ihre Refugien - Callwey Verlag

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ihre Refugien - Callwey Verlag
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Frauen
&
ihre Refugien
Stefanie von WieterSheim
fotoS von Claudia von BoCh
Inhalt
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RAUM FÜR MICH
Einleitung
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DAS LOFT IN DER FEUERWACHE
Siggi Spiegelburg, Modedesignerin
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DIE KLEINE EMPORE
Alexandra Kolb, Bildredakteurin
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DAS HAUS AM SEE
Stefanie Harig, Galeristin
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DAS FARBZIMMER
Petra Hüttermann, Interior Consultant
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DIE LIMONAIA IN DER TOSKANA
Nina Ruge, Fernsehmoderatorin und Autorin
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LESEPLATZ IM BERLINER HIMMEL
Anna von Griesheim, Modemacherin
60
GARTENHAUS & ERKERZIMMER
Friederike Pfitzner, Künstlerin
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HAUS AUF SYLT
Anne Pillunat, Schneiderin und Bücherfrau
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AM ELEFANTENTISCH
Bettina Hagenbeck, Familienunternehmerin
82
ATELIER IN KREUZBERG
Elvira Bach, Künstlerin
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DIE BLAUE WOHNUNG
Anne Maria Jagdfeld, Interior Designerin
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NOMADENLEBEN IM LANDHAUS
Dina von Boch-Galhau, kreative Familienfrau, Designerin und Model
104 SCHREIBZIMMER MIT PAPAGEI
Manuela von Perfall, Autorin und Hundeliebhaberin
112 DER ALTE BÄCKERLADEN
Nina Hollein, Kleiderarchitektin
118 BOUDOIR & ALTE SCHLOSSKÜCHE
I.K.H. Diane de France, Herzogin von Württemberg, Künstlerin
126 DAS SCHWARZE ZIMMER
Nadja Michael, Opernsängerin
132 DIE KINDERVILLA IN DEN BERGEN
Laetizia Riedel-Röthlisberger, Beraterin im Familienunternehmen
140 DAS LILA KABINETT
nn Kathrin Linsenhoff, Olympia-Dressurreiterin und Gründerin A
einer eigenen Stiftung für Kinder
148 DER SCHREIBTISCH DES POETEN
Senta Berger, Schauspielerin
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MEINE BIBLIOTHEK
Karen Heumann, Frau der Werbung
162 DIE ZAUBERRUINE
Nadja Uhl, Schauspielerin
170 Adressen, Dank, Bildnachweis, Impressum
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DA S L O F T
IN DER
F E U E RWAC H E
Siggi Spiegelburg, Modedesignerin
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Freiraum für die Fantasie: Die Küche von Siggi Spiegelburgs Loft ist mit alten und neuen Delfter Kacheln dekoriert.
Zwischen der Bilderkollektion hängt ein Schubladenschränkchen, in dem ihr Ehemann einst zu einem Weihnachtsfest viele
kleine Geschenke versteckt hatte. Die Lüster aus buntem Muranoglas krönen die poetische Essecke mit Lichtspielen.
F
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rau mit dem goldenen Lächeln. Elegante Pippi
räts platziert. Und auf alten Louis-Vuitton-Koffern sta-
Langstrumpf. Unbekümmerte Antipuristin. Vie-
peln sich Bildbände über Kunst und Kaffeebecher mit
le Bilder fallen einem zu Siggi Spiegelburg ein,
naivem Punktmuster.
wenn man mit ihr die sechs Etagen ihres Lofts rauf-
Spiegelburg – dieser Name steht für das Heim des Ha-
und runterturnt über lilafarbene Feuerleitern, die von ei-
sen Felix, der Prinzessin Lillifee und des Capt’n Sharky.
nem Wunderraum zum nächsten führen. Man läuft über
Wenige der Millionen Eltern, die Bücher, Plüschtiere
einen grün-lila karierten Teppich, sieht rosa gestrichene
und Ranzen mit den Kinderikonen kaufen, wissen, dass
Wände neben alten Mauern aus westfälischem Backstein.
dieses Label der Familienname einer Frau Spiegelburg
Staunt über Toile-de-Jouy-Tapeten, die wie kunstvolle
ist, deren Mann Wolfgang Hölker einen kleinen Münste-
Comics an die Wände geklebt sind. Asiatische Antiqui-
raner Verlag zum Musterbeispiel eines Erfolgsunterneh-
täten und Fundstücke von belgischen Brocante-Märkten
mens gemacht hat. Seine Frau war es, die erkannte, dass
sind vor moderne Fotokunst und formelle Damenport-
der deutsche Markt reif für eine neue Generation von
Farbige Innenwelt:
Die ehemalige
Feuerwache mit
ihrer lila gestri­
che­n en Industrie­
treppe ist zu
einem eleganten
Hideaway in der
Stadt geworden.
Alte Familienbilder, wertvolle
Antiquitäten und
elegante Stoffe
sind mit typisch
westfälischen
Klinkermauern
und rosa Wänden
kombiniert.
Kinderbüchern und passende Accessoires war, und ihm
Die wiederholte
Mut machte, neue Wege zu gehen. Sie nähte die ersten
Verwendung
Häschen, Teddybären und Lampenschirme selbst. „Ich
von Gold-, Rot-
habe meinem Mann durch Ideen, vor allem aber durch
und Rosatönen
meine Fröhlichkeit und Unbekümmertheit geholfen,
verbindet die
auch schwierige Zeiten im Unternehmen durchzuste-
zahlreichen
hen“, sagt die 53-jährige Designerin im Rückblick.
Wunderkammer-
Siggi Spiegelburg ist eine dieser Frauen, die auf Männer
Ecken optisch.
unwiderstehlich wirken, die Frauen zur besten Freundin
wählen und die Kinder zur großen Schwester haben wollen. Sie hat Glamour, Humor, hat Tempo und einen ganz
eigenen Geschmack, der Dinge wagt, die andere sich
schon zu denken verbieten. „Man darf alles nicht so ernst
nehmen – auch sich selber nicht!“, sagt die Modemacherin. Die aus dem Brenninkmeyer-Clan stammende Frau,
die mit acht Geschwistern aufwuchs, hatte schon immer
ihren eigenen Kopf. Mit Anfang zwanzig eröffnete die
Autodidaktin mit einem Existenzgründungsdarlehen in
Münster eine eigene Boutique, verkaufte Schuhe und Accessoires, bot selbst genähte Kleider an. Später entwarf
sie für verschiedene Firmen Strickkollektionen. Die ersten Jahre hatte es die junge Frau Spiegelburg schwer, auf
Messen ernst genommen zu werden. Im konservativen
Münster waren ihre ausgefallenen Waren in feiner Qua-
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„Freiheit für das Ego ist so schön.“
Pracht mit Witz: Siggi Spiegelburg kombiniert
Rechts: Luxuriöser Badesalon statt uniforme Nasszelle: Die massive Marmorwanne aus
in allen Räumen edle Sammlerstücke mit
Antwerpen wurde auf einen Tartanteppich platziert. Das Waschbecken verschwindet
Trouvaillen von Flohmärkten, zeitgenössischer
elegant in einer schwarzen Kommode mit Goldbeschlägen. Fotografien und persön­
Kunst und Fotos ihres Familienclans.
liche Accessoires der Modemacherin geben dem hohen Raum intimen Charakter.
lität eine Sensation. Doch ihr Talent und ihr Geschmack
gefielen immer mehr Kundinnen in ganz Deutschland.
So entstand ein großes Maßatelier.
Heimat, Westfalen, ein schönes Zuhause, ja, das ist
ihr wichtig. Aber wie viele Frauen träumt sie manchmal
davon, auszubrechen, ihr Leben zu ändern. Die Mutter
zweier erwachsener Töchter und Herrin einer Wasserburg hat im Jahr 2009 ein Refugium in der Stadt bezogen.
Ihr Rückzugsort: der Turm der ehemaligen Hauptfeuerwache von Münster. Dort, wo früher die meterlangen
Schläuche trockneten, hat sich Siggi mit ihrem Mann
ein urbanes Domizil eingerichtet. Jedes Stockwerk ist
einem Lebensbereich zugeordnet: im Erdgeschoss liegen
Eingang und Küche, eine Etage höher ist das Wohnzimmer, im zweiten Stock kann sie baden, wieder eins rauf
geht man zum Schlafen, darüber kommt noch ein Asienzimmer und ganz oben steht ein weiteres Bett. Viele Mö-
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belstücke hat sie aus alten Beständen genommen und
pflegt bewusst ihre Freundschaften. All das kostet viel
wieder hergerichtet, andere auf gemeinsamen Reisen
Energie. Doch trotzdem ist für sie klar: „Hier in der Stadt
mit ihrem Mann gefunden. Ihre Lieblingsorte für den
möchte ich nicht allen Ernstes immer wohnen, dazu liebe
Möbelkauf sind die großen Antiquitätenmärkte in Lille
ich das Land zu sehr. Aber als Refugium ist es wunder-
und Antwerpen.
bar.“
„Am Land habe ich einfach keine Ruhe – so seltsam
Ihr Geschäft und das Maßatelier liegen am Münstera-
das für Stadtbewohner auch klingen mag“, sagt sie. Da ist
ner Hafen, in einem der großen Speicherhäuser, in dem
das große Haus, die Pferde, die Hunde, Kinder, Freunde,
auch der Verlag seinen Sitz hat. Dort kreiert sie elegante
Übernachtungsbesuch. „In der Feuerwache kann ich mal
Tageskleider und Abendroben, schneidet Hermès-Tücher
ein Wochenende abtauchen und absolute Ruhe haben.“
auseinander, näht sie mit anderen Stoffen zu Röcken zu-
Denn Nein sagen, andere enttäuschen, das liegt nicht in
sammen und lässt Fransenborten passend dazu einfär-
ihrer Natur. Sie kümmert sich um siebzehn Angestellte
ben. Sie selbst ist ihr bestes Modell. „Ich sehe ja immer
im Atelier, fährt zu Stoffmessen nach Paris und Mailand,
aus wie eine Gardine, weil ich gern Posamenten an mei-
„Ich bin der Typ Frau, der alles gern selber
tut und für den Ehemann Monogramme in die
Hemden näht. Ab und zu bin ich dann froh,
ein paar Tage allein zu sein.“
Verstecktes Hauptquartier einer Dame von Welt: Das aus England
stammende gelbe Sofa ist der Lieblingsplatz für Lesestunden. Ein
Schrankkoffer von Louis Vuitton dient als ungewöhnlicher Coffee-
table für die zahlreichen Bildbände aus Spiegelburgs Bestand.
Je nach Jahreszeit und Stimmung dekoriert sie das Sofa mit
unterschiedlichen Plaids und Kissen.
ne Kaschmirjacken nähe“, sagt sie und rückt eine Taft-
Ruhe und Frieden finde ich
schleife am Revers zurecht. Hat sie keine Angst, bei den
teuren Stoffen aus Paris einmal daneben zu schneiden?
– wenn ich bewusst das Handy ausschalte und „Das passiert mir nicht“, sagt sie fröhlich und nimmt ihre
pistaziengrüne Birkin-Tasche mit orangefarbenem Fut-
– wenn ich mich für ein Wochenende ins Loft ter und den langen Fransen auf den Schoß. Das Handy
klingt. Es hängt an einem bunten Band aus kunstvoll zu-
– beim Autofahren! Da kommen mir die
sammengenähten Stoffresten und ist mit einem dicken
beschließe, einen Tag nicht zu telefonieren.
verabschiede und weiß, ich kann abtauchen.
besten Ideen.
Karabinerhaken an der Tasche festgemacht. Ein bunter
Rettungsanker beim ständigen Fischen in den Untiefen
des Sammelsuriums, das die meisten Frauen mit sich
herumtragen. Und man fragt sich, warum man auf diese
brillante Idee nicht schon selbst gekommen ist.
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DIE LIMONAIA
IN DER TOSKANA
Nina Ruge, Fernsehmoderatorin und Autorin
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N
ina Ruge strahlt. Heute ist ein goldener, sonniger
auf dem von der Sonne verwöhnten Hang die Frau auf,
Herbsttag. Eine geliebte Freundin aus München ist
die Glamour in die deutsche Nachrichtenwelt brachte.
über das Wochenende zu Besuch, und ihr ganz per-
Sie hat sich einen schützenden Platz geschaffen, in dem
sönliches Refugium ist gerade fertig geworden. „Hier
ihre Gedanken wachsen können, fernab der manchmal
geht es runter zu meiner Limonaia“, sagt sie und führt
nervtötenden Geschäftigkeit des Medienbetriebs, in dem
uns durch den mediterranen Garten viele Treppen hin-
sie seit über 20 Jahren erfolgreich ist.
unter in einen Olivenhain. Da steht sie, die neue Schreib-
Vor neun Jahren kauften Nina Ruge und ihr Mann ein
Orangerie der berühmten deutschen Moderatorin. Nina
typisches toskanisches Haus in den Hügeln um Lucca, das
Ruge streicht sich eine blonde Haarsträhne aus dem
zuvor einem Olivenölhersteller gehörte. Ein Hideaway und
Gesicht, schließt die großen Flügeltüren auf und sagt:
Wohnsitz im Süden – mit Blick auf die 1000 Jahre alte Kir-
„Dieses Stück Erde ist ein magischer Ort. Hier habe ich
che San Martino, deren Glocke zu jeder vollen Stunde läu-
ein Glashaus nur für mich.“
tet. Nina Ruge verbringt so viel Zeit wie möglich südlich
Früher stand unterhalb der Natursteinmauer ein altes
Anzuchthaus für empfindliche Südfrüchte, heute lebt
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der Alpen, vor allem von Mai bis September, auch Weihnachten feiert das Paar in dieser alten Kulturlandschaft.
Links: Intime Boudoirstimmung im
italienischen Glashaus: Vor dem
indischen Paravent hat Nina Ruge
sich eine bequeme Leseecke geschaffen. Kissenbezüge mit Blumen- und
Rankenmotiven geben dem großen
Raum eine warme Note. Die üppigen
Vorhänge bieten der Bewohnerin die
Möglichkeit – je nach Stimmungslage
und Sonnenstand –, das Außen abzuschirmen oder einzulassen.
„Die Italiener unterscheiden zwischen der Serra, dem
gemauerten Überwinterungshaus für Pflanzen, und der
Limonaia, dem gläsernen Anzuchthaus“, sagt die diplomierte Biologin, die auf dem Gelände auch einen Gemüsegarten angelegt hat. „Ich habe meine Schreib-Limonaia
selbst geplant und ausgestattet. Mein Mann hatte mit
diesem Raum nichts zu tun, er ist ein Perfektionist“, sagt
sie mit einem Lächeln, das ihre fotogenen Katzenaugen
leuchten lässt.
Nina Ruge wünschte sich in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt einen besonderen Arbeitsplatz – nicht nur fernab
von Deutschland, sondern auch ein Stück vom Haupthaus
entfernt. „Ich habe mir diesen Ort ausgesucht, weil ich hier
mit Blick auf die Olivenbäume in totaler Stille schreiben
kann, egal, ob es windet oder sehr kühl ist.“
Tritt man über die Schwelle, ist man in Ninas Innenwelt, die sie mit leichter Hand eingerichtet hat: Sie legte
alte Teppiche auf den massiven Holzfußboden, hängte
pflaumenblaue Samtvorhänge vor die Eingangstüren und
sammelte Möbel aus Beständen der Familie zusammen.
Sie ließ zwei wacklige Stühlchen der Großmutter reparieren, ein Sofa vom Sperrmüll mit leuchtendem Samt
beziehen, einen alten Waschtisch anschließen. Exotische
Schmuckstücke sind ein indischer Paravent und zwei Morgenmäntel, in denen man sich gut auch Virginia Woolf
Oben: Die Liebe zum Detail zeigt sich in Alltagsobjekten: Der
vorstellen könnte. Ein Raum zwischen innerer Improvisa-
antike Waschtisch mit seinen edlen Handtüchern ist ein un-
tion und äußerer Perfektion. Ein Ort der Reflexion, zum
gewöhnlicher Blickfang. Bunte Gläser und die für Südeuropa
Nachdenken, Lesen, Schreiben. Ein großer Raum, in dem
typische Wasserkaraffe schmücken den Büchertisch.
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„Äußere Stille ist wichtig, denn sie hilft mir, innere Stille zu finden.
Stille ist heilend. Glück pur.“
sie ihre Texte allein laut vortragen kann, beobachtet nur
anstaltungen zu Themen aus Wirtschaft, Wissenschaft
von der Hauskatze, die die stetige Wärme schätzt.
und Forschung. Sie sieht das grundsätzliche Bedürfnis
Nach intensiven Berufsjahren in Fernsehen, vor allem
nach Ruhe und Gleichgewicht als Frage der persönlichen
mit ihrer täglichen Sendung „Leute heute“, sucht sich
Reife. „Heute nehme ich weniger gesellschaftliche Events
die 54-Jährige ihre Verpflichtungen genau aus. „Ich habe
wahr als früher und finde in der Presse weniger statt,
die Entscheidung getroffen, im Privaten mehr Ruhe
aber ich vermisse nichts. Im Gegenteil – ich genieße die
zu haben und Zeit mit meinem Mann zu verbringen,
Ruhe unendlich.“
das geht mit einer täglichen Sendung nicht.“ Sie mode-
Vor allem schreibt sie leidenschaftlich gern Bücher.
riert nun die Talkshow „Unter vier Augen“ und Galas
Jugendromane, Anthologien, populärwissenschaftliche
wie „Stars in der Manege“, leitet Talkrunden und Ver-
Sachbücher. „Als Moderatorin bin ich – was das Wort
Hier herrscht weibliche
Anmut: Die toskanische
Hauskatze liebt das warme
Refugium ihrer Herrin – und
darf sogar auf dem neu
bezogenen Stuhl von Nina
Ruges Großmutter sitzen.
Rechts: Der majestätische Lehnsessel mit
­s einem stilisierten Blättermotiv aus Brokat
ist ein idealer Platz für die Lektüre zur Teestunde. Die siebenarmige Stehlampe und der
geschwungene Garderobenständer brechen die strenge Geometrie der klassischen
­O rangerie-Architektur.
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„In der Limonaia bin ich weg von allem.“
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sagt – Vermittlerin. Als Autorin kann ich Kino im Kopf
Glauben wieder sehr nah gekommen, auch, weil ich für
zur Realität werden lassen“, sagt sie. Gedachtes zu Papier
das Schreiben meiner Kinderbibel die Evangelien in-
bringen, das war immer wichtig für sie. „Ich schreibe
terpretieren und die entsprechenden Kommentare stu-
Tagebuch, seitdem ich zwölf Jahre alt bin. Heute hat das
dieren musste“, erzählt sie. Auch in Fernsehsendungen
allerdings nachgelassen, die stürmischen Zeiten lie-
beschäftigt sie sich mit einer lebensnahen Auslegung
gen hinter mir, ich navigiere in ruhigerem Fahrwasser.“
der Heiligen Schrift, mit Themen wie Glück, Liebe und
In hektischen Zeiten zum Wesentlichen finden, das ist
Himmel.
für sie die zentrale Frage. „Ich bin nicht Mitglied einer
Was ist ihre persönliche Weisheitsbilanz nach vielen
Kirche, aber ich bin mit den Jahren dem christlichen
Reisen und Gesprächen mit klugen Menschen auf der
Ein schützender Innenraum inmitten
der mediterranen Landschaft:
Die Limonaia im Olivenhain ist die
moderne Umsetzung eines weiblichen Rückzugsorts mit historischer
Tradition. Sie dient Nina Ruge als
Schreibklause, Lesesalon und Versteck in ihrem global-mobilen Leben.
ganzen Welt? Ein Anti-Wort zur globalen Businesswelt,
Ruhe und Glück finde ich, wenn ich:
in der der strebsame Mensch so lange rast, bis Herz und
Hirn zusammenbrechen: Stille. „Viele haben vor der Stille
– frühmorgens durch die umliegenden
Angst, weil sie Angst vor der Begegnung mit sich selbst
haben. Ich habe gelernt, die Stille zu suchen und zu
– den Sonnenaufgang über dem Tal ansehe.
lieben. Man kann trainieren, das Gedankenrad anzu-
– im Garten unter der Pergola schreibe.
Hügel jogge.
halten.“ Für die Frau, die den Satz „Alles wird gut“ zu
ihrem Markenzeichen gemacht hat, gilt in der Toskana:
„Glück ist jetzt.“
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MEINE
B I B LI O T H E K
Karen Heumann, Frau der Werbung
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S
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age mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist.
„Bücher sind mein Lebensmittel“, sagt die energische
Ginge es nach dieser Maxime, so wäre Karen
44-Jährige mit der schwungvollen Pferdeschwanzfrisur
Heumann ein wenig Simone de Beauvoir, Yas-
und stellt ihre große Meissen-Teetasse auf einen Beistell-
mina Reza und Colette, dazu etwas Botho Strauss,
tisch. Die Werberin im maßgeschneiderten schwarzen
Gottfried Benn und Max Weber. Eine Mischung mit
Kapuzenkleid – halb Jackie-Kennedy-Eleganz, halb Uni-
schillernder DNA, in der sich europäische Geistesgrö-
form eines klugen Blaustrumpfs – setzt sich auf das Ches-
ßen, Vertreter des französischen Art de Vivre und radi-
terfield-Sofa in der anisfarbenen Bibliothek und spricht
kale Ästheten zu einem ungewöhnlichen Stammbaum
mit Leidenschaft von ihrem Refugium: der Literatur und
vereinen.
deren Raum. „Ich glaube, dass sich nicht nur Menschen,
„Hier finde ich eine Insel in der Stadt,
eine Verkapselung. Hier ist alles,
was ich zu meinem Glück brauche.“
Links: Im Nest einer leidenschaftlichen Bücherliebhaberin:
Herzkammer von Karen Heumanns Hamburger Wohnung ist
die Bibliothek mit dunkelgrünem Chesterfield-Sofa, Felldecke
und Teetisch – und Tausenden von Büchern in drei Sprachen.
sondern auch Dinge aufeinander beziehen, und dass es
Besänftigung und Erhebung durch eine Umgebung gibt.
Das muss kein feudaler Ort sein, aber er muss stimmen“,
erklärt sie.
Endlich einmal Ruhe. Die Lamellenjalousie vor dem
Fenster filtert das Licht in diffuse Strahlen, nur ab und
zu rumpelt eine S-Bahn vorbei. Wie alte Vertraute, beruhigende Freunde mit bekannten Macken wirken in
dieser Stunde die abertausend Bände von Gedichten,
Romanen, Biografien, Reiseführern und Nachschlagewerken in Deutsch, Französisch und Englisch, die in
Reih und Glied um sie herum stehen. Heute hat sich
Karen Heumann einen Tag frei genommen, eine kurze
Zäsur in ihrem übervollen Leben als Vorstand der Werbeagentur Jung von Matt geschaffen. Heumann berät
deutsche Top-Unternehmen bei ihren Markenstrategien, Mercedes-Benz, BILD Zeitung, Deutsche Post, RWE
und Sixt sind darunter. Ihr Alltag: Kundenmeetings,
Arbeit in der Agentur, Reisen, Geschäftsessen, ein
Honorar­volumen von rund 580 Millionen Euro, über 850
Mitarbeiter. Viel Reden, Zuhören, Nachdenken. Kommunikation als Lebensform. In ihre Wohnung im Erdgeschoss eines ­t ypischen Hamburger Altbaus kommt sie
Die Werberin sortiert ihre Bände akribisch nach Themen
meist erst spät abends zurück. Umso wichtiger ist ihr
und Autoren. Aktuelle Lektüre liegt auf einem Beistelltisch
das Zuhause mit dem kleinen Garten und dem Boots-
oder auf Hockern mit zierlichen Bambusfüßen gestapelt.
anleger am Kanal. „Ohne meine häufigen Reisen würde
ich mich hier noch viel mehr einweben“, sagt sie ein wenig sehnsuchtsvoll. Sie ist gern allein hier, lauscht auf
die Geräusche um sich und beobachtet die beleuchtete
Hochbahn, wenn sie auf ihrem Jahrhundertwende-Gerüst vorbeischwebt.
Dort, wo die meisten Hamburger ein Esszimmer einrichten, haben die Heumanns das Herz der Wohnung
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eingepflanzt: die Bibliothek. An drei Seiten des Raums
ließen sie von einem Schreiner Bücherregale bauen, bis
hoch unter die Decke. Die oberen Bretter erreicht man
nur, wenn man auf eine alte Bibliotheksleiter klettert.
Mehrere kleine Tischchen sind strategisch perfekt im
Raum platziert, auf ihnen liegt die Augenblickslektüre.
In jeder Ecke stehen sorgfältig ausgerichtete Leselampen
in unterschiedlichen Höhen, da ist Heumann akribisch.
„Ich bin jemand, der hundert Tage nach der richtigen
Mischung einer Wandfarbe sucht und die Lichtstim-
mung perfekt haben muss. Da bin ich schon ein bisschen schräg“, sagt sie. Man spürt als Besucher: Dies ist
der Raum eines Menschen, für den Bücher wie geliebte
Menschen sind. Ein Mensch, der Wortwelten leichtfüßig
betritt wie andere die Zimmer einer Wohnung.
Als sich die Kommunikationsstrategin die Wohnung
vor zehn Jahren einrichtete, wünschte sie sich ein erwachsenes Ambiente mit eher männlichen, ungewöhnlichen Farben. So wählte sie für die Wände ein leichtes
Anisgrün mit einem Schuss Grau und Umbra. Je nach
Lichteinfall wirken die Wände golden, wie vergilbtes
Grün oder wie angegrüntes Beige, und finden ihre farbliche Korrespondenz in den vergilbten Umschlägen der
alten Flammarion-Bände aus Paris, die wie französische
Rohmilchkäse mit der Zeit nachdunkeln. Heumanns Bibliothek geht in das Wohnzimmer über; dahinter liegt das
private Büro, in dem eine Sammlung akademischer Männerakte hinter einer großen weißen Frauenstatue hängt.
Die frankophile Ästhetin hat die ganze Wohnung mit
ungewöhnlichen Trouvaillen möbliert, Art-déco-Stücke
finden sich neben Aktenschränken aus der französischen
Provinz, Stühlen aus Geweih und einfachen Schemeln.
„Ich bin sehr empfänglich für sinnliche Eindrücke und
brauche Dinge, die ich als schön empfinde. Das erhebt
mein Gemüt. Interessante Objekte haben meine Seele von
Lektüre als göttliche Lebensform: Karen Heumanns Wohn-
klein auf zum Schwingen gebracht.“ Schon als Kind ge-
zimmer mit anisgrünen Wänden, gestreiften Sesseln und
staltete sie in der elterlichen Villa in Wetzlar ihr Zimmer
Fototisch geht in die Bibliothek über. Ein perfekter Raum
ständig um, malte mit Fingerfarben an die Wand, sparte
für ästhetische Meditationen und Gedankenreisen in
später auf einen antiken Sekretär. Als Kind las sie zuerst
die Welt der Literatur.
die gesamte elterliche Bibliothek durch, entdeckte dann
die Stadtbücherei. „Bücher sind mir absolut lebensnotwendig, nicht als bildungsbürgerliche Zitatquelle oder
Ausweis, sondern sie sind organisch mit mir verbunden.
Ich weiß, wie sich jedes Buch anfühlt, die Stimmungen
sind in mich hineingeflossen, da vermischt sich in mir
Erlebtes und Gelesenes in einer Art Éducation sentimen-
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Innenleben als Spiegel der Seele: Im Art-déco-Schrank aus
Belgien spiegelt sich ein Modell des Eiffelturms wie ein Reflex
aus ihrer Lieblingsstadt. Das geometrische Möbelstück wird
von einem verspielten Stuhl aus Schmiedeeisen und einem
intimen Frauenakt begleitet. Laune des Zufalls: Der Vorname
der Aktkünstlerin ist Odette – er erinnert Heumann an die
gleichnamige Figur von Marcel Proust.
tale“, erklärt sie. Das zeigt sich auch in ihrer Art und Weise
zu erzählen. Im Gespräch wirkt sie überlegt, gleitet organisch von einer Idee zur anderen, offen und selbstverständlich. Eine Qualität, die in ihrer Branche – mit einem
strategischen Verstand gepaart – Gold wert ist.
Die von den Medien und Industrievertretern hoch gelobte Managerin, die in Aix-en-Provence Germanistik
und Wirtschaftswissenschaften studierte, beschäftigt die
Frage, welche Position Frauen heute in der Gesellschaft
einnehmen, immer wieder – und immer noch. Auch in
der Politik ist ihre Stimme dazu gefragt. „Es ist nicht einzusehen, dass Frauen gut ausgebildet werden und dann
nicht auf allen Ebenen der Berufe zu finden sind. Wir
müssen das bald lösen“, sagt sie und erzählt von ihrem Engagement im International Women’s Forum, in dem global führende Frauen die Chancengleichheit vorantreiben.
Wo findet sie Heimat in diesem äußerlich und innerlich bewegten Leben? „Heimat ist für mich eng verbun-
Ruhe und Frieden finde ich:
den mit der Vorstellung von Gemütlichkeit, die kommt
ja vom schönen deutschen Wort Gemüt und ist für mich
– in unserem Haus in Frankreich.
nicht an einen Herkunftsort gekoppelt“, erklärt sie. „Für
mich kann es schwerst heimatlich sein, bei einer Freun-
– wo immer ich träumen kann.
din auf dem Küchensofa zu sitzen und zu sehen, wie sie
– beim Essen.
Es ist meine Parallelwelt.
Pfannkuchen bäckt. Gemütlich ist es aber auch, mit meinem Mann in Paris im ,Grand Véfour‘ an Colettes Tisch
zu essen. Manchmal ist Heimat auch das Büro.“ Doch am
liebsten sitzt sie hier in der Bibliothek mit ihrem so eigenen goldgrünen Licht. Macht sich eine Tasse Earl Grey
und freut sich über den Ming-Drachen auf ihrer Tasse aus
Meissener Porzellan. Und liest und liest. Und taucht ein
in die Suche nach der verlorenen Zeit.
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Zu dem nur sie Zutritt hat, den sie nach ihren ganz persönlichen
Wünschen gestaltet, an dem sie einfach entspannen kann oder Zeit
für Kreativität findet.
Stefanie von Wietersheim und die Fotografin Claudia von Boch
ermöglichen in diesem Callwey Buch einen Einblick in die privaten,
noch nie gesehenen Räume von 21 außergewöhnlichen Frauen, wie
z.B. der Moderatorin Nina Ruge, der Schauspielerinnen Senta Berger
und Nadja Uhl oder der Unternehmerinnen Siggi Spiegelburg und
Laetizia Riedel-Röthlisberger. Den beiden Autorinnen öffneten sich
die Türen zu schwarzen oder sehr farbenfrohen Zimmern voller persönlicher Lieblingsstücke, zu wilden Malateliers, großartigen Bibliotheken,
Claudia von Boch ist als freie Fotografin
für Buchprojekte und Magazine tätig. Sie
fotografiert Gärten, Interiors und Reiseberichte. Mit ihrer Tochter lebt sie bei Frankfurt am Main.
Weitere Einblicke gewährt die Homepage
zum Buch mit vielen Extras wie
zusätzlichen Fotos, Kontakt zu Autorin
und Fotografin sowie Interviews.
www.frauen-und-ihre-refugien.de
Callwey Verlag München
gemütlichen Erkerzimmern oder einem wunderbaren Haus am Meer
– und dabei auch zu den spannenden Lebensgeschichten ihrer faszinierenden Bewohnerinnen.
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Einblicke in die privaten Refugien besonderer Frauen
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21 faszinierende Wohn- und Lebensgeschichten
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Eindrückliche Porträts und stimmungsvolle Bilder
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Weitere Impressionen unter www.frauen-und-ihre-refugien.de
Frauen & ihre Refugien
Die Tür hinter sich schließen und den Alltag
einfach für einen Moment aussperren – welche Frau
träumt nicht von so einem Rückzugsort?
S te fanie v on Wiet ersh eim
Stefanie von Wietersheim studierte in
Passau und Tours Kulturwirtschaft und
arbeitete nach einem Zeitungsvolontariat
als freie Autorin in München, Paris und
Toulouse. Die Journalistin reist für Zeitschriften- und Buchprojekte durch Europa,
und schreibt über Interiors, Design, Gärten,
Reisen und Mode. Sie lebt mit ihrer
Familie auf dem Land in Niedersachsen.
Siggi Spiegelburg
Alexandra Kolb
Stefanie Harig
Petra Hüttermann
Nina Ruge
Anna von Griesheim
Friederike Pfitzner
Anne Pillunat
Bettina Hagenbeck
Elvira Bach
Anne Maria Jagdfeld
Dina von Boch-Galhau
Manuela von Perfall
Nina Hollein
I.K.H. Diane de France
Nadja Michael
Laetizia Riedel-Röthlisberger
Frauen
&
Ann Kathrin Linsenhoff
Senta Berger
Karen Heumann
Nadja Uhl
ihre Refugien
Stefanie von Wietersheim
Fotos von Claudia von Boch
www.frauen-und-ihre-refugien.de
Callwey Verlag München