TROJA und HOMER - Galerie Laterne

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TROJA und HOMER - Galerie Laterne
Rezension zu Joachim Latacz
TROJA und HOMER
Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels
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Von Andreas Schüller - mit Zeichnungen vom Rezensenten, nicht im Buch enthalten und ausschließlich für den Artikel in dieser Zeitung angefertigt
Einfach um den Blick etwas aus dem Regionalen herauszuheben, haben wir uns in der Redaktion vorgenommen, in jeder
neuen Laterne Zeitung eine aktuelle Buchrezension mit einzufügen. Diesmal geht es um „Troja und Homer“ ein uraltes Rätsel, das spätestens seit Schliemanns Grabungen alle Rätselrater
und Geheimniswitterer auf den Plan gerufen hat. Die letzteren
werden aber von den genauen Analysen des Gräzisten Joachim
Latacz (76), die mit diesem Buch vorliegen eher enttäuscht sein.
Hier geht es um einen aktuellen Gelehrtenstreit mit den Frontlinen „Tatort Troja“ von Frank Kolb, der die ganze Geschichte als
ein Phantasieprodukt beschreibt und eben Latacz, der im Gefolge des verstorbenen Troja-Ausgräbers Prof. Manfred Korfmann
Beweise für die Existenz des konkreten Ortes als Handlungsraum
für Homers „Ilias“ sammelt und findet. Sein Resultat ist eindeutig: Homers Handlungskulisse ist historisch. Im Vorwort führt
er uns in die streitbare und wehrhafte Kulisse der jetzigen akademischen Kontroversen ein, erläutert, wo sich etwa die Trennungslinien bewegen und meint, Kolb habe aus persönlichen
Motiven den Kampf gegen die Korfmann-Leute aufgenommen.
Überall darf Troja nach Ansicht Kolbs sein, nur nicht in Hisarlik,
wo Korfmann und auch Schliemann gegraben haben, so die Behauptung von Latacz.
Das Buch ist für eine breitere Öffentlichkeit geschrieben und
scheint nicht nur ausschließlich Rechtfertigung der Grabungsarbeiten zu sein. Doch klingt schon an, weil Korb auch die Öffentlichkeit sucht, vor allem in der Tagespresse und sich dort lustig
macht über die Troja Fetischisten, dass Latacz hier den Versuch
unternimmt, einer wissenschaftlich interessierten Öffentlichkeit
auf eine ernsthaftere Weise als sein oben erwähnter Gegner
seinen Standpunkt verständlicher zu machen, um damit nicht
zuletzt auch den Fortbestand - der seiner Meinung nach wichtigen Grabungen zu sichern. Auch soll in Zukunft die Möglichkeit erhalten bleiben, neue Belege zu finden, die die Richtigkeit
seiner These untermauern und die Grabungsarbeiten beflügeln
könnten. Außerdem ist es ein herausragendes Grabungsprojekt
der Universität Tübingen, das mit einer der wenigen deutschsprachigen Ausgrabungen dieser Tragweite weltweit Bedeutung
einnimmt. Das abzugeben aus Uni- interner Quengelei wäre sehr
unglücklich.
Nun wie geht Latacz heran. Zum einen im schon erwähnten
Vorwort versuchte er Kolb durch einige Belege die wissenschaftliche Gründlichkeit abzusprechen und Fehler im System Kolb
beispielhaft aufzuzeigen. Dann macht er sich an die Hauptar-
beit, die wissenschaftlichen Nachweise sprachlicher oder archäologischer Natur aufzureihen und sie zugunsten der These eines
historisch real existierenden Trojas zu deuten. Er teilt das Buch in
zwei Kategorien ein, zum einen Erkenntnisse über den Ort Troja
selbst und zum andern Textdeutung aus Homer, wie das auch im
Titel wiederzufinden ist.
Teil 1 Troja
Bis in die 1996er Jahre war die Quellenlage der archäologischen Zeugnisse durchaus schlecht. Kein einziger Fund in Hisarlik, dem mutmaßlichen Troja, kein konkreter Hinweis auf den Ort.
Keiner von den vielen Ausgräbern auf dem Hügel hat den Namen
des Ortes gefunden, auf dem sie schaufelten. Auch war unklar,
ob die Geschichte des Homer, der 450 Jahre nach den Ereignissen
gelebt hat, nicht einfach erfunden war! Es lag also alles denkbar
im Dunklen.
1988 begann Manfred Korfmann mit den Grabungen in Hisarlik. Er ging mit einer anderen Sichtweise heran als seine Vorgänger. Er sah in Troja nicht nur ein signifikantes Element der griechischen Geschichte, sondern er sah Troja als Siedlungsplatz und
Handelszentrum mit Wirkstätte mehr im Osten. Daraufhin leitet
sich in Folge ab, dass es eine größere Unterstadt gegeben haben
muss in der Schicht Troja VI und VIIa, was etwa die Zeit des von
Homer anvisierten Zeitraumes bezeichnet.
Latacz berichtet nun von der Suche nach Mauer, Graben,
Stadttor und Korfmann findet Teile von diesen und kommt zu
dem Schluss, dass Troja VI und VIIa eine anatolische Residenz
und Handelsstadt war. Hier wird ein Hauptargument der Gegner
entzogen, dass dieses Troja nur eine kleine Burg war, es konnte
nachgewiesen werden, dass ca. 6000 Menschen in Ilion gelebt
haben. Es wurde viele zerbrochene Keramik gefunden, und man
ging davon aus, dass Troja sich am Fernhandel beteiligte, da es
an der Meerenge des Hellespots eine ideale Lage einnahm. Nur
so konnten die späteren Schichten so gründlich wachsen, weil die
Anhäufung des Reichtums durch eine rein bäuerliche Kultur nicht
so schnell vonstatten gegangen wäre.
Weiter geht’s im Buch mit dem Fund eines Siegels, in besagter
Schicht, welches Schriftzeichen enthielt und das den Verfasser
animierte einige Hinweise zur Geschichte der Entzifferung unbekannter früher Sprachen zu erläutern. Der Text auf dem Siegel
konnte entziffert werden. Er ist in bildluwischer Schrift geschrieben und enthielt eine Titelbezeichnung „Schreiber in Troja“!
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Nun versucht der Autor, seine Beweiskette weiter aufzubauen und den Namen von Hisarlik in der Bronzezeit zu finden. Ein
Hinweis darauf, dass es keine erfundene Geschichte von Homer
ist, das sei der Doppelname Ilios und Troja. Es ist keine Karte des
angrenzenden Hethiterreiches überkommen und so muss man
aus dem überlieferten Text auf die geografische Lage der Orte
schließen. Nach akribischer Suche und im Ausschlussverfahren
kommt er zur Einsicht, dass Illons Wilusa ist, welches durch einen Vertragstext bekannt ist zwischen Alaksandu (gleich Paris?)
von „Wilusa“ und dem hethitischen König Muwatalli II. (ca.
1290-1272 v.Chr.) Wilusa stand zeitweise in politischer Verbindung bis Abhängigkeit vom Hethiterreich.
Was ist aber nun mit dem zweiten Namen Troja, den Homer
verwendet in seiner Geschichte?
Das ist kompliziert beschrieben, wahrscheinlich könnte es
daher stammen, dass besonders kleine Gebietsteile einen Eigennamen hatten und dann zusammengewachsen sind. Taruwisa (Troja) wird in einer Eroberungsliste genannt, das unmittelbar
neben Wilusa liegt.
Hier zieht der Autor eine Zwischenbilanz und zählt fünf
Punkte auf, die das historische Troja oder Ilios belegen.
1. Die Größe der Stadt, 2. das anatolische Siedlungsmuster
Burg und Unterstadt, 3.Residenzstadt und Handelsplatz, 4. Internationalität, Wirtschaftsmittelpunkt und Organisationszentrum
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(eine Art Hanse) und 5. dieser zieht politische und Machtinteressen auf sich, das gefundene Siegel kann kein Verschleppungsfund sein.
Schließlich wendet sich Latacz der Gegenseite zu mit den
Namen Achaier und Danaer. Ersteren deutet man mit Ebene und
auf die Peloponnes beziehend und mit dem zweiten Begriff wird
in ägyptischen Zeugnissen um 1500 v.Chr. ein Adelsgeschlecht
mit dem Namen „Danaoi“ beschrieben, das in eben diesem Argos (auch in der Burg Mykene) herrschte.
2.Teil Homer
Der Autor beginnt damit Grundtatbestände zu beschreiben
- die Einwanderung der Griechen, ihren unheimlichen Machtzuwachs mit der Eroberung Kretas. Diese mykenische Kultur
ist eine griechische Kultur und stand gleichrangig mit den hethitischen und den ägyptischen Königen. Durch die Eroberung
Kretas konnten sie auch deren Schriftsprache übernehmen, die
sogenannte Linear A, und schrieben damit ihre eigene Sprache,
die Linear B. Es sind viele Tontäfelchen gefunden worden mit letzerer Schriftsprache. Diese zeugen aber nicht von der Dichtkunst
sondern von Aufzeichnungen wirtschaftlicher Art, Inventare etc.
Die dichterischen Äußerungen liefen nicht schriftlich ab, sondern
wurden mündlich von Vers-Erzählern weitergegeben. Latacz
weist daraufhin, dass es als sicher gilt, dass diese Wortkunst
nachweislich als die Vorgängerin der Wortkunst von Homers anzusehen ist. Er ist das lange Glied einer Kette - Homer hat diese
Form nicht erfunden.
In der Geschichte Griechenlands geht es weiter. Nach 1200
v. Chr. kam es zu einer Invasion aus dem Norden, angetrieben
durch die Attraktion der Reichtumszone im östlichen Mittelmeerbereich. Man spricht von einer Wanderlawine. Sie verlief in
mehreren Schüben und bedingte Unruhen, Verwaltungszusammenbrüche, Hungersnöte, Handelsblockaden usw. Diese Invasion konnte erst durch Gegenmaßnahmen Ägyptens kurz vor
den Grenzen des Nillandes gestoppt werden. Für Griechenland
waren die Folgen verheerend. Es bedeutete die Zerstörung der
Paläste, die Stilllegung der Schaltzentralen – schlicht der Zusammenbruch des ganzen Systems. Die Oberschicht ergriff die Flucht
und verzog sich in abgelegene Gebiete. Die zurückgelassene
Bevölkerung musste zu Selbsthilfemaßnahmen greifen. In dieses
zerstörte Land vor allem der Peloponnes, drangen sickerweise
die Dorer ein und dies führte im ganzen Gefüge zu einer Siedlungsverschiebung. Die Einwanderer brachten auch ihre Dichtung
mit und man schätzt, dass die Geschichte von (W)Ilios auf dem
griechischen Festland entstanden ist. Diesen Zeitraum vom 1200
– 800 v.Chr., ehe sich diese Länder wieder erholten, bezeichnete
man lange Jahre als „Dunkle Jahrhunderte“ des Griechentums.
Heutzutage ist da einiges Licht hereingefallen und vor allem die
ostanatolischen Länder mit den Städten Ephesos, Milet bzw. die
davor liegenden Inseln Samos und Chios haben in dieser Zeit auf
einem hohen Niveau gelebt und zum weiteren ging von ihnen
auch die griechische Wiederbelebung im 800 v. Chr. aus, die
man die griechische Renaissance nennt.
Dieses Ionische Kolonialgebiet war die Heimat und der Wirkungskreis Homers.
Homer ist hineingewachsen in die Schnittstelle zwischen den
alten Techniken der Mündlichkeit und den neuen Techniken der
Schriftlichkeit auch durch Übernahme des Alphabets von den
Phöniziern. Es ist damals ein großangelegter Medienwechsel
erfolgt innerhalb einer kurzen Zeitspanne von 50 Jahren. Schon
100 Jahre später bei Hesiod sind keine Zeichen echter Mündlichkeit mehr zu finden.
So kommt Latacz zu dem Schluss, Homer war nicht nur der
erste Dichter Griechenlands (der aufgezeichnet wurde), sondern,
weil hohe Dichtkunst ohne substantielle Qualität nicht möglich
ist, auch sein größter.
Auf die Frage, ob die Geschichte der Ilias erfunden ist, schien
lange Zeit das Argument zu gelten, dazu ist das Beziehungsund Personengeflecht zu kompliziert. Schliemann hat die beiden
Handlungsorte Mykene und Troja gefunden. Später fand man
Pylos, den Herrschaftssitz des König Nestor, also den dritten Ort
aus der Ilias und man fand 300 Tontäfelchen mit der Schrift Linear B, die man schon auf Kreta gefunden hatte. 1952 wurde
von Michael Ventris erstmals die These veröffentlicht, dass die
Sprache, die mit dieser Schrift wiedergegeben wurde, Griechisch
sei. Das war ein Paukenschlag! Aber es war ein altertümliches
Griechisch und er erkannte den sprachlich nächsten Verwandten
in Homer – aber es liegen mehrere hundert Jahre dazwischen.
Aber daraus lässt sich ableiten, was der Autor an komplizierten
Detailerläuterungen zeigt, dass es trotz verschiedenster Einwanderung eine Kontinuität von 2000 bis 800 v.Chr. (bis Homer) in
der Geschichte des griechischen Volkes gab. Soweit die Lage bis
1996 und man musste davon ausgehen, dass es aufgrund der
Quellenlage keine andere Vermutung gäbe, als dass Homers Text
eine reale Geschichte widerspiegelt.
Nun seit 1996 ist klar, dass der Ort Wilusa gleich Troja VI/
VIIa existiert, dort wo ihn auch schon Schliemann vermutet hat.
Nun geht es darum, den Homerischen Text und die Situation
vor Ort zu verbinden. Das Problem dabei, Homer ist viel später,
während die archäologischen Zeugnisse sozusagen zeitzeugend
sind. Und außerdem - die ersteren sind Angaben der Sieger, dazu
dichterisch überhöht. Dazu kommen noch die Nachrichten aus
dem Hethiterreich auch aus einer anderen Perspektive. Diese
Quellen repräsentieren also unterschiedliche Typen von Information. Beweisend im Sinne der Wissenschaft können nur die Steine
oder außergriechischen Zeitdokumente sein. Es liegt aber gesichert nur vor, dass es den Trojanischen Krieg wahrscheinlich gab,
aber konkrete Hinweise auf die handelnden Personen wie etwa
Agamemnon oder Achilleus gibt es nicht. Homer könnte durch
die Ruinen von Troja Va/VIIa gewandelt sein und dort für sich
selbst das Gelände rekonstruiert haben. Das scheint nun mir persönlich übertrieben nach unserem Geist gedacht, die Vermutung
liegt vielleicht eher nahe, dass ihm der Ort egal war und er nur
auf die mündlich überlieferten Geschichten zurückgegriffen hat
(These nicht im Buch enthalten, Anmerkung des Rezipienten).
Hier schlägt der Autor vor, die Ilias von der Seite her zu lesen danach, was denn für den authentischen Ort Troja relevant
sei, eine Schilderung eines Schwertkampfes oder die Motivation
der Beteiligung der Götter am Kampf scheint eher nicht hilfreich
zu sein. Weiterhin ist die Sicht Trojas von hethitischer Seite eher
ein Teil der Weltgeschichte mit allem Auf und Ab während die
Geschichte Homers explizit etwas Einmaliges darstellt. Die Detailtreue des menschlichen Konflikts ist derartig genau, dass man
von einer symbolischen, für alle Zeit gültigen Form des Zustandes
der Belagerung nicht ausgehen kann, sondern von einem einmaligen Ereignis – so meint der Autor.
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Weitere Fragen ergeben sich daraus, wieso der Untergang
vieler anderer Städte wie Mykene, Pylos, oder Tiryns etc. nicht
eine ähnliche Verarbeitung erfahren haben.
Was sind nun die Gründe, die aus der Ilias selbst für einen
historischen Hintergrund sprechen?
1. Die Akzentverteilung in der Geschichte weist auf ihr Alter.
Sie ist älter als die von Homer anvisierte Problematik des Wandels im 8. Jahrhundert v.Chr. Homer nimmt das Thema auf und er
versucht die Probleme seiner Zeit zu behandeln.
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2. Die Troja Geschichte ist dem damaligen Publikum vertraut
3. Eigentlich keine Troja-Geschichte, sondern eine Achill-Geschichte
4. Die Troja Geschichte ist für die Ilias Rahmenhandlung
5. Die Ilias ruft die Troja-Geschichte deutend in Erinnerung
(„die Gesamtgeschichte des Krieges um Troja - mit Kriegsursache, Kriegsanlass, Kriegsverlauf und Kriegsfolgen – wird so zum
Rahmen, der als Hintergrund nur angedeutet werden muss, und
im Segment wird ein Problem der Gegenwart entfaltet.“)
Zusammenfassend könnte man sagen, Homer gab einer alten Geschichte eine neue Gestalt. Um die Achill-Geschichte zu
erzählen, muss er die Troja-Kulisse aufbauen, aber nur so viel,
wie für seine Geschichte notwendig ist. Alles wird nicht erwähnt.
Es ist eine Nebenquelle. Sie beschreibt, aufgrund auch außerhomerischer Quellen - ägyptische, hethitische und archäologische
Funde - mit großer Wahrscheinlichkeit die mykenische Epoche
Griechenlands vor den dunklen Jahrhunderten.
Nun stellt sich die Frage, seit wann existiert die Troja-Geschichte?
Dabei steht wohl mit im Zentrum die Frage, was es mit dem
Schiffskatalog auf sich hat. Wie ist Homer zu dieser Aufstellung
gekommen, die Idee, er wäre in ganz Griechenland herumgereist und die 187 geografischen Herkunftsorte der etwa 100000
Krieger zu suchen ist wohl absurd. Dass er Menschen von den
Schiffen aufzählt und augenblicklich wieder herausnimmt, indem
er sie als ausgesetzt oder verstorben erklärt, deutet daraufhin,
dass es den Flottenkatalog schon vorher gab und er durch diesen
Kunstgriff die späte Nennung dieses Katalogs nicht schon in Aulis sondern erst vor Troja den Zuhörer glaubhaft machen will. Die
Zuhörer mussten also den Katalog kennen. Wer hat ihn also zusammengestellt? Der Autor vertieft sich nun in neue Funde von
Linear B Tontäfelchen aus Theben und versucht nachzuweisen,
dass Theben das mächtigste Zentrum Griechenlands in mykenischer Zeit war und das Namen von Orten aus dem Schiffskatalog, die später nicht mehr besiedelt wurden, in mykenischer Zeit
bekannt waren. Er zieht also den Schluss: die Troja Geschichte ist
in mykenischer Zeit erdacht worden.
Weiter die Frage, wie kommt die Troja-Geschichte zu Homer?
Wichtig ist zu wissen, dass die Ilias aus genau 15693 Hexametern besteht und dass aus diesem Rhythmusgeflecht kein
einziger Vers heraustanzt. Der Text wurde gesungen vorgetragen
in Begleitung eines Saiteninstrumentes. Durch Analyse dieses
Versmaßes kommt der Autor zu dem Schluss, dass diese Dichtungsweise schon lange vor Homer ausgeübt worden sein muss.
Homer ist nur ihr Höhepunkt.
Auch durch die Analyse der verschiedenen griechischen Dialekte und ihrer Überbleibsel im Text Homers wird diese Annahme
bestärkt. Der Autor kommt zum Ergebnis: „ Die Troja-Geschichte
ist in mykenischer Zeit erdacht und in einer Rahmenform durch
das Medium der griechischen Hexameterdichtung von der mykenischen Zeit bis zu Homer weitergetragen worden.“
Latacz vermutet, dass ein historischer Kern der Troja-Ge-
schichte verhältnismäßig sicher ist. Man geht in der Wissenschaft
z.Z. von mehreren Attacken der Achaier gegen Troja aus – über
ca. 100 Jahre – und denkt, dass diese Ereignisse in einer großen
Geschichte zusammengefasst wurden – aber die Stimmen mehren sich, dass es doch ein einmaliges Abenteuer gegeben hat.
Hier lässt Joachim Latacz das Buch ausgleiten mit dem Zitat
Xenophanes von Kolophon: „Nicht von Beginn an enthüllen die
Götter den Sterblichen alles- aber im Laufe der Zeit entdecken sie
forschend das Beßre.“
Nachdem man die knapp 400 Seiten gewälzt hat, regt es
einem in vielfältige Richtung an. Es beeindruckt nicht nur die Detailgetreue, die für eine überzeugende Argumentation wichtigen
Einzelheiten, die akribisch aufgelistet werden, sondern auch die
logischen Schlüsse, die sich daraus ergeben, die man überzeugend erklärt bekommt und nicht zuletzt die tiefe Glaubwürdigkeit
des Autors, der nicht unbewiesenes oder thesenhaftes als festes
Wissen ausgibt, sondern immer wieder auf das Vorübergehende
der aktuellen Erkenntnisse hinweist. Ein letztes Zitat von ihm:
“Die frühere Unwissenheit schwindet, und wenn die Schritte
auch klein sind, so scheint der Weg zu einer Lösung doch durch
die ständige Füllung von Wissenslücken kürzer zu werden…“
Die Frage ist, gilt das auch für uns?
Erschienen bei Koehler & Amelang
Joachim Latacz
Troia und Homer
Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels
464 Seiten
25 s/w-Abbildungen und zwei Karten
Broschur
13,5 x 21,5 cm
€ [D] 19,90 / € [A] 20,50 / sFr 30,50
ISBN 978-3-7338-0332-2
Erschienen am 13. September 2010
Joachim Latacz, geb. 1934, ist Professor für griechische Philologie in Basel und Mitherausgeber des
neuen »Basler Kommentars« zur »Ilias«. Er gilt als einer
der weltweit besten Kenner Homers. Frühere Auflagen
seines Buches »Troia und Homer« wurden bereits
in mehrere Sprachen übersetzt.
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