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dr. phil. fritz franz vogel
bild- und kulturwissenschaft
Uni Zürich / KHIST • i-mage: inszenierte Fotografie vor/nach Cindy Sherman • 30.10.2006
2. Frühe Beispiele und Techniken: Hippolyte Bayard, Henry Fox Talbot, Oscar Gustav Rejlander, Julia Margaret
Cameron, Henry Peach Robinson, William Lake Price
Hippolyte Bayard
Der Franzose Hippolyte Bayard (1801–1887) war sichtlich verärgert, dass Jacques Mandé Daguerre wegen seinem
fotografischen Patent so viel Publizität zuteil wurde, ihm als unermüdlichem Experimentator in Sachen
Fotografie jedoch nicht. Sein «Selbstporträt als Ertrunkener» oder «Selbstporträt in der Haltung eines
Ertrunkenen» markiert die erste fiktionale Fotografie. Auf der Rückseite notierte Bayard einen fingierten
Abscheisbrief: Bayard in einem fingierten Abschiedsbrief: «Le cadavre du Monsieur que vous voyez ci-derrière est
celui de M. Bayard, inventeur du procédé dont vous venez de voir, ou dont vous allez voir les merveilleux résultats. À ma connaissance, il y a à peu près trois ans que cet ingénieux et infatigable chercheur s’occupait de perfectionner son invention.
L’Académie, le Roi et tous ceux qui ont vu ses dessins, que lui trouvait imparfaits, les ont admirés comme vous
les admirez en ce moment. Cela lui a fait beaucoup d’honneur et ne lui a pas valu un liard. Le Gouvernement,
qui avait beaucoup trop donné à M. Daguerre, a dit ne pouvoir rien faire pour M. Bayard et le malheureux s’est
noyé. Oh! Instabilité des choses humaines! Les artistes, les savan[t]s, les journaux se sont occupés de lui pendant longtemps et aujourd’hui qu’il y a plusieurs jours qu’il est exposé à la Morgue personne ne l’a encore reconnu ni réclamé. Messieurs et Dames passons à d’autres, de crainte que votre odorat ne soit affecté, car la
figure du Monsieur et ses mains commencent à pourrir, comme vous pouvez le remarquer. HB 18 Octobre
1840.»
Henry Fox Talbot
1835 entwickelte der Engländer William Henry Fox Talbot (1800–1877), indem er Bezug auf die 8-jährigen
Forschungen seines Landsmannes John Herschel (1792–1871) nahm, die Kalotypie, ein Negativ/Positiv-Verfahren.
In seinem 1844 in London veröffentlichten, in mehrere Lieferungen unterteilten Buch «The Pencil of Nature», in
dem vor allem die reproduktiven Möglichkeiten der Fotografie dargestellt werden, ist die Tafel 14 «The ladder»
die einzige Abbildung mit Menschen.
Gustav Rejlander
Für die «Art Treasures Exhibition» 1857 in Manchester verfertigte der schwedische Maler und Fotograf Oscar
Gustav Rejlander (1813–1875) einen fotografischen Abzug mit den erstaunlichen, ein gemaltes Bild konkurrenzierenden Massen 406x787 mm und nannte das Werk «The two ways of life». Im Schatten dieses Werks nicht
minder interessant ist «The first negativ» (1857).
Henry Peach Robinson
Die Konstrukte des im Südwesten Englands ansässigen Fotografen Henry Peach Robinson (1830–1901) verraten
nicht nur den Einfluss seiner Vergangenheit als Maler, sondern auch die Lektüre führender Kunsttheorien seiner
Zeit (so John Ruskins «Modern Painter» und John Burnets «On Composition»). Trotz der technischen Grenzen
der Fotografie nutzte er die künstlerische Bildgestaltung, indem er das Reale mit dem Idealen verband und so
die Einbildungskraft, als eigentlich künstlerisches Agens, des Betrachters herausforderte.
Seine Welt des Pittoresken fusst vor allem auf genauen Beobachtungen und Wahrnehmungen der Natur und seinem Verständnis für Proportionen und Perspektiven. Seine Konstruktionsprinzipien beruhen auf formalen und
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inhaltlichen Harmonien, die mit der entsprechenden Lichtführung und der Unterordnung nebensächlicher
Details, zum Zweck der Betonung des Schwerpunkts, unterstützt werden.
In «Pictorial effect in photography» (1869) schrieb er: «It is an old canon of art, that every scene worth painting must have something of the sublime, the beautiful, or the picturesque. By its nature, photography can
make no pretensions to represent the first, but beauty can be represented by its means and picturesqueness
has never had so perfect an interpreter.»
Zum Hauptwerk Robinsons zählt die grossformatige Komposition «Bringing Home the May» («Weissdorn einbringen»). Für das 1862 realisierte Bild verwendete Robinson insgesamt 9 Negative.
Lewis Carroll
Der aus Südwestengland stammende Lewis Carroll (1832–1898), Charles Dodgson, wie er mit bürgerlichem
Namen hiess, war ganz versessen, nebenberuflich Kinder in ihrem Spieltrieb zu unterstützen und von ihrem Spiel
Aufnahmen zu machen. So entstand im Juni 1875 in Carrolls Räumen im Christ Church College in Oxford, wo er
wohnte, von Alexandra (Xie) Kitchin und ihren drei Brüdern das Tableau vivant «St. Georg and the dragon».
William Lake Price
1719 erscheint die Erstausgabe von Daniel Defoes «The life and strange surprizing adventures of Robinson
Crusoe, of York, Mariner» (dt. 1905). Die englische Geschichte vom wei(s)sen Schiffbrüchigen und dem unterwürfigen Sklaven Freitag avancierte zum Bestseller und gedieh zum literarischen Welterfolg mit entsprechenden
Illustrationen. Während die Skizzen für mehrere Ausgaben stets den literarischen Text begleiten, dampft eine
Fotografie (Albumin, 1855/56, 250x300 mm) aus einer unbekannt grossen Bildserie vom Engländer William Lake
Price (um 1810–1891/6) die Szene auf eine gesellschaftlich sanktionierte Machtstruktur ein.
Julia Margaret Cameron
Auch für die Engländerin Julia Margaret Cameron (1815–1879) war die Fotografie im Kunstbereich anzusiedeln.
Sie kam erst als 50-Jährige zur Fotografie – ihre Kinder schenkten ihr eine Kamera – und inszenierte im Studio
Exzerpte aus Bildern der Kunst oder (Theater)stücken nach. Ihre piktorialistischen Porträts machen Anleihen bei
den Präraffaeliten, was sich vor allem in der (hinsichtlich Technik) mangelhaften Fokussierung, in der
Lichtführung, resp. im Schattenwurf und den wie mit einer Aura isolierten, in sich versunkenen Personen äussert. Mit ihren expressionistisch ausgeleuchteten Porträts rüttelte sie am Tabu der Darstellbarkeit des Messias,
denn ihre Bilder sind allerdings von einer tiefen Religiosität durchweht, was viele ihrer Bilder zu sentimentalkitschigen Rührstücken werden lässt.
Ausgewählte Literatur
Bajac, Quentin: Tableaux vivants. Fantaisies photographiques victoriennes (1840–1880). Paris 1999. (Cameron, Carroll, Hawarden, Melville, Price, Rejlander, Robinson)
D’Hooghe, Alain: Autour du symbolisme. Photographie et peinture au XIXe siècle. Brüssel 2004. (AK) (Cameron, Drtikol, Rejlander, Robinson)
Duca, Lo: Bayard. Der erste Lichtbildner. Paris 1943.
Gautrand, Jean-Claude: Hippolyte Bayard. Naissance de l’image photographique. Amiens 1986.
Harker, Margaret F.: Henry Peach Robinson. Master of photographic art 1830–1901. Oxford 1988.
Pauli, Lori: Acting the part. Photography as theatre. London/New York 2006. (AK) (Antin, Barney, Bartholomew, Bayard, Cahun, Cameron, Carroll, Crewdson, Day,
Dolejš, Evergon, Hiller, Hosoe, Kells, Krims, Meatyard, Michals, Morimura, Mortensen, Nes, Price, Ray, Rejlander, Robinson, Sherman, Shonibare, Wall, Wang, Yevonde,
Zahalka)
Robinson, Henry Peach: Pictorial Effect in Photography. Being Hints on Composition and Chiaroscuro for Photographers. O.O. 1869.
Robinson, Henry Peach: Elements of a Pictorial Photograph. O.O. 1896.
Talbot, H. Fox: The Pencil of Nature. London 1844. Reprint: Budapest 1994.
Vogel, Fritz Franz: The Cindy Shermans: inszenierte Identitäten. Fotogeschichten von 1840 bis 2005. Köln 2006. Aktuellste Liste unter www.stagedphotography.ch
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