Metaphern in der Internetkommunikation

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Metaphern in der Internetkommunikation
Metaphern in der
Internetkommunikation
Angelika Storrer
Juni 2004
Prof. Storrer | Universität Dortmund
Aufbau
Internetkommunikation: Kommunikative Leistung
und Besonderheiten
Alltagsmetaphern und Nutzermetaphern
Das Internet als Informations- und
Kommunikationsraum
- Zeigen und Lokalisieren im Chatraum
- Zeigen und Lokalisieren im Hypertext
Ausblick und Diskussion
Prof. Storrer | Universität Dortmund
Grundgrößen eines Kommunikationsmodells
Kognitives Korrelat
Kognitives Korrelat
Korr R /K2
Korr P /K1
Produktionsprozess
Rezeptionsprozess
Produkt
Produkt
Produzent
Produzent
PP
Kommunikant
Kommunikant
11
RezeptionsRezeptionsgrundlage
grundlage
Rezipient
Rezipient
RR
Kommunikant
Kommunikant
22
Prof. Storrer | Universität Dortmund
Diskursive Kommunikationsform (Gespräch)
Kognitives Korrelat
Korr P,R /K1
Kognitives Korrelat
Korr P,R /K2
Produktions-/
Rezeptionsprozess
Kommunikant
Kommunikant
11
Produktions-/
Rezeptionsprozess
P1
R1
R2
P2
P3
R3
R4
P4
Kommunikant
Kommunikant
22
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Textuelle Kommunikationsform (Printtext)
Kognitives Korrelat
Kognitives Korrelat
Korr R /K2-Kn
Korr P /K1
Produktionsprozess
Rezeptionsprozess
Rezipient11
Rezipient
R1
Produzent
Produzent
Kommunikant
Kommunikant
11
R
Abgeschlossene
Abgeschlossene
Textvorlage
Textvorlage
PP
2
Kommunikant22
Kommunikant
Rezipient22
Rezipient
R3
R4
Kommunikant33
Kommunikant
…
Rezipientnn
Rezipient
Kommunikantnn
Kommunikant
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Internetkommunikation: Kommunikative Leistung
• Buchdruck:
Leistung: kostengünstige Verbreitung identischer Kopien
• Internet (digitale Medien):
Leistung:
- schnelle und weiträumige Verbreitung von rasch sich
veränderndem und komplex vernetztem Wissen
- Integration von Schrift, (Bewegt)bild und Ton
- Mehrfachverwendung von Daten durch die Trennung
von Datenspeicherung, Datenmodellierung und
Datenpräsentation (multiple media publishing, crossmedia publishing)
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Hypermedien/ Texttechnologie
Produktionsprozess
Rezeptionsprozess
Hypertextsystem
Dokumentenbasis
Sicht 1
Kommunikant3:3:
Kommunikant
RezipientRRX
Rezipient
Kommunikant1:1:
Kommunikant
ProduzentPPX
Produzent
X
Sicht 2
X
Werkzeug X
Browser X
Kommunikant4:4:
Kommunikant
RezipientRRY
Rezipient
Y
Kommunikant2:2:
Kommunikant
ProduzentPPY
Produzent
Sicht n
Y
Werkzeug Y
Browser Y
Kommunikantn:n:
Kommunikant
RezipientRRZ
Rezipient
Z
Browser Z
E-Texte
E-Texte
Hyperdoku
Hyperdoku
mente
mente
Sites
Sites
Handy
Buch
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Digitale “Gesprächstechnologien”: z.B. Chat
R
Kommunikant
Kommunikant
11
P
Chat-Sicht K1
Chat-Sicht K2
Du betrittst den
Raum.
K2: Hallo K1 :-)
K2: wie gehts?
K1: Moin moin
K3 flüstert zu dir:
Hallo wie gehts?
K1: Gut und
selbst??
K2: geht so...
K1 betrittt den
Raum.
K2: Hallo K1 :-)
K2: wie gehts?
K1: Moin moin
K1: Gut und
selbst??
K2: geht so...
R
Kommunikant
Kommunikant
22
P
Client A
Client A
Produktions-/
Rezeptionsmedium
Produktions-/
Rezeptionsmedium
P
Chat-Server
P
Transmitter
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Internetkommunikation: Besonderheiten
• Individualisierte Sichten statt identische Kopien:
Gebundenheit des Kommunikats an Zeitpunkt und
Medialität der Datenanzeige
• Produktionsaspekt: Trennung von
Datenerstellung/Modellierung + Festlegung von Sichten
• Rezeptionsaspekt: Fehlende Stabilität und
Reproduzierbarkeit von Daten
• Technisierte Multimodalität:
Schrift, Bild, Ton, Video sind miteinander verlinkbare
digitale Datentypen
• Funktional motivierte Verknüpfung sprachlicher und
nichtsprachlicher Handlungsmuster: Herausbildung
neuer Text- und Diskursarten
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Konsequenzen für Text- und Diskursstrukturen
Delinearisierung:
• Im Hypertext: Wegfall einer verbindlichen Leseabfolge
als Bindeglied zwischen Produzent und Rezipient
• Im Chat: Verschränkung, Fragmentierung und
Überschneidung von Gesprächszügen und -mustern
Flexibilisierung:
• Im Hypertext: Mehrdimensionale Verlinkung von
Dokumententeilen und nutzeradaptive Präsentation von
Inhalten (Nutzerprofile; dynamische Sichten)
• Im schriftbasierten Chat: einfache informelle n:mKommunikation; Verbindung der Stärken von medialer
Schriftlichkeit und konzeptioneller Mündlichkeit
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Alltagsmetaphern und Nutzermetaphern
Kognitive Metapherntheorie (Lakoff/Johnson): Wir nutzen
Metaphern in der Alltagssprache, um abstraktere
Erfahrungsbereiche durch metaphorische Anbindung an
konkretere Erfahrungsbereiche zu strukturieren.
Dabei gibt es nicht nur solitäre Metaphern (der Fuß des
Berges), sondern Metaphernsysteme, die Konzepte aus dem
konkreteren Bildbereich auf entsprechende Konzepte aus
dem abstrakteren Zielbereich übertragen.
GELD Æ ZEIT. (Zeit sparen; verschwenden; Zeitökonomie)
GEBÄUDE Æ THEORIEN/ARGUMENTE (Fundament, Basis,
Argumente konstruieren, Theorie mit Argumenten abstützen)
MANNSCHAFTSSPORT Æ TEAMSTRATEGIE (sich gut
aufstellen, den Ball flach halten, eine Steilvorlage geben)
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Alltagsmetaphern und Nutzermetaphern
Nutzermetaphern: “Verortung” und Verdinglichung digitaler
Daten und computergestützter Prozesse durch bewusst
gesetzte Metaphernsysteme.
Motivation:
- Digitale Daten erhalten Stabilität und Struktur (Dateien,
Ordner, Dokumente, Briefe).
- Graphische Nutzeroberflächen operieren über
Zeichensystemen, die metaphorisch an Zeichen, Objekte und
Handlungsmuster aus dem sog. “real life” angebunden sind.
Æ Büroorganisation (Schreibtisch, Papierkorb, Adressbücher)
Æ Einkaufen im Supermarkt (Warenkorb, Kasse)
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Beispiel: Einkaufen im “virtuellen” Buchladen
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Beispiel: Besuch im “virtuellen” Grammatikinstitut
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Bezugssysteme für die Lokalisierung im Hypertext
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Grundlegende Metaphern der Internetkommunikation
Interaktionsmetapher:
Das Bedienen eines Computers wird konzeptualisiert als Dialog
zwischen Nutzer und Computersystem (Dialogbox, Antwortzeiten). Æ
Mensch-Maschine-Interaktion
Gesprächsmetaphern:
Die Nutzung öffentlicher und geschlossener Kommunikationsräumen
(Foren, Chats) wird als Gespräch konzeptualisiert (hereinkommen,
schweigen, reden).
Raummetaphern:
Der Computer/ das Internet wird konzeptualisiert als Raum, in dem
Daten und Informationen verortet sind (Site, Homepage, Hyperspace,
Dokuversum). Die internettypischen Rezeptionsformen werden
konzeptualisiert als Reiseabenteuer (Navigieren, Besucherzähler,
Gästebuch) bzw. als Funsportart (Surfen).
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Kompetenzen im Umgang mit Nutzermetaphern
Metaphern: Die metaphorische Übertragung fokussiert immer
nur bestimmte Teilaspekte und –strukturen aus dem
Bildbereich.
Nutzermetaphern sind kulturgebunden und müssen ggf. im
Zuge der Softwarelokalisation angepasst werden
z.B. “Clipboard” wurde ins Deutsche als “Zwischenablage” übersetzt;
das Ikon blieb allerdings erhalten.
Im Umgang mit Nutzermetaphern muss erlernt werden, in
welcher Weise sich die metaphorischen Objekte und
Strukturen von den Objekte und Strukturen des Bildbereichs
unterscheiden.
z.B. Fenstermetapher: Das “Schließen” eines Fensters führt nicht zu
einem geschlossenen Fenster sondern zum Verschwinden des
Fensters.
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Kompetenzen im Umgang mit Nutzermetaphern
Das Wissen über die Divergenzen von Bild- und Zielbereich
und entsprechende sprachliche Konventionen ist ein wichtiger
Bestandteil der Medienkompetenz.
Æ DAU-Witze: “geh doch mal kurz raus”
Speziell für den Umgang mit den Interaktions-, Gesprächs- und
Raummetaphern des Internet haben sich spezielle
Konventionen herausgebildet, die der Internet-Neuling
(“Newbie”) erlernen muss.
In der Verwendung von sprachlichen und ikonischen Zeichen,
die zum Zeigen und Lokalisieren in metaphorischen
Informations- und Kommunikationsräumen benutzt werden, gibt
es neue Arten von Mehrdeutigkeiten, deren Disambiguierung
auf dem Wissen über bestimmte markierte und unmarkierte
Interpretationen entsprechender Ausdrücke basiert.
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Bezugsräume für Lokalisierungen
Imaginierter
Informations- und
Kommunikationsraum
„Anschauungsraum“
Bildschirm
„Aufenthaltsraum „Real Life“
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„Hier“ im Chat
<susel> rose? du bist so still?
(…)
<Rose> Ja ich hör mal so zu, was hier so gequatscht wird...
<Rose> Hier ist alles "reglementiert". Mehr darf ich eigentlich
nicht sagen, vielleicht werde ich kontrolliert...
(...)
<Rose> mit "hier" meinte ich diesen Platz am Pc!
<Idefix> Happy: Und jetzt fragt mich hier noch jemand nach
Unixbefehlen.... Wie peinlich
(...)
<Idefix> kann hier wer Unix?
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Chat vs. „Real Life“
<Moderator> Herr Küppersbusch ist nun bei uns und wartet
auf Ihre Fragen
<llemnitzer> So die Studies sind alle weg.
<llemnitzer> Georg, ich komme gleich mal zu dir hoch, dann
können wir über deine Ideen reden
(…)
<llemnitzer> ich bin jetzt gleich bei dir
<grehm> Ok
<mbeisswenger> ich bleibe dann wohl hier unten...
(…)
<grehm> (for teachers): michael: Gräm Dich nicht zu sehr. :-)
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“Oben” und “unten”
<Findalf>
Antarktika, und wo wird
dann das ganze
veröffentlicht?
(…)
<Arktikus>
Fin: auf diversen
Homepages....siehe oben
*g*
chat.de
A.C.E. sends a HALO to ineli26
(Gangster) Ich häng hier schon geschlagene 4 Stunden rum... Endlich kommt mal jemand...
ineli26 sends an hello back to A.C.E.
Meerschweinchen würde sowas dem könig und der königin doch nie antun, ineli!
(ineli26) noch nicht viel los, bis jetzt
Raebchen schon
(ineli26) koenig? koenigin?
(Meerschweinchen) *lol*@räbchen
(ineli26) achja, raebchen?
(Raebchen) *flötpiep*
(Gangster) *fingerzeig*@raebchen
(A.C.E.) danke ineli26
(Raebchen) oh oh... *in ecke geh und schäm*
(ineli26) jaja, floetpiep !! pah
(ineli26) wie lange biste denn schon da, gangster?
(Gangster) ineli: siehe oben
Hallo Leute !
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“Oben” und “unten”
<leiter> dann verstehe ich
deine Aussage von ca 20
Zeilen weiter unten nicht.
chat.de
(…)
<Bernd> doch
<leiter> also "dict." wäre
demnach kein major head?
<Bernd> Fragen?
(Gangster) ineli: siehe unten
(ineli26) wie lange biste denn schon da, gangster?
(ineli26) jaja, floetpiep !! pah
(Raebchen) oh oh... *in ecke geh und schäm*
(A.C.E.) danke ineli26
(Gangster) *fingerzeig*@raebchen
(Raebchen) *flötpiep*
(ineli26) achja, raebchen?
(Meerschweinchen) *lol*@räbchen
(ineli26) koenig? koenigin?
Raebchen schon
(ineli26) noch nicht viel los, bis jetzt
Meerschweinchen würde sowas dem könig und der königin doch nie antun, ineli!
ineli26 sends an hello back to A.C.E.
(Gangster) Ich häng hier schon geschlagene 4 Stunden rum... Endlich kommt mal jemand...
A.C.E. sends a HALO to ineli26
Hallo Leute !
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„Hier“ im Hypertext
hier = unmittelbares Umfeld
des deiktischen Ausdrucks
hier = Linkanzeiger
hier = Linkziel (Seite die mit dem Link verknüpft ist)
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„Hier“ und „dort“ im Hypertext
dort = Der Ort, an
dem im imaginierten
Vorgang das Menu
erscheint
„hier“ und „dort“ =
stilistische Varianten
für Linkziele
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„dort“ und „hier“ im Hypertext
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Lokale Bezugssysteme in Hyperdokumenten
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Bezugssysteme für die Lokalisierung im Hypertext
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Bezugssysteme für die Lokalisierung im Hypertext
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Lokale Bezugssysteme in Hyperdokumenten
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Fazit und Ausblick
In digitalen Medien ist die Modellierung und Strukturierung der
Daten prädifferent gegenüber der Präsentation der
Datensichten auf einem Datensichtgerät.
Räumliche und architektonische Metaphern dienen dazu,
Daten zu „verorten“ und zu strukturieren und damit die
fehlende Gravur und Stabilität auszugleichen.
Die Präsentation der Datensichten erfolgt in Text-BildKombinationen, die „aktivierbare“ Elemente enthalten, mit
denen vorprogrammierte Aktionen ausgelöst werden.
Der Umgang mit diesen Text-Bild-Kombinationen wird generell
über die Interaktionsmetapher organisiert; im Detail werden
unterschiedliche Bereiche sprachlicher und nicht-sprachlicher
Handlungsabläufe als metaphorische Bildbereiche genutzt.
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Fazit und Ausblick
Nutzermetaphern sind pragmatisch gesetzt:
Vom Bildbereich werden nur die relevanten Aspekte
übernommen; andere vom Bildbereich divergente Aspekte
können hinzukommen.
Es ist Teil der medienspezifischen Kompetenz, die
Divergenzen vom Bildbereich und entsprechende sprachliche
und bildliche Konventionen zu kennen.
Im Umgang mit den bildlichen und sprachlichen Formen des
Zeigens und Lokalisierens kommt es zu neuen
systematischen Mehrdeutigkeiten, die durch konkurrierende
Bezugsräume bedingt sind.
Auch hierfür haben sich Konventionen herausgebildet, die als
Teil der medienspezifischen Kompetenz erlernt werden
müssen.
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Forschungsfragen und Anwendungsbereiche
Bewusstheit über die Funktionalität von Nutzermetaphern und die
Analyse von mehrdeutigen Bezugssystemen kann potenzielle
Problemfelder (Mehrdeutigkeiten, Divergenzen zwischen Bild- und
Zielbereich) antizipieren.
Ein Desiderat sind empirische Untersuchungen zum Umgang mit
graphischen Nutzeroberflächen, die erforschen, inwiefern sich
spezielle Problembereiche beim Metapherneinsatz auf den
Nutzungserfolg (bei Anwendern mit unterschiedlicher Vorerfahrung)
auswirken.
Auf dieser Basis: Leitlinien für die konsistente sprachliche und
bildliche Nutzung von Metaphern.
Anwendungsbereiche:
Webgestaltung und „Usability“-Forschung
Mediendidaktik (Schule und Weiterbildung)
Prof. Storrer | Universität Dortmund