Acro-Wissen mit Judith und Xandi
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Acro-Wissen mit Judith und Xandi
Acro Wingover Acro-Tricks von Judith Zweifel und Xandi Meschuh Der Wingover Acro-Wissen mit Judith und Xandi Judith Zweifel und Xandi Meschuh gehören zur Weltspitze der Acro-Piloten. In einfach verständlicher Form stellen sie in GLEITSCHIRM regelmäßig Acrofiguren vor, die teilweise auch von durchschnittlichen Acro-Einsteigern geflogen werden können. Achtung: Es bleibt jedem Piloten eigenverantwortlich überlassen, diese Figuren unter Fluglehreraufsicht zu trainieren oder „auf eigene Faust“ – vor der letzten Methode wollen wir allerdings grundsätzlich abraten. Und selbstverständlich können praktisch alle Figuren nur in gesichertem Milieu, das heißt über Wasser, mit Schwimmweste und bereitstehendem Rettungsboot trainiert werden. Auch die Profis machen es nicht anders! Für Piloten, die selber kein Acro fliegen wollen, sind diese Beschreibungen wertvolle Erklärungen zur Verständnis der Flugmechanik unserer Fluggeräte. Denn die Kappen-Reaktionen, die die Acropiloten gewollt provozieren, können auch dem Durchschnittspiloten so oder in abgeschwächter Form teilweise auch im normalen Flugbetrieb begegnen. Sie zu verstehen ist der erste Schritt zu ihrer Beherrschung ... Acro-Einstieg mit Kunstflug-Assen F liegt der Pilot in der Quali’ einen unsauberen Wingover, darf er am Wettbewerb nicht teilnehmen. Der Wingover wird bei Manövern in erster Linie zum Schwung holen verwendet, beispielsweise um Dynamic Stall, Misty Flip, asymmetrischen SAT oder Tumbling einzuleiten. Außerdem: Eine schöne Serie Wingover sieht nicht nur für den Betrachter wunderschön aus, sondern vermittelt auch dem Piloten ein richtiges Hochgefühl. Text: Judith Zweifel und Xandi Meschuh Photos: Andreas Busslinger 34 09-07 gleitschirm-magazin.com Photo: Gudrun Öchsl & Michael Nesler, Profly Der Wingover gehört zu den absoluten Basics beim Acroflug und wird bei jedem Wettkampf in der Qualifikationsrunde verlangt. Judith und Xandi beschreiben das Manöver aus der Sicht der Acroprofis. Dieser dynamische Richtungswechsel kann jedoch bei falscher Ausübung schlimme Folgen haben. Wenn das Zusammenspiel von Gewichtsverlagerung und Steuerleinenzug aus dem Gleichgewicht gebracht wird, kann der Pilot schon mal am Tuch vorbeifallen. Der Wingover gehört dafür aber zu den wenigen Manövern, an die man sich langsam Schritt für Schritt herantasten kann. Der Pilot kann dabei selbst die Höhe des Ausschlags bestimmen und langsam steigern. Grundvoraussetzungen Um mit dem Wingovern zu beginnen, muß der Pilot mit dem Klappverhalten seines Schirmes bestens vertraut sein. Er muß auch mit den auftretenden G-Kräften in einer Spirale mit über 14 m/s Sinken umge- hen können. Um eine schöne Serie von Wingovern zu fliegen, braucht man keinen speziellen Acroschirm. Die richtige Technik beim Wingovern lernt man am Besten mit einer normal beladenen Kappe. Auch braucht es kein spezielles Gurtzeug, solange dieses keine Kreuzverspannung hat. Kleine Acroschirme kommen den unerfahrenen Wingover-Aspiranten zwar entgegen, da die kleine dynamische Kappe schnell mal unter den Piloten durchtaucht, jedoch beantworten diese Geräte einen Entlaster mit heftigem Wegdrehen und aggressivem Schießverhalten. So funktioniert ein Wingover Jeder Wingover sollte eine 180 Grad Kurve beschreiben. Um sich von Anfang an die richtige Technik anzueignen, sollte sich der Pilot zuerst im Gelände orientieren. Der Pilot fixiert in der Ferne am Boden einen markanten Punkt (Gebäude, Tal, Straßenverlauf) und denkt sich eine gerade Linie zu ihm: Auf dieser Flugachse muß er sich nach jedem Durchgang wieder befinden. Den ersten Wingover wird mit einer 90°Kurve geflogen. Diese wird mit maximaler Gewichtsverlagerung und einem eher kräftigen Steuerimpuls eingeleitet (Bild 1). Nach der 90°-Kurve beginnt der Schirm abzutauchen, in unserem Beispiel mit gleitschirm-magazin.com 09-07 35 Acro Wingover 2 1 einer Rechts-Kurventendenz. Nur mit Gewichtsverlagerung auf die Gegenseite muß nun versucht werden, den Schirm vor erreichen des unteren Totpunktes aus seiner ursprünglichen Flugbahn zu bringen und ihn auf Kurs, also auf der gedachten Linie zu halten (Bild 2 + Bild 3). Wenn der Pilot zum ersten Mal unter seinen Schirm durchpendelt, zieht er gefühlvoll, aber konsequent die linke Bremse, um eine Kurve von 180°190° zu beschreiben (Bild 4). Das Gespann wird hierbei mit der Bremse „herumgeführt“, bis der zweite Turn beendet ist (Bild 5). Durch kurzes beidseitiges Anbremsen kann die Kappe gestützt, aber auch die Drehung präzise gestoppt werden. Beim Durchpendeln gibt der Pilot wieder maximale Gewichtsverlagerung auf die Gegenseite (Bild 6 - Bild 8), um im unteren Totpunkt (Bild 9) mit erhöhter Dynamik zum dritten Turn anzusetzen (Bild 10 - Bild 15), der nun um einiges höher ausfällt. Das Wichtigste ist das korrekte Zusammenspiel von Gewichtsverlagerung und Bremse. Sobald der Pilot mit der Bremse den Schirm um 180-190° herumgedreht hat, muß er beim Hinunterfahren sein Gewicht maximal auf die Außenseite geben. Dies ist aber Schwerstarbeit für den 5 36 Fehlerquellen und ihre Konsequenzen? • 6 09-07 gleitschirm-magazin.com Kurz vor dem Hinunterfahren klappt die Außenseite: Der Flügel wurde nicht exakt mit der Bremse um 180° herumgeführt. Die Flügelaußenseite wird dabei nicht mehr sauber angeströmt und klappt weg. Der Schirm kann in diesem Fall in eine sehr schnelle Drehung entgegen der ursprünglichen 7 12 10 13 11 14 am Startplatz zu Fuß durch. Dabei werden bestimmte Bewegunsabläufe und Manöverabfolgen auf mentaler Ebene automatisiert. Uns ist es schon passiert, mitten im Wettbewerbslauf den Ablauf des Programms vergessen zu haben ... 15 4 3 Piloten, da er sich auf die Seite lehnen muß, wo das Sitzbrett höher ist. Alles was in diesem Moment mit der Bremse gearbeitet wird, nimmt dem Gespann die notwendige Dynamik für den nächsten Turn. Erst ganz kurz vor dem Erreichen des unteren Totpunktes darf die Bremse gezogen werden - genau so viel, wie es nötig ist, um einen sauberen 180°-Turn zu fliegen. Bei einer normal beladenen Kappe müssen die ersten Wingover nicht sehr hoch sein. Erst nach fünf oder sechs Richtungswechseln hat das Gespann genug Schwung aufgebaut, um richtig schön hoch über die Kappe zu gehen. Sollte dabei das Segel im oberen Punkt weich werden, hilft Stützen durch beidseitiges anbremsen. 9 • • Kurvenrichtung übergehen. Im oberen Totpunkt klappt die Front. Es wurde zu wenig gestützt. Der Pilot fällt an den entlasteten Leinen vorbei. Der letzte Wingover ist zwar sehr hoch, aber genau im oberen Totpunkt wird die Kappe weich und entlastet. Der Fehler dabei liegt im Wingover zuvor, der weiter als 180° herumgeführt wurde. Mentales Training bei den Acrocracks Eine Serie von zehn hohen Wingovern ist viel schwieriger zu fliegen als beispielsweise ein SAT. Wingover verlangen vor allem bei den ersten Schritten enorme Aufmerksamkeit, da der Pilot während des „Achterbahnfahrens“ ständig die Orientierung beibehalten muß, um auf seiner Linie zu bleiben. Gleich nach den ersten Erfolgen sollte der Pilot die Bewegung und den Rhythmus versuchen zu verinnerlichen, um sie am Abend nochmals im mentalen Training umzusetzen. Für außenstehende Zuschauer ist das Spektakel am Startplatz eines AcroWettbewerbs oft amüsant. Die Piloten befinden sich im „Trockentraining“ und „fliegen“ ihr Programm mit wilden Gesten schon 8 Je besser die mentale Vorbereitung vor dem Flug, desto mehr Erfolgserlebnisse werden sich beim Üben einstellen. Doch aufgepaßt: Ein falsch eintrainierter Bewegungsablauf ist dann doppelt schwer wieder herauszubekommen. gleitschirm-magazin.com 09-07 37