Leseprobe - Analogue Audio Association
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Leseprobe - Analogue Audio Association
analog aktuell Was ist Kult? .................................................... S. 32 Der Ring des Nibelungen ................................... S. 44 minor music .................................................... S. 64 Richard D. James ............................................. S. 67 www.AAAnalog.de – Ausgabe 2/2000 – DM 20,− Forum für analoge Musikwiedergabe – Vereinszeitschrift der Analogue Audio Association e.V. 4 I M P R E S S U M Impressum „analog aktuell“ ist die Mitgliederzeitschrift der Analogue Audio Association e.V. (AAA). Die Analogue Audio Association e.V. ist ein eingetragener Verein zur Erhaltung und Förderung der analogen Musikwiedergabe. Sie ist beim Amtsgericht Reutlingen unter VR 766 registriert. Herausgeber: Analogue Audio Association e.V. Postfach 12 27 D-72764 Reutlingen Tel.: 07121 -23761 Fax: 07121 -230067 Website: http://www.AAAnalog.de E-mail: [email protected] Vorstand: Dipl.-Ing. D. Klimo (Vorsitzender) H.-D. Wilmsen (Kassenwart). Redaktion (verantwortlich): Gernot Weiser Spitalstr. 12 66953 Pirmasens Tel.: +49 -(0)6331-289202 Fax: +49 -(0)6331 - 289201 ISDN: +49 -(0)6331-2892 03 (Fritz) E-mail: [email protected] Anzeigen: Maike Voss, Gernot Weiser (verantwortlich). (In Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle der AAA) Layout: Andrej Klimo und Thomas Wilkens (Konzeption), Gernot Weiser (Realisation) Titelbild: Apple Autoren dieser Ausgabe: Rainer Bergmann, Peter Bruker, Walter Iten, Bertram Kinderdick, Wolfgang P. Odenthal, Markus Rasche, Fritz Rüegg, ’s Bawedd, Ingo Schröder, Hans-Georg Seidel, Gernot Weiser Druck: Rohr Druck GmbH Mainzer Str. 105 67657 Kaiserslautern Für unverlangt eingesandte Texte, Fotos, Illustrationen oder Datenträger wird keine Gewähr übernommen. Sämtliche Verwertungsrechte (weitere Zeitschriften, andere Daten- und Informationsträger) angenommener Manuskripte und Illustrationen liegen – sofern nicht anders vermerkt – bei der Analogue Audio Association. Bei Nichtbelieferung im Falle höherer Gewalt bestehen keine Ansprüche gegen die Analogue Audio Association. ANALOG AKTUELL 2/2000 Forum News Technik Titel Musik ANALOG AKTUELL 2/2000 I N H A L T Leserbriefe Emotionales Erleben beim Musikhören in Abhängigkeit vom Tonträger 6 10 Neues Schweizer High-end 2000 HiFi-Tage Heiligenhaus 12 15 18 Tonarm- und Tonabnehmer-Justage Vom „Hifi hören“ zum „Musik hören“ „Wieviel Watt sollen’s denn sein?“ 22 25 27 Was ist eigentlich … Kult??? 32 Gitanos Bossanova Der Ring des Nibelungen Reissues – die Nörgelecke Music was my first love … Bawedds audiofiele Pladdeegg minor music Richard D. James 29 30 44 51 57 63 64 67 Editorial Impressum Aufgeschnappt Kleinanzeigen Kontakte 3 links 14 26 72 5 10 ANALOG AKTUELL 2/2000 F O R U M Emotionales Erleben beim Musikhören in Abhängigkeit vom Tonträger Eine experimentelle Untersuchung von Markus Rasche Hintergründe der Untersuchung: 1. Die Art und Weise mit der HiFi-Geräte, insbesondere von großen Teilen der Fachpresse, „bewertet“ werden, widerspricht zum Teil in eklatanter Weise empirischwissenschaftlichen Vorgaben. So werden z.B. kaum Blind- oder gar Doppelblindverfahren verwendet, es wird nicht mit Versuchspersonen (Vpn) gearbeitet (die Journalisten bewerten selbst), die Bewertungskriterien sind nicht transparent und interindividuell verschieden, standardisierte Verfahren (z.B. Ratingskalen) werden i.d.R. nicht verwendet und mathematisch-statistische Überprüfungen der Ergebnisse werden nicht vorgenommen – diese Aufl istung ließe sich noch fortsetzen. Mit einem Wort, die vermeintliche „Objektivität“, die viele Magazine für sich reklamieren, hält wichtigen Kriterien einer wissenschaftlichen Versuchsdurchführung und Datenanalyse nicht stand. Auflistung der verwendeten Geräte und Zubehörteile Geräte: Vorverstärker: DNM 3C Primus inkl. Netzteil u. -kabel Endverstärker: DNM PA 3A, inkl. Netzteil u. -kabel Plattenspieler: reson rota 1, inkl. Tonarm u. Tonabnehmer CD-Spieler: resolution audio CD 50, inkl. Fernbedienung u. Netzkabel DVD-Transport: resolution audio VT 960, inkl. Fernbedienung u. Netzkabel DVD-D/A-Wandler: resolution audio D92, inkl. Wandlerkabel 13W3 u. Netzkabel MD-Spieler: Sony MDS-E-52 Lautsprecher: Rehdéko RK 145 Zubehör: Lautsprecherständer: domo 145 Phonomöbel: domo 632 und domo 432 Laufwerkständer: domo PS Lautsprecherkabel: LSC 500 NF-Kabel: TYD 100 und TCD 200 2. Der eigentliche Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist der noch immer schwelende Streit, ob analoge oder digitale Tonträger die „bessere“ Musikwiedergabe ermöglichen. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema gibt es nur wenige. Eine Studie des Musikpsychologischen Instituts in Hannover kam zu dem Ergebnis, daß Vpn keine Klangunterschiede zwischen LP und CD gehört haben. Kritisch anzumerken ist jedoch, daß den verwendeten Musiktiteln fast ausschließlich digitale Masterbänder zugrunde lagen, d.h. die LP-Stücke wiesen keinen komplett analogen Produktions- und Vervielfältigungsprozeß auf. Somit kann nicht von einer strikten Trennung analoger und digitaler Tonträger ausgegangen werden kann. Seit einigen Jahren wird in der HiFi-Szene zunehmend die Auffassung vertreten, es sei ebenfalls wichtig, ob ein Tonträger den Hörer emotional fesseln könne. Meist wird behauptet, daß die LP hierzu stärker in der Lage sei, da sie als analoges Medium die höchste Informationsdichte aufweist – zwei Untersuchungen, die die Änderung der emotionalen Befindlichkeit in Abhängigkeit vom Tonträger zum Gegenstand hatten, kamen allerdings zu widersprüchlichen Ergebnissen. Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse: 1. Bewerten Vpn die Klanggüte von vier Tonträgern (Langspielplatte (LP), DigitalVersatile-Disc (Audio-DVD, 24 Bit / 96 kHz), Compact-Disc (CD) und Mini-Disc (MD)) unterschiedlich, wenn die Musik von ein und demselben (analogen) Masterband stammt? Hierzu wurde 70 Vpn ein kurzes Musikstück in einem Paarvergleichsdesign auf allen vier Tonträgern vorgespielt. Den Vpn war nicht bekannt, daß sie Tonträger miteinander vergleichen. Die statistische Datenanalyse ergab, daß die Vpn die Klanggüte der Tonträger nicht signifi kant verschieden bewerteten. Einschränkend muß allerdings gesagt werden, daß 90% der Vpn sich in keiner Weise für das Thema „HiFi“ interessierten und die Anzahl der Paarvergleiche (die aus organisatorischen Gründen begrenzt war) als suboptimal bezeichnet werden kann. Ein Teilergebnis 12 ANALOG AKTUELL 2/2000 N E W S NEUES Van den Hul hat sein Angebot an Tonabnehmern erweitert. Neben dem auf der High End vorgestellten Colibri gibt es nun auch eine verbesserte Version des Froschs, genannt „The Frog Gold“. Besonderheiten und Spezifi kationen finden Sie auf der Website unter www.vandenhul.com Jean Constant Verdier sollte allen Analog-Fans als Schöpfer der legendären Platine Verdier ein Begriff sein. Nun gibt es nicht nur bereits eine „kleine“ Version dieses Laufwerks, vielmehr kündigt der Franzose auf seiner Website auch den Prototyp einer „großen“ Version, die „Platine Magnum“ mit einem Gesamtkampfgewicht von 300 kg an. http://jcverdiervalvevinyl.online.fr/Platine_Magnum.html bzw. www.jcverdier.com. SAC bietet auf der firmeneigenen Website nicht nur Informationen über die Produkte – den SAC Girati Grande werde ich hier erwähnen – sondern auch die besten Sprüche: „Manche Firmengeschichte liest sich wie ein Nachruf. Nicht so unsere, die kann man nämlich noch gar nicht lesen. Aber wir arbeiten daran - und langweilig wird/ist sie bestimmt nicht.“ „Testberichte und gute Presse sind eine schöne Sache. Für wie aussagekräftig Sie dieses halten entscheiden Sie selber. Wir bieten Ihnen bald einen Pressespiegel über unsere Produkte. Leider wird er nie ganz vollständig sein, da vor mehr als 10 Jahren noch keiner ans Internet gedacht hat und einige Zeitschriften nicht mehr auffindbar sind.“ www.sac.de ANALOG AKTUELL 2/2000 N E W S High-end 2000 Grösste Audio + Vision Ausstellung der Schweiz! Neues Gelände · neues Publikum · neue Fragezeichen ein Bericht von Walter Iten Die Gerüchteküche bot verschiedene Varianten an, warum die High-end nach 1999 nicht mehr im ehrwürdigen Hotel National in Luzern, unmittelbar am schönsten Schweizer Gewässer Vierwaldstättersee durchgeführt werden könne. Eine Version tangierte das Mimosentum von Hoteliers … also, lassen wir das. Nach fieberhafter Suche in einem definierten Attraktivitätsradius (um Zürich herum), wurde die High-end Society in Pfäffi kon, Kanton Schwyz, fündig: 20 Autobahnminuten ab Zürich Richtung Chur, auch problemlos mit Schnellzügen und S-Bahnen erreichbar. Der Komplex hört auf den Namen Konferenzhotel **** Seedamm Plaza: Stahl, Alu, Glas, Granit, Marmor, modern und sehr hell – mir gefällt’s! Ausstellung 15. - 18. September 2000 Die Ausstellung an und für sich liess sich mittels bepfeiltem Parcours in zwei Richtungen durchschreiten. Was erwartete uns / mich dabei? (Einige Demo-Räume waren leider, bedingt durch die engen Gänge, nur nach etwas Stau und einigem Gedränge erreichbar.) Produkte Seit einigen Jahren habe ich es mir an der High-end zur Gewohnheit gemacht, samstags und sonntags nach 18.00 Uhr, gezielt einige Geräte mit ein paar ausgewählten schwarzen und silbrigen Scheiben zu testen: Da gab’s z.B. eine eher kleine, gemischte Ungrossemarken-Anlage, deren einziger Lautsprecher bei den stolzen Demonstranten erst am Einrichtungstag eingetroffen ist. Ich gehöre zu den Leuten, die ihre Klangerwartungen an Musikwiedergabe recht gut definieren können, besitze aber nicht die Fähigkeit, das Gras wachsen zu hören. Gestützt auf meine auditive Wahrnehmung realisierte ich sofort, dass das ganze Fundament, im Gegensatz zu den Mitten und Höhen, dumpf, schlaff und milchig klang. Flehend entstand in mir die Frage nach Spikes, die ich sogleich äusserte. Erstaunt und leicht enttäuscht wurde mir mitgeteilt, dass diese leider noch nicht eingetroffen seien. O.k., das Tönende beeindruckte mich trotzdem ausgesprochen stark und offensichtlich harmonierte meine mitgebrachte Software allerbestens mit der Kombination. Auf jeden Fall lösten die zelebrierten Klänge bei der vermeintlichen Schwiegermutter des Importeurs umgehend den Impuls aus, nach vorne zu stürzen, den Volumenregler, ungewohnt für ihr Alter, aufzudrehen und so dem gebannt stehen gebliebenen Publikum zu präsentieren, um welch Teufelszeug es sich bei ihren Produkten handelte: Die Kombination machte easy mit, das Zimmer eher weniger und vorne, voll neckischem Stolz, die gute Dame. Alle locker und zufrieden akzeptiert! Nicht ganz gleich erging es mir beim tête-à-tête mit dem Besitzer, Entwickler und Hersteller einer renommierten SchweizerLautsprecherfirma, der ausschliesslich seinen neuesten Prototypen zur Schau stellte. Besagtes Modell werde alsdann in 15 18 ANALOG AKTUELL 2/2000 N E W S hifi tage in heiligenhaus (NRW) – 28. & 29. oktober 2000 Ein Bericht von Gernot Weiser (Fotos: Ansgar Hecker) Freitag Nachmittag – Autobahn: Der Kölner Ring ist absolut dicht. Wollen die alle nach Heiligenhaus? Waldhotel: Nein, hier sind die nicht alle hingefahren. Auspacken, aufbauen, mal sehen, was morgen passiert. Samstag 10 Uhr: So langsam füllen sich die Räume im Waldhotel Heiligenhaus. Es wird den ganzen Tag so bleiben. Schon jetzt steht fest, die Veranstaltung ist ein Erfolg. Am Sonntag wird es etwas langsamer losgehen, aber auch der Tag ist gut besucht. Schön! Wilfried Kress Winfried Dunkel ANALOG AKTUELL 2/2000 N E W S Gute-Laune-Forum: Alfred Rudolph und Aalt J. van den Hul. hifi & records Wilfried Kress von hifi & records bot Workshops an zu den neuen Tonträgern. Neben DVD und SACD ging es auch um Möglichkeiten des Upsampling, d.h. herkömmliche CDs auf höhere Auflösungen hochzurechnen. (Ist natürlich ein Trick, gibt’s aber.) Ein wichtiger Bestandteil im Rahmen unserer gemeinsamen Veranstaltung. HÖRERLEBNIS Bei HÖRERLEBNIS führte Marco Kolks die Möglichkeiten des in High-End-Kreisen beliebten Tunings vor, sowohl für CD als auch für LP. Kompetent und gut. (Wer mich kennt, weiß allerdings, das ist nicht so ganz mein Ding. Ich befi nde mich definitiv in meiner nach-audiophilen Phase.) Ein Fan des letzteren Tonträgers ist auch Winfried Dunkel. „LP – das ist es.“ (Lege ich ihm jetzt mal in Mund.) Er führte mit CDs vor. Klar, er will seine LPs nicht durch häufiges Abspielen der immer selben Stücke strapazieren. Recht hat er, wie immer. Seine Reise führte durch Raum und Zeit, widmete sich dabei der Arbeit der großen Tonmeister, ohne vom Wesentlichen, der Musik, abzukommen. Im Gegenteil, so wie er in die von ihm geliebte Weltmusik, in Geschichte, Instrumente u.s.w. einführte – das war Klasse. Das Equipment stammte von Pluto Audio (Plattenspieler), Phonosophie (CD-Player), EAR und Brinkmann (Phonovorstufen), Klimo (Elektronik) und CD Konzertmöbel (Lautsprecher). 19 22 ANALOG AKTUELL 2/2000 T E C H N I K Tonarm- und Tonabnehmer-Justage von Wolfgang P. Odenthal Im folgenden Artikel werde ich versuchen, mit möglichst wenig Mathematik ein wenig Klarheit über die Wichtigkeit der korrekten Tonarm- und Tonabnehmer- Justage zu schaffen. Der Spurwinkelfehler Abbildung 1 zeigt die Tonarm- und Plattenspieler-Geometrie. C ist die Plattentellerachse und P der Drehpunkt des Tonarms. Die Nadel des Tonabnehmers befindet sich im Punkt S. Wäre der Tonarm gerade, so gäbe es lediglich einen Punkt, in dem der Spurwinkelfehler Null wäre. Das heißt, die Symmetrielinie des Tonabnehmers läge auf einer Tangente zu der Rille. Der Fehler, der auftritt, wenn die Nadel die Platte abspielt, könnte dadurch beliebig klein gemacht werden, daß man die Armlänge hinreichend vergrößert. Das ist, aus praktischen Gründen, offensichtlich nicht machbar. Gängige Praxis ist, den Arm anzuwinkeln, wie PAS in der Abbildung 1 zeigt, oder den Tonabnehmer in einem Winkel zum Arm einzubauen. Beide Methoden verbessern die Abtastung drastisch. Die Art und Weise, wie diese Verbesserung zu stande kommt, kann man anhand der folgenden Formel, die sich aus der Anwendung des Cosinus-Satzes auf das Dreieck PCS ergibt (sorry – aber etwas Mathe muß halt her), erkennen. Abbildung 2 zeigt eine Grafi k für einen Wert von 240 mm für die effektive Länge L und drei Werten für D, gewöhnlich Überhang genannt. Aufgetragen ist der Spurwinkelfehler phi eines geraden Arms PS. Man kann erkennen, daß wenn R größer wird, auch phi für D=0 größer wird. Ist D jedoch positiv (d.h. L > PC), so geht die Kurve durch ein Minimum. Differenzieren der Gleichung 1 ergibt die in Abbildung 2 gezeigte Relation. Die Tatsache, daß es ein Minimum für phi gibt, ermöglicht eine Verbesserung der Abtastung. Verdreht man den Tonabnehmer um den Winkel beta (Abbildung 1), so wird der Spurwinkelfehler kleiner. Dies wird in Abbildung 3 gezeigt, wobei ein Wert von 240 mm für L und ein Winkel von 23° für den Winkel PSA (nicht PAS) verwendet wird. Ein Vergleich der Abbildungen 2 und 3 zeigt die Verbesserung infolge der Verdrehung. In Abbildung 2 ist der Spurwinkelfehler der Wert von phi, während er in Abbildung 3 die Differenz zwischen phi und beta ist, die wir delta nennen. Er ist nicht nur kleiner, sondern jetzt gibt es auch zwei Positionen wo er gleich Null ist. Es ist jedoch nicht nur der Wert von delta der die verursachten Verzerrungen (prinzipiell 2. Harmonische) bestimmt. Man kann zeigen, daß die Verzerrung proportional delta / R ist. Für ein gegebenes delta steigt die Verzerrung mit abnehmendem Radius. Die Abbildungen 2 und 3 zeigen auch, daß der Spur- ANALOG AKTUELL 2/2000 T E C H N I K Vom „Hifi Hören“ zum „Musik Hören“ subjektive Erfahrungen am Beispiel des aktiven Regielautsprechers Geithain RL 04 zur möglichen Hinterfragung des eigenen Erlebnis- und Erfahrungshorizonts von Hans-Georg Seidel Es ist kein Geheimnis, daß sich pauschal, grob gerastert formuliert, hinsichtlich dieses thematisch unterstellten Dualismus, auffassungs- bzw. verständnismäßig häufig gewaltige „Gräben“ auftun. Steht mal geradeheraus schwarz-weiß betrachtet, die eine Fraktion für das „Hecheln“ nach immer mehr von sogenannten audiophilen Monsterscheiben, abgehört über Anlagen, die mit „Schwefelhölzchen“ getunt nur bei Vollmond zu höchster Verzückung führen, so beharrt die andere zahlenmäßig verschwindend geringe, auf dem Primat von Interpretation, Ausdruck‚ Meisterschaft etc. und kümmert sich gar nicht um hifieske Kriterien, ja hat in der Hifi-Landschaft leider überhaupt keine Heimat. Letztere ist auch häufig nicht zu überzeugen, daß eine gute Anlage ihrem Musikliebhabertum keinesfalls Abbruch täte, sie nicht auf Technik fi xiere, sondern Werke erst reproduktionstechnisch „vollständig“ erschlösse. So eine Art irrationaler ahnungsloser „Antitechnikdünkelelite“, denen es fast sendungsbewußt, hymnisch salbadernd nur um die Musik geht und sonst gar nichts. Sogar festen Glaubens, Interpretationsbeurteilungen, musikalische Leistungen seien über musikreproduktionstechnisches Müllinstrumentarium möglich. Erstere Fraktion wiederum, die Mehrheit in der Hifi-Szene, tut sich generell mit der wirklichen Beschäftigung in Sachen Musik sowie einem Mindestmaß an Grundwissen erheblich schwer. Man frönt seinem Gerätehobby und Musik ist die „Krücke“. Eine Art „Zwitter“ stellt der Musikliebhaber und trotzdem musikreproduktionstechnisch Informierte dar. In nachfolgendem Erfahrungsbericht soll der schwierige Versuch einer Annäherung von der Ebene des Anlagehörens zum Musik hören gemacht werden, der sich insbesondere an eben diesen beschriebenen „Zwitter“ richtet. Das natürlich auf subtilster, individualistischer Plattform ohne Anspruch auf Absolutheitsaussagen und ohne pauschale Abqualifi kation anderer Produkte. Der o.g. Adressatenkreis wäre eigentlich rein theoretisch die ideale Klientel für ein boomendes Hifi-Geschäft, gäbe es ihn in wirtschaftlich notwendigem Umfang. Nach meinen Erfahrungen (sehr subjektiv) ermöglichen nur wenige „Geräte“ den Schritt zum „reinen“ Musik Hören zu vollziehen, u.a. weil sie (Musikreproduktionsgeräte) „Kinder“ einer Interaktion, eines Entwickler-Kundengeflechts sind, das neben wirtschaftlichen Aspekten in einem high-endigen Szenebombast gefangen ist und immer neue abenteuerliche Phantastereien hervorbringt. Neue Ideologien kreiert und sie dann sensationsheischend bedient. Man arbeitet eben für den Mehrheitskunden, dessen Suggestibilität vom musikalischen Standpunkt aus betrachtet, zu immer groteskeren Exzessen führt, dessen Ansprüche und Vorstellungen andererseits häufig von eklatantem musikalischem Nichtwissen getragen sind. Es gilt aber, aus wirtschaftlichen Gründen diesen mehrheitlichen Kunden zu bedienen. Den Musikliebhaber mit umfassendem Musikreproduktionswissen kann man sich eben nicht „backen.“ Er ist das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, 25 ANALOG AKTUELL 2/2000 T E C H N I K „Wieviel Watt sollen’s denn sein?“ Musikreproduktionsgeräte im Spiegel „anspruchsvoller Anspruchslosigkeit“ von Hans-Georg Seidel Leben wir nicht in einer Zeit, in der uns medienmäßig fast tagtäglich eingehämmert wird, daß gegenüber früheren Zeiten generell alle Ansprüche erheblich gewachsen wären, der sogenannte mündige allseits bestens informierte Bürger die Meßlatte für alle Produkte immer höher gelegt hat? Gilt das also folgerichtig ebenso für die Qualität an angebotenen Musikreproduktionsgeräten? Wie hervorragend, denn dann müßten wir folgerichtig in einer Anspruchsebene leben, auf der höchste Musikreproduktionsgerätequalität auf breitester Konsumentenbasis etabliert wäre und die entsprechende Händlerszene Absatzrekorde feierte. Die Rundfunksender müßten uns mit bester klanglicher Qualität beglücken, immer in dem Bewußtsein, diesem anspruchsvollen Hörbewußtsein zu entsprechen. Auch der Aspekt der Tonträgeraufnahme- und Wiedergabequalität müßte höchste 27 ANALOG AKTUELL 2/2000 M U S I K Gitanos „Los Rumberos“ von Gernot Weiser „Gitanos“ – wörtlich: „Zigeuner“. Aus Gründen der politischen Korrektheit, wie der Leser wohl nachvollziehen wird, möchte ich diesen Begriff jedoch nicht verwenden. „Die Zigeuner! Ein Volk? Nein, mehrere Volksgruppen, wohl unterschieden.“ So beginnt auch der Covertext der vorliegenden LP des Labels Pierre Verany. Dies ist der eine, ganz dicke Pluspunkt: Nicht plumpe Ethnofolklore, sondern bewusster Umgang mit einem nicht ganz leichten, weil von der Geschichte belasteten Thema. Wer also in Kürze Informationen zu diesen Völkern und ihren Beziehungen untereinander sucht, der ist hier gut aufgehoben. „Zigeuner“ – dieser Schimpfwort (und damit unmöglich) gewordene Begriff bezeichnet im engeren Sinne die Volksgruppe, die wir heute Roma nennen und die, ursprünglich aus Indien stammend, ihre Heimat in Osteuropa hat. Die Sinti sind die zweite größere Volksgruppe. Zuletzt die „Gitanos“, aus Andalusien und Katalonien stammend, die heute zahlreich in der Gegend um Marseille und Montpellier angesiedelt sind. Bekannt dürfte ihr jährliches großes Treffen am 24. und 25. Mai im kleinen Ort SaintesMaries de la Mer in der Camargue sein, wer die Gelegenheit hat, sollte sich eine Reise dorthin einmal vornehmen. Kein Wunder also, dass sich ein französisches Label diesem Thema widmet. Und es geht nicht um Information – die wird nebenbei geliefert –, sondern um die Musik. Musik der Gitanos. Denken Sie dabei aber bitte nicht an geigende Straßenmusikanten! Auch bitte nicht an die ungarische Salonmusik, die Franz Liszt für ursprünglich ansah. Sehen Sie lieber auf das Cover! Gitarren! Genau genommen sind es drei Gitarristen, die sich in der Gruppe „Los Rumberos“ zusammengeschlossen haben. Sie spielen auf dieser LP sowohl Eigenkompositionen als auch traditionelle Stücke ihres Volkes. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich diese Scheibe zu besorgen. Mehrere Dinge zeichnen diese Einspeilung aus: Spielfreude, Virtuosität, die nicht zu hohlem Perfektionismus verkommen ist, Leidenschaft und Gefühl, Authentizität. Wenn Sie bisher noch keine Gitarren-Platte haben, dann greifen Sie zu. Wenn Sie schon eine haben, und es hat Sie nicht vom Stuhl gehauen, dann greifen Sie zu. Wenn Sie welche haben und Sie finden Sie gut aufgenommen, dann besorgen Sie sich diese und staunen Sie! Wie? Sie glauben, so etwas gibt es nicht mehr? Gibt es doch! Dieser Aufnahme aus dem Jahr 1980 (?) hat sich ein guter Mensch in Italien angenommen. Und allen Vinyl-Freaks sozusagen unter den diesjährigen Weihnachtsbaum gelegt. 29 ANALOG AKTUELL 2/2000 M U S I K Bossanova Live on Tour – Brasilianische Nacht mit Livemusik von Hans-Georg Seidel Bossanova steht hier gleichbedeutend für die brasilianische Seele der Musik und für die Bossanova Live-Präsentation des brasilianischen Livemusiklokals in Düsseldorf Bilk im Rahmen der Vorführung des gleichnamigen Films der Biennale in der Düsseldorfer Altstadt direkt in der Schneider-Wibbel Gasse. Insbesondere Chefin Sunnay Lisboa hat sich die dauernde Etablierung dieser Musik im Livecharakter mit Energie und Einsatz „auf die Fahne“ geschrieben und verfolgt dies mit erheblicher Konsequenz. Auf die Probleme, heute noch Lokalitäten mit Livemusik auf Dauer am Leben zu erhalten, braucht wohl dabei nicht hingewiesen zu werden. Im musikalischen Zentrum des von der Bossanova Crew auf „Tour“ angebotenen Konzertes standen zwei Säulen brasilianischer Lebensart. Institutionen, die weltweit mit Brasilien assoziiert werden. Zum einen das Konzert des arrivierten Bossa-Nova Virtuosen Paulo Noranho, der seit ca. 25 Jahren mit seiner Musik, seiner Seele seinem Lebenselexier wie er sagt, durch die Welt tourt. Dies war aus jeder Aktion seines hingebungsvollen Spiels nachvollziehbar. Dabei umfaßt seine Musik ein breites Spektrum der Spielarten des Bossa-Nova, unterschiedlichste Einflüsse auch aus der europäischen klassischen Musik sowie anderen Musikrichtungen bis hin zu Stücken und „Zitaten“ von Heitor Villa Lobos mit erheblichem spieltechnischem Anspruch. Ein ernsthaft, tief seelenvolles Konzert mit unter europäischer Perspektive schon tendenziell intellektueller Plattform aber auch rein emotional erlebbar. Als Kontrast hierzu vermittelte die brasilianische Samba-Schönheit Yroshi aus Bahia so etwas wie die „ungeheure Leichtigkeit des Seins“. Der Einbau ihrer Samba Auftritte in das Gesamt- programm, der natürlich mit sichtlicher auch optischer Begeisterung aufgenommen wurde und der Stimmung im Sinne eines spontan unverkrampften Gestus zugute kam, verlieh der Veranstaltung eine scheinbar dualistische und doch integrativ identisch brasilianische Konzeption. Welch multikulturell belebendes, aussagereiches Livemusikereignis. Ein solches Programm mitten im Herzen der sogenannten traditionellen „rheinischen Seele“, der Düsseldorfer Schneider-Wibbel Gasse. Das Publikum spiegelte diese Vielfalt nationalitätenadäquat wider. „Schneider-Wibbel goes Rio“, könnte man räsonieren. Hätte er sich wohl auch nie träumen lassen. Düsseldorf mal wieder als musikalischer Kreuzungspunkt unterschiedlicher Kulturen. Das alles unter dem Zepter völker verbindender Livemusik. Auch wenn in der Nachhippie-Ära die Blütenträume geplatzt sind, was Musik letztendlich Entscheidendes völkerverbindend leisten kann, indem man allzu illusionistische Hoffnungen über Bord werfen mußte, so ist eine solches Liveereignis trotzdem eine realistische Wohltat im Interesse des wachsenden Verständnisses unter den Kulturen. Damit stellte auch diese Livemusikpräsentation des Bossanova, in dem fast jeden Tag Livemusik geboten wird, im Sinne der grenz- ja kontinententenüberschreitenden positiven Aspekte der „Noten“ ein gelungenes Meeting dar. Der Dank gilt insbesondere dem solistischen Musiker Paulo Noranho, der SambaQueen von Bahia, Yroshi, dem Team, das für das leibliche Wohl aus brasilianischen Köstlichkeiten sorgte, und nicht zuletzt der Statthalterin Sunnay Lisboa. 31 32 T I T E L ANALOG AKTUELL 2/2000 Was ist eigentlich … ANALOG AKTUELL 2/2000 T I T E L KULT ??? „Kult, der; -[e]s, -e [lat. cultus = Pflege; Bildung; Verehrung (einer Gottheit), zu: cultum, 2. Part. von: colere = bebauen, pflegen]: 1. an feste Formen, Riten, Orte, Zeiten gebundene religiöse Verehrung einer Gottheit durch eine Gemeinschaft: ein heidnischer, der christliche K.; der K. des Dionysos; jmdn. in einen K. einweihen. 2. a) übertriebene Verehrung, die man jmdm. angedeihen lässt: mit jmdm. einen K. treiben; b) besondere, übertrieben sorgfältige Form des Umgangs mit einer Sache: ein K. der Schönheit; der K. mit Krawatten, Hemden; aus etw. einen K. machen.“ (c) Dudenverlag 33 34 ANALOG AKTUELL 2/2000 T I T E L Kult ist … … der LP 12 1972. Ein Schotte macht sich daran, die Welt der High Fidelity umzukrempeln. Sein Name: Ivor Tiefenbrunn. Sein Produkt: ein Plattenspieler – Linn Sondek LP 12. Nicht irgendein Plattenspieler, sondern einer der das Denken verändern wird … Dies ist natürlich nicht das Verdienst des Plattenspielers, sondern der dahinterstehenden Philosophie. Und der Leitsatz, dass das Frontend einer Kette den Klang bestimmt, wird zuerst belächelt – heute zweifelt kaum ein ernsthafter Anhänger der hochwertigen Musikwiedergabe daran. Noch immer dreht er sich, der groovende Schotte. In seiner Preisklasse wohl der meistverkaufte Plattendreher. Scheint nicht gealtert, sondern reifer geworden. Groove on! Gernot Weiser (Foto: Linn) ANALOG AKTUELL 2/2000 T I T E L 35 46 ANALOG AKTUELL 2/2000 M U S I K Der Ring des Nibelungen Teil 1 von Peter Bruker Historischer Abriss Der erste Gedanke zum „Ring des Nibelungen“ kam dem 1813 in Leipzig geborenen Wagner, als er 35 Jahre alt war. Im Alter von 61 Jahren setzte der den Schlussstrich unter das gewaltige Werk. Zuvor hat Richard Wagner – nach diversen Opern wie „Das Liebesverbot“ oder der sechs Stunden Aufführungsdauer umfassende „Rienzi“ – verschiedene Musikdramen komponiert, unter anderem „Der fliegende Holländer“, „Tannhäuser“, und „Lohengrin“. Die Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ ist in der Musikgeschichte in mehrfacher Hinsicht einzigartig und stellt bis heute das umfangreichste musikali- Bild vorhergehende Doppelseite: „Das Rheingold“, 4. Bild, Bayreuth 1930, Regie: Siegfried Wagner, Bühnenbild: Kurt Söhnlein (Vorlage aus dem Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung / RichardWagner-Gedenk stätte Bayreuth) Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ ist das Monumentalste, was je für die Bühne geschaffen wurde. „Der Ring des Nibelungen“ umfasst die Musikdramen „Das Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“, wobei „Das Rheingold“ von Wagner als Vorabend für die drei folgende Werke konzipiert wurde. Ein rund 15-stündiges Werk, als Tetralogie geschaffen und verteilt auf vier Abende. Glücklicherweise hat Wagner seine ursprüngliche Absicht fallen gelassen, und den Ring für die Nachwelt erhalten. So war von ihm geplant, eine einzige Aufführung der Tetralogie einzurichten. Diese hätte in einer Art Festspielhaus stattfinden sollen, welches Wagner über dem Rhein errichten wollte. Nach dieser Aufführung hätte die Partitur verbrannt und damit für die Nachwelt vernichtet werden sollen. Es kam nicht dazu. Stattdessen findet auch heute noch eine stete Auseinandersetzung mit diesem Mammutwerk statt. Nicht nur auf dem Grünen Hügel von Bayreuth werden neue Deutungen und Interpretationen des Werks versucht und mit mehr oder minder großem Erfolg bewerkstelligt. Und es gibt eine Vielzahl von Schallplatteneinspielungen. Teilweise von der gesamten Tetralogie, teilweise auch nur von einem einzelnen Musikdrama, bis hin zu einzelnen Akten – bei Wagner in der Regel „Aufzug“ genannt – oder gar nur Szenen. Die Fülle dieser Einspielungen ist unübersehbar und nur Spezialisten ist es wohl vergönnt, hier den Überblick bis ins Detail zu besitzen. Um nun Interpretationen von Schallplattenaufnahmen dieses die Musikwelt so maßgeblich bestimmenden Werkes zu vergleichen, gilt es deshalb eine Auswahl zu treffen, die aber keinesfalls die auf dem Markt befi ndlichen Einspielungen repräsentieren kann. Andere Gesichtspunkte waren bei der Auswahl der zu vergleichenden Interpretationen für mich maßgeblich. So habe ich insgesamt drei Kompletteinspielungen des „Ring des Nibelungen“ gewählt, die jede für sich – so unterschiedlich sie auch sind – als auch heute noch gültige Wagnerinterpretation gelten dürfen. Alle drei sind in den 60er-Jahren entstanden. Und alle drei verfügen ANALOG AKTUELL 2/2000 M U S I K Reissues - die Nörgelecke von Bertram Kinderdick Als vor etwa fünf Jahren SPEAKERS CORNER und CLASSIC RECORDS hochwertige Neuausgaben alter Schallplatten veröffentlichten, bedienten sie zunächst die Sammler mit Klassik-LPs, bei deren Auswahl die ominöse „TAS-Liste“ von Harry Pearson, dem Herausgeber der inzwischen dahinsiechenden „The Absolute Sound“, eine erhebliche Rolle spielte. Dieser Marktsegment ist inzwischen weitgehend gesättigt, gleichzeitig ist nach dem Ableben von MOBILE FIDELITY und DCC eine Marktnische entstanden, die wieder zu füllen ist. Folgerichtig hat sich auch das Repertoire der in den letzten Monaten erschienen Reissues verlagert: Pop- und Jazz-LPs sind inzwischen in der Mehrzahl. Santana: Supernatural ARISTA 19080 (CLASSIC RECORDS) Carlos Santanas grandioses Comeback noch ausführlich zu würdigen, ist sicherlich an dieser Stelle nicht mehr nötig. Im vergangenen Frühjahr erschien eine Vinylversion auf dem Originallabel ARISTA, die sich z.B. auf der High-End großer Nachfrage erfreute. Dieses Doppelalbum wurde in Deutschland über mindestens zwei verschiedene Vertriebswege angeboten, was zu erheblich differierenden Endverbraucherpreisen zwischen 42 und 60 DM führte. Die im Herbst 2000 veröffentlichte Luxusversion von CLASSIC RECORDS kostet etwa das Doppelte. Lohnt sich das? Von der ARISTA-Pressung war ich trotz des Stickers „180g audiophile pressing“ arg enttäuscht. Das Vinyl knistert vernehmlich, auch mehrmaliges Reinigen half nicht. Eine Nachfrage bei Freunden ergab, dass deren Platten auch nicht besser waren. Das eher spröde Klangbild mit rauen Höhen brachte überhaupt keine Verbesserung gegenüber der CD. Das erinnerte mich fatal an die Plattenproduktion vor 10 Jahren, als die Industrie das Potential des Vinyls wohl entweder bewusst oder durch LowBudget-Produktion nicht nutzte und der CD damit zu einem scheinbaren Vorteil verhalf. Bei CLASSIC RECORDS darf man dagegen sicher sein, dass sie auch das Letzte aus dem vorliegenden Bandmaterial herauskitzeln. So klingt dieses Album auch sauber, mit sattem Bass, klaren Höhen und großem Dynamikumfang. Allerdings muss auch der bekennende Vinylfan in mir zugeben, dass abgesehen von einer plastischeren Räumlichkeit mit etwas mehr Tiefe der Unterschied zur CD nicht sehr groß ist und eher die Systemunterschiede CD - LP wiederspiegelt. Fazit: Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist bei der gewöhnlichen CD am besten. Wer auf Vinyl schwört und auch bestmöglichen Klang haben möchte, muss zur CLASSIC RECORDS-Pressung greifen. 51 ANALOG AKTUELL 2/2000 M U S I K Music was my first Love … von Rainer Bergmann Jeder von uns war wohl schon mal in der Situation, dass er sich sagte: eigentlich fehlt mir in meiner Sammlung noch was von der Gruppe / dem Künstler XY, aber welche Platte nehme ich? Eigentlich will man nur eine Platte, maximal eine Doppel-LP, aber der gute Freund empfiehlt die Platte A, der versierte Händler die Platte B, die Platte C hat die besten Kritiken bekommen, die Platte D hat das schönste Cover, u.s.w. … Unvorsichtige Zeitgenossen greifen zur „Best of …“‚ die mit schöner Regelmäßigkeit zum Weihnachtsgeschäft ( sorry, eigentlich ja Weihnachtsfest ) auf den Markt kommt. Doch Vorsicht: Best of bedeutet meist best sold, sprich die größten Hits. Das hat sicher seine Berechtigung und ist mitunter gar nicht mal so schlecht, wenn es aber um einen Querschnitt durch das Schaffen des / der Künstler/s geht, gibt es eine bessere Möglichkeit: Live-Alben ! Überrascht? Denkt doch mal über folgendes nach: 1) Nicht ein Marketingmensch entscheidet, was dem Käufer vorgesetzt wird, sondern der / die Künstler selbst. 2) Wenn auch ein Live-Album meistens auf der Promotiontour für eine gerade neue Platte aufgenommen wird, sind doch auch alte Sachen drauf. 3) Livekonzerte kommen nie ohne die größten Hits daher. 4) Der / die Künstler bringen Songs, die sie selbst gut fi nden, denn so ein Konzert soll ja auch ihnen selbst Spaß bereiten. 5) Um für jeden im Publikum was zu bieten, ist so ein Konzert abwechslungsreicher als reine Studioaufnahmen. 6) Die Band spielt zusammen und so entsteht ein homogener Sound, keine zusammengestückelten Aufnahmetakes. 7) Die Atmosphäre stimmt, keine kalte, sterile (perfekte?) Studioatmosphäre. Würde sie nicht stimmen, würde der Konzertmitschnitt nicht veröffentlicht. Deshalb möchte ich im Folgenden ein paar tolle Live-LPs vorstellen, unabhängig von der Musikrichtung. 57 58 M U S I K M U S I C W A S … ANALOG AKTUELL 2/2000 JOE JACKSON MACEO PARKER PHIL COLLINS BIG WORLD LIVE ON PLANET GROOVE SERIOUS HITS LIVE Drei Steigerungsformen der Wunscherfüllung für Musikfans gibt es prinzipiell: 1.) die neueste Platte der Lieblingsgruppe 2.) eine Karte für das nächst Konzert 3.) die Lieblingsband spielt live zuhause im Wohnzimmer bzw. Garten. Alternativ laden deine Helden dich ins Konzert ein, eine ganze Halle mit allem Drum und Dran, nur du und die Musiker. Unmöglich? Fast! Joe Jackson machte es mit Big World 1986 (A&M) möglich. Er brachte das Publikum für die Aufnahme dazu, mucksmäuschenstill zu sein, und so die Illusion einer leeren Halle vorzugaukeln. Es ist geradezu magisch. Man hat das Gefühl, wirklich allein mit den Musikern zu sein, mitten in einer grossen Halle, inmitten der speziellen Akustik. Und sie spielen ihre Lieder nur für dich. Typische Joe-Jackson-Musik abseits der üblichen Schubladen. Poesie in Musik. Sanfte Balladen, poppige Songs, ein bisschen Chanson, ein bisschen Jazz, ein bisschen Rock. Sauber und präzise auf 2-Spur-Band (leider digital) direkt aufgezeichnet. Ohne Umweg, ohne Einengung durch Limiter und ähnlichen Dreck, und auf 3 (!) Seiten dickem Vinyl gepresst. Ein Tipp: wartet bis es draußen dunkel ist, die Nachbarn im Urlaub, die beste (Ehe)frau bzw. (Ehe)mann von allen entweder zum Kegelausflug oder in Musiklaune, und dann mit beherztem Griff zum Lautstärkeregler greifen. Danke, Joe, immerwährenden Dank für diese großartige Platte. Schon wieder Maceo! Sag mal Rainer, kann es sein, dass du Maceo Parker gut findest? Gegenfrage: Kann es sein, dass der Papst katholisch ist? Oh yeah, I love him! Studiomäßig ist der Mann ja schon genial, aber live … Auf der Bühne lebt Maceo den Funk. Das 1992er Doppelalbum (Minor Music) wurde im Kölner Stadtgarten Restaurant mitgeschnitten und ist für mich definitiv das Livealbum für die berühmt-berüchtigte einsame Insel. Ich habe ihn auf der damaligen Tournee live im Oberhausener Ebertbad erlebt, und glaubt mir, diese Platte bringt soviel Atmosphäre rüber, wie man es sich nur wünschen kann. Da werden Erinnerungen wach, da wippen die Füße, da zucken die Knie, da wackeln die Hüften, da schwingt der Oberkörper, da wackelt der Kopf, da zucken die Arme, da folgt der ganze Körper der Aufforderung des ersten Titels: „Shake everything you’ve got!“ Wer da still im Sessel sitzen bleibt und nicht akute Tanzwut spürt, ist entweder tot, oder musikalisch ganz, ganz anders gestrickt. Die lesen wahrscheinlich diesen Artikel noch nicht einmal. Schade, schade. Na, wie dem auch sei, die Geschmäcker sind verschieden, und das ist auch in Ordnung. Über so Nebensächlichkeiten wie Klangqualität will ich bei dieser großartigen Platte keine großen Worte verlieren. Die Superstimmung kommt ebenso super rüber, und das sagt genug. Steht ja auch Minor Music drauf, dann ist auch Minor Music drin. Genesis war ja mal eine experimentierfreudige, eigenständige Band. Bis Peter Gabriel ausstieg und eigene, großartige Platten machte. Die Phase mit Phil Collins als Sänger war schon kommerzieller, und Genesis wurde schließlich eine Band unter vielen. Sehr bedauerlich. Da waren sogar die Soloplatten von Phil Collins besser. Für meinen persönlichen Geschmack aber so kommerziell, dass ich das Ganze als Teeniekram ablehnte. Vor der Tatsache, dass er Hit auf Hit produzierte und so seine Qualitäten zeigte, ziehe ich selbstverständlich den Hut. Da gehört schon was dazu. Dennoch, die Sachen klangen mir alle zu clean, zu perfekt, zu steril, zu massenkompatibel. Nix für Vater sein Sohn. Und dann plötzlich, auf einer Fete, ist es passiert. Aus heiterem Himmel (na gut, draussen war’s schon dunkel), ohne Vorwarnung, einfach so, legt jemand diese Platte auf. Phil Collins live! Stimmung, Atmosphäre, Drive, Herzschmerz, Spaß, Sinnlichkeit – alles da! Alles, was mir an seiner Musik fehlte, ist nicht nur einfach da, es drängt sich förmlich auf. Ich habe die schlimme Befürchtung, dass der Mann im Studio eingeschlossen wurde, bis die Platte fertig war und den Männern mit den dunklen Anzügen, den Sonnenbrillen und den verkniffenen Buchhaltergesichtern gefiel. Dann erst wurde er in die Freiheit entlassen – auf die Bühne. Dort lebte er dann wieder auf und seine Seele konnte sich entfalten. Genau das kommt auf dieser 1990 bei wea erschienenen Doppel-LP rüber. Dass die Musik ziemlich kompakt aus der Mitte kommt, hat möglicherweise mit der mittig im Publikum befindlichen Bühne zu tun, wie auch auf der Plattenrückseite zu sehen. Aber das ist wirklich zweitrangig. 64 ANALOG AKTUELL 2/2000 M U S I K minor music von Rainer Bergmann KARL DENSON HERBAL TURKEY BREAST Eigentlich ist Jazz ja nicht ganz so mein Ding. Blues, Rock, Soul, Funk, Electronic, ja das ist was für mich. Und Klassik, natürlich. Aber beim klassischen Jazz tue ich mich dann doch etwas schwer. Dennoch, an einem düsteren Sonntagnachmittag oder zu eher nächtlicher Stunde darf es dann auch schon mal Jazz sein. Vorrausgesetzt, er hat Qualitäten wie auf dieser Platte. Mal swingt und groovt er auf Teufel komm raus, dann hat er Bigbandcharakter und bald improvisieren die Musiker wild drauf los. Andere Stücke sind geradezu melancholisch oder reinster Cooljazz. Das hat was, da kommt keine Langeweile auf. Konstantes Element ist dabei immer das von Karl Denson gespielte Saxophon. Für Jazzliebhaber oder solche, die es werden wollen, eine dicke Empfehlung; für alle anderen eine wunderbare Anregung zur Horizonterweiterung. ANETTE LOWMANN Was wäre die Welt ohne Ella Fitzgerald? Armer, viel ärmer! Nun ist Ella leider nicht mehr, aber Anette Lowmann lebt. Tonal nur ein wenig dunkler, könnte man die beiden beinahe verwechseln. Fast möchte man glauben, Ella habe sich klonen lassen, und bringe jetzt in neuer Höchstform nagelneue Platten heraus. Wunderbar entspannt fließt die Musik aus den Lautsprechern direkt ins Gemüt. Eine herrliche Platte für den romantischen Abend zu zweit, zum geruhsamen Entspannen bei einem Glas Wein oder, welch eine Verschwendung, als Hintergrundberieselung bei einem guten Buch. Ganz ehrlich, diese Platte gehört in jede gute Jazzplattensammlung; und allen Musikliebhabern, die sanft swingende Jazzmusik mit weiblichem Gesang nicht aus tiefstem Herzen ablehnen, sei sie wärmstens an eben jenes gelegt. Ella lebt! ANALOG AKTUELL 2/2000 M U S I K Richard D. James just music from technology von Ingo Schröder Wer ist Richard D. James? Oder besser: Was verbirgt sich unter dem Namen Aphex Twin, unter dem er den größten Teil seiner Stücke veröffentlicht hat? Kurz gesagt, es handelt sich hierbei um elektronische Musik, und diese ist in diesem Falle unverwechselbar. Aphex Twin klingt anders als alles andere und ist trotzdem abwechslungsreich. Viele Stücke sind durchaus bekannt, weil sie in den Medien zur Untermalung von Werbespots, Berichten oder Reportagen eingesetzt werden. Wenn der Zuschauer durch die Musik vom Beitrag abgelenkt und irritiert wird, dann handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Richard D. James. Dieser hat ein besonderes Gespür für einfache schöne Melodien, die teilweise sogar wie Kinderlieder klingen welche er dann mehrlagig in seinen Stücken übereinanderschichtet und variiert. In Kombination mit ungewöhnlichen verfremdeten Sounds ergeben sie das Phänomen Aphex Twin, welches wie alle elektronischen Klänge der Jetztzeit gerne in die Techno-Ecke gestellt wird, was in diesem Falle aber weder der Musik noch der Käuferschicht gerecht wird. 67