Notfall Zuganker Yang Ming

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Notfall Zuganker Yang Ming
Aus der Dieselgeschichten-Sammlung der Dieselpensionierten Winterthur
Notfall Zuganker Yang Ming
Eine Dieselgeschichte geschrieben von Emanuel von Heeren im 2011
An einem Sommerwochenende 1993 oder 1994 hatte ich wieder einmal Notfalldienst. Das war nicht aussergewöhnlich und eigentlich keine belastende Arbeit. Nach
einem Einsatz rufende Telefonate waren rar. Aber in der Nacht auf Samstag, so gegen 2 Uhr, wurde ich unsanft geweckt. Eine orientalische Stimme erklärte mir, dem
noch Schlaftrunkenen, dass wir in Winterthur einen Zuganker auf Lager hätten, welchen er kaufen wolle, vorausgesetzt, dass er noch gleichentags nach New York gesandt werden könne. In einem 2. Anlauf, ich war nun ganz wach, entpuppte sich diese Stimme als Superintendent der taiwanesischen Yang Ming Line. Sie hätten am
Vortag schon alles mit Egil Guddal, dem ihnen bekannten Serviceingenieur besprochen. Er habe die Verfügbarkeit des Zugankers bestätigt. Ich möge doch versprechen, dass wir diesen noch am gleichen Tag nach New York senden würden.
Ich versuchte, den Herrn zu vertrösten, um Zeit zu gewinnen. Vor 7 Uhr sei keine
Frachtfirma offen, faselte ich, er solle später wieder anrufen. Nun legte ich mich
nochmals aufs Ohr, um so gegen 5 Uhr aufs Neue von diesem aufsässigen Kerl aufgeschreckt zu werden. Ob der Zuganker schon auf dem Weg sei, der Fall sei dringend. Ich bat ihn, wenigstens bis 8 Uhr zu warten. Sinnlos, schon um 6 Uhr kontaktierte mich wieder jemand, dieses Mal vom Yang Ming Büro in Hamburg, welches
den Fall übernommen hatte. In regelmässigen Abständen versuchten sie nun, den
Druck mit weiteren Telefonaten aufrecht zu erhalten.
Ich wandte mich an verschiedenste Fluggesellschaften, um mich nach deren Frachtkapazitäten und Flugfrequenzen zu erkundigen. War doch eine etwa 7 Meter lange
(2-teilige) Schraube, die gut und gerne 8 bis 11 Tonnen wiegen kann, nach den USA
zu transportieren. Aber alle Unternehmen gaben mir einen Korb. Entweder war die
Länge des Ankers und/oder die spezifische Bodenbelastung ein unüberwindliches
Hindernis.
Plötzlich erinnerte ich mich, dass Federal Express vor kurzem die Flying Tigers aufgekauft hatte. Vorher war FedEx nur im Dokumenten- und Kleinpaketversand Tätig
gewesen. Sofort nahm ich mit der nun größten Luftfrachtgesellschaft Kontakt auf und
schilderte mein Problem. Sie verwiesen mich nach Belgien zum europäischen Knotenpunkt von FedEx. Bei denen war die Antwort schnell zur Hand und sonnenklar:
"Wenn NSD die Fracht garantiert und sie diese bis 13 Uhr zum Flughafen bringt,
dann leitet FedEx eine DC10 Frachtmaschine via Zürich nach New York um, und liefert den Zuganker vor 18 Uhr Lokalzeit im JFK ab!" Frachtkosten $15/kg. Ich sagte
sofort zu und organisierte die benötigten „Helfer“. Erst dann getraute ich mich, Yang
Ming Hamburg den Zuganker zu versprechen. Zehn Personen wurden ihres Samstags beraubt. Sachbearbeiter, Spediteure, Lagermitarbeiter, Kranfahrer, Packer sowie ein Lastwagenchauffeur wurden aufgeboten. Sie alle leisteten erstklassige Arbeit.
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Um die rechtzeitige Ablieferung sicherzustellen, bin ich auf dem Lastwagen bis neben die auf dem Rollfeld stehende DC10 mitgefahren.
Anschliessend habe ich Ernst Jung, unseren USA Verantwortlichen, orientiert, um
ihn genüsslich auf den kommenden Wochenendstress aufmerksam zu machen. Leider war er bereits bestens informiert und schon am Sonntag teilte er mir mit, ebenfalls genüsslich, der Zuganker sei fixfertig eingebaut.
Yang Ming bedankte sich später bei uns für die gute Arbeit. Ich bin überzeugt, dass
unser Einsatz ein Grund dafür war, dass diese bekannte Firma (ca. 40 Containerschiffe) nun vermehrt bei uns Ersatzteile kaufte.
Der Verfasser Emanuel J. von Heeren, geboren 1955, beschreibt seinen beruflichen Werdegang als
etwas chaotisch aber abwechslungsreich. Nach Wirtschaftsmatur, einigen Semestern Geographie
Studium an der UNI/ETH Zürich und Absolvierung der Motorfahrer Offiziersschule, verbrachte er ein
Jahr auf einer Kaffeeplantage im Nordosten von Zaire. 1980 wanderte er in die USA aus, um bei Bally
in Houston und Miami zu arbeiten. 1990 begann er bei MBS Diesel im Marketingbereich, wechselte
später in den Ersatzteilverkauf und wirkte dort als Direktionsassistent bis Ende 1998. Darauf machte
er sich selbstständig im „Gourmetimport“, amtete als Projektcoach beim FAU (Fokus Arbeit Umfeld,
Weiterbildung v. Erwerbslosen) und ist jetzt Inhaber einer medizinischen Handelsfirma.
PDW-DG9: Von Heeren Emanuel - Notfall Yang Ming – 1. Ausgabe 01.09.2012
Anmerkung von Koordinator Albert Sennhauser:
Ähnliche Transporte waren nötig, um schwere und heikle Teile schnell und intakt an ihren Bestimmungsort zu bringen. So z.B. gewichtige, delikate Komponenten nach Korea, für einen RT-flex Motor
(erster kommerzieller Motor ohne Steuerwelle). Dieser Transport wurde im Jahr 2000 ab Basel mit
einer Korean Air 747 Frachtmaschine ausgeführt. Bei diesem wegweisenden Auftrag durfte einfach
nichts schief gehen. Wir werden vermutlich mit einer separaten Publikation darauf zurückkommen.
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