Reversible Kontrolle der Genaktivität mittels RNAi in

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MET H ODE N & AN WE N DU NGEN
Genfunktionsanalysen
Reversible Kontrolle der Genaktivität
mittels RNAi in der Maus
JOST SEIBLER 1 UND FRIEDER SCHWENK 1, 2
1 ARTEMIS PHARMACEUTICALS GMBH, KÖLN
2 DEPARTMENT OF APPLIED NATURAL SCIENCES, UNIVERSITY OF APPLIED SCIENCE
GELSENKIRCHEN, RECKLINGHAUSEN
Die Labormaus (Mus musculus) nimmt eine herausragende Rolle unter
den genetischen Modellorganismen in der biomedizinischen Forschung
ein. Neben der Homologie der Genomsequenzen von Mensch und Maus
und der Ähnlichkeit in vielen physiologischen Aspekten sind es vor allem
die vielfältigen Möglichkeiten zur Manipulation des Genoms, die die Maus
als ideales Modell in der präklinischen Pharmaforschung auszeichnen. So
können durch verschiedene Methoden Gene gezielt ausgeschaltet werden, um aufgrund der dadurch verursachten Veränderungen Rückschlüsse auf deren Funktion zu ziehen.
¯ Abb. 1: Generierung von Mausmutanten mittels Technologiebasis von Artemis.
Die Kombination des
Kassettenaustausches in embryonalen
Stammzellen und der
Komplementation
tetraploider Blastozysten ist schematisch
dargestellt. Die Dreiecke stellen FRTRekombinationsstellen für den Kassettenaustausch dar. Fünf
Wochen alte Mäuse
können innerhalb von
3–4 Monaten generiert werden. Das von
Artemis entwickelte
induzierbare System
ist in der unteren Box
dargestellt. Der tetRepressor (itetR) bindet reversibel und in
Abhängigkeit des
Induktors Doxycyclin
(Dox) an eine geeignete Sequenz (tetO) im
H1-Promotor. In
Abwesenheit von Dox
blockiert tetR den
Promotor und verhindert dadurch die Ausprägung der shRNA.
RNA-Interferenz als alternative
Methode zur selektiven Hemmung
von Genen
ó In jüngster Zeit hat sich die RNA-Interferenz (RNAi) in verschiedenen Organismen als
äußerst effiziente Methode zur Hemmung der
Genausprägung erwiesen. RNAi beruht auf
einem evolutionär konservierten, zellulären
Prozess, der von doppelsträngiger RNA
(dsRNA) initiiert wird. Der zum Zielgen komplementäre Strang der dsRNA wird mithilfe
von dem RNA-induced silencing complex (RISC)
an die mRNA angelagert, was den gezielten
Abbau der mRNA-Moleküle zur Folge hat. Derzeit wird RNAi mittels so genannter short interfering(si)RNA-Moleküle häufig zur Analyse
der Genfunktion in Zellkulturen (in vitro)
benutzt. Die Anwendung von siRNA in Mäusen ist dagegen nur sehr eingeschränkt für in
vivo-Untersuchungen geeignet, da auf diese
Weise lediglich eine vorübergehende und
unvollständige Hemmung der komplementären mRNA in wenigen Organen erreicht wird.
Kürzlich konnte jedoch gezeigt werden, dass
sich siRNAs auch mittels eines geeigneten
Vektors stabil in der Zelle ausprägen lassen[1].
In der Regel wird dabei eine so genannte short
hairpin-RNA (shRNA) durch die Verwendung
von RNA-Polymerase III-abhängigen Promotoren in der Zelle transkribiert[2]. Es wird
davon ausgegangen, dass die shRNA von dem
Dicer-Enzym zu einer hemmenden siRNA prozessiert wird. Die damit möglich gewordene,
lang andauernde Ausschaltung von Genen
mittels stabiler Integration von shRNA-Vektoren wurde mittlerweile mit verschiedenen
Zelllinien und transgenen Mäusen gezeigt[3–5]. Im Vergleich zur Knock-out-Technologie, bei der durch aufwändige Verfahren und
Züchtungsschritte mehrere genetische Modifikationen kombiniert werden müssen, ist der
Aufwand für ein einzelnes shRNA-Konstrukt,
das zur Vermittlung der RNAi in das Genom
eingebracht werden muss, deutlich geringer.
Effiziente Anwendung von
RNA-Interferenz in der Maus
In der Literatur sind in den letzten Jahren
mehrere shRNA-basierte Mausmodelle beBIOspektrum | 04.07 | 13. Jahrgang
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schrieben worden[3–5]. Diese transgenen Mausmodelle wurden durch zufällige Integration der shRNA-Gene generiert, z. B. mittels Pronukleus-Injektion oder viraler Vektoren. Typischerweise entstehen dabei eine Reihe von
transgenen Individuen, die den eingesetzten Vektor an unterschiedlichen
Positionen und in verschiedener
Kopienzahl im Genom integriert
haben. In Abhängigkeit von der jeweiligen Integrationsstelle weisen die
shRNA-Transgene in den resultierenden Mausstämmen ein unterschiedliches Aktivitätsmuster auf. Dieses Phänomen ist seit langem bekannt und
wird als position effect variegation
bezeichnet. Daher muss nach der Herstellung der shRNA-transgenen Tiere
eine zeit- und arbeitsaufwändige Charakterisierung durchgeführt werden,
um einzelne Mauslinien mit dem
gewünschten Ausprägungsmuster der
shRNA zu identifizieren. Diese Zusatzarbeit hat bisher die routinemäßige
Anwendung der Technologie im hohen
Durchsatz unmöglich gemacht.
Um diese Komplikationen zu vermeiden, wurde bei Artemis nach einer
definierten Integrationsstelle im Mausgenom gesucht, die reproduzierbar
eine geeignete Ausprägung der shRNA
in allen Geweben der Maus gewährleistet. Hierzu wurde auch das Rosa26Gen getestet, da es als ubiquitär ausgeprägtes Gen beschrieben wurde und
während der gesamten Entwicklung
in jeder Zelle der Maus aktiv ist[6]. Diese Eigenschaft ließ Rosa26 als vielversprechenden Integrationsort für die
Ausprägung von shRNA-Vektoren
erscheinen. Unsere Erwartungen
bestätigten sich, da eine einzelne
shRNA-Kopie in diesem Locus reproduzierbar zu einer hohen RNAi-Effizienz zwischen 80–95 % in nahezu
allen Organen führte[5]. Um darüber
hinaus eine schnelle Generierung von
shRNA-Mausmodellen zu erreichen,
wurde ein Kassettenaustauschsystem
für den Rosa26-Locus in ES-Zellen entwickelt. Dieses System erlaubt die effiziente Einbringung von shRNA-Vektoren in nur einem einzigen Schritt.
Dabei wird eine sequenzspezifische
DNA-Rekombinase eingesetzt, die die
gerichtete Integration von DNAAbschnitten in einen definierten, mit
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den entsprechenden Erkennungssequenzen ausgestatteten Locus vermittelt (recombinase mediated cassette exchange, RMCE). Somit steht eine
Methode zur Verfügung, die eine zielgerichtete Integration von shRNA-Vektoren in den Rosa26-Locus im hohen
Durchsatz und mit geringem Aufwand
ermöglicht[5]. Mittlerweile wurden auf
diese Weise mehrere hundert shRNAVektoren erfolgreich in das Genom
embryonaler Stammzellen eingebracht. Die Ausprägung jeder dieser
Vektoren führte konsistent und reproduzierbar zu einer fast vollständigen
Hemmung der jeweiligen Zielgene in
vivo.
Neue Methoden zur induzierbaren RNA-Interferenz
Ein weiterer Meilenstein ist bei Artemis mit der Entwicklung einer Methode zur zeitlich regulierbaren (induzierbaren) Ausprägung von shRNAVektoren erreicht worden. Hierzu wurde eine spezielle Variante des tetRepressors genutzt, der reversibel und
in Abhängigkeit des Induktors Doxycyclin an eine geeignete Sequenz
(tetO) im Promotor bindet (Abb. 1). In
Abwesenheit des Induktors blockiert
tetR den Promotor und verhindert
dadurch die Ausprägung der shRNA.
Nach Zugabe von Doxycyclin fällt der
Repressor ab, woduch die Transkription angeschaltet wird. In ZellkulturExperimenten konnte demonstriert
werden, dass dieser Ansatz prinzipiell
funktioniert. Allerdings zeigte das System in der Maus bislang nur eine
unzureichende Regulierbarkeit auf[7].
Daher war es notwendig, eine optimierte Variante des tet-Repressors in
Kombination mit verschiedenen Promotoren zu testen. Schließlich wurde
eine Kombination gefunden, bei der
die Ausprägung der shRNA nach Zugabe von Doxycyclin stark aktiviert wird
und in Abwesenheit des Induktors keine Hintergrundaktivität aufweist. Hierbei war entscheidend, dass alle Elemente zur induzierbaren shRNA-Ausprägung auf einem Vektor kombiniert
und durch RMCE effizient und zielgerichtet in das Genom embryonaler
Stammzellen eingebaut werden können. Damit eignet sich das System für
die Herstellung induzierbarer Knock-
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˚ Abb. 2: Reversible Induktion einer Hyperglykämie in Mäusen. Eine Gruppe von sechs 2 Monate
alten transgenen shINSR Mäusen wurde für 10 Tage mit 20 μg/ml Doxycyclin im Trinkwasser
gefüttert und anschließend für 21 Tage ohne Doxycyclin gehalten. Die Blutglukosewerte wurden
an den jeweiligen Tagen der Behandlung von venösen Blutproben bestimmt. Vor und nach der Fütterung des Doxycyclins (Tag 0, 10 und 31) wurden Proteinextrakte der Leber extrahiert und eine
Western-Blot-Analyse mittels eines INSR-spezifischen bzw. AKT-Antiserums durchgeführt.
down-Mausmodelle in einem einzigen Schritt.
Die Anwendung des Systems konnte erfolgreich durch die reversible Hemmung des Insulin-Rezeptors demonstriert werden (Abb. 2).
Das Modell der progressiven Insulin-Resistenz spiegelt physiologische Veränderungen
wider, die beim Menschen zur Entstehung
von Typ 2-Diabetes mellitus führen. Es stellt
daher ein interessantes Forschungsobjekt zur
Untersuchung der Pathogenese und neuer
Therapiemöglichkeiten von Typ 2-Diabetes
dar.
Die beschriebenen Methoden haben im
Gegensatz zu den bisherigen Techniken zur
gezielten Mutagenese den Vorteil, dass die
Inaktivierung der Zielsequenzen reversibel
gesteuert werden kann. Dadurch wird die
Möglichkeit eröffnet, die Funktion von Genen
zu unterschiedlichen Zeitpunkten, z. B. während verschiedener Phasen der Pathogenese,
zu untersuchen und neue Einblicke in Krankheitsprozesse zu gewinnen.
ó
Literatur
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mammalian cells. Science 296: 550–553.
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[7] Seibler, J., Kleinridders, A., Kuter-Luks, B., Niehaves, S.,
Brüning, J. C., Schwenk, F. (2007): Reversible gene knockdown in mice using a tight, inducible shRNA expression system. Nucleic Acids Res. (Epub ahead of print).
Korrespondenzadressen:
Prof. Dr. Frieder Schwenk
University of Applied Science
Gelsenkirchen
August-Schmidt-Ring 10
D-45665 Recklinghausen
Tel.: 02361-915532
Fax: 02361-915484
[email protected]
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Dr. Jost Seibler
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