Kölner Arbeitspapiere zur internationalen Politik

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Kölner Arbeitspapiere zur internationalen Politik
-IKölner Arbeitspapiere zur internationalen
Politik
Nr.1 2004
Die mediale Vermittlung des war on terrorism in die
amerikanische Öffentlichkeit
von:
Henrike Viehrig
Dezember 2003
Inhalt
I.
Einleitung ...................................................................................................1
II.
Öffentliche Meinung, Medien und Außenpolitik......................................2
II.1. Die öffentliche Meinung .........................................................................2
II.2. Medien und Öffentliche Meinung ...........................................................5
II.3. Öffentliche Bewertung von Außenpolitik................................................8
III. Methode ....................................................................................................12
III.1. Medienanalyse .................................................................................... 12
III.2. Modell des medialen Vermittlungsprozesses ...................................... 13
III.3. Empirisches Vorgehen ........................................................................ 16
IV. Mediale Vermittlung des war on terrorism nach dem 11. September
2001...........................................................................................................19
IV.1. Informationsoffensive der Regierung Bush.......................................... 19
IV.2. Mediendarstellung im September 2001 ............................................... 22
IV.2.1. Fernsehen ................................................................................... 22
IV.2.2. Printmedien ................................................................................. 25
IV.3. Rezeption in der Öffentlichkeit............................................................. 30
IV.4. Auswertung ......................................................................................... 35
V.
Veränderung der Mediendarstellung im Vorfeld des Irak-Krieges ......37
V.1. Veränderte Medienberichterstattung ................................................... 38
V.2. Effekt auf die öffentliche Meinung........................................................ 44
V.3. Verändertes Regierungshandeln ......................................................... 49
V.4. Auswertung ......................................................................................... 54
VI. Partiell mediale Vermittlung des war on terrorism im Vorfeld des
Irak-Krieges ..............................................................................................56
VI.1. Fernsehansprachen der Regierungsvertreter ...................................... 57
VI.2. Ansprachen und öffentliche Meinung .................................................. 66
VI.3. Einfluss öffentlicher Meinung auf das Regierungshandeln? ................ 73
VII. Fazit und Ausblick ...................................................................................76
VIII. Literaturverzeichnis..................................................................................III
IX. Anhang ..................................................................................................... IX
IX.1. Erklärung ............................................................................................. IX
IX.2. Inhaltsverzeichnis beiliegende CD-ROM ............................................. IX
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Modell Medialer Vermittlungsprozess .............................................. 14
Abb. 2:
Übersicht TV-Schlagzeilen nach dem 11. September 2001............. 23
Abb. 3:
Salience "War on terrorism", "New war"........................................... 26
Abb. 4:
Salience "Osama Bin Laden", "Terrorist network"............................ 27
Abb. 5:
Salience "intelligence", "coalition building" ....................................... 28
Abb. 6:
Umfrage: Umgang mit den terroristischen Anschlägen .................... 31
Abb. 7:
Umfrage: Most important problem Sep 01-Jan 02 ........................... 32
Abb. 8:
Umfrage: Zustimmungsrate Präsident Bush Sep 01-Jan 02 ............ 33
Abb. 9:
Umfrage: Unterstützung militärischer Aktionen ................................ 34
Abb. 10: Salience "War on terrorism" ............................................................. 39
Abb. 11: Salience "Iraq" und "Al Qaeda" ........................................................ 40
Abb. 12: Salience "Intelligence" und "Information" ......................................... 41
Abb. 13: Salience "Terror"/"Terrorism" und "Warning" ................................... 42
Abb. 14: Umfrage: Wahrscheinlichkeit neuer Terroranschläge ...................... 44
Abb. 15: Umfrage: Sieger im war on terrorism ............................................... 45
Abb. 16: Umfrage: Befürwortung militärisches Eingreifen im Irak................... 47
Abb. 17: Umfrage: Most important problem Jan 02-Mrz 03............................ 48
Abb. 18: Übersicht TV-Ansprachen Regierung Bush Jan 02-Mrz 03.............. 58
Abb. 19:
Umfrage: Erklärung Kriegsgründe Irak............................................. 67
Abb. 20: Umfrage: Zustimmungsrate Präsident Bush Jan 02-Mrz 03............. 72
-1-
I.
Einleitung
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben die Bedrohungs-
wahrnehmung der Vereinigten Staaten von Amerika grundlegend verändert.
Das schlagartig erweckte Bewusstsein über die eigene Verwundbarkeit und der
kollektive Schockzustand der amerikanischen Öffentlichkeit in der Folge der Attentate gestatteten der Regierung Bush eine beispiellose Neugestaltung der Innen- und Außenpolitik. Stellvertretend für diese Neuausrichtung steht der Begriff war on terrorism. Dahinter verbirgt sich einerseits die neue außenpolitische
Strategie zur Reorganisation des internationalen Systems1 und andererseits die
innenpolitisch motivierte Erhaltung und Festigung der öffentlichen Unterstützung für die Umsetzung dieser Strategie auf der nationalen Ebene.
Die herrschende Unipolarität auf militärischem Gebiet befähigt die Vereinigten Staaten, ihre außenpolitischen Ziele zurzeit ohne effektive Gegenmachtbildung durchzusetzen. Der einzige politische Widerstand, den die Regierung
Bush derzeit zu erwarten hat, kann aus der US-amerikanischen Öffentlichkeit
kommen. Die Möglichkeit einer zweiten Amtszeit macht die Administration empfindlich für die Stimmung und die Zustimmung in der Wahlbevölkerung. Aus
diesem Grunde wird besonders um einen positiven Eindruck in der Öffentlichkeit gerungen.2 Die langfristig angelegte Neuausrichtung der Außenpolitik der
US-Regierung muss vor allem der eigenen Bevölkerung vermittelt und von ihr
akzeptiert werden. Die zentrale Rolle in diesem Vermittlungsprozess nehmen
die Medien ein. Als Trägersystem der Informationsvermittlung3 stellen sie das
Bindeglied zwischen Regierung und Öffentlichkeit dar.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie die mediale Vermittlung
der neuen Außenpolitik durch die Regierung Bush in die amerikanische Öffentlichkeit erfolgt ist. Dabei wird die Rolle der Medien anhand von ausgewählten
Etappen des war on terrorism im Spannungsfeld von öffentlicher Meinung und
Regierungshandeln empirisch überprüft. Ziel der Arbeit ist es, den Stellenwert
der Medien in der Beziehung zwischen Regierungshandeln und öffentlicher
Meinung am Beispiel des war on terrorism zu erforschen.
1
2
3
Zusammengefasst in "The National Security Strategy of the United States of America", September 2002, unter http://www.whitehouse.gov/nsc/nss.html (Stand 19.6.2003).
Vgl. Szukala, Andrea und Jäger, Thomas: Die innenpolitische Steuerung der amerikanischen Irak-Politik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2003, S. 37-48, S. 47f.
Vgl. "1Medien", in: Duden - Die deutsche Rechtschreibung, 22. Auflage, Mannheim, 2000.
-2-
II.
Öffentliche Meinung, Medien und Außenpolitik
II.1.
Die öffentliche Meinung
Die Bedeutung der öffentlichen Meinung als ein entscheidender Faktor
der US-Außenpolitik hat seit dem Ende des Vietnam-Kriegs zugenommen. Man
hatte bis dahin der breiten Öffentlichkeit die Fähigkeit einer kohärenten, strukturierten und vor allem begründeten Meinungsbildung abgesprochen und einen
Einfluss der öffentlichen Meinung auf den Außenpolitik-Prozess überhaupt abgelehnt. Im Jahre 1975 endete der von den Eliten weitgehend befürwortete, von
der Öffentlichkeit jedoch abgelehnte Krieg mit einer Niederlage für die Vereinigten Staaten. Damit erwies sich die Einschätzung des "Volkes" als richtig, was
zu einer Neubewertung der Verbindung zwischen öffentlicher Meinung und Außenpolitik führte.4 Seither kann man beobachten, dass die Aussage der öffentlichen Meinung stärkere Beachtung bei außenpolitischen Entscheidungen findet,
wohingegen der direkte Einfluss von Eliten und Intelligenz auf die Politikgestaltung abgenommen hat.5
Bereits 1965 suchte man nach einer verbindlichen Definition des Begriffs
"öffentliche Meinung". Das Ergebnis war eine Zusammenstellung von rund 50
bereits vorhandenen Definitionen.6 Seitdem ist die Forschung auf diesem Gebiet sehr viel populärer geworden – eine klare, allgemein anerkannte Definition
gibt es aber immer noch nicht. So lokalisieren Shamir und Shamir die öffentliche Meinung
"...at the juncture of society, communication, and the individual; of the public and the
private domains; of civil society and the state; of citizenry and politics; of masses and elites; of social control and rationality; of norms and events..."7.
Zweifel über die politische Nutzbarkeit der öffentlichen Meinung äußert
V.O.Key, Jr., in folgender Definition:
4
5
6
7
Vgl. Holsti, Ole R.: Public Opinion and Foreign Policy: Challenges to the Almond-Lippmann
Consensus, in: International Studies Quarterly, 1992, Nr. 36, S. 439-466, S. 442ff.
Vgl. Powlick, Philip J.: The Sources of Public Opinion for American Foreign Policy Officials,
in: International Studies Quarterly, Nr. 39, 1995, S. 427-451, S. 446 sowie Szukala/Jäger, S.
43.
Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth: Öffentliche Meinung. Die Entdeckung der Schweigespirale,
Berlin, Frankfurt a.M., 1996, S. 84-85.
Vgl. Shamir, Jacob und Shamir, Michal: The Anatomy of Public Opinion, Ann Arbor, 2000,
S. 2.
-3-
"Public opinion consists of the views held by ordinary people, which authority-holders
and authority-seekers and other powerful figures 'find it prudent to heed'."8
Eine politologisch brauchbare Unterteilung des komplexen Begriffes
nimmt Robert M. Entman9 vor. Er unterscheidet vier Typen der öffentlichen
Meinung. Erstens gibt es die tatsächlichen individuellen Präferenzen, also die
ganz private politische Einstellung eines jeden Einzelnen. Meinungsforschungsinstitute gehen davon aus, genau diesen Wert zu erfassen. Dass ihnen das
nicht vollständig gelingen kann, liegt daran, dass die befragten Personen in der
Interview-Situation nicht eigentlich "denken", sondern einen spontanen Einfall
äußern. Dieser kann durch viele unterschiedliche Faktoren (Fragestellung, Reihenfolge der Fragen, Bandbreite der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten usw.)
beeinflusst sein.10 Das Resultat vieler derartiger Interviews ist das veröffentlichte Umfrageergebnis, welches den zweiten Typ der öffentlichen Meinung darstellt. Mit diesem Wert arbeiten Medien, Wissenschaftler und Politiker und beeinflussen durch ihre Reaktion und Interaktion gleichzeitig die nachfolgenden
Umfragen und -ergebnisse.
Eine dritte Unterscheidung befasst sich mit der wahrgenommenen oder
angenommenen öffentlichen Meinung. Sie stellt das Bild über das vorherrschende Meinungsklima dar, welches es in den Köpfen von Politikern und Journalisten existiert. Oft genug von außenpolitischen Entscheidungsträgern propagiert und von den Medien transferiert, kann es zu einer Anpassung der Umfragewerte (Typ 2) an die angenommene öffentliche Meinung (Typ 3) kommen.
Die angenommene öffentliche Meinung stellt oftmals eine weitaus wichtigere
Handlungsgrundlage für politische Entscheidungen dar als die veröffentlichten
Umfragewerte. V.O.Key, Jr., beschreibt dies folgendermaßen:
"…the only public opinion that really counts in America, is the public opinion that politicians hope they might be able to create by their own actions..."11
8
9
10
11
V. O. Key Jr., zit. in: Paletz, David L.: The Media in American Politics. Contents and Consequences, New York u.a., 20022, S. 154.
Vgl. Entman, Robert M.: Declaration of Independence. The Growth of Media Power after the
Cold War, in: Nacos, Brigitte L./Shapiro, Robert Y./Pierangelo, Isernia (Hrsg.): Decisionmaking in a Glass House. Mass Media, Public Opinion, and American and European Foreign
Policy in the 21st Century, Lanham u.a., 2000, S. 11-26.
Vgl. Zaller, John: Elite Leadership of Mass Opinion. New Evidence from the Gulf War, in:
Bennett, W. Lance/Paletz, David L. (Hrsg.): Taken by Storm. The Media, Public Opinion,
and U.S. Foreign Policy in the Gulf War, Chicago, 1994, S. 186-209, S. 194.
V. O. Key Jr., zit. in: Zaller, John: Strategic Politicians, Public Opinion, and the Gulf Crisis,
in: Bennett, W. Lance/Paletz, David L. (Hrsg.): Taken by Storm. The Media, Public Opinion,
and U.S. Foreign Policy in the Gulf War, Chicago, 1994, S. 250-274, S. 251.
-4-
Die vierte Kategorie der öffentlichen Meinung umfasst die individuellen
Prioritäten, nach denen die politische Meinung gewichtet wird. Sie ist durch Umfragen nicht messbar, bestimmt aber dennoch bei einer Wahl, welche Fähigkeiten eines Kandidaten wichtig sind und welche Fehler oder Mängel eher toleriert
werden.12
In dieser Arbeit soll es vor allem um den gestalterischen Einfluss gehen,
den die öffentliche Meinung auf der Ebene des politischen Akteurs ausübt. Daher wird hier von der öffentlichen Meinung als der aggregierten Form der individuellen Meinung ausgegangen, wie sie in Umfragen vorzufinden ist (Typ 2). Bei
den folgenden Untersuchungen der Ergebnisse der Umfrageinstitute sollen die
Begriffe "Öffentlichkeit" und "öffentliche Meinung" synonym verwendet werden.
Zu den Kategorien Einzelmeinung, wahrgenommene öffentliche Meinung und
persönliche Prioritätensetzung (Typ 1, 3 und 4) können keine genauen Werte
gemessen werden. Jedoch kann man im Einzelfall Rückschlüsse auf den Stellenwert dieser Form der öffentlichen Meinung ziehen.
Durch neue Umfrage-Techniken und sinkende Kosten in der Erhebung
und Durchführung haben Meinungsumfragen in den letzten Jahrzehnten an Attraktivität gewonnen. Neben weltweit tätigen Umfrageinstituten wie Gallup, Harris oder Zogby International unterhalten fast alle US-weiten Tageszeitungen und
Fernsehstationen sowie über die Hälfte der lokal begrenzten Medien eigene
Meinungsforschungsabteilungen oder nehmen die Dienste externer Anbieter in
Anspruch. Die Veröffentlichung von Umfragen ist für Journalisten und Herausgeber von Nachrichtenmedien eine attraktive Ergänzung des üblichen Presseund Sendegeschehens. Die Erhebungen können sehr genau auf das jeweils aktuelle Thema zugeschnitten werden und bieten aufgrund ihrer datengestützten
Fakten wenig Raum für Kritik. Je nach Auswahl und Interpretation der "neutralen" Ergebnisse werden politische Entscheider und Öffentlichkeit von den medialen Darstellungen beeinflusst.13 Diese Tendenz wird auch dadurch unterstützt,
dass der moderne Ausbildungskanon Sozialwissenschaftler und Politikberater
mit dem Wesen der öffentlichen Meinung sehr gut vertraut macht. Das begünstigt die Verwendung von empirischem Datenmaterial in Journalismus und Poli-
12
13
Vgl. Entman, S. 20-22.
Vgl. Paletz, S. 162-164.
-5-
tik.14 Die häufigsten Themen der Umfragen sind die Wirtschaft, die Popularität
des Präsidenten und der Einsatz von US-Truppen im Ausland.15 Die im Zusammenhang mit der Einschätzung des Präsidenten am häufigsten gestellte
Frage ist die "Job-approval-Frage". Sie zielt vor allem auf die innenpolitische
Leistung des Präsidenten ab.16 Für die Leistungsbewertung auf dem Gebiet der
Außenpolitik gibt es keine äquivalente Erhebung. Dennoch weist der Verlauf der
approval rate zeitliche Zusammenhänge mit dem Auftreten von außenpolitischen Ereignissen auf. Aus diesem Grunde wird im Folgenden die öffentliche
Zustimmung zum Präsidenten auch als Maß für die Zustimmung zum Umgang
mit außenpolitischen Problemen herangezogen.
Der Einfluss der öffentlichen Meinung auf die Gestaltung der Außenpolitik ist nicht unumstritten: durch den geographischen und emotionalen Abstand
des einzelnen Individuums zu weltweiten Geschehnissen ist in den Vereinigten
Staaten ein besonderes Desinteresse an der Außenpolitik festzustellen.17 Für
die wissenschaftliche Recherche ergibt sich noch ein zweites Problem: außenpolitische Themen sind meist nur für kurze Zeit "interessant" und das größtenteils journalistische Interesse der Umfrageinstitute steht einer kontinuierlichen
Fragestellung über einen längeren Zeitraum hinweg entgegen.18 Die resultierenden Momentaufnahmen sind dann aufgrund mangelnder Vergleichbarkeit für
die wissenschaftliche Recherche unbrauchbar. Mit den Terroranschlägen vom
11. September 2001 rückte die Außenpolitik wieder in den Mittelpunkt des Interesses der US-amerikanischen Öffentlichkeit, wodurch ein umfangreiches Datenmaterial für die Bewertung des war on terrorism vorliegt.
II.2.
Medien und Öffentliche Meinung
Die modernen Massenmedien gelten als wahrscheinlichster Ursprung
der politischen Meinung eines Individuums. Da sich die individuelle Meinung
nach der hier getroffenen Annahme in der Mehrzahl zur 'öffentlichen Meinung'
14
15
16
17
18
Vgl. Powlick, S. 439 und 444.
Vgl. Paletz, S. 154.
Vgl. Holsti, S. 460.
Vgl. Dobler, Wolfgang: Außenpolitik und öffentliche Meinung. Determinanten und politische
Wirkungen außenpolitischer Einstellungen in den USA und der Bundesrepublik, Frankfurt
a.M., 1989, S. 15ff.
Vgl. Mueller, John E.: War, Presidents and Public Opinion, New York, 1973, S. 12 und Nacos, Brigitte L.: Terrorism and the Media. From the Iranian Hostage Crisis to the World
Trade Center Bombing, New York, 1994, S. 78.
-6-
aggregiert, ist es besonders wichtig, die Funktion der Medien als Schnittstelle
von Politik und Öffentlichkeit zu entschlüsseln.19
Die wichtigste Funktion der Medien ist das Agenda-setting. Darunter versteht man die Bestimmung des wichtigsten (Tages)Themas in der Presse.20 Die
Auswahl der prominentesten Artikel wird durch die Herausgeber vorgenommen
unter der Annahme, dass dieses Thema auch für die Leser und Zuschauer in
der Aktualität an oberster Stelle rangiert. Der Prozess des Agenda-setting ist
bidirektional, da auf der einen Seite Ereignisse in den Vordergrund gestellt werden, und auf der anderen Seite auf weniger wichtig erachtete Begebenheiten
verzichtet wird.21 Es wird angenommen, dass sich durch Änderungen im Agenda-setting auch die Prioritäten der öffentlichen Wahrnehmung verschieben.
Die weiteren in der Literatur behandelten Effekte der Medien auf die öffentliche Meinung lassen sich in zwei große Gruppen zu unterteilen: direkte und
indirekte Auswirkungen. Die direkten Effekte beschränken sich auf Interaktionswirkungen der Medien mit der öffentlichen Meinung, während die indirekten
Effekte zusätzlich dritte Akteure einbeziehen.
Zu den häufigsten direkten Effekten gehören priming und framing. Priming bedeutet, dass sich durch die veränderte Gewichtung der öffentlichen
Aufmerksamkeit (wie es infolge von verändertem Agenda-setting geschehen
kann) auch bestimmte Bewertungskriterien, z.B. für Präsidentschaftskandidaten
verändern. Auch wenn kein direkter Bewertungsbezug zu einzelnen Personen
hergestellt wird, legen die Medien durch ihr priming (z.B. Fokus auf Kriminalität,
Terror, Wirtschaft, etc.) die Evaluationskriterien fest, bzw. verändern die bereits
bestehenden.22 Dies bedeutet am konkreten Beispiel: worüber am meisten berichtet wird, ist letztlich entscheidend für die Bewertung des Präsidenten.23
Unter dem Begriff framing (dt.: "einrahmen") versteht man die Fähigkeit
der Medien, ein bestimmtes Ereignis innerhalb eines bestimmten Rahmens zu
19
20
21
22
23
Vgl. Soroka, Stuart N.: Media, Public Opinion, and Foreign Policy, in: The Harvard International Journal of Press/Politics, Band 8, Nr. 1, Winter 2003, S. 27-48, S. 27.
Vgl. Paletz, S. 157.
Vgl. Iyengar, Shanto/Simon, Adam: "News Coverage of the Gulf Crisis and Public Opinion.
A Study of Agenda Setting, Priming, and Framing" in: Iyengar, Shanto/Reeves, Richard
(Hrsg.): Do the Media Govern? Politicians, Voters, and Reporters in America, Thousand
Oaks, 1997, S. 248-257, S. 252 sowie Soroka S. 35.
Vgl. Paletz, S. 158.
Vgl. Miller, Joanne M./Krosnik, Jon A.: Anatomy of News Media Priming, in: Iyengar, Shanto/Reeves, Richard (Hrsg.): Do the Media Govern? Politicians, Voters, and Reporters in
America, Thousand Oaks, 1997, S. 258-275, S. 259f.
-7-
vermitteln. Dieser Rahmen besteht aus Referenzpunkten oder Stichworten, die
es dem Leser/Zuschauer ermöglichen, das Berichtete zu verstehen, in einen
Zusammenhang einzuordnen und zu bewerten.24 So wurde in den USamerikanischen Medien seit den 90er Jahren stärker über den Irak im Zusammenhang mit "Bedrohung" berichtet als z.B. in europäischen Medien.25
Iyengar/Simon unterscheiden das episodische und das thematische framing. Beim episodischen framing geht es vor allem um gute Bilder und eine
personenbezogene Berichterstattung (z.B. Schuld am Terrorismus sind die Terroristen). Diese Art von framing tritt häufig in den Fernsehnachrichten auf. Beim
thematischen framing geht es um die Einbettung des Problems in einen großen,
oft abstrakten Zusammenhang. Diese Art des framing zeichnet sich durch Hintergrundberichte aus (z.B. sozioökonomische Bedingungen in den Herkunftsländern der Terroristen) und ist nach Iyengar/Simon verstärkt in den Printmedien anzutreffen.26 Auf dem Gebiet der Außenpolitik hat das framing, das durch
die Medien ausgeübt wird, einen besonders hohen Wirkungsgrad. Dadurch,
dass die meisten außenpolitischen Ereignisse 'plötzlich' auftreten, und sich
noch keine konsistente öffentliche Meinung dazu bilden konnte, ist der Leser/Zuschauer für frames und Reize besonders empfänglich.27
Unter den indirekten Effekten werden diejenigen Wirkungen zusammengefasst, die mit dem angenommenen oder wahrgenommenen Meinungsklima in
Verbindung stehen. Dazu zählt im Bereich der öffentlichen Meinung die
"Schweigespirale" und der "Bandwagon-Effekt". Die Schweigespirale kombiniert
die öffentliche Meinung nicht nur als Darstellung von Einstellungen und Präferenzen, sondern stellt auf den Kontroll-Aspekt des wahrgenommenen Meinungsklimas ab. Die Gesellschaft isoliert Individuen mit abweichenden Meinungen. Um das zu verhindern, findet eine Art Selbstzensur auf der Grundlage der
angenommenen öffentlichen Meinung ab, die dazu führt, dass Individuen mit
abweichenden Meinungen diese nicht äußern. Umgekehrt heißt das, dass Indi24
25
26
27
Vgl. Nacos, Brigitte L. u.a.: New Issues and the Media. American and German News Coverage of the Global-Warming Debate, in: Nacos, Brigitte L./Shapiro, Robert Y./Pierangelo, Isernia (Hrsg.): Decisionmaking in a Glass House. Mass Media, Public Opinion, and American
and European Foreign Policy in the 21st Century, Lanham u.a., 2000, S. 41-59, S. 48.
Vgl. Szukala, Andrea: "Medien und öffentliche Meinung im Irakkrieg", in: Aus Politik und
Zeitgeschichte, B 24-25/2003, S. 25-34, S. 30.
Vgl. Iyengar/Simon, S. 251.
Vgl. Bennett, Lance W.: News about Foreign Policy, in: Bennett, W. Lance/Paletz, David L.
(Hrsg.): Taken by Storm. The Media, Public Opinion, and U.S. Foreign Policy in the Gulf
War, Chicago, 1994, S. 31.
-8-
viduen, die glauben, eine populäre Absicht zu vertreten, diese auch äußern um
dadurch ein größeres gesellschaftliches Gewicht zu erlangen.28 Bemerkenswert
ist, dass hier die Medien genutzt werden, um das Meinungsklima zu erfahren,
und sich daraus das Verhalten des Einzelnen ableitet.
Der Bandwagon-Effekt bezieht sich auf ein Phänomen, wonach die meisten Individuen auf der Seite der Mehrheit stehen wollen und sich deshalb mit
größerer Wahrscheinlichkeit an die mehrheitlich vertretene Meinung anschließen. Was die Mehrheit denkt, erfährt man aus den Medien, in denen die Umfragen veröffentlicht werden. Besonders im Vorfeld von Wahlen lässt sich erkennen, dass unentschlossene Wähler geneigt sind, sich dem aussichtsreichsten
Kandidaten anzuschließen.29
Da die Ereignisse der Außenpolitik meist außerhalb des persönlichen Erfahrungsbereichs des Individuums liegen, spielen die Massenmedien eine entscheidende Rolle bei der Informationsvermittlung und -bewertung. Welchen genauen Anteil die Darstellung der Medien im Vergleich zur anderen sozioökonomischen Faktoren am Prozess der Meinungsbildung hat, kann nicht mit letzter
Sicherheit bestimmt werden.
II.3.
Öffentliche Bewertung von Außenpolitik
Auf welche Weise bewerten Individuen bei aktuellen außenpolitischen
Ereignissen das Handeln ihrer Regierung? Nach John E. Mueller gibt es dazu
drei Formen von Anhängerschaft: Die partisan mentality, nach der man die
Meinung der offiziellen Vertreter der ideologisch nahestehenden Partei übernimmt; die follower mentality, nach der das Individuum die Position der amtierenden Regierung übernimmt und die believer mentality, nach der das Individuum bei jedem einzelnen Ereignis seinen allgemeinen Überzeugungen gemäß
(Ideologie im Sinne der Falke/Taube-Klassifikation, Eigeninteresse, Religion
etc.) zu einer Position findet.30
Die partisan mentality kann also je nachdem wie die Opposition reagiert,
zu einer übereinstimmenden oder konträren Meinung mit der Exekutive gelangen. Bei der believer mentality entscheidet sich je nach vorherrschendem Wer-
28
29
30
Vgl. Shamir/Shamir, S. 183.
Vgl. Paletz, S. 160.
Vgl. Mueller, S. 116-154.
-9-
tekanon, ob man der Regierungsentscheidung positiv oder negativ gegenübersteht. Die follower mentality, bei der sich ein großer Teil der Öffentlichkeit am
Handeln der amtierenden Regierung orientiert, wird nach Mueller auch "rallyround-the-flag" genannt.31 Dieses typisch US-amerikanische Phänomen beruht
auf der konstitutionellen Eigenart der Vereinigten Staaten, wonach der Präsident die Funktion des Staatsoberhauptes und des Regierungschefs in einer
Person vereint. Das stärkt die patriotischen Gefühle der Öffentlichkeit in einer
Weise, die bei einer Trennung von Staats- und Regierungsoberhaupt nicht zu
beobachten ist. Rally heißt auf deutsch: zusammenkommen, sich um jemand/etwas scharen - in diesem Fall um die Flagge bzw. um den USPräsidenten als "lebende Flagge" oder das anthropomorphe Symbol nationaler
Einheit.32
Ein Rally-Effekt ist vergleichsweise einfach zu bemessen: Seit 1945 stellen Meinungsforschungsinstitute die Job-approval-Frage ("Do you approve or
disapprove of the way . . . is handling his job as president?") Als Antwort ist nur
'stimme zu', 'stimme nicht zu' und 'keine Meinung' wählbar. Das bedeutet, dass
keine Nachfragen (warum?), keine Spezifizierung (volle/mäßige Zustimmung,
etc.) gemacht werden und auch keine Alternativen als Antwort genannt werden
können. Der Anteil der Antworten 'keine Meinung' bleibt über einen längeren
Zeitraum üblicherweise konstant - deshalb verhalten sich die Zustimmungs- und
die Ablehnungsrate größtenteils spiegelbildlich zueinander.33
Definiert wird der Rally-Effekt als ein durch ein internationales Ereignis
verursachter Aufschwung in der öffentlichen Meinung zugunsten des Präsidenten. Folgende drei Merkmale muss er gemäß der Definition durch Mueller aufweisen: erstens muss das auslösende internationale Ereignis die Nation als
Ganzes konfrontieren, zweitens muss das Ereignis für die USA relevant und der
US-Präsident in hohem Maße involviert sein und drittens muss das Ereignis
spezifisch, dramatisch und (zeitlich) scharf begrenzt sein.34 Diese von Mueller
festgelegten Bedingungen erklären vor allem die Ursache eines Rally-Effekts.35
31
32
33
34
35
Vgl. Mueller, S. 208.
Vgl. Hetherington, Marc J./Nelson, Michael: "Anatomy of a Rally Effect: George W. Bush
and the War on Terrorism", in: American Political Science Association PS, Band 36, Januar
2003, S. 37-44, S. 37.
Vgl. Mueller, S. 196-203.
Vgl. Mueller, S. 209.
Vgl. Hetherington/Nelson, S. 37.
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Je genauer die Bedingungen für das auslösende Ereignis zutreffen, umso größer wird die Intensität des Rally-Effekts sein. Diese misst sich durch die Höhe
des Initialzuwachses der Zustimmungsrate unmittelbar nach Auftreten des außenpolitischen Ereignisses.
Ein anderer von Richard A. Brody betrachteter Faktor ist das Verhalten
der Opposition. Ein Rally-Effekt kann nur zustande kommen, wenn die Oppositionsführung zum Zeitpunkt des Ereignisses auf Kritik verzichtet oder den Präsidenten offen unterstützt.36 Beides trägt zu einem einheitlichen Eindruck für die
Außenwirkung der Nation bei und bestimmt die Dauer des Rally-Effekts. Diese
misst sich in Wochen oder Monaten bis zu einer Normalisierung der Umfragewerte. Übt die Opposition Kritik am Verhalten des Präsidenten, so zerfällt das
Bild von der einheitlichen Nation. Je nach der Art der Medienberichterstattung
schlägt sich dieses Bild auch auf die öffentliche Meinung nieder und äußert sich
letzten Endes in "normalen" Zustimmungsraten. Dies kann daran liegen, dass
innenpolitische Angelegenheiten wieder stärker an Gewicht gewinnen und das
ursprüngliche auslösende internationale Ereignis an den Rand drängen.
Besonders für den Aspekt der Länge eines Rally-Effekts spielen die Medien mit ihrer Fähigkeit zum Agenda-setting, priming und framing eine wichtige
Rolle. Seit der Einführung der 24-Stunden-Berichterstattung von CNN im Jahre
1980 durch Ted Turner37 hat sich nicht nur die Medienlandschaft, sondern auch
das politische Verhalten grundlegend geändert. Die meisten Politiker erfahren
die Neuigkeiten nicht durch interne Informanten, sondern über die Nachrichten.
Die enge Beziehung zwischen Elitenmeinung und Medienberichterstattung wird gemäß Lance W. Bennett auch als indexing bezeichnet. Demzufolge
passen die Medien die Meinungsbreite ihrer Berichte an die Meinungsbreite innerhalb der politischen Führung (Präsident, Kongress) an - sie 'indexieren' die
Richtung, die von offiziellen Vertretern der Außenpolitik angegeben wird.38 Wird
dort offene Uneinigkeit gezeigt oder Konflikte ausgetragen, werden Pressever-
36
37
38
Vgl. Brody, Richard A.: Crisis, War, and Public Opinion. The Media and Public Support for
the President, in: Bennett, W. Lance/Paletz, David L. (Hrsg.): Taken by Storm. The Media,
Public Opinion, and U.S. Foreign Policy in the Gulf War, Chicago, 1994, S. 212.
Vgl. "Cable News Network", in: Encyclopaedia Britannica 2001, CD-Rom, Oxford University
Press, 1994-2001.
Vgl. Bennett, S. 24 und Page, Benjamin I.: Toward General Theories of the Media, Public
Opinion , and foreign Policy, in: Nacos, Brigitte L./Shapiro, Robert Y./Pierangelo, Isernia
(Hrsg.): Decisionmaking in a Glass House. Mass Media, Public Opinion, and American and
European Foreign Policy in the 21st Century, Lanham u.a., 2000, S. 85.
- 11 -
treter diese Konflikte entsprechend wiedergeben. Verschweigen oppositionelle
Vertreter ihre abweichenden Ansichten oder werden diese der Presse auf irgendeine Weise nicht zugänglich gemacht, wird sich in den Medien nur ein sehr
schmales Meinungs- und Bewertungsspektrum wiederspiegeln.
In der Art und Weise der Auswahl offizieller Quellen durch die Journalisten unterscheidet man zwischen source indexing, power indexing und political
indexing. Bei der Variante des source indexing wählen die Journalisten die am
einfachsten zugänglichen Quellen aus und fassen deren Äußerungen zusammen. Das Ergebnis dieser Form des indexing ist ein hohes Maß an Zufälligkeit
bedingt durch die Maßgabe der stark quellengestützten Arbeit und die unmittelbare Abhängigkeit der Reporter von offiziellen Quellen.39
Power indexing heißt, dass eine Information der institutionellen Machtposition des Informationsgebers gemäß gewichtet wird. Dem zugrunde liegt eine
Abschätzung der Bedeutung, die die Information auf zukünftige Ereignisse haben könnte. Eine Aussage des Oberbefehlshabers der Streitkräfte über eine
Truppenverlegung ist für die Frage, ob es einen Krieg geben wird, entscheidender als ein Argument eines einfachen Parlamentsabgeordneten gegen einen
Krieg. Diese "Antizipation künftiger Wendepunkte" verleiht dem Informationsfluss Neuigkeit und somit hohen Publizitätswert.40
Political indexing wird in der Literatur vor allem für die Zeit des Ost-WestKonflikts nachgewiesen. Es beschreibt die Tatsache, dass die Journalisten vor
allem dann eine regierungsfreundliche Medienberichterstattung ablieferten,
wenn der Gegner des außenpolitischen Konflikts ein kommunistisches Land
war. Da die Ära des Ost-West-Konflikts vorüber ist, wird auch die Form des political indexing als obsolet erachtet.41 Im allgemeinen wird seit Mitte der 90er Jahre der Regierung und den Medien die Fähigkeit abgesprochen, die während des
Ost-West-Konflikts vorherrschende manichäische Weltsicht noch einmal zu beleben. Die politische Entwicklung der USA nach den Anschlägen vom
11.September 2001 lässt allerdings darauf schließen, dass die Tendenz zur
39
40
41
Vgl. Zaller, John/Chiu, Dennis: Government's Little Helper, in: Nacos, Brigitte L./Shapiro,
Robert Y./Pierangelo, Isernia (Hrsg.): Decisionmaking in a Glass House. Mass Media, Public Opinion, and American and European Foreign Policy in the 21st Century, Lanham u.a.,
2000, S. 81-82.
Vgl. Hils, Jochen: Asymmetrische Kommunikation? – "Newsbeats", "sound bites" und USFernsehnachrichten im Vorfeld des Golf- und Kosovokrieges, in: Albrecht, Ulrich und Becker, Jörg (Hrsg.): Medien zwischen Krieg und Frieden, Baden-Baden, 2002, S. 84.
Vgl. Zaller/Chiu, S. 83.
- 12 -
moralischen Polarisierung der Weltpolitik nur zeitweilig unterbrochen wurde.
Deshalb wird eine Neubewertung des political indexing in Zukunft unvermeidlich.
III.
Methode
III.1.
Medienanalyse
Die Medien (z.B. Presse, Hörfunk, Fernsehen und Internet) fungieren als
Trägersysteme zur Informationsvermittlung.42 Da die Medien im öffentlichen Leben allgegenwärtig sind, müssen sie von allen Beteiligten genutzt werden, und
bilden eine Art zweite Ebene zwischen dem tatsächlichen Geschehen und den
individuellen Ansichten.43 Daher ist zu beachten, dass die Kommentatoren nicht
die vox populi wiedergeben und die Medienberichterstattung nur partiell über
die exakte Sachlage informiert. Diesen Unterschied nehmen allerdings die beiden übrigen am politischen Prozess beteiligten Parteien (politische Entscheider
und Öffentlichkeit) nur zum Teil wahr. Nach einer Untersuchung von Philip Powlick betrachten 48 Prozent der außenpolitischen Entscheidungsträger der USA
die Medien als Repräsentanten öffentlicher Meinung. Dies begründet sich zum
Teil durch den Mangel an persönlichen Kontakten zwischen Politikern und
Wahlbevölkerung. Die politischen Repräsentanten nehmen daher die Medien
als alternative Informationsquelle wahr.44 Auch die Öffentlichkeit kommt bei der
Nutzung der Medien als Leser- oder Zuschauerschaft nur mit einer bereits beeinflussten Form des ursprünglichen 'Grundstoffs' in Berührung.
Eine Ausnahme hierzu bildet das Medium Internet. Die offiziellen Websites der einzelnen Regierungsorgane bieten einen unverfälschten Primäreindruck dessen, was die jeweilige Institution nach außen darstellen möchte. In der
vorliegenden Arbeit wird sie deshalb als wissenschaftliche Quelle von Regierungshandeln und Regierungsäußerungen verwendet.
Nach David L. Altheide unterscheidet man bei der inhaltlichen Analyse
von Medien die quantitative und die qualitative Variante.45 Das Verfahren der
42
43
44
45
Siehe Anm. 3.
Vgl. Soroka, S. 43.
Vgl. Powlick, S. 435.
Vgl. Altheide, David L.: Qualitative Media Analysis, Thousand Oaks, 1996; Altheide spricht
anstelle von 'qualitativer' auch von 'ethnografischer' Analysemethode.
- 13 -
quantitativen Inhaltsanalyse überprüft Hypothesen anhand von vordefinierten
Kriterien und Variablen auf Wahrhaftigkeit. Anhand von numerischen Erhebungen gemäß eines Protokolls kann das Zutreffen oder Nichtzutreffen der aufgestellten Hypothesen belegt werden. Die quantitative Inhaltsanalyse ist ein stark
objektivitätsgeleitetes Verfahren, das allerdings keine Möglichkeit zu neuen Erkenntnissen bietet, die nicht bereits zuvor festgelegt wurden.46
Die qualitative Inhaltsanalyse ist weniger rigide organisiert. Sie basiert
auf der Einzelüberprüfung jedes Dokumentes nach subjektiven Kriterien. Damit
werden die für den Prüfer wesentlichen Kriterien herausgearbeitet in der Absicht, Zusammenhänge zu finden, die in der Ausgangssituation möglicherweise
noch gar nicht ersichtlich waren. Es ist ein stark reflexives Verfahren, bei dem
sich Kriterien und Variablen nachträglich verändern lassen, wenn es aufgrund
der Datensituation abgebracht erscheint. Ziel der qualitativen Analyse ist es,
Hypothesen zu überprüfen und zu ergänzen oder gegebenenfalls zu ersetzen.
Dieses Verfahren ist insofern kritisch zu sehen, als das es in seinen Einzelheiten oft nicht genau nachzuvollziehen ist. Es eröffnet aber im Vergleich zur quantitativen Analyse neue Erkenntnismöglichkeiten und dient vor allem in den frühen Analysephasen als optimaler Einstieg in einen Sachverhalt.47 Sofern die
Möglichkeit besteht, werden beide Verfahren in der vorliegenden Arbeit in gegenseitiger Ergänzung angewendet.
III.2.
Modell des medialen Vermittlungsprozesses
Das Wechselspiel zwischen Regierung, Medien und Öffentlichkeit ist
sehr komplex. Die jeweilige Literatur untersucht meist nur einen Teilaspekt (öffentliche Meinung und Medien, Exekutive und Medien etc.). Die wechselseitige
Abhängigkeit zwischen den drei Akteuren wird dabei oft in Form einer Dreiecksbeziehung dargestellt.48 Um die Komplexität des Themas gründlicher zu erfassen, ist ein Modell erforderlich, das mehreren, teils parallel ablaufenden Vorgängen gerecht wird. Die beste Voraussetzung für ein solches Modell bietet der
Ansatz von Stuart N. Soroka49, der vor allem auf den Aspekt der salience, also
des Hervortretens oder Hervorspringens eines Themas in der Presse (oder in
46
47
48
49
Vgl. Altheide, S. 15-16.
Vgl. Altheide, S. 16-17.
Vgl. Page, B., S. 86.
Vgl. Soroka, S. 27-48.
- 14 -
der Öffentlichkeit) abstellt. Im Grunde geht es um die Theorie des Agendasettings mit der Messgröße salience im Mittelpunkt der Medienberichterstattung. In seiner Betrachtung der salience über längere Zeiträume hinweg stellt
Soroka zwei wesentliche Hypothesen auf: erstens vermutet er einen indirekten
Zusammenhang zwischen Agenda-setting und außenpolitischen Entscheidungen über den Umweg der öffentlichen Meinung. Er behauptet, dass außenpolitische Entscheider an den Einfluss des priming glauben und antizipierte, durch
die das veränderte Agenda-setting hervorgerufene Änderungen in der öffentlichen Meinung in ihre momentanen Entscheidungen einfließen lassen.50 Zweitens geht er von einem direkten Effekt auf das kurzfristige Regierungshandeln
aus: Während sich die salience über einen gewissen Zeitraum ändert, hat das
konkrete Auswirkungen z.B. auf den Verteidigungshaushalt.51
Aus den von Soroka vorgestellten Ansätzen und Ergänzungen durch eigene Überlegungen ergibt sich das in Abb. 1 dargestellte Modell des medialen
Vermittlungsprozesses.
Abb. 1:
Modell Medialer Vermittlungsprozess
MEDIALER VERMITTLUNGSPROZESS
F
G
A
B
MEDIEN
Regierung
E
C
Öffentlichkeit
D
Quelle: nach: Stuart N. Soroka, mit eigenen Ergänzungen
Im Zentrum des Prozesses stehen die Medien. Sie sind der Kern der Beziehung zwischen Regierung und Öffentlichkeit. Um diesen Kern herum sind
50
51
Vgl. Soroka, S. 34.
Vgl. Soroka, S. 34.
- 15 -
mehrere Teilprozesse (Pfeile A bis G) angesiedelt. Was zwischen zwei durch
einen Pfeil verbundenen Komponenten tatsächlich passiert, lässt sich nur anhand von deskriptiven Vorher/Nachher-Vergleichen schlussfolgern.
In einer ersten Gruppe werden die Prozesse A und B zusammengefasst.
Sie beschreiben den direkten Einfluss der Regierung auf die Medienberichterstattung (A) und die Weitergabe der Medieninhalte an die Öffentlichkeit in Formaten wie Presse, Funk, Fernsehen und Internet (B). Durch die eingangs erwähnte Fähigkeit der US-amerikanischen Öffentlichkeit, ihre Regierung durch
Misstrauensbekundungen oder Abwahl zu einem Politikwechsel zu bewegen, ist
die US-amerikanische Regierung stark an der innenpolitischen Vermittlung eines bestimmten Images über ihr außenpolitisches Vorgehen interessiert. Die
von der US-Regierung in diesem Zusammenhang gestartete Informationsoffensive im Anschluss an die Terroranschläge vom 11. September 2001 ist ein Beispiel für den durch Pfeil A gekennzeichneten Vorgang. Bei der Überprüfung
dieser Annahme ist auch die Frage zu klären, wie die Regierung ihren Medienauftritt steuert und zu welchem Grad sich die Medien empfänglich gegenüber
Beeinflussungen zeigen.
Im Teilprozess B zeigt sich einerseits das Ergebnis der Transformierung
des Regierungsinputs in der Medienberichterstattung und andererseits die Rezeption der Berichterstattung durch die Öffentlichkeit. Beide Faktoren sind sehr
gut messbar - die Medienberichterstattung durch die veröffentlichten Printmedien und die gesendeten TV-Beiträge und die Reaktion der Öffentlichkeit durch
die Ergebnisse der Meinungsumfragen.
In einer zweiten Gruppe werden die Prozesse C, D und E zusammengefasst. In C soll untersucht werden, ob es Änderungen in der Berichterstattung
bzw. im Agenda-setting der Medien gegeben hat. Durch eine Veränderung der
Schwerpunkte in der Medienberichterstattung kann es zu einer Veränderung im
Problembewusstsein der Öffentlichkeit kommen, was sich auf die Bewertungskriterien für Politiker auswirkt (priming). Diese Wirkung einer veränderten Medienberichterstattung auf die Öffentlichkeit stellt Teilprozess D dar.
Eine Änderung in der Medienberichterstattung kann unter Umständen
auch zu einer direkten Änderung im Regierungshandeln führen. Besonders
kurzfristige Änderungen (beispielsweise Budget-Anpassungen) können von der
der jeweiligen Medienberichterstattung beeinflusst sein. Dieser Teilprozess
- 16 -
deckt die von Soroka aufgestellte Hypothese über die direkten politischen Umgestaltungen, die aus einer Veränderung der Medienberichterstattung folgen.
Eine dritte Gruppe bilden die Prozesse F und G. Sie beschreiben die
Wechselwirkung zwischen Regierung und Öffentlichkeit ohne Zwischenschaltung der Medien. Diese Betrachtung bildet eine Art Gegenprobe zu den vorherigen Teilprozessen. Dabei kommt es zu einer direkten Kommunikation zwischen
Regierung und Öffentlichkeit, etwa durch Radio- oder Fernsehansprachen des
Präsidenten und anderer Kabinettsmitglieder, die in voller Länge in die Öffentlichkeit übertragen werden. Diese Übertragung erfolgt zwar auch durch die
Massenmedien, allerdings wird der Inhalt der Botschaft bei vollständiger Übertragung nicht medial beeinflusst oder unterbrochen (Teilprozess F).
Die Wirkung der öffentlichen Meinung auf das Verhalten der Regierung
ist in Teilprozess G dargestellt. Die von Umfrageinstituten publizierten Erhebungen informieren die Regierung über die Zusammensetzung der öffentlichen
Meinung.
Insgesamt sind es die Teilprozesse C und E, die den von Soroka dargestellten direkten Effekt bewirken und die Teilprozesse C, D und F, aus denen
sich der indirekte Effekt bei Soroka zusammensetzt. Die grafische Zusammenfassung in Abbildung 1 bildet die Grundlage für das empirische Vorgehen der
Erforschung des medialen Vermittlungsprozesses des war on terrorism in dieser Arbeit.
Unberücksichtigt bleibt in diesem Modell der Einfluss der öffentlichen
Meinung auf die Medien, die durch das Zitieren von teilweise selbst erhobenen
Umfragewerten Inhalt und Berichterstattung generieren.
III.3.
Empirisches Vorgehen
Wie aus dem Modell des medialen Vermittlungsprozesses erkennbar ist,
stehen die Medien im Mittelpunkt der empirischen Analyse. Um das Verhalten
der Printmedien zu untersuchen, wird unter Zuhilfenahme der Datenbank LexisNexis Professional52 eine computergestützte quantitative Inhaltsanalyse von
drei ausgewählten US-amerikanischen Tageszeitungen (New York Times, USA
Today, Washington Post) durchgeführt. LexisNexis bietet den Zugriff auf alle Ar-
52
Kennwortgeschützter Zugang unter http://web.lexis-nexis.com/professional.
- 17 -
tikel dieser Zeitungen im Volltextformat sowie die Stichwortsuche in den Segmenten 'Überschrift', 'Einleitung' und 'Textkörper'. Durch entsprechende Verknüpfungsmöglichkeiten ('und', 'oder' etc.) lässt sich die Suche weiter verfeinern. In dieser Arbeit liegt allen Untersuchungen der Printmedien die Suchfunktion major mention zugrunde, die das Auftauchen des Suchbegriffs sowohl in
der Überschrift, dem Einführungsparagraph als auch in der Schlagwortkategorie
überprüft.
Die Auswahl der Tageszeitungen fand vor allem unter dem Kriterium der
Repräsentativität für die USA-weite Printmedienlandschaft statt. So ist die USA
Today die einzige landesweit erscheinende Tageszeitung, die trotz der ausgeprägten lokalen Verbundenheit der US-amerikanischen Leserschaft stark genutzt wird. Die renommierten Tageszeitungen Washington Post (eher konservativ ausgerichtet) und New York Times (eher liberal ausgerichtet) sind zwar im
Grunde lokale Presseorgane, werden aber von den übrigen kleineren Zeitungen
als Vorlage für das Agenda-setting, die Themenbewertung und für Kommentare
genutzt.53
Die ausgewählten Tageszeitungen gehören außerdem zur Gruppe der
führenden fünf auflagenstärksten Zeitungen in den USA. Im März 2003 hatte
die USA Today eine Auflage von 2,1 Mio. wochentäglich, die New York Times
1,1 Mio. und die Washington Post knapp 800.000 Stück.54
Des weiteren spielt auch die politische Ausrichtung im Zusammenhang
mit der Befürwortung eines Angriffes auf den Irak eine Rolle. In einer Studie von
Editor & Publisher wurden die Positionen der wichtigsten US-amerikanischen
Tageszeitungen unmittelbar nach der Rede von Außenminister Powell am 5.
Februar 2003 vor dem UNO-Sicherheitsrat bewertet. In der Gruppe der einen
militärischen Angriff sehr stark unterstützenden Zeitungen befand sich die Washington Post, in der den Krieg verhalten befürwortenden Gruppe befand sich
die USA Today und zur dritten Gruppe gehörte u.a. die New York Times, die
diplomatische Maßnahmen den militärischen vorzog.55
53
54
55
Vgl. Kleinsteuber, Hans J.: Medien und öffentliche Meinung, in: Adams, Willi Paul/Lösche,
Peter (Hrsg.), Länderbericht USA, Geschichte, Politik, Geographie, Wirtschaft, Gesellschaft,
Kultur, Bonn, 1998³, S. 375-392, S. 377.
Vgl. "Top 50 newspapers by circulation", unter http://www.adage.com/page.cms?pageId
=1011, Stand 25.10. 2003.
Vgl. Berman, Ari: U.S. Iraq Policy Gains Support Among Newspapers. Editorials Indicate
Powell Made His Case at U.N., in: Editor&Publisher, 7.2.2003, unter
- 18 -
Das Fernsehen hat in den USA traditionell einen weitaus höheren
Verbreitungsgrad als die Printmedien. Zu einer Medienanalyse gehört deswegen auch die Betrachtung der im Fernsehen gesendeten Berichte. Durch das
grundsätzlich unterschiedliche Format lassen sich Printmedien und Fernsehen
nicht immer miteinander vergleichen. Die eingeschränkte Verfügbarkeit von
Fernsehberichten und die sich unterscheidenden Bewertungsmethoden mit der
Printmedien-Berichterstattung müssen bei der Auswertung dieser Erhebung
beachtet werden. Die derzeit umfassendste Datensammlung zu Fernsehberichten im US-amerikanischen Raum bietet das Vanderbilt Television News Archive. Es gewährt Zugriff auf zusammengefasste Berichte der Abendnachrichten
und Sondersendungen der vier größten Nachrichtennetzwerke der Vereinigten
Staaten: ABC, CBS, NBC und CNN. Da lediglich von Vanderbilt erstellte Zusammenfassungen und Schlagwortsortierungen zur Verfügung stehen, sind die
Ergebnisse auch entsprechend zu bewerten: Man kann die Anzahl derjenigen
Nachrichten- oder Sondersendungen ermitteln, in denen das gesuchte Stichwort vorliegt. Die ermittelten Zahlen sind deshalb immer niedriger als die salience in den Printmedien. Bei der Analyse über einen längeren Zeitraum hinweg
bietet dieses Archiv dennoch Erkenntnisse über Veränderungen in der Medienberichterstattung. Auch in der kurzfristigen Betrachtung lassen sich Inhalte und
Schwerpunkte der Abendnachrichten recherchieren.
Aufgrund der zahlenmäßigen, geografischen und politischen Verteilung
der hier gewählten Bezugsquellen kann man davon ausgehen, dass das breitestmögliche Spektrum der Presselandschaft der Vereinigten Staaten in der
empirischen Analyse dieser Arbeit wiedergegeben wird.
Die Messung der öffentlichen Meinung erfolgt in der Praxis anhand von
Umfragewerten (s. Kapitel II.2.). Da eine Betrachtung von momentanen Umfragewerten wenig aussagekräftig ist, ist es sinnvoll, die Untersuchung anhand
von Zeitserien durchzuführen. Von besonderem Interesse für den in dieser Arbeit untersuchten Zeitraum ist eine Zusammenstellung der verschiedenen kostenfrei zugänglichen Meinungsumfragen durch das American Enterprise Institu-
http://www.editorandpublisher.com/editorandpublisher/headlines/article_display.jsp?vnu_co
ntent_id=1812676, Stand: 24.6.2003.
- 19 -
te nach dem 11. September 2001.56 Sofern möglich, wird bei den Analysen der
öffentlichen Meinung wegen der gewünschten Vergleichbarkeit auf die Ergebnisse der Gallup Organization zurückgegriffen.
Bei allen Messungen gilt eine dreiprozentige Fehlerquote. Das ist der
Unsicherheitsfaktor, der allen Erhebungen zugrunde liegt. Erst wenn sich die in
den Meinungsumfragen wiedergegebene prozentuale Verteilung um mindestens vier Prozentpunkte verschiebt, hat tatsächlich eine minimale Änderung in
der öffentlichen Meinung stattgefunden.57
Die Grundlage zur Position der Regierung bilden die Internetseiten der
offiziellen Regierungsorgane. Sie bieten einen unmittelbaren Eindruck über die
Selbstdarstellung der jeweiligen Institution. Obgleich diese Selbstdarstellung
natürlich an die Interessen der Verantwortlichen angepasst ist, stellt sie dennoch eine seriöse Quelle für Redemanuskripte, Interviews, Chronologien und
das Regierungshandeln dar.
IV.
Mediale Vermittlung des war on terrorism nach dem 11. September
2001
IV.1. Informationsoffensive der Regierung Bush
Die Anschläge vom 11. September 2001 haben das Medieninteresse
nicht nur auf das Unglück und die Täter gerichtet, sondern in besonderem Maße auf das Verhalten der Regierung Bush. Bei der Analyse der ersten Reaktionen nach den Attentaten fällt aus heutiger Sicht die professionelle Kohärenz
auf, mit der die Regierungsmitglieder auf die Krise kurzfristig reagierten. Das
lässt auf eine sehr enge kommunikative Abstimmung schließen, deren Ergebnis
der Außenauftritt der Regierung Bush nach dem 11. September 2001 ist. Dieser
Außenauftritt soll zunächst für sich und anschließend in seiner Wirkung auf die
Medien betrachtet werden.
Die wichtigsten Köpfe der Exekutive sind der Präsident, der Außenminister und der Verteidigungsminister. Die dazugehörigen Ministerien bzw. Zuständigkeitsbereiche Weißes Haus, State Department und Department of Defense
56
57
AEI Studies in Public Opinion: America after 9/11. Public Opinion on the War on Terrorism,
The War with Iraq, and America's Place in the World, unter
http://www.aei.org/publications/pubID.16974/pub_detail.asp (Stand 17.8.2003).
Vgl. Nacos, 1994, S. 98.
- 20 -
(Pentagon) werden wegen ihrer Machtbündelung und der Bedeutung für die
außenpolitische Pressearbeit auch "Goldenes Dreieck" genannt.58 Diesem Ausdruck liegt auch das Phänomen zugrunde, dass außenpolitische Themen erst
dann mediale Relevanz erlangen, wenn sich eine dieser drei wichtigsten Institutionen zum Thema geäußert haben.59
Der amerikanische Kongress hat neben seiner Legislativfunktion eine
Position an der Schnittstelle zwischen Exekutive und Öffentlichkeit. Als Repräsentant der einzelnen Wahlkreise soll er die Stimmung der Öffentlichkeit wiedergeben; durch die Kontrollhoheit im Bereich der Untersuchungsausschüsse
kann er die öffentliche Diskussion über das Verhalten der Exekutive anregen.
Dazu kommt noch die konkrete Macht der Haushaltsbewilligung, die für das reguläre Budget und alle zusätzlichen Ausgaben notwendig ist.60 Aufgrund dieser
Funktionen, die sich z.T. deutlich von den Kompetenzen anderer Staatsparlamente unterscheiden, wird das Verhalten des Kongresses in die Analyse des
Regierungsverhaltens nach dem 11. September 2001 einbezogen.
Die dringendste Aufgabe der US-Regierung unmittelbar nach den Anschlägen war die Wiederherstellung des Vertrauens der Bevölkerung in die
Kontrollhoheit der Staatsmacht über die nationale Sicherheit. Dieses Kapitel
beschäftigt sich mit der Medienstrategie, die die Regierung Bush in der Zeit von
den Anschlägen bis zum Einsatz gegen Afghanistan verfolgte. Der militärische
Angriff auf Afghanistan erfolgte zwar erst am 7. Oktober 2001, zeichnete sich
aber schon gegen Ende September ab. Um eine Distorsion der Auswertung zu
vermeiden, wird die Analyse für die Zeit vom 11. bis zum 30. September 2001
durchgeführt, in der die tatsächliche Überzeugungsarbeit stattfand.
Dazu wurden 19 Statements, Adressen und Proklamationen des Präsidenten, 19 Pressekonferenzen aus dem Weißen Haus, dem Außen- und dem
Verteidigungsministerium sowie 16 Fernsehinterviews mit Colin Powell, Donald
Rumsfeld bzw. Paul Wolfowitz qualitativ ausgewertet.61
Insgesamt fallen mindestens fünf Merkmale auf, die die Kernbotschaften
der regierungsseitigen Informationsoffensive darstellen: Erstens handelt es sich
58
59
60
61
Vgl. Bennett, S. 26.
Vgl. Hils, S. 78.
Vgl. Rudolf, Peter: "Amerikanische Irakpolitik - wie weiter?", in: SWP Aktuell, Nr. 36, September 2003, unter http://swp.live.exozet.com/pdf/swp_aktu/swpaktu_36_03 (Stand
28.10.2003), S. 4.
Dokumente siehe beiligende CD-ROM.
- 21 -
bei den terroristischen Attacken um einen Angriff auf die USA. Damit haben
ausländische Angreifer den Krieg erklärt und die USA befinden sich in der Verteidigungsposition.62
Zweitens wurde die Neuartigkeit dieses Krieges betont. Es sei kein konventioneller Krieg wie z.B. der Golfkrieg 1991, sondern ein Krieg gegen einen
versteckten Gegner, der mit versteckten Mitteln arbeite. Der erklärte Feind sind
die Terroristen bzw. Terrornetzwerke und in der Konsequenz die den Terrorismus unterstützenden Länder. Der neuartige Kampf soll auf diplomatischer, ökonomischer und militärischer Ebene geführt werden. Dabei wird der militärische
Angriff auf ein bestimmtes Land von Regierungsseite nicht ausgeschlossen, er
soll aber immer nur ein Teil einer breiteren Aktion sein.63
Drittens verwiesen die Regierungsmitglieder im Zusammenhang mit der
Neuartigkeit auch auf die Langfristigkeit des bevorstehenden Verteidigungskampfes. Kein Vertreter der Exekutive machte hierzu eine konkrete Angabe,
aber aus einigen Andeutungen ließ sich ableiten, dass es sich um Monate und
Jahre handeln würde. Gleichzeitig wurde bereits im September 2001 angedeutet, dass der Einsatz gegen Osama Bin Laden und Afghanistan erst der Beginn
eines langen Kampfes sei und dass in der nächsten Phase weitere Länder (im
Gespräch waren Iran, Irak, Sudan, Syrien und Libyen) im Blickpunkt stehen
werden.64
Ein vierter Aspekt beschäftigt sich mit der Koalitionsbildung. Immer wieder betonten die Vertreter der US-Administration, dass die Terroranschläge ein
Angriff auf die gesamte zivilisierte Welt seien und das deshalb die gesamte
Welt hinter den USA als Führungsmacht steht. Damit wird einerseits der globale
Führungsanspruch der US-Regierung illustriert und andererseits die übrigen
Nationen in Unterstützer der USA oder Unterstützer des Terrorismus aufgeteilt.
Diese Aufteilung in Freunde und Feinde ist der Schlüssel zum Beginn militäri62
63
64
Vgl. "Remarks by the President In Photo Opportunity with the National Security Team", 12.
September 2001, unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010912-4.html
(Stand 29.10.2003) sowie: "Press Briefing by Ari Fleischer", 17. September 2001, unter
http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010917-8.html, (Stand 7.9.2003).
Vgl. "Interview on NBC's Today Show. Secretary Colin L. Powell", 12. September 2001, unter http://www.state.gov/secretary/rm/2001/4869.htm (Stand 9.9.2003).
Vgl. "Press Briefing By Ari Fleischer", 13. September 2001, unter http://www. whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010913-12.html (Stand 7.9.2003), "On-The-Record
Press Briefing (1342 hrs). Secretary Colin L. Powell", 17. September 2001, unter
http://www.state.gov/secretary/rm/2001/4929.htm (Stand 9.9.2003) sowie "Interview on Fox
Morning News with Tony Snow. Secretary Colin L. Powell", 12. September 2001, unter
http://www.state.gov/secretary/rm/2001/4866.htm (Stand 9.9.2003).
- 22 -
scher Schläge genau gegen diejenigen Länder, die sich auf die "falsche" Seite
gestellt haben.65
Fünftens stand die Wichtigkeit "geheimer" Informationen im Vordergrund.
Die von den Geheimdiensten gemachten Erkenntnisse wurden weder veröffentlicht noch von einer unabhängigen Instanz geprüft, sondern der Öffentlichkeit
unter dem Begriff "intelligence information" oder "classified information" angedeutet. Das übergroße Maß an öffentlichem Vertrauen, das die Regierung Bush
unmittelbar nach den Anschlägen genoss, ermöglichten der Exekutive den Angriff auf Afghanistan ohne tatsächliche, bzw. ohne veröffentlichte Beweise zu
beginnen.66
Das Abstimmungsverhalten im Kongress weist im Schatten der Terroranschläge eine bemerkenswerte Einstimmigkeit auf. Die am 14. September
2001 in beiden Häusern verabschiedete Resolution zur Billigung des Einsatzes
der bewaffneten U.S. Streitkräfte verzeichnet lediglich eine Gegenstimme aus
dem Repräsentantenhaus (Barbara Lee, D-CA).67 Obwohl der Kongress die
Genehmigung für den Einsatz militärischer Mittel nicht zwingend geben musste,
zeigt die Durchführung der Abstimmung und die Eindeutigkeit des Ergebnisses
die überdurchschnittlich große Unterstützung, die der Exekutive seitens der Legislative gewährt wird. Am 18. September 2001 wurde die Resolution für die
Befürwortung des Krieges von Präsident Bush unterzeichnet.68
IV.2. Mediendarstellung im September 2001
IV.2.1. Fernsehen
Die Betrachtung der Fernsehberichterstattung wird methodisch nach David L. Altheides Ansatz der qualitativen Medienanalyse durchgeführt. Die Aus-
65
66
67
68
Vgl. "Interview on the News Hours with Jim Lehrer. Secretary Colin L. Powell", 13. September 2001, unter http://www.state.gov/secretary/rm/2001/4914.htm (Stand 9.9.2003).
Vgl. "Press Briefing by Ari Fleischer", 24. September 2001, unter
http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010924-13.html (Stand 7.9.2003).
Vgl.: "Authorization for Use of Military Force --S.J.Res.23--", unter http://thomas.loc.gov/cgibin/bdquery/z?d107:HJ00064: @@@L&summ2=m& (Stand 30.9.2003), "U.S. Senate Roll
Call Votes 107th Congress - 1st Session", unter http://www.senate.gov/legislative/LIS/
roll_call_lists/roll_call_ vote_cfm.cfm?congress=107&session=1&vote=00281 (Stand
30.9.2003), "FINAL VOTE RESULTS FOR ROLL CALL 342", unter http://clerkweb.house.
gov/cgi-bin/vote.exe?year=2001&rollnumber= 342, (Stand 30.9.2003).
Vgl. "President Signs Authorization for Use of Military Force bill", unter
http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010918-10.html (Stand 30.9.2003).
- 23 -
wertung konzentriert sich auf den zeitlichen und thematischen Ablauf der Fernsehberichterstattung. Dabei werden die Hauptnachrichten und Sondersendungen der vier größten US-amerikanischen TV-Netzwerke anhand von Nachrichten-Überschriften ausgewertet (siehe Abb. 2). Konkrete Berichterstattungsinhalte wie z.B. Verknüpfung von Einzelschicksalen mit lead stories liefern einen
wichtigen Beitrag zur qualitativen Messung69, können aber hier mangels
Zugriffsmöglichkeiten innerhalb der Katalogisierung des Vanderbilt Television
News Archive nicht berücksichtigt werden.
Abb. 2:
Übersicht TV-Schlagzeilen nach dem 11. September 2001
TV-SCHLAGZEILEN VON ABC, CBS, CNN, NBC NACH DEM 11. SEPTEMBER 2001
Datum /
Headline
"WTC+Pentagon
Bombing"
"Attack on
America" /
"America
Attacked"
"America
Fights
Back"
"America
Rising"
"America on
Alert"
11.Sep
12.Sep
13.Sep
14.Sep
ABC
CBS
CNN
NBC
ABC
CBS
CNN
NBC
ABC
CBS
CNN
ABC
CBS
ABC**
CBS
ABC**
CBS**
ABC**
CBS**
NBC
NBC**
NBC**
NBC**
CNN
15.Sep
16.Sep*
17.Sep
18.Sep
19.Sep
ABC**
ABC**
ABC**
ABC**
ABC
CBS**
CBS**
CBS**
CBS**
CBS
NBC**
NBC**
NBC**
NBC
CNN
CNN**
CNN
CNN
NBC**
"America‘s
New War"
* für diesen Tag keine Angaben über CNN-Programm verfügbar
** Programmtitel jeweils mit Zusätzen (Day 2 am 12. September, Day 3 am 13. September,..., one week later am 18.
September 2001)
Quelle: Vanderbilt University Television News Archive
Die ersten vier Tage nach den Attentaten vom 11. September 2001 enthielten zwei Arten von Überschriften: "Attack on America"/"America Attacked"
(CBS, NBC) und "World Trade Center and Pentagon Bombings" (Sondersendungen bei CNN, NBC, ABC und CBS).70 In der zeitlichen Abfolge lässt sich erkennen, dass Formulierungen vom Typ "attack" zunahmen, während die Überschrift "World Trade Center and Pentagon Bombing" seltener verwendet wurde.
Ab dem 12. September 2001 fügten ABC und NBC täglich die Zusätze
Day 2, Day 3, usw. zu den Überschriften hinzu. CBS zog mit dieser Praxis ab
69
70
Vgl. Iyengar, Shanto/Kinder, Donald R.: News That Matters. Television and American Opinion, Chicago, London, 1987, S. 34-46.
Vgl. Vanderbilt Television News Archive, unter http://tvnews.vanderbilt.edu (Stand
10.9.2003).
- 24 -
dem 13. September nach; bei CNN waren in der ersten Woche nach den Anschlägen keine solchen Zusätze erkennbar. Am 18. September tragen alle vier
Netzwerke in ihren Titelschlagzeilen die Beifügung "one week later" – danach
folgten aber keine weiteren zeitlichen Referenzen.
Ab dem 15. September 2001 beginnt die inhaltliche Individualisierung der
Schlagzeilen. Jeder Sender wählt seine typische, distinktive Überschrift für die
Abendnachrichten und liefert somit die jeweils eigene Interpretation der politischen Ereignisse. Mit "America fights back" (ABC) ist der Grundstein für einen
bellizistischen Unterton der Berichterstattung dieses Netzwerkes gelegt. CBS
wählt am gleichen Tag mit "America Rising" eine betont innenpolitische Perspektive. Einen Tag später folgt NBC mit "America on Alert", was die wenig
konkreten Handlungsankündigungen seitens der Regierung Bush widerspiegelt
und auf den Aspekt der Geheimhaltung abzielt. Alarmzustand, Krieg, Ohnmacht
bzw. Vertrauen in die Oberbefehlshaber sind typische Assoziationen in Verbindung mit alert. Am 17. September 2001 fällt zum ersten Mal das Wort "Krieg" in
einer TV-Titelschlagzeile: CNN berichtet seine Abendnachrichten fortan unter
dem deutlich bellizistischen "America's New War".
Die individuellen Überschriften werden mit Ausnahme von CBS bei allen
Netzwerken bis mindestens Ende September 2001 beibehalten. CBS wechselt
in dieser Zeit zweimal die Schlagzeile: am 20. September zu "America Fights
Back" (wie ABC) und am 26. September zu "Terror Trail".71
Insgesamt fällt bei der Fernsehberichterstattung folgendes auf:
-
am 15. bzw. 16. September fällten alle betrachteten Netzwerke eine Entscheidung hinsichtlich der Vermittlung des weiteren angenommenen Verlaufes der Außenpolitik der USA;
-
bis auf den Sender CBS behielten alle Fernsehsender die einmal gewählte Überschrift bei;
-
die Zusätze Day 2, Day 3 usw. spiegeln den Beginn einer neuen
psychologischen Zeitrechnung wider.
Von einer quantitativen, numerischen Analyse der Fernsehnachrichten
wird in diesem Fall abgesehen, da die Suche nach Stichworten in nachträglich
71
Vgl. Vanderbilt University Television News Archive: unter
http://lib14.library.vanderbilt.edu/diglib/tvn-month-search.pl (Stand 10.9.2003).
- 25 -
erstellten Zusammenfassungen über einen so kurzen Zeitraum nicht sinnvoll
erscheint.
IV.2.2. Printmedien
Die Betrachtung der Printmedien-Berichterstattung wird methodisch nach
David L. Altheides Ansatz der quantitativen Medienanalyse durchgeführt. Dafür
wurde unter Zugriff auf die Datenbank LexisNexis Professional nach der Häufigkeit von Zeitungsartikeln gesucht, in deren Textkörpersegment bestimmte
Schlagwörter aus den regierungsseitigen Erklärungen einfach oder mehrfach
verwendet wurden. Es gilt die Annahme, dass die Anzahl dieser Zeitungsartikel
ein Maß für die salience des jeweiligen Suchbegriffs in den Medien darstellt.
Zunächst wurden die im vorangegangenen Abschnitt erarbeiteten regierungsseitigen Kernbotschaften semantisch mit Codewörtern gleichgesetzt. So
steht für den ersten Punkt (Angriff auf die USA - Folge: Akt der Verteidigung)
der Begriff: "attack on America". Die diesbezügliche Untersuchung über LexisNexis ergab, dass die Wortgruppe "attack on America" zwischen dem 11. und
dem 30. September 2001 in insgesamt zwanzig Artikeln verwendet wurde. Diese Angabe allein liefert aber noch keinen Hinweis auf die Intensität, mit der der
Umstand des 'Angriffs' in die Öffentlichkeit vermittelt wurde. Dabei könnte eine
Betrachtung der zeitlichen Verteilung der salience hilfreich sein. Im Falle des
Suchbegriffs "attack on America" verläuft die Verteilung überaus gleichmäßig.
Die Werte schwanken zwischen null und zwei Artikeln täglich72 und weisen
auch keine bedeutsame Konzentration an bestimmten Tagen auf. Die Tatsache
der Neuartigkeit wurde also in den Medien vermittelt, kann aber mangels Indizien nicht mit bestimmten Ereignissen oder regierungsseitigen Inputs verknüpft
werden.
Zum zweiten Punkt (neuartiger Krieg, neuartiger Feind) wurde nach folgenden Codewörtern gesucht: "war on terrorism" und "new war" sowie "terrorist
network" und "Osama Bin Laden". "War on terrorism" ist im Nachhinein zum
Schlüsselbegriff der Neuausrichtung der US-Außenpolitik nach dem 11. September 2001 geworden. An dieser Stelle ist es von besonderem Interesse, ab
wann und in welcher Intensität der Begriff in den Medien präsent war. Dabei fal-
72
Vgl. Datei der Suchergebnisse auf beiliegender CD-ROM.
- 26 -
len zwei Höhepunkte im Verlauf des Erhebungszeitraumes auf (vgl. Abb. 3): der
17. und der 24. September 2001. Das Erscheinen von 11 bzw. 14 Zeitungsartikeln mit dem Suchbegriff "war on terrorism" hebt sich deutlich von der Erscheinungsmenge an den übrigen Tagen ab.
Abb. 3:
Salience "War on terrorism", "New war"
Salience "war on terrorism" (N=88); "new war" (N=27)
12.-30. September 2001
14
11
9
1
3
1
2
28. Sep. 01
1
5 6
new war
3
2 2
30. Sep. 01
6
3
24. Sep. 01
18. Sep. 01
3
6
5
22. Sep. 01
2
1
1
20. Sep. 01
3
2
16. Sep. 01
1
14. Sep. 01
12. Sep. 01
1
4 5
26. Sep. 01
8
war on
terrorism
Quelle: Lexis-Nexis73
Mit dem Suchbegriff "new war" wurde getestet, ob die Medien den Anbruch einer neuen (kriegerischen) Ära genauso stark empfunden haben, wie es
von der Regierung vermittelt wurde. Das Ergebnis (Abbildung 3) zeigt, dass die
salience von "new war" mit insgesamt 27 Artikeln niedriger ist als bei "war on
terrorism" (88). Die Schwankungen zwischen null und vier Zählungen sind moderat und verweisen auf eine gleichmäßig wiederkehrende Verwendung des
Begriffs in der Presse. Es fand kein 'Aufmerksamkeitssprung' wie bei "war on
terrorism" statt - demzufolge blieb auch die rhetorische Wirkung von "new war"
hinter "war on terrorism" zurück.
Im Zusammenhang mit dem Aspekt der 'Neuartigkeit' bemühte sich die
Regierung Bush um eine Personifizierung des neuen Feindes, indem Osama
Bin Laden als Hauptverdächtiger für die Terroranschläge genannt wurde.74
Gleichzeitig wies sie als Ziel eines Vergeltungsschlages auch immer wieder auf
den Feind in Form eines Terror-Netzwerkes hin. Die Verwendung des Begriffs
"terrorist network" in den Printmedien bleibt aber mit 33 Artikeln hinter dem regierungsseitigen Input zurück (vgl. Abb. 4). Die Erwähnung des Hauptverdächtigen jedoch verzeichnet vom Tag nach den Anschlägen bis zum Ende des Mo73
74
Lexis-Nexis, http://web.lexisnexis.com/professional (Stand 10.9.2003).
Vgl. "Remarks by the President Upon Arrival", 16. September 2001, unter
http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010916-2.html (Stand 29.10.2003).
- 27 -
nats September hin eine sehr hohe salience (472 Artikel), was bei drei analysierten Tageszeitungen einen Durchschnittswert von mehr als acht Artikel pro
Tag und Zeitung mit dem Schlagwort "Osama Bin Laden" ergibt.
Abb. 4:
Salience "Osama Bin Laden", "Terrorist network"
Salience Print "Osama Bin Laden" (N= 472); "terrorist
network" (N=33), 12.-30. Sep 2001
29
38
24
21 20
24
13
Osama
Bin
Laden
terrorist
network
30. Sep 01
3 1 2
28. Sep 01
20. Sep 01
18. Sep 01
24. Sep 01
2 3 2 3 4
1 1 1 2 1 1 3
16. Sep 01
14. Sep 01
12. Sep 01
21
13 12
3
27 30
22. Sep 01
13
39
38
26. Sep 01
23 22
34 31
Quelle: LexisNexis
Das Kriterium der Langfristigkeit wurde nicht in derselben Weise von den
Medien wiedergegeben, wie man es anhand der regierungsseitigen Bemühungen hätte vermuten können. Lediglich in zwei Artikeln wurde die Verbindung
"long struggle" in den Printmedien in der Kategorie Schlagwort erwähnt (14. und
18. September 2001 jeweils in der Washington Post). Möglicherweise waren im
September andere Aspekte wichtiger bzw. journalistisch einfacher zu verarbeiten, so dass das Bewusstsein für einen langfristig angelegten Kampf nicht über
die Printmedien kommuniziert wurde.
Der von der Regierung stark hervorgehobene Aspekt der Koalitionsbildung ist in der Presse nicht mit derselben Intensität wiedergegeben worden.
Insgesamt erschienen im September 2001 lediglich 21 Artikel, die das Schlagwort "coalition building" enthielten. In der täglichen Verteilung waren dabei keine nennenswerten Unterschiede festzustellen (vgl. Abb. 5).
Der fünfte in den Regierungsauftritten häufig genannte Aspekt ist die
Geheimhaltung bzw. das Vertrauen auf die Informationen des Geheimdienstes.
Der Suchbegriff wurde mit "intelligence" codiert und liefert 327 Artikel im Erhebungszeitraum (vgl. Abb. 5).
- 28 -
Abb. 5:
Salience "intelligence", "coalition building"
Salience Print "intelligence" (N=325); "coalition building" OR
"coalition against terrorism" (N=21), 12.-30. Sep 2001
26
12 13
15
7
3 2
1
2 1 1 2 1
1 1
1
30. Sep 01
16. Sep 01
1
18
28. Sep 01
1 2
14. Sep 01
12. Sep 01
1
10
19
22
26. Sep 01
12
16
18
12
16
intelligence
24. Sep 01
18
23
22. Sep 01
19
20. Sep 01
23
18. Sep 01
26
coalition
building OR
coalition
against
terrorism
Quelle: LexisNexis
Bei einer allgemein gehaltenen Codierung wie in diesem Fall lassen sich
Überschneidungen mit Berichten beispielsweise über menschliche Intelligenz
nicht vermeiden. Durch das hohe numerische Ergebnis lassen sich aber dennoch Unterschiede im zeitlichen Verlauf ausmachen. Besonders in den ersten
Tagen nach den Anschlägen wird die Rolle der Nachrichtendienste in den Mittelpunkt gestellt. Am 20. September ist ein erneuter Anstieg der salience im Bereich der Schlagworte sichtbar, der unter beträchtlichen Schwankungen bis Ende September leicht abflacht.
Im Anschluss an die empirischen Erhebungen der Medienberichterstattung stellt sich die Frage, welche Aspekte des regierungsseitigen Inputs von
den Medien verstärkt wiedergegeben wurden und welche Aspekte mit geringerer Intensität berichtet wurde.
Die Presseberichte mit den Schlagworten "attack on America", "new
war", "terrorist network", "long struggle" und "coalition building" weisen eine geringere salience in den Printmedien auf, als dies durch den Diskurs der USRegierung im Anschluss an die Terroranschläge zu erwarten war. Eine deutlich
verstärkte Aufmerksamkeit bekommen die Themen "war on terrorism", "Osama
Bin Laden" sowie "intelligence".
Der Ausdruck 'Krieg dem Terrorismus' (war on terrorism) hat sich im öffentlichen Diskurs zu einem Synonym für die US-amerikanische Außenpolitik
nach dem 11. September 2001 entwickelt. Der Grund dafür ist die sprunghaft
angestiegene mediale Aufmerksamkeit (von zwei auf elf Artikel) im Anschluss
- 29 -
an eine Pressekonferenz vom 16. September 2001 von Präsident Bush. Darin
stellt er - gewollt oder ungewollt - die geplanten Aktionen zur Bestrafung der Attentäter mit dem Wort 'Kreuzzug' in Zusammenhang:
"…This crusade, this war on terrorism is going to take a while. And the American people
must be patient. I'm going to be patient…"75
Die Verwendung von 'crusade' im Zusammenhang mit 'war on terrorism'
gab den Ausschlag für kritische Nachfragen. Auf der Pressekonferenz vom 17.
September wurde der Ausdruck 'war on terrorism' gleich vier mal von Ari Fleischer (Pressesprecher des Weißen Hauses) benutzt76 und erzeugte dadurch
ein gesteigertes Maß an Medienpräsenz. Die zweite Akkumulation der Erwähnung von "war on terrorism" in den Printmedien findet am 24. September 2001
mit einem Sprung von drei auf 14 Artikel statt. Inhaltlich beschäftigen sich diese
mit einer Reihe von Maßnahmen (Truppenverlegung, innenpolitische Schutzmaßnahmen, wirtschaftliche Auswirkungen), die von der Presse als kriegsvorbereitende Schritte im groß angelegten war on terrorism interpretiert wurden.
Die Diskrepanz zwischen der Häufigkeit der Erwähnungen des Hauptverdächtigen Osama Bin Laden und der realistischeren Bedrohung durch Netzwerke von Terroristen lässt auf den Effekt des episodischen framing schließen.
Gemäß der Definition von Iyengar/Simon werden dabei vor allem konkrete,
spezifische Ereignisse in einem personenzentrierten Zusammenhang berichtet.77
Das Verhalten und die Bedeutung der Geheimdienste wurde im Monat
September mehr als doppelt so oft wie die Kombinationen um war on terrorism
herum in den Vordergrund gestellt. Diese Entwicklung stimmt einerseits mit den
Bemühungen der Regierung überein, Vertrauen für die Geheiminformationen zu
erwecken und könnte andererseits auch das Indiz für eine kritische Medienreflexion dieser Bemühungen sein. Wie zum Beispiel diese Frage eines Journalisten aus einer Pressekonferenz:
"Why should the American people believe that this government has such solid evidence
linking Osama bin Laden to these terrorist acts when it wasn't even able to determine
75
76
77
"Remarks by the President Upon Arrival", 16. September 2001.
Vgl. "Press Briefing by Ari Fleischer", 17. September 2001.
Vgl. Iyengar/Simon, S. 251.
- 30 -
that there were four planes that were going to get hijacked and kill thousands of people?
Why should we believe you?"78
Das Dilemma der Medien, die geheimen Erkenntnisse auf der einen Seite zu berichten und auf der anderen Seite anzuzweifeln könnte eine Erklärung
für die überdurchschnittliche salience des Begriffs "intelligence" sein.
Insgesamt bleibt festzustellen, dass die Fernseh-Netzwerke den Aspekt
der Neuartigkeit (CNN: "America's new war") und des territorialen Angriffs
(ABC, CBS, NBC: "Attack on America"/"America attacked") fokussieren, während sich die Presse den Themen war on terrorism, Osama Bin Laden und der
Rolle der Geheimdienste widmete.
IV.3. Rezeption in der Öffentlichkeit
Die Meinungsumfragen vom September 2001 zeigen, dass die bellizistischen Anspielungen der Regierungsmitglieder und der Medien den Nerv der Öffentlichkeit im Anschluss an die Terroranschläge nahezu perfekt getroffen haben. Als erste Reaktion wurde von Präsident Bush der Wunsch nach Vergeltung propagiert:
"…[I] have ordered that the full resources of the federal government go to help the victims and their families, and to conduct a full-scale investigation to hunt down and to find
those folks who committed this act."79
Von der Öffentlichkeit wurde dieser Kurs beinahe vollständig angenommen. Eine am 11. September 2001 durchgeführte Umfrage von ABC News/
Washington Post zeigt, dass bereits am selben Tag eine militärische Maßnahmen gegen die Verursacher der Anschläge von 94 Prozent der Bevölkerung befürwortet werden.80 Auch in den Wochen nach dem 11. September 2001 zeigt
sich die große Mehrheit der Befragten zufrieden mit den Reaktionen von Präsident Bush (vgl. Abb. 6).
78
79
80
"Press Briefing by Ari Fleischer", 19. September 2001, unter http://www.whitehouse.gov/
news/releases/2001/09/20010919-7.html (Stand 7.9.2003).
"Remarks by the President After Two Planes Crash Into World Trade Center", 11. September 2001, unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010911.html (Stand
9.9.2003).
Vgl. AEI, S. 4.
- 31 -
Abb. 6:
Umfrage: Umgang mit den terroristischen Anschlägen
Overall, how would you rate President Bush's handling of
the terrorist attacks on the World Trade Center and the
Pentagon?
100
Excellent/
Good
80
60
Fair/ Poor
40
20
15 Nov 01
11 Nov 01
7 Nov 01
3 Nov 01
30 Oct 01
26 Oct 01
22 Oct 01
18 Oct 01
14 Oct 01
10 Oct 01
6 Oct 01
2 Oct 01
28 Sep 01
24 Sep 01
20 Sep 01
0
Quelle: Zogby International81
Aus der Grafik in Abb. 6 lässt sich erkennen, dass neben der überwältigenden Zustimmung um die 85 Prozent auch etwa 10-20 Prozent der Befragten
unzufrieden mit dem Verhalten des Präsidenten sind. Die in den Umfragen vorliegenden Werte zeigen keinen eindeutigen Grund, weshalb dieser Anteil die
Maßnahmen ablehnt. Eine weitere Befragung von Gallup/CNN/USA Today lässt
darauf schließen, dass das Handeln der Regierung als zu zögerlich wahrgenommen wird.82 19 Prozent der Befragten bekunden am 21. und 22. September
2001, dass ihnen die militärischen Maßnahmen des Präsidenten nicht weit genug gehen, während lediglich vier Prozent meinen, dass die Maßnahmen zu
weit greifen. 75 Prozent der Befragten äußern ihre Zufriedenheit mit dem geplanten militärischen Vorgehen. Es ist daher zu vermuten, dass der in Abb. 6
bestimmten Anteil von 10-20 Prozent an Regierungskritikern eine sofortige militärische Reaktion befürworten würde.
Die Herausstellung des Terrorismus-Problems als dringendste Angelegenheit der Außenpolitik der USA ist der US-Regierung im Monat September
2001 sehr gut gelungen. 47 Prozent der Befragten nannten einen Monat später
"Terrorismus" als wichtigstes Problem des Landes (vgl. Abb. 7, S. 32).
81
82
Zogby Special Feature, unter http://www.zogby.com/features/featuredtables.dbm?ID=50
(Stand 2.10.2003).
Vgl. AEI, S. 14.
- 32 -
Abb. 7:
Umfrage: Most important problem Sep 01-Jan 02
What do you think is the most important problem facing this
country today?
47
Terrorism
8
11
16
23
22
8
19
Fear of War
7-9
Jan
02
16
6-9
Dez
01
13
8-11
Nov
01
7-11
Sep
01
1
38
24
11-14
Oct
01
22
Economy
(general)
Quelle: The Gallup Brain83
In der Zeit des Afghanistan-Krieges ließ die Eindeutigkeit des Empfindens über das dringendste Problem nach und zwar in dem Maße, dass "Terrorismus" im Januar 2002 ebenso oft wie "Wirtschaft" als häufigstes Problem genannt wurde. Eindeutig feststellbar ist jedoch der sprunghafte Anstieg des Problembewusstseins für die Thematik des Terrorismus in Folge der Anschläge.
Ein weiterer systematisch von den Meinungsforschungsinstituten abgefragter Wert ist die Zustimmungsrate für die gesamte Arbeit des Präsidenten
(approval rate). Im Chartverlauf von Abb. 8 (S. 33) lässt sich das theoretische
Konzept des Rally-Effekts empirisch einwandfrei für das Ereignis des 11. September 2001 belegen: gemäß der Definition durch Mueller muss das einen Rally-Effekt auslösende Ereignis
1. die Nation als Ganzes konfrontieren;
2. für die USA relevant und der US-Präsident in hohem Maße involviert sein;
3. spezifisch, dramatisch und zeitlich scharf begrenzt sein (vgl. S. 9).
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 erfüllen die Kriterien 1 - 3
in vollem Maße. Die konzertierten Attacken auf die Einrichtungen Pentagon,
Weißes Haus und World Trade Center haben die Vereinigten Staaten als ganze
Nation getroffen.84 Sie stellen den ersten Luftangriff auf das Festland der Vereinigten Staaten dar und haben damit höchste Sicherheitsvorkehrungen zum
Schutz des Präsidenten und der nationalen Führungsebene ausgelöst. Die Ter-
83
84
http://brain.gallup.com (Stand 10.9.2003).
Der Bombenanschlag auf das World Trade Center 1993 ist in den landesweiten Medien eher als lokales Kriminalitätsproblem der Stadt New York dargestellt und von der Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommen worden. Vgl. Nacos, 1994, S. 47.
- 33 -
roranschläge sind spezifisch, höchst dramatisch und innerhalb kürzester Zeit
vollzogen worden. Diese Faktoren begründen den hohen Initialzuwachs an Zustimmung unmittelbar nach den Anschlägen, der mit ca. 35 Prozent den größten Sprung in dieser Kategorie in der Geschichte der Meinungsforschung darstellt.85
Abb. 8:
Umfrage: Zustimmungsrate Präsident Bush Sep 01-Jan 02
Do you approve or disapprove of the way George W. Bush is
handling his job as president?
89 88
87
87
87
86 86
84
6
10
8
9
9
9
8
10
11
12
Oct 5-6, 2001
Oct 11-14, 2001
Oct 19-21, 2001
Nov 2-4, 2001
Nov 8-11, 2001
Nov 26-27, 2001
Dec 6-9, 2001
Dec 14-16, 2001
Jan 7-9, 2002
10
Sep 21-22, 2001
Sep 7-10, 2001
39
87
approve
disapprove
Sep 14-15, 2001
51
86 90
Quelle: Gallup/CNN/USA Today86
Obwohl die Fragestellung der Job-approval-Frage inhaltlich auf die Zufriedenheit mit der Arbeit des Präsidenten abzielt, spiegelt sich in den Antworten
der Befragten eher das Gegenteil wider:
"...reporters, pollsters, and scholars have hypothesized an upwelling of patriotic support
in response to external threats to account for an increase in positive evaluation when by
objective criteria the president appears to have failed."87
Obwohl Präsident Bush nicht in der Lage war, die Terroranschläge vorherzusehen oder zu verhindern, erfährt er einen außerordentlich hohen Zuwachs in der öffentlichen Zustimmungsrate. Diese hohe innenpolitische Unterstützung durch die US-amerikanische Öffentlichkeit bedeutet für die Exekutive
der USA einen enormen Zuwachs an außenpolitischem Handlungsspielraum.
Damit befindet sich die Regierung Bush in der Lage, innenpolitische Veränderungen und eine umfassende Neugestaltung des internationalen Systems zu
beginnen.
85
86
87
Vgl. Hetherington/Nelson, S. 37.
AEI, S. 145.
Vgl. Brody, Richard A.: Assessing the President. The Media, Elite Opinion, and Public
Support, Stanford, 1991, S. 46.
- 34 -
Die öffentliche Zustimmung zum Handeln des Präsidenten zieht auch eine Befürwortung der geplanten kurzfristigen außenpolitischen Maßnahmen der
US-Regierung nach sich. Das zeigt sich darin, dass die militärischen Aktionen
in Afghanistan von der überwältigenden Mehrheit der Amerikaner befürwortet
wurden.
Abb. 9:
Umfrage: Unterstützung militärischer Aktionen
89
82
89
87
91
91
91
90
6
8
6
8
6
5
6
5
Sep 20, 2001
Oct 4, 2001
Oct 18, 2001
Nov 1, 2001
Nov 15, 2001
Nov 29, 2001
Dec 13, 2001
Jan 10, 2002
Do you support or oppose the U.S. military action
being taken in response to the terrorist attacks?
Support
Oppose
Quelle: Fox News/Opinion Dynamics 88
Das Bezeichnen der Anschläge als "Angriff", die Ausrufung des Kriegszustandes und die Ankündigung von Vergeltung führten zu einem eindeutigen
kriegsbefürwortenden Umfrageergebnis. In der Zeit, in der der Krieg offiziell
stattfand (7. Oktober bis 22. Dezember 2001), konnte die Administration weiterhin höchste Zustimmungswerte durch die öffentliche Meinung verzeichnen.
Die vergleichsweise hohe Anzahl von Erwähnungen des Begriffes "intelligence" in den US-Medien hat hier zur Folge, dass die Geheimdiensterkenntnisse erstens eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfahren und
dass zweitens mit entsprechenden Berichten kritisch umgegangen wird. Dies
belegen Umfragen vom 12. und 15./16. September 2001, wonach 41 bzw. 47
Prozent der Befragten glauben, dass die Terroranschläge auf Fehler im Geheimdienstsystem der Vereinigten Staaten zurückzuführen sind.89 Diese Einschätzung muss ein Produkt der Medienberichterstattung sein, da es nicht im
Sinne der Exekutive lag, die Leistungen des Geheimdienstes in Bezug auf die
Attentate zu kritisieren.
88
89
AEI, S.5.
Vgl. AEI, S. 95.
- 35 -
IV.4. Auswertung
Es ist der Regierung Bush in großem Maße gelungen, die Neuausrichtung ihrer Außenpolitik der amerikanischen Öffentlichkeit zu vermitteln. Sie
wurde darin durch die Medien unterstützt, die nach den Terroranschlägen dem
Regierungshandeln ihre volle Aufmerksamkeit widmeten. Durch die zahlreichen
kurzen Statements, die als Momentaufnahmen unmittelbar nach den Terroranschlägen gesendet und gedruckt worden sind, konnte die Regierung ihr Krisenmanagement erfolgreich nach außen tragen. Besonders die direkt nach den
Anschlägen erfolgte Ankündigung von Vergeltung jedoch ohne ein konkretes
Ziel zu nennen erwies sich als richtungsweisend für die folgenden Tage und
Wochen.
Die Medienberichterstattung orientierte sich zunächst passiv an den beiden offensichtlichsten verfügbaren Themen: den Terroranschlägen und dem regierungsseitigen Krisenmanagement. Dabei ging der eigentliche Agendasetting-Impuls von den Verursachern der Terroranschläge aus. Ohne die überdimensionale weltweite Aufmerksamkeit für das Unglück würden die Anschläge
auch nicht die heutige Bedeutung einer historischen Zäsur erlangt haben. So ist
auch ein Zitat von Margaret Thatcher zu verstehen, welches die Abhängigkeit
der Terroristen von der medialen Aufmerksamkeit illustriert: "Publicity is the oxygen of terrorism.."90
Das Fernsehen berichtete verstärkt über den Aspekt des Angriffs und
über die Neuartigkeit des bevorstehenden Krieges. Die Printmedien beschrieben die zu erwartenden Aktionen im Regierungsjargon als war on terrorism,
konzentrierten sich dabei mehrheitlich auf die Thema Osama Bin Laden und auf
die Rolle der Geheimdienste.
Die Medienberichterstattung hat aber auch eigene Akzente gesetzt. Im
Punkt der Rolle der Geheimdienste ist es der Regierung Bush nicht gelungen,
das Agenda-setting zu steuern. Hier ist es ein Verdienst der Presse, dass auf
dieses Thema in hohem Maße und mit kritischer Hinterfragung eingegangen
wurde.
Die Regierung Bush hat in ihrem Krisenmanagement nach den Terroranschlägen die Bekämpfung des Terrorismus als oberstes Ziel genannt. Dieses
90
Zit. in: Nacos, Brigitte L. "Terrorism as Breaking News. Attack on America", in: PS Political
Science Quartely, Band 118, Nr. 1, 2003, S. 23-52, S. 23.
- 36 -
priming ist auch bei der Öffentlichkeit im selben Maße angekommen, denn die
Zustimmungsrate für Präsident Bush sowie die Unterstützungsrate der
Militäraktionen in Afghanistan stimmen mit der öffentlichen Bewertung seines
Umgangs mit den Terroranschlägen überein.
Die Art des framing ist mit Hilfe der hier verwendeten Analysemethoden
nicht eindeutig messbar. Die hohe salience des Hauptverdächtigen Osama Bin
Laden in der Presse deutet jedoch auf die Verwendung des episodischen framing hin. Damit entspricht dieses Beispiel nicht der Annahme von Iyengar/Simon, wonach das episodische framing vor allem bei der TV-Berichterstattung zu beobachten ist.91
Der multiplikatorische Effekt des regierungsseitigen Inputs ist umso größer, je stärker die Informationsoffensive in den Medien wiedergegeben wird. Die
Genese des Begriffes war on terrorism ist ein Indiz für die starke Orientierung
der Medienberichterstattung an den Äußerungen der Regierung, insbesondere
des Präsidenten. Das Verhalten der Medien zwischen dem 11. und 30. September 2001 entspricht damit der Theorie des power indexing, wonach sich die
mediale Bewertung von Außenpolitik an den Positionen der wichtigsten institutionellen Entscheider orientiert.
Die Auswirkungen des indexing auf die Öffentlichkeit sind bereits im September 2001 spürbar: die öffentliche Meinung gestaltet sich nahezu unisono. Infolge der Terroranschläge kam es zum größten Rally-Effekt in der Geschichte
der US-amerikanischen Meinungsforschung. Dadurch erlangte die USRegierung das Potenzial für die Neuausrichtung der Außenpolitik in Form des
war on terrorism.
Die übergroße öffentliche Zustimmung zu Militäreinsatz, Präsidentenleistung und Krisenmanagement könnte an dieser Stelle die Wirkung von Schweigespirale und Bandwagon-Effekt vermuten lassen. Demnach würden Individuen, deren persönliche Meinung von der medial vermittelten Position abweicht,
ihre eigene Meinung zugunsten der öffentlich zugänglichen Position verschweigen. Nachprüfbar ist das über einen so kurzen Zeitraum mit den zur Verfügung
stehenden Mitteln nicht. Wenn man aber davon ausgeht, dass sich die öffentliche Meinung u.a. im Verhalten des US-Kongresses widerspiegelt, dann kann
91
Vgl. Iyengar/Simon, S. 251.
- 37 -
das Abstimmungsergebnis zur Kriegsresolution vom 14. September 200192 als
Indikator gelten. Die Verabschiedung der Resolution war ein symbolischer Akt
der Unterstützung für Präsident Bush mit einer einzigen Gegenstimme aus dem
Repräsentantenhaus. Das entspricht dem Bild der öffentlichen Meinung, in der
sich auch nur ein geringer Teil gegen den Regierungskurs aussprach.
V.
Veränderung der Mediendarstellung im Vorfeld des Irak-Krieges
Am 22. Dezember 2001 wurde der neue afghanische Präsident Hamid
Karzai eingeschworen, woraufhin die USA einen Großteil ihrer Truppen aus
dem Land abzogen. Dies bedeutete zugleich den Schlusspunkt der medialen
Aufmerksamkeit der US-Medien für diese Region. Von da an konzentrierte sich
die US-Regierung auf neue Ziele im Kampf gegen den Terrorismus und engagierte sich in der Vorbereitung des Irak-Krieges. In diesem Abschnitt soll die
Medienberichterstattung im Vorfeld des Irak-Krieges auf quantitative Änderungen hin untersucht werden. Dabei geht es um die Frage, ob ein verändertes
Agenda-setting in den Medien einerseits die öffentliche Meinung und andererseits das Regierungsverhalten beeinflussen kann. Der Fokus liegt also vor allem auf den Auswirkungen der Medienberichterstattung und weniger auf den
Gründen. Die Untersuchung soll schließlich zu erkennen geben, ob die Medien
als Motor für politische oder gesellschaftliche Veränderungen funktionieren.
Als Betrachtungsabschnitt wird die Zeitspanne von Januar 2002 bis März
2003 gewählt. Damit werden die Berichte über die Kampfhandlungen in Afghanistan sowie den Irak-Krieg ausgeklammert und der Fokus auf die Vorbereitungsphase des Irak-Kriegs gerichtet. Es geht unter anderem auch darum, wie
die Medien auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung in der Frage des IrakKrieges eingewirkt haben. Daher ist der Kriegsbeginn das Ergebnis und nicht
der Ausgangspunkt dieses Entwicklungsprozesses.
Methodisch wird die quantitative Inhaltsanalyse der Printmedien unter
Zuhilfenahme der Datenbank LexisNexis Professional genutzt, da diese eine
optimale Vergleichbarkeit über einen langen Zeitraum hinweg bietet. Ergänzend
wurde nach Angaben über die Fernsehberichterstattung in der Datenbank des
Vanderbilt Television News Archives recherchiert. Die Daten zu den TV-
92
"Authorization for Use of Military Force --S.J.Res.23--".
- 38 -
Berichten sind als "Sekundärquellen" zu betrachten, da sie auf Zusammenfassungen der jeweiligen Abendnachrichten und Sondersendungen beruhen.
V.1.
Veränderte Medienberichterstattung
Durch die eingangs erwähnte bidirektionale Natur des Agenda-setting-
Prozesses geht eine mediale Fokussierung auf ein bestimmtes Thema immer
mit der Vernachlässigung eines anderen Themas einher. Ziel dieser Teiluntersuchung ist es, solche Fokussierungen bzw. Vernachlässigungen in der Fernseh- und Printmedienberichterstattung nachzuweisen. Dies geschieht durch die
quantitative Erfassung von themenbezogenen Stichworten oder Stichwortkombinationen und die anschließende Darstellung der monatlichen Verteilung der
salience dieser Stichwörter und -kombinationen im Zeitraum Januar 2002 bis
März 2003. Folgende Themengebiete wurden gewählt: war on terrorism, Geheimdienstinformationen, Irak im Zusammenhang mit Al Kaida und Terrorwarnungen.
Zunächst wurden Angaben über die Häufigkeit des Themas war on terrorism anhand der Suchbegriffe "war on terrorism", "war against terrorism" sowie
"campaign against terrorism" erhoben.
Anhand des Verlaufs der Charts von Abb. 10 (S. 39) kann man klar erkennen, dass die salience des Themas war on terrorism zwischen Januar 2002
und März 2003 in den Printmedien um ca. zwei Drittel gesunken ist. Für die
Fernsehberichterstattung ist der Verlauf nicht so eindeutig, was sich aber mit
dem Format der Erhebung begründen lässt. So werden in der Suche des Vanderbilt Television News Archive nur die bereits zusammengefassten Beschreibungen der Sendungen nach dem Schlagwort durchsucht. Man erkennt demnach, in wie vielen Abendnachrichten und Sondersendungen es inhaltlich um
den war on terrorism gegangen ist. Jedoch stößt man hier schnell an die Grenzen der Analysierbarkeit des Mediums Fernsehen: Die Einschätzung, ob in einer Sendung der war on terrorism thematisiert wurde, hängt an dieser Stelle
vom Verfasser der Sendungsbeschreibung ab. Es lässt sich im Rahmen der
vorhandenen Möglichkeiten nicht nachprüfen, ob in der Sendung tatsächlich
vom war on terrorism die Rede war, oder ob der Verfasser möglicherweise Beiträge zu einem bevorstehenden Einsatz im Irak mit der Formulierung war on
terrorism umschrieben hat. Weiterhin ist nicht überprüfbar, mit welcher Intensi-
- 39 -
tät in der übrigen Sendezeit (also außerhalb von Abendnachrichten und Sondersendungen) auf dieses Thema eingegangen wurde.
Abb. 10: Salience "War on terrorism"
Salience "war on Terrorism" OR "war against terrorism" OR
"campaign against terrorism" Print (N=1163) und TV (N=216)
142
Print
TV
120
9
9
68
46
11
20
3
15
36
8
47
21
Mar 03
6
71
Jan 03
16 17
84
Nov 02
15
60 62 71
Sep 02
25
81
May 02
19
Mar 02
Jan 02
22
73 77
Jul 02
125
Quelle: LexisNexis und Vanderbilt Television News Archive
Beiden Medienformaten gemein ist der Verlauf für den Beginn des Jahres 2003. Dort nimmt die salience von war on terrorism zum Februar hin ab und
zum März wieder zu. Diese Bewegung ist durch den Beginn des Irak-Krieges
begründet. Ebenfalls parallel verläuft die Berichterstattung in beiden Formaten
zwischen März 2002 und Oktober 2002. Die gemessenen Schwankungen fallen
im gleichen Verhältnis aus und belegen dadurch, dass die verschiedenen Medienformate in ähnlicher - nämlich abnehmender - Intensität über den war on
terrorism berichtet haben.
Ein besonders häufig angeführter Grund für einen militärischen Einsatz
im Irak war die vermutete Verbindung des Regimes mit der Terrororganisation
Al Kaida. Um einen Zusammenhang von Medienberichterstattung und politischem Output zu erforschen, wurde nach der Häufigkeit des Stichwortes "iraq"
in Kombination mit "al qaeda" gesucht. Das bedeutet, dass die Angaben in Abb.
11 die Anzahl der Artikel bzw. der Fernsehsendungen wiedergeben, in denen
beide Stichwörter verwendet wurden. Über die Art des Zusammenhangs, der
zwischen beiden Begriffen hergestellt wurde, gibt diese Form der quantitativen
Analyse keinen Aufschluss.
- 40 -
Abb. 11: Salience "Iraq" und "Al Qaeda"
Salience "iraq" AND "al qaeda" Print (N=497) und TV
(N=112)
105
67
6
5
9
Jan 03
14
13 9
Nov
02
6
17
Sep 02
4 11 6
1
Jul 02
34 41
May
02
21
14
2 6 15
Mar 02
Jan 02
12
59
35
17 15
Mar 03
65
Print
TV
Quelle: LexisNexis und Vanderbilt
In der salience von 'Irak' plus 'Al Kaida' sind für den Bereich der Printmedienanalyse zwei Höhepunkte zu verzeichnen: Im September 2002 erschienen
in den untersuchten Tageszeitungen 65 Artikel, die beide Schlagwörter enthielten. Das stellt eine Vervierfachung der salience des Vormonats dar und kann
mit der Ankündigung einer Irak-Resolution der UNO sowie mit dem Jahrestag
der Terroranschläge begründet werden.
Der zweite Höhepunkt in dieser Stichwortserie fand mit 105 Artikeln im
Februar 2003 statt, als sich ein Scheitern der Bemühungen für ein gemeinsames Vorgehen des UNO-Sicherheitsrats abzeichnete. Diese Verdreifachung der
salience gegenüber dem Vormonat Januar belegt zunächst, dass die mediale
Kriegsdebatte innerhalb der USA unter anderem anhand des Themas der Verbindungen des irakischen Regimes zur Terrororganisation Al Kaida geführt
wurde. Da es im betrachteten Zeitraum zwischen Januar 2002 und März 2003
zu keinen medienwirksamen Ereignissen wie z.B. Terroranschlägen gekommen
ist, kann man davon ausgehen, dass die erhöhte salience der Themen "Irak" in
Verbindung mit "Al Kaida" primär durch den Diskurs innerhalb der Regierung
verursacht wurde. Weiterhin ist zu beachten, dass im März 2003, also im Monat
des Kriegsbeginns, die salience von 'Irak' plus 'Al Kaida' fast auf die Hälfte des
Februar-Wertes zurückgeht. Daraus lässt sich schließen, dass in den allerletzten Wochen der Kriegsvorbereitung sowie zu Kriegsbeginn am 20. März 2003
die Verbindung von 'Al Kaida' und 'Irak' nicht mehr in dem Maße im Vordergrund stand, wie es bis dahin in der medialen Debatte der Fall war.
Ein weiteres, von Regierungsseite häufig angesprochenes Thema zu
Beginn des war on terrorism waren auf Geheimdiensterkenntnissen basierende
- 41 -
Informationen über terroristische Vorgänge. Das Vorhandensein dieser Informationen sollte (wie in Kapitel IV.1. gezeigt) das Vertrauen der Bevölkerung in die
außenpolitische Kontrollhoheit der US-amerikanischen Regierung wahren. Zur
Messung der Mediendarstellung wurde die salience von "intelligence" plus "information" ermittelt.
Abb. 12: Salience "Intelligence" und "Information"
Salience "intelligence" AND "information" Print (N=716) und TV
(N=91)
85
12
3
7
13
56
56
5
6
Print
TV
36 42
6
8
6
Mar 03
1
40
52
Jan 03
18
55
Nov 02
25
Jul 02
2
36
May 02
Jan 02
4
35
Mar 02
30
48
Sep 02
59
61
Quelle: LexisNexis
Der Verlauf der Charts in Abb. 12 zeigt wiederum eine bemerkenswerte
Parallelität für beide betrachtete Medienformate. Ein erster Höhepunkt findet
während der Monate Mai und Juni 2002 statt, wobei in Fernsehen und Presse
ein deutliches Ansteigen der Sendungen bzw. Artikel mit der genannten
Schlagwortkombination zu beobachten ist. Weitere Höhepunkte finden im September 2002 sowie im Februar 2003 statt. Die Gründe für diesen Verlauf der
Medienberichterstattung sind für Mai/Juni 2002 die Anhörungen im Kongress zu
Sicherheitslücken im Vorfeld des 11. September 2001. Die eigentlichen Anhörungen begannen am 4. Juni 2002 und sorgten bereits im Vorfeld für Spekulationen und medienwirksame Berichte.
Das geringer ausfallende lokale Hoch im September 2002 ist im Zusammenhang mit dem Jahrestag der Terroranschläge und den damit verbundenen
neuerlichen Terrorwarnungen sowie weiteren Berichten über Geheimdienstfehler zu sehen. Im Februar 2003 ist noch einmal ein Ansteigen der salience zumindest auf dem Gebiet der Printmedien zu beobachten. Diesem Anstieg liegt
die Rede von Außenminister Powell vor dem UNO-Sicherheitsrat am 5. Februar
- 42 -
2003 zugrunde, worin er sich explizit auf Geheimdiensterkenntnisse zur Rechtfertigung eines Eingreifens im Irak stützt.
Für die Schlagworte "intelligence" plus "information" lässt sich zunächst
zusammenfassen, dass das Fernsehen und die Printmedien mit annähernd
gleicher Intensität und ähnlicher zeitlicher Konzentration über das untersuchte
Thema berichten. Über die Bewertung, also den frame sowie die Wirkung auf
die Zuschauer bzw. Leser geben die Erhebungen keine Auskunft.
Eine weiteres wichtiges Schlagwort im regierungsseitigen Diskurs ist das
der 'Terrorwarnung'. Durch die mediale Übermittlung von (geheimen) Hinweisen über bevorstehende Anschläge ziehen die Presse- und Fernsehnetzwerke
nicht nur mehr Zuschauer an, sondern sie schaffen dadurch auch einen größeren Handlungsspielraum für regierungsseitige Maßnahmen im Antiterrorkampf.
Zur Überprüfung dieses Arguments wurde nach der Häufigkeit von "terror" oder
"terrorism" in Verbindung mit "warning" gesucht.
Abb. 13: Salience "Terror"/"Terrorism" und "Warning"
Salience "terror" OR "terrorism" AND "warning" Print
(N=1488) und TV (N=86)
284
Print
224
5
TV
2
Mar 03
Jan 03
2
54 68 46 60
5 14 1 2
Nov
02
8
Sep
02
9
Mar 02
Jan 02
4
42 40
21 10
1
Jul 02
51
2
124 112
101
May
02
84 80
118
Quelle: LexisNexis und Vanderbilt Television News Archive
Das herausragendste Ergebnis ist die Anzahl der Presseartikel vom Mai
2002 mit 284 Artikeln. Bei den ausgewählten drei Tageszeitungen, die der Analyse zugrunde liegen bedeutet das immerhin einen Durchschnitt von 3,05 Artikeln pro Tag und Zeitung, in denen von 'Terror' und 'Warnung' die Rede ist.
Diese überdurchschnittlich hohe salience setzte sich für den Monat Juni 2002
fort (224 Artikel). Auch die Anzahl der Nachrichtensendungen und anderer
Fernsehbeiträge, in denen 'Terrorwarnung' thematisiert wurde, ist im Mai 2002
von 8 auf 21 gestiegen. Die Gründe für diese hohe salience in beiden Medienformaten liegen im zeitlichen Zusammentreffen von tatsächlichen Terrorwar-
- 43 -
nungen seitens der amerikanischen Geheimdienste und der öffentlichen Diskussion über die Sinnhaftigkeit von vermehrt auftauchenden Warnungen auch
ohne konkreten Hinweis. Zu dieser Zeit kündigte Präsident Bush auch die
Schaffung eines eigenständigen Ministeriums (Department of Homeland Security) an.
Ein erneutes Ansteigen der salience ist für den Monat September 2002
zu verzeichnen. Der Jahrestag der Terroranschläge veranlasste die Behörden
zu einer Erhöhung der offiziellen Terrorwarnstufe von 'gelb' auf 'orange',93 was
sich auch in den Medien widerspiegelt.
Zusammengefasst ergeben sich folgende quantitative Änderungen in der
Medienberichterstattung für den Zeitraum Januar 2002 bis März 2003:
-
Die Berichterstattung über den war on terrorism ist quantitativ im Februar
2002 am höchsten und sinkt danach deutlich ab;
-
die salience von 'Al Kaida' in Verbindung mit 'Irak' entwickelte sich in die
entgegengesetzte Richtung: die meisten Erwähnungen kommen im September 2002 und im Februar 2003, kurz vor Beginn des Irak-Krieges,
vor;
-
die Ergebnisse zur Nennung von 'intelligence' und 'information' zeigen
Höhepunkte für die Monate Mai und Juni 2002 sowie eine hohe Nennung
im September 2002;
-
die Erhebungen zu 'terror(ism)' und 'warning' bestätigen die hohe mediale Fokussierung auf Themen der inneren Sicherheit im Mai/Juni sowie
September des Jahres 2002: Mai und September weisen in dieser Untersuchung die höchsten Werte auf.
In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass man in der Medienberichterstat-
tung im Vorfeld des Irak-Krieges von einem bidirektionalen Agenda-setting
sprechen kann: Es existieren zwei sich scherenförmig auseinander entwickelnde Themen der Medienberichterstattung: der war on terrorism und 'Al Kaida' in
Verbindung mit 'Irak'.
Außerdem kann man zwei in den zeitlichen Höhepunkten der Medienfokussierung parallel verlaufende Themengebiete (intelligence+information und
terror(ism)+warning) ableiten. Im Anschluss an diese Untersuchung stellt sich
93
Vgl. CNN.com: "Terror Alert Level has hovered between 'elevated' and 'high'", unter
http://edition.cnn.com/interactive/us/0305/flash.homelandsecurity/frameset.exclude.html
(Stand 12.10.2003).
- 44 -
die Frage, ob und wie die ausgemachten Veränderungen auf die Entwicklung
der öffentlichen Meinung einwirken.
V.2.
Effekt auf die öffentliche Meinung
Die Wirkung der veränderten Medienberichterstattung auf die öffentliche
Meinung wird anhand von veröffentlichten Meinungsumfragen gemessen. Das
entspricht dem zweiten von vier unterschiedlichen Typen öffentlicher Meinung
(vgl. S. 3). Dabei werden die Resultate der Medienberichterstattung mit den vorliegenden Umfrageergebnissen im gleichen Zeitraum verglichen. Ziel dieser
Teiluntersuchung ist es, Erkenntnisse über den Grad der Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch die Medienberichterstattung zu erlangen. Einschränkend wirken hierbei Thema und Zeitraum der durchgeführten Befragungen manche Themen werden unter verzerrenden Fragestellungen abgefragt oder
können mangels Datenmaterial nicht für jeden gewünschten Zeitraum dargestellt werden.
Zuerst wird der Zusammenhang zwischen den Meldungen über Terrorwarnungen und dem öffentlichen Empfinden in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit erneuter Terroranschläge analysiert (vgl. Abb. 14).
Abb. 14: Umfrage: Wahrscheinlichkeit neuer Terroranschläge
How likely do you think it is that there will be another terrorist
attack in the United States within the next few months?*
22
21
62
75
35
16
21
Very/
Somewhat
Likely
Not Very/
Not At All
Likely
Mar
03
31
82
77
Jan
03
74
Nov
02
16
24
67
Sep
02
22 23
Mar
02
Jan
02
30 34
Jul 02
62
May
02
65
81 75
74 74
Quelle: CBS News/New York Times94
* keine Werte für März, August und Dezember 2002 ermittelbar
Dabei ist festzustellen, dass stets die Mehrheit der Befragten neue Terroranschläge in den USA für möglich hält. Die höchste Terrorangst zeichnet
sich in den Monaten Juni 2002 und Februar 2003 ab. Diese Entwicklungen
94
Vgl. AEI, S. 100-101.
- 45 -
stimmen mit dem zeitlichen Verlauf der Medienberichterstattung über die Themen 'Terrorwarnung' und 'Geheimdienstinformationen' überein, welche im
Mai/Juni 2002 und Februar 2003 ihre Höhepunkte hatte. Diese Übereinstimmung lässt auf eine rasche Übermittlung des medialen Inhalts in das öffentlich
wiedergegebene Bewusstsein schließen. Gleiches gilt für die salience der
Stichworte "intelligence"+"information", wobei hier zusätzlich der Monat September 2002 eine hohe Trefferanzahl aufweist. Wenn man bedenkt, dass im
September 2002 außerdem die Terrorwarnstufe durch das Homeland Security
Advisory System von 'gelb' auf 'orange' erhöht wurde, ist es eigentlich verwunderlich, dass die befragte Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt in geringerem Maße mit Terroranschlägen rechnete als in anderen Monaten.
Eine weitere Befragung beschäftigt sich mit dem "Zwischenstand" im war
on terrorism (vgl. Abb. 15): Dabei lässt die Frage nach dem Sieger im war on
terrorism drei mögliche Antworten zu: entweder die USA mit ihren Verbündeten,
keine Partei, oder die Terroristen kommen als Gewinner in Frage.
Abb. 15: Umfrage: Sieger im war on terrorism
33
39
37
44
43
46
44
43
32
31
33
35
37
Mar 3-5, 2003
41
17
Feb 03
46
16
Jan 31-Feb 2, 2003
43
19
Dec 5-8, 2002
49
20
Nov 02
35
21
Oct 14-17, 2002
14
Aug 5-8, 2002
Mar 4-7, 2002
47
16
Jul 5-8, 2002
39
14
Jun 21-23, 2002
34
15
May 28-29, 2002
10
53
Feb 02
Jan 7-9, 2002
66
10
Apr 22-24, 2002
7
25
Sep 02
Who do you think is currently winning the War against
Terrorism?*
The
Terrorists
Neither
Side
U.S.
and
Allies
Quelle: Gallup/CNN/USA Today bzw. für November 2002: CBS/NYT95
* keine Werte für Februar 2002, September 2002 und Februar 2003 ermittelbar
Die Antworten unterliegen dabei beträchtlichen Schwankungen: waren im
Januar 2002 (also kurz nach dem Ende der Kampfhandlungen in Afghanistan)
noch zwei Drittel aller Befragten der Meinung, dass die USA und ihre Verbündeten den war on terrorism gewinnen, schrumpfte dieser Wert im Oktober 2002
95
Vgl. AEI, S. 6-7.
- 46 -
auf den tiefsten Stand; nur noch ein Drittel aller Befragten glaubte zu diesem
Zeitpunkt an einen Sieg der Vereinigten Staaten. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass sich die Zahl derer, die überhaupt keinen Sieger im Kampf gegen
den Terror sehen, von Januar bis Juni 2002 verdoppelt hat. Diese Einstellung
ändert sich bis zum Beginn des Irak-Krieges im März 2003 nur unwesentlich.
An einen Sieg der Terroristen glaubt stets eine Minderheit der Befragten. Jedoch wächst diese Minderheit, je länger der Afghanistan-Krieg und damit ein Erfolg im war on terrorism zurück liegt.
In der Bewertung dieser Entwicklung fallen eindeutige Parallelen zur Medienberichterstattung über das Thema war on terrorism auf. Das allgemeine
Absinken der salience zu diesem Thema (vgl. Abb. 10, S. 38) wird von einem
allgemeinen Absinken der Siegesgewissheit in der amerikanischen Öffentlichkeit begleitet. Dabei wirkt die rege Berichterstattung vom Januar bis März 2002
auf die öffentliche Meinung etwa bis zum Mai 2002 nach. Bis zu diesem Zeitpunkt sieht eine Mehrheit der Befragten die USA und ihre Alliierten als Sieger.
Gleichzeitig wächst die öffentliche Unsicherheit über den Stand der Dinge im
Anti-Terror-Kampf: Die Tatsache, dass die Mehrheit der Befragten eine ausweichende Antwort ("Neither Side") gibt, kann auch als Absage an den war on terrorism gewertet werden. Besonders ab dem Monat Juni 2002 zeichnet sich eine
konstante Mehrheit für "Neither Side" ab und auch die Nennungen für "The Terrorists" erreichen Werte um die 20 Prozent.
Das Umfrageergebnis vom Oktober 2002 ist aus amerikanischer Sicht
das pessimistischste. Diese Werte wurden vom 14. bis 17. Oktober 2002 erhoben und standen daher unter der Einwirkung der Medienberichterstattung zu
den Anschlägen von Bali am 12. Oktober 2002.96
Die Parallelität der Entwicklungen von Umfragewerten und salience im
Falle des war on terrorism führt zu der Erkenntnis, dass ein Absinken in der
Medienberichterstattung auch zu einer geringeren Präsenz des jeweiligen Themas in der öffentlichen Meinung führt.
Mit der Frage nach dem Siegesbewusstsein im war on terrorism verbunden ist auch die Frage nach der Befürwortung eines militärischen Eingreifens im
Irak (vgl. Abb. 16). Für die Erhebung der Daten musste dabei auf die Erkennt-
96
Bei einem Terroranschlag in einem Vergnügungsviertel im indonesischen Bali sterben am
12. Oktober 2002 über 200 Menschen.
- 47 -
nisse von zwei verschiedenen Umfrageinstituten zurückgegriffen werden. Durch
die unterschiedlichen Testpersonen und die abweichende Fragestellung können
die Ergebnisse nur eingeschränkt verglichen werden; grundsätzliche Tendenzen lassen sich aber dennoch ableiten.
Abb. 16: Umfrage: Befürwortung militärisches Eingreifen im Irak
Do you approve or disapprove of the U.S. taking military
action against Iraq to try and remove Saddam Hussein from
power?*
Approve
Disapprove
Mar 3-5, 2003
Feb 7-9, 2003
37 35 39 38 34 37
Jan 31-Feb 2, 2003
Aug 19-21, 2002
Jul 02
May 02
Apr 02
Mar 7-10, 2002
Feb 21, 2002
Jun 17-19, 2002
31
24 30 24
Jan 24-27, 2002
39
Dec 9-10, 2002
41
56 59 55 58 63 59
Nov 8-10, 2002
53 57
Oct 14-17, 2002
61
72
Sep 13-16, 2002
71 67
Quelle: Januar-März 2002: ABC News/Wash Post; Juni 02-März 03: Gallup/CNN/USA Today; für April, Mai und Juli 2002 keine Angaben verfügbar.97
*Fragestellung Jan-März 2002: "Would you favor or oppose having U.S. forces take military
action against Iraq to force Saddam Hussein from power?";
Fragestellung Jun, Aug, Sep 2002: “Would you favor or oppose sending American ground
troops to the Persian Gulf in an attempt to remove Saddam Hussein from power?”
So ist bei der Betrachtung der Ergebnisse festzustellen, dass ein militärischer Einsatz im Irak stets von einer Mehrheit der Befragten befürwortet wird.
Der Grad der Zustimmung schwankt jedoch; zu Beginn des Jahres 2002 war er
höher als zum Ende des Jahres 2002. Im Gegensatz dazu steht der Verlauf der
salience der Themen 'Irak' und 'Al Kaida' in Fernsehen und Printmedien (vgl.
Abb. 11, S. 40). Die Medien berichten im gleichen Zeitraum verstärkt über den
Zusammenhang zwischen Al Kaida und dem Irak, jedoch ohne dadurch in den
Meinungsumfragen erhöhte Zustimmung zu erzeugen. Auch die Berichte über
vermehrte Terrorwarnungen oder neue Geheimdienstinformationen lassen keinen Zusammenhang mit der öffentlichen Unterstützung des Irak-Krieges erkennen, wie sie hier durch eine eingeschränkte Datenmenge gegeben ist. Man
kann also aus dem Ergebnis schließen, dass die öffentliche Meinung in der
97
Vgl. AEI, S. 24-25.
- 48 -
Frage des eines Angriffs auf den Irak nicht der Medienberichterstattung zu den
untersuchten Themenbereichen gefolgt ist bzw. dass die inhaltliche Gestaltung
der vielen Berichte keine erhöhte öffentliche Zustimmung in dieser Frage generiert hat. Fest steht, dass die hier angewandte Methode der quantitativen Messung von Medienberichterstattung den Verlauf der öffentlichen Meinung nicht
ausreichend erklären kann. Für die Erforschung dieser Frage müssten andere
Faktoren wie z.B. die Gestaltung des framing in den entsprechenden Berichten
analysiert werden.
Um den Einfluss der Medienberichterstattung in seiner priming-Wirkung
nachzuweisen, ist die Betrachtung der Frage nach dem Most important problem
von hoher Bedeutung.
Abb. 17: Umfrage: Most important problem Jan 02-Mrz 03
What do you think is the most important problem facing this
country today?
40%
33%
35%
32%
30%
Economy
(general)
Terrorism
20%
Fear of
War
13%
4%
10%
10%
Mar 3-5, 03
Feb 3-6, 03
Jan 13-16, 03
Dec 5-8, 02
Nov 11-14, 02
Oct 14-17, 02
Sep 5-8, 02
Aug 5-8, 02
Jul 9-11, 02
Jun 3-6, 02
May 6-9, 02
Apr 8-11, 02
Mar 4-7, 02
Feb 4-6, 02
Jan 7-9, 02
0%
Quelle: The Gallup Brain98
Die Ergebnisse aus Abb. 17 lassen zwei gegenläufige Tendenzen erkennen: die Anzahl der Befragten, die 'Terrorismus' als wichtigstes Problem ansehen, sinkt mit Unterbrechungen ab und die Werte für die Probleme 'Wirtschaft'
und 'Kriegsangst' steigen nahezu parallel an. Im Vergleich zur Medienberichterstattung ergeben sich für den Chart der Terror-Problematik weitgehende Gemeinsamkeiten: Die Berichterstattung über Terrorwarnungen (vgl. Abb. 13, S.
42) hat ihren höchsten Stand im Mai/Juni 2002, was sich auch in den Antworten
der MIP-Frage widerspiegelt. Das folgende Absinken der Werte wird ein Mal im
Monat Oktober 2002 unterbrochen, was mit den Ereignissen von Bali in Zu98
unter http://brain.gallup.com (Stand 10.9.2003).
- 49 -
sammenhang steht. Von dieser Unterbrechung abgesehen ist jedoch ein sinkenden Problembewusstsein für das Thema "Terrorismus" zu verzeichnen. Das
bestätigt auch den Trend der Umfrage zum Sieger im war on terrorism: wenn
das Problem nicht mehr akut ist, ist auch die Frage nach dem Sieger nicht mehr
eindeutig zu beantworten.
Der Verlauf der Ergebnisreihen zu den Themen "Wirtschaft" und "Kriegsangst" ist in Abb. 17 weitgehend parallel. Dabei steht die Sorge um "Wirtschaft"
bis auf ca. drei Monate vor dem Irak-Krieg bei der Mehrheit der Befragten im
Vordergrund. Daraus lässt sich schließen, dass für die amerikanische Öffentlichkeit Krieg und Wirtschaft in engem Zusammenhang stehen und daher ein
Krieg vor allem eine Sorge um den Zustand der Wirtschaft bedeutet.
Insgesamt erleben wir in der Betrachtung der öffentlichen Meinung von
Januar 2002 bis März 2003 ein Auseinanderklaffen der Themen "Krieg" und
"Terrorismus". Die Ergebnisse der Meinungsumfragen lassen darauf schließen,
dass die Probleme des Terrorismus wie am 11. September 2001 geschehen
und das Problem des geplanten Krieges im Irak öffentlich als Bestandteile
zweier verschiedener Prozesse wahrgenommen werden. Für den war on terrorism heißt das, dass mit Beginn des Irak-Krieges die ursprüngliche Verquickung
von Antiterrorkampf und Kriegseinsätzen weder in den Medien noch in der Öffentlichkeit präsent ist.
V.3.
Verändertes Regierungshandeln
Der Zusammenhang zwischen den Medien und der Regierung soll in
diesem Abschnitt auf die Frage hin untersucht werden, ob das Regierungshandeln in bestimmten Fällen der Medienberichterstattung folgt. Stuart N. Soroka
geht davon aus, dass eine Veränderung im Regierungshandeln aufgrund von
geänderter Medienberichterstattung auf zwei Ebenen möglich ist: eine indirekte
Reaktion würde beispielsweise bei einem veränderten issue priming, d.h. in einer Verschiebung der Prioritäten im außenpolitischen Diskurs erfolgen. Zum
anderen können direkte politische Veränderungen z.B. in der Höhe des Verteidigungshaushaltes aus der Fokussierung der Medienberichterstattung auf außenpolitische Themen resultieren.99
99
Vgl. Soroka, S. 34-42.
- 50 -
In Bezug auf die US-Administration gibt es drei wesentliche politische
Outputs für den Analysezeitraum Januar 2002 bis März 2003, denen jeweils
auch vom US-Kongress zugestimmt wurde:
1.
strukturelle Änderung der Administration durch Einrichtung des neuen Ministeriums Department of Homeland Security;
2.
Präsident Bush legt dem Kongress ein erhöhtes Haushaltsbudget vor, das
insbesondere für die Posten Verteidigung und Homeland Security Zuwächse aufweist;
3.
militärischer Angriff auf den Irak am 20. März 2003.
Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob die veränderte Medienberichter-
stattung tatsächlich der Auslöser für die genannten Outputs ist, bzw. inwiefern
die Medien für indirekte Effekte (priming)100 verantwortlich sind.
Die Einrichtung einer Behörde eigens für den Schutz des Territoriums
der USA vor terroristischen Anschlägen wurde von Präsident Bush unmittelbar
nach dem 11. September 2001 vorangetrieben. Bereits am 8. Oktober 2001
wurde per executive order die Einrichtung eines Office of Homeland Security
unter der Leitung von Tom Ridge beschlossen. Ziel dieser Maßnahme war die
Bündelung aller die innere Sicherheit betreffenden Verantwortlichkeiten aus den
Bereichen Transport, Zuwanderungskontrolle, Justiz, Wissenschaft etc. unter
einem Dach. Eine der ersten Aufgaben war die Einrichtung eines landesweit
einheitlichen Warnsystems für Terroranschläge nach dem Muster von Unwetterwarnungen anhand einer Farbskala. Das sogenannte Homeland Security
Advisory System wurde am 12. März 2002 vorgestellt und erhöhte zwischen
März 2002 und März 2003 die Terrorwarnstufe drei Mal von 'elevated' (gelb) auf
'high' (orange).101 Auf der einen Seite sollten damit bei etwaigen zukünftigen
Anschlägen alle Vorwürfe abgewehrt werden können, die Behörden hätten die
Bevölkerung nicht ausreichend gewarnt. Auf der anderen Seite gewinnt die für
die Öffentlichkeit oft diffuse Situation der Gefahr von Terroranschlägen ein konkretes Bild mit konkreten Verantwortlichkeiten.
Die Aufgaben des Exekutivbüros für Heimatschutz wurden am 21. März
2002 durch die Schaffung des President's Homeland Security Advisory Council
100
101
Vgl. Soroka, S. 34-42.
Vgl. CNN.com.
- 51 -
erweitert.102 Damit verfügt das weiße Haus seitdem über drei besondere Beratungsgremien neben dem Prototyp des National Security Council: den Economic Security Council und den neu hinzugekommenen Homeland Security
Council.
Um die notwendige Zustimmung des Kongresses für diese administrative
Umgestaltungsmaßnahme zu erhalten, musste Präsident Bush zunächst die
amerikanische Öffentlichkeit von diesem Vorhaben zu überzeugen. Dazu stellte
er die Idee des Department of Homeland Security am 6. Juni 2002 in einer
Fernsehansprache vor.103 Erst am 19. November 2002 kam es zu einer endgültigen Einigung im US-Senat. Dabei stimmten 90 Abgeordnete für und 9 Abgeordnete gegen das Gesetz zur Einrichtung des Ministeriums.104 Am 25. November 2002 wurde das Gesetz unterzeichnet, und Tom Ridge (der bisherige Chef
des Exekutivbüros) zum Minister für Heimatschutz benannt.105
Die Entwicklung der Medienberichterstattung zu den Themen 'Terrorwarnung' oder 'Geheimdienstinformation' zeigt eine zeitnahe Wiedergabe des
Regierungshandelns in den analysierten Medien (siehe Abb. 12, S. 41 sowie
Abb. 13, S. 42). Ein Einwirken auf die Regierung infolge einer gezielten
Medienberichterstattung über ein spezielles Thema lässt sich anhand dieses
Falles nicht erkennen. Das Regierungsoutput "Schaffung des Ministeriums für
Heimatschutz" ist also nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht von der
Medienberichterstattung gesteuert oder beeinflusst worden. Der Vergleich von
Output und salience zeigt hier vielmehr, dass die Medienberichterstattung dem
Regierungshandeln folgt und nicht umgekehrt.
Das zweite wesentliche Output der Regierung Bush ist der Haushaltsvorschlag für das fiskalische Jahr 2003 durch das dem Weißen Haus unterstellte
Office of Management and Budget: Im Vergleich zu einem Gesamtausgabenwachstum von 76 Mrd. US$ (+3,7%) steigen die geplanten Verteidigungsaus102
103
104
105
Vgl. "Homeland Security Council Executive Order", unter: http://www.whitehouse.gov/
news/releases/2002/03/20020321-9.html, (Stand 8.12.2003).
Vgl. "Remarks by the President in Address to the Nation", 6. Juni 2002, unter: http://www.
whitehouse.gov/news/releases/2002/06/20020606-8.html (Stand 8.12.2003); gemäß den
Angaben des Vanderbilt Television News Archives wurde diese Ansprache nicht vollständig
im Fernsehen übertragen, sondern als Ausschnitt in die Abendnachrichten des 6. Juni 2002
integriert.
Vgl. "U.S. Senate Roll Call Votes 107th Congress - 2nd Session" unter: http://www.senate.
gov/legislative/LIS/roll_call_lists/roll_call_vote_cfm.cfm?congress=107&session=2&vote=00
249 (Stand 9.1.2004).
Vgl. Homeland Security Archive, unter http://www.whitehouse.gov/homeland/archive.html
(Stand 22.11.2003).
- 52 -
gaben um 32 Mrd. US$ (+9,5%) und die als "non-defense" klassifizierten Ausgaben für das neugeschaffene Department of Homeland Security um 13 Mrd.
US$ (+111%) an.106 Es waren vor allem diese zusätzlichen Kosten der Neuerrichtung des Heimatschutzministeriums, von deren Notwendigkeit die USamerikanische Öffentlichkeit und der Kongress überzeugt werden mussten. Der
Haushaltsvorschlag des Präsidenten wurde dem Kongress am 4. Februar 2002
zugestellt und dort bis zum Beginn des fiskalischen Jahres am 1. Oktober 2002
verhandelt.
Wenn man der Medienberichterstattung in diesem Zeitraum folgt, kann
man zum Zeitpunkt des Budgetvorschlags im Januar/Februar 2002 eine hohe
salience für das Schlagwort war on terrorism feststellen (vgl. Abb. 10). Das medial vermittelte und öffentlich empfundene Bewusstsein, dass sich die USA im
Krieg befinden, beflügelte und rechtfertigte die wirtschaftlich ungesunde Haushaltsaufstellung. Präsident Bush war sich seines Abrückens vom republikanischen Wirtschaftsverständnis sehr wohl bewusst, als er sich in einer Rede vom 7. Juni 2002 folgendermaßen verteidigt:
"…I remember campaigning in Chicago, and one of the reporters said, would you ever
deficit spend? I said only -- only in times of war, in times of economic insecurity as a result of a recession, or in times of national emergency. Never did I dream we'd have a
trifecta…"107
Man kann also an dieser Stelle vermuten, dass das Klima der Medienberichterstattung durchaus einen Einfluss auf die Höhe der Ausgaben zur Verteidigung und zum Schutz vor Terroranschlägen hatte. Das würde einer von Soroka angeführten direkten Politikänderung in Folge der Medienberichterstattung
entsprechen. Ob sich die allgemeinen politischen Prioritäten innerhalb der Regierung im Sinne eines priming-Effektes ebenfalls verschoben haben, lässt sich
mit dem vorliegenden Instrumentarium nicht nachweisen.
Wenn man noch einmal die Ausgangsdefinition von war on terrorism,
nämlich die umfassende Neuausrichtung der US-amerikanischen Außenpolitik
zugrunde legt, stellt der Angriff auf den Irak den vorläufigen Höhepunkt des war
on terrorism dar. Der Wandel von Isolationismus in den ersten Monaten der
Amtszeit von Präsident Bush zum Interventionismus in Folge der Anschläge
106
107
Budget of the United States Government. Fiscal Year 2003. Summary Tables, S. 395-398,
unter: http://w3.access.gpo.gov/usbudget/fy2003/pdf/bud34.pdf (Stand 7.12.03).
"President Discusses Homeland Security Department", unter: http://www.whitehouse.
gov/news/releases/2002/06/20020607-4.html (Stand 8.12.2003).
- 53 -
vom 11. September 2001 ist durch den weitgehend unilateral erfolgten Angriff
auf den Irak vollzogen worden. Dieser wohl wichtigste politische Output der ersten Amtszeit von Präsident Bush ist das Ergebnis eines Prozesses, der mit den
Terroranschlägen vom 11. September 2001 begonnen hatte. Um einen etwaigen Zusammenhang dieser Entscheidung mit der Medienberichterstattung über
außenpolitische Themen nachzuweisen, ist ein Vergleich der salience der jeweiligen Schlagwörter nötig.
Die Berichterstattung zum Thema war on terrorism ist - wie bereits ausgeführt - zwischen Februar 2002 und März 2003 um zwei Drittel abgesunken
(vgl. Abb. 10). Ebenso wurde bereits festgestellt, dass das quantitative Element,
also das Agenda-setting der Medien, in allen betrachteten Fällen dem Regierungshandeln folgt. Eine Überprüfung für den umgekehrten Fall, in dem also die
einzelnen Aktionen der Exekutive als mögliche Folge der Medienberichterstattung zu sehen sind, bestätigt dieses Ergebnis: die Entscheidung für den Beginn
des Irak-Krieges kann in keinen Zusammenhang mit der hier analysierten Medienberichterstattung von Januar 2002 bis März 2003 gebracht werden. Dieses
Ergebnis wird auch durch die Betrachtung der übrigen Themenfelder bestätigt:
die Berichte über 'Terrorwarnungen' (vgl. Abb. 13, S. 42) kumulierten im Mai
2002 und wiesen danach nur noch geringe Schwankungen in Folge von regierungsseitigen Warnhinweisen auf. Im Februar 2003 war die salience noch einmal höher als in den Vormonaten, was aber eher eine Reaktion der Presse auf
die vom Department of Homeland Security veranlassten Anhebungen des Bedrohungsniveaus darstellt als eine bewusste Beeinflussung der Außenpolitik.
Die Berichterstattung zum Thema 'Geheimdienstinformationen' (vgl. Abb.
12, S. 41) hatte die höchsten Werte im Mai 2002, September 2002 und Februar
2003 - was ebenfalls eine Reaktion der Medien auf die von der Regierung freigegebenen und als Argumentationsmittel verwendeten Geheimdienstinformationen darstellt.
Eine den oben genannten Themen entgegengesetzte Entwicklung stellt
die salience für die Stichworte "iraq" und "al qaeda" dar (vgl. Abb. 11, S. 40).
Hier erkennt man eine eindeutige Zunahme der Anzahl der Zeitungsartikel und
TV-Berichte, in denen der Irak im Zusammenhang mit Al Kaida erwähnt wird.
Von September 2002 bis März 2003 werden in den drei betrachteten Tageszeitungen insgesamt 406 Zeitungsartikel über das Thema veröffentlicht. In den
- 54 -
sieben vorhergehenden Monaten (Februar bis August 2002) sind es hingegen
nur 79 Artikel. Für die TV-Berichterstattung beträgt das analoge Verhältnis 85
zu 36 Sendungen. Rückt nun der Irak-Krieg näher, je mehr über Al Kaida und
Irak berichtet wird, oder wird häufiger über Al Kaida und Irak berichtet, je wahrscheinlicher ein Angriff der US-Streitkräfte wird? Die qualitative Analyse der
einzelnen der LexisNexis-Artikel für den Monat Februar 2003108 zeigt, dass die
Begriffe 'Irak' und 'Al Kaida' in der medialen Debatte über den bevorstehenden
Krieg zu Schlagwörtern geworden sind. Die unterschiedlichsten Themenbereiche, von Wirtschaft über inländische Terrorabwehr bis öffentliche Meinung werden mit diesen beiden Schlagwörtern besetzt. Davon abgesehen handeln die
meisten Artikel über die Chancen, Risiken und Wahrscheinlichkeiten des geplanten Kriegs. Durch diesen "Ausflug" in die qualitative Medienanalyse lässt
sich zumindest feststellen, dass die Medien dem Kriegsthema große Aufmerksamkeit schenken und die laufende Diskussion innerhalb der Regierung multiplizieren. In welcher Weise die Regierungspläne in den Medien bewertet werden,
kann aus dem vorliegenden Datenmaterial nicht abgelesen werden. Deshalb
kann man nicht belegen, dass die Medien durch ihre Interpretation der Kriegsvorbereitungen die Bemühungen der Regierung Bush unterstützt und den
Kriegsausbruch beschleunigt haben. Man kann also resümieren, dass die Medien im Falle des Zusammenhangs von Al Kaida und Irak ihr Agenda-setting
überproportional im Vergleich zu den regierungsseitigen Äußerungen gesteigert
haben. Gleichwohl ist nicht bewiesen, dass diese Steigerung zum Output "Angriff auf den Irak" geführt hat.
V.4.
Auswertung
Ausgehend vom Modell des medialen Vermittlungsprozesses (vgl. Abb.
1, S. 14) wurde in diesem Kapitel die Wirkung von Änderungen im Agendasetting der Medien auf die öffentliche Meinung und das Regierungshandeln überprüft. Dabei ließen sich folgende bidirektionale Änderungen in der Häufigkeit
der Medienberichterstattung feststellen: über das Thema war on terrorism wurde mit sinkender Häufigkeit berichtet, über den Irak im Zusammenhang mit Al
108
Vgl. "LexisNexis(TM) Email Request (1841:0:13985064)", Dokumente Nr. 70-174, s.
beiliegende CD-ROM.
- 55 -
Kaida mit zunehmender Häufigkeit. Dieser Vorgang entspricht den beiden Pfeilen in Teilprozess C des Modells des medialen Vermittlungsprozesses.
Die nachlassende Berichterstattung über den war on terrorism hat bei
dieser Untersuchung eine wachsende Unentschlossenheit in der öffentlichen
Meinung zur Folge. Der Glaube an den eigenen Sieg in diesem Konflikt nimmt
ab, je weniger über das Thema berichtet wird. Die Prioritätenfrage "most important problem" bestätigt diesen Trend, denn das Problem 'Terrorismus' rangiert
in seiner Wichtigkeit den Erhebungen zufolge deutlich hinter den Problemen
'Krieg' und 'Wirtschaft'. Es ist also festzuhalten, dass zu Beginn des IrakKrieges im März 2003 vom einstigen war on terrorism in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem der Aspekt "Krieg" präsent ist. Das Terrorismusproblem hat
sich zwischen Januar 2002 und März 2003 vom Thema Irak losgelöst.
Die öffentliche Zustimmung zur Frage eines militärischen Eingreifens im
Irak entzieht sich dem Zusammenhang mit der bisher betrachteten Medienberichterstattung. Letztere unterliegt beträchtlichen quantitativen Schwankungen,
während die Zustimmung zum Irak-Krieg davon nicht beeinflusst wird. Wenn
man davon ausgeht, dass die öffentliche Wahrnehmung von außen- und sicherheitspolitischen Themen in hohem Maße von der Präsentation in den Medien abhängt, so verhält sich die öffentliche Meinung im Fall des Irak-Kriegs atypisch. Mögliche Gründe für die mehrheitliche Zustimmung in der Bevölkerung
zum Krieg sind die extreme Förderung des Anliegens durch die Regierung Bush
sowie der besondere Stellenwert des Themas "Irak" in der Außenpolitik der
USA. Weitere Gründe für die Diskrepanz zwischen Medienberichterstattung und
öffentlicher Meinung liegen in den mangelnden Analysemöglichkeiten für den
Inhalt der Medienberichte (besonders im TV-Format) sowie in der Qualität der
Meinungsumfragen.
Bei der Thematik der Terrorwarnungen und Geheimdiensterkenntnisse
reagierte die öffentliche Meinung sehr rasch auf die Veränderung der Medienberichterstattung. Allerdings konnte auf eine regierungsseitige Maßnahme - der
Erhöhung der Terrorwarnstufe im September 2002 - keine Reaktion in den Umfrageergebnissen festgestellt werden. Daraus ist zu schließen, dass die mediale
Präsentation von Fakten das entscheidende Wahrnehmungskriterium für sicherheitspolitische Themen in der öffentlichen Meinung darstellt.
- 56 -
Es lässt sich durch die vorangegangene Untersuchung nicht nachweisen,
dass die Medienberichterstattung das Regierungshandeln beeinflusst hätte. Die
Errichtung des Department of Homeland Security steht in keinem Zusammenhang mit der salience sicherheitspolitischer Themen. In der Gestaltung des Etats für das Verteidigungs- und Heimatschutzministerium kann man eine mediale Beeinflussung vermuten. Immerhin fand der Vorschlag des präsidentiellen
Office of Mangement and Budget zur Anhebung der Etats beider Einrichtungen
in einer Zeit statt, in der die salience des war on terrorism außerordentlich hoch
war. Damit ist ein direkter medialer Einfluss auf das Regierungshandeln zwar
nicht nachgewiesen, er kann aber vermutet werden.
Im Vorfeld des Angriffs auf den Irak ist in den Medien überproportional
über das Thema 'Irak' berichtet worden. Dennoch ist auch hier festzustellen,
dass diese erhöhte Medienberichterstattung eine Folge des Regierungshandelns ist und daher keine Beeinflussung des Regierungshandelns durch die
Medienberichterstattung nachgewiesen werden kann.
VI.
Partiell mediale Vermittlung des war on terrorism im Vorfeld des
Irak-Krieges
Die in den Medien übertragenen Ansprachen des Präsidenten oder an-
derer hochrangiger Regierungsvertreter gehören zur unmittelbaren Erfahrung
exekutiver Führungsstärke durch die Öffentlichkeit. Der Sprecher erhält einen
Präsentationsspielraum, in dem er seine Positionen und Pläne ohne Unterbrechung darstellen kann. Die Medien nehmen lediglich eine reagierende Rolle ein.
Durch anschließendes Kommentieren der Rede bzw. durch das Anfügen gegnerischer Positionen können sie jedoch den Eindruck der Ansprache nachträglich beeinflussen. "Reine" Reden ohne medialen Einfluss sind nur durch persönliches Erleben vor Ort erfahrbar, oder durch einen Abbruch des Fernsehprogramms nach Beendigung der Ansprache. Die im Fernsehen übertragenen oder
in den Printmedien zitierten Reden unterliegen daher in den allermeisten Fällen
den Einflüssen Dritter. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit die
Übertragung von Ansprachen mit anschließender Kommentierung als Bereich
der partiell medialen Vermittlung von Innen- und Außenpolitik gewertet.109
109
Vgl. Paletz, S. 268-270.
- 57 -
In diesem Abschnitt soll zum einen betrachtet werden, wie die direkten
Ansprachen von Regierungsvertretern die öffentliche Meinung im Vorfeld des
Irak-Krieges beeinflusst haben (entspricht Pfeil F im Modell des medialen Vermittlungsprozesses)110 und zum anderen, ob das Stimmungsbild der öffentlichen Meinung Einfluss auf bestimmte Regierungsentscheidungen hatte (entspricht Pfeil G).
VI.1. Fernsehansprachen der Regierungsvertreter
Im Bezug auf den war on terrorism sollen in diesem Abschnitt verschiedene Ansprachen von Präsident Bush, Vizepräsident Cheney und Außenminister Powell betrachtet werden. Als Auswahlkriterium gilt die vollständige Übertragung der Rede durch eine der großen Fernsehstationen111 im Zeitraum Januar
2002 bis März 2003.
Das Medium Fernsehen unterscheidet sich in den USA durch eine flächendeckende landesweite Verbreitung von den überwiegend lokal ausgerichteten Printmedien. Die Fernsehberichterstattung konzentriert sich daher auf
Themen von nationaler Relevanz, also auf das politische Zentrum Washington,
das "Goldene Dreieck" und insbesondere auf den Präsidenten. Durch seine
herausragende konstitutionelle Stellung genießt er einen Vorteil im Kampf um
die mediale Aufmerksamkeit:
"When the president speaks, the networks listen and so, therefore, do millions of Americans."112
Die Fernsehansprachen des Präsidenten stellen also eine wichtige Botschaft an die amerikanische Öffentlichkeit dar. Ein weiterer Aspekt solcher
Fernsehansprachen ist die überdurchschnittliche Verbreitung des Mediums
Fernsehen in den Vereinigten Staaten, wo in Universitäten, Krankenhäusern,
Flughäfen und Busstationen zu bestimmten Zeiten das gleiche Programm übertragen wird. Normalerweise sendet man dort Eigenwerbung, aber bei größeren
nationalen Anlässen wie Präsidentenansprachen oder in Kriegszeiten werden
diese Stationen an das aktuelle Programm angeschlossen. Das führt zu einer
110
111
112
Vgl. Abb. 1, S. 15.
ABC, CBS, CNN und NBC; überprüfbar durch Angaben im Vanderbilt Television News Archive.
Behr und Iyengar, zit. in: Iyengar/Kinder, S. 124.
- 58 -
wesentlich höheren öffentlichen Verbreitung der Präsidentenansprachen als
z.B. der Inhalte der gewöhnlichen Abendnachrichten.
Im Analysezeitraum Januar 2002 bis März 2003 wurden von den USFernsehnetzwerken ABC, CBS, CNN oder NBC insgesamt 19 Reden übertragen.
Abb. 18: Übersicht TV-Ansprachen Regierung Bush Jan 02-Mrz 03
ÜBERSICHT TV-ANSPRACHEN REGIERUNG BUSH JANUAR 2002 BIS MÄRZ 2003
2002
Januar
•
•
•
•
•
George W. Bush Town Meeting
George W. Bush Speech Re: Education
George W. Bush Speech Re: Trade Policy
George W. Bush Speech Re: US Economy
George W. Bush State of the Union Address
Februar
• George W. Bush Speech Re: Health Care
(11.2.02)
August
• George W. Bush & Dick Cheney Speeches
(7.8.02)
• George W. Bush Speech Re: Defense Budget
Dezember • George W. Bush Speech Re: Faith & Community
Plan
(5.1.02)
(8.1.02)
(15.1.02)
(22.1.02)
(29.1.02)
(2.12.02)
(12.12.02)
Januar
• George W. Bush Speech Re: Economy
• George W. Bush State of the Union Address
• George W. Bush Speech Re: HIV Funding
(7.1.02)
(28.1.02)
(31.1.02)
Februar
•
•
•
•
•
(3.2.02)
(5.2.02)
(6.2.02)
(10.2.02)
(26.2.02)
2003
George W. Bush Speech Re: Bioterrorism
Colin Powell UN Speech Re: Iraq
George W. Bush Speech Re: Iraq
George W. Bush Speech Re: Iraq
George W. Bush Speech Re: Iraq
Die für die Analyse ausgewählten Reden sind fett gedruckt.
Quelle: Vanderbilt Television News Archive
Um die Reaktion der öffentlichen Meinung zu messen, wurden hierbei
sechs Reden ausgewählt, von denen drei vor den Kongresswahlen vom November 2002 stattfanden (Rede zur Lage der Nation am 29. Januar 2002113
sowie Doppelansprachen Cheney in San Francisco und Bush in Madison, Mississippi, zum Enron-Skandal am 7. August 2002114) sowie drei Reden, die nach
den Kongresswahlen gehalten wurden (Ansprache zur Unterzeichnung des Verteidigungsbudgets für das fiskalische Jahr 2003 am 2. Dezember 2003115, Rede
113
114
115
"President Delivers State of the Union Address", 29. Januar 2002, unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/01/20020129-11.html (Stand 31.10.2003).
"President Calls for Medical Liability Reform and Worker Pension Protection", 7. August
2002, unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/08/20020807-1.html (Stand
1.11.2003) sowie "Vice President Discusses the President's Economic Security Agenda", 7.
August 2002, unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/08/20020807-4.html
(Stand 1.11.2003).
"President Signs National Defense Authorization Act", 2. Dezember 2002, unter http://www.
whitehouse.gov/news/releases/2002/12/20021202-8.html (Stand 1.11.2003).
- 59 -
zur Lage der Nation am 28. Januar 2003116 und Beitrag von Colin Powell vor
der UNO am 5. Februar 2003117).
Um die partielle mediale Vermittlung dieser Ansprachen zu untersuchen,
müssten auch die unmittelbar nach den Reden abgegebenen TV-Kommentare
berücksichtigt werden. Da diese aber nicht frei zugänglich sind, werden stattdessen die Reaktionen der Printmedien am jeweils folgenden Tag in die Betrachtung einbezogen. Es gilt die Annahme, dass die Inhalte der TVKommentare in die Kommentare der Printmedien eingearbeitet sind.
Die Rede zur Lage der Nation von Präsident Bush im Januar 2002 war
die erste Ansprache nach dem 11. September 2001 und zugleich der erste Lagebericht in der Amtszeit des Präsidenten. Ansprachen zur Lage der Nation
sind grundsätzlich an die gemeinsame Sitzung beider Kammern (joint session)
gerichtet. Da die Rede aber einen Höhepunkt des Arbeitsjahres des Präsidenten darstellt, erlangt sie eine hohe mediale Aufmerksamkeit und wird somit auf
die Bedürfnisse der amerikanischen Öffentlichkeit ausgerichtet.
Der Inhalt der Rede vom 29. Januar 2002 bezieht sich zu etwa gleichen
Teilen auf innen- und außenpolitische Themen. Den Rahmen bildet der gegenwärtige war on terrorism (Bush hier: war on terror) und die Rolle der Vereinigten Staaten für das weitere Vorgehen in diesem Krieg. Es erfolgt eine eindeutige Einteilung des Anti-Terror-Kampfes in Phasen, wobei Afghanistan die
Phase eins und das Vorgehen "...gegen Regime, die chemische, biologische
oder nukleare Waffen suchen..." die Phase zwei darstellen. Legendär ist die
Gleichsetzung der Staaten Irak, Iran und Nordkorea mit einer "Achse des Bösen"118, womit der Gegensatz der 'guten, zivilisierten Welt' und der 'terroristischen Bedrohung in Form des sich zusammenschließenden Bösen' dargestellt
werden soll. Das Ziel der Rede ist es, die Bevölkerung auf die nächsten Schritte
in der Außenpolitik einzustimmen und die Unterstützung für einen Rekordhaushalt im Bereich der Verteidigung zu gewinnen.
116
117
118
"President Delivers 'State of the Union'", 28. Januar 2003, unter http://www.whitehouse.gov/
news/releases/2003/01/20030128-19.html (Stand 1.11.2003).
"U.S. Secretary of State Colin Powell Addresses the U.N. Security Council", 5. Februar
2003, unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2003/02/20030205-1.html (Stand
31.10.2003).
Die Urheberschaft des Ausdrucks 'axis of evil' wird David Frum und Michael Gerson zugeschrieben; vgl. Page, Susan: "'Axis of evil' often repeated, but not by Bush. Three little
words", USA Today, 27.1.2003, S. 9A.
- 60 -
Die Reaktionen der Printmedien befassen sich mit der historisch besonderen Situation dieser Rede und Bushs Präsidentschaft:
"President Bush delivered a message last night that told more about the robust state of
his presidency than the uncertain State of the Union…"119
"This was not a typical State of the Union address, with a laundry list of proposals reflecting weeks of administration jockeying. To his credit, President Bush delivered a
wartime address…"120
Von der Presse kritisierte Punkte waren vor allem die unsichere Finanzierung der Steuererleichterungen und der erhöhten Ausgaben im Zusammenhang mit dem war on terrorism.
Am 7. August 2002, drei Monate vor den Kongresswahlen und mitten im
Bilanzskandal der Firmen Enron und WorldCom hielten George W. Bush und
sein Stellvertreter Dick Cheney ungefähr zeitgleich eine Ansprache. Präsident
Bush sprach in Madison, Mississippi im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung
und Vizepräsident Cheney hielt einen Vortrag vor dem Commonwealth Club in
San Francisco. Beide Vorträge wurden im Fernsehen übertragen, die Rede von
Bush jedoch unvollständig, da CNN zwischendurch aus San Francisco übertrug.121
Inhaltlich befassten sich beide Ansprachen mit der Lage der Wirtschaft,
der Wirtschaftsethik sowie dem weiteren Vorgehen in der Irakpolitik. Bush stellt
eine Prioritätenliste auf: zuoberst steht die Wahrung der nationalen Sicherheit,
was im Konkreten die Weiterführung des war on terrorism bedeutet. An zweiter
Stelle folgt die innere Sicherheit (Homeland Security), für die der Präsident
durch die Errichtung entsprechender Ministerien aktiv Sorge trägt. An dritter
Stelle schließt Bush mit der Wahrung der ökonomischen Sicherheit, die die Regierung zwar unterstützt, die aber vom amerikanischen Volk ausgehen muss.
Auf diese Weise verknüpft Bush außen- und innenpolitische Themen geschickt
miteinander und stellt gleichzeitig klar, dass die republikanische Partei in allen
drei Themen die besseren Lösungsangebote hat. Diese Priorisierung von gewissen Wahlkampfthemen ist eine aktive Form des priming, bei der bestimmte,
119
120
121
Vgl. "George W. Bush's Moment", NYT, 30.1.2002, Editorial Desk, S. 26.
Vgl. "The State of the Union . . .", Washington Post, 30.1.2002, Editorial, S. A22.
Ob dieser Übertragungswechsel geplant war oder nicht, lässt sich im Nachhinein nicht mehr
nachvollziehen. Cheneys Auftritt wurde von Demonstranten gestört, die sich kritisch zu seinen Verbindungen zu Enron und zur Irakpolitik äußerten. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass die Bush-Rede zugunsten der medienwirksameren Ereignisse in San Francisco
unterbrochen wurde. Vgl. Vanderbilt Television News Archive, http://tvnews.vanderbilt.edu
(Stand 11.11.2003).
- 61 -
später wahlentscheidende Kriterien für die Bewertung von Kandidaten im Vorfeld betont und in ihrer Wahrnehmung gesteuert werden.
Vizepräsident Cheney befasst sich mit denselben Themen. Die Wirtschaft braucht neue Impulse, um das Endziel (hier: der Sieg im war on terrorism) zu erreichen. Beide Ansprachen dienen der Unterstützung von republikanischen Senatoren und Repräsentanten im Kongresswahlkampf 2002, indem
sie sich bemühen, von den mutmaßlichen eigenen Verwicklungen mit den Bilanzskandalen abzulenken und das Vertrauen bei den Wählern wiederherzustellen.
In den Medien sind die Auftritte auch als twin speeches122 bezeichnet
worden, womit der auffälligen Gleichheit von Inhalt und Absicht beider Ansprachen Rechnung getragen wird. Thematisch wird der für einen Vizepräsidenten
ungewöhnlich große Einfluss Cheneys auf den Präsidenten123 sowie die Skepsis der Regierungsvertreter über die Effektivität der Waffeninspektionen im Irak
hervorgehoben:
"The vice president's remarks were the latest sign that the Bush administration, which is
heavily engaged in planning for war with Iraq, is likely to proceed with its effort to oust
Mr. Hussein even if he were to allow the United Nations inspectors to return."124
Obwohl Bush den Irak nicht wörtlich erwähnt hat, sprach er dennoch von
regime change, womit das Thema 'Irak-Krieg' trotz der Bilanzskandale in beiden
Reden wirkungsvoll auf die Agenda gesetzt wurde.
Die Unterzeichnung des Verteidigungsbudgets am 2. Dezember 2002 für
das Jahr 2003 im Pentagon wurde aufgrund des zu erwartenden militärischen
Einsatzes der USA zu einem besonderen Anlass. Deswegen wurde die Unterzeichnung sowie die damit verbundene Ansprache von Präsident Bush auf dem
Fernsehsender CNN übertragen. Es war die erste Demonstration der neuen
Repräsentanten- und Senatorenzusammensetzung nach den Kongresswahlen
vom November 2002. Durch die neuen Mehrheiten konnte das erhöhte Verteidigungsbudget problemlos beschlossen werden und bescherte dem Präsidenten somit eine neue exekutive Stärke. Die Ansprache selbst war in erster Linie
122
123
124
Vgl. Nieves, Evelyn/Bumiller, Elisabeth "In Twin Speeches, Bush and Cheney Vow to Fight
Fraud", NYT, 8.8.2002, National Desk, S. 21.
Vgl. Milbank, Dana "Cheney Willing To Run for 2nd Term in 2004", Washington Post,
8.8.2002, S. A1.
Marquis, Christopher: "Cheney Doubts Weapons Inspectors Can End Baghdad's Threat",
NYT, 8.8.2002, Foreign Desk, S. 4.
- 62 -
für den Kongress und in zweiter Linie für die amerikanische Öffentlichkeit bestimmt. Inhaltlich beschäftigte sich die Ansprache mit außen- und verteidigungspolitischen Überlegungen:
"We're a nation at war. America must understand we're at war… Defeating this enemy
requires fighting a different kind of war, what we call the first war of the 21st century."125
Die Medienreaktion auf die Unterzeichnung war verhalten. Nur die New
York Times und die USA Today veröffentlichten jeweils einen Artikel, in dem die
Ansprache erwähnt wurde. Von dem unterzeichneten Verteidigungsbudget war
darin auch nur am Rande die Rede. Das Hauptinteresse galt dem Ultimatum für
die Offenlegung der Abrüstungsbeweise, die die USA Saddam Hussein für den
8. Dezember 2002 gesetzt hatten und den möglichen Konsequenzen im Falle
einer Nichtkooperation. Letztere wurde als das wahrscheinlichste Ergebnis des
Ultimatums angesehen, was die Vorlage für weitere Diskussionen um den IrakKrieg lieferte.126
Die Rede zur Lage der Nation am 28. Januar 2003 führt die Argumentation des Präsidenten für einen Krieg gegen den Irak fort. Da der Kongress bereits im Oktober 2002 seine formale Zustimmung für einen solchen militärischen
Angriff gegeben hatte, musste Bush die Legislative nicht mehr überzeugen. Die
zweite Rede zur Lage der Nation in seiner Amtszeit war daher vor allem an die
Öffentlichkeit gerichtet, die sich durch das zähe Ringen um Unterstützung in der
UNO unzufrieden mit der Durchsetzungskraft des Präsidenten zeigte. Gleichzeitig wurde die enorme internationale Aufmerksamkeit für diese Ansprache berücksichtigt indem Bush sich in einem Abschnitt direkt an die irakische Öffentlichkeit wandte:
"And tonight I have a message for the brave and oppressed people of Iraq: Your enemy
is not surrounding your country -- your enemy is ruling your country."127
Insgesamt verfolgte Bush in seiner Rede eine klare Trennung von innenund außenpolitischen Themen. Während er im innenpolitischen Teil reguläre
Themen wie Wirtschaft und Gesundheitsvorsorge anschnitt, ging es im außenpolitischen (und wegen der nachhaltigeren Wirkung an den Schluss gestellten)
Teil um die Bekämpfung von HIV/AIDS, die Fortschritte im war on terrorism und
125
126
127
"President Signs National Defense Authorization Act", 2. Dezember 2002.
Vgl. Nichols, Bill: "Iraqi 'compliance' doubted", USA Today, 3.12.2002, News, S. 1A.
"President Delivers 'State of the Union'", 28. Januar 2003.
- 63 -
zu mindestens einem Drittel der gesamten Redezeit um die Notwendigkeit eines militärischen Vorgehens gegen den Irak. Das Erbringen von konkreten Beweisen wurde von Bush elegant vertagt: am Schluss seiner Rede kündigte er
an, dass der bis dahin als "Taube" geltende Außenminister Colin Powell am 5.
Februar 2003 vor der UNO Beweise über das irakische Waffenprogramm, die
Täuschungsversuche gegenüber den Inspektoren sowie die Verbindungen des
Irak zu Terroristengruppen vorlegen sollte.
In den Reaktionen der Medien wurde vor allem auf die berechnenden Elemente von Bushs gesamter Argumentation bezug genommen. So unterstellte
ihm sowohl die New York Times als auch die USA Today, dass er die wirtschaftlichen Daten zu Beginn seiner Rede nur aufgezählt hätte, um Fehler seines Vaters zu vermeiden128:
"That's one reason Bush devoted the first half of his speech to the economy, not war -a lesson learned from his father's failure to win re-election…In the speech, Bush declared his "first goal" was to create jobs...But the headlines this morning are more likely
to center on his defiant comments toward Iraq and those at the United Nations…"129
Selbst die konservative Washington Post sieht durch die Ansprache allein den Erfolg von Bushs Politik noch nicht garantiert. Sie befürwortet eine Einbeziehung der Vereinten Nationen für einen Angriff im Irak:
"…with public opinion polls showing growing doubts about his leadership on the economy and ambivalence about his policy toward Iraq, last night's speech alone will not resolve the questions before him. What it will take is his ability to rally support at the
United Nations, and with that, the support of the American people. As he said to Congress last night, 'decisive days . . . lie ahead'."130
Insgesamt fällt das Urteil der Printmedien über die zweite Rede zur Lage
der Nation verhalten positiv aus. Man lobt Bush's Entschlossenheit, bemängelt
aber die fehlenden Beweise und Erklärungen für einen Angriff gegen den Irak.
Statt dessen konzentriert sich das Medieninteresse auf die angekündigte Präsentation von Colin Powell vor der UNO.
Der Vortrag des Außenministers vor der UNO, mit dem die Regierungen
der Mitgliedsstaaten für einen Krieg geworben werden sollten, stellt einen ungewöhnlich öffentlichen Versuch von Diplomatie dar. Die übliche Praxis von bilateralen, informellen Vorverhandlungen wird hier eindeutig zugunsten einer
128
129
130
Ex-Präsident George Bush sen. hatte sich durch den erfolgreichen Golfkrieg von 1991 zu
wenig auf die Entwicklung der Wirtschaft konzentriert und u.a. aus diesem Grunde die Präsidentschaftswahlen 1992 gegen Bill Clinton verloren.
Page, Susan: "Bush's Year 3 like 'first 100 days on steroids'", USA Today, 29.1.2003, S. 6A.
Balz Dan: "One Topic Rules Bush's Thinking", Washington Post, 29.1.2003, S. A 01.
- 64 -
hohen Öffentlichkeitswirkung vernachlässigt. Daraus lässt sich auf die Bedeutung schließen, die dem Agieren der USA auf dem UNO-Parkett seitens der
US-amerikanischen Regierung beigemessen wird. Nicht nur, dass Präsident
Bush den Vortrag in seiner prime-time address angekündigt und damit die mediale Aufmerksamkeit für diesen Vorgang erhöht hat. Auch die Person Colin
Powell steht für die Botschaft, die die USA hier aussenden wollten: ein bisheriger Kriegsskeptiker, der jetzt angesichts der 'eindeutigen' Beweislage von der
Notwendigkeit eines Eingreifens überzeugt ist, versucht nun 'die ganze Welt' für
ein Eingreifen zu gewinnen. Der Vortrag von Powell am 5. Februar 2003 vor der
UNO war im Vergleich mit den Ansprachen von Präsident Bush von einer ungewohnten Sachlichkeit geprägt. Powell beschränkte sich größtenteils auf die
Wiedergabe von Fakten und verband diese mit einer eindringlichen Mahnung
zu schnellem Handeln. Weiterhin versuchte er, die Beweisschuld Saddam Husseins zu belegen. Deren Fehlen stelle eindeutig eine Verletzung der vorangegangenen Resolution 1441 dar und ein rechtfertige somit das militärische Eingreifen der USA.
Die Medien zeigten überaus positive Reaktionen über die neuartige und
faktenorientierte Darlegungsweise des Außenministers. Das belegen allein die
Artikelüberschriften am Tag nach der Präsentation:
"Powell lays out convincing evidence of Iraq's defiance. Today's debate: Disarming Iraq.
Our view: U.N. address gives reluctant countries sound reasons to ally with U.S."131
"I'm Persuaded"132
Einer Untersuchung von Editor & Publisher zufolge fand nach Powells
Ansprache in vielen US-amerikanischen Tageszeitungen ein signifikanter Umschwung von Kriegsskepsis zur Unterstützung der Irakpolitik der Regierung
statt. Hatten sich zuvor fünf Tageszeitungen in ihren Leitartikeln für einen Angriff auf den Irak ausgesprochen, stieg deren Zahl am Tag nach Powells Ansprache auf 15 (unter ihnen die Washington Post) an. Die Zahl derjenigen Tageszeitungen, die die Mittel der Diplomatie für die Lösung der Krise bevorzugen, sank der Untersuchung zufolge von 29 auf elf (unter ihnen weiterhin die
New York Times).133
131
132
133
"Powell lays out convincing evidence of Iraq's defiance", USA Today, 6.2.2003, S. 12 A.
McGrory, Mary: "I'm Persuaded", Washington Post, 6.2.2003, Editorial, S. A37.
Vgl. Berman, 7.2.2003.
- 65 -
In der Rückschau vermitteln die Ansprachen der Exekutive die kontinuierliche Weiterführung einer Argumentationslinie, die am 12. September 2001
ihren Ausgangspunkt genommen hatte. Das Primat der Außenpolitik über die
Innenpolitik ist eine der wichtigsten Änderungen, die die Administration nach
den Terroranschlägen verfolgt hat. Dieser Wechsel wird in den Ansprachen
ganz besonders deutlich. Budgeterhöhungen, Steuererleichterungen und innenpolitische Gesetzgebung dienen allesamt einem Endziel, dem war on terrorism. Auch nach Beendigung der unmittelbaren Kampfhandlungen in Afghanistan erklären die Vertreter der Exekutive, dass sich die USA weiterhin im Krieg
befinden. Die große allgemeine Bedrohung durch Terrorismus wird in der Zeit
von Januar 2002 bis März 2003 schrittweise eingeengt, so dass am Ende nur
eine Handlungsoption offen bleibt: ein militärischer Angriff im Irak unabhängig
vom Verhalten des UNO-Sicherheitsrates.
Die Aufgabe des Präsidenten ist hierbei die Vermittlung des Bedrohungsszenarios, auf dessen Grundlage ein militärisches Eingreifen im Irak
zwingend notwendig wird. Dabei verfolgt George W. Bush die Taktik, seine
mangelnden rhetorischen Fähigkeiten durch Einfachheit in der Sprache und eine emotionale Beziehung zum war on terrorism zu ergänzen. Das Auftreten des
Vizepräsidenten Cheney im August 2002 ist im Bezug auf die Darstellung der
wirtschaftlichen Situation sehr viel konkreter und sachlicher als Bushs gelegentliche Aufzählung von regierungsseitigen Maßnahmen. Im Bereich der Kriegsrhetorik jedoch waren Cheneys Bemerkungen genau auf denen Präsidenten
angepasst und stimmten mit diesen teilweise wörtlich überein. Im Gegensatz zu
dieser Kriegsrhetorik steht der faktenorientierte Vortrag von Außenminister Powell, der sich in den Bereichen außerhalb der Beweisführung höchstens auf
Aspekte wie Dringlichkeit und die Frage der Beweisschuld konzentrierte.
Die Medien haben in ihren ersten Reaktionen auf die direkten Ansprachen sehr wohl zwischen innen- und außenpolitischen Absichten der Redner
unterschieden. Dabei wurde gerade der wirtschaftspolitische Aspekt kritisiert,
nämlich dass die steigenden Staatsausgaben nicht gegenfinanziert, sondern
von Steuerkürzungen zusätzlich belastet werden. Insgesamt bekommt die Regierung Bush sowohl vor als auch nach den Kongresswahlen schlechte wirtschaftliche Noten. Im Bereich der Außenpolitik zeigt sich, dass die von der Regierung vertretene Linie in der Irakpolitik verhalten skeptisch beurteilt wird. Die
- 66 -
Kosten für einen Krieg erscheinen vielen Kommentatoren als zu hoch, und der
Nutzen bzw. die von der Regierung ausgemachte Bedrohung sind nicht zwingend genug. Besonders in den Zeiten der Bilanzfälschungsskandale erfährt die
Fokussierung auf den Irak nur geringe mediale Unterstützung. Der Vortrag von
Colin Powell bekam positive Reaktionen und bewirkte bei vielen Medien einen
Richtungswechsel hin zu einer Unterstützung der Regierungspolitik. Damit verbunden ist auch ein Wechsel des Auditoriums: waren bislang Ansprachen vor
den Vereinten Nationen an die anwesenden Amtskollegen aus den Mitgliedsländern gerichtet, so war bei der Rede von Powell das heimische Publikum an
den Bildschirmen der Hauptadressat. Ob ein Umschwenken weiterer Mitgliedsländer hin zu einer Unterstützung der US-Politik zum Zeitpunkt der Ansprache
tatsächlich noch als realistisch erachtet wurde, lässt sich bezweifeln. Schließlich
hatten die USA auf diplomatischer Ebene keine Zugeständnisse, sondern subjektiv interpretierbare "Beweise" anzubieten. Der UNO-Sicherheitsrat fungierte
hierbei als Forum für eine Debatte zwischen Regierung und Öffentlichkeit der
USA.
VI.2. Ansprachen und öffentliche Meinung
Im folgenden soll die Entwicklung der öffentlichen Meinung zu bestimmten Kernthemen der Reden untersucht werden. Das dokumentierte Datenmaterial beruht hierbei auf kostenfrei zugänglichen Veröffentlichungen der Umfrageinstitute.
Zunächst geht es um die Frage, ob die zahlreichen Kommunikationsbemühungen der Regierung Bush die US-amerikanische Bevölkerung zufriedenstellend von der Notwendigkeit eines Militäreinsatzes im Irak überzeugen konnte.
Bei der Betrachtung des Verlaufs der Antworten sind zwei "Wellen" hervortretender Zustimmung festzustellen. Im September 2002 (+15%) sowie im
Februar 2003 (+11%). Obwohl für den Monat November 2002 keine Messwerte
vorliegen, kann man davon ausgehen, dass zwischen September 2002 und
Februar 2003 ein stetiger Niedergang der Anzahl der sich gut informiert fühlenden Befragten vorliegt. Die Anzahl derjenigen Befragten, die sich für unzureichend informiert hält, steigt im Gegenzug stetig an und übertrifft im Vormonat
der jeweiligen Aufschwünge die Anzahl der sich gut informiert fühlenden Be-
- 67 -
fragten deutlich. Insgesamt geht es um eine Größenordnung von 10 - 15 Prozent der Befragten, die wechselnde Antworten geben und dadurch diese
Schwankungen verursachen. Sie sind das Publikum, dem sich die Regierungsvertreter in ihren Ansprachen besonders zuwenden.
Abb. 19: Umfrage: Erklärung Kriegsgründe Irak
Do you think George W. Bush has explained clearly
what’s at stake as to why the U.S. might use military
force to end the rule of Saddam Hussein, or do you
think he has not explained the reasons clearly
enough?*
49
Explained
Clearly
47
Not
Clearly
40
13-16
Mar 03
42
53
12-18
Feb 03
45
53
8-12
Jan 03
45
4-8
Dec 02
48
Nov 02
37
48
17-27
Oct 02
37
12-14
Sep 02
52
14-25
Aug 02
52
Quelle: PSRA/Pew Research Center134
* keine Werte für Nov 2002 ermittelbar
Eine mögliche Begründung für die beiden gemessenen Aufschwünge in
den Monaten September 2002 und Februar 2003 könnten die Bemühungen der
Regierung Bush um die Einbeziehung der UNO in die Irak-Kriegspläne sein.
Unter dem Eindruck der Medienberichterstattung zum Jahrestag des 11. September hielt George W. Bush einen Tag später eine 25-minütige Ansprache vor
der UNO-Vollversammlung, in der er die Zusammenarbeit der USA mit dem
UNO-Sicherheitsrat zur Verabschiedung einer gemeinsamen Irak-Resolution
ankündigte.135 Diese Rede wurde von den amerikanischen Fernsehstationen
nicht direkt ausgestrahlt,136 obgleich sie eine überraschende Wende der USamerikanischen Irak-Politik darstellt. In den Abendnachrichten des 12. September 2002 wird das Thema allerdings in allen großen TV-Netzwerken mit Beiträgen zwischen sieben und 34 Minuten Länge und einer 30-minütigen Sonder-
134
135
136
AEI, S. 32.
"President's remarks at the United Nations General Assembly", 12. September 2002, unter
http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/09/20020912-1.html (Stand 16.8.2003).
Vgl. Abb. 18 , S. 58.
- 68 -
sendung (ABC Nightline) berichtet.137 Daher kann man davon ausgehen, dass
die Einbeziehung der UNO durch die Bush-Regierung in der amerikanischen
Öffentlichkeit ausreichend beachtet wurde.
Der Zuwachs an sich gut informiert fühlenden Befragten im Februar 2003
ist auf die Summe der Eindrücke aus George W. Bushs Rede zur Lage der Nation und aus dem Vortrag von Colin Powell vor dem UNO-Sicherheitsrat zurückzuführen. Das erneute Absinken in der Klarheit der Kriegsgründe unmittelbar vor Beginn des Militäreinsatzes im März 2003 lässt außerdem den Schluss
zu, dass das Gefühl der Informiertheit bei den Befragten umso niedriger ist, je
länger der letzte öffentliche medial vermittelte Auftritt eines Regierungsvertreters zurückliegt.
Von besonderer Bedeutung in der öffentlichen Debatte um den Irak-Krieg
ist die Frage, ob der geplante militärische Einsatz von der Öffentlichkeit unterstützt oder abgelehnt wird. Die Umfragewerte zur Zustimmung für einen Militäreinsatz im Irak (siehe Abb. 16, Seite 47) zeigen, dass eine militärische Lösung
stets von einer Mehrheit der befragten Personen befürwortet wird. Durch die unterschiedlichen Umfragemethoden und die leicht veränderte Fragestellung kann
es zu Abweichungen in den Ergebnissen und demzufolge eingeschränkter Vergleichbarkeit kommen. Dennoch ist klar ersichtlich, dass die Zustimmung zu einem militärischen Eingreifen in der Zeit von März bis August 2002 gesunken ist.
Dafür können innenpolitische Probleme wie die Bilanzskandale und die wirtschaftliche Rezession verantwortlich gemacht werden. Des Weiteren zeigt sich,
dass im Februar 2003 - nach der zweiten Rede zur Lage der Nation und nach
Powells Vortrag vor dem UNO-Sicherheitsrat - die Zustimmung zu einem militärischen Eingreifen um sieben Prozent anstieg.
Wenn man bedenkt, welche Anstrengungen die Regierung Bush durch
öffentliche Auftritte und den Gang vor die UNO zur Gewinnung der öffentlichen
Meinung in der Frage des Irak-Krieges unternommen hat, so sind die ermittelten Zustimmungswerte kein sonderlich großer Fortschritt. Ein deutliches Absinken der Unterstützung im Verlauf des Jahres 2002 sowie ein geringer Anstieg
im Februar 2003 zeigt, dass die Kampagne an der Heimatfront nur bedingt als
Erfolg gewertet werden kann. Immerhin steht die Mehrheit der Befragten hinter
dem Kurs der Regierung Bush. Der geringe Zuwachs vom Februar 2003 und
137
Vgl. Vanderbilt Television News Archive.
- 69 -
der Rückgang der Zustimmung im darauffolgenden Monat zeigen, wie sich die
Fronten in Verlauf des Kampfes um die öffentliche Meinung gefestigt haben.
Das eigentliche Thema, der war on terrorism, hat im Vorfeld des IrakKrieges deutlich an medialer Aufmerksamkeit eingebüßt.138 Beim Betrachten
der Umfragewerte (siehe Abb. 15, Seite 45) stellt man fest, dass die Überzeugung vom Sieg der USA und den Alliierten im Januar 2002 nach dem militärischen Erfolg in Afghanistan mit 66 Prozent am höchsten war. Trotz der "axis of
evil"-Rede Ende Januar 2002 sinkt diese Überzeugung bis zum Oktober/November 2002 ab, so dass zu jenem Zeitpunkt nur noch knapp die Hälfte,
also 31 Prozent der Befragten an einen Sieg der USA und der Alliierten im war
on terrorism glauben. Dabei spielen sicherlich die Ereignisse von Bali, aber
auch eine allgemeine Unklarheit über das Konzept des war on terrorism eine
Rolle. In diesem Sinne ist auch die mehrheitliche Meinung zu deuten, die im
war on terrorism überhaupt keinen Sieger sieht: von Juni 2002 bis März 2003
pendelt dieser Wert zwischen 43 und 49 Prozent. Der Angriff auf den Irak jedoch ist ein konkretes Ziel, das zudem schon für lange Zeit eine wichtige Rolle
in der US-amerikanischen Außenpolitik gespielt hat.139 So ist auch der scheinbare Widerspruch zu erklären, wonach sich trotz der Skepsis in Bezug auf den
war on terrorism stets eine Mehrheit der Befragten für einen Einsatz im Irak
ausspricht.
Die Betrachtung von allgemeinen und langfristig gemessenen Stimmungswerten wie dem most important problem und der Zustimmungsrate für
Präsident Bush bestätigt diese Dichotomie. Der Terrorismus hat seinen Höhepunkt als wichtigstes Problem in der öffentlichen Wahrnehmung im Juni 2002
(siehe Abb. 17, S. 48). Zu diesem Zeitpunkt fanden Kongress-Anhörungen zu
einem möglichen Versagen der Geheimdienste im Vorfeld des 11. September
2001 statt. Danach sinkt der Terrorismus in der öffentlichen Problemwahrnehmung und wird auch während der intensiven Kriegsvorbereitungszeit von November 2002 bis März 2003 sein altes Niveau nicht erreichen. Der lokale Höhepunkt im Oktober 2002 ist mit hoher Wahrscheinlichkeit den Geschehnissen in
Bali sowie der Zustimmung des Kongresses zu einem militärischen Einsatz im
Irak geschuldet.
138
139
Vgl. Abb. 10, S. 38.
Vgl. Szukala, S. 29-30.
- 70 -
Die Häufigkeit, mit der "Kriegsangst" als wichtigstes nationales Problem
genannt wird, verhält sich gegenläufig zur Terror-Wahrnehmung. Waren im Juni
2002 nur vier Prozent der Befragten über einen nahenden Krieg besorgt, so
wurde dieses Problem zwischen Januar und März 2003 zusammen mit der
Wirtschaft am häufigsten als wichtigstes Problem genannt.
Wenn man die prozentuale Veränderung der Zustimmung bzw. Ablehnung zu den Meinungsumfragen als Messgröße für den Erfolg einer öffentlich
übertragenen Rede eines Regierungsvertreters annimmt, so lassen sich nur für
drei der fünf betrachteten Reden Änderungen in der Zusammensetzung der öffentlichen Meinung feststellen. Die erste Rede zur Lage der Nation sowie die
Doppelansprache zu den Bilanzskandalen im August 2002 können mit keiner
Änderung der öffentlichen Meinung (wie sie sich aufgrund des verfügbaren Datenmaterials gestaltet) in Verbindung gebracht werden.
In der Frage nach dem Sieger im war on terrorism (vgl. Abb. 15, S. 45)
ließ sich keine Beeinflussung der Antworten durch eine der analysierten Reden
feststellen. Das heißt nicht, dass dieser Einfluss sicher ausgeschlossen werden
kann, nur zeigen sich keine signifikanten Änderungen, die mit dem Effekt einer
der Ansprachen begründet werden könnten.
In der Frage nach dem most important problem (vgl. Abb. 17, S. 48) gibt
es in den Monaten September 2002 bis Februar 2003 einen Anstieg der Nennung "Kriegsangst" von 25 Prozent. Zwischen November und Dezember 2002
findet eine Steigerung von ca. fünf Prozent statt, die u.a. durch die Rede von
Präsident Bush anlässlich der Unterzeichnung des Verteidigungshaushalts für
das Jahr 2003 vom 2. Dezember 2002 beeinflusst sein könnte. Das gleiche gilt
für den Anstieg von ca. fünf Prozent zwischen Januar und Februar 2003, welcher unter dem Einfluss der Präsidentenrede zur Lage der Nation (28. Januar
2003) sowie des Vortrags des Außenministers vor dem UNO-Sicherheitsrat (5.
Februar 2003) entstanden sein könnte.
Die Antworten auf die Frage nach der Klarheit der Kriegsgründe (vgl.
Abb. 19, S. 67) weisen zwischen Januar und Februar 2003 einen Anstieg von
11 Prozent auf. Dieser Anstieg kann ebenfalls mit der Doppelwirkung der Ansprachen von Bush und Powell begründet werden. Allerdings lassen die verfügbaren Erhebungsdaten der Meinungsforschungsinstitute keine Aufspaltung dieses Anstiegs in Teilreaktionen auf die einzelnen Reden zu.
- 71 -
Die Erhebungsdaten zur Frage nach der Zustimmung zum Irak-Krieg
(vgl. Abb. 16, S. 47) hingegen zeigen deutlich, dass nach der Bush-Rede drei
Prozent mehr und nach der Powell-Rede fünf Prozent mehr Befragte einen militärischen Einsatz im Irak befürworten. Wenn man einen möglichen Messfehler
von drei Prozent zugrunde legt, so kann nur der Anstieg infolge der PowellRede als Einfluss auf die öffentliche Meinung gewertet werden. Wenn man dazu noch die positiven Medienreaktionen auf die Powell-Rede in die Betrachtung
einbezieht, ist der Effekt dieser Rede auf die entscheidende Frage der Unterstützung eines Irak-Angriffes höher als der Effekt der Bush-Rede zur Lage der
Nation. Im Detail ist dies zugleich ein Tribut an die sachorientierte Darlegungsweise des Außenministers im Vergleich zur moralisierenden Rolle, die vom USPräsidenten verkörpert wurde. Dennoch steht ein Zuwachs der Kriegsunterstützer in Höhe von acht Prozent in keinem Verhältnis zu den Bemühungen der
Regierung Bush, die Öffentlichkeit im eigenen Land von diesem Krieg zu überzeugen. Die Mehrheit der befragten Personen befürwortete zwar den Regierungskurs, aber die Überzeugungsarbeit der Regierung Bush zu Beginn des
Jahres 2003 kann dafür nicht ausschlaggebend gewesen sein. Vielmehr liegt es
an der Tatsache, dass der Irak seit der Ölkrise der 70er Jahre im Blickfeld der
US-amerikanischen Außenpolitik stand.
In diesem Zusammenhang ist auch die Entwicklung der Zustimmungsrate zur Arbeit des Präsidenten im Vorfeld des Irak-Krieges zu sehen (vgl. Abb.
20). Im Zeitraum Januar 2002 bis März 2003 setzt sich der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gestartete Rally-Effekt fort, seine Intensität
nimmt allerdings ab. Lediglich eine Unregelmäßigkeit im allgemeinen Abwärtstrend ist im Juli 2002 auszumachen. Dieser Anstieg der approval rate von ca.
sechs Prozent lässt sich durch den Nationalfeiertag am 4. Juli erklären, der im
Jahre 2002 zum ersten Mal nach den Terroranschlägen begangen wurde. In
der Ansprache zu diesem Feiertag140 bezog sich Präsident Bush unter anderem
auf die äußere Bedrohung nach dem 11. September 2001 und auf die militärische Stärke der Vereinigten Staaten, was mit hoher Wahrscheinlichkeit zu dem
festgestellten Anstieg der approval rate führte. Bereits einen Monat später ist
140
Vgl. "President Honors Veterans at West Virginia Fourth of July Celebration", 4. Juli 2002,
unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/07/20020704-3.html, (Stand
26.11.2003).
- 72 -
dieser minimale Anstieg wieder durch den allgemeinen Abwärtstrend überlagert.
Abb. 20: Umfrage: Zustimmungsrate Präsident Bush Jan 02-Mrz 03
Do you approve or disapprove of the way George W. Bush is
handling his job as President?
84 82
77 76 76
70 76 68
71
66 67 68 64 63 61
57
Mar 22-23 03
Mar 3-5 03
Feb 7-9 03
Jan 3-5 03
Dec 5-8 02
Nov 8-10 02
Oct 3-6 02
Sep 2-4 02
37
29 32 34
27
25
29
28
26
Aug 5-8 02
Jul 5-8 02
Jun 3-6 02
May 6-9 02
Apr 5-7 02
Mar 4-7 02
Feb 4-6 02
Jan 7-9 02
23 18
12 14 18 19 19
approve
disapprove
Quelle: Gallup/CNN/USA Today141
In diesem Zusammenhang ist weiterhin zu bemerken, dass ein ähnlicher
lokaler Rally-Effekt nach dem Jahrestag des 11. September in 2002 nicht festgestellt werden kann. Das kann an der zeitlichen Verschiebung der Meinungsumfrage liegen, die erst zwischen dem 3. und 6. Oktober 2002 erhoben wurde.
Innerhalb einer Zeitspanne von drei Wochen sind kurzfristige Ankündigungen
möglicherweise wieder aus dem Bewusstsein der Befragten verschwunden.
Anfang März 2003 hat die Zustimmungsrate nahezu den Wert von Anfang September 2001 (51% approve; 39% disapprove) erreicht. Diese Dauer
von ca. 18 Monaten weist hier nicht nur auf den intensivsten sondern auch auf
den längsten Rally-Effekt in der Geschichte der Vereinigten Staaten hin.142 Zu
Beginn des Irak-Krieges im März 2003 steigt die Zustimmungsrate für Präsident
Bush noch einmal um ca. 14 Prozent an, was die Theorie des Rally-Effekt für
den Fall der Kriegsführung bestätigt.
Die Betrachtung der Zustimmungsraten für Präsident Bush lässt außerdem wenig Zusammenhang mit den im Fernsehen übertragenen Ansprachen
aufkommen. Weder die erste noch die zweite Ansprache zur Lage der Nation
im Januar 2002 und 2003 haben für einen Zuwachs in der Zustimmungsrate für
141
142
Vgl. AEI, S. 145-146.
Vgl. Hetherington/Nelson, S. 37.
- 73 -
Präsident Bush gesorgt. Die übrigen im Fernsehen übertragenen Reden (August und Dezember 2002) zeigen keine Auswirkung auf die Zufriedenheitsrate
für den Präsidenten. Demgegenüber stehen kurzfristige Anstiege der approval
rate bei symbolischen Anlässen und Feiertagen, die allerdings den allgemeinen
Abwärtstrend nicht umkehren können. Als Grund für diese Gestaltung der Zustimmungsrate ist nach Richard A. Brody die höhere Bewertung von tatsächlichen Ergebnissen gegenüber bloßen Policy-Ankündigungen zu sehen:
"It is news outcome rather than reported policy announcements or proposals that ordinarily drives the process of opinion formation."143
Wie ist also die Wirkung von rhetorischen Ankündigungen in Form von
partiell medial vermittelten Ansprachen auf die öffentliche Meinung insgesamt
zu bewerten? Im Fall von allgemein gehaltenen Themen, z.B. in der Frage nach
dem Sieger des war on terrorism oder dem most important problem sind so gut
wie keine Einflüsse auszumachen. Bei spezielleren Fragen, die mit einem Positiv/Negativ-Muster beantwortet werden können, kann man hingegen die Wirkung von Ansprachen mitunter auf den Tag genau bestimmen. Das bedeutet für
den allgemeinen Einfluss von Ansprachen auf die öffentliche Meinung, dass
sich grundlegende Tendenzen nicht ändern lassen. Im Fall von Spezialthemen
und insbesondere für das Generieren von kurzfristige Zustimmungszuwächsen
kann eine öffentliche Rede aber durchaus einen Steuerungseffekt auf die öffentliche Meinung haben.
VI.3. Einfluss öffentlicher Meinung auf das Regierungshandeln?
Die grundsätzliche Frage in diesem Abschnitt der Untersuchung lautet,
ob die öffentliche Meinung eine Gestaltungsgröße im politischen Prozess und
somit ausschlaggebend für das Output von Regierungsentscheidungen ist. Die
Antwort heißt ja. Aber auf welche Weise ein meist erratisch verlaufender Chart
als Verbildlichung des Meinungsspektrums tatsächlich für Entscheidung A oder
B verantwortlich ist, kann nicht abschließend geklärt werden. Tatsache ist, dass
die öffentliche Meinung ein wichtiger Bestimmungswert ist - sonst würde sich in
den letzten Jahrzehnten nicht eine breite Polling-Industrie gebildet haben können. In der modernen Politik lassen sich zwei ineinander übergehende Prakti-
143
Vgl. Brody, S. 169.
- 74 -
ken beobachten: zum einen dient die Anordnung der öffentlichen Meinung als
zeitnahe Entscheidungsgrundlage. Das heißt, wenn die Stimmungslage eine
bestimmte Entscheidung zulässt, wird diese auch durchgeführt. Zum anderen
kann eine als ungünstig eingeschätzte Beschaffenheit der öffentlichen Meinung
als Aktionsgrundlage angesehen werden, die das Maß für die noch zu erfolgende Einflussnahme seitens der Regierung auf die Öffentlichkeit vorgibt. In diesem Fall werden Entscheidungen auf einen Zeitpunkt vertagt, an dem sich das
Stimmungsbild gewandelt hat und die Entscheidung gefällt werden kann. Es
liegt also die Vermutung nahe, dass ein großer Teil der medial zugänglichen
Politik "nur" der zielgerichteten Beeinflussung der öffentlichen Meinung gilt. So
kann man gewisse politische Entscheidungen als ein Ergebnis eines Prozesses
deuten, an dessen Ende ein irgendwie positiv geartetes Umfrageergebnis zu
einer bestimmten Aktion steht.
Für die mediale Vermittlung des war on terrorism lassen sich mindestens
drei wesentliche politische Entscheidungen mit dem Einfluss der öffentlichen
Meinung begründen: Dazu zählt zum einen der Gang vor die UNO im September 2002 mit dem Ziel, eine Resolution zu erwirken, die einen militärischen Einsatz im Irak rechtfertigt. Das außenpolitische Thema Irak wurde im Verlauf des
Jahres 2002 von innenpolitischen Themen wie Bilanzskandale, schlechte Wirtschaftsdaten und Angst vor Terroranschlägen überschattet. Im August 2002 befanden sich die Zustimmungswerte für einen militärischen Einsatz im Irak mit 53
Prozent auf dem tiefsten Stand. Gleichzeitig erachteten 81 Prozent der Teilnehmer einer Befragung von PSRA/Newsweek die (formelle) Zustimmung der
Vereinten Nationen zu einem Einsatz im Irak für wichtig.144 Am 12. September
2002 sprach US-Präsident Bush vor der UNO-Vollversammlung und kündigte
darin die Ausarbeitung einer gemeinsamen Resolution zur Entmachtung Saddam Husseins an.145 Als Begründung wurde die Proliferationsgefahr von Massenvernichtungswaffen angegeben. Am 8. November 2002 fasste der UNOSicherheitsrat den einstimmigen Beschluss zur Wiederaufnahme der Waffeninspektionen146, was nicht dem Interesse der US-Regierung (nämlich eine Genehmigung zum militärischen Angriff auf den Irak zu bekommen) entsprach. In
144
145
146
Vgl. AEI, S. 29.
Vgl. "President's remarks at the United Nations General Assembly".
"U.N. Security Council Resolution 1441", unter http://usinfo.state.gov/topical/pol/usandun/
02110803.htm (Stand 9.1.2004).
- 75 -
den folgenden Wochen und Monaten wurde mit hohem politischen Einsatz versucht, auf anderen Wegen eine internationale Koalition für einen militärischen
Angriff zusammenzustellen. Eine Unterstützung durch den UNO-Sicherheitsrat
jedoch konnte nicht erwirkt werden.
Als eine zweite wesentliche Wirkung der öffentlichen Meinung ist das
Auftreten von Außenminister Powell vor dem UNO-Sicherheitsrat zu bewerten.
Im Januar 2003 befürworteten zwischen 81 und 83 Prozent der befragten Personen einen Einsatz im Irak unter der Bedingung, dass der UNO-Sicherheitsrat
für dieses Vorgehen seine Unterstützung ausspricht.147 Der Vortrag vom 5. Februar 2003 ließ die öffentliche Überzeugung für einen militärischen Einsatz im Irak nicht in einem solchen Maße steigen, dass die US-Regierung sofort den
Krieg hätte beginnen können. Da die Möglichkeiten der Unterstützung von Seiten des UNO-Sicherheitsrates als Organ erschöpft waren, änderte die USRegierung ihre Strategie und begann bilaterale Gespräche mit einzelnen Staaten, die später in der Summe als "Koalition der Willigen" bezeichnet wurden.
Als diese Koalition nach Angaben des Weißen Hauses 49 Länder umfasste,
148
forderte Präsident Bush am 17. März 2003 Saddam Hussein in einer
Fernsehansprache auf, sein Land binnen 48 Stunden zu verlassen. Nach Ablauf dieser Frist am Morgen des 20. März begannen die Luftangriffe auf die irakische Hauptstadt Bagdad. Der Schritt, den Kriegsbeginn offiziell zur besten
Sendezeit anzukündigen und danach tatsächlich Luftschläge folgen zu lassen,
kann als dritte politische Konsequenz aus den Meinungsumfragen gewertet
werden.
Anhand der Auseinandersetzung vor der UNO und den ergriffenen Maßnahmen durch die US-Regierung ist klar erkennbar, wie die beiden angesprochenen Taktiken in Bezug auf die Zuhilfenahme der öffentlichen Meinung als
Entscheidungs- bzw. Aktionsgrundlage einander ergänzen. Im September 2002
ließ die allgemeine Stimmung keine sofortigen kriegsvorbereitenden Maßnahmen zu. Deshalb wurden mehrere formale Versuche unternommen, eine gemeinsame Lösung der UNO-Mitglieder erwirken. Als das Scheitern dieser Lösungsbemühungen feststand, wurden die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen von Seiten der US-Regierung auf eine Lösung (Krieg) verengt. Es ist
147
148
Vgl. AEI, S. 28.
Vgl. "Who are the current coalition members?", unter http://www.whitehouse.gov/infocus/
iraq/news/20030327-10.html (Stand 11.1.2004).
- 76 -
der Regierung Bush nicht gelungen, die Zustimmung zum Irak-Krieg nennenswert zu erhöhen. Die erfolgreich vermittelte Begrenzung der Handlungsoptionen
auf lediglich den gewaltsamen Regimewechsel führte jedoch zu einer gestiegenen Zustimmungsrate nach Kriegsbeginn und bestätigt zunächst die Regierung
Bush. Anhand dieser Prozesse kann man erkennen, dass die öffentliche Meinung im Fall des Irak-Konfliktes nicht nur einen Einfluss auf die Ausgestaltung
der Policy-Outcomes hatte, sondern sie stellte auch die einzig mögliche Handlungsbeschränkung der Exekutive der Supermacht USA dar.
VII.
Fazit und Ausblick
Anhand der vorliegenden Untersuchung ist der zentrale Stellenwert der
Medien im innen- und außenpolitischen Vermittlungsprozess zwischen Regierung und Öffentlichkeit klar erkennbar. Dabei sind die Medien vor allem durch
multiplikatorische Effekte an der Überbringung der regierungsseitigen Idee des
war on terrorism in die amerikanische Öffentlichkeit beteiligt gewesen. Hervorzuheben ist hierbei einerseits die massenhafte Wiedergabe von Bildern und Berichten zu den Terroranschlägen. Andererseits richteten die Medien ihre volle
Aufmerksamkeit auf die Reaktionen und Maßnahmen der Regierung Bush.
Durch diese größtenteils passive Orientierung der Medien an der regierungsseitigen Informationsoffensive konnte die Bush-Administration ihre Prioritäten wirkungsvoll an die Öffentlichkeit bringen.
Wie die Meinungsumfragen zeigen, ist die Vermittlung des war on terrorism nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zunächst sehr wirkungsvoll gelungen. Je stärker der Irak auf die Agenda der US-Administration gesetzt
wurde, desto geringer wurde das Interesse der US-amerikanischen Öffentlichkeit am war on terrorism. Die Entkoppelung von Anti-Terror-Kampf und Irakproblem führte zu niedrigeren Zustimmungsraten für den Irak-Krieg als für den
Einsatz in Afghanistan. Nur durch die erfolgreich vermittelte Einengung der
Handlungsoptionen auf den militärischen Angriff als einzig verbleibendes Mittel
konnte die US-Administration zwischen Januar 2002 und März 2003 die Meinungsumfragen zu ihren Gunsten entscheiden. Im Verhalten der Medien konnten dabei nur minimale steuernde Effekte ausgemacht werden.
Das eingangs entwickelte Modell des medialen Vermittlungsprozesses
bietet einen guten Leitfaden für die Analyse der komplexen Zusammenhänge
- 77 -
zwischen Regierung, Medien und öffentlicher Meinung. Allerdings ermöglichen
die zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden nicht in jedem Abschnitt
zufriedenstellende Ergebnisse. So ist besonders die Wirkung der Medienberichterstattung auf das Regierungshandeln (Teilprozess E) kaum nachweisbar.
Die Zuhilfenahme der methodischen Gegenprobe für den Fall der außermedialen Vermittlung von Regierungsinhalten an die Öffentlichkeit (Teilprozesse F
und G) hat sich als sehr brauchbar erwiesen. So konnte einerseits gezeigt werden, dass außermediale Ansprachen von Regierungsmitgliedern zwar kurzfristig die öffentliche Zustimmung für den Regierungskurs steigern können. Dieser
Zusatzeffekt verebbt aber, je länger die Ansprache zurück liegt und von anderen Medieninhalten überlagert wird. Andererseits war deutlich zu sehen, welchen Einfluss die Meinungsumfragen in ihrer Funktion als Aktionsgrundlage auf
das außenpolitische Verhalten der US-Administration im Vorfeld des IrakKrieges hatten.
Das methodische Erfassen medialer Inhalte ist durch neue technische
Möglichkeiten wie z.B. online zugängliche Datenbanken wesentlich erleichtert
worden. Dennoch lässt sich ein großer Teil der vermittelten Inhalte nur unzureichend systematisch erfassen, besonders im Bereich der Fernsehberichterstattung. Die in der vorliegenden Arbeit angewandte Methode der quantitativen Erhebung und Auswertung liefert dabei vor allem bei der Betrachtung von Zeiträumen von über 12 Monaten sichere Daten über die Strategien im Agendasetting der untersuchten Medien. Andere wichtige Medieneffekte wie framing,
priming und die indirekten Effekte (Schweigespirale und Bandwagon-Effekt)
lassen sich mit der quantitativen Methode nur unzureichend erfassen.
Der war on terrorism steht ca. 20 Monate nach den Terroranschlägen
nicht mehr in den Schlagzeilen. Wie die Erwähnung dieses Ausdrucks in den
Medien zurückgegangen ist, hat auch die öffentliche Wahrnehmung der Terrorismusgefahr in den USA nachgelassen. Dafür ist die Wahrnehmung der
Kriegsgefahr im Vorfeld des Irak-Krieges deutlich angestiegen.
Wenn man die innen- und außenpolitischen Neuerungen seit dem 11.
September 2001 zusammenfasst, so hat die Regierung Bush mit der Unterstützung der Medien und mit dem Einverständnis der Öffentlichkeit unumkehrbare
Veränderungen der politischen Institutionen der USA und des internationalen
Systems durchgesetzt. Aus der Passivität der US-Medien nach dem 11. Sep-
- 78 -
tember 2001 lässt sich schlussfolgern, dass ähnlich schockierende Ereignisse
auch in Zukunft zu einer Krise in der Agenda-setting-Funktion der Medien führen könnten.
- III -
VIII.
Literaturverzeichnis
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- IX -
IX.
Anhang
IX.1. Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich diese Diplomarbeit selbstständig verfasst und
keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Die
Stellen meiner Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken
entnommen sind, habe ich in jedem Fall unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht. Dasselbe gilt sinngemäß für Tabellen, Karten und Abbildungen.
Ort, Datum
IX.2. Inhaltsverzeichnis beiliegende CD-ROM
1. Diplomarbeit
2. Regierungsdokumente
3. Printmedienanalyse
4. Daten zu den Meinungsumfragen
Henrike Viehrig

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