EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 März 2015

Transcrição

EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 März 2015
Ausgabe 2
März 2015
EY Restructuring Insights
Thema im Fokus
3Das Mindestlohngesetz (MiLoG) –
was ändert sich wirklich
8Interview mit Stefan Körzell,
Bundesvorstand des DGB
Audit
13Passivierung von Gesell schafter­darlehen bei Rangrücktrittsvereinbarung
Branche im Fokus
15Die Restrukturierung notleidender
Stadtwerke
Tax
18Neuregelung zur Erhebung der
Gewerbesteuer auf
einen Sanierungsgewinn
Daten, Fakten, Sonstiges
Editorial
Mit Spannung haben wir Ihre Rückmeldungen zur Erstausgabe unseres Newsletters
­Restructuring Insights erwartet. Das vielfältige positive Echo und die interessanten
Anregungen gaben uns einen Motivationsschub für diese zweite Ausgabe.
Bestätigt fühlen wir uns in der Kombination fachübergreifender Aspekte der Restrukturierung in unserer Publikation und werden dieses Format konsequent weiterverfolgen:
Unser „Thema im Fokus“ beschäftigt sich mit dem Mindestlohn. Seit Anfang 2015
gelten die neuen Regelungen. Frau Sibel Bagci berichtet in ihrem Praxisbeitrag über ihre
Erfahrungen und Eindrücke aus der Einführungsphase. Zudem konnten wir Herrn
Stefan Körzell, den zuständigen DGB-Vorstand, für unser Experteninterview gewinnen.
Der „Branchenartikel“ erläutert die Herausforderungen im Umfeld der Stadtwerke. Die
Liberalisierung des Strommarktes hat zu einer (negativ) veränderten Erlösstruktur
geführt. Sie ist zusätzlich durch den zunehmenden Ökostromanteil unter Druck geraten.
Basierend auf einem Praxisfall gibt Dr. Gunnar Gerig Ihnen Hinweise, wie Unternehmen
darauf am besten reagieren sollten.
Aus dem Bereich Steuern und Wirtschaftsprüfung finden Sie zwei restrukturierungsrelevante Beiträge zum Rangrücktritt und zum Sanierungsgewinn. Der erste knüpft
an ein Urteil vom 12. Juni 2014 an, das sich mit der korrekten handels- und steuer­
bilanziellen Berücksichtigung von Darlehen beschäftigt, die mit einem Rangrücktritt
versehen sind. Der zweite stellt Ihnen die Neuregelung des § 184 Abs. 2 Satz 1 AO
vor, die eine Vereinfachung der Besteuerung von Sanierungsgewinnen zum Ziel hat.
Redaktion
Bernd Richter
Partner
Transaction Advisory Services
Restructuring
Ein kurzer Nachtrag zur letzten Ausgabe: Dort hatten wir in einem Fallbeispiel zur
operativen Restrukturierung dargestellt, wie ein EY-Team nach erfolgreicher finanzieller Stabilisierung umfangreiche Optimierungen in Fertigung, Einkauf und Overhead
­erarbeitete. Inzwischen wurde das Unternehmen nicht zuletzt aufgrund der von uns
identifizierten Sanierungshebel an einen Investor veräußert. Diese Erfolgsmeldung
freut uns sehr – für das Projektteam und selbstverständlich auch die Mitarbeiter des
Unternehmens.
Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre, bitten Sie auch weiter um Rückmeldungen und wünschen Ihnen und Ihren Familien bereits an dieser Stelle ein schönes
Osterfest.
[email protected]
Dr. Jörg Sandow
Partner
Transaction Advisory Services
Restructuring
[email protected]
Bernd Richter
Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und leitet als verantwortlicher Partner
das Restrukturierungsteam in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
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Thema im Fokus
Das Mindestlohngesetz (MiLoG)
ist mit Wirkung zum 1. Januar
2015 in Kraft getreten. Durch die
Gesetzeseinführung ergeben sich
neue A
­ nforderungen ­bezüglich Ent­
lohnungsstrukturen und Dokumen­
tationspflichten. Wir geben einen
Überblick über die rechtlichen Leit­
linien und berichten über erste
­Erfahrungen seit der Einführung.
Das Mindestlohngesetz (MiLoG)
– was ändert sich wirklich?
Gesetzliche Regelung
Anwendungsbereich des MiLoG
Dauerhafte Ausnahmen
Arbeitnehmer, die in Deutschland beschäftigt sind, haben gemäß
§ 1 Abs. 1, 2 MiLoG ab dem 1. Januar 2015 einen Anspruch auf
den Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Zeitstunde. Der gesetzliche Mindestlohn gilt unabhängig vom Sitz des Arbeitgebers und
erfasst alle bestehenden wie auch neu geschlossenen Arbeitsverhältnisse. Der Mindestlohn gilt neben Vollzeitbeschäftigten uneingeschränkt auch für Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse sowie für
geringfügige (450,00 Euro pro Monat) und für kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse.
Das MiLoG gilt nur für Arbeitnehmer und somit nicht für selbstständig Tätige. Das Gesetz beinhaltet jedoch auch einige dauerhafte
Ausnahmen bei Arbeitnehmern:
Abweichungen vom gesetzlichen Mindestlohn sind während der
Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2016 für Branchen zulässig,
für die tarifvertragliche Mindestlöhne auf der Grundlage des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) erlassen worden sind. Tarifvertragliche Branchenmindestlöhne haben während dieser Frist Vorrang
vor dem gesetzlichen Mindestlohn, wobei ab dem 1. Januar 2017
in jedem Fall 8,50 Euro pro Stunde zu zahlen sind. Die Sonderregelung aufgrund tarifvertraglicher Branchenmindestlöhne kommt
z. B. im Friseurhandwerk, der Fleischwirtschaft oder der Land- und
Forstwirtschaft zur Anwendung. Die erstmalige Anpassung des
­gesetzlichen Mindestlohnes in Höhe von 8,50 Euro brutto pro Zeitstunde soll mit Wirkung zum 1. Januar 2017 umgesetzt werden.
Der zuständigen Mindestlohnkommission gehören neben einem Vorsitzenden je drei Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter sowie
zwei wissenschaftlich beratende Mitglieder an.
• Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene
Berufsausbildung,
• Auszubildende,
• ehrenamtlich Tätige,
• Langzeitarbeitslose im Sinne von § 18 Abs. 1 SGB III, die mehr
als ein Jahr arbeitslos waren (in den ersten sechs Monaten des
Arbeitsverhältnisses) sowie
• Pflichtpraktika im Rahmen einer Ausbildung oder eines Studiums sowie freiwillige Orientierungspraktika mit einer Dauer von
bis zu drei Monaten.
Zudem gibt es eine Ausnahme für Zeitungszusteller und auslän­
dische Lkw-Fahrer im Transitverkehr. Es findet jedoch Anwendung
für Lkw-Fahrer bei Be- und Entladen der Fahrzeuge in Deutschland.
Umfang und Auszahlung des gesetzlichen Mindestlohns
Der Mindestlohn ist pro Zeitstunde zu zahlen; Stücklohnverein­
barungen bleiben grundsätzlich möglich, müssen allerdings entsprechend auf Stundenlohn umgerechnet werden.
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Thema im Fokus
Bei dieser Umrechnung darf der Stundenlohn in Höhe von 8,50 Euro
brutto nicht unterschritten werden.
Problematisch sind Arbeitsverhältnisse, bei denen sich erst aus der
Anrechnung von mehreren Vergütungsbestandteilen ein Stundenlohn von 8,50 Euro brutto ergibt. Das Mindestlohngesetz regelt nicht
explizit, welche Arbeitgeberleistungen im Einzelnen auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden dürfen.
Grundsätzlich sind ausschließlich Vergütungsbestandteile auf den
Mindestlohn anrechenbar, die das Verhältnis zwischen Leistung
des Arbeitnehmers und Gegenleistung nicht verändern. Ausschlaggebend ist dabei der Zweck der Zahlung. Variable Arbeitgeberleistungen wie Zulagen oder Zuschläge, die eine Gegenleistung für die
mit dem Mindestlohn zu vergütende geleistete Arbeit darstellen,
sind anrechenbar. In Einzelfällen ist daher die Anrechenbarkeit von
Boni oder Prämien zu prüfen.
Nicht anrechenbar sind hingegen Vergütungsbestandteile, die nicht
als Gegenleistung für die erbrachte Arbeit dienen. Dazu gehören
insbesondere vermögenswirksame Leistungen sowie Nacht- oder
Sonntagszuschläge, da Letztere als Erschwerniszulage gezahlt
werden. Überstundenzuschläge für Arbeitszeiten ab der 43. Arbeitsstunde pro Woche können ebenfalls nicht auf den gesetzlichen
Mindestlohn angerechnet werden.
Unklar ist, wie Arbeitgeberleistungen mit Mischcharakter wie z. B.
Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu berücksichtigen sind. Für die Anrechenbarkeit ist hierbei neben dem Zweck auch die Auszahlungsmodalität entscheidend. Hier ist eine Anrechnung nur möglich,
wenn die Auszahlung zu dem für den Mindestlohn maßgeblichen
Fälligkeitsdatum geleistet wird.
Das Arbeitszeitkonto muss mit dem Arbeitnehmer schriftlich vereinbart worden sein. Die aufgeführten Stunden dürfen maximal
50 % der vereinbarten monatlichen Arbeitszeit betragen und müssen innerhalb von 12 M
­ onaten durch Zeitausgleich oder Zahlung
des Mindestlohns pro Überstunde ausgeglichen werden. Überstunden, die 50 % der vereinbarten monatlichen Arbeitszeit übersteigen, sind bereits nach § 2 Abs. 1 MiLoG spätestens am Ende des
Kalendermonats fällig.
Durchsetzung des Anspruchs
Jegliche Vereinbarung, die den Mindestlohn unterschreitet oder
den Verzicht auf diesen beinhaltet, ist unwirksam. Die Zahlung des
Mindestlohns zu einem späteren als dem in § 2 Abs. 1 Nr. 2 MiLoG
genannten Zeitpunkt stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und kann
mit Bußgelder von bis zu 500.000 Euro und der Ausschluss von
der Vergabe öffentlicher Aufträge geahndet werden. Die Einhaltung des Mindestlohns wird durch die Behörden der Zollverwaltung überprüft.
Arbeitnehmer können ihren Anspruch auf den Mindestlohn innerhalb
der dreijährigen Verjährungsfrist bis zum Ende des Kalenderjahres
geltend machen; Ausschluss- und Verfallfristen gelten insoweit nicht.
Das Gesetz sieht ferner die Anwendung der Generalunternehmerhaftung für den Beschäftigten bei einem Nachunternehmer oder
weiteren Nachunternehmern in einer Kette gemäß § 13 i. V. m.
§ 14 AEntG vor. Auftraggeber, die einen Subunternehmer Werkoder Dienstleistungen erbringen lassen, haften somit auch für
die ordnungsgemäße Einhaltung des Mindestlohns beim Auftrag­nehmer.
Der Mindestlohn wird spätestens zum Ende
des auf die Arbeitsleistung folgenden Kalendermonats fällig. Länger vereinbarte Fristen sind unwirksam. Somit sind nur Arbeitgeberleistungen zu berücksichtigen, die
monatlich anteilig gezahlt werden. Liegt
der anrechenbare Stundenlohn unter dem
Mindestbetrag von 8,50 Euro, kann die
­Differenz nicht durch eine jährliche Einmalzahlung ausgeglichen werden.
Über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit
hinaus geleistete Arbeitsstunden müssen
auf einem entsprechenden Arbeitszeitkonto
geführt werden, um eine Nutzung für
Umgehungstatbestände auszuschließen.
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Thema im Fokus
Nicht gezahlte Mindestlohnansprüche von Arbeitnehmern können
daher auch gegen beauftragende Unternehmer gerichtet werden.
Die positive Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von einer Nicht­
einhaltung durch den Auftragnehmer kann ebenfalls beim Auftraggeber mit Bußgeldern bis zu 500.000 Euro geahndet werden.
Aufzeichnungspflicht
Nach Abs. 1 und 2 MiLoG müssen Arbeitgeber der Branchen, die
in § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannt sind, sowie
Arbeitgeber, die geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer einsetzen,
Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit spätestens eine
Woche nach Erbringung der Arbeitsleistung aufzeichnen und diese
Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufbewahren. Die aktualisierten Aufzeichnungen müssen stets zur Einsicht vorliegen. Diese
Dokumentationspflicht entfällt nach der Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung (MiLoDokV) hinsichtlich der Arbeitszeiten
von Arbeitnehmern, die mehr als 2.958 Euro monatlich verdienen,
sofern alle Arbeitszeiten aufgezeichnet werden, die acht Stunden
pro Werktag überschreiten. Die Mindestlohnaufzeichnungsverordnung (MiLoAufzV) regelt eine weitere Erleichterung bzgl. der Dokumentationspflicht, sofern es sich um eine ausschließlich mobile
Tätigkeit handelt, keine Vorgaben zur konkreten täglichen Arbeitszeit (Beginn und Ende) bestehen bzw. sich der Arbeitnehmer seine
tägliche Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen kann. In diesen
Fällen genügt der Arbeitgeber seiner Aufzeichnungspflicht, wenn nur
die Dauer der tatsächlichen täglichen Arbeitszeit aufgezeichnet wird.
Erste Erfahrungen aus der Praxis
Bundesweit haben nach Angaben des Arbeitsministeriums rund
3,7 Millionen Menschen seit dem 1. Januar 2015 Anspruch auf den
Mindestlohn.
Die vorab laut und kontrovers diskutierte Einführung des flächendeckenden Mindestlohns ist dennoch zum Jahreswechsel für viele
Branchen geräuschlos erfolgt. Das liegt zum Teil daran, dass der
Mindestlohn bereits vor der gesetzlichen Einführung zum 1. Januar
2015 eine Wirkung erzeugt hat. Per 1. Januar 2015 lagen die untersten Gehaltsstufen in elf von 18 Branchen mit tarifvertraglichen
Mindestlöhnen bundesweit bereits über dem gesetzlichen BruttoMindestlohn von 8,50 Euro. Weiterhin gelten durch die Übergangsregelung bis 31. Dezember 2016 Sonderregelungen für tarifvertragliche Branchenmindestlöhne unter 8,50 Euro, die die Wirkung
auf Branchen, die zum Kern der Niedriglohnbeschäftigung zählen, per 1. Januar 2015 deutlich abschwächt. Die direkten Auswirkungen lassen sich auf einzelne Branchen eingrenzen. So ist etwa
das Hotel- und Gaststättengewerbe am stärksten von der Mindestlohneinführung betroffen. Laut Schätzungen lag bei ca. 41 % der
Beschäftigten im Gastgewerbe der Stundenlohn bis zum 1. Januar
2015 unter 8,50 Euro. Ebenso betroffen sind beispielsweise Angestellten im Einzelhandel, Kurier- und Taxifahrer sowie Werbungsausträger. Die Presse berichtet seit Jahresbeginn im Zusammenhang mit diesen sogenannten Niedriglohnbranchen wiederholt von
„Tricksereien“ der Arbeitgeber, die Pausen und Arbeitszeiten kürzen, Lohnabzüge für Sachwerte vornehmen, Trinkgelder einbehalten oder Feiertagszuschläge streichen.
Dennoch hat das Mindestlohngesetz in einigen Punkten branchenübergreifende Relevanz. Wir haben im Rahmen unserer Projektpraxis drei wesentliche Aspekte beobachtet, mit denen eine Vielzahl
von Unternehmen konfrontiert ist:
Anrechenbarkeit von Gehaltsbestandteilen und Dokumentation
Für die Prüfung und Dokumentation der Einhaltung des Mindestlohns ist in der Praxis die Unterscheidung nach Arbeitgebertypen
relevant.
Während bei Gehaltsempfängern eine Vollzeitbeschäftigung mit
­einer Monatsarbeitszeit von 173,33 Stunden (entspricht 40 Wochenstunden) grundsätzlich mit einem Bruttogehalt ab 1.473,31 EUR
entsprechend der Mindestlohnvorgabe vergütet ist, stellt die
Umrechnungspflicht von Stück- und Akkordlöhnen auf Stundenlohn
eine Herausforderung dar.
Darüber hinaus bleibt der Gesetzestext bei der Frage nach der
Anrechenbarkeit einzelner Lohn- und Gehaltsbestandteile vage.
Zwar gilt der Grundsatz, dass nur Gehaltsbestandteile in die Mindestlohnkalkulation einbezogen werden dürfen, die eine Gegenleistung für die vertraglich vereinbarte Regelleistung des Arbeitsnehmers darstellen, und somit jegliche Sonderleistung zusätzlich
vergütet werden muss, dennoch ist die Abgrenzung in der Praxis
nicht in allen Fällen eindeutig.
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Thema im Fokus
erfolgt typischerweise im Folgemonat und
berücksichtigt lediglich solche Gehalts­
bestandteile, die nach der aktuellen Auffassung uneingeschränkt anrechenbar sind.
Etwaige Differenzen zum Mindestlohn können somit noch fristgerecht mit der Folgeabrechnung ausgeglichen werden.
Diese Methode ist für alle Arten von Arbeitsverträgen, also bei der Vergütung
von G
­ ehalts- wie auch von Stundenlohnund Stücklohnempfängern, umsetzbar.
Lohn- und Gehaltsstrukturen bleiben bei
dieser Variante unverändert. Allerdings
stellt eine entsprechende Vorgehensweise
auch g
­ ewisse Qualitätsanforderungen an
den Abrechnungsprozess. Ohne die vollständige und korrekte Zuordnung von Lohn­
arten wird die Berechnung verfälscht. Auch
bei Geschäftsbetrieben, deren Abrechnung
durch häufige Korrekturläufe bzw. Rückrechnungen geprägt ist, wird die Erstellung
einer entlastenden Dokumentation stark
erschwert.
Ein erstes Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. März 2015 hat nun
die Anrechenbarkeit von jährlichen Sonderzahlungen wie Urlaubsgeld auf den Mindestlohn ausgeschlossen (Az.: 54 Ca 14420/14).
Demnach sind auch Änderungskündigungen, die eine Anpassung
des Lohnniveaus zulasten von Sonderzahlungen erwirken sollen,
unwirksam. Unstrittig ist weiterhin, dass Akkord- und Qualitätsprämien sowie Erschwerniszulagen nicht angerechnet werden dürfen,
ebensowenig wie vermögenswirksame Leistungen, Zahlungen zur
betrieblichen Altersvorsorge oder Trinkgelder.
Unternehmen gehen mit der latenten Restunsicherheit bezüglich
der Anrechenbarkeit einzelner Gehaltsbestandteile und der Notwendigkeit einer lückenlosen Dokumentation der Einhaltung des
Mindestlohns unterschiedlich um.
Eine Möglichkeit bietet die Weiterentwicklung von Zeitwirtschaftssystemen und/oder Zeiterfassungs- und Abrechnungsprozessen.
Hier werden mittels einer sogenannten Nebenrechnung sämtliche
geleistete Arbeitsstunden eines Arbeitnehmers in Beziehung zur
im Abrechnungsmonat gezahlten Vergütung gestellt. Daraus lässt
sich ein Stundenlohn rechnerisch dokumentieren. Die Berechnung
Eine zweite Möglichkeit ist die Anpassung
der Gehaltsstruktur. So ist etwa die Umstellung von Stücklöhnen auf Stundenlöhne zur
Vereinfachung der Abrechnungsprozesse
zu beobachten. Anpassungen werden zudem
insbesondere auch bei Beschäftigungsverhältnissen vorgenommen, die einer Vergütung nach Stundenlohn unterliegen, der
sich aus fixen und variablen Komponenten,
die der regulären Arbeitsleistung dienen,
zusammensetzt. Typisches Beispiel hierfür
sind Erfolgsprovisionen für Vertriebsagenten in Callcentern. Hier
liegt das fixe Grundgehalt teilweise isoliert unter 8,50 Euro pro
Stunde; der Mindestlohn wird erst mit den variablen Komponenten
überschritten, die teilweise allerdings bis zu 50 % der Gesamtvergütung ausmachen.
Im Sinne einer transparenten Dokumentation der Einhaltung des
Mindestlohns und einer Vereinfachung der Abrechnungsstruktur
wird z. T. das fixe Grundgehalt auf 8,50 Euro pro Stunde angehoben; ein Anstieg der Personalkosten wird durch eine analoge Reduzierung der variablen anrechenbaren Lohnbestandteile gekürzt.
Da diese Maßnahme nicht durch Änderungskündigungen durchsetzbar ist, können Altverträge nur einzeln mit Zustimmung des Arbeitnehmers geändert werden. Der Aufwand für die entsprechende
Auseinandersetzung mit Arbeitnehmern und etwaigen Arbeitnehmervertretern ist dabei nicht zu unterschätzen.
Häufig werden in der Praxis beide Maßnahmen, also die Einführung
einer Nebenrechnung zur Dokumentation des Mindestlohns und eine
Anpassung der Gehaltsstruktur, miteinander kombiniert.
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Thema im Fokus
Arbeitgeberhaftung
Vergütung geringfügig Beschäftigter
Gemäß § 13 MiLoG reicht die Haftung eines Unternehmers über die
gesetzeskonforme Vergütung der eigenen Arbeitnehmer hinaus
und erstreckt sich auch auf die Verpflichtung seiner Subunternehmer
zur Zahlung des Mindestlohns. Dabei schützt selbst die Unkenntnis
nicht vor Haftung.
Während reguläre Jobs deutlich seltener betroffen sind, kommen
Niedriglöhne branchenübergreifend verstärkt bei sogenannten Minijobs, also bei Beschäftigungsverhältnissen auf 450 Euro-Basis, vor.
Zu beachten ist dabei, dass sich die Auftraggeberhaftung auf die
gesamte Nachunternehmerkette erstreckt; das heißt, Unternehmen
haften sowohl für selbst beauftragte Subunternehmer als auch für
vom Subunternehmer beauftragte Subunternehmen und vom Subunternehmer oder dessen Subunternehmer(n) beauftragte Ver­
leiher. Daher sollten Auftraggeber entsprechende Vorkehrungen
treffen, um das Haftungsrisiko zu minimieren. Neben der gewissenhaften Prüfung des beauftragten Unternehmens vor Auftragsvergabe fordern Auftraggeber in der Praxis verstärkt schriftliche
Erklärungen von ihren Subunternehmern ein, in denen diese versichern, die Pflichten aus dem Mindestlohngesetz (ggf. auch aus
dem Arbeitnehmerentsendegesetz) zu erfüllen.
Je nach Risiko sind weitere Schutzmechanismen sinnvoll. Dies können etwa Sonderkündigungsrechte, die Stellung einer Bürgschaft
und Überprüfungsrechte sein. Den Einsatz von weiteren Subunternehmern unter Zustimmungsvorbehalt zu stellen kann ebenfalls
zur Risikominimierung beitragen.
Zur Sicherstellung der Einhaltung der maximal zulässigen monat­
lichen Arbeitszeit gelten für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse
verschärfte Dokumentationspflichten. So führt die vorgeschriebene
Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit insbesondere in personalintensiven Betrieben zu einem nicht
zu unterschätzenden administrativen Mehraufwand, der teilweise
durch die bestehenden Prozessabläufe nicht erfüllt wird. Dadurch
kann sich die Kosten-Nutzen-Einschätzung für entsprechende Beschäftigungsmodelle verschieben. So wird der Einsatz geringfügig
Beschäftigter in einigen Branchen aufgrund des hohen Administrationsaufwands zulasten der Lohnkostenflexibilität eingeschränkt.
Analog zu geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen ist auch bei
Praktika, die unter den gesetzlichen Mindestlohn fallen, auf eine Einhaltung von Arbeitszeiten zu achten. Neben einer pauschalen Erhöhung von Praktikantenvergütungen werden in der Praxis Regelungen zur Abgeltung von Mehrarbeit im Praktikum eingeführt. III
Kontakt
Sibel Bagci
Manager
Transaction Advisory Services
Restructuring
Telefon +49 211 9352 14024
[email protected]
Martina Buhr
Senior Manager
Associate Tax
Telefon +49 211 9352 28164
[email protected]
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Interview
„Geschäftsmodelle, die allein auf
Lohndumping beruhten, werden vom
Markt verschwinden“
Interview mit dem DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell
zur Einführung des Mindestlohns in Deutschland
Stefan Körzell, Jahrgang 1963, ist
seit Mai 2014 Mitglied im geschäfts­führenden Bundesvorstand des
Deutschen Gewerkschaftsbundes
(DGB). Er begann seine berufliche
Laufbahn mit einer Ausbildung
zum Maschinenschlosser bei den
Rotenburger Metallwerken (RMW).
Bereits mit 17 Jahren trat er 1980
in die IG Metall ein. 1990 wurde
er DGB-Organisationssekretär in
Fulda und kann heute auf eine
lange, erfolgreiche DGB-Karriere
zurückblicken.
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Interview
Der DGB hat sich für das Thema „Min­
destlohn“ in den letzten Jahren nachhal­
tig eingesetzt und die Einführung sehr
aktiv gefordert. Wie beurteilen Sie insge­
samt die Einführung zum 1. Januar 2015?
Stefan Körzell: Die Gewerkschaften haben
tatsächlich seit fast zehn Jahren für die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen
Mindestlohns gekämpft und sind froh, dass
er nun endlich im Gesetz steht. Allerdings
haben wir von Anfang an die Ausnahmen
für Minderjährige, bestimmte Praktikantengruppen und Langzeitarbeitslose, die Sonderregelungen für SaisonarbeiterInnen
­sowie die Abschläge vom Mindestlohn bei
ZeitungszustellerInnen kritisiert. Je mehr
Ausnahmen man schafft, desto schwerer
ist ein Gesetz zu kontrollieren. Stichwort
Kon­trolle: Es hapert noch an der ausreichenden Zahl von Kontrolleuren bei der Finanz­
kon­trolle Schwarzarbeit, die beim Zoll
­angesiedelt sind. Erst 2019 sollen die versprochenen zusätzlichen 1.600 Beschäf­
tigten komplett am Start sein. Außerdem
gibt es derzeit eine unnötige Diskussion
über den vermeintlichen Bürokratieaufwand
wegen der Dokumentationspflichten. Es
gab in der Vergangenheit schon verschiedenste Pflichten, die Arbeitszeiten zu erfassen, was offenbar bisher unterblieben
ist. Wegen der „drohenden“ Kontrollen
kommt diese unsaubere Praxis jetzt ans
­Tageslicht. Das ist aber nicht dem Mindestlohn anzulasten.
Im Vorfeld wurden Befürchtungen ge­
äußert, dass es zu einem Anstieg der
­Arbeitslosigkeit kommen werde. Die Ent­
wicklung am Arbeitsmarkt mit weiter
steigenden Beschäftigtenzahlen zeigt dies
aktuell nicht. Wie schätzen Sie die lang­
fristigen Folgen ein?
Stefan Körzell: Wir rechnen nicht mit nennenswerten Jobverlusten – auch nicht auf
lange Sicht. Derzeit zeigen die Arbeitsmarktstatistiken etwa für Thüringen vielmehr
rückläufige Arbeitslosenzahlen in den debattierten Branchen wie z. B. Hotel- und
Gaststättengewerbe. Geschäftsmodelle, die
allein auf Lohndumping beruhten, werden
vom Markt verschwinden, und das ist auch
gut so. Insgesamt werden viele Unternehmen froh sein, dass mit der unteren Lohngrenze auch der Schmutzkonkurrenz ein
Riegel vorgeschoben wird. Schließlich gelten die 8,50 Euro als Minimum für alle
Mitbewerber. Auch die Erfahrungen mit
­unseren Branchenmindestlöhnen sowie die
Erfahrungen unserer europäischen Nachbarn mit ihren Mindestlöhnen zeigen, dass
die Beschäftigung unterm Strich stabilisiert wird.
Beobachtung der
Reaktionen
„Geschäftsmodelle, die
allein auf Lohndumping beruhten, werden
vom Markt verschwinden, und das ist auch
gut so. Insgesamt werden viele Unternehmen
froh sein, dass mit der
unteren Lohngrenze
auch der Schmutzkonkurrenz ein Riegel vorgeschoben wird. “
Sie haben eine Hotline zum Thema
­Mindestlohn geschaltet. Welche Themen
stehen dort aktuell im Fokus?
Stefan Körzell: Die Resonanz auf unsere
Hotline ist überwältigend. Das zeigt, wie
verunsichert viele Beschäftigte sind, auch
weil das Gesetz an vielen Stellen so vage
gehalten ist. Es rufen uns vor allem Minijobber quer durch alle Branchen an, die wissen wollen, ob der Mindestlohn auch für sie
gilt. Auch die Regeln für die PraktikantInnen sind kompliziert und lösen viele Fragen
aus. Zudem kommen Nachfragen zu den
Branchenmindestlöhnen. Diese gelten natürlich weiter, auch wenn sie höher liegen
als die 8,50 Euro pro Stunde.
Haben Sie bisher im Rahmen der Einfüh­
rung Ausweichreaktionen wahrgenommen,
z. B. eine Umstellung von Stundenlohn
auf Stücklohn, Arbeitsverdichtung o. Ä.?
Stefan Körzell: Manche Anrufer berichten
unserer Hotline leider von kreativen Um­
gehungsstrategien der Arbeitgeber, die
Zuschläge und Sonderleistungen sowie
Trinkgelder in den Mindestlohn einrechnen
wollen. Einige Arbeitgeber wollen sogar
einen Teil des Lohns in Naturalien wie Essens- oder Kinogutscheinen „auszahlen“.
Sehr häufig werden den Beschäftigten auch
Verträge mit reduzierten Arbeitsstunden
vorgelegt, wobei aber erwartet wird, dass
die Arbeit im alten Umfang erledigt wird.
Hier können wir die Beschäftigten nur ermutigen, für sich selbst auf einfachen Arbeitszeiterfassungsbögen die Arbeitszeiten und
vielleicht noch die Tätigkeiten zu notieren,
um notfalls vor Gericht Belege zur Hand
zu haben. Beschäftigte können bis zu drei
Jahre, nachdem ihr jeweiliger Anspruch
auf Mindestlohn entstanden ist, ihren ausstehenden Lohn vor Gericht einklagen.
Branchen/Berufsgruppen
Welche Branchen stehen nach Ihrer Beob­
achtung bisher im Fokus der Auswirkun­
gen des Mindestlohns? Sehen Sie dort
Differenzierungen nach Berufsgruppen?
Stefan Körzell: Die Auswirkungen des Mindestlohngesetzes auf alle Branchen sollten
beobachtet werden. Dazu stehen demnächst
die Branchendialoge mit dem BMAS an. Es
sollte insbesondere überprüft werden, ob
die bestehenden Ausnahmeregelungen beispielsweise für Langzeitarbeitslose, SaisonarbeitnehmerInnen oder unter 18-Jährige
nicht dazu führen, dass solche Beschäftigtengruppen gezielt eingestellt werden, um
die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns
zu umgehen. Solche Entwicklungen konnten
in den Niederlanden beobachtet werden,
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Interview
wo es Ausnahmen vom Mindestlohn für
Jugendliche gibt: An den Kassen in niederländischen Supermärkten sind nur noch
Jugendliche eingesetzt. Solche Verwerfungen wollen wir in Deutschland verhindern.
Diverse Branchen sind aktuell aufgrund
von Tarifverträgen noch vom Mindest­
lohn ausgenommen. Werden negative
­Effekte in diesen „Problembranchen“
­somit erst bei Auslaufen dieser Sonder­
regelung Ende 2016 zutage treten?
Stefan Körzell: Es stimmt, einige Branchen
sind aufgrund von allgemein verbindlich
­erklärten Tarifverträgen vom Mindestlohn
ausgenommen. Wir erwarten hier aber
keine negativen Effekte des Mindestlohns,
wie wir auch sonst nicht von negativen
­Effekten ausgehen. Dafür gibt es keinerlei
empirische Belege. Im Gegenteil, wir haben bisher sehr gute Erfahrungen gemacht
mit zahlreichen allgemein verbindlichen
Branchenmindestlöhnen. Diese gibt es seit
1996 (zu Beginn nur für die Baubranche,
danach kamen weitere Branchen hinzu) und
sie liegen überwiegend über 8,50 Euro pro
Stunde. Im Baugewerbe z. B. liegt der branchenspezifische Mindestlohn für Fachwerker
(Berlin) derzeit bei 14,05 Euro pro Stunde.
Auch der Bereich der Gebäudereinigung
liegt derzeit über 8,50 Euro pro Stunde. Für
diese Branchenmindestlöhne konnten
Studien im Auftrag des BMAS nachweisen,
dass es hier keine negativen Beschäftigungseffekte gegeben hat. Dort, wo die
Löhne noch unter 8,50 Euro pro Stunde
liegen (z. B. Friseurhandwerk, Fleisch­
industrie), ist eine schrittweise Anhebung
der Löhne geplant, damit die Branchen
Zeit haben, sich auf die Zahlung der höheren Löhne einzurichten. Auch hier erwarten wir keine negativen Effekte.
Wie gehen Sie mit der Gefahr um, dass –
in Anlehnung an Plattformlösungen wie
„uber“ oder „airbnb“ – sich künftig bei­
spielsweise Friseurkräfte als Selbststän­
dige stundenweise in Friseurgeschäfte
einmieten und somit der Mindestlohn
umgangen werden wird? Das ist im Übri­
gen im Taxigewerbe auch kein fernlie­
gender Gedanke.
Stefan Körzell: Diese neuen Entwicklungen
beobachten wir genau. Sobald in solchen
Fällen ein Arbeitsverhältnis begründet wird,
ist natürlich der Mindestlohn fällig. Sollte
„Wir finden die aktuelle
Debatte um das so­
genannte ,Bürokratiemonster‘ Mindestlohn
sehr unsachlich.“
es sich um Selbstständige handeln, muss
geprüft werden, ob es sich um einen Fall von
Scheinselbstständigkeit handelt. Ansonsten
findet der Mindestlohn keine Anwendung.
Öffentliche Wahrnehmung
Die Diskussion zum Thema Mindestlohn
hat sich seit Inkrafttreten von der in­
haltlichen Auseinandersetzung hin zum
„Verwaltungsaufwand“ verlagert. Was
ist Ihre Meinung dazu?
Stefan Körzell: Wir finden die aktuelle
Debatte um das sogenannte „Bürokratiemonster“ Mindestlohn sehr unsachlich.
Sie führt weg vom eigentlichen Problem.
Zum einen gibt es überhaupt nur für bestimmte, im Schwarzarbeitsgesetz genannte
Branchen und gewerbliche Minijobs Meldeund Aufzeichnungspflichten. Hinzu kommt,
dass diese Pflichten gegen unseren Widerstand auch schon durch zwei Verordnungen
des Finanzministeriums eingeschränkt
wurden.
Zum anderen liegt das Problem nicht bei diesen Pflichten, sondern bei den zahlreichen
Umgehungsversuchen durch Arbeitgeber.
Davon berichten uns täglich Betroffene in
unserer DGB-Mindestlohn-Hotline. Wir
brauchen die Pflichten zur Aufzeichnung
der Arbeitszeiten, damit Verstöße gegen
das Mindestlohngesetz aufgedeckt werden
können – sie sind die Grundlagen der Kon­
trollen durch den Zoll. Im Übrigen gibt es
auch bisher verschiedenste Aufzeichnungspflichten: nach dem Arbeitszeitgesetz, für
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Interview
die Branchenmindestlöhne nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz oder bei Minijobs.
Diejenigen, die sich über das angebliche
„Bürokratiemonster“ Mindestlohngesetz
aufregen, entlarven sich nur selbst, nämlich darin, dass sie schon die bisherigen
Aufzeichnungspflichten nicht eingehalten
haben.
Ein weiteres strittiges Thema ist die
­Regelung bezüglich Subunternehmern.
Halten Sie die Kontrollverantwortung
der Auftraggeber für sinnvoll und in der
Praxis umsetzbar? Welchen Vorteil
­sehen Sie in dieser Regelung gegenüber
einem zeitnahen Anruf der betroffenen
Arbeitnehmer bei der Gewerbeaufsicht
bzw. dem Zoll als Aufsichtsbehörde?
Stefan Körzell: Für die abhängig Beschäftigten hat die Generalunternehmerhaftung
nach dem Vorbild im AEntG den Vorteil,
dass sie ihren Anspruch besser realisieren
können, entweder gegenüber ihren eigenen Arbeitgebern oder gegenüber den Auftraggebern in der Auftragskette. Zugleich
hat dies aber auch den Vorteil, dass aufgrund
dieses möglichen Anspruchs, der an den
­jeweiligen Subunternehmer oder den Generalunternehmer gestellt wird, diese selbst
darauf achten, dass sich ihre Vertragspartner gesetzeskonform verhalten und keine
Wettbewerbsvorteile über Lohndumping und
Gesetzesverstoß anstreben. Diese Selbstregulierung in der Wirtschaft kann dazu
beitragen, dass das Gesetz tatsächlich zur
Geltung kommt.
Die Generalunternehmerhaftung zu begrenzen hätte zur Folge, dass man den Schwarzen Peter dem Subunternehmer zuschiebt,
der aber nicht mehr unter die Haftung fiele.
Eine „Enthaftung“ würde den Unternehmen
erleichtert, was für die Durchsetzung des
Mindestlohns durch die Betroffenen kontraproduktiv ist.
Dass die Generalunternehmerhaftung in
der Praxis umsetzbar ist, zeigen uns die
­Erfahrungen bei den Branchenmindest­
löhnen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz, wo dieses Instrument schon seit
Langem besteht.
„Diejenigen, die sich über das angebliche „Bürokratiemonster“ Mindestlohngesetz aufregen,
entlarven sich nur selbst, nämlich darin, dass sie
schon die bisherigen Aufzeichnungspflichten
nicht eingehalten haben.“
Tarifverträge
Für den Laien verwirrend: Weihnachtsbzw. Urlaubsgeld darf als „Treueprämie“
nicht in die Berechnung der 8,50 Euro
eingerechnet werden, Trinkgelder in der
Gastronomie wahrscheinlich auch nicht,
ein 13. Gehalt ggf. schon und (normali­
sierter) Stücklohn mit Sicherheit. Erwar­
ten Sie in den nächsten Tarifverhand­
lungen Versuche, Gehalts­bestandteile in
Richtung „mindestlohnanrechenbar“ zu
verschieben?
Stefan Körzell: Zur Frage, was anrechenbar ist und nicht, gibt es Rechtsprechung
der Gerichte, die zugrunde zu legen ist. Davon dürfen auch die Tarifvertragsparteien
nicht abweichen.
So hat sich z. B. der Europäische Gerichtshof
verschiedentlich zur Frage der Anrechenbarkeit von Leistungen in den Mindestlohn
geäußert. Danach sind nur solche Leistungen anzurechnen, die in ihrer Zwecksetzung
dem Mindestlohn gleichwertig sind. Nicht
anzurechnen sind daher solche Vergütungsbestandteile, die das Gleichgewicht von
Leistung und Gegenleistung verändern. Für
die Zahlung des Weihnachtsgeldes z. B. heißt
das: Wenn das Weihnachtsgeld anteilig jeden Monat tatsächlich und unwiderruflich
gezahlt wird, kann es zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt des Mindestlohns angerechnet werden.
Ähnlich ist es beim zusätzlichen Urlaubsgeld:
Die Funktion des Urlaubsgeldes liegt nicht
in der Vergütung der Normalleistung. In diesem Sinne erging auch das jüngste Urteil
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 11
Interview
des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. März 2015
(A.d.R.: Aktenzeichen 54 Ca 14420/14),
das wir sehr begrüßen. Darin erklärt das
Gericht die Anrechnung von zusätzlichem
Urlaubsgeld und einer Jahressonderzahlung im Rahmen einer Änderungskündigung
für unzulässig, da diese Leistungen nicht
dem Zweck dienen, die Arbeitsleistung des
Beschäftigten zu vergüten.
„Uns kann niemand erzählen, dass es bürokra­
tischer ist, Anfang und Ende der Arbeitszeit
zu n
­ otieren, als etwa ein ausgeklügeltes Paketverfolgungsprogramm zu entwickeln, bei dem
man stündlich am Computer abfragen kann, wo
sich die Bestellung gerade befindet.“
Die politische Zukunft
„Man soll von der Arbeit leben können.“
Ist Deutschland diesem Ziel mit dem
Mindestlohngesetz nähergekommen? Wie
ist die „Aufstockersituation“ künftig
weiter zu verbessern?
Stefan Körzell: Es ist noch zu früh für eine
Bilanz, die ersten Auswertungen der Arbeitsmarktdaten die Wirkung des Mindestlohns
betreffend werden erst im Frühsommer zu
erwarten sein. Es gibt allerdings schon erste
Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit
zu den Einsparungsmöglichkeiten bei den
„Aufstockern“. Hier rechnet die BA mit einer
Reduzierung der Ausgaben für allein lebende
Hartz-IV-Empfänger mit einer Vollzeitstelle
um jährlich 600 bis 900 Millionen Euro. Diese
Gruppe der sogenannten Aufstocker wird
danach künftig deutlich weniger Arbeitslosengeld II zusätzlich zu ihrem Lohn benötigen. Gleichzeitig weist die BA darauf hin,
dass es für die Horrorprognosen des Münchener Ifo-Instituts, dass mit dem Mindestlohn über eine Million Arbeitsplätze ver­
loren gehen, bislang keine Hinweise gibt.
Wir gehen davon aus, dass viele – insbesondere weibliche, allein stehende – ostdeutsche
Beschäftigte in Dienstleistungsberufen
­unabhängig werden von Hartz IV. Dennoch
müssen wir uns nichts vormachen: Natürlich kann man mit 8,50 Euro pro Stunde
keine großen Sprünge machen, sodass
insbesondere Familien sicherlich auch
weiterhin auf staatliche Unterstützung an­
gewiesen sein werden. Die Anhebung des
Mindestlohns ist für den 1. Januar 2017
vorgesehen. Aber das ist eben nur eine
­Anstandsgrenze nach unten. Unser Ziel
bleibt es, ordentliche Tarifverträge abzuschließen mit Löhnen weit oberhalb von
diesem Minimum.
Aktuell steht bei Ihnen mit im Fokus,
dass der Mindestlohn wirksam umge­
setzt und kontrolliert wird. Wo sehen
Sie hier die Schwerpunkte?
Stefan Körzell: Zunächst einmal müssen
die versprochenen 1.600 zusätzlichen Stellen beim Zoll rasch besetzt werden, damit
genügend Kontrolleure am Start sind. Denn
die Arbeitgeber sollten merken, dass Missbräuche geahndet werden. Umso schneller
halten sich wirklich alle daran.
Und das A und O der Kontrolle ist natürlich
die Aufzeichnung der Arbeitszeiten. Hier
darf es keine weiteren Aufweichungen geben. Gerade Minijobs sind missbrauchs­
anfällig. Sie dürfen auf keinen Fall aus der
Dokumentationspflicht herausgenommen
werden. Uns kann niemand erzählen, dass
es bürokratischer ist, Anfang und Ende
der Arbeitszeit zu notieren, als etwa ein ausgeklügeltes Paketverfolgungsprogramm
zu entwickeln, bei dem man stündlich am
Computer abfragen kann, wo sich die Bestellung gerade befindet.
Zum Abschluss: Welche Vorschläge
­würden Sie Frau Nahles zur weiteren Ver­
besserung der Mindestlohnregelung auf
den Weg mitgeben?
Stefan Körzell: Es braucht Klarheit über die
Frage der Anrechenbarkeit von Zuschlägen, Sonderleistungen und Prämien. Denn
es kann nicht sein, dass die Beschäftigten
erst auf dem Klagewege, der lange dauern
kann, zu ihrem Recht kommen. Zudem
hoffen wir, dass die Evaluierungen ergeben,
dass bestimmte Ausnahmen vom Mindestlohn – z. B. für Langzeitarbeitslose in den
ersten sechs Monaten nach Wiederaufnahme
einer Beschäftigung – auch arbeitsmarkt­
politisch verfehlt sind und korrigiert werden.
Die wissenschaftliche Begleitung des Gesetzes und seiner Wirkung muss rasch angeschoben werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 12
Audit
Passivierung von Gesellschafterdarlehen
bei Rangrücktrittsvereinbarung
Das FG Niedersachsen hat mit Urteil vom 12. Juni 2014 (6 324/12,
NZG 2014, S. 1198) entschieden, dass eine Verbindlichkeit im
Jahresabschluss auch dann passiviert werden muss, wenn sie nur
aus einem künftigen Handelsbilanzgewinn oder einem etwaigen
­Liquidationsüberschuss zu erfüllen ist. Gegenstand der Klage war
die ertragsteuerliche Beurteilung einer zwischen der Klägerin (K)
und ihrer Alleingesellschafterin (M) getroffenen Vereinbarung
über einen Rangrücktritt folgenden Inhalts:
„Die M tritt als alleinige Gesellschafterin mit ihrem Anspruch auf
Tilgung und Verzinsung des der K gewährten Darlehens im Betrag
von 7 Mio. Euro dergestalt im Rang hinter die Forderung sämt­
licher anderer Gläubiger, einschließlich aller in § 39 Abs. 1 und § 39
Abs. 2 InsO genannten Gläubiger, zurück, dass sie Tilgung und Ver­
zinsung des Darlehens nur aus einem künftigen Bilanzgewinn oder
aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss verlangen kann. Für
den Fall der Insolvenz tritt die M auf den Rang des § 199 S. 2 InsO
zurück.“
Mit dieser Vereinbarung konnte für die Klägerin eine Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung (§ 15a Abs. 1 InsO) vermieden
werden: Darlehensforderungen von Gesellschaftern, für die gemäß
§ 39 Abs. 2 InsO der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter die
Forderungen aller übrigen Gläubiger vereinbart worden ist, sind zur
Beurteilung des Vorliegens einer Überschuldung nicht als Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu berücksichtigen (§ 19 Abs. 2
Satz 2 InsO).
Unabhängig davon hat jedenfalls der handelsrechtliche Jahresabschluss der Gesellschaft aufgrund des Vollständigkeitsgebots unter
anderem sämtliche Schulden zu enthalten, soweit gesetzlich nichts
anderes bestimmt ist (§ 246 Abs. 1 Satz 1 HGB). Schulden sind
ausdrücklich „in die Bilanz des Schuldners aufzunehmen“ (§ 246
Abs. 1 Satz 3 HGB), getrennt von dessen Eigenkapital auszuweisen (§ 247 Abs. 1 HGB) und mit ihrem Erfüllungsbetrag anzusetzen
(§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB). Eine Verbindlichkeit muss daher in
der Bilanz als solche ausgewiesen werden, solange nicht der Gläubiger dem Schuldner die Schuld gemäß § 397 BGB erlassen hat
oder sich ergibt, dass die Verbindlichkeit aus sonstigen Gründen
(etwa Verjährung) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden muss. Auch Darlehen, die der Alleingesellschafter einer in der Krise befindlichen Gesellschaft anstelle einer
an sich gebotenen Eigenkapitalzuführung gewährt hat, werden vom
Gesellschafter bewusst nicht als Eigenkapital, sondern rechtlich
ausdrücklich als Fremdkapital mit der Bestimmung einer Rückzahlungspflicht zur Verfügung gestellt. Selbst wenn der Gläubiger
das Darlehen wie bei einem Rangrücktritt vereinbarungsgemäß
nur unter bestimmten Voraussetzungen fällig stellen kann, handelt
es sich mithin grundsätzlich um eine passivierungspflichtige Verbindlichkeit der Gesellschaft.
Das gilt im Prinzip auch für die Steuerbilanz (siehe BFH-Urteil vom
30. März 1993, BStBl. II 1993, S. 502); nur sogenannte „haftungslose Darlehen“ sind nicht zu passivieren (BFH-Urteil vom 20. Oktober
2004, BStBl. II 2005, S. 581). Für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, sind
daher in der Steuerbilanz Verbindlichkeiten oder Rückstellungen
erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind
(§ 5 Abs. 2a EStG). Aufgrund dieser Regelung vertrat die bei der
Klägerin durchgeführte steuerliche Außenprüfung die Auffassung,
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 13
Audit
dass die nachrangige Darlehensverbindlichkeit der K gegenüber
der M einschließlich der aufgelaufenen Zinsen in der Steuerbilanz
nicht passiviert werden dürfe und der zu versteuernde Gewinn
durch Ausbuchung des Postens entsprechend zu erhöhen sei.
Das FG Niedersachsen ist dem entgegengetreten und hat entschieden, dass die Klägerin im Streitfall gleichwohl verpflichtet gewesen
sei, die Darlehensverbindlichkeit in ihrem Jahresabschluss und
auch in der Steuerbilanz zu passivieren. Die Passivierungspflicht
sei durch die vorliegende Rangrücktrittsvereinbarung nicht entfallen. Der Passivierung stehe auch § 5 Abs. 2a EStG nicht entgegen.
Zwar sei nach dieser Vorschrift eine Verbindlichkeit bei vereinbartem Rangrücktritt in der Weise, dass die Forderung des Gläubigers
hinter die Forderungen aller übrigen Gläubiger zurücktritt und nur
aus künftigen Jahresüberschüssen zu erfüllen ist, nicht auszuweisen, weil es in diesem Fall an einer gegenwärtigen wirtschaftlichen
Belastung der Gesellschaft fehle. Im Streitfall hänge die Verpflichtung zur Rückzahlung aber nicht von einem künftigen Jahresüberschuss ab, sondern vom Entstehen eines künftigen Bilanzgewinns.
Der handelsrechtliche Begriff „Bilanzgewinn“ entspreche aber nicht
den steuerrechtlichen Begriffen „Jahresüberschuss“ oder „Gewinn“,
sondern sei weiter gefasst.
Während der Gewinnbegriff des § 5 Abs. 2a EStG allein an das
­erzielte Ergebnis der Geschäftstätigkeit anknüpfe, ergebe sich der
Bilanzgewinn nämlich nicht allein aus dem Jahreserfolg, sondern
auch aus den in § 158 Abs. 1 AktG im Einzelnen aufgeführten Maßnahmen der bilanziellen Eigenkapital- und Ergebnisverwendung.
So könne beispielsweise eine Entnahme aus der Kapitalrücklage in
einem Jahr, in dem kein Jahresüberschuss erwirtschaftet wurde,
zu einem Bilanzgewinn führen, der den Gläubiger dann berechtige,
in Höhe dieses Betrags Erfüllung seiner nachrangigen Darlehensforderungen zu verlangen.
Bei der Beurteilung dürfe auch nicht unbeachtet bleiben, dass ein
Rangrücktritt die Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG ausschließt,
­soweit die Vereinbarung die Möglichkeit einer Bedienung aus
­anderem freien Vermögen vorsieht (BFH-Urteil vom 30. November 2011, BStBl. II 2012, S. 332 unter II 2 b bb; ebenso BMF vom
8. September 2006, BStBl. I 2006, S. 497). „Freies Vermögen“
in diesem Sinne ist das die übrigen (nicht nachrangigen) Verbindlichkeiten des Schuldners übersteigende Vermögen, das im
Übrigen bilanztechnisch nicht nur durch künftige Jahresüberschüsse, sondern auch durch Gesellschaftereinlagen entsteht. Der
Umstand, dass ein Schuldner seine Verbindlichkeiten mangels
ausreichenden Vermögens möglicherweise nicht oder nur teilweise
zurückzahlen kann, lasse die wirtschaftliche Belastung des Vermögens des Schuldners nicht entfallen (BFH-Urteil vom 9. Februar
1993, BStBl. II 1993, S. 747). Entscheidend sei vielmehr, dass das
vorhandene Vermögen der Klägerin aufgrund der geschlossenen
Rangrücktrittsvereinbarung weiterhin wirtschaftlich belastet ist.
Ferner darf nach Ansicht des Gerichts nicht ignoriert werden, dass
der bilanziellen Darstellung des Vermögens einer Kapitalgesellschaft nicht ohne Weiteres dessen tatsächlicher Wert zu entnehmen ist. So sind Gesellschaften beispielsweise nicht berechtigt,
­einen originären Firmenwert anzusetzen oder stille Reserven im
Buchwert von Vermögensgegenständen aufzudecken.
Vor diesem Hintergrund sei die Formulierung der streitbefangenen
Rangrücktrittsvereinbarung dahin gehend auszulegen, dass eine
Tilgung des Darlehens auch aus dem sonstigen freien Vermögen
des Schuldners vorgesehen ist. Aus Sicht der Klägerin stelle sich
der Rangrücktritt als Vereinbarung dar, die zwar zu einer veränderten Rangordnung, nicht hingegen zu einer Minderung ihrer Verbindlichkeiten insgesamt führt. Die Verbindlichkeiten seien daher
bilanziell weiterhin als solche auszuweisen.
Fazit
Die Entscheidung des FG Niedersachsen ist unseres Erachtens
zu begrüßen: Es erscheint nicht gerechtfertigt, die vorliegende
Rang­rücktrittsvereinbarung einem Forderungsverzicht mit Besserungsschein gleichzusetzen und die Verbindlichkeit einfach
auszubuchen. Die am Bilanzstichtag rechtlich zweifellos bestehende, wenn auch nachrangige Verbindlichkeit ist auch nicht
per se „haftungslos“, denn die am Bilanzstichtag vorhandene
Substanz des Vermögens des Schuldners kann durch die nachrangige Darlehensverbindlichkeit auch belastet sein, soweit
die tatsächliche Höhe des Vermögens am Abschlussstichtag
infolge stiller Reserven bilanziell (noch) nicht ausgewiesen
werden konnte. Zum Vermögen des Schuldners gehören auch
die am Bilanzstichtag vorhandenen stillen Reserven. Wegen
grundsätzlicher Bedeutung hat das Gericht die Revision zugelassen, die zwischenzeitlich beim BFH anhängig ist. Es bleibt
daher abzuwarten, wie der BFH die Rechtslage im Streitfall
beurteilen wird. III
Kontakt
Manfred Kropp
Senior Manager
Assurance
Telefon +49 6196 996 27641
[email protected]
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 14
Branche im Fokus
Die Restrukturierung
notleidender Stadtwerke
Im Rahmen eines Stadtwerke-Querverbundes bündeln Städte defizitäre kommunale Auf­
gabenbereiche wie den ÖPNV mit traditionell profitablen Beteiligungen, etwa im lokalen
Energieversorgungsunternehmen (EVU). Allerdings gefährdet der Einspeisevorrang für
erneuerbare Energien im Zuge der Energiewende die Profitabilität von EVU mit eigenen
­Erzeugungskapazitäten und damit von vielen Stadtwerke-Verbünden. Deren Geschäftsmodell muss daher grundlegend restrukturiert werden. Erste Stadtwerke-Insolvenzen
verdeutlichen den akuten Handlungsbedarf.
Entwicklung der Stadtwerke
Die meisten „Stadt- und Gemeindewerke“ entstanden in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals begannen die Kommunen,
grundlegende Versorgungsleistungen unter staatliche Kontrolle zu
stellen, um sie so allen Bürgern zugänglich zu machen. Im Laufe
der Jahre wurden diese Versorgungssparten mit weiteren Aufgaben
der öffentlichen Daseinsvorsorge in Querverbünden zusammen­
gefasst. Heute firmieren Stadtwerke als öffentlich-rechtliche Betriebe, aber auch privatwirtschaftlich als Aktiengesellschaften
oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung.
Neben dem Betrieb von Infrastruktureinrichtungen wie der Beleuchtung von Straßenverkehrsnetzen und öffentlichen Gebäuden (etwa
Schwimmbädern) umfasst der Aufgabenbereich der Stadtwerke
klassischerweise den öffentlichen Personennahverkehr sowie Versorgungs- und Entsorgungsleistungen (siehe Abbildung 1). Auch
steuerliche Vorteile lassen sich durch die Verbindung defizitärer
und profitabler Tätigkeitsbereiche in Querverbünden nutzen. Bis
in die 1980er-Jahre waren Stadtwerke vor allem in geschützten
Märkten tätig, in denen es nur einen regionalen Versorger gab, nämlich die jeweiligen lokalen Stadtwerke. Während die Zentralisierung
des Bereichs Information und Kommunikation bereits früh erfolgte
(Deutsche Post und Telekom), wurde die Monopolstellung in den
Geschäftsfeldern Abfallentsorgung bzw. Energieversorgung erst
nach und nach aufgehoben. So wurden zur Sanierung der Haushalte in den 1990er-Jahren oftmals profitable Aufgabenbereiche
wie Energieversorgung oder Entsorgung ausgegliedert und vollständig oder teilweise an privatwirtschaftliche Unternehmen veräußert. In den letzten Jahren ist hingegen eine Rekommunali­
sierungstendenz zu beobachten, die vor allem Unternehmen der
Energieversorgung (etwa Netzgesellschaften) betrifft. Diese
­Rekommunalisierungen werden oft von Volksentscheiden oder
Bürgerbegehren unterstützt.
Abbildung 1 | Klassische Betätigungsfelder der Stadtwerke
Stadtwerke
Versorgungsleistung
Infrastruktur
Öffentlicher Verkehr
Energieversorgung
(Strom, Gas, Fernwärme)
Transport- und
­Verkehrsinfrastruktur
Busverkehr
Wasserwirtschaft
(Wasser, Abwasser)
Gewässerwirtschaft
Schienenverkehr/-netz
Information und Kommunikation
Öffentliche Gebäude
Wasserverkehr/-straßen
Entsorgung
(Abfall, Abfallbehandlung)
Wohnungsbau
Flugverkehr/-plätze
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 15
Branche im Fokus
Kurzfristige Stabilisierung
• Umfangreiche Ausgabenkürzungen
• Anpassung der Investitionsstrategie
• Verkauf einzelner Vermögensgegenstände
• Sale-and-lease-back-Finanzierungen
• Stundungen (Partner, Gesellschafter)
• Beiträge der Kommunen
Mittelfristige Restrukturierung
• Portfolio-Screening und ggf. Anpassung
• Re-Dimensionierung des Angebots von
öffentlichen Versorgungsleistungen
• Nachhaltige Kostensenkungen
• Heben von Synergien im SW-Verbund
• Optimierung Unternehmensfinanzierung
Langfristige, strategische
(Neu-)Ausrichtung
• Ausdehnung und Diversifizierung der
Ertragsbasis durch Erschließung neuer,
profitabler Geschäftsfelder
• Prüfung und ggf. Anpassung
­bestehender Geschäftsbereiche
• Eingehen von Kooperation
• Entwicklung einer langfristigen
­Investitions-, Finanzierungs- und
Auschüttungsstrategie mit dem
Gesellschafter
Nachhaltige
Profitabilität
Abbildung 2 | Mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket Insolvenzrisiken entgegentreten
Sinkende Margen im Energiebereich
In den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen im Bereich der Stromverteilung und -erzeugung signifikant geändert. Aufgrund der Energiewende sind viele Investitionen in konventionelle
Erzeugungsanlagen defizitär geworden. Der Einspeisevorrang für
erneuerbare Energien hat zu sinkenden Börsenpreisen für Strom
geführt. Dadurch sind die Gewinne herkömmlicher Energieträger
rückläufig. Insbesondere der Einsatz von Gaskraftwerken ist derzeit
nicht kostendeckend. Neben sinkenden Margen drücken laufende
und zusätzliche hohe Einmalinvestitionen zur Umsetzung der Energiewende auf die Profitabilität. Der aktuelle Cashflow reicht bei
vielen Stadtwerken daher nicht mehr aus, um bestehende Verbindlichkeiten zu bedienen.
Durch die gesunkene Profitabilität der EVU ist die Quersubventionierung der kommunalen Aufgaben innerhalb eines StadtwerkeVerbundes nicht mehr sichergestellt. Dies gilt besonders dann, wenn
die Stadt als Gesellschafter diese nicht direkt etwa durch Verlust­
ausgleiche finanzieren kann und keine Bürgschaften, Patronats­
erklärungen oder sonstige Sicherheiten zu bieten hat. Bei vielen
Städten in strukturschwachen Gebieten beispielsweise in Ostdeutschland oder im Ruhrgebiet ist das der Fall.
Trotz derzeit noch ausreichender Eigenkapitalquoten erschweren
Ausschüttungen an (kommunale) Gesellschafter Neuinvestitionen,
auch weil die Aufnahme von Fremdkapital schwieriger geworden
ist. Einige kommunale EVU erhalten bereits heute keine Kredite mehr,
vor allem wenn die Kreditwürdigkeit der Stadt als Gesellschafter
begrenzt ist. Die Anforderungen der Banken – auch von lokalen
Volksbanken und Sparkassen – hinsichtlich Sicherheiten zur Finanzierung von Investitionen sind deutlich gestiegen. Damit befinden
sich viele Stadtwerke in einer existenzgefährdenden Lage, in der
die Aufrechterhaltung des Status quo ein Insolvenzrisiko birgt.
Mit umfassenden Kostenkürzungen
gegen Insolvenzrisiken
Um ihr Unternehmen wieder zukunftsfähig zu machen, müssen
Stadtwerke-Manager kurz-, mittel- und langfristige Lösungsansätze
verfolgen (siehe Abbildung 2).
Um kurzfristig Insolvenzrisiken abzuwenden, helfen oft nur noch
eine radikale Kostenkürzung und der (Not-)Verkauf einzelner Vermögensgegenstände oder Geschäftsbereiche. Darüber hinaus
kann es notwendig sein, die direkte Finanzierung defizitärer kommunaler Bereiche zumindest kurzfristig durch die Kommune zu
­erwirken. Ferner lassen sich unter Umständen Stundungen von
Geschäftspartnern oder Minderheitsgesellschaftern in Tochtergesellschaften erreichen.
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 16
Branche im Fokus
Mittelfristig gilt es, die laufenden Kosten nachhaltig zu senken und
bestehende Synergien zu heben. Kostenkürzungen beschränken sich
dabei explizit nicht auf die privatwirtschaftlichen Bereiche, sondern
betreffen auch die kommunalen Dienstleistungen. Ein Beispiel ist
hier die Ausdünnung des ÖPNV-Fahrplans auf einen finanzierbaren
Umfang. Synergien bestehen häufig in den Verwaltungsbereichen,
wenn bislang kaufmännische Tätigkeiten in diversen Unternehmensbereichen des Verbundes durchgeführt wurden.
Langfristig müssen neue, innovative Geschäftsfelder erschlossen
werden. Sämtliche in den Stadtwerke-Verbund eingegliederten
­Geschäftsfelder gehören in Zusammenarbeit mit dem (kommunalen) Anteilseigner auf den Prüfstand. Dabei ist die Entwicklung
­einer langfristigen und umfänglichen Unternehmensstrategie mit
der Kommune eine besondere Herausforderung.
Konzept für eine strategische
Neuausrichtung
Das Unternehmenskonzept sollte eine Fokussierung auf die Kernkompetenzen und -kunden des Stadtwerke-Verbundes umfassen,
die profitabel bedient werden können. Diese Produkt- und Kundensegmente unterscheiden sich von Region zu Region und sind
häufig abseits des Privatkundengeschäfts der großen Energie­
konzerne zu finden. Folgende neue Geschäftsfelder sind unter
­anderem denkbar: dezentrale Erzeugung, Erwerb von Konzessionen, Dienstleistungen als Energieberater von Geschäftskunden,
Telekommunikation im „Internet der Energie“ oder der Einsatz
­virtueller Kraftwerke und Stromspeichersysteme zum Ausgleich
von Spitzen, Spannungsabfällen und Schwankungen.
Einen finanzierbaren Weg in diese neuen Geschäftsmodelle sowie
zur Erschließung von Synergien finden Stadtwerke regelmäßig
durch Kooperationen. Dafür kommen andere Stadtwerke-Verbünde,
Wettbewerber oder Unternehmen aus Telekommunikation, Technologie und Geräteherstellung infrage. Kooperationen können
auch hilfreich sein, um den erforderlichen Personalbedarf für eine
zukünftige dezentrale und intelligente Energieversorgung zu
­gewährleisten, etwa in einer gemeinsamen IT-, Netz- oder MeteringGesellschaft.
Auch kann es nötig sein, sich von Teilen des Portfolios zu trennen,
um sich finanziellen Freiraum zu schaffen. Alternativ kommt die
Beschaffung neuer Finanzierungsmittel über in- oder ausländische
Infrastrukturfonds infrage. Dies ist jedoch regelmäßig mit höheren
Anforderungen an die Transparenz der Finanzberichterstattung
und die Corporate Governance verbunden.
Besondere Herausforderungen von
Stadtwerke-Restrukturierungen
Die Restrukturierung von Stadtwerken hat immer eine hohe Öffentlichkeitswirksamkeit und die Moderation des in der Regel politisch
geprägten Entscheidungsprozesses verlangt Fingerspitzengefühl.
Besonders die vorwiegend politisch besetzten Aufsichtsräte der
Stadtwerke und ihrer Tochterunternehmen sind häufig einer tief
greifenden Restrukturierung des Geschäftsmodells abgeneigt.
Widerstreitende Interessen können auch auf der (politischen) Ebene
des kommunalen Anteilseigners bestehen. Hier gilt es, alle Stakeholder zeitnah in den Restrukturierungsprozess einzubinden und
mit einer belastbaren Zahlenbasis von der Notwendigkeit der Sanierungsmaßnahmen zu überzeugen.
Fazit
Der Energiesektor befindet sich in einem Stadium tief greifender Transformation, die die nächsten Jahre andauern wird.
Die angeschlagenen Stadtwerke sollten diese Situation nutzen,
um sich neu aufzustellen und den Weg zurück zu einem nachhaltig profitablen Geschäftsmodell zu beschreiten.
Hierbei erfordert die Komplexität und Vielzahl der in einem
Querverbund zusammengefassten Geschäftsmodelle den
­Einsatz eines multidisziplinären Beraterteams. In diversen Stadtwerke-Projekten demonstrierten wir bereits, dass unsere Teams
die entscheidende Branchenkompetenz für die unterschied­
lichen Geschäftsfelder von Stadtwerken mitbringen und mit
Souveränität die Vielzahl der involvierten Stakeholder erfolgreich moderieren können. III
Kontakt
Dr. Gunnar Gerig
Executive Director
Transaction Advisory Services
Restructuring
Telefon +49 40 36132 12358
[email protected]
Alexander Gerdenitsch, CFA
Manager
Transaction Advisory Services
Restructuring
Telefon +49 40 36132 15235
[email protected]
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 17
Tax
Neuregelung zur Erhebung der Gewerbesteuer auf einen Sanierungsgewinn
Der neu geregelte § 184 Abs. 2 Satz 1 AO schafft seit Beginn des Jahres 2015 neue
­Möglichkeiten zur gewerbesteuerlichen Behandlung eines Sanierungsgewinns und soll
­dadurch für mehr Rechtssicherheit bei Unternehmenssanierungen sorgen.
Forderungsverzichte von Gläubigern sind durchaus übliche Maßnahmen, um Unternehmen in Krisensituationen zu unterstützen.
Ein solcher Forderungsverzicht reduziert nicht nur die ausgewiesenen Verbindlichkeiten des angeschlagenen Unternehmens, sondern
führt im Gegenzug auch zu einem steuerpflichtigen Sanierungs­
gewinn. Dieser wird im ersten Schritt im Rahmen der bekannten
Regelungen mit bestehenden Verlustvorträgen verrechnet. Da es
sich bei dem genannten Sanierungsgewinn i. d. R. um einen rein
kalkulatorischen Wert handelt, stellt er gerade keinen liquiditätswirksamen Zufluss in das Unternehmen dar. Der Unternehmer
­erlangt durch den Sanierungsgewinn demnach keine Verbesserung
seiner – in einer Krisensituation – bereits angespannten Liquiditätssituation. Eine zusätzliche Besteuerung dieses Gewinns würde
die Situation weiter verschärfen.
Einkommen- und körperschaftsteuerliche
Behandlung
Als Korrektiv für die formal greifende Besteuerung hat das BMF
bereits im Jahr 2003 den sogenannten Sanierungserlass (BMF
vom 27.03.2003, BStBl. I 2003 S. 240 = DB 2003 S. 796) verabschiedet. Dieser erlaubt es, die entsprechende Steuer auf Antrag
des Schuldners nach § 163 AO abweichend festzusetzen und nach
§§ 222, 227 AO zu stunden bzw. zu erlassen, sofern die Besteuerung für den Steuerpflichtigen eine erhebliche Härte darstellte.
Zwischenzeitlich ist es gelebte Praxis der Finanzbehörden, dass
bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung des Sanierungserlasses ein Sanierungsgewinn nicht besteuert wird.
Gewerbesteuerliche Behandlung
Während durch den Sanierungserlass die einkommen- und körperschaftsteuerliche Behandlung des Sanierungsgewinns im Sinne
der angestrebten Sanierung gelöst werden kann, traf und trifft dies
bisher in Bezug auf die Gewerbesteuer nicht zu. Gerade bei der
­Sanierung von Unternehmen mit steuerlich relevanten Betriebsstätten führte dies zu großen Unsicherheiten und erheblichen
­Problemen. Nach bisheriger Auffassung des BFH lag nämlich die
Entscheidung über eine gewebesteuerliche Behandlung eines
­Sanierungsgewinns allein bei der jeweils veranlagenden Gemeinde
bzw. den veranlagenden Gemeinden. Insbesondere war in der
­Praxis anerkannt, dass die hebeberechtigte Gemeinde nicht an eine
vorherige Entscheidung der Finanzbehörde in einem konkreten
Fall gebunden war. Waren also die Voraussetzungen für den Sanierungserlass erfüllt und wurde dieser von den Finanzbehörden
einkommen- und körperschaftsteuerlich angewendet, so konnten
jeweils hebeberechtigte Gemeinden unabhängig voneinander die
Gewerbesteuer auf den Sanierungsgewinn festsetzen und im Zweifel auch erheben. In der Praxis kam es hier bei einigen Gemeinden
tatsächlich zu einer Besteuerung des Sanierungsgewinns.
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 18
Tax
Die Gründe hierfür waren vielschichtig und reichten von einer kategorischen Weigerung über komplizierte Abstimmungen in einem
erschwerten politischen Umfeld und das Fehlen zeitnaher Sitzungen
der zuständigen Haushalts-/Finanzausschüsse bis hin zu einer durch
das Vorliegen eines Haushaltssicherungsgesetzes beschränkten
Entscheidungsbefugnis.
Lösungsansatz des Gesetzgebers
Ende des Jahres 2014 hat die Bundesregierung mit dem „Gesetz
zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der
Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“, kurz
ZollKodexAnpG, diesem Umstand Rechnung getragen. Hierfür
wurde der § 184 Abs. 2 Satz 1 AO so gefasst, dass die Befugnis,
Realsteuermessbeträge festzusetzen, auf die Befugnis zu Maß­
nahmen aus § 163 Satz 1 ausgeweitet wurde, sofern für solche
Maßnahmen in einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, der obersten Bundesfinanzbehörde oder einer
obersten Landesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt wurden.
Ziel war hierbei ausdrücklich, eine Klarstellung für Billigkeits­
regelungen aus sachlichen Gründen im Bereich der Einkommenoder Körperschaftsteuer insbesondere in Bezug auf die Festlegung des Steuergegenstands oder der Gewinnermittlung im Sinne
des Sanierungserlasses zu schaffen. Dies sollte die rechtliche
­Unsicherheit bezüglich der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigen, indem nun bereits ein BMF-Schreiben (wie
etwa der Sanierungserlass) die Finanzämter ermächtigen soll, Maßnahmen im Sinne des § 163 Satz 1 AO auch für Gewerbesteuermessbeträge anzuwenden. Hierdurch könnte man Gemeinden hinsichtlich der Höhe der Gewerbesteuerfestsetzung verbindliche
Vorgaben machen, wodurch weitere (nachfolgende) Billigkeitsmaßnahmen von ihrer Seite entbehrlich würden.
Kontakt
Prof. Dr. Jochen Vogel
Partner
Transaction Advisory Services
Restructuring
Telefon +49 211 9352 24760
[email protected]
Jörg Schlüter, MBA
Senior Manager
Business Tax Advisory
Telefon +49 231 55011 10946
[email protected]
Fazit
Mit der im ZollKodexAnpG vorgenommenen Anpassung der AO
hat der Gesetzgeber einen richtigen und längst überfälligen
Schritt getan, um die Zuständigkeit für Billigkeitsmaßnahmen
nach dem Sanierungserlass bei den Finanzämtern zu konzen­
trieren. Die Gemeinden könnten nunmehr ihre Entscheidungen
auf die vorangegangene Entscheidung der Finanzämter stützen.
Leider hat sich bereits die OFD NRW hierzu ablehnend posi­
tioniert. Für die Praxis bleibt jedoch zu hoffen, dass sich diese
restriktive Auffassung innerhalb der Finanzverwaltung nicht
durchsetzt. Im Interesse der sanierungsbedürftigen Unternehmen sollte tatsächlich unmittelbar von der neuen Ermächtigung Gebrauch gemacht werden. III
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 19
Wirtschaftliche Rahmendaten
1,4 %
Wirtschaftswachstum Deutschland
BIP
Stand
Prognosedurchschnitt
2015
2016
1,4 %
1,7 %
Bundesregierung
Januar 2015
1,5 %
EU-Kommission
Februar 2015
1,5 %
2,0 %
IWF
Januar 2015
1,3 %
1,5 %
OECD
Januar 2015
1,3 %
1,8 %
Bundesbank
Dezember 2014
1,0 %
1,6 %
DIW
Januar 2015
1,4 %
1,7 %
IfW
Januar 2015
1,7 %
1,9 %
IWH
Dezember 2014
1,3 %
1,6 %
Trend
Wirtschaftswachstum wird
durchschnittlich für 2015 in
Deutschland erwartet. Dabei
geht die Bundesregierung
und die EU-Kommission von
höheren Wachstumsraten
als im letzten Herbst aus.
Quelle: IWF, EU-Kommission
Ausgewählte BIP Prognosen 2015 (Stand: März 05 2015): Frankreich 0,9 % Italien 0,4 % Großbritannien 2,7 % EU 1,2 %
Mio.
3,5
%
7,0
3,0
6,5
2,5
6,0
2,0
5,5
1,5
5,0
1,0
4,5
0,0
4,0
Arbeitslosenzahl (in Mio.)
durchschnittl. Arbeitslosenquote (LTM)
12.15
0,5
12.14
Beschäftigte sind im Februar
2015 arbeitslos (6,6 %).
­Damit zeigt sich der Arbeitsmarkt weiter in stabiler
Verfassung.
Arbeitsmarkt Deutschland
01.13
02.13
03.13
04.13
05.13
06.13
07.13
08.13
09.13
10.13
11.13
12.13
01.14
02.14
03.14
04.14
05.14
06.14
07.14
08.14
09.14
10.14
11.14
12.14
01.15
02.15
3,0 Mio.
USA 3,6 % Kanada 2,3 % Japan 0,6 %
Arbeitslosenprognose Institut Kiel (Quartal)
Arbeitslosenprognose Bundesregierung (Jahresschnitt)
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (Ist), IfW Kiel (Plan, per Mrz11 2015),
Bundesregierung (Plan, per Sep08 2015) eurostat, tradingeconomics
Ausgewählte Arbeitslosenzahlen per Februar 27 2015:
Deutschland 6,6 % Frankreich 10,4 % Italien 12,6 % Großbritannien 5,7 % EU 9,8 % USA 5,7 % Kanada 6,6 % Japan 3,6 %
Indizes
250
Rohstoffe
Öl
160
Stahl (Monatsdurchschnitt)
Kupfer
Weitere Kosten
Shanghai Freight Rate Index
Strom
USD 140
200
120
150
100
100
80
50
60
0
01.13
02.13
03.13
04.13
05.13
06.13
07.13
08.13
09.13
10.13
11.13
12.13
01.14
02.14
03.14
04.14
05.14
06.14
07.14
08.14
09.14
10.14
11.14
12.14
01.15
02.15
01.13
02.13
03.13
04.13
05.13
06.13
07.13
08.13
09.13
10.13
11.13
12.13
01.14
02.14
03.14
04.14
05.14
06.14
07.14
08.14
09.14
10.14
11.14
12.14
01.15
02.15
40
Quelle: : onvista.de, finanzen.net, EEX (PHELIX base load), LME (steel billet), Shanghai Shipping Exchange
Preise in € (Stand Februar 27/28 2015):
Öl/Barrel 44,01 Stahl/to (global steel) 263,67 Kupfer/to 5.267,48 Strom/Gwh 29,51 Für 1 EUR: USD 1,12; CHF 1,07; JPY 133,93 EURIBOR (3M) 0,05 %
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 20
Auszüge aus der Insolvenzstatisik
7,3 %
Unternehmen
35.000
31.998
30.099
30.000
28.297
25.000
25.995
24.085
20.000
15.000
10.000
5.000
0
2010
2011
2012
2013
2014*
Um 7,3 % gingen die Unternehmens­insolvenzen im Zeitraum J
­ anuar bis Dezember
2014 gegenüber dem Vorjahr
­zurück. Damit wird der langjährige Trend fortgesetzt
(durchschnittlicher Rückgang
seit 2010 um 6,9 % p.a.).
Quelle: destatis.de
Ausfallwahrscheinlichkeit
Die Ausfallwahrscheinlichkeit
ist ­branchenspezifisch deutlich unterschiedlich. In allen
­betrachteten Branchen
sind g
­ egenüber dem Vorjahr
­Rückgänge feststellbar, insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe und im Bereich
Verkehr/Lagerei.
Branchen
%
1,8
2013
2014 1,6
1,4
1,2
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0,0
Handel
(inkl. KFZ)
Bau­
gewerbe
Gast­
gewerbe
Verarb.
Gewerbe
Verkehr/
Lagerei
Weitere
Quelle: destatis.de
Ausgewählte EY-Publikationen
In unserer EY-Bibliothek unter www.ey.com/de/de/home/library
finden Sie Newsletter, Studien und weiteres Leadership-Material
von EY. Nachstehend stellen wir Ihnen eine Auswahl interessanter
Publikationen vor:
Studien
Dezember 2014Private Equity – Der Transaktionsmarkt in
Deutschland 2014 > zur Studie
Januar 2015Verbraucher in Deutschland: Aktuelle wirtschaftliche Lage und Ausblick 2015 > zur Studie
Januar 2015Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt
Deutschland 2015 > zur Studie
Januar 2015Technologie-Start-ups in Deutschland 2010–2014
> zur Studie
Januar 2015Mixed Leadership Barometer – Januar 2015
> zur Studie
Februar 2015Entwicklung der kommunalen Realsteuern
2005 –2014 > zur Studie
März 2015
Global Corporate Divestment Study (Englisch)
> zur Studie
März 2015Prognoseänderungen im Prime All Share
> zur Studie
März 2015Deutscher Energiewende Index
Winter 2014/2015 > zur Studie
März 2015Digitalisierung: Wer investiert und profitiert –
wer verliert? > zur Studie
Newsletter/Magazine
Februar 2015Accounting Magazine, u. a. zum Thema neuer
Standardentwurf zur Beurteilung der Insolvenzreife (IDW ES 11) > zum Magazin
Februar 2015Corporate Law Newsletter, u. a. zum Thema
Stromkostenreduzierung durch Pooling
> zum Newsletter
März 2015EY Healthcare News, u. a. zum Schwerpunktthema Sanierung (Englisch) > zum Magazin
EY Restructuring Insights, Ausgabe 2 | 21
EY-Veranstaltungskalender
EY | Assurance | Tax | Transactions | Advisory
In unserem Veranstaltungskalender unter www.ey.com/DE/de/About-us/
EY-Veran­staltungskalender finden Sie eine Übersicht unserer Veranstaltungen von
EY und zugehörige ­Ansprechpartner, an welche Sie sich gerne für Anmeldungen oder
Fragen wenden können. Nachfolgend stellen wir eine Auswahl von Veranstaltungen dar:
14.–15. April 2015, Frankfurt am Main
Gipfelgespräch für Familienunternehmen
15.–16. April 2015, Düsseldorf
Gesundheitskongress Health 3.0: Innovation – Qualität – Nachhaltigkeit
20. April 2015, Nürnberg
Brennpunkt Umsatzsteuer
22.–24. April 2015, Frankfurt am Main
11. Handelsblatt Jahrestagung, Restrukturierung 2015
April–Mai 2015, München/Hannover/Frankfurt am Main
EY Scout für die Finanzindustrie (IFRS 9 Standard)
April–Juni 2015, u. a. Hamburg/Frankfurt am Main/München
Roadshow: Arbeitnehmerzuwendungen im Lohn- und Umsatzsteuerrecht
Hamburg
Frankfurt
Bernd Richter
[email protected]
Matthias Beck
[email protected]
Detlev Bremer
[email protected]
Daniel Mair
[email protected]
Michael Weimar
[email protected]
Jakob Weyres von Levetzow
[email protected]
Dr. Cornelia Brucklacher
[email protected]
Düsseldorf
München
Dr. Jörg Sandow
[email protected]
Christoph Elzer
[email protected]
Fotos: Fotolia, Thinkstockphoto, iStockphoto
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­ lobal
Limited (EYG). Jedes EYG-Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig
und haftet nicht für das Handeln und Unterlassen
der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen.
Ernst & Young Global Limited ist eine Gesellschaft
mit beschränkter Haftung nach englischem
Recht und erbringt keine Leistungen für Man­
danten. Weitere Informationen finden Sie unter
www.ey.com.
In Deutschland ist EY an 22 Standorten präsent.
„EY“ und „wir“ beziehen sich in dieser Publikation auf alle deutschen Mitgliedsunternehmen
von Ernst & Young Global Limited.
Ansprechpartner
Dr. Gunnar Gerig
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Die globale EY-Organisation im Überblick
Die globale EY-Organisation ist einer der Marktführer in der Wirtschafts­prüfung, Steuerberatung,
Transaktionsberatung und Managementberatung.
Mit unserer Erfahrung, unserem Wissen und
unseren Leistungen stärken wir weltweit das Vertrauen in die Wirtschaft und die Finanzmärkte.
Dafür sind wir bestens gerüstet: mit hervorragend
ausgebildeten Mitarbeitern, starken Teams, exzellenten Leistungen und einem sprichwörtlichen
Kundenservice. Unser Ziel ist es, Dinge voranzubringen und entscheidend besser zu machen –
für unsere Mitarbeiter, unsere Mandanten und
die Gesellschaft, in der wir leben. Dafür steht
­unser weltweiter Anspruch „Building a better
working world“.
Diese Publikation ist lediglich als allgemeine, unverbindliche
­Information gedacht und kann daher nicht als Ersatz für eine
­detaillierte Recherche oder eine fachkundige Beratung oder
­Auskunft dienen. Obwohl sie mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt
wurde, besteht kein Anspruch auf sachliche Richtigkeit, Voll­
ständigkeit und/oder Aktualität; insbesondere kann diese Publi­
kation nicht den besonderen U
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tragen. Eine Verwendung liegt damit in der eigenen Verant­wortung
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EY Restructuring Insights, Ausgabe 2
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