenbahn erneuert worden, eine Trennwand hatte die Einkaufsmeile durchschnitten. Schimpfen möchte Walter auf
die Verantwortlichen deshalb aber nicht. Im Gegenteil:
„Solche Arbeiten müssen nun mal sein, deshalb sollte man
das Beste daraus machen. Gejammer hilft niemals weiter.“
Der Handelsverband Südbaden sieht das anders. „Die
neue Initiative zeigt doch, wie schlimm die Lage wirklich
ist“, sagt Präsident Philipp Frese. Er spricht von einem
„Hilferuf des Handels“, nennt verkaufsoffene Sonntage
und gute Parkmöglichkeiten als Chance, sich vom Internet
abzusetzen. „Die Straßenbahn fährt nun mal nicht in den
Schwarzwald. Doch auch von dort kommen viele Kunden,
die bei uns etwas kaufen möchten.“ Frese begrüßt, dass mit
„Wir“ nun ein weiterer Zusammenschluss für die Interessen des Einzelhandels wirbt. „Nur so kann man die Stadtverwaltung sensibilisieren. Es ist einfach nicht alles Friede,
Freude, Eierkuchen.“
Heiß her geht es auch in Bad Krozingen, wenngleich
aus anderen Gründen. Seit Monaten tobt ein erbitterter
Streit um ein geplantes Luxus-Hotel im
Kurpark. Eine Bürgerinitiative läuft dagegen Sturm; die CDU brachte kürzlich
einen möglichen Bürgerentscheid ins
Spiel. Peter Lob vom Gewerbeverband
ist für das neue Gebäude: „Bad Krozingen
braucht das Hotel. Nur so können wir uns
langfristig die Kurgäste aus der Schweiz
und aus Frankreich sichern.“
Ganz anders die Situation in Emmendingen. Ein leer
stehendes Kaufhaus in der Innenstadt, ein bisschen Gezänk
um neue Supermärkte auf der grünen Wiese – ansonsten
geht es dem Handel gut. „Das passt“, fasst Marcel Jundt,
Vorsitzender der Initiative Einzelhandel, die Stimmung
zusammen. In der Initiative organisieren sich knapp 100
Gewerbetreibende. Die meisten von ihnen sind zufrieden,
berichtet Jundt. „Die Region wächst, der Konsumbedarf
ist da, die Parkgebühren sind in Ordnung. Auch die Stadt
ist sehr interessiert daran, dass es uns gut geht.“
In Freiburg ist die Stadtverwaltung nun ebenfalls daran interessiert, die Wogen zu glätten. Nach einem Telefonat mit Sandra Gintaut-Lutz kündigte Oberbürgermeister
Dieter Salomon (Grüne) an, sich im Januar an den runden Tisch von „Wir“ zu setzen. Ob dieser zu Ergebnissen
führt, ist offen. Sicher ist jedoch, dass „Wir“ zumindest
ein Ziel schon heute erreicht hat: Der Einzelhandel ist
wieder im Gespräch.
Steve Przybilla
»Gejammer hilft
niemals weiter.
Man muss das Beste
draus machen.«
Michael Walter
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