im rückgrat - Turnier der Meister

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im rückgrat - Turnier der Meister
TECHNOLOGIE NERVENHEILUNG
R
onny Ziesmer hatte den Doppelsalto mit Drehung schon viele hundert
Male akkurat und sicher gesprungen. Doch an diesem Trainingstag
kurz vor Beginn der olympischen Sommerspiele in Athen landete der Kunstturner und
deutsche Mehrkampfmeister nach dem Tsukahara nicht auf den Füßen, sondern auf
dem Kopf. Zwei seiner Halswirbel brachen.
DAS ENDE EINER KARRIERE: Obwohl Ziesmer sofort ins Unfallkrankenhaus Berlin
(UKB) geflogen und operiert wurde, blieb
sein Rückenmark irreparabel gequetscht. Er
ist querschnittsgelähmt. Heute, vier Monate
nach dem Unfall, liegt der ehemalige Turnstar immer noch in der Klinik. UKB-Chefarzt Andreas Niedeggen, der ihn behandelt,
kann dem 25-Jährigen wenig Hoffnung machen: „Ronny wird vom fünften Halswirbel
abwärts gelähmt bleiben und für sein restliches Leben auf Rollstuhl und fremde Hilfe
angewiesen sein.“
So wie Ziesmer, ergeht es in den Industriestaaten Jahr für Jahr rund 40 000 vor allem jungen Menschen. Sie verunglücken mit
Motorrad oder Auto, stürzen vom Pferd wie
Superman-Darsteller Christopher Reeve
oder brechen sich beim Kopfsprung in ein
trübes Gewässer den Hals oder das Rückgrat.
Bisher sind die
dramatischen Folgen
solcher
Unfälle
praktisch nicht zu
beheben. Das könnte
sich allerdings ändern: Die
junge Düsseldorfer Universitätsausgründung Neuraxo Biotec scheint genau das gefunden zu haben, wonach weltweit Dutzende von Forschergruppen suchen: einen Wirkstoff,
der verletzte Nerven nachwachsen lässt.
Das Präparat namens Cordaneurin soll
im kommenden Sommer zum ersten Mal
am Menschen erprobt werden
und bereits 2007 auf den Markt
kommen, so die ehrgeizigen Ziele
von Neuraxo. Eine wichtige Hilfe
ist den Düsseldorfern dabei sicher: Im September erkannte die
europäische Arzneimittelzulassungsbehörde EMEA dem Cordaneurin den begehrten OrphanDrug-Status zu. Er wird erteilt,
wenn es gegen ein seltenes Leiden noch keine Therapie gibt. Der Vorteil: Der Sonderstatus erlaubt ein beschleunigtes Zulassungsverfahren und garantiert dem Unternehmen das Recht, den Markt, der auf eine
halbe bis eine ganze Milliarde Euro geschätzt wird, zehn Jahre exklusiv zu beackern.
Der Grund, warum Mediziner bisher
bei Rückenmarkverletzungen so hilflos sind:
KUNSTTURNER ZIESMER Patienten im Rollstuhl
hoffen auf baldige Forschungserfolge
Die beschädigten Nervenbahnen wachsen
nicht wieder zusammen. Neue Nervenfasern, die nach dem Unfall spontan sprießen,
werden sofort von einer ganzen Schar von
Hemmstoffen gestoppt.
Deshalb haben sich viele Forscher seit
Jahren darauf konzentriert, diese Hemmstoffe zu unterdrücken, damit die Nerven
wieder ungehindert wachsen können. Spezielle Wachstumsfaktoren, embryonale Gewebe und Stammzellen sollen außerdem
die Nerven wieder sprießen lassen. Andere
Forscher versuchen, die Produktion des
für die Nerven wichtigen Isolierstoffes
Myelin anzukurbeln. Und um die Nerven
gleichsam auf die andere Seite des verletzten Rückenmarkstranges zu locken, versuchen sie Brücken zu bauen, auf denen die
Nervenzellen über die Narbe hinweg
wachsen können.
Die Narbe, die sich einige Tage nach
der Verletzung an den durchtrennten
Nervenenden bildet, stellt das massivste
Hindernis für das Nervenwachstum dar,
darin sind sich die Forscher inzwischen
einig. „Durch diesen klebrigen Klumpen
aus Kollagenfasern kommen die Nervenzellen nicht hindurch“, sagt NeuraxoForschungschefin Susanne Hermanns.
Festgestellt hatte das ihr Doktorvater und Firmengründer Hans
Werner Müller schon Ende der
Neunzigerjahre. Der Chef des Labors für Molekulare Neurobiologie der Düsseldorfer Universitätsklinik vermutete, dass an diesem
Narbengewebe auch alle Hemmstoffe kleben bleiben und so die Heilung des Rückenmarks vereiteln.
Also suchte Müller mit seinem Team
nach einer Substanz, die die Narbe verschwinden oder sie gar nicht
erst entstehen lässt. Das vom
Schweizer Pharmamulti Novartis vertriebene Medikament Desferal, das den Eisenhaushalt des Blutes reguliert,
leistet exakt, was Müller wollte: Es verhindert den Kollagenaufbau der Narbe.
Die spannende Frage war
nun: Würden Rückenmarkverletzungen
heilen, wenn diese Substanz, die bei Neuraxo nun Cordaneurin heißt, verabreicht
wird? Susanne Hermanns hat das inzwischen in umfangreichen Versuchen an Ratten getestet. Und sie findet: „Die Tiere erholen sich mit der Behandlung hervorragend.“
In vier Monaten wuchsen die neuen Nervenleitungen 2,5 Zentimeter über die Narbe
hinweg.
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WIRTSCHAFTSWOCHE I 18.11.2004 I NR. 48
Ein Präparat, bisher nur
bei seltenen Krankheiten angewandt, lässt
zerstörte Nerven wachsen – eine Chance für
Querschnittsgelähmte.
FOTO: BONGARTS
DEPOT
IM RÜCKGRAT
FOTO: CLAUDIUS HOLZMANN/BHP
TECHNOLOGIE NERVENHEILUNG
Das 2001 mit nur vier Millionen Euro gegründete Unternehmen beantragte nun eiligst ein
Patent für die Anwendung des
Präparats bei neurologischen Erkrankungen. In Europa ist es erteilt, in den USA läuft das Verfahren noch.
Jetzt geht es darum, die neue
und möglicherweise revolutionäre Therapie am Menschen zu erproben, was von manchen Fachkollegen kritisiert wird. „Ich finde die Daten noch nicht so überzeugend, dass man sich schon an
den Menschen wagen sollte“,
meint etwa der Züricher Neuromorphologie-Professor Martin Schwab. Er
selbst kooperiert seit fünf Jahren mit Novartis und erprobt seit drei Jahren ein Gegenmittel gegen den Wachstumshemmer NoGo-A an Affen. Erst danach will er es an
Menschen testen. Schwab wehrt sich vehement gegen den Druck von Betroffenen, die
neue Substanz vorab an ihnen auszuprobieren: „Ein Rückschlag würde die ganze Forschungsrichtung zurückwerfen.“
Neuraxo-Forschungschefin Hermanns
betont die Unterschiede der Ansätze: „Unser
Präparat ist seit Jahren auf dem Markt, wir
erwarten keine negativen Effekte.“ Tatsächlich rennen die Klinikchefs den Düsseldorfern die Türen ein und wollen unbedingt an
der Studie teilnehmen. „Ich halte das für einen wahnsinnig spannenden Ansatz“, bestätigt UKB-Neurochirurg Niedeggen, dessen
Behandlungszentrum für Rückenmarkverletzte federführend teilnehmen wird.
Ab kommendem Sommer sollen
deutschlandweit 100 Patienten mit Cordaneurin behandelt werden. Allerdings zunächst nur solche, die akut einen Unfall hat-
NEURAXO-FORSCHUNGSCHEFIN
HERMANNS (o.),
NERVENWACHSTUM
IM TIERVERSUCH
Die Nervenfasern
(grün) stellen ohne
Behandlung mit Cordaneurin ihr Wachstum an der Verletzungsnarbe (rot) ein,
behandelte wachsen
dagegen nach einem
kleinen Knick über die
Stelle der aufgelösten
Narbe hinweg (unten)
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ten. An der verletzten Stelle wird ein Cordaneurin-Depot platziert, das das Mittel 28
Tage lang freisetzt. Wenn die Sache funktioniert, sollen Studien an chronisch Gelähmten folgen. Später soll die Substanz auch gegen Schlaganfälle eingesetzt werden: Auch
hier bildet sich eine Narbe und behindert
die Erholung beschädigter Hirnareale.
SUPERMAN-DARSTELLER Christopher Reeve
hatte die Hoffnung aufgegeben, eines Tages
wieder gehen zu können, wie er dem Züricher Forscher Schwab in mehreren persönlichen Treffen sagte: „Er wollte einfach nur
wieder selbstständig atmen können.“ Stattdessen erlag er vor wenigen Wochen den typischen Folgeerscheinungen, die eine so
massive Behinderung und die ständige Beatmung mit sich bringen: Infektionen und
Kreislaufkollaps. Umso eindringlicher bleibt
in Erinnerung, was er Forschern wie
Schwab, die nach Mitteln gegen die Querschnittslähmung suchen, immer wieder sagte: „Beeilt euch und verliert keine Zeit.“ ■
SUSANNE KUTTER
NR. 48 I 18.11.2004 I WIRTSCHAFTSWOCHE
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