Geschichtsbilder des Nationalsozialismus 07-2
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Geschichtsbilder des Nationalsozialismus 07-2
Geschichtsbilder des Nationalsozialismus 07-2-588 "Unserer Weltanschauung sichtbaren Ausdruck geben" : nationalsozialistische Geschichtsbilder in historischen Festzügen zum "Tag der Deutschen Kunst" ; [eine Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für Geschichte] / Stefan Schweizer. Göttingen : Wallstein-Verlag, 2007. - 332 S. : Ill. ; 23 cm. - ISBN 978-3-8353-0107-8 : EUR 29.00 [9327] Stefan Schweizer, von Hause aus Kunsthistoriker, Soziologe und Historiker, ist z. Zt. Juniorprofessor für Kunstgeschichte (Schwerpunkt Gartenkunst) an der Universität Düsseldorf. Die vorliegende Studie hat ihren Ursprung in dem Forschungsprojekt „Epochenimaginationen“, das unter Leitung von Otto Gerhard Oexle zwischen 2001 und 2005 am damals noch bestehenden, im April 2007 in Max-Planck-Institut zur Erforschung Multireligiöser und Multiethnischer Gesellschaften umbenannten Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen durchgeführt wurde. Es handelt sich um eine in jeder Beziehung überzeugende Arbeit, deren innovative methodische Durchdenkung und Verankerung besonders besticht. Der Verfasser wählt eine intermediale Vorgehensweise, die eine Brücke zwischen Kunstgeschichte und Geschichte schlägt und beide Disziplinen als „Legitimationswissenschaften“ des Nationalsozialismus deutet (S. 51). Es handelt sich zugleich um eine mikrohistorische Studie, die einen vergleichsweise schmalen empirischen Ausschnitt analysiert. Im Zentrum stehen vier historische Festzüge von eminenter propagandistischer Bedeutung, die Schweizer multiperspektivisch vor dem Hintergrund der Makrohistorie des Dritten Reiches auf ihre Entstehungsbedingungen hin befragt. Einundneunzig Abbildungen illustrieren die Darlegungen und liefern dem Leser wichtiges Anschauungsmaterial. Die Arbeit ist sehr sorgfältig lektoriert und endet mit Abkürzungs-, Quellen-, Literatur- und Abbildungsverzeichnissen sowie einem Namensregister (S. 311 332), die sie gut benutzbar machen. Die vier dargestellten Festzüge fanden sämtlich in München zwischen 1933 und 1939 statt, und zwar jeweils am Tag der Deutschen Kunst. Sie waren als kulturelles Rahmenprogramm gedacht. Den offiziellen Anlaß lieferte der Bau des Hauses der Deutschen Kunst, das 1933 von Hitlers Lieblingsarchitekten Paul Ludwig Troost am südlichen Rand des Englischen Gartens geplant und nach Troosts Tod (24. Januar 1934) von seiner Witwe Gerdi im Verein mit dem Architekten Leonhard Gall 1937 fertiggestellt wurde. Zusammen mit den NS-Bauten am Königsplatz sollte das Haus der Deutschen Kunst den Anspruch Münchens unterstreichen, die ,Hauptstadt der Bewegung’ zu sein.1 Zwei weitere Festzüge fanden 1938 und 1939 statt. 1 Hitlers München : Aufstieg und Fall der Hauptstadt der Bewegung / David Clay Large. Aus dem Engl. von Karl Heinz Siber. - München : Beck, 1998. - 514 S. : Ill. ; 23 cm. - Einheitssacht.: Where ghosts walked <dt.>. - ISBN 3-406-44195-5 Pp. : DM 49.80. - Hauptstadt der Bewegung : München 1939 - 1941 / Viktor Ullrich. - Wie Schweizer in einem prägnanten Forschungsbericht belegt (S. 18 - 23), hat sich die Forschung zwar mehrfach kurz mit diesen Festzügen befaßt,2 es gab sogar einen Amateurfarbfilm des Münchner Prothesenherstellers und Hobbyfilmers Hans Feierabend zum Umzug von 1939, den der Filmwissenschaftler Alexander van Dülmen 1991 bei Forschungen zu einem Münchner Amateurfilmklub der 1930er und 1940er Jahre entdeckt hatte, doch harrte das Material noch seiner methodisch abgesicherten Interpretation. Diese liefert Schweizer jetzt nach. Er stützt sich einerseits auf ungedruckte Quellen im Bayerischen Staatsarchiv München (Gauämter; Tag der Deutschen Kunst 1937 - 1939; Finanzierung der Münchner Großveranstaltungen durch die Gauleitung; Spruchkammerakten), im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München (hier vor allem ,Haus der Deutschen Kunst’ und diverse Personalakten), im Stadtarchiv München (Kulturamt; Filmquellen) sowie im Institut für den Wissenschaftlichen Film Göttingen, ergänzt seine Funde aber noch durch Zeitzeugenberichte. Dabei kommen ausländische Reisende, Bewohner Münchens oder Photoreporter zu Wort. Der Verfasser informiert zunächst über die in München sehr lebendige Tradition von Festzügen, die bereits für das 19. Jahrhundert dokumentiert ist.3 Auch wenn es durchaus Ähnlichkeiten zwischen einzelnen historischen Festzügen und den hier im Umfeld der Deutschen Kunstausstellung untersuchten gab, zeichneten sich die der Nazis dadurch aus, daß sie nicht von der Stadt München, sondern von der NSDAP-Gauleitung in München verantwortet wurden. Erneut bestätigt sich, daß die Nationalsozialisten selten originell waren. Sie verstanden es jedoch immer wieder, ältere Modelle ihrer Ideologie anzupassen und sie als eigene Kreationen erscheinen zu lassen. Die Personen, die für die Gesamtplanung der Festzüge verantwortlich zeichneten, waren der Maler Prof. Hermann Kaspar und der Bildhauer Prof. Richard Knecht; die Straßendekorationen wurden von dem Architekten Georg Buchner entworfen. Die Genannten haben in der Kunstgeschichte ansonsten keine tiefen Spuren hinterlassen.4 Zu Buchner fehlen in Schweizers sonst so akribischer Darlegung weitere Hinweise. Die Nazis nutzten historische Festzüge, um die von ihnen für kanonisch deklarierten Epochen und Ereignisse, vor allem der antiken und der deutschen 1. Aufl. - Kiel : Arndt-Verlag, 2007. - 160 S. : durchg. farb. Abb. ; 30 cm. - ISBN 978-3-88741-084-1 : EUR 25.95. 2 „2000 Jahre Deutsche Kultur“ : historische Festzüge und Nationalsozialismus / Michael Hartmann. // In: Oberbayrisches Archiv. - 121 (1997), S. 361 - 386. 3 Der historische Festzug : seine Entstehung und Entwicklung im 19. und 20. Jh. / Wolfgang Hartmann. - München : Prestel, 1976. - 291 S. : zahlr. Ill. ; 25 cm. (Studien zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts ; 35). - Zugl.: Karlsruhe, Univ., Fak. für Geistes- u. Sozialwiss., Habil.-Schr., 1974. - ISBN 3-7913-0352-X. 4 Kaspar und Knecht werden immerhin erwähnt in: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich : wer war was vor und nach 1945 / Ernst Klee. - Frankfurt am Main : Fischer, 2007. - 715 S. ; 22 cm. - ISBN 978-3-10-039326-5 : EUR 29.90 [9138]. Rez.: IFB 07-1-015. - Hier S. 298 und 317 (beide werden auf Hitlers ominöser „Gottbegnadeten-Liste“ der wichtigsten bildenden Künstler des NS-Staates geführt). Kunst, zur Schau zu stellen und zugleich den kultur- und kunstpolitischen Anspruch des Regimes medienwirksam zu präsentieren. Die Festzüge bestanden aus verschiedenen Wagen oder Personengruppen, die das Thema des jeweiligen Festzuges illustrieren sollten. Für 1933 galt als Motto „Glanzzeiten Deutscher Geschichte“, für 1937 „Zweitausend Jahre Deutsche Kultur“. Dieser letztgenannte Umzug wurde wegen seines großen Erfolges 1938 und 1939 mit Variationen wiederholt. Organisation und Durchführung eines solchen Festzugs waren keine kleine Sache. Der Völkische Beobachter vom 18. Dezember 1937 berichtet, daß man rund 5000 Kostüme für 420 Reiter und 30 Reiterinnen sowie für 26 Festwagen benötigte. Am Festzug waren 33.821 mehr oder weniger aktive Personen beteiligt, die insgesamt 690.000 Arbeitsstunden geleistet hätten (S. 186). Deshalb wurde 1938 vom Gauleiter ein eigener Verein Münchner Großveranstaltungen e.V. ins Leben gerufen, der die Organisationsarbeit leistete. Der Festzug von 1933 bestand fast ausnahmslos aus kunstgeschichtlichen Repliken und Allegorien (S. 77: für die Architektur stand ein ionisches Kapitell, für die Malerei ein mehrteiliger Bildstock mit antikiserenden Musendarstellungen, für die Skulptur die Replik des Torso von Belvedere). Die mitgeführte Pallas Athene wiederholte das von dem Bildhauer Richard Klein gestaltete Emblemmotiv des Tags der Deutschen Kunst (vgl. die Abb. auf S. 145). Es folgten die Gruppen Gothik (ein offenes Brunnenhaus, vor dem eine Frau mit Leier saß und den Minnesang verkörperte; vier Repliken der sog. Moriskentänzer, die Erasmus Grasser 1480 geschaffen hatte) und Bayerisches Rokoko (vier Putten für Jagd, Fischfang, Landwirtschaft und Wehrhaftigkeit, die einen Posaune blasenden Genius umgaben). Danach konnte man ein neun Meter langes Modell des Hauses der Deutschen Kunst bestaunen, die ihrerseits durch einen Gipsabguß des damals sehr populären Bamberger Reiters verkörpert wurde. Zu diesem Motiv ist ein aussagekräftiger Exkurs (S. 91 - 105) eingeschoben. Das Architekturmodell wurde von Repräsentanten der Zünfte und Gewerbe, vor allem der Kupferschmiede, begleitet. Wagen für die Fortuna, das Deutsche Märchen (Junge Dame mit Einhorn), die Deutsche Sage (Siegfried der Lindwurmtöter) fehlten nicht. Im Gegensatz zu 1933 erweiterten die Verantwortlichen 1937 die Themengruppen hin zur germanischen Mythologie. Sie bildete den Ausgangspunkt der deutschen Kultur und wurde gleichsam als zentrale historische Epoche betrachtet. Leider gibt Schweizer keine systematische Zusammenstellung der einzelnen Wagen. Der Reproduktion der Seite Die romanische Zeit aus dem Programmheft (S. 148 - 149) kann man entnehmen, daß Kunst und Geschichte gemischt wurden (1. Die romanische Baukunst; 2. Kaiser Karl der Große; 3. Der Sachsenherzog Widukind; 4. Deutsche Krieger; 5. Heinrich der Städtegründer; 6. Die Kreuzritter). Abschließend erweitert Schweizer seine Darstellung um ein etwas apokryph mit Sedimentierte Ideologeme und der Kanon einer nationalen Kunstgeschichte tituliertes Kapitel (S. 265 - 303). Dahinter verbirgt sich eine exemplarische Einordnung der Kunstauffassung, wie sie die Münchner Umzüge abbildeten, in einen größeren Kontext. Behandelt werden der Architekt und Kunstpolitiker Paul Schultze-Naumburg, der Kunstkritiker Hans Kiener, der Kunsthistoriker Wilhelm Pinder – alles einflußreiche Männer des damaligen Kunstbetriebs – und der Film Der ewige Jude.5 Interessant wäre es gewesen, in diesem Zusammenhang auch auf vergleichbare Visualisierungen von Kunst und Geschichte hinzuweisen, z.B. die damals hoch im Kurs stehenden Ausstellungen.6 Insgesamt betrachtet handelt es sich jedoch um eine detailreiche, aber zugleich auch in methodischer Hinsicht besonders gelungene Studie.7 Frank-Rutger Hausmann QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ 5 "Jud Süss" - Propagandafilm im NS-Staat : Katalog zur Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg Stuttgart vom 14. Dezember 2007 bis 3. August 2008 / [Hrsg.: Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Wiss. Bearb.: Ernst Seidl ... Autoren: Cornelia Hecht ...]. - Stuttgart : Haus der Geschichte BadenWürttemberg, 2007. - 151 S. : zahlr. Ill. ; 29 cm. - ISBN 978-3-933726-24-7 : EUR 12.50 [9517]. - Vgl. die vorstehende Rezension in IFB 07-2-475. 6 Die Gutenberg-Reichsausstellung 1940 : ein Beitrag zur nationalsozialistischen Kulturpolitik / Hainer Michalske. - Stuttgart : Steiner, 2007. - 382 S. : Ill., graph. Darst. ; 24 cm. - (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte ; 18 : Geschichte). - Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 2004. - ISBN 978-3-515-08756-8 - ISBN 3515-08756-7 : EUR 44.00 [9143]. - IFB 07-1-217. 7 Eine Kurzform der Ergebnisse seiner Beschäftigung mit den Münchner Festzügen unter der NS-Diktatur bietet Schweizer in folgendem Aufsatz: Die historischen Festzüge zum Tag der Deutschen Kunst in München : der Kanon deutscher Kunst in akademischen, populären und propagandistischen Geschichtsimaginationen des Nationalsozialismus / Stefan Schweizer. // In: Kunstgeschichte im "Dritten Reich" : Theorien, Methoden, Praktiken / hrsg. von Ruth Heftrig ... - Berlin : Akademie-Verlag, 2008. - XVI, 444 S. : Ill. ; 25 cm. - (Schriften zur modernen Kunsthistoriographie ; 1). - ISBN 978-3-05-004448-4 : EUR 49.80. - Hier S. 260 279.