Zum Schluss ein Brief: Mozartjahr 2006

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Zum Schluss ein Brief: Mozartjahr 2006
Gymnasium Rahlstedt
Zum Schluss ein Brief: Mozartjahr 2006
Lieber Freund,
da hast Du nun den kuriosen Gedanken gehabt, mich aufzufordern, für Eure Projektzeitung einen Beitrag
über Mozart zu schreiben. Nur ein paar Gedanken soll ich skizzieren; Gedanken, die junge Menschen
interessieren könnten. Stehen wir doch dieses Jahr nicht nur vor der Herausforderung, die
Fußballweltmeisterschaft ohne Psycho-Schaden zu
überstehen, sondern uns auch dem „Mozartjahr“ stellen zu müssen. Feiert doch das Wunderkind aus
Salzburg am 27. Januar seinen 250. Geburtstag. Für Kulturschaffende, Kulturverwalter und Festredner
Grund genug, 12 Monate lang Mozart-Party zu machen. Sogar unsere Politiker werden keine Gelegenheit
auslassen, sich in seinem Glanz zu spiegeln. Multimedial passiert das natürlich alles und mit riesigem
Getöse. Nach allem, was Mozart uns getan hat, wollen wir uns doch schließlich nicht lumpen lassen!
Zuerst habe ich mit dem Kopf geschüttelt und nach
einer Ausrede gesucht. Aber da es sich um Sie handelt, lieber Freund, kann ich nicht nein sagen. Haben
Sie mir doch auch schon manchen Gefallen getan. Eine Entschuldigung muss ich allerdings voran stellen:
Ich habe nicht die Absicht, für eine neue Mozart-Fangemeinde zu werben. Denn Vollkommenheit braucht
keine Werbung, keine Überredung. Sie verträgt auch keinen Kniefall vor dem so viel umworbenen
verehrten Publikum - welcher Couleur auch immer.
Ich gebe zu: Auch ich mag manchmal die Geschichte
nicht mehr hören, in der es heißt, ein Engel sei
geradewegs vom Himmel auf die Erde gefallen. Denn – so fragen seine schwärmerischen Bewunderer –
wie hätte es denn anders sein können? Um das Unfassbare auf tönerne Beine zu stellen, argumentieren
sie, dass es schließlich keinem Sterblichen je gelungen sei, die Schwerkraft zu überwinden, frei im Kosmos
schwebend, die Sterne zu berühren. Nur ein göttlicher Sendling
kann das Unerreichbare erreichbar machen, die
Schönheit über das Hässliche triumphieren lassen und dem Tod seinen Stachel nehmen. „Ja, ja“, mag so
mancher weniger schwärmerisch veranlagte Zeitgenosse beipflichten, „es ist schon etwas Merkwürdiges
mit diesem Mozart. Aber ist es nicht langsam an der Zeit, einem verklärten Phantom mit mehr Sachlichkeit
auf den Leib zu rücken: Kunst, die lässt sich doch erklären und einem frivolen Tausendsassa wie diesem
Mozart muss man doch in die Tiefe seines Herzens blicken können.“
Der Versuch, in die Tiefe seines Herzens zu blicken,
das Leichteste und das Schwermütigste ans Licht zu befördern und endlich für uns alle nacherlebbar zu
machen, begann schon kurz nach dem Tod dieses
berühmtesten Sohnes Österreichs. Über 35 000 Bücher sollen seit 1791 über Wolfgang Amadeus Mozart
geschrieben worden sein – ohne jedoch sein Geheimnis lüften und ihn uns gleich machen zu können.
Dabei hat die Suche nach dem „wahren Mozart“ bisweilen Kurioses und Dubioses hervorgebracht. Eine
ganz besondere Variante aber erfährt der Komponist von 626 Musikwerken, darunter 22 Bühnenwerke,
Opern eingeschlossen, in den letzten 35 Jahren. Da heißt es als Reverenz an den Zeitgeist „Rock Me
Amadeus“ und „Der erste Komponist mit Popstar-Qualitäten“. Die Frage ist nicht so sehr, ob Mozart dieses
gefallen hätte, sondern ob die Label, die wir ihm da anheften, ihm gerecht werden . Es darf an dieser Stelle
kurz
daran erinnert werden, dass Mozart nichts so sehr
hasste, wie verhunzt zu werden.
Erstellt: 20.01.2017 17:05
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Ohne Frage: Im heutigen Showbusiness wird hart
gearbeitet. Schließlich muss der Umsatz stimmen. Das Problem kannte auch Mozart. Befreite er sich doch
aus dem Joch des „angestellten Musikers“ und musste deshalb fortan selbst dafür sorgen, dass seine
Kompositionen genügend Taler abwarfen, um ihn und seine Familie zu ernähren. Und doch gibt es
gravierende Unterschiede. Einer ist, dass ein freier Musiker im 18. Jahrhundert nicht durch ein
ausgeklügeltes Urheberrecht und opulente Tantiemenzahlungen annähernd so geschützt war, wie es die
freien Musiker des 20. und 21. Jahrhunderts sind. Kein Wunder also, dass Mozart ständig bis zur
Erschöpfung arbeitete. Ganz ohne Zweifel war er der härteste Arbeiter von allen.
Um aber ein Werk von Mozartscher Monumentalität
erschaffen zu können, reicht Arbeitswut nicht aus.
Dazu bedarf es des BEGNADETSEINS. Wie sonst hätte er an einem einzigen Morgen die Ouvertüre zu
„Don Giovanni“ schreiben können? Wie in seinen dunkelsten Tagen die „Zauberflöte“, mit seiner
strahlenden Leuchtkraft Mozarts ewiger Trost an die Menschheit?
Zur „Popstar“-Variante gehört auch die These, Mozart sei bis zu seinem Tod ein Kind geblieben.
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Mozart ist nie ein Kind gewesen, denn die normalen Seins-Begriffe
sind auf ihn nicht anwendbar. Er war ein Erneuerer, ein Außenseiter. Allem weit voraus, hoch erhaben.
Unsere Welt war nie die seine. Seine Welt war die Welt der Gnade, eine Welt, die ganz auf Transzendenz
gerichtet ist.
Es heißt, dem Genie sei gerade die Lebenszeit
vergönnt, die es benötigt, um das auszusagen, was es auszusagen hat. Mozarts Werk ist so beschaffen,
dass es sich erübrigt, zu fragen, was er noch hätte
schaffen können.
Unsere ewigen Fragen an ihn werden auch im Mozartjahr 2006 nicht kollektiv beantwortet werden können.
Schon gar nicht durch Aufgeregtheit oder einen Medienzirkus, der einer Fußball-WM angemessen sein
mag – aber nicht einem Sendling aus anderen Sphären. Aber ich will nicht zu pessimistisch sein.
Schließlich zählt jeder Versuch . Und wenn sich nur einer ernsthaft auf den Weg macht, sich die Zeit nimmt,
innezuhalten und zuzuhören, wird er ihn finden. Seinen ganz persönlichen Mozart.
Es wird ihn sicherlich freuen – diesen Engel, der vor 250 Jahren so unvermittelt bei uns auf der Erde
aufgeschlagen ist und uns immer noch
staunen lässt.
Barbara Wawrczeck, Januar 2006
Anmerkung der Redaktion:
Diesen Originalbeitrag für unsere Projektzeitung hat die prominente Journalistin Barbara Wawrczeck in
Form eines Briefes an den Medien - Assistenten am Gymnasium Rahlstedt, Herrn Dietmar Piasta,
geschrieben.
Barbara Wawrczeck, Journalistin und Mozart - Expertin, vorwiegend tätig in England und Amerika. Als gern
gesehener Gast der Prominenten aus Musik und ShowBiz berichtet sie bundesweit für alle großen
Gazetten. Die Schwester von Peter Shaw (Jens Wawrczeck) interviewte Robbie Williams, ist freundschflich
verbunden mit den Familien Presley, Lennon, Mc Cartney und schreibt gerade ihre Memoiren „ Londoner
Jahre“.
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