Totgeglaubte leben länger
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Totgeglaubte leben länger
abenteuer & reportage Infektiöse Anämie „Ich geh dann mal entspannen“ – Foxy führt ein pferdegerechtes Leben Totgeglaubte leben länger „Dolce vita“ in der Toskana: In Filicaja genießen acht Pferde im Offenstall ihr Leben. Nichts Besonderes? Doch. Die Tiere sind alle mit Equiner Infektiöser Anämie infiziert. Die Diagnose bedeutet für Pferde in Deutschland unausweichlich den Tod – in Italien dürfen sie leben Text: Wiebke Ramisch | Fotos: Ottavia Poli Q uarter Foxy bummelt ent spannt auf dem großen Pad dock zur Heuraufe – Essens zeit. Genüsslich schnaubend versenkt der Fuchs gemein sam mit seinen Kumpels die Nase im Raufutter. Seit vier Jahren nennt Foxy das italienische Filicaja sein Zuhause, und ganz offensichtlich fühlt er sich pudelwohl. Dass er quicklebendig ist und sein Dasein genießen kann, ist nicht selbstver ständlich. Wäre er in Deutschland aufge wachsen, wäre er schon lange tot. Denn Foxy hat Equine Infektiöse Anämie. Nicht wenigen Pferdebesitzern wird allein bei diesem Namen ein kalter Schauer über den Rücken laufen. Nicht einmal an derthalb Jahre ist es her, dass Deutschland von einer Welle dieser hochgradig anste ckenden Viruskrankheit überrollt wurde. Das Blutspendepferd Cazimir der Pferde klinik am Kottenforst bei Bonn hatte unbe merkt von 2009 bis 2012 das Virus an ande re Pferde verteilt (Mein Pferd berichtete im Dezember 2012). Die B esitzer von über 2.000 Pferden, die direkt und indirekt mit Cazimir in Berührung gekommen waren, mussten bei den Untersuchungen zittern. Laut Dr. Patricia König vom FriedrichLöffler-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, wurden 2012 in Deutschland 22 infizierte Pferde registriert, bei zwölf von ihnen war die Krankheit aus gebrochen. Ihre Reitställe wurden unter Quarantäne gestellt, ein Sperrbezirk von einem Kilometer errichtet, um die Verbrei tung einzudämmen. Für die betroffenen Pferde gab es keine Rettung: Sie mussten alle eingeschläfert werden, das Tierseuchen schutzgesetz will es so. Schockierende Diagnose Zurück zu Foxy: Bei ihm wurde Anfang 2009 Equine Infektiöse Anämie diagnos tiziert. Für seine Besitzerin Alessia Aubert brach damals eine Welt zusammen: „Es war wie ein Albtraum. Ich weiß bis heute nicht, wie er sich die Krankheit zugezogen hat, Foxy stand immer im gleichen Reit stall, und alle anderen Pferde waren gesund. Die Diagnose erschien mir absurd, da mein Pferd in einem fabelhaften ge sundheitlichen Zustand war.“ Das ist die große Krux des Virus: Bei bis zu 90 Prozent d er infizierten Pferde treten keine Symptome auf, sie bleiben teils ihr ganzes Leben lang gesund, obwohl sie das Virus in sich tragen und potenziell jederzeit an andere Tiere weitergeben können – so wie Foxy. In Deutschland ist die Gesetzeslage klar. Egal, ob die Essensrationen und Krankheit ausgebrochen ist Herdenzusammenoder nicht: Infizierte Pferde stellung stimmen müssen sofort eingeschläfert 80 www.mein-pferd.de 01/2014 Was ist Infektiöse Anämie? werden. In Italien sieht es etwas anders aus. Entweder man hält das infizierte Tier isoliert von anderen Pferden, oder man schläfert es ein. Das geht jedoch nur bei Pferden, bei denen die Krankheit bereits ausgebrochen ist, denn es ist gesetzlich verboten, ein gesundes Pferd einzuschlä fern. So entsteht eine ziemliche Zwick mühle für die Besitzer von infizierten, aber gesunden Pferden: Entweder sie nehmen ihrem Pferd den Kontakt zu seinen Artgenossen, oder sie verstoßen gegen das Gesetz und schläfern es ein. Eine Wahl zwischen Pest und Cholera? „Equine Infektiöse Anämie oder Ansteckende Blutarmut der Einhufer ist eine systemische Viruserkrankung „Ich hätte niemals erlaubt, mein Pferd, das der Pferde, Esel, deren Kreuzungen und Zebras“, sagt Dr. Patricia König. Die in bestem Gesundheitszustand war, ein Krankheit ist anzeigepflichtig, für Menschläfern zu lassen“, stellt Alessia Aubert schen jedoch ungefährlich. Pferde aus klar. „Gleichzeitig setzte man mich in Rumänien gelten als Hauptinfektions meinem Reitstall unter Druck, mein Pferd quelle. Mit einer speziellen Untersuchung vom Rest der Pensionspferde zu isolieren des Blutes, dem Coggins-Test, wird die und fortzuschaffen.“ Infektiöse Anämie festgestellt. Auf der Suche nach einem Ausweg stieß Infizierte Tiere tragen das Virus ihr Alessia bei ihren Recherchen auf den Ver Leben lang in sich, und auch wenn sie ein Italian Horse Protection Association keine Symptome zeigen, können sie (IHP). Seine Mitglieder setzen sich für andere Pferde anstecken. Erkranken die Rechte der Pferde ein und retten miss infizierte Pferde an dem Virus, magern handelte Tiere. Und sie bieten Pferden, die mit Equiner Infektiöser Anämie sie ab, haben eine stark erhöhte Blut tendenz, hohes Fieber und bauen Muskelmasse ab. Teilweise kommen Blutungen an Auge und Zunge oder Schwellungen an Bauch und Beinen vor. In Deutschland müssen infizierte Tiere sofort eingeschläfert werden – das soll die Ansteckung weiterer Tiere v erhindern. Schützen können Pferdebesitzer ihre Tiere derzeit vor allem über sorgfältige Stallhygiene und Insektenschutz. „Eine Immunprophylaxe ist bislang nicht verfügbar“, erklärt Dr. König. In Europa befinden sich Impfstoffe noch im Experimentalstadium, eine in China entwickelte Impfung ist in Europa nicht zugelassen. 01/2014 www.mein-pferd.de 81