Intrauterine Wachstumsretardierung (IUWR)

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Intrauterine Wachstumsretardierung (IUWR)
Intrauterine Wachstumsretardierung (IUWR)
1. Terminologie
Bezogen auf Gestationsalter und Geburtsgewicht werden die Neugeborenen anhand von Normkurven in 3 Gewichtsklassen unterteilt:
•
Für das Gestationsalter zu kleine Neugeborene („small for gestational age“,
SGA), Geburtsgewicht <10. Percentile
•
Normalgewichtige Neugeborene (10. bis
90. Percentile)
•
Für das Gestationsalter zu grosse Neugeborene mit Geburtsgewicht >90. Percentile („large for gestational age“,
LGA).
Nebst dem Gestationsalter haben noch andere Faktoren einen Einfluss auf das Geburtsgewicht:
•
Geschlecht (Mädchen sind am Termin 150g leichter als Knaben)
•
ethnische Zugehörigkeit
•
maternale Faktoren (Körpergrösse, Gewicht zu Beginn der Schwangerschaft).
Die Klassifizierung eines Neugeborenen als SGA ist nicht gleichbedeutend mit eine pathologischen
Wachstum, sondern kann Ausdruck von genetisch bedingten Unterschieden im normalen Wachstum sein. Es gilt also abzugrenzen zwischen:
•
kleine, aber normal gewachsene Kinder
•
Kinder mit pathologischem Wachstum (intrauterine Wachstumsretardierung, IUWR)
Die Gruppe mit intrauteriner Wachstumsretardierung muss erfasst werden, da hier eine erhöhte
Morbidität und Mortalität vorliegt bzw. ein entsprechender Mehraufwand an diagnostischen, prophylaktischen und therapeutischen Massnahmen inkl. vorzeitiger Beendigung der Schwangerschaft betrieben werden muss.
Etwa die Hälfte aller SGA-Kinder sind die Folge einer intrauterinen Wachstumsretardierung und
müssen als pathologisch eingestuft werden. Nur etwa 1/3 aller SGA-Kinder sind Termingeburten.
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2. Ätiologie der intrauterinen Wachstumsretardierung
Es gibt eine Vielzahl von Ursachen einer IUWR, welche sich bezüglich Verlauf, Schweregrad und
Prognose unterscheiden. Klinisch ist vor allem die Unterteilung sinnvoll in:
•
Formen, die primär auf fetaler Pathologie basieren bei weitgehend ungestörter Versorgung
•
Formen mit einer Beeinträchtigung der Versorgung.
Primär fetal (ungestörte Versorgung)
•
Endogen
Gestörte Versorgung
•
- Fehlbildungen
- O2-Mangel (Höhenexposition)
- Chromosomenanomalien: Trisomie
- Hyperthermie
13, 18, 21
- Mangelernährung
- Stoffwechselerkrankungen
•
Präplazentar
- Toxische Einflüsse, Nikotin,
Alkohol, Drogen
Exogen
- Intrauterine Infektionen: Röteln, Zy-
•
Maternale Störungen/Erkrankungen
- Anämie
tomegalie, Toxoplasmose, Herpes
- Hypertonie/Präeklampsie
- Strahlenexposition
- Chronische Nierenleiden
- Zyanotische Herzvitien
- Systemischer Lupus erythematodes
- Diabetes mellitus
•
Plazentar
- Plazenta praevia
- vorzeitige Plazentalösung
- Chromosomen Mosaik
- Gestörte Plazentation (mit/ohne
Uteruspathologie)
Der Anteil der endogenen, primär fetal bedingten Wachstumsstörungen beträgt 10-20%. Diese
idR. symmetrischen Wachstumsretardierungen sind häufig mit Chromosomenstörungen und Fehlbildungen assoziiert.
Die Unterteilung der Gruppe mit gestörter Versorgung in präplazentar, maternal und plazentar
weist erheblich Überlappungen auf, allen gemeinsam ist jedoch die Beeinträchtigung der Zufuhr
von Sauerstoff und Nahrungsstoffen mit dem mütterlichen Blut in das uteroplazentare Gefässgebiet.
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Je nach Ursache können Zusammensetzung des Blutes, Durchblutung der Plazenta oder die Entwicklung der Plazenta gestört sein.
In 40% aller Fälle mit IUWR lässt sich keine Ursache ermitteln (idiopathisch).
3. Pathophysiologie des fetalen Wachstums
Das Gewebewachstum basiert auf Vermehrung der Zellzahl durch Teilung (Hyperplasie) und Zunahme des Zellvolumens (Hypertrophie). Das embryonale Wachstum im ersten Trimenon geschieht
vor allem durch Zellvermehrung, während im letzten Trimenon das hypertrophische Zellwachstum
im Vordergrund steht. Im mittleren Trimenon sind beide Formen gleich vertreten.
Das intrauterine Wachstum wird von 2 Faktoren bestimmt:
•
genetisch determiniertes Wachstumspotential
•
Zufuhr von Sauerstoff, Nahrungsstoffen, Vitaminen, Mineralien, Spurenelementen
Das intrauterine Wachstum ist vor allem von der Zufuhr von Nahrungsstoffen abhängig. Diese Versorgung wird durch die Mutter sichergestellt, diese hat einen grösseren Einfluss auf die Grösse des
Kindes als der Vater. Postnatal ist das genetisch determinierte Wachstumspotential bestimmend.
Das Wachstum der verschiedenen Körperteile des Fetus wird unterschiedlich reguliert, je nach
Zeitpunkt einer Störung im Verlaufe der Schwangerschaft sind die Auswirkungen verschieden:
•
frühe Form: Längenwachstum am meisten betroffen, enge Korrelation zu Kopfumfang und
Körpergewicht. Klinisch ausgeprägteste Form der Retardierung mit schwerster perinataler
Pathologie.
•
spätere Form: Längenwachstum und Kopfumfang weniger betroffen, vor allem Verminderung an subkutanem Fettgewebe dh. vor allem Gewicht reduziert.
Je nach Zeitpunkt der Störung tritt somit eine symmetrische IUWR auf mit gleichförmiger Beeinträchtigung von Längenwachstum, Kopfumfang und Körpergewicht bzw. eine asymmetrische
Form mit vorwiegender Beeinträchtigung von Abdomenumfang und Gewicht.
Die symmetrische IUWR findet sich gehäuft bei Karyotypanomalien, Nikotin- und Drogenabusus
sowie viralen Infektionen. Auch eine früh einsetzende intrauterine Versorgungsstörung kann zu
einer symmetrischen IUWR führen.
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Eine intrauterine Mangelversorgung mit ungenügender Zufuhr von Sauerstoff, Nahrungsstoffen,
Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen führt zu einer Verlangsamung des Wachstums. Reguliert durch IFG-1 und Insulin findet eine Hemmung des Zellwachstums statt.
Sowohl bei genetischen Ursachen wie Versorgungsstörungen sind die therapeutischen Interventionsmöglichkeiten sehr begrenzt. Die Schwangerschaftsbetreuung konzentriert sich darauf, Dauerschäden fetaler Organe infolge chronischem Mangel an Sauerstoff und anderen Substraten zu
vermeiden (Zeitpunkt der drohenden Dekompensation erkennen) bzw. den optimalen Entbindungszeitpunkt festzulegen - möglichst unter Vermeidung einer Frühgeburt.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen IUWR mit Dauerschäden fetaler Organe und im Erwachsenenalter manifest werdenden Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des Stoffwechsels
(Diabetes mellitus Typ II, Hyperlipidämie).
Da 2/3 alle Fälle mit IUWR durch chronische intrauterine Mangelversorgung bedingt sind, welche
durch die optimale Wahl des Entbindungszeitpunkts bzw. eine intensive perinatale Betreuung beeinflusst werden können, soll diese Form der IUWR in der Folge weiter besprochen werden.
4. Screening und Untersuchungsmethoden
Voraussetzung zur Erkennung des SGA-Fetus ist die exakte Kenntnis des Gestationsalters. Bei unsicherer letzter Periode ist die Messung der Scheitel-Steiss-Länge (SSL) in der 9.-12. SSW am zuverlässigsten zur Festlegung des Geburtstermins bzw. des Gestationsalters.
Für die fetale Gewichtsschätzung führt die kombinierte Messung von Kopf- und Abdomenumfängen zu den besten Ergebnissen. Berücksichtigt werden müssen zusätzlich ethnische Herkunft, sozioökonomischer Status, Ausgangsgewicht und Körperlänge der Mutter sowie das Geschlecht des
Kindes.
Die Grenzziehung bei der 10. Percentile geschieht aufgrund epidemiologischer Faktoren und ist
willkürlich. Damit ist noch keine Unterscheidung zwischen einem normal ernährten, aber konstitutionell kleinen Fetus und und einem IUWR-Fetus gemacht.
Eine Hilfe bei der Diagnose einer IUWR ist der sog. Ponderal-Index: Geburtsgewicht (g) / Geburtslänge (cm)3 x 100. Damit kann die Verdachtsdiagnose einer IUWR gestellt werden.
Am aussagekräftigsten ist die Abnahme der Wachstumsrate als Hinweis auf eine IUWR, selbst
wenn die Masse noch über der 10. Percentile liegen. Umgekehrt ist ein Fetus, welcher sich zwar
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unterhalb der 10. Percentile, aber parallel zu den Percentilenkurven entwickelt, nicht besonders
gefährdet.
Wachstum bei IUWR: Gewicht und Abdomenumfang entwickeln sich nicht percentilengerecht,
sondern entwickeln einen immer grösseren Wachstumsrückstand bis zum Wachstumsstillstand.
Klinische Untersuchung: Die Messung des Symphysen-Fundus-Abstands ist eine wichtige Untersuchung und kann entweder als Screening-Untersuchung ab der 32. SSW oder seriell als Verlaufskontrolle eingesetzt werden.
Besser mit dem Geburtsgewicht korreliert die sonographische Messung des fetalen Abdomenumfangs, hier kann ebenfalls mit einer Einzelmessung oder besser mittels serieller Messungen der
Verdacht auf eine IUWR erhoben werden.
Durch das kombinierte Vorgehen dh. wiederholte Symphysen-Fundus-Messungen mit Messung
des fetalen Abdomenumfangs im Falle des Verdachts auf Retardierung können 93% aller Feten
mit IUWR erfasst werden (PPV 85%).
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Ultraschallbiometrie: Die Erkennung eines SGA-Fetus gelingt am besten sonographisch durch
eine Gewichtsschätzung basierend auf bestimmten Messdaten, wobei die Kenntnis des korrekten
Termins natürlich eine Voraussetzung ist. Es werden die folgenden Masse bestimmt:
•
Kopf: Biparietaler und fronto-okzipitaler Durchmesser, Kopfumfang
•
Abdomen: Thoraxquer- und anterio-posteriorer Durchmesser, Abdomenumfang
•
Lange Röhrenknochen: Femur, Humerus.
(Oben) Messung des biparietalen Kopfdurchmessers (bezeichnet durch x- - - - - -x) und
des Kopfumfangs. (Mitte) Messung des Abdomenumfangs. (Unten) Messung der Femurlänge (bezeichnet durch x- - - - - -x).
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Auf diese Weise können bis zu 89% aller SGA-Feten erfasst werden. Sensitivster Parameter ist der
Abdomenumfang.
Es gibt eine Reihe von prädiktiven klinischen und ultrasonographischen Hinweiszeichen, für die Erkennung eines IUWR-Feten:
•
Klinische Hinweiszeichen:
- Reduzierter Symphysen-Fundus-Abstand (serielle Messungen!)
- „Kleiner Bauch“, geringe Gewichtszunahme
- St.n. IUWR
- Hypertensive Schwangerschaftserkrankung
- Nikotin- bzw. Drogenabusus
•
Ultrasonographische und andere Hinweiszeichen:
- Reduzierter fetaler Abdomenumfang (serielle Messungen!)
- Oligohydramnion
- Pathologische Dopplerflussmessung
- Pathologisches CTG
- Pathologisches Bewegungsprofil (Biophysikalisches Profil).
Ca. 75% aller Patientinnen mit SGA-Feten weisen solche prädisponierenden Risiken wie eine belastete Anamnese, eine SIH, einen fortgeschrittenen Diabetes mellitus, einen starken Nikotinabusus
oder eine unzureichende Gewichtszunahme im 3. Trimenon auf.
Dopplersonographie: Obwohl eine IUWR häufig mit pathologischen Flussmustern einhergeht ist
die Dopplersonographie fetaler und maternaler Gefässe als Screening-Methode ungeeignet. Die
Ultraschallbiometrie erfasst das fetale Wachstum viel direkter und ist dem Doppler somit überlegen.
Plazentaassoziierte Risikofaktoren: Aus der Uberlegung, dass Störungen im Wachstum und der
Entwicklung der Plazenta sowie der Anpassung der Durchblutung der klinischen Entwicklung einer
IUWR vorausgehen, wurde nach plazentaren Screeningmöglichkeiten im frühen 2. Trimenon gesucht, um eine IUWR früh erfassen zu können.
Sowohl die sonographische Bestimmung des Plazentavolumens, Dopplerflussmessungen fetaler
und maternaler Gefässe, wie die Bestimmung von Proteinen fetalen oder plazentaren Ursprungs
erwiesen sich als zu wenig sensitiv und spezfisch, um die frühzeitige Erkennung einer IUWR zu ermöglichen.
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5. Diagnostik und Uberwachung
Wie bereits erwähnt, reflektiert eine fetale Wachstumskurve, die unterhalb der Norm verläuft,
nicht notwendigerweise eine fetale Pathologie.
Bei Verdacht auf SGA muss als erstes eine Ursachenabklärung vorgenommen werden:
•
fetaler Infekt
•
Fehlbildungen (in 22% mit IUWR assoziiert)
•
Karyotypisierung (Chromosomenanomalie bei IUWR in 2-8%)
•
gefässrelevante maternale Erkrankungen.
Als zweites ist die Uberwachung des eigentlichen hypoxiegefährdeten IUWR-Kollektivs zentraler
Bestandteil des klinischen Managements, um den optimalen Entbindungszeitpunkt festlegen zu
können.
Chordozentese - Chromosomenanomalien, Infektion, Plazentarinsuffizienz: Die Nabelschnurpunktion erlaubt eine Fetalblutanalyse mit rascher Karyotypisierung innert 72h, eine Beurteilung der
Blutgase mit Einblick in den fetalen Metabolismus und
die Diagnostik wichtiger Infektionen (Zytomegalie, Toxoplasmose u.a.).
Diese invasive Methode weist eine Abortrate von 0.3 1.9% auf. Zur Diagnostik der fetalen Gefährdung bzw.
Festlegung des Entbindungszeitpunkts sind nichtinvasive Untersuchungen wie die Dopplersonographie
besser geeignet.
Dopplersonographie: Hier werden ebenfalls Percentilenkurven zur Einteilung in normale und pathologische Blutströmungsmuster eingesetzt. Als pathologisch gelten Gefässwiderstände >90. Percentile für die maternalen und fetalen Gefässe, bezogen auf das aktuelle Gestationsalter (Nabelschnurarterie, fetale Aorta, uteroplazentares Gefässbett).
Bei den fetalen Gehirnarterien (A. cerebri media) gilt dagegen eine Abnahme des Gefässwiderstandes <10. Percentile im Sinne einer gesteigerten Perfusion als pathologisch.
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Es gibt typische Flussmusterveränderungen, die eine weitere Einschränkung der fetalen Versorgung signalisieren:
•
Sauerstoffsparschaltung zugunsten des Gehirns („brain sparing“) dh. Gefässwiderstand in
der Nabelschnurarterie >90. Percentile, in der A. cerebri media des Feten <10. Percentile
•
Zunahme des Widerstandes in der Nabelschnurarterie bis zum enddiastolischen Flussverlust
(„zero flow“) oder gar einer Flussumkehr („reverse flow“) in der Diastole.
•
Venöse Gefässe: V. umbilicalis, V. cava, Ductus venosus - Zusatzkriterien bei fortgeschrittenen Fällen.
Doppler Nabelschnurarterie: Normale Flusskurve, enddiastolischer Flussverlust, Flussumkehr
Doppler A. cerebri media: Normale Flusskurve, abnormale Flusskurve (Widerstandsverlust)
In Terminnähe und bei Ubertragung sind diese Blutumverteilungsvorgänge zugunsten des Gehirns
als physiologisch zu betrachten und bieten keine gute Korrelation mit einer fetalen Gefährdung.
Von besonderer diagnostischer Aussagekraft sind ein diastolischer Flussverlust bzw. eine Flussumkehr in den arteriellen Gefässen. In 80% der Fälle mit diastolischem Flussverlust liegt eine Hypoxie
bzw. etwa der Hälfte eine Azidose vor; bei Flussumkehr liegt bei praktisch allen Fällen eine Azidose
vor, 35% der Feten mit IUWR und Flussumkehr entwickelten später ein schweres neurologisches
Handicap.
Während die Ultraschallbiometrie bei der Erkennung des SGA-Fetus die Methode der Wahl darstellt, dient die Dopplersonographie dazu, eine fetale Asphyxie rechtzeitig zu erkennen bzw. den
optimalen Entbindungszeitpunkt festzulegen.
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Die Dopplersonographie ist bei der Triage zwischen SGA und IUWR-Feten hilfreich und erlaubt bei
unauffälligen Dopplerbefunden bei biometrisch kleinem Fetus - nach Ausschluss von Fehlbildungen - die ambulante Überwachung, was Kosten spart und die Belastung der Eltern reduziert.
Fruchtwassermenge: Die Fruchtwassermenge wird sonographisch mit dem „amniotic fluid index“ (AFI) bestimmt. Der Uterus wird in 4 Quadranten eingeteilt, in jedem Quadranten wird senkrecht zur Unterlage das grösste Fruchtwasserdepot ausgemessen, die summierten Werte ergeben
den Fruchtwasserindex in cm.
Bei einem AFI <15cm gilt die Fruchtwassermenge als vermindert, bei <5cm liegt ein Oligohydramnion vor.
Reduzierte AFI-Indices findet man bei ca. 70% der IUWR-Feten (30% mit Oligohydramnion), ebenfalls korreliert eine verminderte Fruchtwassermenge mit dopplersonographisch erhöhten Gefässwiderständen (und verminderter fetaler Nierenperfusion).
Biophysikalisches Profil: Kombination von CTG, Fruchtwassermenge und fetalen Parametern
(Tonus, Bewegung, Atembewegungen), Bewertung dieser Kriterien in einem Score. Da das CTG
alleine eine hohe falsch-positiv Rate hat (dh. trotz suspektem CTG geht es dem Kind gut), werden
zusätzliche Kriterien herangezogen. Es gibt aber keine validen Studien zum Nutzen des BPP, weshalb dessen Stellenwert offen bleiben muss.
6. Therapieansätze, Prävention
Wirkungsvolle therapeutische Ansätze zur Verbesserung der intrauterinen Versorgungssituation
des Feten fehlen bisher.
Einzig sinnvoll erscheint die Ausschaltung von Noxen (zB. Rauchen) und die perfusionssteigernde
Wirkung der Bettruhe.
Therapieansätze mittles Hyperalimentation, O2-Gabe u.a. führten zu keinen eindeutigen Verbesserungen oder erwiesen sich als kontraproduktiv.
Somit bleibt lediglich die engmaschige Uberwachung mit dem Ziel der Schwangerschaftsbeendigung zum optimalen Zeitpunkt.
Festlegung des Entbindungszeitpunkts: Das Spektrum der Schädigungen reicht von einem verzögerten Wachstum mit nur geringfügiger Beeinträchtigung der Vitalität über die Schädigung
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verschiedener Organe mit Akut- sowie Langzeitmorbidität bei den Uberlebenden bis hin zum perinatalen Tod infolge schwerer Hypoxie.
Die Zustandsbeurteilung des Feten hat insbesondere das Ziel, Hirnschäden mit neuromotorischen
Entwicklungsstörungen zu vermeiden. Die Entbindung muss somit vor dem Auftreten entsprechender Organschäden vorgenommen werden.
Bei früh im Verlaufe der Schwangerschaft auftretender Dekompensation der fetalen Versorgung
stellt das Abwägen des Risikos bleibender hypoxischer Organschäden gegenüber der Problemen
der Unreife eine besondere Herausforderung dar.
Die Adaptation des Feten an die chronische Mangelversorgung läuft in einer Sequenz an Veränderungen ab, welche sich mittels Ultraschall bzw. Doppler verfolgen lassen. Hierbei gilt die Zentralisation des arteriellen Kreislaufs des Feten mit bevorzugter Blutzufuhr zum Gehirn, zum Herzen und
zu den Nebennieren als frühe Adaptation, welche später von zunehmenden Einschränkungen der
fetalen Körperbewegungen gefolgt wird.
Veränderungen der Doppler-Blutflussmuster gehen Veränderungen des Bewegungsmusters und
auch des CTGs voraus und stellen somit den frühesten und sensitivsten Prädiktor der fetalen Gefährdung dar, weshalb der Doppler die Uberwachungsmethode der Wahl bei IUWR darstellt.
Im CTG ist die Abnahme der Variabilität ein
frühes Zeichen, während in der Endphase
der Dekompensation dopplersonographisch
ein negativer enddiastolischer Fluss und im
CTG ein silentes Muster mit angedeuteten
späten Dezelerationen auftritt.
Das Zeitintervall von Beginn der Zentralisierung des fetalen Kreislaufs bis zur präterminalen Phase
der Dekompensation - welche eine rasche Beendigung der Schwangerschaft notwendig macht variieren individuell beträchtlich und hängen auch vom Gestationsalter ab. Je frühzeitiger in der
Schwangerschaft pathologische Flussveränderungen auftreten, desto grösser ist das Zeitintervall
bis zur Dekompensation.
Bei einem GA >32 SSW und entsprechender Dopplerpathologie ist die Schwangerschaft zu beenden, bei Präeklampsie ist diese Grenze bei 28 SSW anzusetzen. Bei zu geringem Schwangerschaftsalter oder Notwendigkeit einer Lungenreifungsinduktion kann die Zusatzinformation aus
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dem venösen Doppler hinzugezogen werden, um den zeitlichen Spielraum bzw. das Vorliegen einer Hypoxie und Azidose abzuschätzen.
Bei schlechter Prognose ist eine Chromosomenanalyse (Plazentabiopsie) notwendig, um das Procedere festlegen zu können.
In der Regel werden diese Schwangerschaften per Kaiserschnitt beendet, da der Wehenstress vom
Kind nicht toleriert wird bzw. rasches Handeln notwendig ist. In ausgewählten Fällen kann auch
eine vaginale Geburt stattfinden.
7. Langzeitentwicklung
Nebst den akuten Problemen der perinatalen Phase bei IUWR ist die spätere Entwicklung des Kindes von grösstem Interesse. Besonders folgenschwer sind neuromotorische Bewegungsstörungen
(Zerebralparese), welche gehäuft mit IUWR assoziiert sind. Im Kindes- und Adoleszentenalter manifestieren sich vermehrt Verzögerungen der sprachlichen Entwicklung, Lernschwierigkeiten sowie
Verhaltensstörungen.
Viele Kinder mit IUWR zeigen auch im Kindes- und Adoleszentenalter einen Gewichts- und Grössenrückstand.
Es zeigen sich immer mehr Zusammenhänge zwischen einer Pathologie des intrauterinen Wachstums und der Morbidität im Erwachsenenalter wie Hypertonie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hyperlipidämie und Diabetes mellitus Typ II.
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