Predigt über Markus 12, 28-34 im ZDF

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Predigt über Markus 12, 28-34 im ZDF
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Predigt über Markus 12, 28-34
im ZDF-Fernsehgottesdienst am 11.08.2013 in der Ev. Zionskirche Berlin
von Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der EKD
Liebe Gemeinde,
es steht ein Verdacht im Raum. Und der lautet:
Der Glaube an Gott macht Menschen intolerant.
Und diejenigen, die diesen Verdacht äußern,
müssen nicht lange suchen, um ihren Vorwurf zu untermauern.
Sie zitieren zum Beispiel biblische Geschichten wie die vom Propheten Elia,
der 500 Priester eines heidnischen Kultes mit dem Schwert umbrachte.
Sie erinnern an die Geschichte der christlichen Kirchen von den Kreuzzügen bis
hin zu fundamentalistischen Eiferern unserer Tage, die Homosexuelle hassen
oder Jagd auf Abtreibungsärzte machen.
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Sie verweisen auf fundamentalistische Gewaltausbrüche in der islamischen
Welt,
auf kriegstreibenden Starrsinn jüdischer Siedler in Palästina
und auf Palästinenser, die sich zu Bomben gegen Juden und Jüdinnen machen,
und auf Gewalt zwischen Buddhisten und Hindus in Indien.
Liegt also im Glauben an Gott die Gefahr der Intoleranz?
Verhindert eine persönliche Glaubensgewissheit die gute Nachbarschaft zu
Menschen mit anderen Überzeugungen? (kurze Pause)
Ja, Menschen missbrauchen die eigene Religion, um Gewalt zu legitimieren.
Ja, Menschen benutzen die eigenen Glaubensüberzeugungen dazu, um Andere
und Anderes zu verteufeln.
Das gab es und das gibt es – leider Gottes – in allen Religionen.
Ein solches Verhalten aber hat nichts mit der Liebe Gottes zu seinen
Menschen zu tun.
Und ein solches Verhalten widerspricht dem Gottesglauben, zu dem Jesus
Christus uns Menschen einlädt.
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Jesus Christus hat uns ein anderes Verhalten vorgelebt, gelehrt und gepredigt.
Das zeigt auch der Predigttext für diesen Gottesdienst – wir haben ihn eben als
Evangeliums-Lesung gehört.
„Welches ist das höchste Gebot von allen?“, wird Jesus hier von einem
Schriftgelehrten gefragt.
Jesus fügt in seiner Antwort zwei Gebote des jüdischen Glaubens zum
„Doppelgebot der Liebe“ zusammen. Er sagt:
„Das höchste Gebot ist das: ‚Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr
allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von
ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften.‘
Und das andere ist dem gleich: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst.‘
Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“ (vgl. Mk 12, 28-31)
Jesus macht mit seiner Antwort unmissverständlich klar:
Der liebende Gott gibt uns Menschen Gebote und Weisungen,
die durch die Liebe von Menschen ihre Erfüllung finden –
und nicht im Recht-Haben-, Recht-Behalten- und Recht-Durchsetzen.
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Unsere Liebe zu Gott und unsere Liebe zu den Mitmenschen
sollen alle anderen göttlichen Gebote und Weisungen gleichsam umfassen,
binden und durchdringen.
Wenn das geschieht,
dann macht der Glaube an Gott uns Menschen nicht intolerant,
sondern ruft und befähigt uns zur Liebe, die zur Toleranz hinführt!
Zur Liebe:
Die Liebe, von der Jesus uns mit seinem Leben, Sterben und Auferstehen
Zeugnis gibt, hat gleichsam drei Bewegungen:
Die erste Bewegung ist die vom Himmel zur Erde.
Das ist die Liebe Gottes zu uns Menschen.
Diese Liebe ist die Grundlage von allem.
Sie wird uns von Gott geschenkt. Völlig unverdient.
Sie öffnet den Himmel zur Erde. Sie legt den Grund dafür,
dass wir Menschen Gott mit unserem Glauben und Lieben antworten können.
Für Christinnen und Christen hat sich diese Liebe Gottes in einmaliger Weise in
Jesus Christus verkörpert.
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Die zweite Bewegung ist die von der Erde zum Himmel.
Das ist die Liebe von uns Menschen zu Gott.
Diese Liebe festigt in uns die Gewissheit, gehalten zu sein.
Sie hält uns den Himmel offen, auch wenn unsere krisengeschüttelte Erde uns
ängstigt. Auch wenn uns der Boden unter den Füßen wegzubrechen droht.
Unsere Liebe zu Gott, als dem einen und einzigen Herrn allen Lebens,
ist das Band, das unser vergängliches und fragmentarisches Erdenleben an das
unzerstörbare Leben im ewigen Gottesreich bindet.
Unsere Liebe zu Gott legt deshalb in uns ein Fundament, das nicht auf Sand,
sondern auf Fels gebaut ist. Dieses Fundament lässt uns in der Gewissheit von
Gottes Gegenwart und Nähe zuversichtlich leben und hoffnungsvoll sterben.
Deshalb heißt es über unsere Liebe zu Gott: wir sollen ihn lieben „von ganzem
Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen unseren Kräften.“
Unser ganzes Lieben soll an Gott gebunden bleiben.
So, wie das rote Band der Toleranz an Gottes Wort gebunden bleibt.
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Die dritte Bewegung ist die auf der Erde.
Das ist die Liebe von Mensch zu Mitmensch.
Diese Liebe führt zu guter Nachbarschaft.
Sie lässt uns in jedem anderen Menschen, unabhängig von seiner Nationalität
und seiner Weltanschauung, Gottes geliebtes Geschöpf erkennen - unseren
Bruder und unsere Schwester.
Diese Liebe motiviert und befähigt uns zu einer respektvollen Toleranz auch
gegenüber dem uns bleibend Fremden – gerade weil sie in der Gottesliebe
gegründet ist.
Aber diese Liebe zeigt uns auch die Grenzen der Toleranz auf, wenn wir sehen,
wie andere Menschen verunglimpft und angegriffen, verletzt und ermordet
werden.
Nächstenliebe befähigt zum Mitfühlen und Mitleiden mit nahen und fernen
Nächsten und bewegt zum Tun des Gerechten - im persönlichen Umfeld wie
auch in der großen Politik.
Denn wenn wir unsere Nächsten lieben „wie uns selbst“, dann erschöpft sich
dieses Lieben nicht in tätiger Nothilfe.
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Dann fragen und suchen wir um der Liebe willen auch nach Strukturen von
Frieden und Gerechtigkeit.
Und dann suchen wir nach Wegen, Gottes Schöpfung für unsere Nachfahren zu
bewahren.
Diese Liebe von Mensch zu Mitmensch ist ein Nährboden für gute
Nachbarschaft in unserem Stadtteil, in unserem Land, in Europa und weltweit.
Alle drei Bewegungen der Liebe gehören in unserem christlichen Glauben
untrennbar zusammen. Und eben dieser Zusammenhang und Zusammenklang
verhindern, dass der Glaube an Gott Menschen intolerant macht. Sie befähigen
zu einer Liebe, die zur Toleranz führt.
Hier in dieser Kirche ist die Erinnerung an einen großen Theologen und
Zeitzeugen des christlichen Glaubens sehr lebendig. Dietrich Bonhoeffer ist
eine Zeit lang in der Zionskirche Pfarrer gewesen und hat den konkreten
Zusammenhang von Gottesliebe und Menschenliebe sowie vom „Beten und Tun
des Gerechten“ gepredigt und gelebt.
Ihm hatte es keine Ruhe gelassen, dass im damaligen Arbeiterviertel unter
seinen Konfirmanden etliche waren, die sich keinen Anzug zur Konfirmation
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leisten konnten. Er hat geholfen. Er hat Stoff besorgt. Und in der Gemeinde
wurden Anzüge geschneidert.
Dietrich Bonhoeffer hat es keine Ruhe gelassen, dass auch in seiner
evangelischen Kirche Jüdinnen und Juden verunglimpft, verraten und
ausgegrenzt wurden.
Er hat sein Gewissen und das seiner Mitmenschen immer wieder wach gerüttelt,
indem er forderte:
„Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen."
Dieser Satz Bonhoeffers schreibt uns auch heute in unsere Herzen:
Wer an dem Leiden seiner Mitmenschen vorbeisieht und vorbeigeht,
der missachtet die Liebe Gottes zu seinen Menschen.
Wer seine Nächsten nicht liebt, der macht seine Gottesliebe zur Lüge!
Das biblische Doppelgebot der Liebe setzt uns in Bewegung.
Wer liebt, der kann nicht nur bei sich und mit sich allein bleiben.
Die Liebe setzt uns in Bewegung zu guter Nachbarschaft gerade auch mit denen,
die uns fremd sind und andere Überzeugungen haben.
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Die Liebe lässt uns mit unseren Worten und Taten dem Verdacht widersprechen,
dass der Glaube an den einen und einzigen Gott Menschen intolerant mache.
Mögen wir – hier in Berlin und an allen Orten – durch Gottes Liebe zu
Werkzeugen seines Friedens werden und Liebe üben auch und gerade in
lieblosen Zeiten und an lieblosen Orten.
Dazu leite und begleite uns Gottes Geist.
Amen.
Mit den Karten vor den Altar treten

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