OHANN STRAUß: KAISERWALZER OP. 437, Bearbeitung für Flöte

Transcrição

OHANN STRAUß: KAISERWALZER OP. 437, Bearbeitung für Flöte
404
STRAUß: KAISERWALZER
Klavier und Streichquartett
]OHANN
BEARBEITUNGEN FREMDER WERKE
OP.
437, Bearbeitung für Flöte, Klarinette
BEARBEITUNGEN FREMDER WERKE
405
Schönberg stand der Tradition der "Wiener Musik« grundsätzlich positiv
gegenüber. Daß er für ein Konzert des "vereins für musikalische Privataufführungen« 1921 den Lagunenwalzer und Rosen aus dem Süden von Johann
Strauß für kleines Ensemble setzte, fügt sich nahtlos ins Bild (27. Mai
1921; Klavier: Eduard Steuermann, Harmonium: Alban Berg, 1. Violine:
Rudolf Kolisch und Arnold Schönberg, 2. Violine: Karl Rankl, Viola:
Othmar Steinbauer, Violoncello: Anton Webern). Vier Jahre später bearbeitete Schönberg den Kaiserwalzer für Flöte, Klarinette, Streichquartett
und Klavier für die SpanienTournee des Pierrot-Ensembles. Die ersten
Konzerte der Tournee fanden am 26. und 28. April 1925 in Barcelona
unter dem Titel eines »Festivals der Wien er Musik« statt. Man spielte
Kammermusik der Wiener Klassiker. 38 Es ist zu vermuten, daß dabei der
auf keinem Programm angekündigte Kaiserwalzer als Zugabe diente.3 9
Weshalb Schönberg nicht einen der schon zuvor bearbeiteten
Straußwalzer verwendete, scheint musikalisch und politisch begründet.
Zwischen 1921 und 1925 lag nicht nur die Erfindung der Zwölftonmethode, sondern auch die Instrumentation zweier Choralvorspiele von
Bach (1922). Die beiden früheren, einfacher konzipierten Waizersätze 40
entsprachen wohl nicht mehr Schönbergs Entwicklungsstand. Überdies
boten sich dem Bearbeiter durch Einsatz von Flöte und Klarinette an
Stelle des Harmoniums, welches in den beiden früheren Walzerfassungen
eine bescheidene Rolle spielte, mehr Differenzierungsmöglichkeiten.
Politisch hatte der Kaiserwalzer für den Komponisten insofern einen beson-
deren Reiz, als er hier eine Möglichkeit fand, seine monarchistische
Grundstimmung auszudrücken und diese zusätzlich durch Einfügung von
Zitaten aus der Kaiserhymne musikalisch zu dokumentieren. 41
Bei der Analyse der Schönbergsehen Fassung ist zu berücksichtigen,
daß eine Studienpartitur noch nicht erschienen war. 42 Statt dessen
benützte Schönberg eine Ausgabe für Klavier zu zwei Händen, in welche
er mit Bleistift die in der Endfassung erscheinenden Zitate aus der
Kaiserhymne eintrug. 43
Die Verwendung der Klavierfassung als Vorlage erklärt, weshalb eine
Vielzahl der reizvollen Stimmen des Originals in der Bearbeitung fehlen.
Schönberg fand jedoch Möglichkeiten, den Satz auf seine Weise anzureichern und Zusammenhänge herzustellen. Zwei Aspekte sind hier von
Bedeutung: Einerseits das Faktum, daß Schönberg sicherlich den
Kaiserwalzer oft gehört hatte. 44 Die Begleitung der kleinen Trommel mag
er im Ohr gehabt haben, wenn er in den ersten sechs Takten dem
Pianisten arpeggierte Akkorde in tiefer Lage vorschrieb, in denen Terz
und Quint unmittelbar nach oder vor ihren chromatischen Vorhaltstönen
angeschlagen werden. Der Geräuschanteil der Schwebungen eng benachbarter Töne in tiefen Lagen soll wohl den charakteristischen Klang der
Trommel imitieren. 45
Als zweiter Aspekt, der Schönbergs Vorgangsweise beeinflußte, kommen seine Bach-Bearbeitungen von 1922 ins SpieL Er benützt die dort
angewandte Methode, aus dem vorhandenen Material zusätzliche Stimmen
abzuleiten, geht aber insofern darüber hinaus, als er, um die Unvoll.·
ständigkeit der Vorlage zu ergänzen, originale Motive andernorts einfügt
und diese dann ansatzweise entwickelnd variiert. Wenn z.B. im Original
ab Takt 11 das Kopfmotiv des Marschthemas erneut anhebt und zweimal
identisch erklingt, erscheint es bei Schönberg nicht nur klangfarbig differenziert (T. 11-12 Flöte/Klarinette, T. 13-14 Klavier), sondern auch im Sinne des Entwicklungsgedankens kommentiert: Beim zweiten Einsatz (T. 13)
fügt Schönberg in den Violinen eine Dreiklangszerlegung aufwärts hinzu,
die aus der Strauß'schen Überleitung der Introduktion zum 1. Walzer
stammt (T. 57) und später in der Bearbeitung des 1. Walzers eine
wesentliche Rolle spielen wird. Dort benützt Schönberg die Zerlegung im
B-Teil in den Holzbläsern, um den krassen Gegensatz zwischen dem lyri-
38 Hans Heinz Stuckenschmidt. Schönberg: Leben - Umwelt - Werk, Zürich 1974, S. 276.
39 Horst Weber, »Melancholisc/l düstrer Walze); kommst mir nimmer aus den Sinnen!« Anmerkungen
zu Schönbergs »solistischer Instrumentation« des Kaiserwalzers von lohamI Strauß, in:
Musiklwnzepte 36 (1984), S. 88.
40 Schönbergs Lagunenwalzer ist im Unterschied zu Rosen aus dem Süden (Belmont Music
Publishers 1974) weder in gedruckter Fassung noch im Autograph vorhanden. Eine
ähnlich einfache Konzeption der Bearbeitung, welche sich auf das Arrangieren für
kleine Besetzung beschränkte, kann dafür jedoch angenommen werden.
41 Horst Weber, "Melancholisch düstrer Walzer, kommst mir nimmer aus den Sinnen!« Anmerkungen
zu Schönbergs "solistischer Instrumentation« des Kaiserwalzers von lohann Strauß, in:
Musikkonze/)te 36 (1984), S. 98f.
42 Ebenda, S. 89.
43 Johann Strauß, Kaiserwalzer opA37, Klavierfassung, N. Simrock, Leipzig o. J. (ASe,
Archivnummer SCO S39). Damit hat sich Horst Webers Vermutung, wonach Schönberg eine Klavierfassung als Vorlage verwendete, bestätigt (siehe ebenda, S. 89).
44 Ebenda.
45 Ebenda, S. 92.
'
ENTSTEHUNGSZEIT: 1. April 1925 (Enddatum)
ERSTAUFFÜHRUNG: 26. April 1925, Barcelona, Palau de la Musica Catalana (Rudolf
Kolisch, Fritz, Rothschild, Violine;. Marcel Dick, Viola; Joachim Stutschewsky
VlOloncello; Vlktor Pollatschek, Klannette; Franz Wangler, Flöte; Friedrich Wüllner,
Klavier; Dir. Arnold Schönberg)
QUELLEN: Eintragungen in der Vorlage 00hann Strauß, Kaiserwalzer op. 437,
Klavierfassung, N. Simrock, Leipzig o. J., ASC); Verlag Schott, Mainz (Partiturreinschrift)
ERSTDRUCK: B. Schotts Söhne, Mainz o. J.
GESAMTAUSGABE: noch nicht erschienen
406
BEARBEITUNGEN FREMDER WERKE
sehen A-Teil und dem energischen, orchestral weit dichter gesetzten BTeil auch im kleinen Ensemble zum Ausdruck zu bringen. In der Wiederholung des B-Teiles (T. 126ff.) erscheint die Gestalt dann verdichtet
in zwei Varianten, versetzt in Flöte und Klarinette. Später klingt dasselbe
Motiv im 2. Walzer (T. 168) und im 3. Walzer (T. 196) an.
Neben der Hinzufügung von aus dem Gesamtmaterial abgeleiteten
Stimmen ist eine weitere Parallele zu den Bach-Bearbeitungen festzustellen:
Wiederholt werden Motive knapp hintereinander imitiert, um größere
Intensität zu erreichen. Dies geschieht z.B. in der der Überleitung zum
zweiten Marschdurchgang vorangehenden Steigerung (T. 41-42,
Flöte- Klarinette).
Ebenso lassen sich Elemente der Klangfarbenmelodik finden. Wenn
im 2. Walzer das Thema des ATeiles variiert wiederkehrt (T. 158ff.), ist
es nicht mehr wie bei seinem ersten Auftritt zur Gänze den Violinen
anvertraut, sondern wird ab dem Moment, ab dem es sich im Verhältnis
zur Grundgestalt verändert (T. 166), auf Holzbläser, Klavier und Violine
aufgeteilt.
Die Zitate aus der Kaiserhymne fügen sich nahtlos in den Kontext und
sind grundsätzlich nur vom sehr aufmerksamen Zuhörer wahrzunehmen.
Erstmals erscheint der Beginn der Melodie in der Klavierstimme der
Introduktion (T. 7ff.), nochmals in der Parallelstelle im zweiten
Marschdurchgang (T. 41, Bratschen, Violoncelli).46 In der Wiederholung
des A-Teiles des 1. Walzers (T. 110-117) erhält der Kaiserhymnen-Beginn
variative Funktion: Er mutiert zur neuen Baßlinie für die Walzermelodie.
In der Coda findet im letzten langsamen Teil vor der Schlußstretta ein
längerer Teil der Melodie Platz. Zunächst offensichtlich in Klarinette und
Violoncello (T. 451-458) hervortretend, verbirgt sich die Fortsetzung
zuerst in der Bratschen- (T. 459-460), dann in der Violoncellostimme (T.
461 mit Auftakt - T. 463), bevor der Beginn der letzten Zeile der
Kaiserhymne melodisch richtig, aber neu rhythmisiert in der Flötenstimme
erscheint (T. 467ft). Daß dieses letzte Motiv in der Klarinette nochmals
in der Schlußstretta anklingt, findet sogar im Straußsehen Original eine
Rechtfertigung. Dort intonieren die Posaunen und Fagotte die absteigende
Tonfolge c-h-a-g (T. 493), allerdings als etwas veränderte Reminiszenz
an das Violinmotiv, welches den einleitenden Marsch des Kaiserwalzers
ganz zu Beginn in Schwung gebracht hat (T. 7).
46 Ebenda, S. 96f.
BEARBEITUNGEN FREMDER WERKE
407
KONZERT FÜR VIOLONCELLO UND ORCHESTER D-DUR in
freier Umgestaltung
nach dem Concerto per Clavicembalo von Matthias Georg Monn
ENTSTEHUNGSZEIT: 11. November 1932 - 4. Januar 1933
ERSTAUFFÜHRUNG: 7. November 1935, London (Emanuel Feuermann, Violoncello; London
Philharmonie Orchestra, Dir. Sir Thomas Beecham)
QUELLEN: ASC, MS 59, Archivnr. 2012-2035, 2037 (Skizzen), Archivnr. 1946-2004
(Partiturreinschrift); Privatbesitz New York (Klavierauszug)
ERSTDRUCK: G. Schirmer, New York 1936 (Partitur); G. Schirmer, New York 1944
(Klavierauszug)
WIDMUNG: »Pabio Casals gewidmet«
GESAMTAUSGABE: Arnold Schönberg, Sämtliche Werke, Abteilung VII, Reihe A, Bd. 27, hrsg.
v. Nikos Kokkinis, Mainz-Wien 1976, S. 1-99 (Partitur); Reihe B, Bd. 27/1, hrsg. v.
Nikos Kokkinis, Mainz-Wien 1977, S. 1-39 (Klavierauszug); Reihe B, Bd. 27/2, lmg.
v. Nikos Kokkinis, Mainz-Wien 1987, S. 1·-108 (Kritischer Bericht, Skizzen)
Die Anregung, ein Violoncello konzert zu schreiben, erhielt Schönberg von
Pablo .Casals, vermutlich gegen Ende seines Aufenthaltes in Barcelona
1931/32.47 Daß er gar nicht auf die Idee kam, für den Cellisten ein
Zwölftonstück zu komponieren und ihm zunächst eine »Phantasie über
ein Bach-Stüch48 vorschlug, mag mehrfach begründet sein: einerseits in
Casals Vorbehalten gegen die Zwölftonmusik,49 andererseits in Schönbergs
latenter, erst später formulierter Hoffnung, gemeinsam mit dem
berühmten Virtuosen das Werk mehrmals aufzuführen,5o und zwar auch
in Deutschland. 51 Finanzielle Aspekte waren in einer Zeit zunehmender
politischer Unsicherheit nicht zu unterschätzen. 52
Weshalb aus Bach Monn wurde, ist nur zu vermuten. Einerseits lag
die Assoziation Casals .- Monn nahe, da der Cellist das von Schönberg
für die Denkmäler der Tonkunst in Österreichs3
mit einer Generalbaßaussetzung versehene Violoncellokonzert g-Moll 1913 »uraufgeführt« und
seither mehrmals gespielt hatte. 54 Schönberg wiederum hatte für dieselbe
47 Undatierter Briefentwurf in: Arnold Schönberg, Ausgewählte Briefe, hrsg. v. Erwin
Stein, Mainz 1958, S. 167. Der Brief wurde vermutlich im Mai 1932 geschrieben,
da Schönberg sich »auf die kurze Zeit vor [seiner] Abreise", welche am 1. Juni nach
Berlin erfolgte, bezieht.
48 Ebenda.
49 J. Ma. Corredor, Gespräche mit Casals, Bern 1954, S. 223.
50 Brief an Pablo Casals vom 20. Februar 1933, in: Arnold Schänberg, Ausgewählte Briefe,
lmg. v. Erwin Stein, Mainz 1958, S. 187.
51 Brief an Hans Rosbaud vom 7. Januar 1933, in: ebenda, S. 185.
52 Volker Scherliess, Klassizismus in der Wiener Sdlule, in: Die klassizistisdle Moderne in der Musik
des 20. Jahrhunderts. Internationales Sym/Josion der Paul Sacher Stiftung. Basel 1996, hrsg. v.
Hermalm Danuser, Winterthur 1997, S. 176.
53 Denkmäler der Tonkunst in Österreich, Jg. XIX/2, Bd. 39, 1912 (Wiener
Instrumentalmusik im 18. Jahrhundert).
54 J. Ma. Corredor, Gespräche mit Casals, Bern 1954, S. 222. Casals spielte das Konzert
z.B. beim Beethovenfest in Wien 1927.