Wenn Michel schläft - Sonjas Schatzkammer

Transcrição

Wenn Michel schläft - Sonjas Schatzkammer
Wenn Michel schläft …
Meine Sicht der Dinge –
aufgeschrieben, wenn Michel schläft.
Sonja Kammer
1
Erster Teil
Juni bis November
2
Einführung
Meine Freundin Judith hat mir eine Zeitschrift geschickt, ein „Magazin zum DownSyndrom“. Sie arbeitet in Hamburg als Sozialarbeiterin und bekommt das dort auf
ihren Schreibtisch. Dabei hat sie an uns gedacht und es an uns weitergegeben. In
dem Magazin war ein Aufruf: Schreiben Sie uns zum Thema „Wir haben ein Kind mit
Down-Syndrom“, für die nächste Ausgabe. Das habe ich getan, vier Din-A-4-Seiten
über unseren Sohn Michel, mit Fotos. Eigentlich aber habe ich über mich
geschrieben, wie ich das empfunden habe, seine Ankunft in meinem Leben und das
Drum-Herum, wie ich mich so beschützt und getragen fühlte in der Klinik, obwohl es
sich von außen betrachtet um alltägliches Klinik-Geschehen handelte, über die
Heiligkeit der ersten Tage seines Lebens.
Während des Schreibens entstand in mir der Wunsch, mehr zu schreiben, mehr über
das, was ich durch Michels Dasein erlebe, die dazugehörende Vorgeschichte (die
sehr kurz ist: Rein rechnerisch müsste Michel eine Windbestäubung sein), über die
Prozesse, durch die ich gehe, durch diese zwei neuen Beziehungen in meinem Leben:
Michels Papa und Michel. Wie sich dadurch schon vorhandene Beziehungen ändern.
Und wie ich mich verändere, ändern muss, mich hingeben muss, vertrauen, mich
anpassen, bzw. mit den Gegebenheiten umgehen, ob mir das nun immer alles so passt,
wie es kommt und ist, oder nicht. Und dass ich mich so beschenkt fühle vom Leben
und so geehrt wegen der Art und Weise, wie es mich diese Dinge lehrt. In meinem
speziellen Fall. … - Ja! Das will ich: meinen speziellen Fall aufschreiben, denn es tut
mir jedesmal gut, wenn ich es auszugsweise mache, Briefe schreibe oder wie vor
kurzem diesen Artikel für die Zeitschrift, es klärt mich innerlich und gibt mir Kraft
und ich komme dadurch oft mit meiner eigenen Weisheit in Kontakt und finde wie von
selbst Antworten auf Fragen und Themen, die mich beschäftigen. Ja! Das mache ich!
Ich schreibe ein Buch über meinen speziellen Fall! Vielleicht kann ich dadurch auch
anderen dienlich sein, weil sie sich im Einen oder Anderen wiedererkennen … oder zu
ihrer Erheiterung beitragen … oder sie ermutigen, das Gleiche oder etwas Ähnliches
zu tun, um sich die eigenen Entwicklungs- und Befreiungs-Prozesse bewusst zu
machen, ja, überhaupt sich erst einmal damit auseinanderzusetzen – das machen
nämlich viele nicht. Ich kenne einen Haufen Menschen, die laufen vor den
offensichtlichsten Themen ihres Lebens davon, lenken sich ab mit Arbeit, treiben in
jeder freien Minute Sport, engagieren sich politisch oder kämpfen für sonst was,
kümmern sich um alles Mögliche, nur nicht um sich selbst. Währenddessen stehen
ihre ureigenen persönlichen Lebensthemen geduldig neben ihnen, sind immer da und
ziehen sie ab und an am Hosenbein oder am Rockzipfel: „Hallo! Hier bin ich! Schau
mich an!“ Aber manche Menschen haben Angst vor ihnen. Vor sich selbst, oder wie?
Vor ihrem eigenen Leben? Dabei liegt genau darin der Segen. Und der Schlüssel –
zum Himmel, zum Paradies. Für jeden liegt genau darin der Weg nachhause, der
3
direkte Weg ins Zentrum der Erfüllung all seiner Sehnsüchte und tiefsten
Bedürfnisse und Wünsche: in den Themen des eigenen Lebens, in dem, was das Leben
einem ganz von alleine bringt, ohne sich beirren zu lassen, geduldig, immer wieder,
bis man es annimmt. Und im eigenen Wesen, in dem, wie man ist, was man ist. Das
glaube ich. Jeder hat seinen eigenen Weg in seine eigene Erlösung, in die Freiheit
und die Liebe in sich. Man muss nur innehalten und sich um sich selbst kümmern, mit
sich selbst in Kontakt gehen. Und nicht dauernd rennen. – Ich weiß, oder: Mir ging es
ja auch so und auch jetzt ist es noch oft so: Ich meine, ich müsste etwas tun:
Wäsche waschen, Essen kochen, 3 x am Tag mit dem Hund Gassi gehen, Michel
versorgen, hierhin fahren, dorthin fahren, Sport treiben … die Liste könnte über
Seiten fortgesetzt werden. Früher habe ich ganze Tage gearbeitet. – Mit der
Bestätigung meiner Schwangerschaft durch die Frauenärztin war das mit einem
Schlag vorbei. Ich hatte Myome in der Gebärmutter und sollte mich hinlegen und
schonen. Das war irgendwie der erste „Schlag“ (in dieser Geschichte), da fing es an,
dass ich „gezwungen“ wurde, anzunehmen was ist. Ich habe mich hingelegt. Eine
Nacht habe ich darüber geschlafen, dann ließ ich mich krankschreiben, trotz neu
angetretenen Jobs, denn ich hatte die Entscheidung getroffen, die Dinge
anzunehmen. Ich hätte auch sagen können: „Ach was, ich gehe arbeiten, ich schaff‘
das schon. Wird nicht so schlimm sein mit den Myomen.“ Aber das habe ich nicht.
Und ich bin froh drum, und mir selbst dafür dankbar, dass ich das so gemacht habe das wird mir jetzt beim Schreiben bewusst. Ja.
Ich habe mich also zwingen lassen – und bin mir und meinem Leben dafür dankbar.
Be-zwingen lassen. – Möge mein Leben mein Ego bezwingen!! Oder befreien, es sich
einverleiben.
Und nun beende ich diese Einführung, um einzutauchen in meine Geschichte. Meinen
speziellen Fall.
19. Juni 2008
Da ist also der Wunsch, ein Buch zu schreiben, diese Idee, die mir Freude macht, die
Begeisterung dafür. Vor ein paar Tagen habe ich das Ganze schon einmal begonnen
und alles, bis auf den ersten Satz (den mit Judith) wieder gelöscht.
In mir gibt es eine Instanz – das ist eines meiner bisherigen Lebensthemen – die
sagt: „Entweder, das was du tust, muss perfekt sein oder es taugt nichts“. Richtig
tragisch wird’s noch dadurch, dass das, was ich schaffe, von dieser Instanz keinerlei
4
Anerkennung bekommt. Die treibt immer nur an. In meinem äußeren Leben erledigen
meine Eltern diesen Job ganz gut. Vor ein paar Tagen – und das ist jetzt kein Witz! –
kam mir zum ersten Mal die Einsicht: „Ich muss nicht die Beste sein.“ Das war wie
eine Tür, die sich öffnete und durch die ich gegangen bin. - Möge meine innere
Anteiberin draußen vor dieser Tür bleiben! Ich will hier in Gelassenheit und Ruhe
schreiben! Oder möge sie sich wandeln, so wie auch ich mich gewandelt habe und
wandele! - Auch der Gedanke Ich–finde-mit-dem–kleinen-Michel-doch-keine–Zeitzum-Schreiben hat mich seit meinem ersten Versuch abgehalten. Heute ist der 19.
Juni 2008, Donnerstag, Abend jetzt. Der Großteil der Nation schaut wahrscheinlich
Fußball, EM-Viertelfinale, Deutschland gegen …? Ich weiß noch nicht mal, gegen wen
sie spielen, so wurscht ist mir das. Michel schläft. Ich lag im Bett, las etwas, hatte
es ausgelesen und dachte: „Ich fange jetzt einfach an zu schreiben. Wenn ich jeden
Abend eine Seite schreibe, dann sind das in einem Jahr 365 Seiten - das gibt ein
Buch.“ Und natürlich werde ich nicht jeden Abend eine Seite schreiben und es
müssen auch keine 300 Seiten werden, aber ich beginne jetzt und mal sehen, wie
weit ich nächstes Jahr kurz vor der Sommersonnenwende bin.
25. Juni 2008
Mittwoch. Heute Abend ist Fußball-EM-Halbfinale. Deutschland ist noch dabei.
Wo fange ich an in meiner Geschichte? Im Jetzt? Oder mit Michels Geburt, über die
ich für das Down-Syndrom-Magazin geschrieben habe? Mit der Vorgeschichte? Oder
mit der Geschichte vor der Vorgeschichte? Das waren immerhin 40 Jahre Leben. … –
Oder sollte ich doch lieber ins Fitness-Studio gehen? … – Jetzt kämpfe ich wieder
mit meinen Zweifeln. Oder bist Du das, Antreiberin, die sagt: „Das muss jetzt aber
klappen! Ansonsten lass‘ es lieber ganz!“? Ja, ja, okay, Du darfst dabei sein, bei
meinem Projekt „Buch-schreiben“. Du brauchst Dich auch nicht zu ändern, wenn Dir
nicht danach ist – kein Druck. Du darfst so sein, wie Du bist. Okay?
-…-…-…
Darum geht es doch irgendwie in diesem Leben, oder? Auf dem Weg zur Erleuchtung.
Alles annehmen, nichts mehr bekämpfen oder nicht-haben-wollen. An einem selbst.
Ich an mir. Wenn ich erwähne, dass meine Eltern diesen Antreiben-und-nicht-lobenJob so gut machen oder wenn ich, was, wie ich vermute geschehen wird, mich über
Dirk, Michels Papa und mein (nicht-geehelichter) Mann, beschwerend äußern werde,
dann sind das alles Dinge, die ich nach außen verlagere, weil ich sie an mir selbst
5
nicht leiden kann. Da bekämpfe ich sie lieber im Außen. Schimpfe darüber und rege
mich auf – nur: Das kann ich tun bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, aber weiter komme
ich damit nicht. „Annehmen“ lautet die Devise. Und es geht dabei ja auch nicht nur
um all das vermeintlich Schlechte, das keiner haben will, sondern auch um all das
Gute, das mir gefällt, das Großartige, Wundervolle, Herrliche!
-…-…-…
Daraus ergibt sich eine nächste Devise, die da lautet „Wertfreiheit“. Die Dinge nicht
mehr bewerten, nicht mehr meinen, zu wissen, was gut ist und was schlecht. Aber so
weit bin ich noch nicht. Mir fällt aber ein, dass ich vor ein paar Jahren, 4 oder 5, auf
einem beruflichen Fortbildungsseminar die Erkenntnis gewann, dass das vielleicht
gemeint ist mit der Geschichte von Adam und Eva und der „Vertreibung aus dem
Paradies“ (Wobei ich das mit der „Vertreibung“ nicht glaube! Gott hat uns nicht
vertrieben! Das liegt irgendwie anders.): Der Apfel vom Baum der Erkenntnis – es
heißt doch, dass man nach seinem Verzehr erkennt, was gut ist und was böse. Aber
vielleicht ist das einfach zu viel für uns als Menschen!? Diese Erkenntnis sollten wir
Gott überlassen. Wir können das nicht erkennen, weil uns der Überblick fehlt oder
ich-weiß-nicht-warum. Wir sollten uns auch nicht darum scheren, es wissen zu wollen,
sondern einfach alles nehmen, wie es ist. Wie die Kinder. – Wenn man das kann, ist
man, glaube ich, ganz schön weit. Schon fast da. Das ist eine große Kunst und
Weisheit. Und mit „schon fast da“ meine ich, dann ist man da, wo Gott ist, bei Gott,
ist auch Gott. Und dann weiß man es eigentlich auch schon wieder, was gut ist und
was schlecht, aber dann ist es einem egal, gleich-gültig, dann weiß man, dass „das
Gute“ nicht „gut“ und „das Schlechte“ nicht „schlecht“ ist. – Wie soll ich das sagen? –
Außerdem gibt es in diesem göttlichen Space gar kein „gut“ und „böse“ mehr, das hat
da keinerlei Bedeutung. Und man trägt es die ganze Zeit mit sich herum, diesen
„Space“. Eigentlich bin ich schon da. Oder „Es“ ist schon in mir. Ja.
Jetzt, gerade eben, bin ich da. Fühlt sich gut an.
Es gibt Dinge, die kann man nicht in Worte fassen, die kann man nur selbst erleben.
Z.B. vorhin, als ich mit unserem Hund Schröder zum Abend-Gassi war: Es hatte den
ganzen Nachmittag lange und ausgiebig geregnet, aber dann hatte es aufgehört und
die Sonne war noch einmal herausgekommen. Sie stand schon tief und ihr Licht
strahlte so sehr auf dem nassen Asphaltweg, dass es meine Augen blendete. Der
6
Himmel! – Wie der Himmel aussah! Licht und Wolken und so frisch! So neu! Im
Gegenlicht fielen funkelnde Tropfen aus den nassen Blättern der Bäume. Auf den
Leitungen, die längs der Bahnlinie laufen und an denen die Regentropfen hingen wie
tausende glitzernde Diamanten, saßen kleine Vögel. Zwei große Greifvögel kamen
kurz nacheinander über die Äcker geflogen, über die Baumstücke hin zum Wald. Und
ein Gepiepe und Gesinge! Und ich mit Schröder mittendrin in dieser frischen Welt, in
dieser neuen Energie. Nachdem ich gerade zuvor das von Adam und Eva und dem
Apfel geschrieben hatte, vom Paradies. Vorhin, während dieses Spaziergangs, war
ich im Paradies. Äußerlich und innerlich. Da hat alles gestimmt, nichts hätte anders
sein sollen oder hat gefehlt, alles war vollkommen. Ich war vollkommen glücklich. Das
Paradies auf Erden, Mittwochabend um acht in Oberhessen.
24. Juli 2006
Tag X
Montag, der 24. Juli 2006 war mein letzter Arbeitstag im Kindergarten in
Stammheim. Mein Vertrag lief zum 31. aus und ich hatte noch ein paar Tage Urlaub.
Auf dem Weg zum Kindergarten wohnt meine Oma und ich dachte:“Ich besuche sie
heute nochmal, weil’s der letzte Tag ist, an dem ich hier sowieso vorbeifahre.“
Ich hatte mittags Feierabend und kam gerade zur Mittagsessenszeit. Meine Oma
wohnt bei ihrem Sohn, meinem Onkel. Der ist Handwerker im Familienbetrieb, und
mittags essen immer alle zusammen, Angestellte, Familienmitglieder und wenn einer
um diese Zeit dazukommt, findet sich für den auch noch ein Platz und ein Teller. Als
ich ankam, lief mein Onkel gerade über den Hof, um seinen Nachbarn und Mieter, der
in der Scheune am Holzschneiden war, zum Essen einzuladen. Das war Dirk. Dirk war
vor ca. 3 Jahren bei meinem Onkel im Nebenhaus eingezogen, zusammen mit seiner
Freundin, die ihrerseits nach gut einem Jahr wieder auszog. Ich kannte Dirk vom
Sehen. Wir hatten
beide an einem Hoffest zum 100-jährigen Betriebs-Jubiläum
meines Onkels geholfen. Beim Helfer-Essen nach dem Fest damals hatte ich mich
neben ihn gesetzt – ja – das habe ich mich da einfach so getraut! Gefallen hat er mir
ja schon! Aber ich war damals schon so abgeklärt – nach mehrjährigem Single-Dasein
-, dass ich bezüglich der Bildung einer neuen Partnerschaft den Standpunkt hatte:
Wenn es nicht sein soll, dann kann man machen, was man will, dann passt es einfach
nicht und es kommt nichts zustande und wenn es sein soll, dann geschieht es quasi
wie von selbst. Da hatte ich nämlich die Phase der aktiven Potentielle-Partner-
7
Abcheckung schon hinter mir. Ich suchte nicht mehr. Mir ging es gut mit mir selbst.
- Vielleicht habe ich mich deshalb so einfach zu ihm gesetzt, weil ich nichts vor
hatte. „Hallo! Ich bin die Sonja. Darf ich mich hierher setzen?“ Er sagte: „Ja“. Wir
redeten ein bisschen. Er erzählte mir von seinen Schwierigkeiten, alleine zu sein;
neun Monate war er da Single. Ich war es, mit kurzen Unterbrechungen, seit 7
Jahren und erzählte ihm, dass ich nach meiner Trennung damals ungefähr drei Jahre
gebraucht hatte, bis ich erkannte, dass es „kein Zurück“ gibt. Vorher dachte ich
immer noch zeitweise, mein Verflossener sei doch „der Richtige“ gewesen und
vielleicht … - irgendwann … - würden wir wieder … - . Nach drei Jahren war ich
drüber weg. Über diese Selbsttäuschung. Und in Dirks Sich-Plagen sah ich die
Ungeduld. Aber die kannte ich ja auch von mir selbst, aus meiner aktiven AbcheckZeit.
Wir redeten darüber, dass wir mal zusammen tanzen gehen könnten. Er sagte: „Wenn
Du mal Lust dazu hast, dann komm‘ vorbei. Du weißt ja, wo ich zu finden bin.“ Und ich
dachte: „Das hört sich aber nicht sehr leidenschaftlich an. Der hat da nicht so Lust
drauf (und auf mich).“ Und ich ließ es bleiben.
Als ich Dirk zum ersten Mal sah, war er mit seiner Freundin zum
Samstags-Nachmittags-Kaffee bei meinem Onkel, dem neuen
Vermieter. Sie waren gerade eingezogen und das war so ein Wirlernen-uns-kennen-und-verstehen-uns-gut-Treffen. Ich kam zur
Tür rein, auf Oma-Besuch, und da saßen sie alle am Küchentisch.
Ich sah Dirk und das war irgendwie, als ob der Blitz mich träfe.
„Den kenne ich. Das ist er!“ durchzuckte es mich, ohne dass ich das
in Worten dachte. Im nächsten Moment hatte ich aber schon die
Lage gepeilt, begriffen, dass er da mit seiner Partnerin saß, und
machte
innerlich
einen
Haken
dran,
verkniff
mir,
weiter
einzutauchen.
Jetzt kam er also zum Mittagessen und für mich gab es natürlich auch noch einen
Teller. Ich war schon ins Haus gegangen, während mein Onkel noch bei Dirk in der
Scheune war und saß schon am Tisch, als die beiden hereinkamen. Es war Sommer,
der 24. Juli wie gesagt, und warm. Er trug kurze Hosen, abgeschnitten bis an die
Knie und ein T-Shirt. Er bückte sich, um den Hund zu kraulen und zu begrüßen und
ich sah die schwarzen Haare auf seiner Brust, bekam eine Ahnung davon bei dem
kurzen Einblick, die mich wissen ließ, dass das genau gut für mich war. Seine Beine
betrachtete ich auch. Auch an ihnen wuchsen schwarze Härchen, die ich sehr sexy
fand. Nur – oh Mann! Soll ich das jetzt aufschreiben? Auf was ich sah und was ich
dachte? … – Ich habe vor einiger Zeit ein Buch gelesen, das mich sehr beeindruckt
hat, ein Buch über Maria Magdalena (1). Mit am Meisten hat mich die Offenheit der
8
Verfasserin beeindruckt, die bei der Veröffentlichung solch tiefer Weisheiten
dennoch auch von ihrer eigenen Menschlichkeit berichtet, von ihrer Eifersucht. –
Also schreibe ich auch alles auf! Hemmungen beiseite!
Ich sah also auf Dirks Beine und mir fiel auf, dass die Behaarung erst in Sockenhöhe
anfing und nicht bis herunter zum Knöchel reichte. … - … - … - Wie soll ich das jetzt
in Worte fassen, was durch diese Beobachtung, dort am Mittagstisch in der
Zeitlosigkeit des Bruchteils einer Minute, alles durch meinen Kopf ging, durch meine
Filter, Raster, Muster? Zum Einen ist es vielleicht einfach ein ästhetischer Aspekt
(rede ich mir gerade ein), ich finde es einfach schöner, wenn männliche Beine bis zum
Knöchel behaart sind. – Ich muss nun, während ich das hier schreibe, gerade lachen! –
Macht sich da sonst noch irgendjemand Gedanken drum? … - Oder auf was sehen
andere und was löst es bei ihnen aus? Sind sie sich dieser Mechanismen bewusst und
warum oder woher hat man sowas? Und obwohl ich jetzt lachen muss, so war diese
Gegebenheit doch so ernsthaft für mich, dass dieser kurze Moment möglicherweise
alles Weitere entschieden hat. – Ich muss hier noch etwas einfügen: Ich trage einen
Ja-Nein-Stein bei mir. Manchmal ständig, manchmal nicht. Es ist eine alte ZehnPfennig-Münze, ein Groschen aus D-Mark-Zeiten. Zahl ist Ja, Eichenschössling ist
Nein. Manchmal benutze ich auch den Anhänger an meinem Autoschlüssel: Bild ist Ja,
Text ist Nein. Anfangs dachte ich, ich frage damit die Engel oder irgendeine höhere
Energie, die es besser weiß als ich. Dann dachte ich, ich frage mein Höheres Selbst,
das einen besseren Überblick hat, als ich in meinem Alltags-Space, und das mir mal
auf die Schnelle helfen kann. Jetzt ist es mir gleich-gültig, wen ich da um Rat frage,
denn ich glaube, mehr oder weniger ist es sowieso Eines und letztendlich bin ich es
selbst. Jedenfalls werde ich immer gut beraten. Ich glaube, die erste Antwort ist
immer die Richtige. Manchmal will ich die nicht haben und frage noch einmal und dann
kommen auch andere Antworten heraus, aber dann verwirre ich mich, werde unruhig
…. Dann fängt mein Zweifel- und Ich-will-aber-Programm an. Im Grunde sagt der
Stein, mein Groschen, sowieso immer das, was ich ohnehin tun will, was meiner
inneren Wahrheit entspricht. Und seine Antworten entwickeln sich synchron zu
meinen inneren Prozessen. Manchmal bringt er mich auch dazu, etwas zu tun, was ich
mir, mein Verstand mir, nicht erlaubt oder was ich mich nicht getraut hätte. Ich
benutze ihn rege, z.B. jetzt hier beim Schreiben, um die „richtigen“ Formulierungen
zu finden, oder beim Einkaufen: “Soll ich das nehmen oder nicht?“ An diesem
besagten Tag X hatte ich, bevor ich auf meinem Nachhauseweg von der Arbeit bei
Oma anhielt, drei- oder viermal meinen Autoschlüssel gefragt: „Soll ich bei Oma
anhalten?“ (Ich dachte, ich besuche sie vielleicht zu oft und die denken, ich bin auf
ein Mittagessen aus, weil ich doch immer mittags Feierabend hatte.) Der
Schlüsselanhänger sagte jedesmal Ja. Mir kam es so vor, dass „ihm“ richtig was dran
liegt, dass ich unbedingt anhalte.
9
Während Dirk da also stand und die Menschen und den Hund begrüßte und ich ihn mit
Lust und Gefallen betrachtete, hatte ich schon mal nach dem Groschen in meiner
Hosentasche getastet, mit der Frage: „Könnte Dirk potentiell „der richtige Mann“
für mich sein?“ „Ja“ hat der Groschen gesagt. Als ich nun seine Beine ansah geschah
Folgendes: Als Erstes dachte ich: „Das finde ich nicht so schön.“ Aber das mit dem
ästhetischen Aspekt ist nur der Deckel, den ich auf den ganzen Komplex drauf getan
habe, und der flog auch gleich ab. Heraus kam: Bei meiner letzten KurzzeitBeziehung (die doch relativ lange über mehrere Monate ging, in zwei Etappen) war es
auch so: Ralfs Behaarung an den Beinen begann erst an der Wade. Mit Ralf verbinde
ich
Unverbindlichkeit
und
Fallen-gelassen-worden-sein-und-nicht-mehr-drum-
scheren. Ich habe etliche Monate lang an Rache und Genugtuung gedacht, nachdem
diese Beziehung zu Ende war. Das Ende kam in der Form, dass wir telefonierten und
ich ihn fragte, wann er am Wochenende käme, damit ich nicht den ganzen Tag so auf
Abruf sein musste, sondern mich danach richten konnte, dass ich z.B. staubgesaugt
hätte und nicht gerade einkaufen wäre, wenn er vor der Tür stünde. Daraufhin hat er
einfach aufgelegt und ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Hierbei handelt es
sich um die Beendigung der zweiten Etappe. Die erste Etappe beendete er vier
Monate zuvor, nachdem sein Onkel gestorben war, der bei ihm im Haus wohnte, in
der Wohnung über ihm. Irgendetwas war Ralf da wohl zu viel, aber er konnte sich
nicht mitteilen und nicht abgrenzen oder sich helfen oder trösten lassen. Das lies er
nicht zu, machte es den Menschen um ihn herum aber gleichzeitig zum stillen
Vorwurf, dass sie ihm nicht helfen, ja überhaupt ihn nicht verstehen würden, was
meines Erachtens nicht stimmte. Da war nicht nur ich, die liebendes Interesse an
ihm hatte und abgewiesen wurde, sondern seiner Mutter z.B. erging es genauso,
soweit ich das in den paar Wochen und Monaten mitbekommen habe. Jedenfalls nahm
ich den Korb, den er mir gegeben hatte, sehr persönlich, war zutiefst gekränkt und
ärgerte mich über die vertane Gelegenheit, dass ich ihm, als er nach dem ersten Akt
wieder bei mir auf der Matte stand und die Beziehung wieder aufnehmen wollte,
nicht gesagt habe: „Fick dich ins Knie, Ralf!“ Nein, stattdessen habe ich mir selbst
nochmals eine Demütigung abgeholt. Beim zweiten Mal Schluss-machen war kurz
zuvor die Tante gestorben, Onkels Frau.
Und: Bei meinem Vater ist es genauso mit der Beinbehaarung. Er seinerseits ist
Meister in der Disziplin „Angriff ist die beste Verteidigung“. Auch, wenn es gar
nichts zu verteidigen gibt. Er hat so ein Muster, dass er jeden mit Vorwürfen
eindeckt, um nur selbst nicht auf vermeintliche Fehler angesprochen zu werden.
(Auch wenn das wahrscheinlich überhaupt nicht in der Absicht seines Gegenübers
liegt.) Wenn ich z.B. bei meinen Eltern zum Kaffetrinken eingeladen bin und komme
um 16.00 Uhr, dann begrüßt er mich, falls er selbst schon da ist, mit den Worten:
„Sieh mal auf die Uhr!“ Er meint dann, ich sei zu spät. Wenn ich um 15.00 Uhr käme,
würde er gar nichts sagen, weil er da selbst nicht da wäre, denn er hat sich
10
wahrscheinlich um 15.59 Uhr an den Kaffeetisch gesetzt. Er ist es nämlich, der
wirklich immer und überallhin zu spät kommt und muss vielleicht deshalb andere
darauf hinweisen,
wenn er meint, die seien zu spät. Ich fand die Uhrzeit okay.
Außerdem hat mein Vater die Ader, dass er – jetzt bald 70-jährig – den ganzen Tag
arbeitet, körperlich schwere Arbeit verrichtet, oft für andere Leute. Aber er lässt
es sich schlecht bezahlen, vermute ich. Er fordert keinen von ihm genannten Preis
für seine Arbeit, sondern nimmt das, was die Leute ihm geben – oder auch nicht. Für
mich ist das fehlende (Selbst-)Verantwortung und Missachtung der eigenen Kraft
und Größe, fehlende Selbst-Achtung. Und … - natürlich: Das kenne ich auch von mir
selbst. Hier habe ich es auf die Männer übertragen – von denen ich mir wohl
gewünscht habe, sie würden diesen Part für mich übernehmen. Ja. - Und was hat das
jetzt mit den Beinen zu tun? Für mich ist das irgendwie so, dass ich eine höher
ansetzende Behaarung an männlichen Beinen mit einer Art „Luftigkeit“ verbinde, die
bringen ihre männliche Kraft nicht ganz bis auf die Erde. Wenn die Härchen bis zum
Knöchel gehen, dann, meine ich, wäre die männliche Kraft solcher Männer stabiler
und ausgewogener. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich so ist.
Vor Kurzem las ich im Internet die Meldung, dass durch Zufall der Eisprung der Frau
gefilmt wurde und dass der Vorgang völlig anders sei, als man bisher angenommen
habe. Ich glaube, so verhält es sich mit sehr Vielem. Man meint, man würde etwas
wissen, aber in der Wirklichkeit ist es ganz anders.
Ich meinte also zu wissen, dass hier ein Mann vor mir stand, dessen männliche Kraft
möglicherweise schlecht geerdet war und der mir vielleicht deshalb nicht die starke
Schulter bieten konnte, nach der ich mich sehnte. – In diesem Moment war mir das
so nicht so klar bewusst, aber so war es. – Ich fragte meinen Groschen: „Ist Dirk
trotz seiner Beinbehaarung der potentiell „richtige Mann“ für mich?“ Der Groschen
sagte: „Ja.“
Wir aßen zu Mittag.
…-…-…Nach dem Essen blieben Oma, Dirk und ich in der Küche, die anderen gingen wieder
ihrer Arbeit nach. Oma spülte das Geschirr und ich half ihr dabei. Dirk war am Tisch
sitzengeblieben zum Plaudern. Als wir fertig abgetrocknet hatten, sah ich aus dem
Fenster, hinüber in Dirks Hof, zu seinem Freisitz, den er da gebaut hatte, sagte ein
paar Worte darüber und fragte ihn, ob er mir das mal zeigen würde, was er da so
Schönes gebaut hätte. – Ich glaube, in diesem Moment, spätestens, war schon alles
besiegelt. – Er sagte: „Ja“, stand vom Stuhl auf, verabschiedete sich von Oma und
wir gingen hinüber. In der Haustür hielt ich kurz inne, weil wir nebeneinander waren
11
und es eng wurde. Er blieb ebenfalls stehen und fasste mich kurz am Arm, um mir
den Vortritt zu geben. Ich nahm das geehrt zur Kenntnis. Das tat mir gut.
Drüben bei sich zeigte er mir alles, erst draußen, dann drinnen, bis unter‘s Dach und
er sprach wieder davon, wie ungern er alleine sei. Ich gab ihm meine Philosophie zum
Besten: „Wenn es nicht sein soll, klappt sowieso nichts und wenn es sein soll, dann
kommt es von ganz alleine“ und dass er sich doch gedulden solle.
Eigentlich hätten wir uns da schon küssen können.
Zum Abschied tauschten wir unsere Handynummern aus.
Wie es weiterging …
Am nächsten Tag schickte ich Dirk eine sms: ob er Zeit und Lust hätte, dass ich
abends vorbeikäme und wir zusammen irgendwo was essen gingen? – Als die sms
abgeschickt war, klopfte mein Herz und ich dachte: „Oh Mann, wenn der jetzt ewig
nicht antwortet (so, wie es oft mit Ralf war) … - … Ich sitze hier auf heißen Kohlen
und mache mich zum Affen. … - … Ich gebe ihm 10 Minuten. Wenn er bis dahin nicht
geantwortet hat, liegt ihm nichts dran.“ – Die Antwort kam binnen dieser Frist. Er
schrieb, dass er „logisch“ Lust hätte, dass er aber bis abends arbeiten müsse und ob
wir am nächsten Tag was zusammen machen wollten. Und wir verabredeten uns für
den Mittwoch.
Montag, der 24. Juli 2006, der Tag X, war übrigens der letzte Tag des Maya-Jahres
Kan 13, nach dem Tzolkin, dem heiligen Kalender der Mayas (2). Mit diesem Tag ging
ein 13 Jahre währender Zyklus zu Ende, in größerem Zusammenhang ein 52 Jahre
währender Zyklus. Kan ist der gelbe Samen, die Kraft des Samensetzens, des
Erblühens und der Zielgerichtetheit. Der Ton oder die Zahl 13 ist die
transformierende Kraft, der kosmische Ton der Gegenwart, das Gegenwärtig-sein
und die Veränderung. Etwas in unseren Leben war zum Abschluss gekommen, hatte
sich verwandelt und der neue Samen war gesetzt, hatte gekeimt und gewurzelt und
war bereit zum Wachsen.
Dienstag, der 25. Juli, war der sogenannte „grüne Tag“, der Tag außerhalb der Zeit,
zwischen dem alten und dem neuen Jahr, in diesem besonderen Fall auch noch
zwischen dem abgeschlossenen und dem neu beginnenden Zyklus. Am Mittwoch, dem
26. Juli, begann das neue Maya-Jahr und ein komplett neuer Zyklus mit dem Tag
12
Muluc 1, der als erster Tag des Jahres mit seiner Kraft repräsentierend für das
ganze Jahr und den ganzen Zyklus steht und seinen Einfluss geltend macht. Muluc ist
der rote Mond, die Kraft der Selbst-Erinnerung, der Reinigung, der Absicht und der
Achtsamkeit. Der Ton 1 ist der magnetische Ton der Bestimmung, das Eins-Sein mit
der göttlichen Quelle und die Energie des Anfangs. – Später stellte sich heraus, dass
Muluc 1 auch Dirks Geburtsprägung ist, die Energie des Tages seiner Geburt.
Für mich sind das tiefe Weisheiten, die mir, dadurch, dass ich um sie weiß, zeigen,
dass ich in meinem Leben immer zur rechten Zeit am rechten Ort bin und dass alles
vollkommen ist. Das Tor war an diesen Tagen offen für Dirk und mich. Was sich
äußerlich in meinem Leben zeigt, die Abläufe und Geschehnisse, ist zutiefst und
vollkommen mit dem göttlichen Plan verbunden. So ist es immer, auch wenn ich
manchmal denke: „Nee! So nicht! Das kann nicht sein!“ Im größeren Überblick, mit 5
oder 10 Jahren Abstand, manchmal auch schon eher, sehe ich, dass alles gut war, wie
es war. Zu etwas Besserem gut. Manchmal gehen mir, wirklich oft nach Jahren,
richtig die Lichter auf, was wozu gedient hat.
Mittwochabend fuhr ich also zu Dirk und wir gingen zusammen aus. Es war ein
ruhiger, gediegener Abend. Wir erzählten uns voneinander. Er erzählte mir, dass er
keine schöne Kindheit hatte. Sein Vater hat gesoffen und die ganze Familie
verprügelt. Ich erzählte ihm von meinem Alkoholismus und dass ich seit einigen
Jahren trocken sei. Als der Abend um war setzte ich ihn zuhause ab und fuhr heim.
Am Wochenende gingen wir zusammen ins Kino. Der Film war so öde, dass ein Pärchen
in der Reihe vor uns es vorzog, 80 % der Zeit zu knutschen. Wir waren da leider noch
nicht so weit. Später, bei mir zuhause, haben wir das dann aber auch gemacht. Als
ich Dirk zum ersten Mal küsste, hatte ich das Gefühl, als hätte ich das erst gestern
getan, bzw. als hätte ich das schon ganz oft getan, immer, mein ganzes Leben lang.
Es war so vertraut. Und wir gingen auch noch weiter in der körperlichen Liebe. Am
nächsten Morgen beim gemeinsamen Gassi-gehen sagte Dirk: „Hoffentlich haben wir
in der Nacht kein Baby gemacht.“ Ich antwortete ihm, dass ich das nicht glaubte und
dass ich wahrscheinlich keine Kinder bekommen könne, weil ich mit meiner letzten
Dauerbeziehung, damals, 5 Jahre lang ohne Verhütung geschlafen hatte und es war
nie was passiert.
Ein paar Tage später sprachen wir darüber, ob das zu schnell gegangen sei mit uns.
Dirk sagte, er habe das sonst immer langsam angegangen. (Ich nicht.) Als ich ihn
fragte, ob es ihm zu schnell gewesen sei, sagte er: „Das ist egal, weil es sowieso so
gekommen wäre.“
13
Ich hatte zwei Wochen frei und fing am 15. August eine neue Arbeit an in einem
kleinen, eingruppigen Kindergarten, der von einer Elterninitiative organisiert ist.
Ende August waren wir freitagnachmittags zum Wochenausklang bei einer Kollegin
zum Kaffeetrinken. Währendem wurde mir speiübel. Ich dachte, ich müsste mich
übergeben, aber so weit kam es dann doch nicht. Zuhause ging ich mit Schröder
Gassi. Mir war sooooo schlecht auf diesem Spaziergang, aber gleichzeitig fühlte ich
einen solch tiefen Frieden, eine unumstößliche Ruhe und Kraft in mir, von der ich
dachte, dass sie nie wieder verginge, dass mich nichts auf der Welt jemals wieder
aus dieser Ruhe bringen könnte.
Das hielt leider nicht an.
An diesem Wochenende wartete ich auf meine Periode. Sie kam nicht. Die nächste
Woche wartete ich auch. Meine Kollegin machte am Montagmorgen schon eine
rundende Handbewegung über dem Bauch, als wir über mein Übelsein vom Freitag
sprachen. Dann bekam ich Beschwerden, Bauchschmerzen, und rief gegen Ende der
Woche meine Frauenärztin an, ob ich den Termin, den ich bei ihr hatte – um mir ein
Verhütungsmittel verschreiben zu lassen – vorziehen könne.
… und die Feinheiten zwischendurch
Dirk und ich gingen anfangs oft zusammen spazieren, denn da war ja mein Hund
Schröder, der Gassi gehen musste. Einmal, das war bei Dirk zuhause, waren wir
unterwegs und es war so ein grandioser Himmel: Die Sonne stand schon tiefer und
schien durch einen Wolkenriss hindurch auf eine mächtige, blau-graue Wolkenwand.
Irgendwo muss es auch geregnet haben, wir bekamen aber nichts davon ab. Aber vor
diesem dunkelblauen Himmel entstand ein großer, vollkommener, doppelter, intensivstrahlender Regenbogen. Für mich war das magisch, richtungsweisend: der
Regenbogen als Symbol für das Neue, Gereinigte, Geheilte, Heilige. Und dieser hier
war doppelt (das stand für uns beide, als Eines), so intensiv leuchtend und so
wunderschön.
Etwas
ganz
Besonderes.
So
einen
durchgehenden,
doppelten
Regenbogen sehe ich manchmal das ganze Jahr über nicht, manchmal jahrelang nicht,
vielleicht hatte ich so einen noch nie gesehen. Für mich war das ein Omen - zumal wir
keinen Regen abbekamen, wir kamen sogar noch trockenen Hauptes bis nachhause -,
eine Bestätigung des Himmels, ein mir-Mut-machen: „Dirk ist der Richtige für Dich!
Hab keine Angst. Mit dem wird alles gut.“
14
Als meine Periode ausblieb, – dabei hatten wir jedesmal verhütet, aber einmal war
uns ein Kondom abgerutscht. Das war einfach weg. Später habe ich es aus mir heraus
geangelt - sprachen wir darüber was-wäre-wenn, aber wir, oder ich, glaubte/n nicht
so wirklich, dass ich schwanger sein könnte. Bei diesen Spekulationen erkannte ich
jedenfalls, dass Dirk sich im Falle eines Falles nicht verflüchtigen würde, sondern
dass er sich ernsthaft mit der Möglichkeit auseinandersetzte.
9. Juli 2008
Ich habe mir das, was ich bisher geschrieben habe, durchgelesen und es kommt mir
vor, als seien das lauter Geschichten. Geschichten in meinem Leben, auf die ich von
außen blicke, auch wenn ich innere Abläufe beschreibe. Manchmal bin ich wirklich in
der Position dieser unerschütterlichen Ruhe, dann erscheint mir das, was vorhin
gewesen ist, was heute Morgen war, oder das, was ich aufgeschrieben habe von vor
zwei Jahren und ganz und gar Begebenheiten aus meinem „früheren Leben“, als ich
noch getrunken habe, so unwirklich. Lauter Geschichten. Aber währendem ich diese
Geschichten durchlebe, durchspiele, aktuell akut drin bin, bin ich oft so aufgeregt,
so aufgewühlt: besorgt, glücklich, verzweifelt, berührt … - die ganze Palette Leben.
Manchmal, wenn ich mit Dirk streite, steht ein Teil von mir daneben und sieht sich
die Szene an. Dieser Teil sieht ganz klar, dass das, was wir da machen, nicht die
Wahrheit ist, dass das irgendwie nicht wirklich wir sind, sondern dass sich da unsere
Muster, unsere Verletzungen von früher, unser inneres Kind und unsere Meinungen
ausagieren. Dirk sagt auch oft: „Darf ich meine Meinung nicht sagen?!“ Ich aber
nehme seine Meinung persönlich und lasse sie auf meine alte Angst treffen, dass da
jemand wäre, der mich angreift, der mir weh tun könnte. Dann meine ich wieder zu
wissen, wie etwas sei, anstatt offen und ohne Vorbehalte zu schauen, was da wirklich
ist und mir zu erlauben, das einfach geschehen zu lassen und es zu erfahren, zu erleben. Da lege ich lieber gleich los und kämpfe. … - … - … - Und von meinem Vater
sage ich, er sei Meister in der Strategie „Angriff ist die beste Verteidigung“!! … –
Danke an die Instanz in mir, die dieses Schreibprojekt gestartet hat! Schon wieder
eine Erkenntnis! Das war mir so bisher nicht bewusst.
15
Vor ein paar Tagen, morgens beim Gassi-gehen, lag auf dem Weg hinter unserem
Haus ein Igel zusammengerollt im Gras. Ich dachte: „Der hat sich zum Schutz vor
Schröder zusammengerollt.“ Aber als wir zurück kamen, lag er noch genauso da. Ich
hob ihn auf, um nachzusehen, ob er verletzt sei, konnte aber nichts entdecken. Er
hustete nur etwas oder fauchte. Ich legte ihn wieder ab und überlegte, was ich tun
sollte. Unsere Nachbarin ist im Tierschutz aktiv. Ich hatte sie kurz vorher in ihren
Hof gehen sehen. Ich ging hinüber, um sie zu fragen, ob sie eine Idee habe, was mit
dem Igel los sein könnte. Auf mein Klingeln machte aber niemand auf. Mittlerweile
bin ich der Ansicht, dass, wenn das so ist, wenn jemand nicht da ist, nicht ans
Telefon geht oder wenn etwas nicht klappen will, das dann (im Moment) nicht der
richtige Weg ist. Das kann ich mir dann sparen und muss mich nicht weiter darum
bemühen. Ich ging also wieder nachhause. Der Igel lag noch immer zusammengrollt
auf dem Weg. Ich hatte Bedenken, wenn mein anderer Nachbar, der sich noch am
Ende des Halbstarkenalters befindet, mit seinem Auto hinter den Gärten
entlanggefahren käme – der würde vielleicht einfach über ihn drüber fahren!
Deshalb nahm ich den Igel mit und legte ihn in unseren Garten unter den
Haselstrauch.
Als ich etwas später aus dem Fenster nach ihm sah, hatte er sich erhoben, torkelte
im Stehen hin und her, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Ich dachte:
„Vielleicht ist er schwach und hungrig. Es gibt dieses Jahr nicht so viele Schnecken.
Vielleicht findet er nicht genug Futter.“ Ich bereitete ihm ein Schälchen mit
Katzenfutter und eines mit Wasser und stellte ihm beides hin. Er hatte sich wieder
hingelegt. Jetzt öffnete er seine Augen und hob sein Schnäuzchen. Er stand sogar
auf, torkelte aber wieder hin und her und machte keine Anstalten zu fressen oder zu
trinken und musste sich auch gleich wieder hinlegen. Ich schmierte ihm etwas Futter
an sein Mäulchen. Das lies er aber einfach hängen und leckte es nicht ab. Ich dachte:
„Vielleicht bist Du alt und stirbst. Dann sollst Du hier ein schönes, ruhiges Plätzchen
dafür haben.“ Ich ließ ihn in Ruhe und ging zurück ins Haus. Später sah ich durch’s
Fenster, dass zwei Elstern um die Nahrungsschälchen herum hüpften. Die wollten
sich da wohl bedienen. Ich ging dann meinen Beschäftigungen nach und als ich das
nächste Mal nach dem Igel sah, war er weg. Ich habe ihn nicht wieder gesehen.
Vielleicht war er wirklich alt. Und ist gestorben. Hat sich in eine Ecke verkrochen
und ist gestorben. Ein alter Igel. Neulich las ich in einem Buch, dass es so etwas in
der Natur nicht gibt, der Autor nahm als Beispiel einen Buchfink (3): einen alten
Buchfink. „Die sterben alle früh“, schrieb er (durch’s Fressen-und-gefressenwerden). Und jetzt – ein alter Igel, der sich mir zeigt. Das ist nämlich meine Vision,
einer meiner tiefsten Herzenswünsche: dass alle Wesen auf Erden frei umherlaufen
und dass keinem mehr etwas angetan wird oder sonst ein Leid geschieht. Niemand
wird mehr überfahren oder geschlachtet. Die Kühe auf der Weide werden nicht
16
mehr hinter Stacheldraht gesperrt, sondern dürfen frei herumlaufen und werden
alt. Alte Kühe! Auch die Pferde dürfen frei laufen. Das erfordert Mut und Abbau von
Ängsten und eine neue Art des Umgangs der Wesen untereinander. Die Schafe, die
Schweine, die Hühner, die Hunde … alle frei! Wildtiere werden nicht mehr gejagt. … … - Das ist wieder das Paradies. Das Paradies auf Erden! Das ist meine Vision!
Vielleicht haben ihn auch die Elstern mitgenommen. Dieser Gedanke kam mir auch.
Die Elstern haben gerade Junge, mindestens drei, vielleicht auch vier. Vielleicht ist
er gestorben, als sie ihn in die Lüfte erhoben. Und sie haben ihn in ihrem Nest
aufgefressen. Damit konnte er in seinem Tod noch jemandem als Nahrung dienen. –
Früher erzählte ich manchmal, dass ich, wenn ich einmal tot sei, in den Wald gelegt
werden wolle. Da könnten mich die Füchse und Dachse noch fressen und ich läge an
einem schönen Ort, draußen in der Natur. Ja – der Gedanke gefällt mir besser, als
auf einem Friedhof begraben zu werden! Falls ich mal sterben sollte.
Die Schale mit dem Katzenfutter war leer. Das haben entweder die Elstern
gefressen oder die Katzen oder Schröder oder – der Igel! Ist wieder zu Kräften
gekommen und davon marschiert. Und jetzt erinnert er sich gerne an diesen Platz
und kommt im Herbst wieder, um unter unserem Gartenhaus Winterschlaf zu halten.
- Und nächstes Jahr spielen Igelkinder in unserem Garten!
Wer weiß.
Drei Wege
Nun gibt es drei Wege, wie es weitergehen kann, unter denen ich die Wahl habe: Als
ich vor drei Tagen das Vorhergehende schrieb, dachte ich, der Text geht weiter mit
meinem Besuch bei der Gynäkologin, als ich mir ein Verhütungsmittel verschreiben
lassen wollte und sie mir bestätigte, dass ich schwanger sei. Mir ist jedoch bewusst
geworden, dass es hier sehr um das Thema „Männer“ geht, mein Männerthema. Schon
beim weiter oben erwähnten Durchlesen des bisher Geschriebenen fiel mir das auf
und ich hatte beim Lesen ein etwas ungutes Gefühl, weil ich meine, dass ich die
Männer, über die ich schreibe, für etwas ge-brauche. Was ich über sie geschrieben
habe, ist wie über-jemanden-reden und dafür schäme ich mich ein bisschen, das
möchte ich nicht tun. Aber anscheinend muss ich es bei diesem Thema, weil mir
(noch) unbewusst ist, was das alles mit mir zu tun hat. Aber es hat sehr viel mit mir
zu tun. Es ist meins. Ich projiziere etwas auf die Männer, was mir noch nicht klar ist.
Und es ist etwas, womit ich – anscheinend – im Kampf liege, was ich noch nicht
17
angenommen habe, wozu ich (wieder: noch) kein Ja habe, eher ein Nein. Ich habe im
Grunde an jedem Mann etwas zu bemängeln. Das ist mir gestern Abend klar
geworden, als ich bei meiner Tarotlehrerin zum monatlichen Tarot war. Das Thema
war dieses Mal „Das Ja zu mir“. Wobei das Thema eigentlich heißen kann, wie es will,
weil sich bei jedem sowieso immer das zeigt, was aktuell ansteht, und bei mir zeigte
sich, dass ich meinen inneren Mann nicht wahrnehmen kann. Mit meinem inneren Kind
kann ich in Kontakt treten und ich habe auch eine innere Frau und verschiedene
andere Aspekte, die mir bewusst sind, z.B. diese Antreiberin, aber einen inneren
Mann fand ich nicht. Keiner da. Vor einigen Monaten machten wir an einem dieser
Tarot-Treffen eine Übung: Wir sollten nach innen blicken, schauen, ob wir unseren
inneren Mann und unsere innere Frau wahrnehmen könnten und sehen, wie die beiden
sich zueinander verhalten. Eine Frau war da in meinem Inneren. Die stand vor einer
riesenhohen Mauer, eine Wand aus Stein. Und dann hatte ich so innere Bilder, in
denen ein Mann einer Frau auf das scheußlichste Gewalt und Demütigungen antat. … … - … - Bevor ich mich in dieses Thema vertiefe, denn das ist der zweite Weg, von
dem ich ja noch nicht weiß, ob ich ihn wähle, gebe ich ihm einen Namen: „In den Wald
gehen“. In meinen eigenen dunklen Wald in meinem Inneren, um zu sehen, was da ist.
Denn dass da etwas überaus Wichtiges für mich ist, weiß ich.
Der dritte Weg stellt sich äußerlich so dar: Ich hatte doch beim Lesen des
vorhergehenden Textes die Empfindung von „lauter Geschichten“. Daraus ergab sich
die Idee, ich könnte mein Leben in Spotlights beleuchten: Kurzgeschichten schreiben
zu verschiedenen Themen und Begebenheiten, z.B. „Der erste Kuss“. In Gedanken
habe ich schon einführende Sätze unter diesem Titel formuliert. Also: ein zweites
Projekt starten mit Kurzgeschichten? Oder diese Spotlights hier mit einbauen?
Innerlich führt diese Fährte mit dem, was mir dazu momentan an Thematik durch
den Kopf geht, ohnehin direkt zu – na? – meinem Männerthema! – Wie das war mit
dem ersten Kuss oder „dem ersten Mal“, meine Enttäuschungen und die Männer, wie
ich die erlebt habe in den Situationen, wie ich sie wahr-genommen habe. – Nein.
Diesen Weg über die alten Geschichten wähle ich nicht. Vielleicht ein andermal.
Jetzt möchte ich einen direkteren Weg finden. Oder einen abenteuerlicheren, einen
neuen, den ich noch nicht kenne, den ich noch nicht gegangen bin.
Ich gehe in den Wald.
…-…-…Wir machen bei den Tarot-Abenden zu Beginn immer eine Meditation, in der wir die
Begebenheiten des Tages, die Fahrt zu diesem Treffen, die geführten Gespräche,
hinter uns lassen und uns mit unserem Herzen verbinden. In der Meditation am
18
Freitagabend hatte ich das innere Bild, dass eine junge Frau in wehenden Gewändern
mir zuwinkte, ich solle ihr in einen Wald folgen. Zuerst nahm ich das freudig wahr
und ging in ihre Richtung. Dann kam eine Angst in mir auf: Das war so ein junges,
anmutiges Wesen! Ich bekam Angst, dass sie mir etwas zeigen würde, das mit Dirk
und Sex zu tun hat, etwas, das ich nicht sehen will. Dirk in einem Waldteich mit
jungen Nymphen. Und ich wollte nicht mehr mitgehen. Dann fiel mir ein, dass das
Thema des Abends das „Ja“ war und dass meine Tarotlehrerin gesagt hatte, wir
könnten in der Meditation dieses „Ja“, zu dem was auftaucht, ausprobieren und so
ging ich hinein in den Wald. Ich kam an einen See, einen Teich. In dem stand eine
riesengroße, weiße, leuchtende Gestalt, weiblich, kurz sah sie auch aus wie Jesus,
aber dann war es wieder eine Frau. Mein Gefühl dazu war sehr gut. Ich empfand
Vertrauen, Erhabenheit, Glück. Ich wollte hingehen, ging auch hin, sie hob mich auf,
in ihre Arme. Und dann kam wieder die Angst: Ich bekam Angst, diese große Gestalt
würde mich verschlingen, auffressen. … - … - In diesem Zwiespalt kam ich aus der
Meditation zurück.
Im Verlauf des Abends hat sich dann dieses Thema mit dem inneren Mann für mich
herauskristallisiert. Uta, meine Tarotlehrerin, gebrauchte irgendwann die Worte:
„Zu den Männern im Außen hast Du eher ein Nein.“ Und das stimmt. An jedem habe
ich was auszusetzen. An jedem. Es gibt so ein/zwei Traumgestalten, die ich nur vom
Sehen kenne und auf die ich das Ideal, das ich von einem Mann habe, übertragen
habe. An denen habe ich nichts auszusetzen. - Wobei ich den einen schon vom Thron
gestürzt habe: Ich war während meiner Single-Zeit jahrelang aus der Ferne in ihn
verliebt und habe es dann gewagt, mich ihm zu nähern. Dabei stellte ich fest, dass
die Wirklichkeit anders aussieht als mein Traumgebilde. Und Gott-sei-Dank-! habe
ich das damals getan, sonst würde ich wahrscheinlich heute noch denken, der wäre
vielleicht der bessere Mann für mich. Ich habe aber den besten Mann für mich! Das
weiß ich. Auch wenn sich ab und an noch diese „Geschichten“ in mir und meinem Leben
abspielen, diese irgendwo aufgeschnappten Bilder, die ich dann auf Dirk projiziere.
Und was ist es nun eigentlich, was ich den Männern vorwerfe? Vielleicht zähle ich
zuerst einmal ein paar Attribute meines Idealbildes auf, das ist einfacher: Stärke,
Stabilität, Treue, Ruhe, Humor, Zärtlichkeit, Standhaftigkeit, die-eigene-Frauehren-und-auf-Händen-tragen. Wobei: Ich weiß schon, was es ist, was ich den
Männern vorwerfe. Aber was sind die passenden Worte? Es gibt die (wieder Ideal-)
Aussage: „Das Männliche dient dem Weiblichen wie der Ritter seiner Königin.“ Aber
das tun die Männer nicht, die ich kenne! (Außer vielleicht Dirk?) Im Gegenteil! Wenn
sich ihnen die Möglichkeit einer außergewöhnlichen Ritterlichkeit bietet, sagen sie
(Zitat eines Freundes von mir): „Wie weit soll sich ein Mann denn noch herablassen?!“
Sie sind nicht da, wenn die Frau sie braucht, sie hören nicht auf ihre Bitten,
geschweige denn nehmen sie unausgesprochene Bedürfnisse wahr, von Erfüllung nicht
19
die Rede, sie sind oberflächlich und uneinfühlsam, desinteressiert sogar, es fehlen
Achtung, Wertschätzung und Liebe. - Ist es so? Das ist ja richtig schrecklich, was
ich da geschrieben habe! - Dabei habe ich Fremdgehen und Pornos noch gar nicht
erwähnt! Ich kenne das alles aus meinem Umfeld und aus eigener früherer
Erfahrung. Das sind meine Ängste, die ich auf Dirk übertrage, meine Meinung
manchmal, wie er sei, weil er doch ein Mann ist. Dann mache ich dicht und erlaube mir
nicht, ihn zu erfahren in der aktuellen Situation, aus Angst vor Verletzung. Das ist
das Eine, und die Prozesse, durch die wir gehen, kommen bestimmt noch zur Sprache.
Aber jetzt geht es darum, was das alles mit mir zu tun hat!? Warum habe ich das
immer wieder so erlebt? Was habe ich da für ein inneres Muster, mit dem mein
äußeres Erleben in Resonanz geht? So, wie ich es beschrieben habe, sehe ich die
Männer. Dabei sind sie mit Sicherheit auch anders! Jeder einzelne hat mit
Sicherheit seine ganz individuellen „guten“ Eigenschaften. Aber dafür habe ich kaum
einen Blick. Und dieses Nach-schönen-Frauen-sehen-und-sie-begehren unterstelle
ich jedem Mann. Ja. Ich kann nicht glauben, dass es einen gibt, der das nicht hat.
Und in mir erzeugt das ein tiefes Minderwertigkeitsgefühl. Weil es an jeder Ecke
eine Frau gibt, die schöner ist als ich. – Obwohl ich mich manchmal wirklich selbst
schön finde! Immer bin ich nicht in diesem Zustand. Aber es ist ein sehr
tiefsitzendes Muster. - Dirk sagt, er findet mich aufregend. Und ich finde ihn auch
total sexy, wunderschön, ich könnte ihn immerzu ansehen und mich an ihm freuen und
bin von Herzen dankbar und manchmal verwundert darüber, dass er mein Mann ist.
Wenn ich ihm das sage, dass ich ihn sexy finde, dann nimmt er das kaum zur
Kenntnis. Aber wie sollte er sich auch daran freuen und es annehmen, wenn ich selbst
seine Aussagen diesbezüglich über mich überhaupt nicht glaube(n kann)?! Etwas in
mir meint, er scherzt und kann das, was er sagt, nicht ernst nehmen, nicht annehmen.
… – Scheiße ist das!!
In mir ist eine Instanz, die mich selbst boykottiert. Und diese Angst, aufgefressen
zu werden, aus der Meditation, hat da, glaube ich, etwas damit zu tun. Mein kleines
Selbst hat Angst, von meinem großen, strahlenden Selbst aufgefressen zu werden.
Und anstatt mich meinem großen Selbst anzuvertrauen und mich nicht länger klein zu
halten, anstatt mich ihm in die Arme zu werfen, schiebe ich diese Angst vor und
bleibe lieber da, wo ich bin. Ich will aber nicht da bleiben!! Ich will frei werden von
diesen Begrenzungen!! Das ist schrecklich mit diesem Minderwertigkeitsgefühl, mit
der Eifersucht, mit dem Vergleichen! Das unterdrückt mich! Das unterdrückt alle
meine
Lebensgeister!
Vielleicht
sind
einige
meiner
„Lebensgeister“
die
Teichnymphen, oder eine Teichnymphe, wenn mir Monogamie und Treue so wichtig
sind. Schiere Sinnlichkeit. Vielleicht ist es das, was im dunklen Wald auf mich
wartet: all meine unterdrückten Anteile. – Na, dann kommt! Kommt raus aus dem
Wald! Kommt, um mit mir zu leben!! Das Leben ist nämlich etwas ganz Wunderbares!!
Und wenn Ihr erst alle dabei seid, wird’s bestimmt noch viel schöner!! Ich
20
unterdrücke Euch nicht mehr! Ihr dürft jetzt alle hervorkommen! Ich bin total froh,
dass ich Euch (entdeckt) habe!!
Freitagabend, auf dem Nachhauseweg vom Tarot, bat ich meinen inneren Mann, sich
mir zu zeigen. Und ich nahm ihn wahr hinter mir. Er sagte: „Du hast mich verbannt.
Ich bin aus Deinem Blickfeld gegangen, aber ich war immer hinter Dir, um Dich zu
beschützen und Dich zu unterstützen.“ Natürlich musste ich weinen. Ich fragte ihn,
warum ich ihn verbannt hätte, und dann kamen all meine Angstbilder hoch: Betrug,
andere Frauen, ein totes Kind, an dessen Tod ich ihm die Schuld gab. … - … - … Vielleicht war es sowas Schlimmes, dass ich im Schmerz und zum Schutz gegen ihn
eine Mauer errichtet habe – Erfahrungen in früheren Leben oder Erinnerungen aus
dem kollektiven weiblichen Bewusstsein, das in mir pocht. Aber dann fiel mir das
Märchen von den sieben Raben ein, in denen die Buben von ihrem Vater verwunschen
werden für einen zerbrochenen Krug, also etwas gar nicht so Schlimmes. Und der
Vater wusste ja auch eigentlich nicht, was wirklich geschehen war. Er hat es sich
zusammengereimt. Vielleicht schiebe ich den Männern und meinem inneren Mann
etwas in die Schuhe, worin ich mich irre? Ich reime mir was zusammen, aber weiß
nicht wirklich, wie es sich verhält.
Liebe Leser, wisst Ihr, was Dirk draußen macht? – Er reißt eine Mauer ein. Und er
sagt: „Hier wird alles anders.“ !!!!!! Das finde ich so faszinierend am Leben: die
inneren Prozesse und was im Außen geschieht, während man sich mit ihnen
beschäftigt, einfach so, ohne dass man selbst etwas dazu tut.
Aber was ist mit meinem Zell-Gedächtnis, das all die Erfahrungen aller Frauen der
letzten paarhundert Jahre (und seit Anbeginn der Zeiten) in sich trägt? Wie kann
ich das erlösen, all den Schmerz, alle Demütigungen, Verrat, Missbrauch und
Geringschätzung? Und was ist mit Adam und Eva, warum habe ich von denen
geschrieben? Liegt da noch eine Antwort verborgen? Ich glaube, mein Weg in den
Wald ist noch nicht zu Ende und mein Schreib-Projekt hier, wird mir noch manche
Pfade eröffnen. Ich merke jetzt aber, dass ich mich mit zu vielen Fragen und
Analyseversuchen verzettele. Ich will die Erkenntnisse einfach aus mir aufsteigen
lassen und nicht nach ihnen suchen. Besser lasse ich mich von ihnen finden. Sowieso
geht es, glaube ich, nur so. Alles kommt von selbst.
Das habe ich gestern im Internet gelesen (4):
Wie nun überqueren wir die Mauer und beginnen, die andere Seite mit ihren
Wundern, Einheit, immensen Liebe zu erleben und das Leben unserer wahren und
authentischen Träume zu leben?
21
Lass es gehen. Lass einfach alles davon gehen, von dem Du gedacht hast, es sei real
oder wichtig. Erlaube dem, was nun wahrhaftig real ist, in Dein Universum und Deine
Realität hineinzukommen. Nimm Dir Zeit für Dich selbst... sorge nun dafür, dass Du
für Dich da bist und tue das, was Du brauchst, Pause, Selbst-Nährung, Ausatmen, im
Moment sein, Verantwortlichkeiten gehen lassen und einfach in Deinem eigenen
heiligen Raum bleiben und sich darin aalen. Finde einen Weg, Deine Batterie wieder
aufzuladen, Dich zu regenerieren und erlaube Dir Zeit für Dich selbst. Sag so oft wie
möglich nein zu Verbindlichkeiten, Zusammenkünften/Veranstaltungen, Aufträgen /
Terminen / Verabredungen.
Erlaube Dir Zeit für Dich selbst, hab die Bereitschaft nicht mehr länger etwas in
Angriff nehmen zu müssen, und Du wirst herausfinden, dass alles ganz einfach von
selbst passieren wird, ohne dass Du auf 'HabAcht' Stellung sein musst. Das gehen zu
lassen, was sich nicht mehr länger gut oder richtig anfühlt, wird dem Neuen
erlauben, hereinzukommen und Dich zur selben Zeit in einen sehr neuen Raum
versetzen. VERTRAUE.
Und so mache ich jetzt Pause. Morgen fahren wir für ein paar Tage weg. Ferien!
Adolf Hitler im Raps
Es gibt hier eine Katze. Ich bin ihr in letzer Zeit öfters begegnet. Wenn ich mit
Michel im Kinderwagen durch’s Dorf gehe, um Oma und Opa, meine Eltern, zu
besuchen, dann liegt sie manchmal in einem Garten im Gras oder sie sitzt auf dem
Bürgersteig oder in einem Hof und sieht uns an. Ein paar Mal habe ich sie auch beim
Gassi-gehen mit Schröder gesehen, wie sie durch die Felder streift, über den
Feldweg läuft oder durch das abgemähte Rapsfeld. Sie ist ganz weiß mit wenigen
grau-schwarzen Flecken, einer auf dem Kopf, der sieht aus wie die Frisur von Adolf
Hitler, und einer über ihrem Schnäuzchen, der sieht aus wie Hitlers kurzer
Schnurrbart. Als ich sie zum ersten Mal sah, sagte ich zu Michel: „Guck mal, die
sieht aus wie Adolf Hitler!“ Da lag sie im Garten im Gras und döste und als ich das
gesagt hatte, hob sie ihren Kopf und sah uns an.
Vielleicht ist sie eine Reinkarnation von ihm. Vielleicht nicht der ganze Adolf Hitler,
aber ein Teil von ihm. Von Michel dachte ich das auch schon mal, dass Adolf Hitler
mit einem Anteil seiner selbst als Michel zu uns gekommen ist – beide haben am 20.
April Geburtstag, und Michels Haare haben mich mal an die von Hitler erinnert -, weil
22
er, Hitler, doch so eine schreckliche Kindheit gehabt haben soll und jetzt will er als
Michel-Kind bei uns leben und das ausheilen lassen. Und als Katze streift er hier
durch den Raps und döst in der Sonne, einfach so. Einfach leben! Völlig frei, ohne
irgendwelche Verantwortungen, ohne Druck, einfach leben und das Dasein genießen. Es sei ihm gegönnt!
Versteht mich nicht falsch. Michel ist Michel und ich glaube nicht, dass er irgendwie
besetzt ist. Aber wir sind alle miteinander verbunden. Und wenn meine eigene
Kindheit, inspiriert durch Michels Dasein, heilt, indem dass ich sowohl Mutter als
auch Kind bin, darf Hitler ruhig auch daran teilhaben. Hitler ist irgendwie ein
Archetyp, eine Gestalt, die sich manifestiert hat, weil alle Menschen die ihn
prägenden Eigenschaften in sich tragen, aber eher unterdrücken, bzw. sich nicht
eingestehen, weil sie sie für böse halten, „ich doch nicht“! Das Kleine, Gemeine,
Anschwärzende, Alle-auf-einen, die Grausamkeit und das Unbarmherzige.
Weil ich meine Wut lieber runterschlucke – siehe die Alkoholsucht in meiner
Lebensgeschichte – anstatt sie zu artikulieren, weil ich mich nicht traue, rasiert sich
mein junger Nachbar die Haare ab, pierct und tätowiert sich und hört Techno, dass
die Wände beben. Der lässt seinen Frust und seine Aggressionen raus und stülpt sie
mir noch über! Und das ist ja auch das Gute am Leben: dass man seine Themen
dermaßen präsent vor die Nase gesetzt bekommt, dass man gar nicht anders kann,
als sich damit auseinanderzusetzen! Ich habe an ihm gelernt. Er hat mich dazu
gebracht, mich zu trauen, für mich einzustehen und Grenzen zu setzen. Jetzt ist er
ruhiger. Meine Wut ist aber immer noch ein Thema, das noch nicht ganz ausgewogen
ist. Ich schlucke immer noch manchmal, wenn ich lieber sagen würde: „Das ärgert
mich jetzt!“ Mit dem Ergebnis, dass ich die Begebenheit dann tagelang mit mir
herumtrage und sehen muss, wie ich sie wieder loskriege, bzw. ausbalanciere.
Dass sowas wie Hitler, Nazis und Neonazis auf den Plan treten, liegt meines
Erachtens daran, dass Menschen ihre eigenen Aggressionen unterdrücken, dass sie
konfliktscheu sind, sich nicht trauen und sich lieber ducken und schweigen, sich
kleinmachen, anstatt sich zu zeigen und für sich einzustehen. Dabei muss ich auf
niemanden zeigen. Ich rede von mir. Deshalb bin ich auch so guter Dinge, dass das
alles gut wird und die Neonazis verschwinden, denn ich bin am wachsen, ich traue es
mir jetzt zu, mich zu trauen! In unseren Ferien war eine Situation, die mir nochmal
klar gezeigt hat, wie das ist, nichts zu sagen, wenn man sich ärgert: Die akute
Situation dauerte vielleicht zehn Minuten. Mit mir herumgetragen habe ich es
mindestens zwei Wochen. Ein nächstes Mal will ich meine Wut nicht schlucken! Möge
es mir dann auch bewusst sein und möge ich es anders machen! Das sitzt bei mir so
fest, dieses Verhaltensmuster des Runterschluckens, dass ich in solchen Situationen
oft wie ein hypnotisiertes Kaninchen bin. Mir geht erst später auf, dass mir da
23
jemand was übergebügelt hat und ich brav stillgehalten habe. Schluss damit!! Aus!!
Ende!! So nicht mehr!!
Eine Lehrerin von mir äußerte einmal die Ansicht, Adolf Hitler sei nicht im Himmel.
Auf keinen Fall sei er Himmel! Der doch nicht! Ich aber glaube, dass er es ist. Im
Himmel seiner Seele, und in manchen lebendigen Organismen hier auf der Erde, die
sich in himmlischen Zuständen befinden, wie die weiße Katze. Von Gott aus ist er
allemal im Himmel. Gott verzeiht jedem alles oder besser gesagt: Für Gott gibt es
nichts zu verzeihen, weil er weiß, dass es nichts zu verzeihen gibt. Gott, das höchste
oder tiefste oder reinste Sein Adolf Hitlers und von uns allen, hat ihm verziehen,
bzw. ihn gar nicht erst für schuldig befunden. Höchstens Hitler selbst oder noch in
Vorstellungen und Glaubensmustern gefangenere Teile seiner selbst, mögen noch mit
seinen Taten hadern und ihn dafür verurteilen. Aber auch das glaube ich nicht. Hitler
ist im Himmel. Im Paradies. Und so können wir uns alle eine Scheibe abschneiden von
ihm, denn wenn er da ist, hat er sich selbst alles vergeben. Und wer kann das schon
von sich behaupten, sich selbst alles vergeben zu haben? Sich selbst, mit allem, mit
allem!!! angenommen zu haben, sich wundervoll zu finden und zu lieben.
Und vielleicht ist doch der ganze Adolf Hitler in der Katze im Rapsacker, weil hier,
gleich bei mir um die Ecke, der Himmel ist. Ich hatte neulich schon den Eindruck.
Die Krone des Königs
Am 12. Juli hatte ich galaktischen Geburtstag. Ich bin Chicchan 2. Chicchan, die rote
Schlange, ist die Weisheit des Körpers, ist Kreativität, Lust auf und am Leben, ist
die Lebenskraft und die Kraft des Überlebens. Der Ton 2 ist der lunare Ton der
Herausforderung, das Lernen durch Beziehungen und die Kraft zum Wachstum. Das
ist meine Geburtsprägung im Maya-Kalender, so wie ich laut gregorianischem
Kalender Wassermann und im chinesischen Horoskop Drache bin.
An meinen galaktischen Geburtstagen lege ich seit einiger Zeit immer ein keltisches
Kreuz mit meinen Tarotkarten (5), als Orakel für den kommenden Lebensabschnitt
und es ist interessant, im Nachhinein zu sehen, was ich jeweils gelegt hatte und was
dann geschehen ist. Dirk und Michel z.B. wurden unmissverständlich angekündigt,
obwohl nichts im Außen auf sie hindeutete. Ich halte die keltischen Kreuze in meinem
Tagebuch fest. Das Kreuz vom 12. Juli nun steht sehr im Zeichen meines inneren
Mannes, männlicher Kraft, die sich vollkommen ins Ganze einfügt. Ja, jetzt, wo ich
wieder darauf schaue, kommt es mir so vor, als sei alles schon in perfekter Ordnung,
24
nur ich meine noch nach etwas suchen zu müssen, was schon da ist. Ich bin noch in
einer Täuschung gefangen, oder nicht gefangen, sondern befindlich. Es sagt auch:
„Sei gelassen, lass es, wenn Du diesen Prozess noch brauchst, dann lass ihn. Mach‘ dir
keinen Stress. Verurteile dich nicht.“
… - … Hm. … - …
Dirk hat in unseren Ferien mein Manuskript gelesen. U.a. sagte er dazu, ich sei noch
im Wald und er habe ihn schon durchquert. Ich wollte ihm antworten, dass er meiner
Meinung nach noch gar nicht hineingegangen ist. Aber vielleicht hat er recht.
Jedenfalls antwortete ich nichts und wenn er das so sieht, wie er sagt, dann nehme
ich das einfach mal an, ohne es gleich wieder abzuweisen. Mag sein, dass er bezüglich
mancher seiner Themen in seinen eigenen inneren Wäldern noch einiges finden kann,
aber in Bezug auf ihn und mich mag er seinen Wald erkundet haben. Nur ich steh‘ im
Wald und sehe ihn nicht vor lauter Bäumen, sozusagen, habe das Offensichtliche vor
Augen und begreife es (noch) nicht. Weil meine bisherigen Erfahrungen anders sind
oder weil ich etwas anderes geglaubt habe, weil ich etwas Bestimmtes erwarte,
starre ich auf meine Erwartung, auf das Alte, wie ich es erfahren habe, meine, nun
müsste es doch auch wieder so kommen, und ich sehe nicht, was wirklich da ist. Weil
ich immer nur das gesehen habe, was ich geglaubt habe. Jetzt kommen andere
Menschen daher und öffnen mir die Augen für neue Wahrheiten, für die Wahrheit,
die ich bisher nicht sehen konnte.
… - … Oder die Erkenntnisse steigen aus mir selbst auf. An meinem galaktischen
Chicchan –Geburtstag zog ich auch eine Engel-Karte zur Unterstützung für mein
neues Lebensjahr. Es war Shushienae, der Engel der Reinheit (6). Die Karte zeigt ein
Bild mit drei Personen: ein Engel in grünem Kleid und zwei Menschen, zwei Frauen,
dachte ich auf den ersten Blick, eine in blauem Kleid und eine weißgekleidete, die in
einem Arm einen grünen Zweig hält und in der anderen Hand ein Öllämpchen und ganz
versunken ist in den Anblick seines Lichtchens. Die drei sitzen ganz nah beieinander
und der Engel hält eine Krone in einer Hand, die auf seinem Schoß liegt. Die
blaugekleidete Gestalt spielt auf einer kleinen Harfe. In mein Tagebuch habe ich
geschrieben: „Ich glaube, sie warten auf den König, um ihn zu krönen. Wo ist er?“
Ich ließ die Karten den ganzen Tag auf dem Küchentisch liegen, wo ich sie gezogen
hatte und betrachtete sie hin und wieder. Nach Stunden entdeckte ich, dass die
Gestalt in dem blauen Kleid einen Adamsapfel hat. Ist das ein Mann? Dann sah ich
auch, dass der Engel seine freie Hand auf ihrer Schulter liegen hat. Beide, der Engel
und der Mann(?!) schauen auf die Frau, geduldig und als würden sie das schon sehr
lange tun. Der Engel scheint ein bisschen traurig zu sein: „Wann siehst du uns
endlich?“ Und der Blaugekleidete spielt voller Hingabe die Harfe, sehnsüchtig, als
wolle er mehr tun, um die Aufmerksamkeit der in sich versunkenen Frau zu erregen,
25
kann es aber nicht, als seien ihm die Hände gebunden. Und sie sind ihm gebunden!
Eine Kette liegt um seine Handgelenke, das erkannte ich noch eine ganze Weile
später. - Was hat das zu bedeuten? Dass der Königssohn längst da ist, der junge
König? In Begleitung und Obhut eines Engels. Vom Himmel gesandt.
Er ist schon so lange da, dass der Engel ihm die Krone abgenommen hat, damit sie ihn
nicht drückt oder um sie der jungen Frau aufzusetzen, um sie zu krönen und damit
die beiden zu verbinden. Die aber ist ganz fasziniert von ihrem Lämpchen und schaut
gar nicht auf. Vielleicht braucht der junge König aber ihre Hilfe, dass sie ihm die
Fesseln abnimmt. Oder er will ihr seine Liebe schenken, kann ihr aber nicht mehr
geben, als sie wahrnimmt, den leisen Klang seiner Harfe, aber da ist soviel mehr!!!!
Wenn sie nur aufblicken und ihn sehen würde! Abgesehen von ihm, dem liebenden,
hingebungsvollen jungen König, auch noch das pralle Leben, symbolisiert durch das
grüne Kleid des Engels mit einer goldenen Schleife als Gürtel, das Goldene ist die
Erleuchtung, die Erkenntnis der Wahrheit, als Gürtel getragen ist es die Verbindung
von Himmel und Erde.
…-…-…Hm. Was ich da in den letzten Zeilen geschrieben habe, passt sehr gut als
Erläuterung meines keltischen Kreuzes vom 12. Juli. So ist es also. Ich suche etwas
und hab‘ es schon! Es ist schon da und ich habe es noch nicht begriffen.
Gestern Abend, als ich das Kapitel von Hitler im Raps geschrieben hatte, sah ich
nochmal nach meinen E-Mails. U.a. war ein Info-Schreiben für ein (Familien-)
Aufstellungsseminar angekommen. Darin stand: „Es gibt nichts zu verzeihen, denn
Verzeihen setzt Schuld voraus.“ (7) Da hatte ich meinen eigenen, gerade
durchlaufenen Prozess nochmal auf den Punkt gebracht! Darauf war ich nicht
gekommen: Es gibt keine Schuld! - nicht mit Worten und auch nicht so klar in der
Erkenntnis. Aber als ich das las, habe ich es begriffen. Theoretisch „weiß“ ich das ja
schon lange: dass es keine Schuld gibt. Und ich habe es auch mehrfach selbst bei
Familienaufstellungen ganz deutlich empfunden und erlebt. Aber gestern Abend –
das war wie das Abfallen einer „Begriffshülle“. Ich hatte einen Begriff von etwas,
aber da war eine Hülle, Wand, Trennung, Barriere drum herum, ich hatte es noch
nicht be-griffen, den Begriff nicht in meinem Inneren verwandelt. Es gibt keine
Schuld. Wir sind alle unschuldig wie die Kinder, egal, welche Lebensgeschichte wir
haben, auch Adolf Hitler. Der konnte gar nicht anders. Und keiner muss einem
anderen etwas zuweisen. Alles, was wir wahrnehmen, ist in uns selbst.
Halleluja!
26
Etwas ganz Neues
Anfang September 2006 bekam ich, ein paar Tage früher als vereinbart, weil ich
Beschwerden hatte, einen Termin bei meiner neuen Gynäkologin. Eigentlich wollte ich
mir da die Pille oder ein anderes Verhütungsmittel verschreiben lassen. Als Erstes
gab ich eine Urinprobe ab. Dann kam ich dran und saß im Besprechungszimmer der
Ärztin, vor ihrem Schreibtisch. Sie kam herein, herein gerauscht, ohne den Kopf zu
heben, sah mich gar nicht an, stellte sich nicht vor, fragte nicht nach meinem Namen,
sondern nahm gleich ihre Zettel, die auf dem Tisch lagen, in die Hand und sagte: „Ja,
das ist also positiv.“ Obwohl ich wusste, was sie meinte, und obwohl etwas in mir auch
schon wusste, dass ich schwanger war, habe ich es doch im ersten Moment nicht
begriffen und diese offizielle Bestätigung war noch mal … - ja – wie? Paff! Da war
etwas passiert, was ich nicht für möglich gehalten hatte. Ich hatte es nicht für
möglich gehalten, in diesem Leben Mutter zu werden, schwanger zu werden, nicht
wirklich. Obwohl ich wusste, dass ich schwanger bin. Etwas in mir wusste es, aber
mein
Alltagsbewusstsein
oder
meine
Erfahrungen,
mein
Selbstbild,
mein
eingeschränktes, wollten es nicht glauben. Als sie das mit dem „positiv“ sagte, wurde
dieser Glaubenssatz –pong! – gesprengt und ich empfing das für mich völlig Neue
auch gedanklich, mit meinem Verstand.
Wir gingen in ein anderes Zimmer, ich legte mich auf eine Liege, sie gelte mir den
Bauch ein und fuhr mit ihrem Ultraschall-Dingens darauf herum. Auf dem Bildschirm
zeigte sie mir die Schwangerschaft. Ja! Da war was! Auf dem Bild, das sie
ausdruckte, konnte man schon Michels Rückgrat sehen. – Da wusste ich ja noch nicht,
dass es ein Michel wird. In den ersten Wochen der Schwangerschaft stellte ich mir
vor, es sei ein Mädchen. Aber schon beim zweiten Ultraschalltermin, das war in der
siebten Schwangerschaftswoche, sah ich ein Schnipselchen am Embryo, das
eindeutig wie ein Penis aussah. - Dann fragte sie mich, ob ich wisse, dass ich Myome
habe, Gewächse in der Gebärmutter. Es seien einige und sie seien recht groß und
deswegen sei es kein Wunder, dass ich Beschwerden habe. Ich sollte mich schonen,
hinlegen, nicht arbeiten gehen, sonst würde ich die Schwangerschaft gefährden. Das
Ultraschallgerät gab an, die Schwangerschaft befände sich in der fünften Woche
und errechnete auch gleich den wahrscheinlichen Geburtstermin: 2. Mai 2007. Ich
rechnete nach und kam bei aktuellem Datum minus fünf Wochen auf Ende Juli. Ich
hatte aber Anfang August zum letzen Mal meine Periode und wir hatten doch auch da
erst das erste Mal miteinander geschlafen. Da sollte es gleich passiert sein? Und
dann noch die Periode? Die Ärztin lies sich aber von der 5. Woche und der
Empfängnis Ende Juli nicht abbringen. Das weckte in mir den Gedanken, das Ganze
müsse etwas Besonderes sein: eine „unbefleckte Empfängnis“, so wie bei Maria mit
Jesus. „Es“ war einfach passiert, vom Himmel gefallen quasi, und damit es irdisch
angenommen werden konnte, trat Dirk zeitgleich auf den Plan. Ich meine das nicht
27
unbedingt wörtlich. Aber eigentlich doch. Michel ist ein Geschenk des Himmels. Und
Dirk genauso.
Aus der Praxis draußen, rief ich gleich Dirk an. Der wartete schon auf meinen Anruf.
Ich teilte ihm das Ergebnis mit und fuhr zu ihm. Auf der Fahrt weinte ich. All die
Fakten, all das Neue – ich war erschüttert und musste mir Luft machen, es fließen
lassen. Es waren Tränen der Ausdehnung. Aber es waren auch Tränen dabei, die
flossen wegen: „Wie soll das gehen? Nicht arbeiten? Mein neuer Job! Was werden
die im Kindergarten sagen? Woher soll dann mein Geld kommen?“
Als ich bei Dirk war und wir uns im Flur in den Armen lagen, sagte er als Erstes: „Die
Fische müssen weg.“ Er hatte einen Fischteich im Hof.
…-…-…Die Fische kamen dann auch weg. Zu gegebener Zeit. Die „wertvollen“ Koys gab er
einer Bekannten und die „gewöhnlichen“ Karpfen schwimmen jetzt in einem Teich,
zwei Kilometer weit weg von hier. Manchmal fahren wir zum Gassi-gehen hin.
Ich schlief eine Nacht über das Nicht-mehr-arbeiten-gehen-und-mich-hinlegen und
entschied mich, es zu tun. Ich redete mit dem Vorstand des Kindergartens. Der
erste Papa, dem ich sagte: „Ich muss Dir was sagen, ich bin schwanger und ich habe
Myome und soll mich hinlegen“, der antwortete mir freudestrahlend: „Herzlichen
Glückwunsch!“ Die anderen reagierten auch alle positiv und ich bin nun in diesem
Kindergarten in Elternzeit bis Michel 2 wird.
Im Fluss sein
Das Geld floss die ersten sechs Wochen, die ich zuhause blieb, wie gehabt und dann
in Form von Krankengeld. Dirk traf Vorbereitungen, um zu mir zu ziehen. Im Oktober
zog er um. Er ging zu der Zeit auch noch arbeiten, Kfz-Aufbereitung. Zum Winter
hin gab es da aber keine Arbeit mehr und er meldete sich arbeitslos. Wir warteten
ewig, über Monate, auf die Gewährung von Geld für ihn/uns vom Arbeitsamt und
lebten den ganzen Winter und halben Frühling über von meinem Krankengeld. Wir
dachten immer, es sei zu wenig (aber irgendwie reichte es doch) und wenn erst das
Arbeitslosengeld käme, die Nachzahlung, dann …! Wenige Wochen vor Michels
Geburt bekamen wir nach mehrmaligem Nachfragen den Bescheid, dass Dirks Antrag
abgelehnt sei, weil wir in eheähnlicher Gemeinschaft lebten und mein Krankengeld
28
für uns beide ausreiche. Wir fielen aus allen Wolken. Die Sachbearbeiterin
behauptete auch, sie hätte uns den Bescheid schon vor Wochen zugesandt. Wir
hatten aber nichts bekommen und lebten die ganze Zeit in der Hoffnung auf über
kurz oder lang kommendes Geld. Die Woche nach Michels Geburt, als wir aus dem
Krankenhaus nachhause fahren wollten, waren wir bis zum Anschlag im Soll und wir
liehen uns von meinen Eltern Geld, um 100,- € Leihgebühr für eine Milchpumpe zahlen
zu können, um Lebensmittel zu kaufen und das Auto zu tanken. Am 1. Mai war die
Auszahlung einer Lebensversicherung von mir fällig. Das waren knapp 4000,- €. Damit
füllten wir unser Konto, bezahlten die Schulden zurück und kauften uns eine
Gartenhütte, die im Sonderangebot war. In Erwartung der Nachzahlung vom
Arbeitsamt hatten wir uns in diesem Frühjahr auch schon einen ermäßigten Pavillon
geleistet, mit dem Dirk einen schönen Freisitz für uns gebaut hatte. So hatten wir
zwar sehr wenig Geld, aber uns flossen doch Reichtümer und Neuerungen zu. Zumal
Dirk
einen
enormen
Arbeitseifer
besitzt,
ausgesprochen
kreativ
ist
und
handwerklich ein Allroundtalent. Er hat hier losgelegt und innen und außen in so
kurzer Zeit soviel verändert, dass es mir hinterher leid tat, dass ich nicht von allen
erneuerten Ecken Vorher-Nachher-Fotos gemacht hatte.
Er renovierte auch Flur und Bad, mit enormem Aufriss – alles neu. Das sponserten
meine Eltern, denen das Haus, in dem wir wohnen, gehört, und ich übte mit meiner
Psychologin, das alles anzunehmen und die Haltung einzunehmen, dass mir das
zusteht. Ich ging zu ihr zu therapeutischen Sitzungen seit ich damals mit Ralf
zusammen war, weil ich in dieser Beziehung in vollem Ausmaß an meine Eifersuchtsund Minderwertigkeitsthemen und meine Verlassen-werden-Ängste gekommen war.
Ich beantragte die Therapie, als ich nach Vorkommnissen mit Ralf ein paar Nächte
lang nicht geschlafen hatte, mich einige Tage nur von Kaffee ernährte und innerlich
total am Rad drehte, völlig verzweifelt war und Qualen litt. Ich hatte ja schon
hilfreiche therapeutische Erfahrungen in meinem Trocken-werden-Prozess vom
Alkohol gemacht.
Im Februar begann Dirk damit, meine Speisekammer wegzuhauen und so den Flur zu
erweitern. Das Bad hängt gleich nebendran und auch da wurde alles herausgehauen,
bis auf die letzte Fliese. Flur und Bad lagen also in Schutt und Asche und über
Wochen war das eine Baustelle. Ich hatte einen riesengroßen Bauch und lag die
meiste Zeit im Bett, weil ich zu der Zeit enorme Beschwerden hatte. Zeitweise
konnte ich wegen Schmerzen gar nicht richtig laufen. Ende Januar verbrachte ich
deswegen auch eine Woche stationär in der Klinik. Im letzten Drittel der
Schwangerschaft wurde es aber besser. Das war für mich die entspannteste Zeit
der Schwangerschaft, da hatte ich nur noch Sodbrennen nachts.
29
Ich musste also den ganzen Umbruch einfach hinnehmen. Loslassen und geschehen
lassen, mich hingeben, liegenbleiben und die anderen machen lassen.
Ich sehe es auch als göttliche Fügung an, dass wir so lange nichts von dem
Ablehnungsbescheid wussten und im Glauben lebten, da käme bald eine ordentliche
Nachzahlung. Ich machte mir so schon Sorgen um unsere Finanzen, aber wenn ich das
mit der Ablehnung schon eher gewusst hätte, hätte ich mich noch viel mehr gegrämt.
Den Pavillon hätten wir mit Sicherheit nicht gekauft. So aber haben wir ihn und es
ist finanziell doch immer irgendwie gegangen. Unser Konto war zwar dauernd im Soll,
aber trotzdem floss der kosmische Fluss und brachte uns viel Neues. So ist es auch
mit Michel. Ich machte mir so schon manchmal Sorgen, ob auch alles gutgehen würde.
Eine Geburt stand mir bevor! Und es sollte ein geplanter Kaiserschnitt werden, weil
der natürliche Weg durch die Myome blockiert war. Die Wehen durften nicht
einsetzen, denn sonst bestand die Gefahr, dass meine Gebärmutter platzen könnte,
was bestimmt tödlich für das Kind und mit 80 %tiger Wahrscheinlichkeit auch für
mich enden könnte. So hatten es mir die Ärztinnen gesagt, meine Gynäkologin und die
Ultraschallerin in der Uniklinik. Mit dem Festlegen eines Geburtstermins tat ich mir
schwer, denn ich bin der Ansicht, jeder hat seine Zeit, zu der er auf die Erde kommt
(und geht), das entscheidet die Seele. Und da sollte ich eingreifen und bestimmen?!
Meinem Kind etwas aufzwingen? Heute bin ich im tiefen Vertrauen, dass das alles,
auch mit den scheinbaren äußeren Zwängen, genau richtig war. Michel ist zu seiner
Zeit auf die Erde gekommen. Das Ganze war von vorne bis hinten behütet und
beschützt, und ist es mit Sicherheit noch. Wenn ich gewusst hätte, dass Michel das
Down-Syndrom hat, dann hätte ich mir noch viel mehr Sorgen gemacht. Aber so kam
er raus und dann war es so. Da begannen die 7 heiligen Tage.
Michels Geburt
Am 20. April 2007, früh morgens, fuhren wir in die Uniklinik nach Gießen, um unser
Kind zur Welt zu bringen. Es war ein Freitag. Wir sollten gleich morgens
drankommen, aber als wir ankamen, war gerade ein Notfall im Geburts-OP. Ein Kind
war in der 25. Woche zur Welt gekommen und es dauerte ein paar Stunden, bis Kind
und Mutter versorgt und in Sicherheit gebracht waren.
Ich wurde derweil in Vorbereitung auf die OP gewässert. Stundenlang, den ganzen
Vormittag. Das heißt, mir wurde per Infusion (Salz-?)Wasser injiziert, ich weiß nicht
mehr warum, sie hatten es mir erklärt, damit ich die OP besser überstünde. Mir war
kalt deswegen. Ab und zu sah eine Hebamme nach mir. Eine Hebammen-Schülerin
30
rasierte mir irgendwann die Schamhaare weg und später kam der Anästhesist und
stellte sich vor. Das war ein lustiger Kerl, der selbst vor vier Monaten Vater
geworden war. „Vier Monate!“ dachte ich, „das Kind ist ja schon groß.“
Wir warteten.
Dann ging es los. Mittags gegen halb eins. Der Anästhesist hatte mir eine Kanüle
gelegt. Es kam noch eine Anästhesistin hinzu, die sich mir auch vorstellte. Sie
machte einen ganz toughen Eindruck, aber sie streichelte mir über‘s Gesicht, als ich
in den OP-Raum gefahren wurde. Dann kamen viele Menschen, Schwestern,
Hebammen und Schülerinnen, Lern-Ärzte, die zusahen oder auch selbst was an mir
ausprobieren durften und dann der Arzt, der mich operierte, der Michel auf die
Welt holen sollte. Alle trugen so grüne Käppchen, auch ich und Dirk hatten welche
auf. Der Oberarzt aber, der die OP machte, trug ein Piratenkopftuch! Und er sah
auch aus wie ein Pirat! Er war ein junger, dunkler, lockerer Typ, der aber gleichzeitig
auf mich sehr kompetent und vertrauenerweckend wirkte. Ich selbst konnte
überhaupt nichts mehr machen. Ich wurde rüber gehoben auf den OP-Tisch und ich
glaube, sogar festgeschnallt. Der Anästhesist und die Anästhesistin redeten die
ganze Zeit über mit mir, sie machten Späße und redeten auch Ernsthaftes. Ich
erzählte ihnen von dem Spaziergang damals mit Schröder, als mir so schlecht war,
und von dem meerestiefen Frieden, den ich empfunden hatte.
Ich spürte, dass an mir geschnitten, gezogen und gedrückt wurde, ohne Schmerz zu
empfinden. Ich hatte vollstes Vertrauen, zu allem und allen um mich herum. Ich war
mir gewiss, in allerbesten Händen zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass das lauter
menschliche Engel um mich herum waren. Und unsichtbare Engel waren auch im Raum.
Dirk sagte mir später, er habe während der OP unten beim Operateur gestanden,
der habe ihm meine Innereien gezeigt, Eierstöcke, die Myome und so. Und ich
dachte, er säße die ganze Zeit neben mir.
Dann war Michel draußen. Er schrie. Der Pirat sagte, dass es auch „ein Michel“ sei,
ein Junge. Sie hielten ihn kurz neben mich, dass ich ihn sehen konnte: ein kleiner,
blutverschmierter Mensch mit schwarzen Härchen am Körper. Aber schwupps – war
er weg, zur ersten Versorgung. Ich hörte ihn die ganze Zeit schreien. Das tat mir
leid. Der Pirat sagte, dass er nun meine Gebärmutter wieder gut zunähen würde,
damit Michel noch ein Geschwisterchen bekommen kann. Mir wurde schlecht. Das
sagte ich dem Anästhesisten und der träufelte mir etwas dagegen ein. Dann erschien
Dirk mit dem eingewickelten Michel auf dem Arm neben mir. Irgendwie sah Dirk
mitgenommen aus. Als ich fertig zugenäht war, wurde ich wieder in das Zimmer
gefahren, in dem wir den Vormittag gewartet hatten. Michel wurde mir wieder in den
31
Arm gelegt. Mir war so schlecht, dass ich Angst hatte, ich müsste brechen. Dann
erschien ein Arzt in rotem Kittel, der saß plötzlich am Fenster und erzählte was von
Verdacht auf Down-Syndrom und dass ein Bluttest veranlasst sei, um Gewissheit zu
erlangen. Ich dachte: „Was redet der? Mein Kind?“
Michel wurde in die Kinderklinik gebracht, weil irgendein Wert nicht gesättigt war.
Ich war nicht ganz bei mir, ein bisschen im Tran. Dirk fuhr irgendwann nachhause,
nachdem die Hebamme ein Polaroidbild von Michel gemacht hatte, für die daheim. Da
sah er doch ganz süß drauf aus! „Der wird das nicht haben“, dachte ich, „die irren
sich.“ Dann lies die Narkose nach und die Schmerzen begannen. Ich bekam
Schmerzmittel, die lullten mich noch mehr ein und ich döste vor mich hin, zwischen
den Welten.
Holy child
In der Nacht wurde Michel mir gebracht. Er war inzwischen wieder im Kinderzimmer
der Frauenklinik. Ich war in ein Dreibettzimmer zu zwei anderen Niedergekommenen
gelegt worden. Michel war aufgewacht und ich wollte ihn stillen. Das klappte nicht.
Die Frau, Schwester oder Hebamme, die ihn gebracht hatte, drückte an meiner
Brustwarze und wurschtelte mit Michel herum und ich konnte mich nicht richtig
bewegen, weil ich so arge Schmerzen nach dem Kaiserschnitt hatte. Die Situation
war sehr unbefriedigend. Wir hätten viel mehr Zeit und Zärtlichkeit gebraucht,
Michel und ich. Beides gewährte uns die Schwester nicht. Sie sagte, sie müsse
wieder zurück ins Kinderzimmer und würde ihm ein Fläschchen geben, weil er „doch
groß werden“ müsse. Ich wollte aufstehen und mitgehen und das Stillen dort
versuchen, aber das packte ich noch nicht. – Das mit dem Stillen hat nie wirklich
geklappt. Und es war ein solches Ideal von mir! Ich hatte zwar enormen
Milcheinschuss die beiden Tage nach der Geburt, mit dicker, heißer Brust, aber dann
kam nie viel Milch heraus. Ich versuchte, das mit Abpumpen in Gang zu bringen, weil
Michel beim Stillen manchmal gar nichts herauszog. (Er wurde vor und nach dem
Stillen auf’s Gramm gewogen.) Aber es ergab immer kaum mehr als 20 ml pro Brust.
Nachdem wir das dann auch zuhause ein paar Wochen lang praktiziert hatten: stillen
(der Versuch), Fläschchen geben, abpumpen, heulte ich mich darüber einmal bei
meiner Hebamme, die zu uns ins Haus kam, aus, auch über den miserablen Start in
dieser ersten Nacht und dass ich mich gegen diese raue Schwester nicht gewehrt
hatte. Aber nach einiger Zeit sah ich das Geschenk für mich auch in dieser
Gegebenheit, denn dadurch, dass ich nicht stillte, bekam ich Freiraum. Ich konnte
32
z.B. zu meinem monatlichen Tarot zu Uta fahren. - Und: Ich verzieh meiner Mutter,
die mir gesagt hatte, das mit dem Stillen habe nicht geklappt als ich ein Säugling
war. Vorher grollte ich ihr und unterstellte ihr innerlich, sie habe es nicht gewollt, es
mir aus Bequemlichkeit oder warum auch immer vorenthalten, und dann sagt sie mir,
es ging halt nicht, und ich stehe da, pang!, und kann nichts dagegen tun, keine
Zärtlichkeit einfordern, keinen Körperkontakt. Jetzt ging es bei mir auch nicht,
obwohl ich
es so sehr wollte. - Michel und ich sind Michel und ich, auch ohne
gelungenes Stillen. Unsere Beziehung hat Zärtlichkeit und Innigkeit. Ich meine
sogar, dass es genau so, wie es gewesen ist, ein größerer Segen ist, als wenn es
geklappt hätte, weil es in mir dieses Verzeihen meiner Mutter gegenüber bewirkt
hat. Michel hat heilende Kräfte, allein durch sein Da-Sein. Das habe ich in der
Auswirkung auf andere schon des Öfteren wahrgenommen, aber … anscheinend wirkt
es auch auf mich.
Ich habe überlegt, wie ich jetzt weiter schreiben soll, ob ich all das, was in der Klinik
war, akribisch aufschreiben soll. Ich habe meinen Artikel für die Zeitschrift zum
Down-Syndrom noch einmal gelesen. Der bringt alles so gut zum Ausdruck, mein
Empfinden und Erleben - ich füge ihn hier ein:
Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom
Er heißt Michel und wurde am 20. April 2007 geboren. Die Geburt war ein geplanter
Kaiserschnitt, weil ich Myome in der Gebärmutter hatte und der natürliche Weg nicht
frei war.
Wir wussten das vorher nicht, dass Michel das Down-Syndrom hat. Wir hatten keine
Fruchtwasser-Untersuchung machen lassen, denn wenn da „was festgestellt“ worden
wäre … man weiß doch nie, was das für ein Mensch ist, der da rauskommt, und ich
hätte mir/wir hätten uns dann nur ein paar Monate lang Sorgen gemacht. Um
ungelegte Eier quasi.
Die Geburt war – ich weiß nicht, wie ich das be-schreiben soll. So ganz neu, noch nie
da-gewesen. - Am Tag vorher war ich traurig, dass morgen die Schwangerschaft
zuende sein sollte. Und ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass das Kind
dann da wäre. (Michel ist mein erstes Kind und ich war 42 als er zur Welt kam.) - Und
33
es war dann so: Ich konnte gar nichts machen, war völlig ausgeliefert, musste mich
dem, was (mit mir) geschah einfach hingeben, vertrauen, den Geschehnissen, den
Menschen. - Und ich wurde getragen, gehalten. Alle waren sehr professionell und
jede/jeder auf seine ganz individuelle Art menschlich und klasse. Diese Geburt war
klasse! Für mich. Von außen betrachtet wahrscheinlich gar nichts Besonderes und
halt ein sehr irdischer Vorgang, noch dazu nicht besonderes natürlich. – Ich hatte die
Vorstellung, früher mal, falls ich je ein Kind gebären sollte, dann würde ich das in
einer roten Höhle, die man sich ja zu diesem Anlass hätte einrichten können mit
Tüchern und Decken, und bei Trommelmusik tun. – Und jetzt lag ich da in der UniKlinik (!! Noch nicht mal in einem Geburtshaus oder einer Hebammen-Praxis,
geschweige denn zuhause!), im gekachelten und gestählten OP-Raum (!! Noch nicht
mal in einem der hübschen Entbindungszimmer!) und Musik lief auch keine,
jedenfalls habe ich keine wahrgenommen, aber irgendwie, ich weiß auch nicht, war
nicht nur die irdische Ebene präsent, sondern das waren alles Engel in
Menschengestalt und ein paar unsichtbare Engel waren auch noch da. Das war nicht
rein irdisch. Oder vielleicht irdischer als sonst. Ich war so ganz tief drin, so verbunden
und doch so weit weg, so frei. Ich kann das nicht beschreiben, mir fehlen die Worte
dafür.
Schlecht war mir auf einmal auch, von der Spinal-Betäubung. Als sie mich zugenäht
hatten und ich Michel das erste Mal in den Arm gelegt bekam, hatte ich Angst, ich
müsste mich übergeben. Musste ich aber nicht. Und sie haben mir den Michel auch
nicht lange gelassen, sondern wieder weggenommen und irgendwas gesagt von
„muss in die Kinderklinik“, und irgendein Wert sei „nicht gesättigt“. Ich war nicht ganz
klar. Dirk saß neben mir, Michels Papa. Dann kam ein Kinderarzt ins Zimmer, in rotem
Kittel, der setzte sich ans Fenster und erzählte in etwas bemüht unbeschwertem
Tonfall und ein bisschen gezwungen heiter aufgesetzter Miene was von Verdacht auf
Down-Syndrom und es würde noch eine Blutuntersuchung gemacht, um
sicherzugehen. Ich sah vor meinem inneren Auge Gesichter von Menschen mit
Down-Syndrom, von „gesund, halt nur anders“ mit dem Gefühl: ‚Dieser Mensch ist
eine Bereicherung für seine Mitmenschen‘ bis „liegt im Spagat mit dem Oberkörper
flach auf dem Boden, rollt die Zunge im offenen Mund und kann auch sonst nichts“
mit einem beklemmenden Gefühl von Betroffenheit und Hilflosigkeit. Und ich dachte:
‚Was redet der da? Mein Kind?‘ und ich wollte es nicht wahrhaben.
Den Rest des Tages verbrachte ich“ im Tran“ und dann fingen auch die Schmerzen an,
als die Betäubung nachließ. Trotzdem war ich da schon in diesem „behüteten Space“,
der die ganze erste Woche von Michels Leben, die wir in der Klinik verbrachten, da
war.
34
Michel sah ich dann wieder in der Nacht als ihn mir eine Hebamme aus dem
Kinderzimmer brachte weil er aufgewacht war und Hunger hatte. Da hatte er die
Augen zu. Und den ganzen folgenden Tag machte er sie auch nicht auf, auch nicht,
wenn er wach war. Und ich dachte: ‚Ach, der wird das nicht haben. Die irren sich. Der
Befund der Blut-Untersuchung wird negativ sein.‘ Aber als er die Augen das erste Mal
aufmachte, da sah ich, dass er „es“ doch hat. Als ich mit Dirk telefonierte, sagte ich
ihm das. Dass Michel „das“ hat. Naja. Und dann hat er’s halt. Dirk wusste sowieso
nicht so recht, was das überhaupt ist. Ich selbst hatte schon Menschen mit DownSyndrom kennengelernt als ich im Rahmen meiner Erzieher-Ausbildung ein Praktikum
in einer Behinderten-Werkstatt gemacht hatte. (Wie es mir widerstrebt, dieses
„Behinderten“-Werkstatt zu schreiben. Heißt das eigentlich wirklich so oder führt es
eine andere Bezeichnung? ) Aber ich kannte nicht wirklich einen, bei uns im Ort oder
in der Umgebung, da war weit und breit keiner. O wei! Michel, mein Sohn – der
einzige Mensch mit Down-Syndrom weit und breit! Meine erste Angst war, dass
meine Nachbarn oder andere Rüpel zu Michel „Spast“ sagen könnten und zu
mir:„Selbst schuld! Bist schon so alt!“ – Diese Angst ist übrigens völlig verschwunden
und sollte wirklich mal einer sowas sagen, würde ich ihm für den „Spast“ eine
scheuern, denke ich im Moment, und dem „selbst schuld, weil zu alt“ gar keine
Beachtung schenken. - Als Nächstes überlegte ich mir, was ich geantwortet hätte,
wenn ich vorher, vom Himmel oder so, gefragt worden wäre, ob ich ein Kind mit
Down-Syndrom nehmen würde oder gar will. Und ich erkannte, dass ich mich nicht
getraut hätte, „Ja“ zu sagen, eben weil ich mich nicht getraut hätte, so aus dem
Rahmen zu fallen, aber jetzt, wo ich’s hatte, da fühlte ich mich zutiefst geehrt und
auf’s wunderbarste beschenkt. Dieses Empfinden keimte da schon mit Macht in mir
auf. Da ahnte und wusste ich schon, dass das mit Michel nichts Schlimmes ist,
sondern eher so eine Art Zugabe. Halt ein Chromosom mehr in jeder seiner
Abermillionen Zellen.
Aber zwei, drei Tage, um den Sachverhalt wirklich vollkommen anzunehmen, habe ich
schon gebraucht. Ich habe nicht wirklich dagegen angekämpft. Ich habe nicht
gedacht: ‚Warum ich/warum wir? Kann er nicht einfach „normal“ sein?‘ - Irgendwie
hat mein tiefstes Inneres sich da schon hüpfend gefreut über dieses ganz besondere
Geschenk. - Im ersten Moment wollte ich es nicht wahrhaben, wie gesagt, aber eher
mit der Intention, dass ich nicht (schon wieder, oder vielleicht eher: so offensichtlich)
anders sein wollte als die anderen, dass ich meinte, mich das nicht zu trauen, dachte,
ich hätte nicht den Mut dazu. Aber ich bin ganz schnell und sanft dahin gekommen,
zu empfinden, dass es gar keinen Mut braucht, dass es einfach selbstverständlich so
ist, dass es nur Annahme braucht und dass es eine – am liebsten würde ich jetzt
schreiben: gewaltige – eine große Ehre und das allerschönste Geschenk ist, das mein
Leben mir gemacht hat, bis jetzt, Michels Mama zu sein.
35
Das mit dem „einen Chromosom mehr in jeder seiner Abermillionen Zellen“ ist
übrigens eine Aussage von Conny Rapp in ihrem Foto-Buch „Außergewöhnlich“ (8).
Das hatten sie in der Klinik im Schwesternzimmer und gaben es mir zur ersten Info.
Ich glaube, dieses Buch hat mir auch gleich geholfen, das Ganze sanft anzunehmen,
(Hirn-)Gespinste zu neutralisieren, gar nicht erst aufkommen zu lassen, einfach durch
die Bilder und durch die wenigen Texte. Für mich war das gerade das Richtige für eine
erste Info. Für mich war an diesen ersten Tagen in der Klinik sowieso alles „irgendwie
genau richtig“. Ich habe mich so beschützt und geführt gefühlt.
Am dritten oder vierten Tag, als das positive Ergebnis des Bluttestes dann auch
vorlag, gab uns der „Kinderarzt im roten Kittel“ ein Informationsgespräch über das
Down-Syndrom. Das war auch klasse! Wie soll ich das sagen? Die Menschen waren
alle so wunderbar, so bemüht um uns und um Michel. So voller Liebe. Die haben ihn
auch einfach gleich (an)genommen, wie er war, und vielleicht uns zwei, Vater und
Mutter, erstmal etwas beäugt, wie wir das Ganze aufnehmen und damit umgehen.
Dr. Raab (im roten Kittel) sagte in diesem Gespräch auch, dass viele Eltern, die ein
Kind mit Down-Syndrom bekommen, erstmal eine ganze Woche lang weinen.
Geweint hatte ich auch, aber die ersten Tränen, wegen des erkannten DownSyndroms, das waren irgendwie so Unsicherheitstränen, im Sinne von: in so einer
Situation muss man weinen, und die nächsten Tränen, die ich wegen Michels DownSyndrom vergoss, die waren, weil ich so berührt war von Texten aus Conny Rapps
Buch, als sie das schreibt mit den Schutzengeln und die Geschichte von „Holland statt
Italien“.
Es war heilig, was geschehen ist. Die ganze Zeit in der Klinik habe ich das so
empfunden. Und als wir nachhause kamen, war der Raps hinter unserem Hof ganz
hochgewachsen und blühte üppig. Wir saßen auf der Bank in der Sonne und auch
hier fühlte ich, dass das alles genauso sein soll (!!!!), dass das höhere Fügung ist, ein
Geschenk des Himmels, dass wir beschützt und geführt sind. Die Amseln in unserem
Garten hatten auch Junge bekommen. Schröder, unser Hund, hat mal kurz über
Michel drüber geschnuppert und war dann gar nicht weiter an ihm interessiert. Das
hat gut geklappt mit Michel und Schröder, denn ich dachte vorher, vielleicht könnte
es da Schwierigkeiten geben, weil Schröder solange als Hund ohne Kind war. Auch die
Katzen haben sich prima in die neue Situation eingefunden, die durften nämlich mit
Michels Ankunft nicht mehr überall auf den Sesseln und dem Sofa liegen, sondern
nur noch im Flur. Und das haben sie ohne großes Aufhebens getan.
Meine Eltern, Michels Oma und Opa, waren wohl zuerst etwas betroffen. (Sie selbst
haben, als ich sieben Jahre alt war, ein Kind verloren, von dem es hieß, es wäre
„behindert“ gewesen. Es starb einen Tag nach seiner Geburt. ) Michels andere Oma
wohnt in Wuppertal, die ist etwas weiter weg und konnte nicht in die Klinik kommen.
36
(Wir leben in Hessen in der Wetterau und die Klinik war die Uni-Klinik in Gießen.) Die
hat auch die ersten Tage über „dieses Schicksal“ geweint. Auch sie hat eine
Vorgeschichte: Ihre Schwester hatte ein Kind mit Down-Syndrom, ein kleines
Mädchen, das nach fünf Monaten starb. … Jetzt lieben sie den Michel alle heiß und
innig und sein Down-Syndrom ist kaum Thema. – Ich habe nur positive Erfahrungen
gemacht. Mir fällt kein einziger ein, der komisch geschaut oder eine blöde
Bemerkung gemacht hätte wegen Michel. Ich selbst bin noch am … ausprobieren, wie
ich damit umgehe. Am Anfang habe ich immer gleich gesagt:“Er hat das DownSyndrom.“ Weil ich nicht wollte, dass jemand denkt, ich wolle das verheimlichen.
Dann habe ich gemerkt, dass ich diese Erklärung gar nicht immer geben will. Michel
ist Michel. Und dieses „Er hat das Down-Syndrom“ erzeugt meines Empfindens nach
manchmal so viele Konstrukte, Vorstellungen, (Hirn-) Gespinste, die uns unserer
Freiheit berauben. Der Freiheit, so zu sein, der Freiheit, einfach einander zu
begegnen, ohne vorgefasste Meinungen. – Aber: ist das nicht, auch wenn jemand
kein Down-Syndrom hat, auch so? … Hm? …
Mir begegnen z.Zt. „an jeder Ecke“ Menschen, die mir von den Besonderheiten ihrer
Kinder erzählen: Der eine hat mit über einem Jahr noch keine Zähne, die andere rollt
sich nur über den Boden und will mit 15 Monaten noch nicht krabbeln und der
nächste hat mit drei Jahren nur „Gäng-gäng“ gesagt – später in der Schule war er in
Deutsch der Beste. Mir erzählt also gerade jeder, wie groß die Vielfalt menschlicher
Entwicklung und menschlichen Ausdruckes ist, unabhängig davon, ob da eine
genetische Veränderung diagnostiziert ist oder nicht. Auch die Unsicherheiten, die ich
habe, z.B. ob ich auf mein Gefühl hören soll oder auf den Rat des Kinderarztes, der
etwas anderes sagt, hat nichts mit Michels Down-Syndrom zu tun. Das haben Mütter
„normaler“ Kinder auch. … - … - … Uns fehlen so viele Begriffe! Bzw. wir haben so
viele Begriffe, die uns so sehr einschränken!!! Richtig schlimm ist das!! „Normal“,
„behindert“ … und überhaupt die Vorstellungen, wie was zu sein hat. Damit
schneiden wir uns vom Leben ab. Von der Liebe, von der Freiheit, von der Lust am
Leben, vom tiefen, tiefen Frieden.
Ich bin so dankbar für den Michel! Was durch ihn alles neu wird! Neu, noch nie
dagewesen und so wunderbar! Allein, dass ich jetzt hier sitze und diesen Artikel
geschrieben habe für die Zeitschrift KIDS, ob er nun gedruckt wird oder nicht, setzt in
mir Prozesse in Gang und öffnet bisher Verschlossenes in mir was mich glücklich und
frei macht. Und das wünsche ich auch meinem Kind: Ein glückliches und freies Leben!
Und uns allen!
37
Freiheit / 4. August 2008
Gestern Abend war ein „Polizeiruf“-Krimi im Fernsehen in dem eine junge Frau mit
Down-Syndrom eine Hauptrolle spielte. Der Kriminalfall im Film kam gar nicht so sehr
zum Tragen, viel mehr Raum nahmen die Geschichten der Beziehungen der Menschen
ein, der „behinderten“ und „nichtbehinderten“. Wie der einarmige Kommissar Tauber
und Rosi mit dem Down-Syndrom in Beziehung treten z.B. Eine andere Szene zeigte,
wie Rosi mit ihrem ebenfalls behinderten Freund intim wird. Ich fand diesen Film voll
gut! Ich finde es gut, wie „behinderte“ Menschen so neu integriert werden. Früher
war das anders. Dieser Film war irgendwie „normal“, ohne Klischees, nicht
dramatisierend und nicht beschönigend. Rosi war schwanger. Ihre Mutter war die
Leiche im Film. Und ihr Vater, mit seiner neuen Frau, war mit Rosis Baby überfordert
und lies es ihr abtreiben. Das war traurig. Aber das Ende des Films war auch
irgendwie so gestaltet, dass man sich den Ausgang eigentlich selbst aussuchen kann.
Ist das Kind nun abgetrieben oder nicht? Etwa so, wie der Film „Lola rennt“. Es gibt
immer mehrere Möglichkeiten. Man hat die Wahl.
Immer im Leben hat man die Wahl. Auch wenn man meint, dass das nicht so sei und
man stünde mit dem Rücken zur Wand. Vielleicht machen sich gerade jetzt, in dieser
Zeit mit ihren hohen Öl- und Lebensmittelpreisen, Arbeitslosigkeit, Zusammenbruch
des Finanzsystems und was-noch-alles viele Menschen große Sorgen – aber haben sie
das nicht schon immer getan? Macht man sich nicht immer mal irgendwelche Sorgen?
Wenn man genauso gut Frieden wählen kann!? „Ich wähle Frieden und lege meine
Zukunft in Gottes Hände.“ (Das ist aus „Ein Kurs in Wundern“.) Und sowieso ist „die
Zukunft“ gar nicht da, sondern nur das Jetzt.
Gestern waren wir mit Freunden Eis-essen. Da drehte sich die Unterhaltung auch
sehr um diese Themen des Mangels: schlechte Arbeitsbedingungen oder keine
Arbeit, wer welche Krankheit hat, leere Geschäfte in der Innenstadt … ich mag mich
da jetzt nicht so hinein vertiefen. – Früher habe ich immer dagegen angekämpft:
„Ja, aber … man kann das doch auch so und so sehen.“ (Leere Geschäfte z.B. sind
potentieller Raum für Neues.) Das hat die Fronten stets noch mehr verhärtet und
ich wurde oft angegriffen. Jetzt kämpfe ich nicht mehr gegen die Klagen an, auch
nicht innerlich. Ich lass‘ die Leute reden und bringe ab und zu meins an. Damit geht’s
mir besser und wir sind alle mehr im Fluss. Ein paar meiner alten Freundschaften
sind dadurch auf der Strecke geblieben. Ich konnte das Gejammer nicht mehr hören.
Ich habe das Sich-beklagen nicht mehr ertragen und das ewige Festhalten an
Geschehnissen von vorvorgestern, an Ex-Männern („Das kannst Du nicht verstehen,
Du warst mit Deinem Ex nicht so lange zusammen.“) oder schlimmen Begebenheiten
aus der Kindheit. Auch das kann man ändern!!! Ich habe selbst die ersten acht
Wochen meines Lebens in einem Gitterbett in der Kinderklinik verbracht und dachte
38
jahrelang, dass ich dadurch und wegen des Weitergangs meiner Lebensgeschichte
unheilbar traumatisiert sei. Das war ich wahrscheinlich auch, schwer traumatisiert.
Aber nicht unheilbar. Das erste Mal, dass ich einen Eindruck von Heilung-ist-möglich
bekam,
war
während
einer
Gruppentherapiestunde
in
der
Klinik
der
„Trinkerheilanstalt“. Als ich trocken wurde, war ich 9 ½ Wochen stationär in
Therapie.
Diese
Gruppentherapie
damals
trug
den
Titel
„Zärtlichkeit
und
Meditation“, wenn ich mich recht erinnere. Bis dahin waren diese ersten acht
Wochen meines Lebens und die fehlende Zärtlichkeit in meiner Familie, die ich stets
als körperliches Kältegefühl wahrnahm, für mich wie ein schwarzes Loch. Ein
schwarzes, bodenloses Loch, kalt und mit nichts zu füllen. In einer dieser
„Zärtlichkeit und Meditation“s-Stunden hatte ich in der Meditation die Empfindung
eines Sonnenaufgangs von meinen Füßen her. (Bis dahin hatte ich immer kalte Füße.
Heute ist das nicht mehr so.) Ein orangefarbener Sonnenaufgang, der Wärme
brachte. Er ist zu mir gekommen, aus mir heraus aufgestiegen. Aus meinen Tiefen.
Oder aus einer größeren Tiefe, mit der ich verbunden bin und die ich letztendlich
auch bin. Gott. Vater-Mutter-Kind-Tiere-Pflanzen-Steine-Alles-Gott-Göttin.
Also Leute! Haltet inne, gesteht Euch Eure schwarzen Löcher ein und vertraut Eurem
Leben. Vertraut Euren Prozessen. Sie bringen Euch zu Gott. Sie bringen Euch
nachhause. Direkt ins Paradies. Über kurz oder lang. Ich glaube eher, ziemlich rasch.
Wir haben Cauac 3 laut Maya-Kalender, das Jahr des blauen, elektrischen Sturms,
26. Juli 2008 bis 24. Juli 2009. Der wird uns ordentlich aufwirbeln, dieser blaue
Sturm, und uns in unser Licht bringen! Er kommt, uns zu dienen, der Ton 3, und da
kann keiner mehr festhalten. Wind of change! Geht in den inneren Frieden und legt
Eure Zukunft in Gottes Hände. Auch wenn oder gerade weil! Ihr dieser Gott selbst
seid. Wir werden uns alle das Beste und Schönste selbst schenken, ganz bestimmt!
Wie sollte jemand etwas anderes wollen? Was willst Du? Was willst Du? Was will
ich? Nicht: Was will ich nicht? Sondern: Was will ich?
Ich will z.B. all die Unterstützung annehmen, die an jeder Ecke die Arme für mich
ausbreitet, um den Bogen zum Anfang dieses Kapitels zu schlagen, denn ich wollte
darüber schreiben, was mich in Bezug auf Michels Down-Syndrom vom letzen Rest
Beklemmung befreite. Davon war nämlich noch etwas in mir, die ersten Monate von
Michels Leben. Vielleicht resultierte das aus einer Ungewohntheit und Unsicherheit
im Umgang mit „Behinderung“, Anderssein, obwohl Michel von Anfang an „normal“ für
mich war, selbstverständlich. Aber mir war früher selbst mulmig im Umgang mit
„Behinderten“. (Ich frage mich immer, wer eigentlich mehr „behindert“ ist, die
„Behinderten“ oder die „Normalen“.) Ich war unsicher, wie ich mit ihnen umgehen
sollte. Aber das war ich mit anderen, „normalen“ Menschen auch. Ja. Wie auch
immer. Jedenfalls hatte ich noch, wenn auch geringe, Beklemmungen, ich war noch
nicht völlig frei mit Michels Down-Syndrom. Uta, meine Tarotlehrerin, hatte mich
39
auf ein Buch aufmerksam gemacht: „Das Leben ist schön“ von Simone FürnschußHofer (9). Das wünschte ich mir zu meinem Geburtstag Ende Januar und bekam es
geschenkt. In diesem Buch werden neun österreichische Familien mit Kindern mit
Down-Syndrom porträtiert. Die Kinder sind von ganz klein bis ca. 30 Jahre alt.
Dieses Buch stellt die Andersartigkeit so „normal“ dar – mir fehlen wieder die Worte
–
so
nichts-beurteilend,
nicht-bewertend,
nicht
dramatisierend
und
nicht
beschönigend, einfach so, wie es ist. Für mich war das der letzte Akt der Befreiung
in Sachen „Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom“. Und es geht ja nicht nur um die
Andersartigkeit, sondern
um die
Andersartigkeit im
Miteinander mit dem
Gewohnten. Das ist es doch! Das waren meine Ängste. Wird Michel angenommen, so,
wie er ist, oder wird er verspottet, bekämpft, wird ihm Leid zugefügt, wird er nicht
ernst genommen? Und jetzt beißt sich die Katze in den Schwanz, denn nun kann ich
mich sorgen, mich gedanklich festbeißen, kann mir Kopf-Kino machen, oder ich bleibe
bei dem, was mein Leben mir zeigt: Michel wird mit Freuden angenommen. Die
Menschen begegnen ihm freundlich, unvoreingenommen und interessiert. Ja, die
ersten Monate seines Lebens hat er überall, wohin ich ihn mitnahm, wahre Wogen
des Entzückens ausgelöst: „Ach, ist der süß!!“ Das sagten schon die HebammenSchülerinnen in der Uni-Klinik: „Der kleine Michel ist so süß!“ Für mich war er sowieso
das schönste Baby! Am Anfang dachte ich, die Leute sagen das einfach so und bei
jedem Kind, aber mit der Zeit glaubte ich ihnen, dass sie es ernst meinten. Manche
Menschen scheinen irgendwie magisch zu Michel hingezogen zu werden. Er hat
heilende Kräfte. Allein durch seine Ausstrahlung.
Rapper-Space
Als wir aus unseren Ferien nachhause kamen, schrieb ich ein Kapitel, das ich am
nächsten Tag wieder rausschmiss, weil ich das Gefühl hatte, dass mich die
Beschäftigung mit seinem Inhalt eher beschwert als erleichtert. Hier ist es:
25. Juli 2008
Grüner Tag zwischen den Maya-Jahren Ix 2 und Cauac 3.
Heute vor zwei Jahren waren Dirk und ich zum Mittagessen bei meinem Onkel. Ich
hatte meinen letzten Arbeitstag im Kindergarten in Stammheim. An Michel hat noch
keiner gedacht.
40
Reinigung. Ich habe das Bedürfnis nach Reinigung, innerer Reinigung, Befreiung,
Ausmisten, mich von Ballast zu er-lösen, altem, globalem, was gar nicht meins ist,
aber an mir hängt. Warum hängt das an mir? Warum beschäftige ich mich damit?
Freiraum schaffen! Mich von dem lösen, was gar nicht meins ist, verdammt noch mal!
Was habe ich damit zu tun? Telefonsex, tote jüdische Kinder, Völkermord, RapperSpace.
Vielleicht irre ich gerade im Wald umher. ? … ? … - … - …
Ich habe mir in unseren Ferien in Regensburg ein Buch gekauft: „Lipshitz“ von T
Cooper (10) und in den vergangenen paar Tagen das Meiste davon gelesen; irgendwie
hat es mich gefesselt. Es ist die Geschichte einer jüdischen Familie, die in Folge
eines Massakers Anfang des 20. Jahrhunderts von Russland nach Amerika
auswandert. In jeder Generation verliert die Familie Kinder. Das erste wird während
des Pogroms in Russland umgebracht, das nächste verschwindet im Getümmel beim
Verlassen des Schiffes in New York, einer stirbt im Krieg, ein anderes ist auf einmal
einfach tot, das wird nicht weiter erläutert, und zum Schluss schließt sich der Kreis,
indem die Eltern des Autors, letzter Spross der Familie, in ähnlicher äußerer
Szenerie bei einem Autounfall ums Leben kommen wie das ermordete Mädchen in
Russland am Anfang der Geschichte. Dann macht das Buch einen Sprung und der
Autor landet von der Erzählung der Familiengeschichte, die von 1905 bis 1942 ging,
bei sich in der Jetztzeit. Da habe ich nach drei Kapiteln aufgehört zu lesen. Das ist
mir zu brutal. Er ist Rapper-DJ und zitiert Eminem, der „Frauen, Mädchen und
Schlampen am meisten hasst“. Das, was ich bisher in diesem zweiten Buchteil gelesen
habe, ist genau die Art von menschlicher Energie, die damals, 1905 in Kischinjow das
elfjährige Mädchen umgebracht hat - junge, männliche Energie, der jegliche
Ehrfurcht oder Wertschätzung abgeht. – Soll ich das Buch bis zum Ende lesen?
Entdecke ich dann was oder tue ich mir damit eher etwas an? – Dieser T ist Opfer
und Täter in einem. Er hat das Blut des ermordeten Mädchens in sich und die Energie
ihrer Mörder. Damit schließt sich der Kreis auch wieder. Das geht immer rundherum,
rundherum. Und genau das will ich verlassen, diese Spielebene, Täter und Opfer will
ich nicht mehr spielen.
Gestern habe ich ein paar anzügliche sms geschickt bekommen. Ob ich ein paar
„geile“ Bilder haben möchte, in der Art. Ich habe nicht auf meine innere Stimme
gehört, die leise, aber deutlich sagte, ich solle nicht darauf reagieren, sondern auf
meinen Alltagsverstand, der gleich nach der leisen Stimme lauter als diese sagte:
„Vielleicht hat dir jemand ein Foto geschickt“, denn in der ersten sms hieß es nur, ein
Telegramm und ein Bild seien für mich hinterlegt worden, das Anzügliche kam erst,
als ich auf diese erste sms geantwortet hatte. Jedenfalls ging das Gesimse dann
einige Male hin und her und ich habe insgesamt 4 sms zurückgeschickt: Ich möchte in
41
Ruhe gelassen werden; was mich jetzt wahrscheinlich gut 8,- € gekostet hat, denn
irgendwann kam die Nachricht: Willkommen im Chat: 1,99 €/sms zzgl. normaler
Gebühren. Als dann noch eine sms kam, ob ich ein erotisches Foto von ich-weiß-nichtwem haben wolle, habe ich bei unserer städtischen Polizeistation angerufen und
gefragt, was ich tun könnte. Da war ein ganz Gemütlicher am Telefon. Der sagte
erstmal gar nichts. Dann erzählte er mir auf oberhessisch, er habe auch schon mal so
ähnliche sms bekommen, da habe aber jemand geschrieben, er/sie würde ihn gerne
kennenlernen. Seine Frau habe das gelesen, da sei aber was los gewesen! Er habe das
dann ignoriert, die sms, und ich solle es doch auch so machen. Falls noch was käme, an
Kosten, außer diesen acht Euro, könnte man immer noch dagegen vorgehen. – Das war
ein angenehmes und lustiges Telefongespräch!! Das war das Ganze dann schon wieder
wert. – Jedenfalls macht es keinen Sinn, auf diese sms zu antworten. Das ist auch
nur Ping-pong-spielen und kostet mich noch dazu unangemessen viel Geld. Loslassen
also. Ignorieren. Auch, wenn es lästig ist. Aber mich darauf einzulassen und mich
damit auseinander zu setzen fesselt mich auch nur daran. – Ist das mit meinem
Männerthema auch so? Löst sich das auch von selbst? Habe ich das nur, weil ich
glaube, dass ich es habe? – Ich lasse das Ganze sich einfach entwickeln und
beobachte die Entwicklung. Wenn ich mich zu sehr damit beschäftige, verhaspele ich
mich vielleicht in etwas, was gar nicht ist.
Da ist noch eine Begebenheit, von der ich mich reinigen will: Die paar Tage, die wir
letzte Woche weg waren, verbrachten wir bei Michels Patenonkel in Bayern. An
einem Tag wollten wir auf der Donau Schiff fahren. Als wir aus dem Auto stiegen,
nieselte es und Dirk machte ein missmutiges Gesicht und brummelte was von „wenn
Michel krank wird“. Daraufhin reagierte Onkel Rainer sauer und raunzte, er habe
jetzt keine Lust mehr und wir könnten ja auch wieder heimfahren. Am vorigen Tag
sei es auch nicht okay gewesen, was wir gemacht hätten. Wir waren in Regensburg im
Donau-Einkaufszentrum bummeln, wegen des unbeständigen Wetters unter Dach.
Auf der Heimfahrt kamen wir durch Burglengenfeld. Dirk fragte, ob es da auch
wirklich eine Burg gäbe und als Rainer bejahte, sagte Dirk, im Spaß, aber irgendwie
auch ernst gemeint: „Da fährt er mit uns in ein Einkaufszentrum und hier gibt es
eine Burg!“ Dirk geht nicht gerne bummeln, das weiß ich, davon hat man aber im
Donau-Einkaufszentrum nichts gemerkt, meine ich. Rainer kommt, glaube ich, weniger
auf die Idee, eine Burg zu besichtigen, in einen Tierpark zu fahren oder so etwas in
der Art. Er ist eher geistig orientiert: lesen, im Bücherladen stöbern, ins Theater
gehen und so. Am Morgen hatte Rainer mir gesagt, sein Vater sei heute völlig
überfordert, weil er über’s Wochenende wegfahre, mit dem Packen und dem
Außergewöhnlichen. Hinterher, nach dieser kleinen Eskalation auf dem Parkplatz,
dachte ich mir, er hat damit vielleicht auch (unbewusst) eine Botschaft von sich
selbst gegeben. Dass es anstrengend ist, sich um uns, seinen Besuch, zu kümmern und
er vielleicht lieber ein bisschen Ruhe hätte. Und Dirk und mir hätte an diesem
42
Morgen eine Stunde Zweisamkeit auch noch gut getan, aber wir hatten ja was vor. So
hat einer seinen Unwillen auf den anderen übertragen, projiziert, oder auf’s Wetter,
und dem Vorwürfe gemacht, anstatt vorher die eigene Befindlichkeit wahrzunehmen,
ernst zu nehmen und mitzuteilen, was man will bzw. was man nicht will. Vielleicht
hätte jedem eine Auszeit gut getan, zuhause bleiben, schlafen, lesen, ausruhen,
reden. Stattdessen haben wir „den anderen zuliebe“ zusammen etwas unternommen.
So ungefähr war das. Und so ist es manchmal. Und das ist nicht gut! Ich habe die
Erfahrung gemacht, dass, wenn man sagt, was man möchte, auch, wenn man denkt,
dem anderen käme das ungelegen, sich gerade dadurch eine Situation ergeben kann,
die den anderen auch bereichert, ihm einen Freiraum schenkt. Und dass es zu nichts
Gutem führt, wenn man entgegen dem handelt, was man für sich selbst gerade
braucht.
Ich sah Rainer erstmal nur groß an, als er da auf dem Parkplatz zu schimpfen anfing,
weil ich auch nicht sofort checkte, was eigentlich los war, und reagierte gar nicht.
Dirk blieb auch sehr ruhig. (Vorgehaltene Hand: Das hat mich gewundert, weil bei uns
beiden manchmal aus solch einem Anlass die Fetzen fliegen.) Rainer beruhigte sich
etwas und wir fuhren dann doch mit dem Schiff zum Kloster Weltenburg und es war
auch sehr schön. Ich fand’s schön. Zu Anfang auf dem Schiff fühlte ich mich
allerdings noch beklommen und überlegte, ob ich zu dem Thema noch etwas sagen
sollte, weil die beiden Männer eine Zeit lang beharrlich schwiegen. Ob ich fragen
sollte, ob es noch was zu klären gäbe. Dann dachte ich aber, das lasse ich jetzt bei
den beiden, das liegt nicht in meiner Verantwortung.
Irgendetwas haben die beiden miteinander gehabt in diesen Tagen, irgendwas hat
einer dem anderen gespiegelt. Und vielleicht hätten wir einen Tag einfach mal nichts
machen sollen. Ich glaube, wir hatten alle das Bedürfnis nach Ruhe und sind das
einfach übergangen. Über uns selbst weggegangen und dann waren wir sauer auf den
anderen. Oder auf’s Wetter.
Ich habe Dirk in dieser Situation bewundert, empfand ihn als ein Meer an Ruhe und
Weisheit. Bei mir ist er manchmal so aufbrausend und stur. Aber das ist, weil ich ihn
meistens so antreffe, wie ich zu ihm komme, wenn ich stur bin, ist er auch stur.
Heute ist der grüne Tag im Mayakalender, der Tag außerhalb der Zeit, an dem man
darauf achten kann, was geschieht, als Vorausblick auf das neue Jahr. Ich habe
heute viele Leute getroffen, die ich kenne, von irgendwoher aus meinem Leben, aus
den verschiedensten Konstellationen. Das erdet mich. Ich weiß: Ich bin am rechten
Platz. Hier ist meine Heimat. Ohne mich daran zu binden. Das ist schön. Es ist
wirklich so: Durch die Menschen, die ich heute getroffen habe, das, was wir
miteinander geredet haben … ich fühle mich hier, wo ich lebe, eingebunden,
43
verbunden, aber nicht ge-bunden. Ich fühle mich hier richtig wohl! Ich bin sehr gern
hier.
Besuch hatten wir heute auch: eine Freundin und ihr Mann. Ich hatte ein bisschen
Angst vor schweren Themen, Opfer-Themen: gequälte Tiere, teurer Sprit, Probleme
an der Arbeit. Bei früheren Treffen habe ich oft unter der Übermacht solcher
Gesprächsthemen gelitten. Heute waren sie auch präsent, aber ich bin nicht darauf
eingegangen und – noch wichtiger! – ich habe nicht dagegen angekämpft, auch nicht
innerlich. Ich habe sie einfach reden lassen und versucht, nicht zu leiden - und das
hat geklappt, fällt mir gerade auf. Es war dann auch noch ein richtig schöner
Nachmittag, leicht, lustig und geerdet. So war es heute irgendwie: geerdet. Und den
ganzen Ballast, der mir hin und wieder noch Kopfschmerzen macht, schieße ich mit
Cauac, dem blauen Sturm, in den Wind! Auf Nimmerwiedersehen! Morgen beginnt das
neue Maya-Jahr: Cauac 3, Cauac, die Kraft der Selbst-Erneuerung, der intensiven
Gefühle, der Neu-Strukturierung und der Ton 3, der elektrische Ton des Dienens:
der eigene Rhythmus, Handeln, Kreativität, Tatendrang.
Na dann: Cauac komm, um mir zu dienen! Uns zu dienen!
Dieses Kapitel war also aus den oben genannten Gründen rausgeflogen. Ich wollte
auch nicht wieder über andere schreiben/reden. Aber wie soll ich veranschaulichen,
wie’s mir geht, welche Gegebenheiten in mir welche Prozesse bewirken? Also, Ihr
Lieben, die ich Euch aufgeführt habe, seid bitte nicht sauer. Ich danke Euch, dass
Ihr mir als Spiegel und Lernhilfe dient! Die Situation mit Rainer war die bereits
Erwähnte, in der ich meinen Ärger heruntergeschluckt hatte. Es war beides in dieser
Situation: Ich war ruhig und gelassen und musste deshalb nicht reagieren, es war
aber auch so, dass ich mich angegriffen fühlte, es schluckte und mich nicht traute,
meine eigene Wut an den Mann zu bringen. Dabei hätte es vielleicht gar nicht viel
gebraucht. Obwohl das mit dem Runterschlucken-meiner-Wut für mich ein Thema
darstellt, ist, wie ich vermute, meine Angst hinzusehen und meine Un-Bewusstheit
der weitaus größte Teil, der mich dabei belastet, deshalb scheint mir ein Gang in das
Dunkel meines Waldes angebracht, um Licht ins Dunkel zu bringen. Oder um es zu
beleuchten und dann wieder in seiner Dunkelheit zu lassen, wenn es das so will.
Jedenfalls: meine Angst beleuchten, um sie zu erlösen, denn da hält mich etwas
gefangen und unfrei.
44
„Meine Wut an den Mann bringen.“ Oder auch an die Frau. Das habe ich mich noch
nie getraut. Ja, ich gestehe mir meine Wut überhaupt nicht zu. Ich analysiere sie,
glaube ich, lieber eher weg. Ich habe sie immer runtergeschluckt – gesoffen. In
solchem Ausmaß, dass ich beinahe er-soffen wäre. Mir – oder einem anderen! zuzugestehen: „Ich bin wütend!“ – Das ist mir irgendwie unbekannt. Wenn ich mal
aggressiv wurde, hat mein Gegenüber noch aggressiver reagiert, was mit Schmerzen
verbunden war, seelischen Verletzungen und in der letzten Beziehung vor’m
Trockenwerden auch mit körperlicher Gewalt.
Ich vermute, deshalb habe ich auch diese Probleme mit der Rapper-Scene, diese
Angst vor denen, vor ihrer Mother-fucking-keine-Ethik. Angst, dass sie Michel etwas
tun könnten. Die lassen ihre Wut und ihren Frust raus! Und ich habe Angst davor.
Warum?
Zum Einen habe ich da noch was Un-Erlöstes. Zum Anderen ist das aber auch, wie mir
schwant, einfach mein Angstthema, so wie das bei anderen vielleicht Existenzängste
sind, Angst um den Job oder was wer hat, und ich könnte genauso gut davon ablassen
und Frieden wählen. Das, was versucht, mich zu schwächen, zu vereinnahmen, fremd
zu bestimmen, einfach ignorieren. Und es ist auch kein Riesen-Thema, kein MordsAkt. Es ist ein Thema, dem ich Achtsamkeit schenken kann, um es zu transformieren,
zu befreien, mich zu befreien oder mich befreien zu lassen. Wir haben so viel Hilfe
und Unterstützung!! Alles in unserm Leben hilft uns. In der Situation vor dem
Donaudampfer z.B. hätte ich einfach sagen können: „Das ärgert mich jetzt.“ Oder
ich hätte ein entsprechendes Geräusch machen können: „P-tsch-k!! Grrrrummbel!!“
Auf so etwas bin ich aber in dem Moment nicht gekommen. Jetzt habe ich’s im
Hinterkopf und kann es gegebenenfalls anwenden. – Ob ich mich das traue?! –
Vielleicht sollte ich mich auch einfach so annehmen, wie ich bin und mir nichts
vornehmen, was mich überfordert. Solange ich mich nicht traue, traue ich mich nicht,
und vielleicht braucht das einfach nur Liebe und Integration, Anerkennung.
5. und 6. August 2008 / Noch mehr Freiheit
Folgendes habe ich gestern Abend, nachdem ich mein Schreiben beendet und den PC
ausgemacht hatte, gelesen: „Du kannst in Bezug auf die innere Transformation nichts
tun. Du kannst dich selbst nicht verwandeln, und noch viel weniger kannst du deinen
Partner oder sonst jemanden verwandeln. Doch du kannst einen Raum herstellen, in
dem Transformation möglich ist, in den Gnade und Liebe eintreten können.
45
Immer, wenn deine Beziehung nicht funktioniert, wenn sie in dir oder deinem Partner
den Wahnsinn zum Vorschein bringt, freu dich. Was im Unbewussten verborgen war,
wird ans Licht befördert. Nun ist Erlösung möglich. (…) Wenn Wut da ist, wisse, dass
sie da ist. Wenn Eifersucht, Abwehr, Streitsucht, Rechthaberei, ein inneres Kind,
das Liebe und Aufmerksamkeit fordert, oder irgendein emotionaler Schmerz da sind
– was immer es ist, erkenne die Wahrheit des Momentes und verweile in der
Erkenntnis. Dann wird aus der Beziehung dein Sadhana, deine spirituelle Praxis.“ (11)
Etwas später im Text steht: „Du hast sicher schon bemerkt, dass sie (Beziehungen)
nicht dazu da sind, dich glücklich zu machen und zu erfüllen.“ Sondern dass
Beziehungen dazu da sind, uns bewusst zu machen statt glücklich. … - Das passte
sehr gut zu dem, was mit Dirk und mir gestern los war. Vor ein paar Tagen noch
hatte ich den Gedanken, ich könnte ein Kapitel schreiben mit dem Titel
„Beschwerdefreier Alltag“, weil wir uns solange nicht gestritten haben und nichts
passiert, weswegen ich meine, mich über ihn beschweren zu müssen. Vor nicht allzu
langer Zeit haben wir viel öfter Konflikte ausgetragen. Gestern dann empfand ich ihn
mir gegenüber wieder als mürrisch und barsch und dachte: „Aha – gibt’s doch was zu
schreiben von wegen ‚Beschwerde über den Partner‘.“ Aber was soll ich mich
beschweren und schreiben? Das kennt doch jeder zur Genüge: Beziehungskisten, wie
das abgeht. Im Grunde ist es so, abgesehen von der ganzen Un-Bewusstheit, die sich
in solchen Streits immer austobt: Ich treffe Dirk so an, wie ich zu ihm komme. Wenn
ich streitsüchtig bin, ist er es auch. Wenn ich versöhnlich bin, ist er es auch. Und er
wirft mich bei unseren Streitereien immer wieder auf mich selbst zurück. Er bietet
mir keine (Er-) Lösung. Am Anfang unserer Beziehung habe ich darunter mächtig
gelitten, weil: „Wie kann er nur!“ Und: „Er muss doch!“ Aber mit der Zeit, weil sich‘s
auch nicht geändert hat, habe ich gelernt, anders damit umzugehen. Ich habe es im
Grunde so gemacht, wie es im oben zitierten Text steht: Ich habe einfach alles so
gelassen: Eifersucht, Ärger, den Streit, hab‘ mein inneres Kind gehalten und
versucht, für mich wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ich habe auch innerlich um
Hilfe gebeten, die Engel oder Gott. Und ich habe versucht, Dirk nichts mehr
vorzuwerfen, sondern ihn einfach so sein zu lassen. Ich war ja auch ätzend.
Manchmal sind mir dadurch richtige Erleuchtungen zuteil geworden. Das war
wunderbar! Einbrüche in die Liebe sozusagen.
Es ist also im Grunde ganz einfach: Es bedarf keiner großartigen Bearbeitung und
Aufarbeitung, das Wahrnehmen und Da-sein-lassen bringt schon die Er-Lösung.
Nichts abwehren, sondern alles sein-lassen. Mehr braucht es nicht. – Ja, natürlich
habe ich schon viel Therapie und Bewusstseinsarbeit gemacht, Psychologie und
Esoterik sind meine Leidenschaft: Selbsthilfegruppen in Sachen Alkoholsucht,
stationäre
Therapie
deswegen,
danach
Einzel-Gesprächstherapie,
dann
Gestalttherapie in einer Frauengruppe, verschiedene psychologische und esoterische
46
Wochenendworkshops,
Reiki,
Yoga,
autogenes
Training,
spirituelle
Gruppen,
„WahrsagerInnen“, Familienstellen, Kryon-Bewusstseinsschule der neuen Zeit, meine
regelmäßigen Tarotsitzungen und andere Orakel, die ich zu Rate ziehe und durch die
ich mir ständig meiner Themen und Prozesse bewusst bin. Um das Wichtigste zu
nennen. Für mich war das alles sehr hilfreich. Vieles davon hat mir sehr gut getan,
oft habe ich viel gelernt und es hat mich in meiner Entwicklung gefördert. Ich bin in
meine Tiefen getaucht und habe Klarheit mitgebracht, manchmal auch Verwirrung.
Manchmal habe ich auch nur Lehrgeld bezahlt oder es war nichts für mich, was aber
letzten Endes die Erfahrung auch wieder wert war. Ich weiß nicht, ob ich ohne all
das auch da wäre, wo ich jetzt bin, in diesem inneren Frieden, und es ist müßig,
darüber zu spekulieren. Z. Zt. denke ich mir, ich muss nicht unbedingt dieses oder
jenes Seminar machen, um geheilt zu werden und Erlösung zu erlangen, denn es liegt
alles in mir selbst. Ich kann was machen, wenn ich Lust dazu habe, aber ich muss
nicht. Vielleicht ist es die Qualität der Zeit, die uns hilft, und die ganze innere
Arbeit (und das Geld-ausgeben) ist nicht mehr nötig. Ich habe schon so viel innere
Arbeit geleistet und viele andere Menschen auch. Andere haben vielleicht an Themen
gearbeitet, die für mich nicht so präsent waren, aber ihr Bestreben wirkt sich
dennoch auch auf mich aus. Und was ich in mir gelöst habe, habe ich für die Welt
gelöst. Ich sage das ohne Größenwahn. Ich sage das, weil ich glaube, dass es so ist.
Die Prozesse eines einzelnen Menschen wirken sich global aus. Außerdem lebt jeder
in seiner eigenen Welt. Ich sehe das, was ich sehe, und bestimmt ist das längst nicht
alles!! Und ein anderer sieht, auch wenn er neben mir steht, das, was er sieht und
empfindet das, was er empfindet und das sind zwei unterschiedliche Welten. Oder?
Bin ich jetzt wieder der vermeintlichen Trennung aufgesessen, die Illusion ist?
Vielleicht sowohl als auch. Wir sind im Umbruch. „Hier wird alles anders!“, wie Dirk
gesagt hat, nicht nur in unser Haus und Hof, sondern überall, global, die Erde
erneuert sich und wir sind mittendrin. Wir dürfen dabei sein! Ist das nicht
wunderbar?! Dass die inneren Prozesse Einzelner sich auf alle auswirken, heißt
vielleicht nicht, dass jeder dadurch automatisch von diesem Problem erlöst ist, aber
das Potential ist geschaffen, das Erreichen einfacher, weil es schon ein anderer
erreicht hat. Man muss sich nur öffnen. Und ich glaube, vieles ist nun auch im Fluss
und erreicht uns. Ganz von selbst. Was wirklich wichtig ist im Leben, erscheint
einfach, geschieht einfach, leicht und ohne Mühe. Wenn wir uns um etwas bemühen,
noch dazu, wenn es nicht gelingen will, sind wir auf dem Holzweg.
47
Beziehungskiste
Ene mene miste, es rappelt in der Kiste. Jetzt ist es doch wieder soweit: Streit und
Diskrepanz mit Dirk. Es hat sich hochgeschaukelt über die Tage. Er ist mürrisch und
griesgrämig, ich fühle mich abgewiesen, bin beleidigt, ziehe mich zurück, warte
insgeheim, dass er zu mir kommt und „lieb“ ist, er kommt nicht, meine „lieb-sein“
Annäherungen nimmt er auch nicht an, das nehme ich persönlich, irgendwann spreche
ich es an und dann streiten wir uns. Ich könnte ihn ja auch einfach so sein lassen,
ohne beleidigt zu sein. Ich weiß doch, dass er schlecht drauf ist, weil er wieder
arbeiten muss. 3 Wochen Urlaub sind vorbei, er hat diese Woche Frühschicht, steht
um 4.00 Uhr auf, fährt 40 km zur Arbeit und 40 km wieder zurück. Am Wochenende
hat er voraussichtlich Pflichtwochenende, d.h. Samstag Frühschicht, Sonntag nahtlos
in die Nachtschicht, die dann die ganze nächste Woche durchgeht, dann
Samstagmorgen aus der Nachtschicht, Sonntag frei, Montag Spätschicht, diese
ganze Woche dann. Das alles für keine 900,- € im Monat. Er ist bei einer
Zeitarbeitsfirma angestellt. Seit Januar macht er das. Die ersten 6 Monate gab es
vom Arbeitsamt noch Kilometergeld, das fällt nun weg, ersatzlos. Das ist auch echt
zum Kotzen! Eigentlich finde ich, er sollte das gar nicht machen, da weiterarbeiten,
jetzt, wo auch noch das Spritgeld gestrichen ist. Das ist moderner Sklavenmarkt.
Aber mir fehlt auch der Mut und das Vertrauen (die Vision?), zu sagen: „Schmeiß den
Scheiß hin!“. Wovon sollen wir dann leben? Was sollen wir dann machen? Hinzu kommt
noch, dass er draußen an seinen Umbauarbeiten nicht weiterkommt. Er hatte sich
vorgenommen, jeden Tag „eine Maschine Speiss“ zu verarbeiten, aber er hat diese
Woche jeden Nachmittag nach der Frühschicht geschlafen und dann auch nichts
mehr gemacht. Das frustriert ihn noch zusätzlich. In seinem Urlaub, wenn wir nicht
unterwegs waren, hat er jeden Tag draußen gearbeitet. Dirk braucht das.
Körperliche Arbeit und handwerkliche Kreativität sind für ihn Lebenselixier, dann
geht’s ihm gut. Er ist dann in Balance und hilft nebenbei ganz ungezwungen und wie es
gerade anfällt mir mit der Hausarbeit oder mit Michel, dann sind wir im Fluss. Jetzt
ist Ebbe oder Stau. Finanzielle Sorgen haben wir auch wieder, schriftlich, schwarz
auf weiß auf dem Kontoauszug: 500-noch-was im Soll. Ich hätte gar keine Auszüge
geholt, so kurz vor dem 15., sondern gewartet, bis wieder Geld überwiesen ist, aber
Dirk hat sie gestern mitgebracht.
Gestern Nachmittag: Ich war der Ansicht, es sei abgemacht, dass wir zum Finanzamt
fahren
und
Dirks
Antrag
auf
einen
Lohnsteuerfreibetrag
wegen
Michels
„Behinderung“ abgeben. Als ich ihn fragte, wann wir fahren wollten, sagte er: “Gar
nicht“, er habe keinen Bock. Daraufhin bin ich ausgeflippt. Der Antrag ist endlich
ausgefüllt, das Finanzamt hat Sprechstunde, es geht um unser Geld und Dirk hat
„keinen Bock“! Während ich das tue, ausflippen, weiß ich immer, ich könnte auch ganz
anders reagieren, friedlich und gelassen, „lieb“, nicht im Sinne von „lieb-sein“,
48
sondern „in-der-Liebe-sein“. Aber ich tu’s nicht. Will ich das oder kann ich (noch)
nicht anders? … - … - … - Oder gestehe ich mir einfach zu, meine Wut raus zulassen?
Bei Dirk tu‘ ich das, bei anderen traue ich mich nicht (immer). Bei Dirk spreche ich
stets an, was ich habe. Das ist ja irgendwie auch gut so. Obwohl ich mittlerweile
denke, ich sollte lieber manches mit mir selbst ausmachen, zumal wenn ich merke,
dass es so Sachen sind, bei denen ich ihn für eine Unbehaglichkeit in mir
verantwortlich mache. Früher, als ich alleine lebte, hatte ich doch auch hin und
wieder solche Befindlichkeiten, war an manchen Tagen verzweifelt oder traurig oder
sorgte mich wegen irgendetwas. Wenn das heute so ist, warte ich manchmal darauf,
dass Dirk mich „rettet“, tröstet, mit mir scherzt, mich lieb-hält. Manchmal tut er es.
Und wenn er es nicht tut, kann es passieren, dass ich anfange nach ihm zu treten, mit
Worten und mit meinem Verhalten, mein inneres Kind übernimmt dann. Und ich lasse
es und sehe ihm zu. Und Dirks inneres Kind tritt dann zurück (nicht immer, aber
schon), mir ans Schienbein. Ja. So ist das hier manchmal. Kaum zu glauben, aber so
ist es. Zwei erwachsene Menschen. Aber da sieht man mal, wie sehr wir noch Kind
sind. Oder wie sehr unsere inneren, ungehaltenen Kinder (ungehalten in zweifacher
Hinsicht) der Liebe bedürfen.
Wir haben es gestern nicht hingekriegt, uns zu versöhnen. Heute Morgen ganz früh,
Dirk war schon weg zur Frühschicht, so gegen 5.00 Uhr, wurde ich wach und sorgte
mich. In solchen Streitsituationen sorge ich mich dann auch z.B. deswegen, weil wir
diesen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung nicht schon im Januar abgegeben haben, um
diesen Geldverlust, und mache das Dirk zum Vorwurf. Er schiebt solche Sachen gern
hinaus und ich habe nicht an den Antrag gedacht. Aber vielleicht hat er ja auch nicht
dran gedacht. Und auch wenn er es bewusst verdrängt hat – was soll ich mich
darüber grämen? Ich kann’s nicht rückgängig machen. Wenn wir uns nicht streiten
und ich im Vertrauen bin, dann verschwende ich an solche Sachen keinen Gedanken.
Eckhart Tolle schreibt in seinem Büchlein über Beziehungen im Jetzt, das ich dieser
Tage gelesen habe, man könne auch süchtig sein nach diesem Streit-VersöhnungsMuster und ich empfinde es auch so, dass z.B. unser Sex, wenn es Versöhnungs-Sex
ist, oft prickelnder ist als sonst, irgendwie anders und es gefällt mir. Oweia! Süchtig
nach solchen Spielchen? Aber wenn es mir bewusst ist und ich gestehe es mir ein, ist
erfahrungsgemäß das Durchbrechen des Suchtverhaltens nicht weit. So war es
damals mit dem Trinken. Jedenfalls ist mir Eckhart Tolle heute Morgen eingefallen
und ich habe versucht, mich nicht mit meinen Gedanken, schon gar nicht mit den
Sorgen!, zu identifizieren und ich habe auch versucht, den Schmerz abzufangen, ihn
mich nicht übernehmen zu lassen und ich konnte den „Schmerzkörper“, von dem er
schreibt, hinter den Sorgen fühlen. Das hat mich ruhiger gemacht und ich konnte
noch ein Stück schlafen.
49
Jetzt ist Michel aus seinem Mittagsschlaf erwacht und jetzt ist mein Kind dran. Der
kleine, süße Butz! Er ist wirklich „süß“! Einfach ein Sonnenschein!!
Borsdorfer Apfel
Am Wochenende soll in Nidda, der Kernstadt unserer Großgemeinde, eine Olympiade
stattfinden. Die einzelnen Ortsteile sollen sich daran mit einem Sternlauf zum
Marktplatz unter einem bestimmten Motto beteiligen. Meine Schwester ist im
Ortsbeirat und engagiert sich deshalb für diese Aktion. Für Borsdorf, unser Dorf,
sind zwei Dinge repräsentativ: der Borsdorfer Henkel, ein Gefäß aus der Bronzezeit,
auf dem zwei Ringer abgebildet sind, und der Borsdorfer Apfel. Beides soll beim
olympischen Lauf in Nidda dargestellt werden. Ich weiß nicht, was diesen Ausdruck
„Borsdorfer Apfel“ geprägt hat, ob es dazu eine Geschichte gibt. Viele Apfelbäume
hat es hier schon und ich z.B. habe oft rosige Backen, Wangen. Was so weit führt,
dass ich, wenn ich schwitze, z.B. beim Steppen im Fitness-Studio, immer einen
knallroten Kopf kriege. Früher wurde ich auch aus jedem gegebenen oder nicht
gegebenen Anlass rot. Das hat sich mittlerweile gelegt, aber ich neige immer noch
dazu. Ich will nicht behaupten, dass das daran liegt, dass ich in Borsdorf lebe. …
Aber wer weiß? … Weil ich doch auch dazu neige, mir alles, was so an Energien durch
die Luft schwirrt, einzufangen.
Dani, meine Schwester, hat uns eine E-Mail geschickt und angefragt, ob wir Lust
hätten mitzulaufen. Thomas, ihr Mann, hat aus einer Apfelkiste einen Wagen gebaut,
da könnten wir Michel reinsetzen und ich könnte ihn ziehen. Ich schrieb ihr spontan
zurück, dass ich dazu Lust hätte und Dirk noch fragen würde. Der sagt Folgendes
(Dani ist Michels Patentante): „Da hat sie das ganze Jahr über keine Zeit und sieht
nicht nach dem Michel, sieht ihn nur mal, wenn wir runtergehen (zu meinen Eltern,
Oma und Opa. Dani wohnt im gleichen Haus). Wenn man sie fragt, ob sie auf ihn
aufpassen kann, hat sie schon was vor. Nicht 1x ist gesagt worden: „Wir nehmen den
Kleinen mal mit.“ Und jetzt braucht sie Leute für ihren Umzug. Da ist der Michel gut
genug! Da wird mal schnell eine Mail geschickt – noch nicht mal da kann sie
herkommen und fragen! Und wir sollen springen. Nee! Da geh‘ ich nicht mit!“ Naja,
stimmt schon. Dani ist immer beschäftigt. Und ich finde, Dirk hat nicht unrecht.
Aber warum soll ich, wenn sie nun mal Zeit hat und uns miteinbeziehen will, auch wenn
es eines ihrer Projekte ist, und ich noch dazu auch Lust darauf habe und meine, dass
es mir und Michel Spaß macht, Nein sagen? Aus Trotz und verletzter Eitelkeit? Das
wäre so ähnlich, wie das Muster, wenn Kinder, die einen emotionalen Mangel haben,
50
eine angebotene Süßigkeit ausschlagen. – Ich denke dabei jetzt an Erfahrungen mit
Kindern bei meiner Arbeit im Kindergarten, aber ich glaube, ich war als Kind selbst
so. Ich habe mich nicht getraut, etwas anzunehmen, oder es mir nicht zugestanden,
weil ich das Muster hatte „Ich komme eh zu kurz“, unbewusst wahrscheinlich. – Un –
ge-wusst, hatte ich eben geschrieben. – … Hängt mir davon noch was an?
Jedenfalls kam das zu unserem Es-hat-sich-hochgeschaukelt noch hinzu. Ich habe
mir gewünscht, dass Dirk mitkommt, mit mir und Michel. Aber natürlich muss er das
nicht. Ich finde es eh besser, wenn er authentisch ist und das macht, was er für
richtig hält. Und meines Empfindens regt er sich über Dani auch deshalb so auf, weil
sie ihm etwas vormacht, was er sich selbst nicht zugesteht: Sie sagt Nein zu
anderen, die was von ihr wollen, für das, was sie selbst vorhat. Damit tut Dirk sich
nämlich schwer. Er macht immer was für die anderen, will deren (vermeintliche)
Erwartungen erfüllen, und übergeht sich dabei selbst.
Michel hatte großen Spaß bei der Probefahrt in der Apfelkiste; Dani, Thomas, Oma,
Opa und ich auch. Und wir beide, Michel und ich, gehen da am Sonntag mit, so es das
Wetter will. Ich habe mir einen Bügelbrettbezug mit Apfelaufdruck gekauft, den
hänge ich mir als Umhang um.
Schröder
E-Mail vom 7.August 2008 an unsere Freunde und Verwandten:
Vor der Geburt und nach dem Tod sind alle Lebewesen unsichtbar.
Zwischen zwei Nicht-Sichtbaren sieht man sie.
Warum ob dieser Wahrheit traurig sein?
Aus dem Bhagavad Gita (1.-2.Jh.), Indien
Ihr Lieben! Wir sind doch traurig: Schröder ist tot. Er hat nichts mehr gefressen
und konnte kein Häufi mehr machen, er hat abgenommen und sein Bauch war dick. Er
51
konnte nicht mehr richtig laufen und hat schwer geatmet. Dabei kommt es mir vor,
als sei es noch gar nicht so lange her, dass er klein war und seine Ohren gingen vorne
in der Mitte zusammen wie eine Schildkappe. Heute Abend war Melanie, die
Tierärztin, hier und wir haben ihn hinüber begleitet, soweit wir konnten. Und wo wir
hierbleiben mussten, da waren Engel, Sister, Moritz, Wilma und wer alles schon dort
ist. „Wouw-wouw“, hat Michel gemacht. Schröder macht jetzt Wau-wau im Himmel.
Lieber Schröder! Danke für Deine Liebe, Deine Treue und Deine Anhänglichkeit!
Schröder hat sich jedesmal gefreut, wenn wir nachhause kamen.
Oft denk‘ ich, sie sind nur ausgegangen,
bald werden sie wieder nach Hause gelangen,
der Tag ist schön, o sei nicht bang,
sie machen nur einen weiten Gang.
Sie sind uns nur vorausgegangen,
und werden nicht hier nach Haus verlangen,
wir holen sie ein auf jenen Höhn
im Sonnenschein, der Tag ist schön.
Friedrich Rückert (1788-1866), Deutschland
Schröder ist gestorben. Mein treuer Freund! Wir haben ihn neben Sister begraben,
seiner Mama. Vor drei Tagen. Wenn ich morgens die Treppe runterkomme, denke ich
noch, dass er im Flur liegt. Oder ich meine, ich müsste die Haustür aufmachen und
ihn hereinlassen, weil er draußen war. Am Donnerstagabend, als wir wussten, Melanie,
die Tierärztin, kommt zwischen sieben und halb acht, habe ich mit Schröder einen
Abschiedsspaziergang gemacht. Seit 18 Jahren bin ich jeden Tag 3x Gassi gegangen.
Zuerst mit Sister, dann, nach 5 Jahren, mit Sister und Schröder zusammen und die
letzen 3 Jahre nur noch mit Schröder.
Als Sister starb, hatte ich, genau wie bei Michels Geburt, das Gefühl himmlischer
Begleitung. Wir waren ganz eingebettet. Sister hat ein hohes Alter erreicht, sie
wäre im Mai 16 geworden und ist Anfang Januar gestorben. Sie war immer gesund,
nur war sie die letzten Jahre ihres Lebens blind. Damit kam sie gut zurecht, sie
kannte die Abzweigungen auf unseren Wegen und wenn das jemand nicht wusste,
dass sie blind ist, hat man es ihr kaum angemerkt. Ihr Gehör lies auch nach im Alter,
sie hörte schlecht. Aber sie hat auch in jungen Jahren nicht so gut „gehört“, auf
meine Anweisungen nämlich. Ich hatte sie nicht konsequent erzogen, das habe ich bei
52
Sister versäumt (wegen sex & drugs & rock’n’roll). Mit Schröder war ich seinerzeit in
der Hundeschule. Aus aktuellem Anlass: Er hatte mich einmal angeknurrt als er auf
dem Sofa lag und ich ihn von dort herunterschickte. Danach schlichen wir ein paar
Tage jeder um den anderen herum und es war nicht klar, wer der Herr im Haus war.
Ich hatte damals eine Kollegin, die mit ihrem Hund Agility-Training in einer
Hundeschule machte und viel davon schwärmte und erzählte. Durch sie kam ich in die
Hundeschule. Wir besuchten die Familienhund-Kurse 1 und 2 und haben dabei viel
gelernt, ich mehr als Schröder. Das Allerwichtigste war, dass die Fronten geklärt
wurden, ich lernte mich als „Leittier“ zu sehen und zu benehmen, den Hunden
gegenüber. Und Schröder lernte „Komm!“ und „Sitz!“, das reichte uns.
Als Sister älter wurde, musste sie nachts manchmal raus. Sie meldete sich dann
immer, damit ich sie raus lassen konnte. Eines Sonntagnachts machte sie Häufchen in
den Flur, ohne etwas „gesagt“ zu haben. Da ahnte ich, dass etwas nicht stimmte. Im
Lauf des Tages wurde sie immer schwächer und am Abend musste ich sie zum Pipimachen in den Garten tragen. Wir hatten Zeit und Ruhe und auch das Wissen, dass
der Zeitpunkt gekommen ist, um uns voneinander zu verabschieden, Danke zu sagen
für die gemeinsame Zeit, einander zu danken, für die Liebe, die eine der anderen so
großzügig und ohne Wenn-und-aber geschenkt hat. Am nächsten Tag, als ich mittags
von der Arbeit kam, war Sister gestorben. Mein Vater hatte schon nach ihr gesehen
und ihren toten Körper hinausgetragen in den Schuppen und sie dort auf ihr Sofa
gelegt, das da für die Hunde stand, denn wenn die Witterung es erlaubte, waren
Sister und Schröder draußen im Hof, während ich weg war. Und auch das empfand
ich als „genau richtig“, dass ich nicht dabei war, als sie starb. Ich hätte womöglich
noch Stress gemacht, hätte sie nicht sterben sehen können, wäre womöglich
verzweifelt gewesen, hätte laut geheult oder irgendwas tun wollen, wo ich nichts
mehr hätte tun können. So ist sie gestorben und nur Schröder und die Katzen waren
dabei. Mein Vater hat sie damals begraben, das Grab gegraben, in das wir sie
betteten, und wieder zugeschaufelt. Und ein Kreuz hat er auch noch für sie
gezimmert, das steht heute noch, jetzt in der Mitte, zwischen Sister und Schröder.
Mein Vater hat die beiden sehr geliebt, er hat sie oft versorgt – Gassi-gehen,
füttern und auch nachts bei ihnen hier im Haus geschlafen, wenn ich einmal verreist
war (ganze 9 ½ Wochen am Stück hat er das gemacht, als ich zur stationären
Therapie war). Ich glaube, er trauert viel mehr als ich, denn ich bin, trotz der
Traurigkeit des Abschied-Nehmens, mit den Geschehnissen im Frieden. Vielleicht ist
für meinen Vater Tod irgendwie anders als für mich. Ich glaube nicht an den Tod.
Wir sehen uns alle wieder, die, die wir so sehr lieben, dessen bin ich gewiss. Auch
die, die es uns im Leben schwer machen, sehen wir wieder, vermute ich, und dann
umarmen wir uns und danken einander für den Freundschaftsdienst, den wir uns
erwiesen haben, beglückwünschen uns dafür, dass wir die Rollen so perfekt gespielt
53
haben und lachen und freuen uns darüber, was einer am anderen erfahren und
gelernt hat.
Von Wilma will ich noch erzählen. Wilma war die erste meiner Katzen hier im Haus,
das an der Bundesstraße liegt, die nicht überfahren wurde, sondern aufgrund ihres
Alters starb. Sie kam eines Morgens aus dem Keller hoch, in dem sie zu der Zeit
ihren Liegeplatz gewählt hatte, und pinkelte auf den Küchentisch. Sie konnte es
nicht mehr halten. Es roch komisch und auch aus dem Mund roch sie komisch. Sie sah
nach „sterben“ aus. Wir schmusten, nahmen Abschied. Sie wollte nichts mehr
trinken. Der Tod war immer deutlicher zu sehen. Als sie nachmittags noch nicht
gestorben war und es auf Feierabend der Tierärzte zuging, beschloss ich, einen
dieser Zunft anzurufen, ob er käme, ihr eine Spritze zu geben, damit sie die
kommende Nacht nicht leiden musste an ihren nicht mehr arbeitenden Nieren. Der
einzige, den ich erreichte, wollte nicht kommen, wir sollten zu ihm fahren und ich
fasste den Entschluss, das zu tun. Ich packte Wilma in das Katzenkörbchen und wir
fuhren los. Unterwegs weinte ich. Auf halber Strecke fing Wilma an zu miauen und
mich befielen Zweifel, ob ich nicht gerade „alles falsch“ machte, ob ich lieber
zuhause bleiben und sie ihrem eigenen Prozess hätte überlassen sollen. Der Tierarzt
war auch nicht besonders freundlich und mitfühlend, aber ich ging dann doch diesen
Weg. Als Wilma betäubt war und er ihr die Giftspritze gab, genau in diesem Moment,
fiel ein Sonnenstrahl durch die grauen Wolken und durch die Fensterscheibe genau
auf Wilma. Das Licht tanzte auf ihr, mit ihr, als tanze ihre Seele, abgeholt von
himmlischen Gesandten, auf diesem Lichtstrahl in den Himmel. Das war mir Trost und
in diesem Augenblick Gewissheit, dass „alles richtig“ und gut war. Später zuhause
befielen mich doch wieder Zweifel, ob das nicht verkehrt gewesen war, diese Fahrt
zu dem blöden Tierarzt. Ein paar Tage später war ich abends zum spirituellen Singen
in Bad Nauheim. Während zwei Liedern, die wir sangen, sah ich Wilma vor meinem
inneren Auge, wie sie mit dem namenlosen schwarzen Kater, der eine Zeitlang bei uns
lebte und der überfahren worden war, im Himmel tanzte. Es war die pure Liebe,
Licht, Freude und Glückseligkeit! Diese Wahrnehmung, dieses Bild, kann seither
durch nichts mehr bedroht werden. Ich weiß: Alles ist gut. Um die, die gegangen
sind, brauche ich mich nicht zu sorgen. Im Gegenteil, ich kann mich freuen, wie gut
es ihnen geht. – Während ich das schreibe, steigt die Vermutung in mir auf, dass es
sich mit uns Lebenden, die wir hier sind, genauso verhält: Ich brauche mich nicht zu
sorgen, alles ist gut, wir sind bestens versorgt. Die Sorge ist nur in unserem Hirn und
wir sollten ihr nicht erlauben, an uns zu nagen. Weil die Wirklichkeit ganz anders ist!
Aber was ist mit unserer Wahr-Nehmung? Dirk und ich haben seit Tagen Stress,
überhaupt und miteinander, und im Grunde ist es, weil wir uns sorgen, wegen seines
Jobs und unserer Finanzen. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Schröder, mein Freund, mach’s gut! Danke für Deine Liebe! Es war soo schön mit Dir!
54
Geschehnisse am Tag und Träume in der Nacht
Ja, also: Die letzten paar Tage waren nicht besonders spaßig. Gestern war ich kurz
davor, Dirk anzupflaumen: „Das macht alles gerade überhaupt keinen Spaß!“ Ihm zum
Vorwurf natürlich. Dann habe ich es aber doch – Gott sei Dank – gelassen. Ich hatte
ihn gebeten, Michel seinen Abendbrei zu geben, damit ich aufräumen konnte: Michels
Sachen wegräumen vom Duschen und das Geschirr abtrocknen. Dirk sah mich an …
nicht alles, dass er die Augen verdrehte … und ich bin daraufhin beinahe ausgeflippt.
Ich kam mir so verachtet vor. Auch vorher, als wir zusammen Michel duschten, war
es nicht „schön“. Sowas kann doch auch Spaß machen. Dirk ist mürrisch, seit Tagen,
und nur am Klagen über die Umstände seiner Arbeit. Er fährt jeden Tag mit einem
Kloß im Hals zur Arbeit, sagt er. Und ich weiß das ja, dass es um seine Arbeit geht,
und dass das mit mir eigentlich nichts zu tun hat. Aber wenn sich seine schlechte
Laune über Tage hinzieht, dann lasse ich mich erstens mit hineinziehen, fange auch
an, mich zu sorgen, und nehme es zweitens persönlich und verstärke durch meine
Reaktionen die eh schon vorhandene Negativität, füge ihr noch ein paar Aspekte bei:
zu den Geldsorgen kommt dann z.B. noch Eifersucht und so ein Scheiß - will ich jetzt
nicht ausbreiten, kann glaube ich jeder nachvollziehen: Ich denke dann - nicht
wirklich, aber in mir läuft ein Film ab - dass er, wenn er mit mir nicht redet, scherzt
und schmust, das vielleicht mit jemand anderem macht.
Dann war Judith hier, zu Besuch bei ihrer Mutter, und hat im Zuge dessen auch uns
besucht. Meine alte Kindheitsfreundin, die jetzt in Hamburg lebt. Sie hat
Horrorgeschichten erzählt aus Sankt-Pauli, wo sie schon seit vielen Jahren wohnt –
wohnte.
Davon,
dass
ihr
elfjähriger
Sohn
in
der
Schule
wiederholt
zusammengeschlagen wurde, mit der Androhung, er würde das nächste Mal
„totgemacht“, von aggressiv bettelnden Punks, die sie auf Schritt und Tritt blöd
anmachten, menschlichen Scheißhaufen vor ihrer Haustür und einer halbnackten
Frau, die Ende Oktober in der Kälte vor dem Eingang zum Penny-Markt auf der
Reeperbahn inmitten einer Versammlung von Obdachlosen von einem ihrer Genossen
zusammengetreten wurde, während die Leute vorbeigingen als sei nichts, weil das ja
„normale Härte“ ist. Das sei ihr Schlüsselerlebnis gewesen, sagt Judith. Da dachte
sie sich: „Hier schicke ich mein Kind zum Milchholen hin – hab‘ ich sie noch alle?“ Und
sie hat sich nach einer anderen Wohngegend in Hamburg umgesehen und ist
umgezogen. In der neuen Wohnung hat sie Schimmel und ist auch wieder am Kämpfen
und außerdem ist ihr Kater weggelaufen und ihr Freund hat im Frühling mit ihr
Schluss gemacht, der Depp! Ja, Entschuldigung, ich weiß … du bist kein Depp.
Jedenfalls dachte ich mir: „Oh Mann, muss das jetzt alles sein?! Zu dem, was wir
schon haben/was ich schon habe, erzählt mir jetzt Judith noch all diese
schrecklichen Sachen!“ und auch: „Angesichts dessen, womit Judith kämpft, geht’s
55
uns doch prima! Wir leben in einem Idyll!“ (Was wir auch tun! Vor lauter Hirnen
nehme ich das nur manchmal nicht wahr.) Auch: „Mensch, was sind die am Kämpfen
(Judith, Dirk, die anderen)! Warum lasse ich mich da so reinziehen?“ Aber: Gleich am
nächsten Morgen, nach Judiths Besuch und nach einer weiteren sorgengeladenen
Diskussion mit Dirk, las ich im Internet einen Text, in dem das alles drinstand, wie es
mir gerade ging, und der besagte, dass das alles Meins ist. Nicht die anderen stecken
fest, sondern ich stecke fest und die anderen zeigen mir etwas auf. Und im Grunde
weiß ich das auch. Es ist immer so. Alles, was mir im Außen begegnet, ist meins. Und
wenn ich am leidenschaftlichsten einem anderen etwas erkläre, z.B.Dirk, wie er mit
seinen Nöten umgehen könnte, so ist das alles viel eher und viel mehr für mich, was
ich ihm da erzähle.
Ich bin ja eine begeisterte Leserin der Webseite www.esoterium.de. Die letzten
Wochen und Monate habe ich da alles gelesen. Und ganz oft, eigentlich immer, ist
genau das beschrieben, was ich gerade erlebe, und immer finde ich Antworten auf
aktuelle Geschehnisse und Gegebenheiten meines Lebens. Stets genau zur rechten
Zeit. So wie gestern Morgen. Das war direkt für mich geschrieben, könnte man
meinen. Vor einigen Tagen wurde auch angekündigt – ich weiß nicht, ob auf der
Esoterium-Seite oder in den Schriften, die Uta mir geschickt hat zum Event 8.8.’08.
–, dass durch die Öffnung des himmlischen Tores der Glorie am 8. August 2008
einiges „in Wallung“ kommt. Im Sinne von Eckhart Tolle: „Freu Dich, wenn sich der
Wahnsinn zeigt, weil das Unbewusste ans Licht kommt.“ So gesehen kann ich vor
Freude frohlocken: jede Menge Wahnsinn, der ans Licht kommt! Juch-hu! - Nein, der
Juchzer ist nicht echt, es beutelt mich z.Zt. Aber wenn ich an diesen Artikel denke,
dann kann ich ins Vertrauen gehen, ich weiß, alles ist gut. Das sind Reinigungs- und
Umbruchprozesse, Angleichungen, das Alte geht und das Neue ist noch nicht ganz da
oder wir sind/ich bin noch nicht ganz da, noch nicht ganz angekommen im Neuen.
Aber ich bin zu jeder Zeit am rechten Ort, innen und außen, das weiß ich, auch, wenn
es mir gerade nicht so behagt. Außerdem bekomme ich wieder jeden Tag
Aufmunterung und Unterstützung. Gestern habe ich bei www.shouds.de noch einen
Text von Tobias gelesen: „Vier Männer in der Wüste“ (12). Wieder absolut passend,
wie für mich geschrieben, mir geschickt genau zur rechten Stunde! Ich war seit
Wochen nicht auf dieser Webseite, weiß auch nicht, warum ich sie gestern angeklickt
habe. Fazit dieses Textes ist: Was uns wie eine Wüste erscheint, ist nur ein
Sandloch des Lebens und schon auf dem nächsten, nahegelegenen Hügel können wir
erkennen, dass dieses Sandloch zu einem wunderschönen Golfplatz gehört, auf dem
sich Menschen und Engel tummeln und es ihnen wohlergeht!
Meine (vielleicht nicht nur meine) Herausforderung ist die Negativität. Das
vermeintlich Negative. Zum Beginn des neuen Maya-Jahres, immer Ende Juli, fahre
ich zu Uta zum Jahreskarten-ziehen. Wir ziehen für jeden Monat eine Karte, welche
56
das vorherrschende Thema für den jeweiligen Maya-Monat/Mond aufzeigt. Was kann
ich in diesem Monat lernen oder integrieren? Für den zweiten lunaren Mond der
Herausforderung, in dem wir uns gerade befinden (23. August bis 19. September),
habe ich die „Negativität“ gezogen. Dieses Jahr war ich auch im Januar bei Uta zum
Jahreskarten-ziehen für die gregorianischen Monate. Und welche Karte habe ich da
für den August gezogen? Richtig: die „Negativität“! Wenn es mir gelänge, einfach
alles anzunehmen, ohne herum zu „hirnen“, dann hätte ich es, glaube ich, geschafft.
Also: Wenn ich einfach alles nehme, wie es ist, ohne zu beurteilen und zu bewerten,
ohne mich zu sorgen, dann ist die Negativität nicht länger negativ. Dann ist das, was
ist, einfach gerade da. Sonst nichts. Und vielleicht ist all diese Negativität, die zum
Vorschein kommt, ja wirklich im Grunde ein Segen, deswegen, weil sie ans Licht
kommt, weil sie sich zeigt und vom Sturm der Erneuerung, Reinigung und
Veränderung transformiert werden kann. Außerdem meine ich immer mehr zu
erkennen, dass das „Negative“ überhaupt nicht negativ ist. Was uns/mir auf den
ersten Blick als negativ erscheint, in der ersten Begegnung, entpuppt sich als eine
Bereicherung, als etwas schönes Neues, eine erfreuliche Veränderung.
Nicht nur in mir wird z.Zt. das Unterste zuoberst gekehrt, auch draußen ist Sturm.
Heute weht ein so starker Wind, dass die Katzenklappe in der Tür zum Keller hinund-her-schaukelt, obwohl alle Fenster geschlossen sind, irgendwo zieht es durch.
Ha!! That’s it!! Cauac, der blaue Sturm, kriegt uns alle! Auch wenn wir unsere Fenster
verschließen. Cauac, mit seiner Kraft, findet eine Ritze, und dann kriegt er uns und
weht uns seinen frischen Wind ins Haus. Und das ist gut so! Wir werden alle erfasst,
ob wir wollen oder nicht. Und wir werden auch alle ins Licht geweht, ob wir nun
meinen, wir machen etwas falsch, hängen irgendwo fest oder wir könnten „es“ nicht.
Wir können es und uns wird geholfen. Und es gibt kein Zurück mehr!
Heute Nacht träumte ich von einem Wirbelsturm, einem Tornado, riesengroß,
gewaltig und gigantisch. Ich befand mich in einem Hochhaus, ein modernes, neues
Haus, rote Stahlkonstruktion mit Elementen aus Holz, vielen Fenstern rundherum
und vielen Etagen. Ich sah durch die Fenster den Tornado herankommen. So einen
großen Sturmtrichter hatte ich zuvor noch nie gesehen. Ich fuhr mit dem Aufzug ins
oberste Stockwerk, um ihn ganz sehen zu können. Dann fuhr ich wieder hinunter ins
Erdgeschoß. Dort war eine Schulklasse. Der riesige, graue Trichter war fast am
Gebäude, kam direkt auf uns zu, der kreisende und wirbelnde Sturm-Schlauch würde
das Haus geradewegs erfassen. Außer der großen Schulklasse waren in allen
Stockwerken viele Menschen, junge, alte, verschieden-sprachige, bunt gemischt. Ich
fing an, in dem Klassenzimmer die Fenster zu schließen, schon wehten uns die Haare.
Wir kriegten nicht alle Fenster zu und als der Sturm da war, als ich dachte, jetzt
kann sich keiner mehr halten, jetzt bricht die Katastrophe los, jetzt wird alles
zerfetzt – war Stille, alles ruhig. Nichts. Kein Chaos, keine Katastrophe. Ruhe. Und
57
mit einem Mal war alles verwandelt. Wie soll ich das sagen? Es gab keine zwischenund inner-menschlichen Hemmnisse und Begrenzungen mehr. Der Raum war nun ein
Tanz-Klassenzimmer. Ich hatte einen Tanzpartner und Schüler, denen wir diesen
Tanz des Lebens (?) zeigen und beibringen wollten. Der Tanz war sehr erotisch und
leidenschaftlich, sehr rein, lustvoll, kraftvoll, leicht und sanft. Ich selbst war auf
einmal wunderschön, schlank, geschmeidig und ich liebte mich selbst und das, was ich
tat, ohne Ende, es war einfach so.
…-…-…In der Nacht davor träumte ich: Ich fuhr auf einem Fahrrad eine Straße entlang.
Auf der Straße stand der Förster, in den ich mal verliebt war, und schnitt mit einer
an Seilen aufgehängten Kettensäge Äste von einem hohen Alleebaum ab. Gerade fiel
ein großer Ast herab und ich blieb mit meinem Fahrrad am Straßenrand stehen,
damit er nicht auf mich fiele. Der Förster beachtete mich gar nicht. Als der Ast am
Boden lag, saß ich auf und fuhr weiter. Ich kam zu einer Scheune, deren großes Tor
offenstand. Ich stieg vom Rad ab und ging hinein. In der Scheune waren viele kleine
Tiere, Hasen und Geflügel, in großen, niedrigumzäunten Ställen mit Stroh auf dem
Boden. Durch eine Tür in der hinteren Wand kam ein Mann, der Bauer. Er hielt die
Tiere, um sie zu schlachten und sich von ihnen zu ernähren. Er schenkte mir ein
halbes Suppenhuhn, so wie sie in der Gefriertruhe im Supermarkt liegen, nur war
dieses Huhn nur halb, nur der Oberkörper, der untere Teil fehlte. Ich ging hinaus
und legte das halbe Huhn in meinen Fahrradkorb, da war draußen noch ein anderer
Mann, der öffnete eine große Gefriertruhe, die dort vor der Scheune im Freien
stand, und holte ein Riesen-Riesen-Suppenhuhn heraus, eher wie ein geschlachtetes
Nilpferd. Dieser geschlachtete Leib war komplett, nicht nur halb, rosa-fleischfarben
mit weißer Haut überzogen. Nur der Kopf fehlte, wie das bei geschlachteten Leibern
so ist. Aber plötzlich bewegte sich der Leib, als würde er noch leben. Da, wo der
Kopf fehlte, bewegte sich etwas wie Lippen und der Leib sprach. Ich weiß nicht, was
genau er sagte, ich glaube, er bat um Gnade, um Erlösung. Es war eine Frau! Und dann
kam etwas, wie ein Kopf, aus diesem Leib heraus, begann sich aus diesem fehlenden
Hals heraus zu formen. Völlig entsetzt wachte ich auf.
Ich verzichte jetzt auf Interpretation und Analyse. Allein, dass ich das
aufgeschrieben habe, hat etwas in mir freigesetzt. Mit einem Mal fühle ich mich
befreiter und stärker. Außerdem wird Michel gerade wach von seinem Mittagsschlaf
und – jetzt ist mein Kind dran.
58
Me and Michel Mc Gee
Als ich anfing zu schreiben … dachte ich da, dass es ein Buch über Michel wird?
Zumindest nahm ich an, dass Michel mehr vorkommen würde. Aber mit Michel ist
irgendwie alles gut. So schön und selbstverständlich, unkompliziert und im Fluss –
was soll ich da schreiben? Dieses Buch ist durch Michel inspiriert. Ohne ihn hätte ich
nicht angefangen zu schreiben. Jetzt geht es aber mehr um mich als um ihn. Mit
Michel habe ich keine Probleme, da muss ich nichts klären.
Wir haben unseren Spaß zusammen. Mit Michel kann man schön Ulk machen, da lacht
er immer. „Hä hä!“ macht er. Man könnte ihn fressen, den Gesichtsausdruck, den er
hat, wenn er sich freut! Klar, manchmal nervt er auch, so wie kleine Kinder manchmal
quengelig sind, aber nie lange und sowieso meistens dann, wenn ich auch schräg drauf
bin.
Michel bringt mich dazu, meine Grenzen zu überschreiten. Manchmal stößt er so
hohe Schreie aus, wie um seine Stimme auszuprobieren. Dadurch hat er mich schon
zum Mitmachen inspiriert, ich fange dann z.B. an zu singen, laut und kraftvoll, was ich
mich früher nie getraut habe, ich singe dann Arien – naja, Sonja-Arien eben. Oder
ich kreische mit: er einen Schrei, ich einen Schrei, er einen, ich einen, er einen, ich
einen … dann lachen wir. Das macht Spaß! Michel ist so herzlich und natürlich, so
freundlich und unkompliziert. Ich kenne ja kein anderes Kind so intensiv, war noch
mit keinem so ununterbrochen zusammen. Manchmal, durch das, was Leute sagen,
dass er so lieb
sei, oder wenn ich andere
Kinder erlebe, aus unserer
Geburtsvorbereitungsgruppe z.B., die echt anstrengend sein können, wird mir
bewusst, wie gut ich es mit Michel habe. Es ist nur in den bald 16 Monaten seines
Lebens schon so zum Alltag geworden. Aber ich weiß auch, dass ich es sehr gut habe
in meinem Alltag! Ich habe wundervolle Gegebenheiten und ein wunderbares Umfeld.
Ich bin zuhause und muss nicht arbeiten gehen, habe die ganzen Tage für Michel und
mich. Ich habe das beste Kind der Welt (für mich ist er das!) und den besten Mann
(für mich ist er das!), liebe, drollige, herzensgute Tierfreunde, ich bin sozial
eingebettet, habe Familie – etliche haben das nicht, die stehen ganz alleine da -, jede
Menge Bekannte und ein paar gute Freunde. Ich kann zur Uta fahren, ab und an in die
Sauna gehen und zwei bis dreimal die Woche ins Fitness-Studio, wenn ich das
möchte. Manchmal nehme ich Michel dorthin mit, wenn Kinderbetreuung ist, oder er
bleibt bei Dirk oder meine Mutter nimmt ihn. Die vergangenen Wochen finde ich
regelmäßig Zeit, an diesem Buch zu schreiben. Mit am besten ist vielleicht mein
innerer Frieden, der immer da ist, weil ich ihn nach jedem Sturm wiederfinde, er ist
einfach da, wenn sich die aufgewirbelten Wolken wieder gelegt haben. Und mein
Vertrauen ins Leben und seine Geschehnisse und die innere Gewissheit, dass alles gut
wird, ja, gut ist, ich weiß es nur nicht immer. Wenn sich mein Verstand, mein Hirn,
59
für andere Dinge zuständig fühlt als es ist, dann fängt es an und wird ungemütlich.
Aber das kriege ich auch noch hin, bzw. gehört das ja auch wieder zu den Prozessen
und diese Vorgänge haben im Grunde mein absolutes Vertrauen. Es beutelt mich nur
manchmal so sehr, dass „die Beutelung“ zeitweise den Zustand des Im-Vertrauenseins überdeckt.
Abgesehen von dem Spaß, den wir zusammen haben, macht Michel mir eine tiefe
Herzensfreude. Neulich sagte ich zu Dirk, wie das wohl für Michel sei, bei uns Kind
zu sein, ob wir „alles richtig“ machen oder ob wir etwas grundlegend anders machen
sollten. Ob Michel sich bei uns wohlfühlt? Dirk sagte, er glaube schon, dass wir alles
richtig machen würden. Er sagte: „Michel gedeiht doch prächtig. Er hat Spaß, ist
lustig und kommt an die frische Luft!“ Ja. So einfach ist das. Dirk ist manchmal sehr
weise.
Man kann Michel prima mitnehmen. Er ist gerne mit Leuten zusammen und hat gerne
Besuch. Wenn wir in Gesellschaft sind, blüht er fast noch mehr auf, dann ist er das
bravste Kind, noch unkomplizierter als sonst. Er ist gesellig und er holt in anderen
Menschen Licht, Liebe, Frohsinn und Freundlichkeit hervor. Manchmal, wenn wir
unterwegs sind, lacht Michel auf der Straße jemanden an oder hebt den Arm zum
Gruß und zur Kontaktaufnahme und macht „Mm!“, so spricht er andere an. So kommen
wir mit fremden Menschen ins Gespräch. Die strahlen immer und sind ganz fröhlich
und freundlich. Michel hat in seinem erst kurzen Leben schon eine Spur der
Freundlichkeit gesät.
Michel hat mich zu neuen Sichtweisen gebracht. In der ersten Zeit seines Lebens,
als ich erkannt hatte, was für ein besonderes Kind er ist, so besonders wunderbar,
weckte er in mir den Gedanken: „ … - … - sollte ich vielleicht auch?“ Irgendwie
wunderbar sein? Ich hielt mich doch immer für so unzulänglich. Michel hat mich in
meiner Selbstannahme und -liebe viel weiter gebracht als sämtliche Theorien, die ich
gelesen oder Therapien die ich gemacht habe. Einfach dadurch, dass er da ist und
dass er so ist, wie er ist. Und wenn auch ich ein besonderes, ein „heiliges“ Kind bin,
dann ist das jeder andere auch: alle Kinder, meine Mutter, mein Vater, meine
Schwester, Dirk, meine Nachbarn, Adolf Hitler, die Rapper und jeder Mensch. Im
Grunde weiß ich, dass es so ist, auch wenn mein Verstand hirnt und das Schwert
schwingt und Argumente anbringt, was wer hat, was gegen Heiligkeit spräche. Aber
ich weiß, es ist so: Each child is a holy child. Und wir sind alle Kinder scheint mir. Die
Menschheit an sich befindet sich im Kindheitsstadium. Vielleicht kommen wir
entwicklungsmäßig gerade in die Pubertät und werden erwachsen, reifer, reif,
wachsen in unsere Verantwortungen. Und in die Freiheit!
60
Michel ist auch von seinem Tempo her, in dem er sich entwickelt, genau richtig für
mich. Mir ist es ganz recht, dass er z.B. jetzt erst krabbelt und dass er noch nicht
läuft. Das wäre mir zu anstrengend. Wobei: Wenn er schon laufen würde, dann würde
er halt schon laufen, das ginge dann auch, aber so, wie es ist, ist es gut. Wir passen
sehr gut zusammen und ich bin zutiefst dankbar für diese Kombination! Dirk noch
dazu – das ist perfekt. Es ist perfekt! Mit Streit und Stress manchmal – es ist
perfekt! Da gibt es z.Zt. ein Lied von „Ich & Ich“: „So soll es ein, so soll es bleiben.
Alles passt perfekt zusammen“, singen sie. Mir geht es so in meinem Leben. Alles
passt perfekt zusammen. Das empfinde ich immer wieder. Es wird nicht so bleiben,
weil, wie Hannes Wader in einem anderen Lied sagt: „nichts bleibt, wie es war.“ Aber
wie immer es wird, wie es sich entwickelt, es ist immer perfekt, vollkommen.
Als Michel ein paar Wochen alt war, vielleicht ein viertel Jahr alt, waren wir das
erste Mal bei der Lebenshilfe, um darüber zu reden, was man zur Unterstützung und
Förderung für ihn tun kann. Die Frau, mit der wir diesen Termin hatten, machte u.a.
den Vorschlag, für ihn eine Gymnastikmatte auf den Boden zu legen, damit er nicht
wegrutscht, sondern Widerstand hat und sich abdrücken kann, vorwärtsbewegen,
schon zum rumrutschen auf dem Boden. Dann sah sie mich an und fragte mich nach
einer kurzen Weile, ob mir das zu viel sei. Ich sagte: „Nein“, so auf die Schnelle und
weil es mir selbst nicht klar war. Aber sie hatte recht. Sie sah mir etwas an, was ich
für mich selbst noch nicht klar hatte, aber es wäre mir zu viel gewesen. Ich war noch
total eingespannt in Stillen (was nicht klappte), Milch abpumpen, Fläschchen geben,
Flaschen sterilisieren, unterbrochene Schlafrhythmen und so. Michel machte ja auch
noch keine Anstalten, sich über den Boden zu bewegen. Und da sollte ich mit ihm
etwas üben, was noch gar nicht anstand? Ja, das war mir zu viel! Ich hatte gerade
genug Stress, mich in die neue Rolle als Mutter einzufinden.
Ich finde, die Natur hat das sehr weise eingerichtet mit der Entwicklung der
Menschen-Kinder. Die Babys kommen auf die Welt, schlafen erstmal sehr viel, sind
ganz klein und bleiben die ersten Wochen und Monate da liegen, wo man sie hinlegt.
Man hat Zeit, sich aneinander zu gewöhnen. Den Eltern sind sehr gut annehmbare
Bedingungen gegeben, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen. Wenn Menschenbabys wie
Giraffenkinder z.B. sich kurz nach ihrer Geburt auf die Beine stellen und
herumlaufen würden oder wenn sie wie kleine Schwäne gleich nach der Geburt ab ins
Wasser und schwimmen wollten - oweia! Da wären die Eltern aber ganz schön
überfordert! Aber so, wie es ist, ist es gut. Und wir, Michel und ich, harmonieren
wunderbar miteinander.
Ich achte auch darauf, dass das mit seinen Therapien nicht überhand nimmt. Eine
Weile hatten wir drei Therapien pro Woche gleichzeitig – das war mir auch zu viel!
Dabei kommt das „normale“ alltägliche, einfache Leben zu kurz und man kommt zu
61
sonst nichts, Besuche machen oder empfangen z.B., dann ist das Ganze unausgewogen
und somit auch nicht mehr gesund. Deshalb setze ich jetzt immer mal aus, mit dem
Einen oder dem Anderen und sehe zu, dass wir in der Regel nur zwei Termine pro
Woche haben. Das kommt uns allen zugute, jedenfalls Michel und mir. Ich glaube,
dass
Pausen-machen
und
zwischendurch
aussetzen
dem
gesamten
Prozess
förderlicher ist, als etwas straight durchzuziehen. Das kann man auf alles anwenden.
Pausen-machen gehört auch zum Rhythmus. Michel ist z.B. während unserer
therapeutischen Sommerpause, in der wir gar keine Therapien hatten, eines Mittags
von seinem Schläfchen aufgewacht, hat sich auf die Knie erhoben und ist gekrabbelt!
Vorher legte er seine Wege auf dem Bauch robbend zurück.
Das ganze Timing ist perfekt. Damit meine ich auch Gegebenheiten, die auf den
ersten Blick wie äußere Zwänge erscheinen: alles vollkommenstes Lebens-Timing. Ich
glaube ja sowieso, dass ich immer zur rechten Zeit am rechten Ort bin. Immer, in
meinem ganzen Leben war ich das, auch wenn es nicht so schien, der Suff und so, das
gehört alles dazu. Und seit Dirk und Michel bei mir sind, empfinde ich das noch
intensiver. Die kurze Spanne Zeit, die wir erst beisammen sind, mit Dirk 2 Jahre und
Michel ist seit 16 Monaten auf der Welt, zeigt mir das im Rückblick. In den ersten
Monaten von Michels Leben hatte ich noch die Myome in der Gebärmutter und war
schlapp und nicht so fit wie sonst. Vielleicht auch durch die Schwangerschaft und die
Geburt und die neue Lebenssituation. Dirk war in dieser Zeit zuhause, weil der keine
Arbeit hatte, d.h. Arbeit hatte er genug, hier zuhause, aber keinen bezahlten
Arbeitsplatz. Er ist ganz oft mit Michel aufgestanden, hat ihn versorgt, war bei ihm
und ließ mich schlafen. Dabei kam mir das Nicht-Stillen auch zugute. Nach der
Myom-OP im Dezember kam ich wieder zu Kräften. Ich merkte den Unterschied zu
vorher ganz deutlich. Im Januar trat Dirk seine neue Stelle an. Was wir damals
manchmal als Einschränkung betrachteten, keinen Job zu haben, war doch eigentlich
ein Geschenk, das uns das Leben machte. Zumal unsere Beziehung auch noch so jung
war – da waren wir zusammen, lernten uns kennen und kamen zueinander.
Wir haben uns nicht gesucht, aber gefunden, alle drei. Der Fluss des Lebens hat uns
zusammengebracht. Michel war nicht geplant, kein „Wunschkind“, aber zutiefst
willkommen! Mit ihm ist mir ein Wunsch erfüllt worden, von dem ich gar nichts
wusste. Das herrlichste Geschenk, aus heiterem Himmel! Von selbst wäre ich
überhaupt nicht darauf gekommen, mir so was Schönes zu wünschen. Ich hätte gar
kein Wort dafür gehabt.
62
Olympiade in Nidda
Olympische Spiele in Peking 2008. Zeitgleich Olympiade in Nidda. Ja! We are the
world! Das Kleine ist im Großen und das Große ist im Kleinen, du bist ich und ich bin
du, wir sind alle miteinander verbunden, wir sind eins. „In lake’ch“, sagen die Maya:
„Ich bin ein anderes Du-Selbst.“
Letzten Freitag war ich im Fitness-Studio und Michel war derweil bei seiner Oma.
Gegen acht Uhr abends kam ich ihn abholen. Da saß er in seinem Laufstall, den sie
dort unten für ihn haben, in der offenen Schiebetür zwischen Küche und
Waschküche, kaute auf einem Spielzeug und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Oma
war in der Küche am rumwerkeln und seine Tante Dani saß in der Waschküche vor
einem Plakat und malte gerade an einem Apfel. Auf dem Plakat stand: „Borsdorfer
Apfel, lecker und gesund“ oder so was ähnliches. Außerdem stand noch ein zweites
großes Schild da, auf dem stand: „Die Ringer vom Borsdorfer Henkel“. (Zwei junge
Männer sollten in Nidda bei unserer Präsentation wie die beiden Ringer auf dem
antiken „Henkel“ ringen.) Volle Vorbereitung für den Sternlauf am Wochenende!
Sonntag, dachte ich. Während des Gesprächs stellte sich heraus, dass der Sternlauf
am nächsten Tag, Samstag, stattfinden sollte. – Das ist typisch meine Schwester:
macht alles auf den letzten Drücker!
Am nächsten Tag, während wir nach Nidda liefen, und ich meinem Weggefährten, der
gerade neben mir lief, erzählte, wie das am Freitagabend war, antwortete der: „Ja,
das ist auch gut so, man darf nicht zu lange planen, da verhunzt man es wieder.“ –
Fand ich gut die Antwort! Hat mich prompt aus meiner Bewertung und der engen
Sichtweise rausgebracht!
Wenn das Buch einmal fertig ist, würde ich gern an dieser
Stelle ein Fenster in die Seite schneiden, wenn das möglich
wäre, ein Fenster zum Aufklappen, hinter dem dann ein
„Buch im Buch“ zum Vorschein käme. Eine und mehr weitere
Geschichten, die durch das, was ich hier geschrieben habe, in
mein Bewusstsein gekommen sind. Weil das Buch aber kein
Pop-up-Bilderbuch wird: Stellt es Euch vor: Hier kann man
einen Vorhang zur Seite ziehen, eine Pappe wegklappen oder
eine Tür öffnen. Dahinter ist ein „Buch im Buch“. Ihr findet
es auf Seite 121.
Samstagvormittag schmissen wir uns also in Schale, Michel und ich: altertümliche
Klamotten, Hüte und mein Bügelbrettbezug als Umhang – passte farblich exzellent zu
63
dem grünen Kleid, das meine Uroma schon getragen hatte! – und gingen um 13.00 Uhr
zum Dorfplatz. Dort war der Treffpunkt. Es kamen gut 30 Dorfbewohner zusammen.
Wir hatten verschiedene Wagen dabei: auf einem stand der große PappmascheeApfel des Dorfes, ein Handwagen war mit echten Äpfeln gefüllt, die wollten wir in
Nidda verteilen, dann ein weiterer Wagen, auf dem ein kurios geformter dicker Ast
stand, das war „der Borsdorfer Henkel aus Holz“. Wir waren ein bunt
zusammengewürfelter
Haufen,
Junge
und
Ältere,
Alteingesessene
und
Neuzugezogene, eine Familie aus dem ehemaligen Osten und Abstämmige anderer
Nationalitäten. Einer lief mit, er ist eigentlich noch Kind, 11 oder vielleicht 12, der
ist auch ein „Zugezogener“, den treffe ich oft, wenn ich durch’s Dorf laufe. Er grüßt
nie. Die, die ihn begleiten tun das schon. Er trägt so riesengroße, dicke Turnschuhe
und ich weiß nicht, wie ich seinen Blick deuten soll. Er hat für mich Rapper-Potential
und ich hatte schon den Gedanken, dass der vielleicht mal Michel was tun und seine
Kumpels gegen Michel aufstacheln könnte. Er ist mir nicht geheuer und in mir ist ein
Potential für Angst wegen ihm. Der ist also mitgelaufen. Er trug ein Schild für den
Borsdorfer Jugend-Club. - Und er gehört also auch dazu! Each child is a holy child.
Er auch. Ich fand es gut, dass er bei dieser Olympia-Gruppe mitgemacht hat, dass er
dabei war und ich. Vielleicht sollte ich einfach mal von mir aus „Hallo“ sagen, wenn ich
ihm begegne und von dem Trip runterkommen Die-Jüngeren-müssen-die-Älterengrüßen. Ich baue mir meine Angst ja selbst auf. Ich traue mich was nicht einfach
locker leicht und verschanze mich hinter „Der sollte aber!“ Mir ging es als Kind und
Jugendlicher selber so: Ich habe zwar die Leute gegrüßt, weil es mir so beigebracht
wurde, aber wenn einer mal aus sich rausgegangen ist und von sich aus herzlich zu
mir war, das hat mir gut getan, das kam mir entgegen, ich selbst hätte mich nicht
getraut. Ich war unheimlich schüchtern. Verstockt-sein ist irgendwie auch eine Form
von Schüchternheit – nicht aus sich heraus können. Dieser Junge hat einen Mangel,
vermute ich, so wie ich einen Mangel hatte als Kind. Einen Mangel an
entgegengebrachter Emotionalität und Körperlichkeit. Zumindest sehe ich ihn so an.
Vielleicht sollte ich hier aufschreiben, wie er heißt, das weiß ich nämlich. Dann
müsste ich ihn vor der Veröffentlichung des Buches fragen, ob sein Name bleiben
darf oder ob ich ihn ändern soll, und dann könnte ich ihm die Textpassage zu lesen
geben, in der es um ihn geht. - Er heißt Dennis.
Nach Nidda zu laufen war eine ganz neue Erfahrung. Sonst fahre ich diese Strecke,
ca. fünf Kilometer, nur mit dem Auto. Ich habe Dinge gesehen, die ich im Auto nicht
sehe und hatte eine ganz andere Wahrnehmung. So könnte man es öfters machen!
Das erdet und gleicht aus, da kann man sich nicht vorstellen, dass es so was wie
Stress überhaupt gibt und kommt nicht auf dumme Gedanken.
64
Wir fanden unsere Gruppe so gut, dass wir uns sicher waren, einen der drei ersten
Plätze zu machen. Haben wir aber nicht. Aber das ist wurscht. Die Sache hat Spaß
gemacht.
„To sing an opera“
Vorhin habe ich mit Michel die Werbung gesehen - von der Telekom oder von wem? –
in der dieser Mann in einer Talent-Show singt und viele verschiedene Menschen
werden gezeigt, die ihn über ihr jeweiliges Kommunikationsgerät, Handy, PC etc.,
sehen und hören können. Er ist nicht besonders hübsch, seine Zähne sind schief, er
ist eher unscheinbar, aber er tritt in dieser Show unter den Augen von tausenden,
millionen Zuschauern diesen gestylten, äußerlich perfekten Mitgliedern der Jury
gegenüber, die ihn belächeln und er weiß, warum er da steht: „To sing an opera!“ Man
kann manche Zuschauer an ihren Bildschirmen kichern sehen. Dann fängt er an zu
singen. Er singt. So schön. So schön! Die Menschen werden gezeigt, die ihn sehen und
hören, was mit ihnen geschieht. Er verwandelt sie. Mit seinem Gesang verwandelt er
sie. Er geht direkt in ihr Herz, berührt es und die Herzen öffnen sich. Es geht gar
nicht anders. Die, die vorher gekichert haben, weinen, alle sind völlig in seinem Bann.
Auch vor dem Fernseher muss man weinen. Ich musste weinen; mir kommen jetzt die
Tränen, wenn ich darüber schreibe. Als er endet mit seinem Gesang, bricht tosender
Beifall los, die Menschen erheben sich von ihren Plätzen und applaudieren ihm
begeistert. Einen alten Mann sieht man, irgendwo draußen in seiner Werkstatt, für
den wird der Sinn seines Lebens bestätigt durch diesen Gesang, der strahlt. Jetzt
kann er sterben, will ich fast sagen. Ja, wenn man das fühlt, dann kann man sterben,
dann hat sich alles erfüllt. So einfach und so schön, so großartig und so vollkommen. Oder erst richtig leben!!
Dieser Spot war in einer Werbepause während einer Doppelsendung von „Das Quiz“
mit Jörg Pilawa. Das sehe ich ganz gern. Ja, und ich weiß, dass so kleine Kinder wie
Michel nicht fernsehen sollten. Nichtsdestotrotz saß er vor’m Fernseher, Kopf im
Nacken, und hat hingeschaut. – Wir machen das nicht oft, vielleicht einmal in drei
Wochen. – Bei Jörg Pilawa saß Michel nur ruhig da und schaute. Als der Mann sang,
hob Michel seinen Arm zu ihm hoch und machte sein: „Mm!“, wiederholt. Das hat mich
noch mehr berührt! Michel hat ein Gespür für die essentiellen Dinge des Lebens. Und
er wird seinen Weg genauso unbeirrt gehen wie der Opera-Sänger, auch wenn es
welche geben sollte, die ihn belächeln oder sich lustig machen. Er wird es allen
65
zeigen! Er wird ihre Herzen berühren, sie öffnen und er wird die Menschen mit der
Essenz des Lebens in Kontakt bringen. Das tut er ja jetzt schon.
Ich finde diese Werbung wunderbar! Das ist die neue Zeit, die neue Energie! Jeder
wird das tun, was seine Leidenschaft ist. Jeder wird an seinem Platz sein und keiner
kann den Platz eines anderen einnehmen. Es kann auch niemand einen anderen an
einen Platz zwingen oder manipulieren, wo der nicht hingehört, sich nicht wohlfühlt,
wo nicht dessen Erfüllung ist. Jeder ist einzigartig und wertvoll in dem, was er ist.
Mancher ist vielleicht auffallender und ein anderer unauffälliger. Aber das ist –
richtig!!: Wurscht! Jeder ist wertvoll durch das, was er ist.
Sturm (am Tag der Mondfinsternis)
Mann, Mann, Mann!! Gestern war Samstag (der 16. August, Vollmond und totale
Mondfinsternis!). Dirk hatte endlich wieder mal ein durchgängig freies Wochenende.
„Schön“, dachte ich. Freitag hatte er seine letzte Nachtschicht. Als er
Samstagmittag aufgestanden war … ich kann gar nicht sagen, wie es begann: Wir
hatten gleich Streit. Ich will hier nicht beschreiben, wie und was da alles war – das
wäre so mühselig! Wörter über Wörter, viele Worte um schwere Dinge zu
beschreiben – es ging um‘s Einkaufen und um Dirks Umbaumaßnahmen – letztlich ist
das egal, wir haben unsere Themen, andere haben andere, und im Grunde geht es um
Mann und Frau. Um das Unverständnis füreinander und dass einer dem anderen was
klarmachen will, eher die Frau dem Mann (aus meiner Sicht), der Mann reagiert
darauf, fühlt sich angegriffen, mauert, die Frau hämmert noch mehr dagegen: „Der
muss das doch kapieren!“ Aber er kapiert es nicht, weil das, was die Frau meint, gar
nicht zu ihm durchdringt vor lauter Abwehr, weil er meint, er müsse sich verteidigen.
Oder umgekehrt. Ich kann nicht behaupten, dass ich schon alles kapiert habe, was
Dirk mir sagt, verinnerlicht, begriffen. Nein, habe ich nicht. Dirk sagt mir z.B. immer
wieder, dass er mich liebt oder dass er mich aufregend findet, schön. Ich glaube ihm
das nicht wirklich. … - Oh Mann - wie gut, dass ich das niederschreibe! Denn während
ich es aufschreibe, sickert es in mich ein, da entdecke ich einen Teil in mir, der es
besser weiß und der ihm glaubt. Der weiß, dass er die Wahrheit sagt, seine
Wahrheit, dass er mich nicht anlügt.
Ich muss mich erstmal zurücklehnen und diese Erkenntnis in mich einsickern lassen.
…-…-…-
66
Eigentlich will ich auch nicht aufschreiben, dass das so ist, mit dem Nicht-glaubenund-annehmen-können, weil ich doch immer andere Erfahrungen gemacht habe,
hintergangen und betrogen wurde, nicht beachtet und fallengelassen – das sind die
Erfahrungen, die ich mit Männern gemacht habe in meinen Beziehungen. … Interessiert mich das noch? Das Alte. Interessiert uns das? Will das irgendjemand
hören? Nein. Deshalb schreibe ich auch den ganzen Kampf/Krampf von gestern nicht
ausführlich auf. Ich bekomme jetzt schon Kopfschmerzen, wenn ich nur dran denke,
das will ich nicht noch ausbauen. Das war gestern schlimm genug. Zwischendurch
hatte ich immer wieder den Gedanken: „Es ist absolut sinnlos. Das Gerede bringt
nichts.“ Dirk hat nicht begriffen, was ich ihm sagen wollte und ich konnte nicht
begreifen, was er sagt. Bei mir war das meistens im Sinne von: „Wie kann der das
jetzt sagen?! Das ist völlig unkonstruktiv und dient nicht der Klärung, sondern ist
einfach nur Streit, Schlagabtausch.“ Irgendwann fragte ich Dirk, was für ihn der
Kernsatz sei, von dem, was ich rede, und überlegte, was für mich sein Kernsatz ist.
Er sagte mir dauernd, er könne nichts sagen, ohne dass ich mich angegriffen fühle.
Und er meinte, ich würde ihm im Grunde dauernd sagen, er hätte keine Zeit für mich
und Michel. Ich bin dann auf den Dreh gekommen, dass das, mit dem keine Zeit
haben, wahrscheinlich genau das ist, was ich mir selbst vorwerfe. - Jetzt erkläre ich
es doch genauer: Dirk baut uns einen neuen Freisitz. Das ist sein aktuelles Projekt.
Er hat schon jede Menge andere Ecken draußen und drinnen gestaltet. Er verbringt
viel Zeit mit diesem kreativen Handwerk. Ich finde das alles klasse, was er macht.
Aber wenn vor lauter Arbeit die Zweisamkeit und das Familienleben zu kurz kommen,
dann ist das unausgewogen und darüber beschwere ich mich bei ihm. Dirk neigt dann
dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten: „Dann mache ich gar nichts mehr!
Wenn‘s nach Dir ginge, würde hier alles so bleiben, wie es ist!“ (Schwachsinn!!!) „Soll
ich mich den ganzen Tag zu Dir auf’s Sofa setzen?!“ Nun sitze ich mitnichten den
ganzen Tag auf dem Sofa. Und ich habe Dirk schon bestimmt hundert Mal gesagt,
dass ich es toll finde, was er schon alles gemacht hat und was er macht. Wie schön
das alles ist! Und dass er meine ganze Bewunderung hat, wie er aus wenig
wunderschöne Dinge zaubert. Das tut er wirklich. Er ist enorm kreativ. Ich sage ihm
dann oft, dass es mir nicht darum geht, dass wir ständig beisammen hängen, sondern
dass er mich mal kurz, im Vorübergehen, oder dass er vielleicht auch mal extra dafür
reinkommt, schmust. Mal öfters zwischendurch zärtlich mit mir ist. Da würde ich
mich voll freuen, das würde mir guttun. Ich brauche nicht viel, aber wenn eine
Zeitlang gar nichts da ist, fange ich an, zu darben. Das fehlt mir dann, die
Körperlichkeit, die Zuwendung. Dirk antwortet darauf meistens: „Du kommst ja auch
nicht zu mir!“ Und ich sage: „Ja. Aber ich denke, dass das Ganze von Dir ausgeht
(damit meine ich die Verweigerung) und ich will, dass Du zu mir kommst.“ So. Und
genau das könnte ich mir sparen. Spätestens das! Eigentlich könnte ich mir den
ganzen Streit er-sparen und einfach genau das tun: zu ihm gehen. Ihn von mir aus
schmusen. Da hat er nämlich recht. So einfach ist das. Ja, ich weiß. Warum macht
67
man das dann? Warum mache ich das, diese Streitereien und: „Ich will was von Dir
haben und Du gibst es mir nicht!“? Dieses Muster, meine unbefriedigten Bedürfnisse
einem anderen zur Last zu legen. Blödsinn eigentlich. Wenn ich etwas haben will,
muss ich das sagen, mir holen oder es einfach machen, mir selber geben. Ich kann
den Anderen darum bitten oder fragen. Wenn er’s mir gibt, prima. Wenn er’s mir
nicht gibt, – und das ist die Kunst – brauche ich das auch nicht persönlich zu nehmen.
Er ist nicht dazu da, meine Bedürfnisse zu befriedigen. Davon mal abgesehen, war ich
ja bei meiner Idee mit dem Kernsatz darauf gekommen, zu überlegen, ob ich mir das
vielleicht selber antue: zuviel das Eine und zu wenig das Andere, zu viel Arbeit und
zu wenig Zärtlichkeit. Als ich soweit gediehen war, wurde mir auch gleich bewusst,
dass es so war: Ich hatte über Tage hinweg in jeder freien Minute geschrieben.
Dabei kam sogar Michel manchmal zu kurz. Anstatt mit ihm zu spielen, saß ich am
Computer. Von mir selbst ganz zu schweigen. Mal nichts-tun, die Füße hochlegen oder
ein Fußbad nehmen und mir selbst die Füße salben – lange nicht gemacht. Mich selber
schmusen. – Manchmal küsse ich mich selbst, auf die Hände, auf die Arme, auf die
Schultern, gebe mir Küsse auf die Hände und streichele sie mir ins Gesicht. Das tut
gut! Wenn ich das mache, komme ich auch wieder mehr in Fluss, bin ausgeglichener,
genährt und nicht mehr so auf andere, auf Dirk, angewiesen. Dann bin ich bei mir und
kann von mir aus mit anderen in Austausch gehen.
Der ganze Streit führte nur dazu, dass wir feststeckten. Mit Reden war da nichts
mehr zu retten am Samstag. Ich fühlte mich wie eingemauert. Irgendwann am
Nachmittag gab Dirk Michel etwas zu essen, Michels Nachmittagsjoghurt. – Dirk ist
so, dass, wenn wir durch Reden absolut nicht weiterkommen, an gewissen Punkten, er
dann aber immer irgendetwas tut, von dem er denkt, dass es das ist, was ich mir von
ihm wünsche oder womit er mich entlasten kann. - Der Süße!!!! - Ich hockte mich dann
einfach zu den beiden, neben Dirk, mit meinen Mauern im Kopf, und strich ihm über’s
Knie. Wir nahmen uns dann in die Arme und küssten uns. Und damit war es „wieder
gut“. – Vorher stundenlang hunderte oder tausende von Worten gemacht, (die ich eh
alle schon genauso oft vorher, bei vorherigen Gefechten, gesagt hatte) Energie
verschleudert, Krieg geführt … - dabei hätte es gleich so einfach sein können. Ganz
schön bescheuert ist man manchmal.
Am Abend war Mondfinsternis. Ich habe sie beobachtet, man konnte sie sehr schön
sehen, der Himmel war ganz klar. Nur den Höhepunkt, den habe ich verpasst. Da
haben Dirk und ich zusammen geschlafen. – Ich glaube, ich lasse gerade diese
„Sucht“ los. Der „Versöhnungssex“ war nicht anders, nicht prickelnder, es war so
schön, wie jedes Mal mit Dirk. Wir hatten unseren Höhepunkt wohl alle zusammen,
der Mond mit seiner Finsternis, Dirk und ich.
68
Und dieses jahrhundertealte Unverständnis zwischen Mann und Frau ist z. Zt. so am
Aufkochen, weil es sich auflöst, meine ich. Wir heilen. Wir werden in Liebe
verschmelzen. Wir tun es ja schon dann und wann. Manchmal, wenn ich mit Dirk
Streit hatte, höre ich hinterher im Radio oder Fernseher, was anderswo passiert ist,
dass Paare einander umbrachten, entweder einer den anderen oder erst einer den
anderen und anschließend sich selbst. Oder ich bekomme von Freunden und
Bekannten mit, dass sie auch Stress hatten. Dann denke ich, es ist wieder eine
globale Reinigungswelle über die Erde gegangen, Verkrustungen sind aufgeweicht,
Dreck kommt hoch und wird weggefegt und im Grunde bringt uns das alles einander
näher. Im Familienstellen wurde gesagt, dass die Bindung zwischen Mörder und
Getötetem beinahe enger ist, als eine Mutter-Kind-Beziehung. Damit will ich das
nicht gutheißen, dass einer den anderen umbringt, ist ja klar, aber im Grunde kann
ich alles verstehen, was geschieht, und ich plädiere dafür, nichts zu be- oder
verurteilen, sondern allem, was ist, in Akzeptanz zu begegnen. Dieses Plädoyer ist
natürlich in erster Linie für mich. Ja, Sonja, üb‘ das mal: Akzeptanz.
Okay. Mach ich.
Herbst im August
Heute ist der 25. August, KW 35. Der Herbst ist schon da. Schon seit einigen Tagen.
Der Mond ist am Abnehmen. Seit der Mondfinsternis beim letzten Vollmond, am 16.
Ich putze das Haus in diesen zwei Wochen des abnehmenden Mondes. Inklusive
Fenster diesmal. Ich mache das schon seit einigen Jahren, dass ich nur in den
abnehmenden Mondphasen putze, seit ich in einem Buch über den Mond las, dass man,
was reduziert werden soll, im abnehmenden Mond angehen soll. Wenn man da putzt,
würde es länger sauber bleiben. Ich weiß nicht, ob das so ist, aber da ich nur noch im
abnehmenden Mond putze, mache ich mir wenigstens während der zwei Wochen, in
denen der Mond zunimmt, keinen Kopf um Staubwedel und Putztuch. Ich hatte schon
Zeiten, in denen dachte ich: „Hei! Mein Haus bleibt von selbst sauber! Ich muss nicht
mehr putzen!“ Aber das konnte ich nicht wirklich glauben. Deshalb ist es nicht
geblieben. Jetzt putze ich wieder. Ich glaube auch, dass, wenn ich es wirklich
glauben könnte, für möglich halten würde, z.B. meine Zähne nachwachsen würden, die
mir fehlen. Weil ich es nicht wirklich glauben kann, kann es nicht geschehen. … Vielleicht noch nicht.
69
Ich selbst bin auch am Abnehmen. Seit Februar mache ich, während der
abnehmenden Mondphasen, regelmäßig Obsttage, drei oder vier hintereinander, in
jeder der beiden mondabnehmenden Wochen. (Manchmal nicht ganz so viele, wenn
etwas dazwischenkommt, wo es was Gutes zu essen gibt – ich nehme es nicht ganz so
streng.) Dabei verliere ich immer schön die Kilos, das hat richtig geflutscht von
März bis Juli. Seit März gehe ich auch wieder ins Fitness-Studio, was das seine
hinzutut. Sechs Kilo ungefähr sind runter laut meiner Waage. Ich war so in AbnehmEuphorie, dass ich dachte, im Juli, vor unserem Urlaub, knacke ich die 70-Kilo-Marke!
Das ist aber nicht gelungen. Auch jetzt stagniere ich noch. Immer noch über 70 Kilo.
Letzte Woche, an meinem vierten Obsttag in Folge, wurde mir flau, schwach und
mulmig. Von mir aus hätte ich mir das wahrscheinlich zugemutet und den vierten Tag
einfach (kompliziert, aufgedrückt) durchgezogen, aber Dirk sagte: „Iss doch was
Ordentliches“. Und ich nahm das von ihm an und brachte die Hälfte meiner Schüssel
voll Obstsalat für diesen Tag meinen Eltern zum Nachtisch und bereitete mir selbst
noch etwas Deftigeres zu.
Jetzt nimmt der Mond immer noch ab, am Samstag dem 30. ist Neumond. Diese
Woche werde ich die Obst- auf Rohkost-Tage ausdehnen. Und vielleicht am Tag des
Neumondes fasten. – Aber mal sehen, was mein Körper dazu sagt. Denn ich habe das
Gefühl, diese 70-Kilo-Marke ist möglicherweise deshalb so zäh, weil ich etwas
anderes daran lernen soll: nämlich mich und meinen Körper, so zu lieben, wie ich bin.
Mich anzunehmen! Ganz und gar! Und mich nicht dauernd zu geißeln: „Du musst
erstmal schlanker werden!“ Zumal ich mich wohlfühle. Mein Kopf will erst zufrieden
sein bei sagen wir mal 63 Kilo. Aber: Ich bin manchmal ganz schön bescheuert! Diese
Erkenntnis hatte ich ja schon bei anderer Gelegenheit und hier verhält es sich wohl
auch so. Mein Kopf meint, er sei für etwas zuständig, wofür er gar nicht zuständig
ist. Und durch diese Fehleinschätzung bescheren wir uns, mein Kopf und ich, nur
Kummer und Stress, Druck. Das ist mit so vielem so! Das wird mir immer bewusster!
Ich mache mir um irgendetwas Sorgen, aber es ist nur in meinem Kopf! Und wenn ich
aufhöre, das zu tun, dann ist es auch nicht mehr, dann ist alles gut.
Mir wird aber auch immer bewusster, wie vieles gar nicht mehr an mich ran kommt.
Die Dramen der Außenwelt. Ich kann sie da sein lassen, ohne dass es mich berührt.
Nicht, dass ich kalt dagegen bin – wie soll ich das sagen? – ich akzeptiere sie, die
Dramen, die manche Menschen spielen: entführte Kinder, abgestürzte Flugzeuge,
Kriege. Aber es bedrückt mich nicht. Ich bin innerlich ganz ruhig und weit. Wer das
braucht, um bewusst zu werden, der braucht es. Die Flugzeuge stürzen vielleicht
deshalb gerade gehäuft ab, weil wir aufhören sollen, so abartig viel zu fliegen. Und
wie sonst kann man die Menschen dazu bringen, mit dem Fliegen aufzuhören? Dieses
übersteigerte Fliegen und Urlaub-machen ist äußere Ablenkung der Spitzenklasse.
Ablenkung von den eigenen Themen, von uns selbst, von dem, was ansteht und von der
70
Wirklichkeit. Lieber Spielchen spielen, statt das pralle Leben, Seichtigkeit statt
Tiefgang. – Ich war mal über Weihnachten in der Türkei. Das war ein ganzer Flieger
voller Menschen, die einen absolut unnötigen, überflüssigen Urlaub verbrachten.
Stress hoch zehn. Jeden Tag eine Busreise mit Besichtigung und wir sollten
irgendetwas kaufen, Teppiche, Klamotten etc. Außerdem Beziehungsspielchen erster
Kajüte bis zum Abwinken mit Kellnern, Reiseleiter und anderen männlichen Figuren,
die dort irgendeinen Job machten. Als wir wieder zuhause waren, wurde ich gefragt,
ob ich mich in meinem Urlaub schön erholt hätte. Da wurde mir klar, dass ich nach
diesem Urlaub so fertig war wie fast noch nie und dass ich mich zuhause erstmal vom
Urlaub erholen musste. Zum Glück hatte ich noch ein paar Tage frei. - Wer fliegen
will, kann das auch auf andere Art und Weise tun. Flug in die innere Freiheit. Das
wird sich in uns ausbilden.
Die entführten, missbrauchten und getöteten Kinder im Außen, in den Nachrichten –
das ist dieses Potential in uns selbst, wie wir mit uns selbst umgehen, unseren
eigenen inneren Kindern. Solange sich im Außen diese Dramen ereignen, ist es in
unserem Inneren nicht geheilt. Aber das Thema ist präsent und weil es präsent ist,
kann es heilen. Und das wird es über kurz oder lang. Die Heilungsphase ist. Es ist
jetzt. Und manche sind schon da, angekommen im Heil, in ihrer eigenen Heiligkeit,
sich ihrer bewusst, und die anderen folgen. Im Grunde sind wir alle gleich weit. Voll
im Umbruch. Zeiten(w)ende. Das Ende der Zeit. Kein gestern und kein morgen mehr,
nur jetzt, wundervolles Jetzt.
Die Dinge kommen hoch bei allen. Und das ist gut so. Der, der in seinen Themen ist,
hat jede Menge Hilfe und Unterstützung, himmlische, menschliche, therapeutische.
Er/sie braucht sich nur zu öffnen und anzunehmen, bewusst-werden, bearbeiten (? vielleicht gar nicht mehr nötig), gehen lassen. Oder integrieren. Zeit der Reinigung
und Annahme. Nicht mehr kämpfen. Alles sein lassen.
Karen Bishop sagt in ihren Energy-Alerts auf www.esoterium.de immer wieder, man
soll sich aus dem „mainstream“ raushalten und in seinen eigenen heiligen Räumen
bleiben, im eigenen heiligen Space. Und genau das ist es. Meine Sorgen im Kopf sind
auch Mainstream. Was heißt das, „mainstream“? Massenbewusstsein? Kopf-Fluss?
Sich zu viele Gedanken machen? Nichts gegen meinen Kopf und seine Gedanken. Es
ist nur manchmal so, dass, wenn ich zu sehr bei meinen Gedanken bin, nur in ihnen,
das einen Druck erzeugt, Druck im Kopf, Kopfweh und inneren Druck, Kummer. Der
Kopf muss in Relation gestellt werden. Er ist nicht alles und z.Zt. trägt er ein
Übergewicht. Z.B. will man mit dem Kopf Dinge lösen, in denen man nur vertrauen
kann. Das kann der Kopf gar nicht leisten! Wir müssen uns also unsere Köpfe
zurechtrücken, zurechtrücken lassen durch die Herausforderungen des Lebens,
dahin, wo sie hingehören, und sie auch nur ihren Job machen lassen und nicht noch
71
zehn oder zwanzig andere. Nicht alles mit dem Kopf lösen wollen. Wenn wir das tun,
hat auch wieder jeder Arbeit im Außen. Wir brauchen uns gar nicht zu wundern, dass
das Verhältnis im Moment so ist, dass diejenigen, die einen Job haben, von ihrer
Arbeit erdrückt werden, weil es zu viel für einen allein ist, während viele andere
ohne Job sind, ohne eine bezahlte Arbeit. Das ist, weil wir selbst nur unsere Köpfe
gelten lassen und sie zudem maßlos überfordern, während wir andere Qualitäten an
uns nicht achten, schätzen und nicht nutzen. Es liegt alles an uns. In uns. Dabei
glaube ich, dass sich das mit den Jobs grundlegend ändern wird. Wir müssen nicht
mehr arbeiten gehen.
In mir ist eine unbändige Freude! Die sprengt alles, alles an Sorge, Gedanken ums
Geld, um Dirks Job … - das hat da gar keinen Platz! Von dem, was eine Waage anzeigt
und schmutzigen Fenstern ganz zu schweigen. Ich bin voller Vertrauen, dass wir alle
dahin kommen, in diesen Space der Freude! In dieses weite Land.
Vielleicht ist der Herbst so früh da, um uns zu zeigen, dass das Überflüssige, Alte,
Verbrauchte abfällt und wir vor unserer überreichen Ernte stehen! – Es gibt dieses
Jahr sehr viele Äpfel – die paradiesische Frucht. Weil wir am Eingang des Paradieses
stehen. Wir sind da, wir sind angekommen! Wir stehen am Tor, glaubt mir Leute!! ☺
Rapper, Punker, Prinz Albert und was ich damit zu tun habe
Ich gehöre ja nun quasi zur Elterngeneration, auch wenn ich spät in diesen Status
gekommen bin, aber so vom Alter her, Anfang/Mitte 40, voll das mittlere Alter. Wir
sind das Establishment. Vielleicht kommt man da einfach irgendwie hin, auch wenn
man meint, das könnte einem nicht passieren. Davon abgesehen gibt es Leute, die
sind schon mit 14 establishment-like. Harald Schmidt sagte zu seinem 50.
Geburtstag, er fühle sich schon sein ganzes Leben lang wie Mitte 50. Auf diesen
seinen Ausspruch hin, den ich sehr treffend fand, denn er wirkt auf mich auch schon
immer wie Mitte 50, fühlte ich in mich hinein. Wie alt fühle ich mich? Aber ich kann
da kein Alter feststellen. Ich glaube, ich bin ewig alt und ewig jung. Mein Geist
schwebte schon über den Wassern, ganz am Anfang, als die Erde entstand. Und da
kam ich auch irgendwo her. Das weiß ich. Und ich werde immer (da) sein. Ich kann
keine Alterung feststellen in mir. Etwas in mir ist immer gleich. Mit 39 hatte ich ein
graues Haar und manchmal knirschen meine Knie, aber innerlich bin ich alterslos. Ich
fühle mich auch schon immer ganz. Als Kind fühlte ich mich ganz, mit 12 fühlte ich
mich ganz, mit 17. Trotz meiner Schüchternheit, meiner Unsicherheit im Umgang mit
anderen Menschen und meiner ganzen Prozesse (und Exzesse), durch die ich
72
gegangen bin. Vielleicht ist das ein Paradoxon, aber es ist so. Ich bin schon mein
ganzes Leben lang ich. Als Kind fühlte ich mich vollkommen, ich hatte nicht das
Empfinden, ich müsse erst „noch groß“ werden, wie ich das manchmal gesagt bekam.
So ein Quatsch! Ich bin schon immer die, die ich bin, egal, wie alt ich bin. Vielleicht
habe ich mich zwischenzeitlich manchmal etwas, oder sehr, aus den Augen verloren.
Aber ich habe mich immer mit mir getragen, hatte mich stets bei mir. Vielleicht ist
das so, dass man sich selbst nicht mehr sieht, wenn man sucht, wenn man sich auf die
Suche begibt, wenn man Sinn sucht, im Außen, wenn man außen etwas sucht, das man
nur in sich selbst finden kann, im Innen. Wenn man außen sucht, was man stets mit
sich trägt. Und vor lauter Suchen, sieht man es nicht, erkennt es nicht, weil man
ganz woanders hinsieht, in die verkehrte Richtung. Und irgendwie scheint das zum
Leben dazu zu gehören, oder? Die Jungen suchen. Und irgendwann findet man es.
Oder es findet einen. Wenn man stehen bleibt und sich einfach sich selbst sein lässt.
Nun liegt es aber vielleicht doch mit an meinem momentanen Alter, diesem mittleren,
dass ich Angst habe vor Rappern oder besser gesagt, dass dieses Angstpotential in
mir ist. Es ist nicht immer aktiviert, aber latent vorhanden: Unbehagen vor dieser
Scene, diesem vermeintlichen Space, was ich da hinein interpretiere. Und warum
machen mir die Rapper und auch die Schwarzgekleideten, Haar-schwarz-gefärbten,
Gepiercten – haben die eigentlich auch einen Namen? – Unbehagen und Beklemmung?
Die Großelterngeneration, der meine Eltern nun angehören, hatten möglicherweise
Angst und Unbehagen wegen mir und meinesgleichen. Ich bin eher ein später Hippie.
Aber in meinem Freundes- und Bekanntenkreis waren auch Punker und andere
Zerrupfte, für die es keine speziellen Bezeichnungen gab. Sie waren halt auf Protest
und sich selbst am suchen. Ich glaube, manche suchen heute noch. In dem Sommer
bevor ich mit Dirk zusammen kam, war ich auf eine Party eingeladen. Ein alter Freund
von mir feierte seinen Geburtstag. Wir standen uns einmal sehr nahe, deshalb fuhr
ich auch hin. Obwohl ich vorher überlegt hatte, ob ich überhaupt fahren sollte, denn
er lebt schon seit ich ihn kenne sehr am Rand - der Gesellschaft, des Lebens …
immer voll auf Protest und Abwehr und am Suchen. Und voll auf Drogen, alles, was es
so gibt. Alkoholabhängig sowieso, ständig am kiffen, LSD, Pilze, Speed, Koks … was es
halt (gerade) gibt. Und die Leute in seinem Umfeld eben auch, wenn manche von
ihnen auch etwas … ja, wie denn? … etablierter sind, ganz leicht, er ist wirklich der
absolute Extremfall. Und seit ich trocken bin, habe ich mich von dieser Scene
ferngehalten. Wir trafen uns in den Sommern hin und wieder zufällig am See und
lagen dann zusammen in der Sonne und redeten. Aber auf ihren Partys war ich nicht
mehr und besucht haben wir uns auch nicht.
Auf dieser Party habe ich mich dazu hinreißen lassen, wieder zu kiffen. Zum ersten
Mal seit ewigen Zeiten. Es war schrecklich! Aber – irgendwie war es auch fällig. Ich
brauchte diese Lektion, denn ich spielte zu der Zeit schon seit längerem mit dem
73
Gedanken: „Ob ich mal was trinken sollte? Um zu sehen, ob ich es noch habe, die
Sucht. Oder was rauchen? Zum Spaß?“ Es war absolut kein Spaß! Ich war nicht mehr
ich. Vorher war ich ich und es ging mir gut, auch in dieser Scene, in Gesellschaft
derer, die tranken und kifften. Da konnte ich noch mit ihnen reden. Als ich was
geraucht hatte, konnte ich nicht mehr mit ihnen reden. Weil ich nicht mehr ich war.
Wie soll ich das erklären? Ich hatte die Erwartung, das Kiffen würde mich vielleicht
frei machen, frei im Kopf. Mir mehr gedankliche Freiheiten schenken, Grenzen
durchbrechen, an die ich in meinem Alltagsbewusstsein immer wieder stieß. Ich
dachte, ich hätte das so in Erinnerung, dass das so sein kann beim Kiffen,
Erleuchtungen werden einem zuteil und vor allem: Man hat Spaß. Nun, das mag früher
auch gelegentlich so gewesen sein, aber dieses Mal hatte ich weder Spaß noch einen
geistigen Durchbruch. Im Gegenteil: Ich fühlte mich einfach nur bedröhnt, weit und
zu zugleich im Kopf. Kennt das jemand? Mit – ich sage nicht, wie er heißt – konnte ich
auch nicht reden. Früher bewunderte ich ihn immer für seine Weisheit, die er trotz
allem oder wegen allem, was er so erfahren hatte, für mich ausstrahlte. Ich war mit
der Hoffnung hingefahren, dass auch er inzwischen gereift war und mir vielleicht mit
meiner Eifersucht helfen konnte, weil das gerade ein solches Dilemma für mich
gewesen war in der Beziehung mit Ralf. Ich wollte ihn fragen, wie er mit sowas
umgeht, mit Nähe und Vertrauen bzw. Misstrauen und Ängsten. Er sagte mir, dass er
so etwas gar nicht zulasse, Nähe. „Immer wenn’s nah wird, mach‘ ich zu, hau‘ ich ab“,
sowas in der Art sagte er. Und außerdem würde er mich noch lieben, ich sei seine
letzte Liebe gewesen. Na prima! Tolles Alibi! Ja, wir waren mal ineinander verliebt,
aber „richtig“ zusammen waren wir nicht. Wir hatten keinen Sex, das ging nicht mit
ihm. Er hat „keinen hoch gebracht“, wahrscheinlich wegen der vielen Drogen. Und der
miserablen Ernährung. – Manche Leute sind wirklich zäh wie Juchte. „Ich kann jeden
verstehen, der es nicht schafft, mit dem Trinken aufzuhören“, sagte ich früher
immer, in den ersten Jahren nach meinem Trockenwerden. Weil ich wusste, wie stark
das ist, Sucht. Das war einfach stärker als ich selbst. Vom Alkohol hatte ich ein Bild,
das kam während meiner stationären Therapie zu mir: Er ist ein Monster; wenn ich
ihm den kleinen Finger reiche, schnappt er mich, reißt mich zu sich und verschlingt
mich mit Haut und Haaren. Ich bin dann völlig hilflos und muss abwarten, ob er
meiner überdrüssig wird und mich wieder ausspuckt. Und so liege ich dann da:
ausgespuckt. Aber noch am Leben. Meine Schwester sagte einmal, als ich mit meinem
Suff in den Endzügen lag und es auch in der Familie durchgesickert war, dass ich
soff, dass ich am Ende war und dass ich aufhören wollte, eine Therapie machen
wollte: „Wenn Du nicht trinken willst, dann lass‘ es doch einfach.“ Sie hat das
überhaupt nicht verstanden. Sie konnte es nicht nachvollziehen. Genau das ging ja
nicht, es einfach lassen. Das stand nicht in meiner Macht.
Auf dieser Party waren jedenfalls noch andere alte Bekannte. Ich hatte alle seit
Jahren nicht gesehen. Und alle, die dort waren, waren noch „voll drauf“. Beim Einen
74
war die Suchtdroge Alkohol, beim anderen Haschisch und sowieso konsumierten sie
die Drogen querbeet. Mein alter Freund hatte mir auch Rotwein angeboten, obwohl
er wusste, dass ich trocken bin. Das ist mir erst später so recht bewusst geworden.
Da hätte ich eigentlich mal zuschnappen können, von wegen: „Was soll das?!“ Er sagte
auch, er mache auch „ein bisschen Therapie“, weil er tagsüber, wenn er bei einem
Freund mit zum Arbeiten war, nichts oder wenig trank. Der hat es andersrum nicht
kapiert. Er weiß nicht, wie das Aufhören geht, dass es gehen kann. Aber wie soll man
das auch wissen, wenn man es nicht erlebt hat? Ich konnte mir damals, als ich
aufhörte, auch nicht vorstellen „nie wieder“ Alkohol zu trinken. Ich dachte: „Ich
muss mal bisschen langsam tun. Ich bin völlig im Arsch. Wenn ich mich wieder erholt
habe, kann ich auch wieder was trinken.“ Pustekuchen. Nein. Das sollte man nicht tun.
Ich hab’s bisher noch nicht ausprobiert. Jeder, der von Rückfall erzählt hat, z.B. in
den Selbsthilfegruppen, die ich besuchte, sagte, dass man gleich oder über kurz
oder lang wieder da lande, wo man aufgehört hat oder noch eine Stufe tiefer. Und da
will ich weiß-Gott nicht wieder hin! Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich das
selbst gemacht habe, mit dem Trinken aufgehört. Das kann man nicht machen. Das
kann man nicht erkämpfen, meines Empfindens, dazu braucht es Hingabe,
Fallenlassen, geschehen lassen. Bei diesem Prozess hatte ich auch das Gefühl von
höherer
Fügung,
himmlischer
Begleitung
und
Hilfe,
da
hat
mich
jemand
durchgezogen, meine Schutzengel, manche in Menschengestalt und die unsichtbaren,
mit aller Kraft. Währendem es passierte, hatte ich dieses Gefühl nicht, da war ich
einfach auf Entzug, nachts am Schwitzen und mir ging es sauschlecht, aber
hinterher, als es überstanden war und ich begriff, dass ich wirklich draußen war aus
dem tödlichen Sumpf. – Ich danke Euch allen!!!!!!! … – … - Aber mir danke ich auch!
Dafür, dass ich offen und empfänglich für diese Verwandlung war. Dass ich Hilfe
angenommen und dass ich durchgehalten habe, dass ich diesen Prozess mitgemacht
habe, dass ich mich eingelassen habe. Dass ich im Wind der Veränderung Windmühlen
baute und keine Mauern. Ja, mir gebührt auch meine Anerkennung. Hast Du gut
gemacht, Sonja!
Mein alter Freund erzählte auch immer noch die gleichen Sachen wie vor zwanzig
Jahren, die Geschichten von der Marine, bei der er mit 18/19 war, jetzt ist er bald
50, und ich meine, er ist irgendwie hängen geblieben. Er und die anderen, die sind
irgendwo hängengeblieben. Und ich habe den Eindruck, das Hängenbleiben ist bei den
Menschen sehr beliebt, eine weit verbreitete Art, sein Leben zuzubringen. Man
macht sich ein Bild, von sich selbst, vom Leben und von den anderen und hängt es auf,
hängt sich selbst hinein. Da hängt das Bild dann, da hängt man. Und hängt und hängt.
Und staubt ein. Ich kenne auch Leute, die trocken sind und dennoch auch hängen. Die
haben aufgehört zu trinken, entwickeln sich aber sonst nicht weiter, bleiben lieber
starr (und stur). Die haben die Pulle aus ihrem Bild ausradiert, das ist alles. Und noch
nicht mal das haben sie, denn sie reden noch nach zwanzig Jahren davon, wie das war
75
als sie tranken. Pulle ausgekippt, vergoldet und auf einen Sockel gestellt. Die
Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker sind voll von solchen Leuten. Immer
schön weiterschimpfen auf’s Außen (auf die „hochgradig bekloppten Arschlöcher“)
und bloß nicht bei sich selbst nachsehen. Schlimm, ja verlogen, finde ich das bei den
AAs weil sie so edle Grundsätze haben, die bei jedem Meeting vorgelesen werden,
aber sie setzen sie nicht wirklich um, sondern reden nur Stund‘ um Stund‘ darüber.
Vielleicht ist das, weil manche das Trockensein doch erkämpft haben und dann
einfach weiterkämpfen und sich nicht fallen lassen, in ihr Selbst, in ihr Leben, ins
Vertrauen, weil sie nicht loslassen, sondern sich weiterhin an etwas festhalten, an
den äußerlichen Rahmen. - Aber: Das habe ich bei den AA auch erstmal gelernt:
reden (und Zuhören). Das traute ich mich nämlich vorher oft nicht, ohne rot zu
werden und Druck auf den Ohren. Und dafür bin ich ihnen auch dankbar. Trocken
wurde ich auch mit ihrer Hilfe, nach dem ersten Abend, an dem ich eines ihrer
Meetings besucht hatte. Dafür bin ich wirklich aus ganzem Herzen zutiefst
dankbar!!!!! Aber irgendwann musste ich die Meetings verlassen, das war nichts mehr
für mich. Ich kam mir vor wie in der Muppet-Show: Ich zeige meine Integrität auf
der Bühne und da sitzen ein paar alte Lästerer im Balkon, die wissen alles besser,
sind über alles erhaben, sind zynisch, selbstgefällig und ironisch, machen sich lustig
und lassen nichts an sich heran. Sie verharren hartnäckig in ihren alten Mustern und
wollen sich nicht ändern, predigen Toleranz, haben aber für all ihre Probleme einen
Sündenbock zur Hand. Als ich sagte, dass ich nicht mehr komme und meine Gründe
nannte, wurde mir gesagt, dass das im Grunde niemanden interessiere und ich könne
doch einfach weg bleiben. Was ich dann auch tat.
…-…-…Als mein Drogen-Selbstversuch also so erbärmlich gescheitert war, verließ ich die
Party und machte mich auf den Heimweg. Seit 10 Jahren wieder bedröhnt Auto
gefahren. Ich meine fast, mir sei auf der ganzen Heimfahrt kein Mensch begegnet.
Aber ungefähr in der Mitte der Strecke lag ein toter Dachs auf der Straße. Am
nächsten Morgen, das „Zeug“ hing mir noch in Körper und Gemüt, schlug ich in
meinem Kraft-Tiere-Buch nach, welche Kräfte der Dachs vertritt (13). Es ist die
Angriffslust. Und ich hätte ruhig mal um mich schnappen können auf dieser Party und
nicht immer nur lächeln und still sein und dann verschwinden. Und: Früher war das
auch so! Damals, vor bald zwanzig Jahren. Mein alter Freund und seinesgleichen
hatten sich eine ganze Weile bei mir im Haus einquartiert. Und, bei allem, was noch
war, war es auch einfach so: Sie lebten auf meine Kosten, mietfrei, ich kaufte das
Essen, bezahlte die Rechnungen. Und ich war voll dazwischen, zwischen dieser Wirsind-gegen-
die-Gesellschaft-Scene
und
meinen
Eltern,
die
ja
nun
kaum
überzeugender „die Gesellschaft“ hätten darstellen können. Und denen das Haus
gehörte. Ich wäre damals beinahe rausgeflogen, mitsamt meinen „Freunden“. – Ich
76
glaube, ich komme gerade an eine sehr reale Quelle meiner Wut auf und
Enttäuschung durch Männer und angebliche Freunde. Mein armer innerer Dachs! Ich
bin ins Auto gerannt.
Der See, an dem wir uns manchmal zufällig im Sommer trafen, ist mittlerweile
Naturschutzgebiet und eingezäunt. Man kann sich dort nicht mehr ans Ufer legen.
Ich bin froh, dass ich bei meinem Selbstversuch gekifft und nicht mein Suchtmittel
Alkohol angewandt habe. So bin ich dann doch so weit bei mir geblieben bzw. bald
wieder „zu mir gekommen“, um die Lektion dieses Abends, die meine zerrupften
Weggenossen mir bescherten, aufzunehmen: keine Rauschmittel konsumieren! Mich
abgrenzen. Vergangenes vergangen sein lassen. Meinen Weg in Zuversicht gehen.
Früher waren wir also Hippies und Punks. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren wir
meinen Großeltern, Eltern und Angehörigen ihrer Generationen zumindest nicht ganz
geheuer. Vielleicht gab es welche, die Angst vor uns hatten oder vor unserem
vermeintlichen Potential. „Wo soll das noch hinführen?!“ Anarchie. Chaos. Und jetzt
habe ich Angst vor dem vermeintlichen Rapper- und dunkle-gepiercte-LeutePotential. Dabei sind die vielleicht auch in erster Linie einfach auf Protest, erstmal
des Protestes wegen, und auf der Suche nach einem ihrer Meinung nach besseren
Sinn. Erst mal bisschen schocken. Auch um das „Establishment“ aufzurütteln. Um es
dazu zu bewegen, seinen Kreis zu verlassen, seinen starren Rahmen. … - Ist doch an
sich nichts Schlechtes. Hm. So gesehen. … - Das kenne ich doch. – Was habe ich
gerade ein paar Zeilen weiter oben über die „Muppet-Show“ geschrieben? … - Nur
meine ich, ist das bei den Rappern und den Dunklen mit so viel Gewalt und Verachtung
verbunden. … - Aber … - dachten das meine Eltern und Großeltern von uns vielleicht
auch? Von mir? Ich, als die Jüngere, hatte die Rolle der Rebellin inne. Meine
Schwester, als die Ältere von uns beiden Geschwistern, war angepasster und hat den
Erwartungen meiner Eltern mehr entsprochen. Jetzt ist sie im Ortsbeirat und CDUMitglied. Ich bin zwar ganz und gar keine CDU-Wählerin, aber ich finde es gut, dass
sie sich engagiert und mitredet; und wenn sie manchmal Interna ihrer politischen
Treffen erzählt, dann finde ich es sogar gut, was die in ihrer Partei machen. Diese
Rollen
sind
bei
uns
beiden
also
typisch
verteilt:
sie,
die
Erstgeborene,
traditionsbewusst und ehrgeizig, und ich, die Zweite, falle aus dem Rahmen und
rebelliere gegen den Status Quo. Ja, das stimmt, das habe ich gemacht, innerlich
durch meine Einstellung und meine Sicht der Dinge und äußerlich mit Klamotten und
77
hennagefärbten Haaren. Dennoch wollte ich immer ein liebes Mädchen sein, geliebt
und verstanden werden, so, wie ich bin. Dani hat das auf ihre Art versucht und ich
auf meine, jede in ihrer Wahrhaftigkeit, jede hat versucht, die Werte zu leben, an
die sie glaubt, ganz aufrichtig - und wollte dafür geliebt werden. Bitte Mama, bitte
Papa, hab‘ mich doch lieb. So wie ich bin. Ich gebe doch mein Bestes. – Aber sie
haben es uns nicht gegeben. Es ist nie über ihre Lippen gekommen. Körperlich, mit
Zärtlichkeiten, sind wir auch sehr kurz gehalten worden. Nicht nur kurz. Es gab kaum
Berührungen. Dennoch glaube ich, dass unsere Eltern uns lieben. Und ich glaube auch,
dass sie stolz auf uns sind, stolz wie Oskar, auf jede in ihrer ihr eigenen Art. Ich
glaube, die meinen, jemandem etwas vorenthalten, spornt ihn zu noch Besserem an.
Aber das ist Scheiße. Liebe und Bestätigung holt das Allerbeste im Menschen hervor.
Ich fiel also aus dem familiären und gesellschaftlichen Rahmen. Und ich suchte Halt.
– Und ich habe Halt in mir selbst gefunden, in meinem Vertrauen in alles, was das
Leben hat. Ich habe grenzenloses Gottvertrauen und ich weiß, dass wir alle gehalten
sind. Nur so, meine ich, kann man wirklichen Halt finden: sich fallen lassen, sich aus
den äußerlichen Rahmen stürzen, ins Ungewisse, in sich selbst hinein, um sich von den
großen, gesegneten Händen des eigenen Vertrauens auffangen zu lassen, des eigenen
inneren Wissens darum, dass alles gut ist. … - … - … - Irgendwie komme ich immer
wieder zum Gleichen. – Warum schreibe ich eigentlich? – Vielleicht genau deswegen:
um immer wieder dahin zu kommen. Schreiben ist mein Werkzeug. Das Werkzeug
meiner Weisheit. Eines der Werkzeuge meiner Weisheit. Tanzen z.B. ist ein anderes.
– Vielleicht sind unsere Eltern deshalb so, wie sie sind: damit wir uns selbst finden.
Und das mit der Gewalt? Mit den Aggressionen? Piercen ist meines Empfindens eine
Form der Selbstverstümmelung. Eine legalisierte, mit der Geld verdient wird. Ein
Borderline-Symptom, das zur Mode gemacht wird. Für mich hat Piercen eine ähnliche
Energie, wie wenn Leute sich ritzen, in die Arme schneiden und solche Sachen. So
geht die Gewalt doch sehr gegen einen selbst. Man tut sich selbst weh. … - Ich habe
auch lieber mir selbst weh getan anstatt anderen. Mir weh tun lassen, anstatt
zurückzubeißen. Meinen inneren Dachs überfahren lassen. … - Ach je! …- Vielleicht
ist die Essenz einfach: Anstatt Angst zu empfinden, kann ich auch ins Mitgefühl
gehen, denn ich habe die Zusammenhänge für mich erkannt, oder einfach erstmal ins
Anschauen und sein-lassen, in die Akzeptanz.
Ist es so einfach?
Im Fitness-Studio ist seit einiger Zeit ein Pärchen, ungefähr in meinem Alter, ein
paar Jahre jünger vielleicht, die sind beide reichlich tätowiert und gepierct. Wir
saßen neulich zusammen in der Sauna. Die beiden unterhielten sich und so, wie sie
redeten, hätten sich auch meine Nachbarn von gegenüber sein können (1-a-
78
Establishment). Als ich mich duschte, kam der Mann und wollte unter den
Kaltwassereimer. Wir sahen uns an, weil ich direkt daneben stand, und er sagte zu
mir: „Hau ab.“ Das erzählte ich zuhause Dirk, auch von den vielen Piercings der
beiden, und der fragte mich: „Hat er auch einen Prinz Albert?“ Diese Bezeichnung
hatte ich noch nie gehört, aber ich bin „ja nicht blöd“ (nur manchmal bekloppt) und
sagte: „Wenn ein Prinz Albert ein Piercing vorne am Penis ist, ja, so eins hat er“ und
dass ich mich fragen würde, wo das Ding hängt, wenn der Penis erigiert, und ob das
da nicht weh tut, und an den Brustwarzen und wo überall. Dirk sagte, das Piercing
hänge dann vorne an der Spitze und das mit dem „hau ab“ habe der nicht böse
gemeint. „Ja“, sagte ich, „das war für ihn Klarheit, klare Kommunikation.“
Das ist jetzt wirklich so einfach. Vielleicht muss man die Leute auch einfach so
nehmen, wie sie sind. Und sich keine Angst machen lassen. Jeder, der mir Angst
einflössen könnte, sucht noch was. Sich selbst. Davor muss ich keine Angst haben.
Oma
Meine Oma hat sich verabschiedet. Noch nicht ganz, nicht körperlich, mit dem
Körper ist sie noch anwesend, aber sie ist nicht mehr ganz da. Sie ist nicht mehr die,
die sie war. Als ich sie das letze Mal besuchte, sagte sie: „Ich bin ja gar nicht mehr
ganz hier.“ Sie ist körperlich zusammengefallen, elend geworden, und geistig … ja,
was ist mit ihr passiert? Geistig ist sie auch elend geworden. Sie weiß nicht mehr,
wer sie ist. Sie weiß nichts mit sich anzufangen, ist ruhelos, will nirgends bleiben,
schon gar nicht alleine. Zum einen merkt sie, was mit ihr ist, ihr Elend. Und zum
Anderen weiß sie es nicht, weiß nichts mehr, weiß sich nicht zu helfen. Sie kennt sich
selbst und die Leute nicht mehr. Sie beschimpft ihre Kinder und schlägt sogar
manchmal nach ihnen, wenn meine Mutter sie waschen will z.B. oder sie sagt zu ihrem
Sohn, meinem Onkel, er sei ein „Ochs‘“. Das kennt man nicht von meiner Oma! Sie war
immer so sanft und duldsam. Sie nahm sich zurück wegen der Anderen. Und die
Anderen, mein Onkel und sein Sohn, mein Cousin, haben sich gern auf Omas Kosten
amüsiert. Die haben sie oft veräppelt. Das ist mir immer wieder aufgefallen, wenn ich
dort war, und ich sprach es auch mal an - da wurde auch wieder ein Scherz drüber
gemacht. Ich sagte Oma, sie solle sich das nicht gefallen lassen. … Da hat ihr die
Richtige einen guten Rat gegeben … der war mal wieder bestens für mich selbst
geeignet!
79
Oma hatte Angst davor, dass genau das passieren könnte. Sie sagte manchmal:
„Wenn ich einmal nur nicht den anderen zur Last falle im Alter!“ Aber so ist es jetzt
gekommen. – Mir fällt gerade ein: Eine Nachbarin meiner Eltern äußerte manchmal
den Wunsch, wenn sie sterben würde, dann wolle sie nicht alleine sein und es solle
schnell gehen. Und so ist es gekommen. Ihr Enkel und ihre Schwiegertochter
brachten sie abends zu Bett und dabei ist sie gestorben. Es ging schnell und sie war
nicht allein, ihre Lieben waren bei ihr. – Meine Oma ist jetzt die volle
Herausforderung für ihr familiäres Umfeld. Es war schon seit längerem so, dass sie
manche Leute nicht mehr kannte. Aber ich fand das nicht so schlimm. Dass sie so
ruhelos und ganz verwirrt wurde, geschah schlagartig, innerhalb von zwei/drei
Wochen. Als ich sie das erste Mal in diesem Zustand sah, sah ich es ihr auf den
ersten Blick an. Sie sieht jetzt ganz anders aus. Ich glaube wirklich, ein Teil von ihr
ist schon gegangen. Sie tat mir so leid, als ich bei ihr war. Ich hatte Michel dabei.
Der beäugte sie auch dauernd ganz aufmerksam, der merkte auch, dass mit Oma
etwas geschehen war, dass sie anders war, nicht mehr die Oma vom letzten Mal, als
wir uns gesehen hatten. Auf der Heimfahrt von diesem Besuch war ich traurig und
ich wollte darum bitten, dass Oma bald sterben darf/kann. Weil es so elend ist, für
sie selbst auch. Als ich den Wunsch innerlich formulierte, kam mir der Gedanke:
„Warum soll ich das wünschen? Habe ich den Überblick, warum was wie ist? Ich kann
es doch auch einfach so sein lassen, loslassen, vertrauen. Vielleicht ist es auch ein
bisschen so: Jetzt, wo Oma keine Kontrolle mehr hat, kommt all das raus, was sie
sich nie zugestanden hat, sich vielleicht nicht hätte träumen können, so zu sein.
Jetzt kriegen die anderen bisschen was von dem zurück, was sie ihr gegenüber
immer ausgeteilt haben und was Oma stets geschluckt hat. Also: Lass‘ sie einfach. Es
ist okay, wie es ist.“ Und ich finde, das ist es auch. Wer weiß, welche Geschenke Oma
mit ihrem So-sein für ihr enges familiäres Umfeld noch bereithält? Vielleicht
kommen sie darauf, nicht mehr so viel zu arbeiten, sondern sich auf was anderes zu
besinnen. Vielleicht zwingt Oma sie zur Kapitulation und beschert ihnen somit den
Durchbruch in die Freiheit. Wer weiß.
Das mit der Suche
Ich habe Post bekommen von einem Psychosynthese-Institut am Bodensee. Ich hatte
dort vor einigen Jahren wegen einer psychologischen Ausbildung angefragt, die ich
eventuell machen wollte und seitdem schicken sie mir ihre aktuellen Kursangebote zu.
Dieses Mal wird u.a. ein Seminar mit dem Titel „Sucht sucht Sinn“ angeboten und ich
habe überlegt, ob ich das mitmachen will. Drei Tage für mich, wegfahren, ins Allgäu,
80
an den Bodensee, wieder mal ein bisschen psychologische Selbsterfahrung. Zum
Einen hätte ich dazu Lust. Zum Anderen geht mir z.Zt. anderes durch den Sinn. Das
hat mit Suche zu tun. Was sollte ich denn suchen? Warum soll ich weiter suchen?!
Gebe ich damit nicht weiter meine Macht ab? Meine Befugnis, meine SelbstVerantwortung, meinen Frieden und erwarte etwas von anderen, Antworten, von
außen. Von Uta kamen per E-Mail die Tarot-Termine für den September. Das Thema
dieses Mal ist „Heilung - was in mir braucht Heilung?“ Es kostet jetzt 25,- €. Mit der
Euro-Umstellung kostete ein Tarot-Abend 23,- € (früher 40,- DM), dann ein paar
Monate lang 24,- und jetzt 25,- €. Ich finde das teuer. 23,- € war okay, aber 25,- €
finde ich jetzt zu teuer. Schade. Und: Es tut mir echt immer voll gut bei Uta! Aber:
Gebe
ich da
nicht auch
irgendwie meine
Selbst-Befugnis ab?
Durch
die
Regelmäßigkeit, durch das jeden-Monat-hinfahren. Hat Uta mit allem recht, für
mich, was sie sagt? Und geht es nicht auch um den Verkauf von Produkten? Okay, das
ist ihr Job. Sie verdient ihr Geld damit. Aber ich muss ihr ja nicht alles abkaufen. –
Bin ich jetzt gerade im Widerstand gegen die Fülle? Es geht aber auch um … um
Sucht? „Sucht sucht Sinn“? Ich hatte in den letzten Monaten bei den
Tarotsitzungen oft das Gefühl von Bestätigung, Bestätigung dessen, wo ich bin, bzw.
dass ich genau richtig bin, wo ich bin, wie ich bin. Als ich das Thema „Heilung“ las,
hatte ich das Empfinden: Nichts in mir braucht Heilung. Ich bin heil. Bei mir geht es
jetzt
„nur“
darum,
alles,
was
sich
zeigt,
an
Gefühlen,
Erfahrungen
und
Gegebenheiten, anzunehmen, damit umzugehen ohne es zu bewerten. Nicht, das Eine
haben wollen und das Andere nicht. Und es geht darum, dass ich mal damit aufhören
will, etwas von anderen haben zu wollen. Man kriegt es doch eh nicht von den
anderen! Die Essenz, das, was wirklich zählt. Oder? Manchmal doch. Und: Von Uta,
bei Uta, habe ich immer sehr viel bekommen. Das muss ich einfach sagen, weil’s so
ist. Eigentlich ist das mit Geld gar nicht zu bezahlen. Und ich bin für alles sehr
dankbar und froh. Dennoch regt sich in mir ein Widerstand, angeregt durch diese
25,- €. Ich will endlich bei mir bleiben und die Verantwortung für das eigene
Befinden nicht ans Außen abgeben, irgendwie so. Ich meine hier nicht, dass ich nicht
andere um etwas bitten kann, z.B. meine Mutter fragen, ob sie Michel nimmt, wenn
ich was ohne ihn machen will, oder Dirk fragen, ob er Michel füttert oder mich mal in
den Arm nimmt. Ich meine die eigene Verantwortung für mein eigenes Sein. Mal nur
meine ureigenen Antworten hören und nicht die anderer. Wenn Uta jetzt so viel Geld
verlangt für ihr Mir-gut-tun, dann tut mir das im Moment gerade nicht gut. Dann
fahre ich da diesen Monat nicht hin. Und löse mich damit vielleicht von einer Art
Abhängigkeit. – Ist das jetzt Trotz oder Reinheit? Ist auch schnurz, es ist mein
Prozess gerade. Oder Walli und das Familienstellen: Ich war sehr oft bei Walli zum
Familienstellen. Sei bietet das jeden Monat an einem Samstagnachmittag an und ich
war über Jahre mehr oder weniger regelmäßig dort. Ich bin davon überzeugt, dass
wir dort viel erlöst haben und auch für mich und meine Prozesse war die
Aufstellungsarbeit sehr dienlich und hilfreich. Aber … wie soll ich das sagen? Und
81
wie ist es wirklich?! Irgendwie ist es wie mit dem Alkohol: Irgendwann wirkt die
Droge nicht mehr. Weil man was ans Außen abgibt und darin Befriedigung sucht. Weil
man es wiederholt und wiederholt, aber irgendwann reicht es. Dann ist es eher zuviel.
Da wirkt es nicht mehr oder schlägt ins Gegenteil um, bzw. gibt es keine
Befriedigung, keine Erlösung mehr, sondern dann verwirrt es und man verheddert
sich darin. – Ich verheddere mich hier auch gerade irgendwie. Das Korrektursystem
des Schreibprogrammes funktioniert heute nicht. Die automatische Silbentrennung
auch nicht. Was hat das zu bedeuten? Dass ich aufhören soll zu schreiben? Lieber
was anderes machen? Rausgehen, Inlinerlaufen? Oder ist das die Bestätigung, mich
nicht auf’s Außen zu verlassen? Wobei das Außen, diesmal in Gestalt meines PC,
wieder mal in drolliger Weise illustriert, was in mir selbst abgeht.
Ich bin wütend. Enttäuscht. Weil mir das Außen - Uta mit ihrer Preiserhöhung, Dirk,
der keinen Sonntagsausflug mit uns machen will - mir nicht gibt, was ich will.
Damit werfen sie mich wieder auf mich selbst zurück. Wo ich wahrscheinlich auch am
besten aufgehoben bin. Und wo die Ursache von allem ist.
Ich habe mich verheddert. Ich wollte eigentlich schreiben: Das mit dem Alkohol …
aber das kriege ich jetzt glaube ich auch nicht hin. Und das mit den Paradoxen. Aber
da weiß ich überhaupt nicht, wie ich das klarkriegen soll.
Bevor ich den PC ausmache, doch das noch: Ich war alkoholsüchtig. Das stimmt.
Abhängig. Alkohol zu trinken hat mein Leben bestimmt. Aber gilt das immer noch?
Jetzt? Wie ist das mit dem Alkohol? Es ist mir zu gefährlich, es auszuprobieren,
weil ich, wie gesagt, nicht wieder dahin will, wo ich durch den Suff war. Ich glaube
aber auch, dass ich mir da ein ziemliches Gedankenkonstrukt aufgebaut habe. Ich
meine, so wäre es, aber vielleicht ist es gar nicht so. Vielleicht habe ich das nicht
mehr, die Sucht. Und vielleicht wäre ich freier, wenn ich es einmal ausprobieren
würde, dann wüsste ich es. Ich weiß aber nicht, ob ich das einfach ausprobieren kann,
ohne dass es ein „Spielchen“ ist. Außerdem geht es bei der Aufrechterhaltung
meines Ich-bin-süchtig mitunter auch um Etwas-von-anderen-haben-wollen. Wenn ich
die Sucht nicht einfach bei mir behalte, sondern sie anderen gegenüber zum Einsatz
bringe, ist es schon Scheiße. Mit Dirk z.B., wenn der Bier trinkt. Aber wie ist das mit
den Beziehungen? Warum lebt man dann überhaupt zusammen?
Ich brauche eine Pause. Computer aus.
82
Mittwochabend Anfang September
Dieses letzte Kapitel erschien mir völlig chaotisch und ich wollte es löschen. Aber ich
lasse es. Es drückt aus, was gerade „abgeht“. In mir.
Außerdem geht noch was ab: Was ist das? Ist das die Kernfrage, die da in mir
hochkommt? Kann ich mir die Geschichten mit dem Alkohol und mit Dirk alle sparen?
Heute Nacht in meinen Träumen oder während des Einschlafens oder schon gestern
in meinem Tagesbewusstsein, ich weiß nicht wann, kam Folgendes: meine Mutter,
meine Mutter „verrät“ mich. Mir kamen innere Bilder von Erwachsenen, die (ihre)
Kinder maßregeln, ihnen eins überbügeln, wobei die Seele des Kindes verknittert,
Schaden nimmt. Manche Kinder vertragen vielleicht einiges, bevor sie ernsthaft
Schaden nehmen, bei anderen geht es ganz schnell, da braucht es nicht viel. Und im
Grunde hat das jeder abgekriegt, glaube ich. Auch heutzutage läuft es trotz aller
Aufklärung und Entwicklung oft noch so zwischen Eltern und Kindern, so ungerecht.
Ich sah heute mehrfach Leute, die ihre Kinder schlecht behandelten, unachtsam,
gemein, ungerecht. Und, wie ich annehme, das noch nicht einmal unbedingt in böser
Absicht, sondern weil sie es (noch) nicht anders können. Weil sie es selbst nicht
anders erfahren haben, und solche Sachen hängen tief. Man muss sich dessen
erstmal bewusst werden, seiner Verhaltensweisen bewusst werden. Und dann
braucht es annehmbare Alternativen. Dann muss man sich das Neue trauen, es
ausprobieren, anwenden, machen. Dann braucht es Wiederholung und Übung. Ich
sehe es ja an mir: Ich könnte doch z.B. einfach froh, dankbar und glücklich Dirk
glauben, wenn er sagt, dass er mich sexy findet. Ich könnte das für mich annehmen,
mich selbst sexy finden und aufhören, zu vergleichen. Aber es braucht Wiederholung
und wieder und wieder … aber ich glaube, so langsam weiche ich auf und werde
empfänglich für diese seine Botschaft.
Ich weiß nicht, woher oder warum das mit meiner Mutter auf einmal in mir hoch kam,
es bestand kein aktueller Anlass. Die gemeinen Großen im Außen sah ich erst,
nachdem diese Gedanken in mir aufgetaucht waren. Ich dachte: Man muss ein Kind
einfach nur bloßstellen und schlecht behandeln, ungerecht, dann geht es kaputt. Bei
mir hast Du das nur einmal machen brauchen, das hat gereicht.
– Wie kam ich nur darauf?! – Jedenfalls war es da. Ich litt als Kind – nein, ist das das
richtige Wort? – ich konnte es nicht fassen, aber es war so, dass Erwachsene edle
Grundsätze in den Raum stellten, die ich sowieso für selbstverständlich hielt, und
sich dann selbst nicht daran hielten, z.B.: „Was man verspricht muss man auch
halten.“ Einmal hatte ich versprochen bekommen, dass ich bei meiner Großtante
bleiben durfte und durfte dann doch nicht. Aus nicht vorhandenem Grund, aus
Willkür. Darüber war ich total traurig und verzweifelt. Ich konnte das nicht
83
begreifen. Welches Wort gab es für dieses Verhalten der Großen? Unaufrichtigkeit,
Vertrauensbruch, Gleichgültigkeit. Ich konnte es nicht fassen. Und keiner sorgte für
Ordnung, für Einhaltung der menschlichen Werte. Dabei waren verschiedene
Erwachsene anwesend. Das konnte ich nie begreifen, dass keiner eingriff und half,
wenn Unrecht geschah. Es hätte doch nur ein klares Wort gebraucht.
Das ist das Eine, was war, in meiner Familie. (Von fehlender Körperlichkeit und
Wärme rede ich jetzt gar nicht.)
Das andere ist eine Geschichte. Nachdem dieses Thema in mir aufgetaucht ist, lese
ich im Internet den aktuellen Newsletter für den Monat September von Chuck
Spezzano (14). Er schreibt darin u.a. von einer Kerngeschichte, die es im Leben eines
Jeden gäbe. Unsere persönliche Geschichte der Verletzung, des Verrats, des
Verlassenwordenseins. Er schreibt, dass wir, unser Ego, diese Geschichte dazu
hernehmen, um unseren Rückzug zu rechtfertigen, unseren Trotz dem Leben und
anderen Menschen gegenüber. Ich zitiere:
„Wir alle erzählen diese Geschichten, wie meistens unsere Eltern uns als Kind
verkannt haben und uns ungeschützt bestraften. Eine dieser Geschichten wurde dann
zur Kerngeschichte, die uns letztendlich in die abgeschnittene Unabhängigkeit des
Egos geführt und unseren bewussten Geist gespalten hat. Aus diesem Grund stehen
wir heutzutage der Liebe und dem Erfolg sehr zwiespältig gegenüber. Ein Teil
möchte sich der Liebe und dem Erfolg öffnen, was zur Folge hätte, dass einige
Aspekte des Egos (zum Beispiel die Unabhängigkeit) sich zu völlig neuen Ausmaßen
der Verbundenheit umwandeln würden. Ein anderer Teil beharrt jedoch auf der
unveränderbaren Rolle von Opfer – Aufopferung – Rebell, die sich aus dem
ursprünglich erlebten Trauma heraus aufgebaut hat.
Einigen unerschrockenen Seelen wird es in diesem Monat gelingen die Kerngeschichte
zu erkennen und sie gegen die Liebe und Fülle des Himmels einzutauschen. Die
Heilung der Kerngeschichte unseres Lebens erneuert unsere Verbindung zum Himmel
und öffnet den Zugang zur Gnade und zu Wundern in großem Maße.
In dem Moment, in dem wir uns einst von unseren Eltern lossagten, haben wir auch
das Gefühl für den Himmel verloren. Seitdem stecken wir in einem immensen
Wutanfall, beschuldigen unterbewusst sowohl unsere Eltern als auch den Himmel für
das Elend in unserem Leben und rechtfertigen damit unsere Unabhängigkeit und
Rechthaberei.“
(aus: Chuck Spezzano: September 2008 Nightlight Newsletter)
84
Dies ist meine Kerngeschichte: Wir hatten einen Bauernhof. Zu den Arbeiten
gehörte, dass im Frühling die Rübenfelder durchgehackt wurden. Wir fuhren dann
immer mit der ganzen Familie, außer meinem Vater, der meistens noch mit dem
Milchauto, das er fuhr, unterwegs war, den ganzen Nachmittag über auf’s Feld. In
einem Jahr waren die Rüben auf einem Acker, der neben einem von Bäumen
umgebenen Teich liegt. Während der Kaffeepause ging ich mit meiner Mutter an
diesen Teich. – Dass wir überhaupt dort hin gingen wundert mich jetzt. Und nur sie
und ich? Sowas machten wir normalerweise nicht. Sie machte nichts mit mir. – Auf
dem Teich schwamm ein Schwan. Dieser Schwan kam, während wir dort am Ufer
standen, aus dem Wasser. Er begann, einen langen Hals zu machen und zu fauchen
und kam auf mich zugerannt. Ich lief weg, fiel hin, rappelte mich wieder hoch und
lief weiter. Ich hatte Angst vor dem Schwan. Todesangst. Meine Mutter lachte. Das
erschütterte mich schon genug. Und begreifen konnte ich es auch nicht. Wir gingen
zurück zu den anderen. Denen erzählte meine Mutter die Geschichte und lachte
wieder und die anderen lachten mit. – Und das sind dann die Menschen, denen ein
kleines Kind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. … - … - Oder? … - Perfekt
inszeniert? Ein „raffiniert ausgetüftelter Schabernack“ meiner eigenen Seele?
Abgesprochen mit allen Beteiligten bevor wir inkarnierten? Damit ich mich in meine
Unabhängigkeit verschanzen kann?
Hier könntet Ihr wieder den Vorhang zur Seite ziehen für das
„Buch im Buch“, Kapitel „Mama“.
…-…-…Dieser Tage parkt auch wieder mein Nachbar ständig vor unserem Grundstück. Das
triggert mich. Da kocht was in mir hoch: Bedrohung meiner Unabhängigkeit? Mich
ärgert das, dass er nicht vor seinem Haus parkt, wo genug Platz ist. Ich fühle mich
provoziert. Aber: Kann ich ihm sagen, dass er das nicht tun soll? Mit welcher
Begründung? Weil es mich ärgert? – Er hat mich jahrelang mit Techno terrorisiert,
das war schlimm, weil’s so laut war, dass mein Herz einen aufgezwungenen Takt
annahm. Irgendwann traute ich mich, dagegen anzugehen und jetzt ist er auch
ruhig(er). (Viel!) - Aber wenn ich ihn nur in seinem Auto vorfahren höre, dann regt
sich
dieses
Angst-vor-Unterdrückung-und-ich-muss-mich-gegen-ihn-behaupten-
Muster schon in mir. Und im Grunde möchte ich ihm sagen, er soll nicht vor meinem
Haus parken und am besten gleich ganz aus meinem Leben verschwinden. Er ist aber
mit Sicherheit einer von denen, der, da wo Schröder jetzt ist, auch dort stehen
wird, wenn ich ankomme und wir werden uns lachend in die Arme fallen, weil wir für
ein paar Jahre so ein dickes Ding im Leben zusammen hatten. Ich vermute, wir sind
im Grunde gute Freunde. Der hält sehr hartnäckig eine Lektion für mich bereit. Und
ich glaube, es handelt sich um eine grundlegende Lektion in Sachen Liebe,
85
letztendlich, und es geht um Akzeptanz und Freiheit. Wahre Freiheit, die man nur in
der Anerkennung von allem was ist finden kann. Solange man gegen etwas ankämpft
oder etwas hinterher läuft, ist man nicht frei. Mit dem Techno konnte ich aber auch
nicht frei sein. Das war für mich Terror. Aber da war meine Lektion auch eine
andere, nämlich: für mich einzustehen und Grenzen zu setzen. Annehmen, was ist,
bedeutet nicht unbedingt, immer alles so sein zu lassen, es bedeutet, anzunehmen,
was das Leben bringt. Dazu gehören auch Herausforderungen und gelegentlich
Handlungsbedarf.
Sollte ich es einfach annehmen, dass er vor unserem Garten parkt? Denken: „Okay,
da parkt er eben.“ Erstmal nur das. Nur das. Ohne mich zu ärgern. Ohne zu
versuchen, ihn zu lieben, als Mensch. Nur annehmen, dass er da parkt. Das
akzeptieren. – Das übe ich mal. – Oder meinen Ärger akzeptieren. Einfach meinen
Ärger akzeptieren. Wenn ich mich freue, akzeptiere ich das ja auch ohne Mühe.
Dann akzeptiere ich eben auch mal einfach meinen Ärger. Ohne mich zu sehr damit
zu identifizieren. Die Gefühle nicht bewerten.
Ich sehe auch gerade in völliger Gelassenheit ganz klar, welche Spiele, besser gesagt
Anstrengungen, welchen Hick-Hack mein Ego betreibt, z.B. in dieser Sache mit dem
Alkohol. Meine Güte! Als ich Dirk am Anfang unserer Beziehung erklären wollte … was
denn? Im Grunde: Er soll keinen Alkohol trinken. Denn wenn er Alkohol trinkt, bin ich
ihm nicht wichtig, er versteht mich nicht und verarscht mich. Ja. Das meint mein Ego
im Ernst. Dabei hat Dirk mit meinem Suff überhaupt nichts zu tun. Auch
„Dingsbums“, der seine Party feierte und selbst noch drauf ist und mir Rotwein
anbot, der hat auch nichts damit zu tun. Mein Ego will gepinselt werden. Nee, nee!
Ich entscheide mich lieber für Heilung und Frieden! Und ihr dürft alle sein, wie ihr
seid.
Ich lasse diese alten Muster jetzt los und danke dem September für seine
unterstützenden Energien! Und ich lasse mich auf die Verbundenheit in meinen
Beziehungen ein: Mama, Familie, Freunde, Menschen, die mir begegnen, Dirk, Michel
… danke, dass Ihr alle da seid! Es ist mir eine große Freude und eine Ehre, mit Euch
zu leben. Ich fühle mich sehr wohl mit Euch, bei Euch, ich bin mit Euch verbunden
und das fühlt sich behaglich an. Ich bin mit Euch verbunden und außerdem bin ich
total frei! Frei und leicht. Das ist voll gut.
86
Alles passt perfekt zusammen – Lucy
Lucy, meine schwarze Katze, ist gestorben. Das zweite Familienmitglied nach
Schröder in kurzer Zeit. Lucy war für mich was ganz Besonderes. Ja, jeder ist
besonders, in dem, wie er/sie ist, auch die Katzen, jede hat ihren eigenen Charakter,
das ihr eigene, besondere Wesen. Aber mit Lucy … sie war so zauberhaft! Ich hab‘
sie so geliebt. Vielleicht war das auch so besonders, weil wir beide am längsten von
allen hier im Haus zusammen leben, lebten. Lucys Mutter wurde mir gebracht, ein
paar Monate nachdem ich hier eingezogen war, 1989. Sie war verletzt und die Frau,
die sie brachte – ich kannte die gar nicht und habe sie auch seitdem nicht
wiedergesehen, sie hat wohl nur kurz irgendwo hier gewohnt – hatte sie bei sich im
Keller gefunden, wollte oder konnte sie nicht behalten und fragte mich, ob die Katze
mir gehöre, weil ich doch Katzen habe. Sie gehörte mir nicht, aber weil auch kein
anderer Besitzer auszumachen war, behielt ich sie. Ich nannte sie Pepsi. Die
Tierärztin, bei der wir wegen ihrer Verletzung am Bein waren, stellte mich vor die
Entscheidung: Bein ab oder nicht und, wegen des komplizierten Bruches: Nichtwieder-von-der Narkose-aufwachen-lassen oder doch. Pepsi blieb natürlich am Leben
und das Bein dran. Ach ja – und dann war noch die Frage zu klären: Sollen wir sie
kastrieren und dabei abtreiben, denn sie ist schwanger. – Keine Abtreibung.
(Sterilisation nach der Niederkunft.) – Pepsi gebar fünf Katzenkinder, hier, bei mir
zuhause. Ich war bei der Geburt dabei. Pepsi hatte einen Gehfehler beibehalten und
hinkte, aber die Geburt hat sie prima hingekriegt. Manchmal hechelte sie während
der Wehen, aber zwischendurch schnurrte sie auch immer. Sie zog die Kleinen, wenn
sie herausgekommen waren, zu sich, leckte sie ab und knabberte die Nabelschnur
durch. Später fraß sie die Nachgeburt auf. Das fünfte, ein kleines Graugetigertes,
blieb nach seiner Geburt einfach an ihrem Hinterteil liegen, da waren Pepsis Kräfte
wohl erschöpft. Ich nahm es nach einer Weile, zog es vorsichtig hervor und legte es
Pepsi vor ihr Schnäuzchen. Da versorgte sie es auch noch und leckte es trocken. So
war aus plus eins plus sechs geworden.
Und Lucy ist nun die zweite Katze nach Wilma, die aufgrund ihres Alters gestorben
ist und nicht überfahren wurde oder einfach verschwunden ist. Und sie hat ein hohes
Alter erreicht. Ein Geschenk! Sie hatte ein gesegnetes Leben. Achtzehn Jahre an
der Bundesstraße überlebt! Mit Lucy konnte man sich gut unterhalten, sie gab immer
Antwort oder fing von sich aus ein Gespräch an. Und auch bei ihr habe ich die letzten
Tage gesehen, dass es zuende geht und wir konnten in Ruhe Abschied nehmen. Sie ist
schon seit einigen Tagen hier herumgeschlichen und ich habe jeden Morgen damit
gerechnet, dass sie tot ist. Dirk und ich hatten beschlossen, sie in ihrem Rhythmus
sterben zu lassen und nicht noch an ihr herumzudoktern. Heute Morgen fand sie eine
Nachbarin beim Gassi-gehen auf der Straße, auf dem Feldweg, da konnte Lucy nicht
mehr. Ihre Finderin verfrachtete sie in einen Katzenkorb und brachte sie zu uns.
87
Daraufhin, weil Lucy ihr Köpfchen nur noch hängen ließ und röchelte, sind wir dann
doch zu unserer Tierärztin gefahren und ließen ihr eine Spritze geben. Jetzt liegt
sie draußen in einem ihrer geliebten Kistchen – immer, wenn irgendwo ein Karton
herumstand, und war er auch noch so klein, hat Lucy sich hineingelegt, auch in
Eierkartons, und im Brotkorb lag sie auch einmal. Heute ist ein wunderschöner
Spätsommertag, klare Luft und Sonnenschein. Der Morgen heute war besonders
schön und rein. Extra für Lucy, zum Hinübergehen. (Eigentlich hat es diesen Monat
bisher fast nur geregnet.) Ich habe Lucy mit ihrem Karton draußen im Garten unter
einen Strauch gestellt. Da kann sie heute liegen bleiben. Heute Nacht hole ich sie ins
Haus, in den Keller, und morgen beerdigen wir sie. Schröder haben wir auch eine
Nacht liegen gelassen. Ich meine, man soll einen Körper nicht gleich begraben, er soll
einen Tag liegen, damit die Seele genug Zeit hat, heraus zu kommen. Weiß ja nicht.
Auf der Heimfahrt von der Tierärztin heute morgen sagte ich zu Dirk, wie himmlisch
doch wieder alles getimt ist: Michel war heute Morgen früher wach als sonst. Wir
wären sonst womöglich noch gar nicht auf gewesen, als die Gassi-Gängerin Lucy
brachte. Dirk sagte, ihm sei das unangenehm, weil die Frau nun vielleicht dächte, wir
würden uns nicht um unsere Tiere kümmern. Ich aber sehe das so: Dadurch, dass
diese Frau Lucy fand und zu uns brachte, gab Lucy uns zu verstehen, dass sie
tierärztliche Hilfe braucht/möchte beim Ablegen ihres Körpers. Hätte sie heute
Morgen einfach in ihrem Körbchen gelegen, wären wir wahrscheinlich nicht zur
Tierärztin gefahren. So einfach ist das. So einfach und schön. Irgendwie hat dieser
Tag heute eine große Schönheit. So wie Lucy. Lucy hatte das auch, so eine natürliche
Würde, Schönheit, Einfachheit … so entzückend war sie! Verspielt, noch in ihrem
hohen Alter.
E-Mail von heute: Hallo Ihr Lieben! Unsere Lucy hat auch ihr Erdenkleid abgelegt.
Meine goldige, verspielte, drollige, anhängliche, herzensliebe Lucy! Auch sie ist in
Frieden gestorben, an ihrem Alter, in harmonischer Fügung. Somit ist Lucy die
zweite Katze nach Wilma, die wegen ihres Alters gestorben ist und nicht überfahren
wurde, bei uns hier oben. Sie hatte schon seit ein paar Jahren keine Zähne mehr im
Mäulchen und sie ist ziemlich alt geworden, hat aber immer noch gespielt, bis vor
Kurzem. Lucy war ein kleines Schleckermaul und hat zwischendurch gerne etwas
schnabuliert. Wegen ihr habe ich das mit dem Quark eingeführt, dass die Katzen
zwischendurch mal einen Schlag Quark bekommen. Ja.
Im Internet, bei www.esoterium.de, habe ich das gelesen:
Während dieser Zeit, in der wir uns in das Neue bewegen, wählen es einige unserer
tierischen Begleiter, die viel von unserer alten Energie verkörpern, uns zu verlassen.
Auch wenn sie uns nicht in ihrer derzeitigen Form begleiten werden, sie haben
88
bereits Pläne über ihr Zurückkommen in anderen Situationen gemacht und sind sehr
aufgeregt über ihre Rückkehr... ob sie nun zu uns zurückkehren oder zu unseren
Lieben.
Karen Bishop, Energy Alert vom 28. August 2008
Geschrieben am Sonntag, 31.August.2008 @ 23:54:06 CEST by Regina
Ja, das glaube ich ja sowieso, dass wir uns alle wiedersehen. Weil wir uns so
liebhaben, dass wir immer wieder zusammen sein wollen, und weil wir einfach
zusammen gehören. Wir können nicht ohne einander.
Im Angesicht des Todes
Wenn du stirbst, dann nicht, weil du krank warst,
sondern weil du gelebt hast.
Seneca (um 4 v. – 65 n. Chr.), Rom
Lucy hatte ein schönes Leben. Wir zusammen. War wunderschön.
liche Grüße an Euch! Von Sonja. In der lichtergewordenen Wetteraustraße.
We will meet again. Don‘t know where, don‘t know when. … some sunny day … Cauac
Cauac ist wieder ordentlich am Pusten und die Dinge am aufwirbeln. In Haiti war ein
schlimmer Wirbelsturm. Auch hier war es gestern sehr windig und ich fragte mich
beim Spaziergang mit Michel, ob der Wind, der hier weht, etwas mit dem Sturm an
der amerikanischen Küste zu tun hat, ein Ausläufer dessen ist. Ein Flugzeug ist auch
wieder abgestürzt, diesmal in Russland und es gab 88 Tote.
Dirk – ich weiß nicht, ob ich mit ihm zusammen leben soll, nein: will!, oder ob es
besser wäre, sich zu trennen. Dabei – ich weiß es schon: Ich will mich nicht trennen.
Aber so, wie es gerade am abgehen ist, will ich auch nicht mit ihm zusammen leben.
„Ich will mich nicht trennen“ heißt aber: „Ich will mit ihm zusammen leben“. Ja, will
ich auch.
89
Was geschieht hier? Innerlich bin ich ganz ruhig, in Zuversicht und Gelassenheit. Es
war so: Wir hatten gestern einen solchen Krach, dass Dirk irgendwann seinen Ring
auszog und sagte, es sei wohl besser, wenn jeder seiner Wege ginge und sein Ding
mache, so was in der Art.
Ich hatte einen Wutanfall, weil ich nachmittags ins Fitness-Studio wollte, das hatten
wir abgesprochen, um 15.00 Uhr wollte ich in einen Rückenkurs gehen. Dirk war
draußen am Basteln, er sägte an einem neuen Vogelhäuschen. – Hej! – Mein
Korrekturprogramm geht wieder! – Ehrlich gesagt wartete ich darauf, dass er
reinkommen und „übernehmen“ würde, Michel. Ehrlich gesagt, hatte ich den ganzen
Tag über und auch schon ein paar Tage vorher Erwartungen, die er nicht erfüllt hat.
Gestern z.B. erwartete ich, dass er gar nicht rausginge, sondern mir drin mit der
Hausarbeit helfen würde, damit abends alles gemacht sei, gespült, staubgesaugt,
Wäsche gewaschen und aufgehängt, Michel versorgt, geduscht, gefüttert, bespielt
und wir es uns gemütlich machen könnten, zu dritt und später zu zweit. War doch
schließlich Samstag! Aber ich hab’s nicht klar gesagt. Und er hatte wohl ganz andere
Vorstellungen. Er war die ganze Woche zuhause. Und er war jeden Tag draußen am
Arbeiten. Und das klappte auch gut. – Ich weiß auch nicht, aber irgendwann kippt das
immer um. Zum Einen ist das mit den Erwartungen. Dass ich erwarte, dass er
staubsaugt oder spült und dass er es nicht tut. Früher hat er das öfters gemacht,
aber jetzt macht er es immer weniger, was ja bestimmt auch deshalb so ist, weil er
jetzt arbeiten geht, und dann ist das auch okay so. Aber wenn er nicht arbeiten geht
und zuhause ist, dann ... will ich auch was davon haben, letztendlich. Dann erwarte ich
irgendwie, dass er spült oder Michel füttert, ihn windelt oder ins Bett bringt.
Manchmal spreche ich es an, frage ihn, ob er dies oder jenes macht. Dann sagt er in
der Regel „Ja“, verdreht dabei aber wirklich oder stimmlich die Augen. Da geht mir
dann wieder der Hut hoch. Deshalb warte ich jetzt lieber ab, ob er vielleicht von
sich aus etwas von dem macht, was anliegt. Aber da muss ich ja auch eine Weile
warten, um zu sehen, was geschieht, und wenn nichts geschieht, das dann
ansprechen, wenn es mir wichtig ist. Gestern habe ich also wieder gewartet, ob er
kommt. Er kam nicht. Um 14.30 Uhr stellte ich Michels Mittagessen in den Wärmer,
drehte den an, ging raus zu Dirk und fragte ihn, ob er in zehn Minuten reinkäme,
dass ich dann fahren könnte und er Michel füttern. - Michel hatte vorher solange
geschlafen, sonst hätte er um diese Zeit längst zu Mittag gegessen und ich hätte ihn
rausbringen und in seinen Kinderwagen setzen können. – Ich bleibe jetzt bei diesem
einen Beispiel – und das mit dem Alkohol erwähne ich noch - . Denn alles, was noch
auf’s Tapet kam, ist mir zu mühselig und zu anstrengend zu erzählen, zu viel. Und ich
glaube, dieses eine Beispiel illustriert gut, um was es geht, denn es ist im Grunde
dauernd
das
Gleiche:
Wahrheit,
Wahrhaftigkeit
und
nicht
geglaubt
bekommen/Abwehr, ja: Verleumdungen. – Dirk antwortete auf meine Frage: „Sonst
noch was?“ Das versetzte mir einen Stich und ich sagte: „Ja, du sollst lieb zu mir
90
sein.“ Ich weiß nicht, ob er darauf etwas sagte. Das nächste, was ich hörte war: „Wie
oft warst Du dann diese Woche im Fitness-Studio?“ Da bin ich ausgerastet. Das ist
es nämlich, womit ich nicht kann! Wenn er ein Problem damit hat, dass ich ins
Fitness-Studio gehe, weil ihn die Eifersucht plagt z.B., was ich nachvollziehen kann,
weil es mir seinerzeit mit Ralf selbst so ging, dann erwarte ich von ihm, dass er mit
mir darüber redet, ernsthaft, und nicht auf solche ironischen Sticheleien ausweicht
und Sprüche klopft, die nur dazu da sind, Kleinkrieg zu führen, aber nicht, um sich
unter
Liebenden
zu
verständigen.
Außerdem
war
das
Ganze
vorher
klar
abgesprochen!
Absatz, Pause. Das strengt mich an, das so in Worte zu kriegen.
Ich fragte ihn, warum er das jetzt sage, für mich sei das klar abgesprochen
gewesen. Und er mache doch auch die ganze Woche draußen sein Ding. – Das hätte
ich wahrscheinlich nicht sagen sollen. Ich vermute, bei dem Satz hat er die Schotten
dicht gemacht, da kam nichts mehr von mir durch und er hat sich hinter seinen
Sprüchen verschanzt. – Ich sagte auch noch, dass er verdammt nochmal endlich
damit aufhören soll, dass er mich ins Fitness-Studio gehen lassen soll, dass ich da so
gerne hingehe, weil es mir Spaß macht und gut tut und dass ich das Gefühl habe,
dabei gerade so schön abzunehmen und dass da keine, absolut keine Spielchen
irgendwelcher Art laufen, von wegen Hei-tei-tei-ich-flirte-mit-dir.
Ich hätte in dem Moment einfach meine Tasche nehmen und gehen können. Aber ich
regte mich so auf und heulte – er hat auch noch etwas darauf geantwortet, ich weiß
nicht mehr was, es schaukelte sich hoch – dass ich nicht mehr konnte. Es war dann
schon kurz vor drei und ich war ganz außer mir.
Irgendwann wurde ich aber wieder ganz ruhig. Erstaunlich ruhig. Das hat mich
gewundert. Früher, als ich schwanger war z.B. und wir hatten solche Dispute, war ich
stunden- und tagelang völlig verzweifelt, lag nächtelang, völlig verzweifelt und
schlaflos im Bett. – Ja, was ist nun die Essenz dieses Beispiels? Mir geht es um
Klarheit und Wahrheit und Praktikabilität, und ich meine auch, dass ich mich dauernd
am Ausdehnen und am Anpassen an die Gegebenheiten bin. Ich handele aus meiner
Integrität heraus, teile meine Wahrheit mit – und Dirk glaubt mir nicht. Er stellt
stattdessen Behauptungen in den Raum, die überhaupt nicht meiner Wahrheit
entsprechen und klopft Sprüche. Dabei habe ich noch den Eindruck, er steht sich
selbst im Weg. Ich glaube nicht, dass er das mit der Trennung wirklich so meint oder
gemeint hat. Er kommt mit Sprüchen und Phrasen, gegen die ich absolut machtlos bin.
Da habe ich aufgegeben. Es hat keinen Sinn, seine eigene Wahrheit mitzuteilen und
der andere sagt, nein, das stimmt nicht, es ist so und so. Deshalb dachte ich gestern:
„Okay, vielleicht ist eine Trennung wirklich das Beste. Das muss ich mir nicht antun
hier.“ Dirk lag im Gästebett und schnarchte. – Jetzt muss ich das mit dem Alkohol
noch aufschreiben. – Herrje! Schon wieder so was Anstrengendes! – Wie anstrengend
91
das ist, solche Dispute in Worte zu fassen! – Ich fühle mich hintergangen. Dirk
trinkt. Er hat jeden Tag, den er draußen gearbeitet hat, ganz gut was weggebechert.
Ich weiß nicht, wie viel. Er sagt dazu auch nichts. Er hatte jeden Tag eine Fahne.
Jeden Abend lag er auf dem Sofa und schnarchte. Wenn wir zusammen im Bett
lagen, war der Geruch für mich unangenehm. Ich habe es angesprochen und er wich
aus. Und gestern sagte er, das würde er jetzt an meiner Stelle auch sagen, das mit
dem Alkohol, da hätte ich ja wieder was. Ja, da hatte ich wieder was, aber ich sprach
es an, weil ich es hatte und nicht, um irgendwas vom Zaun zu brechen. Das ist mir ein
ernsthaftes Anliegen. Für mich geht es da um Leben und Tod, um Leben und Tod
unserer Beziehung, wenn Dirk trinkt. Ich habe ihm das an unserem ersten
gemeinsamen Abend klipp und klar gesagt, und deshalb fühle ich mich auch
hintergangen, unehrlich behandelt. Und das ist irgendwie das Paradox. Ich habe im
Lexikon nachgeschlagen, wie dort „Paradox“ definiert wird, denn ich dachte, paradox
sind zwei sich gegenseitig ausschließende Wahrheiten. Dort aber steht: „Paradoxon
(…) scheinbar falsche Aussage, die aber bei genauerer Analyse auf eine höhere
Wahrheit hinweist.“ (15) Dirk hat mit meinem Suff nichts zu tun. Wenn er aber
ungewöhnlich viel trinkt, regelmäßig, jeden Tag, dann kann ich mit ihm nicht leben.
- Als vor vier Jahren die Beziehung mit Ralf zuende war, hatte ich das gehäuft:
Einsichten in höhere Wahrheiten durch Paradoxe. Mensch – was habe ich gelitten, an
dieser Beziehung und ihren beiden Trennungen. Und jetzt, im Nachhinein, ist einfach
alles gut. Es ist gut, dass wir auseinander sind. Wenn ich es einfach so hätte nehmen
können, das Geschenk, das er für mich hatte, und fertig. Heute Nacht im Bett
dachte ich: „Wenn das mit Dirk nun auch so ist?“ Diese Metapher vom schalen
Kaffee, den man auskippt und somit einfach sein Gefäß leert für was Frisches,
Duftendes, Warmes. Das Paradoxe also ist jetzt vielleicht, dass ich möglicherweise doch mit ihm leben
kann, weil sein Trinken wirklich nichts mit mir zu tun hat, nichts mit meinem Trinken.
– Und wie „schlimm“ ist das eigentlich mit seinem Trinken? Wir hatten dieses Thema
schon öfters. Hintergeht er mich wirklich? Oder ist da einfach nur Unsicherheit, auf
beiden Seiten? Ich bin mir nicht klar, wie ich damit umgehen soll und er auch nicht.
Und eigentlich kann er doch sein, wie er will, wenn ich in mir ruhe. Mir bereitet sein
Trinken Unbehagen. Aber warum eigentlich wirklich? Warum? Er trinkt nicht
abhängig. Und wenn ich seine Fahne nicht riechen mag, was ist das? Ich kann ja auch
im Gästebett schlafen. Um was geht’s da eigentlich? Das ist im Grunde das Gleiche
wie mit meinem Nachbar, oder? Wie viel „Hardcor-Anderssein“, für meine Begriffe,
kann ich akzeptieren? Sind das Ego-Spiele?
… - … - Aber eigentlich will ich das einfach nicht: jeden Tag eine Fahne an Dirk.
Mir geht es schon seit einigen Tagen so … es gab vermehrt Situationen, in denen ich
innerlich mein Ego wahrnahm, wie es aufgeplustert da stand und vor
Selbstgefälligkeit bald platzte. „Haha!“, lachte es. Habe ich jetzt ein konkretes
Beispiel dafür? – Nein, mir fällt gerade keines ein, obwohl einige waren. Das ist jetzt
so, wie wenn sich die Erkenntnisse durch Paradoxe ankündigen: Das ist so diffus,
nicht greifbar, und doch ist es da, es ist wie im Nebel und doch ist es ganz klar,
92
machtvoll … ich kann das nicht beschreiben. Ich nehme den Alkohol als Beispiel: wenn
ich Dirk darum bitten würde, nichts mehr zu trinken, und er würde das tun. … - Es
waren doch etliche Begebenheiten … das ist echt verflixt! Mir fällt nichts Konkretes
ein, doch … es war in so Situationen, wenn ich Dirk bat, Michel zu füttern z.B. oder
ins Bett zu bringen, er sagte „Ja“ und tat es, verdrehte aber darüber die Augen, es
nervte ihn eigentlich und er tat es nur mir zuliebe. Da plusterte sich mein Ego auf,
wenn ich das registrierte und einfach so geschehen ließ, ohne mit Dirk darüber zu
reden. Denn das ist es ja nicht, was ich will! Und das sage ich Dirk auch immer
wieder! Dass er sich nicht verbiegen soll und mir (oder jemand anderem) zuliebe
etwas tut, dabei aber nicht auf sich und seine Bedürfnisse hört und diese auch nicht
zum Ausdruck bringt. Dass er sagen soll, was er hat und denkt, klar, nicht ironisch
verpackt, weil ich’s dann nicht verstehe, sondern eher denke, er mache einen Spaß
oder weil ich mich durch genervte Äußerungen angegriffen fühle.
Und das mit dem Alkohol? Ich muss für mich klar sein. Manche Leute sagten zu mir:
„Och, das war doch bestimmt nicht so schlimm mit Deinem Trinken.“ Aber es war
schlimm. Der Ausdruck beschissen ist nicht beschissen genug. Aber muss ich mich
rechtfertigen und das beweisen? Geht doch gar nicht. – Und was soll ich da machen
mit Dirk? Mit seinem absoluten Unverständnis, ja, sich gar nicht erst drauf
einlassen? Mich trennen? Wäre das besser? Gehe ich faule Kompromisse ein? Mein
Verstand sagt: „Ja, das tust du, du solltest dich trennen.“ In mir ist diese höhere
Wahrheit, aber die weiß ich noch nicht. – Oder habe ich sie mir gerade erarbeitet?
Rausgepult aus der Unklarheit? - Das Gute ist, dass sowieso das Richtige passiert.
Wenn meine höhere Wahrheit weiß, was sie will, dann passiert im Außen das
Entsprechende. Wenn ich nicht entsprechend handele, dann tut es jemand anders.
Damals mit Ralf versuchte mein Verstand die Beziehung aufrecht zu erhalten, aber
meine höhere Wahrheit wusste schon längst, dass der Käse gegessen war und da hat
eben er Schluss gemacht. Das war gut. Diese höhere Wahrheit hat das Ruder in der
Hand, nicht der Verstand. Vielleicht ist es das, was mich so ruhig und gelassen
macht.
…-…-…Was vor dem Krach war: Vor einigen Tagen verspürte ich eine tiefe Dankbarkeit,
dass „die Neuen“ alle da sind, Zugezogene wie Dirk und Flöckchen, und Vom-HimmelGefallene wie Findus und Michel, dass sie bei mir sind in dieser Zeit, in der sich
meine alten Weggefährten so gehäuft verabschieden. In der alten Konstellation
wären jetzt nur noch Miezi und ich da und dann hätte ich vielleicht doch an
Schröders und Lucys Übergang zu knabbern. So bin ich einfach im Frieden. Und
dankbar für die neu Hinzugekommenen. Erstaunlicherweise sind das lauter Männer.
Früher herrschte hier die weibliche Energie vor, Schröder war der einzige Mann.
Jetzt sind hier so viele Männer, zwei menschliche und zwei Kater. Miezi und ich sind
die einzigen Weibchen. Aber das ist auch okay so. Wir können das gut hinnehmen. Ja,
nicht nur das – die Männer haben ja richtige Geschenke für uns! So viel Liebe und
Verspieltheit und Großartigkeit!
93
Und: Ich lese nicht mehr alles bei Esoterium. Nachdem ich über einige Wochen alles
las, stellte ich fest, dass ich mit manchem nicht so im Einklang bin, das lasse ich
jetzt aus.
Jesus sagte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Ich bin das auch,
für mich. Ich bin die Reise und das Gefährt, der Weg und das Ziel. Und der
Ursprung. Alles ist in mir. Ich habe alles bei mir. Eigentlich brauche ich gar nicht
weiter zu reisen. Komisch, ich weiß, dass ich da bin, angekommen … und doch bin ich
noch nicht angekommen. Was steht mir da im Weg? Vielleicht ist das so, weil ich
mich noch schocken und beeinträchtigen lasse, von leeren Konten oder Langeweile
oder Erschütterungen im Außen, weil ich den „mainstream“ zu ernst und meine innere
Wahrnehmung zu leicht nehme.
Über kurz oder lang
Vielleicht bin ich viel mehr ich, als ich das glaube. Nicht so, wie manches Mal die
Inkarnationslehren interpretiert werden, dass man in jedem Leben jemand völlig
anderes ist. Oder doch so und doch bin ich immer gleich. Ich glaube, dass ich schon
alles gewesen bin: Mann, Frau, Opfer, Täter, Tier, Pflanze, Stein, Engel, Gott … dass
ich sämtliche … „dass ich sämtliche Erfahrungen durch habe“, wollte ich gerade
schreiben. Aber da muss in mir etwas lachen und das heißt vielleicht, dass das nicht
stimmt und dass das längst nicht alles ist. Da gibt’s noch ganz viel Neues, noch nie
Da-Gewesenes. Das Beste kommt noch. Dabei ist schon ganz viel Gutes da und es war
auch immer ganz viel Gutes da.
Wie gut die Stille tut. Michel ist erkältet und hat heute Morgen um sieben eine
Weile gehustet. Ich stand auf, putze ihm die Nase, machte sein Fläschchen warm
und – er war wieder eingeschlafen, als ich damit kam. Er schlief bis kurz vor neun.
Ich legte mich auch nochmal hin, konnte aber nicht mehr schlafen. Also stand ich
auf, kochte Kaffee, fütterte die Katzen; Dirk dusselte noch so vor sich hin, stand
dann auch auf, ging raus, rauchen oder im Partyraum die Wettervorhersage hören.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und sah aus dem Fenster. Ruhe. Zeit für
mich. Wie gut das tat!! Einfach da sitzen. Ins Morgenlicht sehen. Die Geschenke des
Lebens annehmen. … – Wie fühlen sich die anderen von innen an? Fühlen die sich im
Inneren genauso an wie ich? Dieses eine Sein, die Essenz, die immer gleich ist. Ist
das bei jedem so? Dann bin ich doch sowieso jeder, oder? In jedem ist etwas von
mir, bzw. das, was in mir ist, ist in jedem. Das Leben, dieser Puls des Lebens, das
Feeling – wie soll man das nennen? Das Tao, das man nicht benennen kann, weil kein
Ausdruck es beschreiben kann und sobald man es mit einem Begriff festlegt, stimmt
es schon nicht mehr, weil, egal, wie man es nennen oder beschreiben will, das mit
Worten nicht geht.
94
Unser Desaster, von dem ich im letzen Kapitel erzählt habe, war vor einer Woche.
Wir haben danach noch manchmal darüber gesprochen, was da eigentlich los war, wer
was wie gesehen hat. Dirk sagte, er habe das Vogelhäuschen fertig sägen wollen als
ich kam. Er habe sich etwas vorgenommen, was er zuende kriegen wollte, und dann
kam ich und wollte, dass er rein kommt. Ich sagte ihm, dass seine Reaktion aber
ungerecht gewesen sei, zumal die Uhrzeit abgesprochen war, dieses „Sonst noch
was?!“, dass er hätte sagen sollen, wie es ihm geht. Und dass er sich da ja auch
wieder mal zu viel vorgenommen hatte. – Das sind halt seine Themen und Muster: sich
zu viel vornehmen, sich selbst nicht anerkennen, was er er-schafft, jemandem
zuliebe etwas tun, um Diskussionen aus dem Weg zu gehen oder rumzicken, um sich
(unbewusst) auf die Art Freiräume zu verschaffen, weil dann jeder sauer ist und man
sich aus dem Weg geht. … Er war letzte Woche beim Arzt und der hat ihn weiterhin
krankgeschrieben, weil er „irgendwas hat“, erhöhte Cholesterinwerte, hohen
Blutdruck, Kopfschmerzen … und seine Nasenscheidewand ist total schief und soll
operiert werden. Ja, das ist ganz gut, dass da jetzt auch mal andere hinzukommen
mit denen er redet, die Thematik offenbart sich auch da. Mit seinem neuen Hausarzt
scheint Dirk ganz gute Gespräche zu führen. Es wird alles gut werden. Ich denke, wir
sollen das mit seiner Krankschreibung jetzt einfach laufen lassen, sich entwickeln,
entfalten, geschehen lassen, ohne groß was dazuzutun oder wegzulassen, also uns
dem Prozess nicht widersetzen und andererseits nicht versuchen, irgendwas zu
machen, hinzudrehen, zu manipulieren. Ich meine das auch in Bezug auf Dirks Job bei
der Zeitarbeitsfirma. Ich habe das Gefühl, das balanciert sich in diesem Prozess mit
aus. Es gehört ja auch mit zu seinen Themen, sich seine Arbeit nicht anerkennen.
Unsere Streits gehören wohl irgendwie auch (noch) dazu. Wir haben es noch nicht
gelernt, uns anders zu verhalten. Aber wir sind am lernen. Und vor allem setzen wir
uns miteinander auseinander. Das ist ja schon mal gut, dass er mir standhält. Ja.
Sehr gut ist das. Danke Dirk! Vielleicht kann ich für mich noch lernen, mich nicht so
ins Drama zu verstricken, wenn was ist, sondern einfach das zu tun, was ich tun
wollte. Meine Harmonie aufrechterhalten, auch wenn es im Außen rumpelt. Lass es
ruhig rumpeln. Hinterher, wenn es sich wieder beruhigt hat, können wir besser
darüber reden als währendem. Währendem sollte man nicht so viele Worte machen.
Das ist reine Energieverschleuderung. Ich merke es ja beim Schreiben, wie
anstrengend es ist, so einen Streit im Nachhinein zu beschreiben. Und der Streit
selbst ist ja noch viel kräftezehrender und –raubender!! – Außerdem haben wir auch
schon viel gelernt, fällt mir gerade ein! Manches dauert vielleicht etwas länger als
man das gerne hätte. – Ich habe die 70-Kilo-Marke geknackt! Heute morgen! 69,5 kg
sagt meine Waage!!! 3 Rohkosttage im abnehmenden Mond. Nächste Woche mache
ich noch einmal drei. Und jetzt ist es eben September anstatt Juli. Na und. Hat es
halt zwei Monate länger gedauert. In einem halben Jahr werden mir meine Hosen
wieder passen.
Und manches dauert noch länger. Ich bin eine Generation später Mama geworden als
andere in meinem Alter. Die beiden Enkel eines meiner Freunde sind älter als mein
Kind. Aber auch das ist eben so. Das ist mein Weg, der sich entfaltet. Das ist alles
genau richtig. Jeder erreicht seine Ziele und wird noch dazu vom Himmel beschenkt.
Nicht erreichte Ziele waren eh der Holzweg! Es gibt einen Film, der heißt „Babettes
95
Fest“. In diesem Film sagt ein alter Offizier oder Major oder Leutnant (ich kenne
mich da nicht aus, mit militärischen Rangordnungen) sinngemäß: „Eines Tages
erkennen wir, dass wir unsere Ziele vom Leben geschenkt bekommen und das, was wir
einst verworfen hatten, weil wir dachten, es sei unerreichbar, bekommen wir noch
obendrein.“
Jeder hat seinen eigenen Rhythmus. – Ich kann es gar nicht oft genug sagen:
Vertraut Eurem Rhythmus! Dem Herzschlag des Lebens! Geht mit! Widersetzt Euch
nicht! Lauft nicht davon! Zieht nicht die Decke über den Kopf. Stellt Euch dem, was
ist, Euren Themen. Das sind die Türen, die Tore, die sich öffnen, direkt in Euer Herz
hinein, in die Liebe, in den tiefen Frieden hinein, in die Erfüllung all unserer
Sehnsüchte. Das Glück und die Lösungen, die Er-Lösung sind nicht irgendwo da
draußen, nicht im Himmel, weit im Kosmos, sie sind in uns. Wenn ich sage, wir sind im
Himmel, dann ist das ein innerer Zustand. Was in unserem Inneren ist, sehen wir im
Außen. Schon gar nicht liegt die Er-Lösung bei irgend so einem Gott mit grauem Bart
und wallendem Gewand! Das ist so ein beklopptes, tief eingemeißeltes Bild, das uns so
gefangen hält! Gott ist Leichtigkeit, Freude, Liebe, Weite, Schönheit, Kindlichkeit,
Lachen, Großartigkeit, Einfachheit! Niemals würde Gott einen verstoßen! Mich hält
dieses alte Gottesbild gefangen. Das macht mir immer noch zu schaffen. Diese
Strenge, dieses Männerbild. – Sprengung! Ich schlage Sprengung vor. – Als diese
riesengroßen, in Fels gemeißelten Buddha-Statuen, ich weiß nicht, in welchem Land,
gesprengt wurden, war ich zuerst entsetzt. Wie schrecklich! Welch ein Frevel! Aber
vielleicht ist das auch so eine scheinbare Negativität, von „Bösewichtern“
ausgeführt, die aus einem anderen Blickwinkel eine ganz andere Bedeutung haben
kann: Es gibt nicht nur einen Gott oder einen Buddha. Das Buddha-Bewusstsein, das
Gottes-Bewusstsein ist in uns allen, in jedem und durch die Sprengungen wurde das
verbildlicht, in die Tat umgesetzt und für alle in die Welt gebracht. Ein riesiger Fels
wurde in Millionen und Milliarden kleine Stücke gesprengt. Du bist Gott und ich bin
Gott. Gott ist in jedem und in allem. Es gibt nichts, was nicht göttlich ist.
Dirk kam gerade herein und sagte mir, dass er meinem Vater eine Absage erteilt hat,
der hier war und ihn zum Holzschneiden mitnehmen wollte. Dirk hat ihm gesagt, dass
er heute das machen will, was hier bei uns anliegt. Sie haben gestern den ganzen Tag
zusammen Holz geschnitten. Na bitte, wer sagt’s denn?! Wir lernen! Wir lernen, für
uns selbst zu sorgen. „Oh Mann, jetzt ist er sauer!“ sagt Dirk. Tja, so ist das eben:
Wenn man für die eigene Harmonie sorgt, kann das im Außen schon mal zu
Disharmonien führen. Wir müssen die anderen nicht befriedigen.
„Fürchte Dich nicht“, heißt es in der Bibel. Warum fürchten wir uns eigentlich? Wie
ist das gekommen? Warum vertrauen wir nicht und leben einfach? In Glückseligkeit
und Hingabe. Wenn man Angst hat, kann man gar nicht mehr leben, möchte ich fast
behaupten. Angst lähmt das Leben. Wir glauben, wir leben und tuckern nur so vor uns
hin, weil wir uns irgendwelchen Zwängen unterwerfen und Angst haben. Wieso ist das
so? Woher kommt das? Warum habe ich immer noch Angst, wenn mein Konto im Soll
ist? Das war es schon oft. Naja, kein Soll mehr wäre schon angenehm, nur im Haben
zu sein, wäre schön. Aber vielleicht soll ich an meinem leeren Konto lernen, dass es
keine Sicherheit gibt, nicht innen und schon gar nicht außen, und dennoch soll ich
96
vertrauen und Spaß am Leben haben. „Wie die Kinder.“ Ja. Genau das ist es. Alles
nehmen wie die Kinder, ohne Vorbehalt. Und über kurz oder lang wird mein Vertrauen
größer sein als die Angst, für immer. Die Angst wird verschwinden. Wovor, jetzt mal
im Ernst, wovor sollte man sich eigentlich fürchten? Und warum? Uns kann nichts
Schlimmes geschehen. Alles geht gut aus. Alles ist gut. Mit dieser Gewissheit bin ich
geboren.
Mainstream, Träume, Filme
Das mit dem Mainstream – das ist alles Veräppelung! Wir verarschen uns selbst und
glauben daran. Das ist, wie wenn man zu oft ins Kino geht. Nein – o weh! – das ist
nicht, wie wenn man zu oft ins Kino geht, das ist, weil man zu oft ins Kino geht:
Fernsehen, Zeitungen etc. Wir glauben den ganzen Scheiß. Die ganze Unwirklichkeit.
Aber auf unsere innere Stimme, die die Wahrheit sagt, hören wir nicht. Wir hören
nicht nur nicht auf sie, wir nehmen sie oft gar nicht wahr. Weil das Außen zu laut ist
und zu heftig und weil wir auf unseren plappernden Verstand hören und dem Glauben
schenken, anstatt innezuhalten, um die leisen Töne wahrzunehmen. Und wenn wir sie
wahrnehmen, vertrauen wir ihnen oft nicht und hören lieber auf das, was unser
Verstand sagt. Aber – Gott sei Dank! – wer nicht hören will, muss fühlen. Ja, ich weiß,
das ist ein 1A-blöder-Erziehungsspruch-von-früher, aber der ist gerade in mir
aufgestiegen und deshalb schreibe ich ihn nieder. Möglicherweise hat er eine höhere
Weisheit. Wer sich partout jahrelang weigert auf seine innere Stimme zu hören,
seine Gefühle und Sehnsüchte ignoriert, der wird sich dennoch selbst das Richtige
schenken. Vielleicht kriegt er offene Beine oder wird herzkrank, seine Frau verlässt
ihn oder er bricht einfach von sich aus innerlich zusammen. - Das ist auch eine
Qualität von Cauac: Zusammenbrüche in Durchbrüche zu verwandeln. – Irgendetwas
geschieht, was einen auf sich selbst zurückwirft und die Möglichkeit bietet, sich
dem Wesentlichen zu öffnen. Vielleicht geht das Ganze ja auch sanft, ohne große
Erschütterungen. Das Famose an den Zeiten, in denen wir leben, ist, dass jeder mit
einbezogen wird. Keiner kann mehr seine Anliegen unter den Teppich kehren. Es ist
Groß-Reinemachen. Groß-Reinemachen der Seelen, und Großes-Annehmen. Was wir
nicht brauchen, können wir ausmisten, aber es gibt auch ganz viel anzunehmen, meine
ich, es will ja alles mit, in die inneren Himmel, ins Paradies. Illusionen über Bord und
alles, was wir wirklich sind, annehmen. Und den Segen erkennen im vermeintlich
Negativen.
Mein Freund, der die zwei Enkelkinder hat, erzählt manchmal, dass er vor zwanzig
Jahren beim Zelten am See ein UFO gesehen hat. Damit ist es ihm ernst. Sonst kann
ich ihm mit solchen Sachen nicht kommen, er sagt dann, ich sei blauäugig und
unrealistisch. Er selbst bezeichnet sich als Realist. Ich meine aber, er ist voll im
Mainstream und kann deshalb von der Wirklichkeit kaum etwas sehen. Jedenfalls
überlegt er manchmal, wenn er von dem UFO erzählt, weiter, was wäre, wenn hier
Außerirdische landen würden. Ich habe seine Überlegungen stets mit meinen eigenen
97
inneren Bildern zu diesem Thema dekoriert und war in dem Glauben, er würde sich
über diese Vorstellung freuen. Irgendwann fügte er seinen Überlegungen an:
„Vielleicht würden sie uns ja gar nichts tun.“ Da merkte ich, dass er Angst hat vor
einer eventuellen Landung von Außerirdischen. Auf den Gedanken war ich noch nie
gekommen! Aber vielleicht sind das auch die ganzen Filme und Fernsehsendungen, die
er sich reinzieht. Der glaubt das alles. Diese Filme über Invasionen Außerirdischer:
Ich dachte, als die Filme neu rauskamen, „Independence Day“ z.B., da würde eine
große intergalaktische Feier stattfinden, Big-Kosmos-Party, aber dann waren das so
Kampf-Filme, die guten Erdlinge gegen die bösen Aliens, die kamen, um anzugreifen.
So ein Schwachsinn! Wie kann man so Filme drehen und so etwas glauben nach ichweiß-nicht-wie-vielen Jahren Kornkreisen und all der Liebe und Brillanz, die da rüber
kommt? Das verstehe ich nicht. Warum werden überhaupt solche Filme gemacht?
„Das Schweigen der Lämmer“ z.B. Ich sah den Film damals im Kino als er rauskam.
Ich fragte mich hinterher, und andere fragte ich auch, warum um alles in der Welt
so ein Film gedreht wird? Wer will so was sehen? Und am Ende bringt der Film noch
jemanden auf die Idee, das auch mal auszuprobieren, was dieser Hannibal fabriziert
hat. Die anderen fanden den Film geil. Und nee, auf die Idee wird schon keiner
kommen. Ich finde das abartig, grauenhaft und bekloppt und kann nicht verstehen,
wie man sich sowas, wenn man dann auch schon weiß, was da auf einen zukommt, auch
noch zwei- oder dreimal! als Freizeitbeschäftigung ansehen kann. Und so gibt es noch
einen ganzen Haufen mehr Filme. Warum reiten wir uns da selbst so hinein, in die
Angst? Ist die so geil? Sind wir lauter Masochisten? Ich glaube, im Grunde sind das
lauter Ablenkungsmanöver. Lieber Horror im Außen als sich den eigenen
Lebensthemen zuwenden.
Sich solche Filme nicht anzusehen ist Eines. Die ganzen Nachrichten und andere
subtil untergeschobenen Sachen nicht für bare Münze zu nehmen ist schon etwas
schwieriger. Aber irgendwie wird das auch immer offensichtlicher meine ich, was da
wirklich dahinter steckt, dass das Manipulationsversuche der groß angelegten Art
sind. Aber damit ist jetzt immer mehr Schluss. Wir lassen uns nicht mehr
manipulieren. Wir sehen immer mehr die Wirklichkeit.
Ich habe wiederholt von einem Haus geträumt, auch letzte Nacht. Es ist immer das
gleiche Haus. Seit einiger Zeit. Es ist ein neues Haus. Als ich zum ersten Mal von
diesem Haus träumte, lief ich darauf zu. Es war mein „echtes“ Grundstück, auf dem
auch mein „echtes“ Haus steht, im „wirklichen“ Leben, und da stand dieses neue
Haus. Es ist neu gebaut, komplett eingerichtet, ziemlich gut situiert, stabil, solide,
sehr aufgeräumt, es ist alles da. Ich träume immer, dass ich es irgendwie noch gar
nicht bewohne. Da sind all die schönen Räume, aber ich benutze sie nicht. Heute
Nacht träumte ich: Ich kam aus dem Keller, den hinteren Räumen, einer Waschküche
oder Einliegerwohnung, die aber auch sehr gemütlich, solide und großzügig ist und
alles hat, ich war um das Haus herum gelaufen und stand an der vorderen Haustür.
Ich öffnete diese Tür und trat ein. Da war zunächst eine Art Wintergarten und ich
dachte: „Das ist schön hier. Das könnte ich doch auch mal nutzen. Ich könnte eine
Liege hier hereinstellen und mich drauflegen, vielleicht Tee trinken und lesen.“
Außerdem war nebenan ein hübsches Esszimmer und ich dachte: „Hier können wir
doch auch einmal essen.“ Als ich das letze Mal von dem Haus träumte, stand ich im
98
noch nie benutzten Wohnzimmer. Der Garten war in einem der Träume auch völlig
umgegraben und neu am entstehen. … Ja. Da steht also ein neues Haus. In einem
brachliegenden Garten mit schwerer Erde, bereit, alle Potenziale aufzunehmen und
wachsen und gedeihen zu lassen. Ein reiches Haus. Gut. Lass uns einziehen. – Meine
Katzen waren letzte Nacht auch mit dabei, die kamen über die Straße gelaufen und
gingen mit ins Haus hinein.
Mir fällt ein, dass ich früher, vor einigen Jahren, jedenfalls zu der Zeit als ich noch
trank, immer wieder von Häusern und Wohnungen träumte, die waren in allen Räumen
bis unter die Decke vollgestopft mit Zeug, völlig chaotisch und unaufgeräumt, kein
Durchkommen. Manchmal träumte ich, dass ich mich im Traum daran zu erinnern
meinte, dass die Wohnung noch um die Ecke weitergehen müsste, dass da noch mehr
Räume seien, leer oder nur spärlich eingerichtet. Da war aber keine Tür mehr. Ich
konnte nicht hinein, in die leeren Räume.
Als ich noch trank träumte ich auch immer wieder, dass ich mir Schnüre von Dreck
aus der Nase ziehen würde. Solche Schnüre, wie sie in meiner Kindheit zur
Beschwerung unten durch die Vorhänge gezogen waren, kleine Würste aus Blei,
Klumpen an Klumpen. Ohne Ende. Während meiner stationären Therapie kam der
Traum auch zu mir. Ich zog und zog – und auf einmal war die Schnur zuende. Ich
hatte das Ende aus meiner Nase gezogen. Das war’s. Seither habe ich nie wieder so
etwas geträumt.
Primitiv, aber glücklich
Gestern war ich mit Michel bei meiner Freundin Claire zur Feier ihres Geburtstages.
Ihr Bruder ist 3 Jahre jünger als sie, auf den Tag genau, und er wurde gestern 40.
Sie feierten gemeinsam bei ihm zuhause. Er wohnt auf einem großen Hof, einer
Staats-Domäne, außerhalb der Dörfer, inmitten der zum Hof gehörenden Äcker und
Weiden. Sein Vater bewirtschaftete den Hof seinerzeit schon und Claire wohnte
früher auch dort. Claire und ich lernten uns kennen, als ich 18 war und wir zusammen
ein hauswirtschaftliches Schuljahr machten. Seitdem sind wir gute Freundinnen. Um
das Wohnen auf dem Hof habe ich Claire immer beneidet und um ihre Familie. Das ist
so eine Nestwärme-Familie, die sind sich so nah, berühren einander, küssen sich und
können „ganz normal“ über alles reden. Lauter Sachen, die ich zuhause nicht
kennengelernt habe und vermiss(t)e. Und es fällt mir auch schwer, das von mir aus in
meiner Familie einzuführen, jetzt, wo ich meine, dass ich die Verantwortung habe für
alles, was mich betrifft. Vielleicht nehme ich mir auch zu viel vor und es ist gut
damit, wenn ich mich in meiner eigenen, kleinen Familie um diese Qualitäten
kümmere, mit meinem Mann und meinem Kind.
Mittlerweile ist Claires Familienclan weiter angewachsen, um ihre Kinder und die
Kinder ihrer beiden Geschwister. Lauter fabelhafte Menschen! Claire erzählt mir
99
immer von den Problemen, die sie mit ihrem Ältesten hat wegen der Schule, dass das
so schlimm wäre, dass sie so was keinem wünscht. Und sie hat auch Themen mit ihrer
Mutter. Aber das, was sie von ihrem pubertären Sohn erzählt, ist irgendwie alles
ganz normal, meine ich. Ich erkenne mich jedenfalls sehr gut in ihm wieder. Ich war
in dem Alter auch so drauf. Und auch, wenn Claire und ihre Mutter „ein Ding“
miteinander haben seit einiger Zeit, so ist die Liebe und Wärme in dieser Familie
doch etwas ganz besonderes. Ich sage das in Anerkennung, ohne dass ich mir selbst
leid tun würde, dass mir das abgeht, auch wenn ich Liebe und Wärme in meiner
Kindheit und Jugend schmerzlich vermisst habe. Vielleicht trage ich diese
Qualitäten ja in mir, weil ich sie dort, in Claires Familie, immer so deutlich sehe und
so bewundere. Und ich will mich nicht niedermachen, wenn es mir nicht gelingt, das in
meine Ursprungsfamilie einzubringen. Ich lasse es jetzt einfach erblühen und aus
mir raus, hier in meiner eigenen Familie, der neuen. Möglicherweise sickert es auch
immer mehr in die alte hinein. Es ist ja noch nicht aller Tage Abend.
Wenn Claire und ich uns sehen oder wenn wir telefonieren und ich erzähle ihr von
meinen Streits mit Dirk, dann ist es oft so, dass sie zu diesen Zeiten auch
Differenzen mit ihrem Mann Uli hatte. (Was mich nicht weiter wundert, weil ich eh
den Eindruck habe, dass sowas jedes Mal global oder jedenfalls sehr weiträumig in
der Luft liegt.) Und die Thematik ist auch immer das gleiche in grün, des Pudels Kern
ist stets der gleiche, wenn wir uns gegenseitig erzählen, was gewesen ist. Ich glaube,
ganz oft sind es auch einfach Missverständnisse zwischen Mann und Frau, der eine
meint, dass der andere ihn nicht anerkennt, was aber gar nicht stimmt, sondern
daraus resultiert, dass der eine des anderen Sprache nicht versteht, des anderen
Ausdruck. Wenn Dirk draußen am machen ist, macht er das „für uns“, sagt er immer,
und ich denke, er „zieht sein Ding durch“, um ein Beispiel zu nennen. Aber man muss
doch dann darüber reden, um sich anzunähern! Oder? Männer machen oft zu, wenn
Frauen reden wollen. Ich glaube, das machen sie, weil sie befürchten, dass die Frau
wer-weiß-was Kompliziertes oder Anstrengendes von ihnen will. Aber das wollen wir
doch gar nicht!! Mir geht es immer einzig um Praktizierbarkeit, um klare Absprachen,
aber, im Grunde, weil wir wahrscheinlich Dinge unterschiedlich auffassen und
bewerten, um Bescheid-wissen, um Akzeptanz, um Annäherung. Und um das
Miteinander!! Um Austausch, zusammen reden, lieber noch Körperlichkeit, in-denArm-nehmen, mal-kurz-schmusen, ein liebes Wort. Herrje! Ist das denn so viel
verlangt oder so abartig, dass das dauernd so kurz kommt?! Wobei: Ganz oft kommt
es auch nicht zu kurz. Nur, ich sprach schon davon: Wenn es zwei, drei Tage nicht
auftaucht, geht es mir sehr ab, dann fordere ich es ein und dann … dann denkt Dirk
gleich, ich wolle Gott-weiß-was von ihm und ich würde all das, was er tut, nicht
anerkennen. … Dabei achte ich es hoch!! Und er glaubt mir das nicht. Meint, ich wolle
von ihm die Sterne vom Himmel geholt bekommen. Dabei will ich nur einen kleinen
Schmuser. Oder zehn Minuten reden.
Gestern, als ich mit Claire sprach, ist mir das so aufgegangen, dass das
wahrscheinlich ein ganz grundlegendes Ding zwischen Männern und Frauen ist. Claire
sagt, ihr Mann Ulrich würde manchmal sagen, er sei primitiv, aber glücklich. Als
Mann. Männer wären so. Gestern sagte sie, er habe gesagt, er wäre gern primitiv und
glücklich, als sie mit ihm etwas bereden wollte. Das heißt doch: „Lass mich mit Deinen
100
Kompliziertheiten in Ruhe, mit Deinen Überforderungen.“ Oder? - Dabei will ich das
doch auch sein, als Frau: einfach glücklich. Einfach und glücklich. Primitiv
meinetwegen. Aber tiefgründig, mit Tiefgang, kein oberflächliches Larifari, sondern
Verbundenheit, Echtheit, Wahrhaftigkeit. Und die Frauen rennen den Männern
hinterher und wollen was von ihnen und die Männer verweigern sich, weil sie denken,
es wäre ein Riesending, nicht zu bewältigen, dabei … ja, was? – Im Grunde denke ich
immer, es liegt daran, weil ich selbst falsch kommuniziere, wenn der Andere dicht
macht. Ich neige ja selbst dazu, mich zu verweigern, sobald ich beim Gegenüber den
leisesten Hauch von Anspruchshaltung vermute. Und dann bin ich auch noch zu
empfindlich gegenüber schlechter Laune. Dirk ist oft so mürrisch. Und ich will mich
so nicht behandeln lassen. Und dann sage ich was … und dann …. - Aber vielleicht ist
es eben auch einfach so, dass es mal besser klappt und an manchen Tagen halt
schlechter. Ach Mann! Und ach Frau! Kann das nicht mal aufhören, dieser Kampf
zwischen männlich und weiblich?! Komm, lasst es uns beenden. Ich mag nicht mehr
kämpfen. So ein blöder Schwachsinn!!
…-…-…Manchmal sind wir es aber auch einfach, Dirk und ich: primitiv und glücklich. Wir
haben da so ein Code-Wort. Wenn einer dem anderen mitteilen will, dass er ihn sexy
findet und dass er Lust auf den anderen hat: „ Miau “, machen wir dann. Das
heißt nicht, dass wir dann gleich zusammen in die Kiste hüpfen, einfach so, um es dem
anderen kund zu tun. – Na also, geht doch! Wir fangen ja auch irgendwie gerade erst
an.
Stücke im Ganzen
Was jetzt kommt sind zum Einen Überschriften, die ich mir schon notiert habe, weil
mir dazu eine Thematik im Kopf herumgeht, zum Anderen schon entworfene oder aus
einem bereits geschriebenen Kapitel herausgenommene Textpassagen und ein Zitat
aus Karen Bishops neuem Energy-Alert (14):
Aus: Karen Bishop, Energy Alert vom 29. September 2008:
UNSERE NEUEN UND KRAFTVOLLEN VERBINDUNGEN
Unsere Bedürfnisse werden normalerweise erfüllt und oft wissen wir das gar nicht,
weil wir es so gewohnt sind, uns kraftlos zu fühlen, feststeckend und unfähig, zu
erschaffen. Manchmal kann uns dieses Gewohnt-sein an diesen Seins-Zustand
erlauben, die Dinge zu akzeptieren ohne zu sehen, was direkt vor uns liegt. Wir
müssen uns einfach mit einem neuen und anderen Weg des Denkens und des Seins
verbinden und wissen, dass alle Lösungen da sind... alles, was wir tun müssen, ist,
uns mit ihnen zu verbinden und uns selbst und jedem Glaubenssatz, dass die Dinge
auf eine bestimmte Art und Weise hereinkommen müssen, aus dem Weg zu gehen.
101
Abrechnung am Church Hill
-
Der Tod
Sowohl als auch
Manchmal ist es da, dieses Gefühl der Verbundenheit und der Freiheit, und
manchmal ist es nicht da. Das hört sich jetzt vielleicht nicht besonders geistreich
an, aber ich glaube, dahinter verbirgt sich noch etwas sehr Wichtiges, nämlich:
Sowohl das Eine als auch das Andere anzunehmen und wertzuschätzen. Und nicht:
das Eine willkommen-heißen und sich damit wohlfühlen und das Andere nicht haben
wollen und sich verdammen, wenn man gerade in diesem Zustand ist.
Einer meiner Saufkumpane, der so alt war wie ich, ist letztes Jahr gestorben. Aber
auch er hat alles richtig gemacht und sein Bestes gegeben. Ich empfinde das so. Ich
bin damit im Frieden. Als ich damals die Zeitung aufschlug, „wusste“ ich beim
Umblättern der Seite auf die Todesanzeigen, dass das jetzt da steht, seine
Todesanzeige, noch bevor ich sie las.
Ich kann auch nicht sagen: „Der arme Kerl“, weil er kein „armer Kerl“ ist. Er, sein
Leben, so wie er war, gehört zur Harmonie und zur Fülle, zum Er-füllt-sein der Leben
aller, die ihn kannten, dazu. Auch er war „genau richtig“.
Die Wut und das Lachen
-
Kapitel aus der Zukunft
Borsdorfer Apfel und das Paradies
Ich könnte noch eine weitere Überschrift machen: Mein erster (und hoffentlich
letzter!) Zahnersatz. Ich war diese Woche bei meinem Zahnarzt. Der hat eine
hübsche Prothese mit zwei künstlichen Zähnen für mich gebastelt und mir vermacht.
Während er sie mir anpasste, kam sein Kollege ins Zimmer und probierte am
Computer, ein neues Programm in Gang zu bringen, das wollte noch nicht so richtig
funktionieren. Mein Zahnarzt sagte zu mir: „So ist das, da stellt man um auf ein
neues Programm und hat damit mehr Probleme als vorher. Kennen Sie das?“ Ich
machte: „Hm“ und wollte ihm noch sagen, dass ich mittlerweile mit meinem neuen PC
ganz gut zurecht komme und dass ich für Anfangs- und sonst anfallende
Schwierigkeiten meinen Neffen habe, der mir in PC-Angelegenheiten hilft. Aber er
hatte aufgehört, an der Prothese zu feilen und sie mir wieder in den Mund
geschoben und damit war für ihn das Gespräch mit der Patientin über das neue
Computer-Programm offensichtlich beendet.
…-…-…-
102
Bei dem Kapitel aus der Zukunft ging mir durch den Sinn, ich könnte doch einfach
mal drauflos schreiben, was ich mir wünsche, und so tun, als sei alles schon so
eingetreten. Z.B.: „30. Oktober 2011: Gestern wurde mein millionstes Buch verkauft!
Hätte ich mir das vor drei Jahren träumen können, so erfolgreich zu sein?! Wie
wunderbar! Michel geht jetzt in den Kindergarten. Er ist dort sehr glücklich. Was
Claire einst prophezeite, ist wirklich eingetreten: Alle sind ganz verliebt in ihn. Er ist
auch einfach ein ganz besonderer Mensch. Er bringt jeden, dem er begegnet, direkt
mit seinem Herzen in Verbindung. Dann ist alles gut. Alles ist, wie es ist, und das ist
wundervoll! Mit Dirk bin ich sehr glücklich. Unsere Partnerschaft hat sich vertieft.
Sie ist tief und ruhig, kraftvoll, unendlich und voller Liebe und Leben, wie der Ozean.
Den Katzen geht es prächtig, sie sind so verspielt und goldig und lieb! Unser Hund
hat sich gut eingelebt. Er ist sehr drollig und anhänglich, ein prima Kerl! Das Haus
gehört jetzt uns, meine Eltern haben es mir überschrieben, nachdem sie sahen, über
wie viel Geld wir nun verfügen. Der Anbau ist sehr schön geworden! Im Sommer
fahren wir für drei Wochen nach Skandinavien. Und vorher mache ich noch ein
Wellness-Wochenende im Allgäu mit Claire und Agnes.“ Hej! Ja! Das hört sich gut an!!
Das Kapitel Abrechnung am Church-Hill beträfe meinen Vater. Über den habe ich
mich geärgert und wollte sein Verhalten mir und uns gegenüber nicht dauernd
widerstandslos dulden. Die Abrechnung erfolgte letztendlich bei uns am Küchentisch
und war kurz und schmerzlos. Aber um mich nicht zu wiederholen, muss ich das
Kapitel vom Tod vorziehen. Danach kam Papa.
Der Tod war bei uns. Schon wieder, fällt mir jetzt ein. Und – sollte das „der Dritte“
gewesen sein?! … - Mensch! Jetzt, beim Schreiben, offenbart es sich mir! Seit
Schröder und Lucy gestorben sind, trage ich nämlich in mir eine Angst, so einen
übernommenen, dummen Glaubenssatz, der aber durch Mir-selbst-gut-zureden nicht
wegzukriegen ist. Ein paar Monate bevor ich mit Dirk zusammen kam, war ich mit
einer Freundin bei einer Wahrsagerin. Die prägte den Spruch: „Es gehen immer drei.“
Also, wenn einer im Umfeld stürbe, zöge der stets zwei weitere mit sich, und das hat
sich mir angehangen. Bekloppterweise. Ich krieg’s nicht wirklich los. Bisher. Ich
dachte schon an meine Oma. Und dann sehe ich nachts ein paar Mal aus dem Fenster
auf die Straße, dass da keiner von den Katzen überfahren wurde. Jetzt ist einer vor
unserer Haustür zu Tode gekommen. Ein Mensch. Ein Mann um die fünfzig. Er knallte
mit seinem Auto morgens um neun bei unseren Nachbarn direkt in die Eingangstür
zum Grundstück hinein und gegen die Mauer. Ich hörte das schleifende
Unfallgeräusch und den Knall des Aufpralls, rannte sogleich ans Fenster und sah das
zusammengedrückte Autowrack an der Wand, keine zehn Meter vor unserem
Gartentor. Dirk war schon am hinrennen und rief: „Schnell! Ruf den Krankenwagen!“
Was ich tat. Es waren auch gleich noch mehr Menschen da, wir wohnen ja an der
103
Bundesstraße, da kommen andauernd Autos vorbei. Sie versuchten, den Mann aus
dem Auto zu holen, aber das ging nicht. Er war eingeklemmt, nirgends war eine
Autotür aufzubekommen. Dirk sagte, er hätte noch geatmet, aber als der
Krankenwagen da war und die Feuerwehr ihn herausgeschnitten hatte, war er tot.
Ich hörte jemanden von den Rettungskräften sagen, er habe wahrscheinlich schon
ein Stück vorher einen Infarkt erlitten, sei dann durch den Straßengraben gerast
und in das Törchen und gegen die Wand geprallt.
Auf dem Rücksitz saß ein Hund. Der musste auch erst herausgeschnitten werden. Er
war äußerlich unverletzt und blieb dann einige Stunden bei uns, bis der Pfarrer mit
der Ehefrau des Verunglückten kam und sie ihn abholten. Er war sehr traurig, der
Hund. So traurig. Und bestimmt tat ihm auch alles weh nach dem Aufprall. Unser
anderer Nachbar, der vom Tierschutz, kam mit ein paar homöopathischen Kügelchen
gegen Schock und Schwellungen. Die gaben wir ihm und er nahm sie auch, sie, sie
heißt Marie, sagte mir ihr Frauchen später.
Da war also der Tod zum dritten Mal. Oh Mann! Unbekannter Mann, ich bin sehr
berührt und ich bin Dir sehr dankbar, dass Du das hier gemacht hast und somit der
Dritte bist. Ich weiß, er hat das wohl nicht absichtlich gemacht, aber auf einer
anderen Ebene hat er sich mit uns verbunden und uns gedient und das berührt mich
sehr. Seinem Hund sagte ich, als der so trauerte, dass alles in Ordnung sei, auch
seine Trauer und die Traurigkeit. Es war jetzt einfach der Zeitpunkt für sein
Herrchen und so ist es geschehen. Da muss auch keiner „von Glück“ sagen, dass es
ihn nicht mit erwischt hat. Dirk sagte: „Stell Dir mal vor, wenn ich gerade an der
Straße Rasen gemäht hätte.“ Aber das hat er nicht, weil er es nicht gewählt hat,
jetzt zu sterben, zu gehen, zu wechseln. Es passiert nichts einfach so, zufällig.
Danke, lieber Mann.
Mit unserer Nachbarin, der er ins Hoftor geknallt ist, habe ich durch diesen Anlass
auch wieder gesprochen. Das haben wir seit Jahren nicht getan. Sie tut immer so, als
würde sie mich nicht sehen, wenn wir uns begegnen, guckt weg und erwidert meinen
Gruß nicht. Das tut sie, seit ich mich gegen die Techno-Attacken ihres Sohnes zur
Wehr gesetzt habe, die meine Privatsphäre zunichte machten. Jetzt, bei diesem
Unfall, haben wir ganz normal miteinander geredet. Noch ein Liebesdienst dieses
unbekannten Mannes. Außerdem hatten Dirk und ich auch dicke Luft an diesem
Morgen. Die wurde durch den Unfall ratz-fatz auf das Wesentliche beschnitten und
wir kamen wieder zur Besinnung.
Ich danke Dir. Und ich wünsche Dir eine gute, gute Reise.
104
Mein Vater tauchte mit seinem Fahrrad natürlich auch irgendwann am Ort des
Geschehens auf, um zu sehen, was passiert sei. Er kam wohl gerade von der
Tankstelle, auf dem Gepäckträger war die Bild-Zeitung eingeklemmt, die holt er sich
dort immer. Mit dieser Bild-Zeitung fange ich meine „Abrechnung am Church Hill“
jetzt an. Alles raus-lassen. Ich gestatte mir jetzt, alles raus zu lassen, ohne mich
selbst zu zensieren.
„Church Hill“ deshalb: Ich wohne am Ortsrand und sehe durch die hinteren Fenster
des Hauses und vom Hof aus direkt auf den Kirchwald. Das ist ein Hügel, auf dem der
Wald wächst. Die Fläche davor, bis zum Kirchwald hin, ist bedeckt mit Äckern und,
da wo das Gelände sanft anzusteigen beginnt, mit dem Baumstück meines Vaters. Die
Felder gehören auch fast alle ihm. Sie sind nun aber, verpachtet an Einen, der noch
Landwirtschaft betreibt und sie bewirtschaftet. Meine Eltern machen schon lange
keine gewerbsmäßige Landwirtschaft mehr. Dort oben, vor dem Baumstück, am Fuße
des Kirchwaldes, planten sie in den 70er Jahren auszusiedeln. Es ist aber nicht dazu
gekommen. Da diese ganzen Ländereien hinter unserem Haus meinem Vater gehören,
stellte ich mir vor, als ich mich neulich über ihn ärgerte, wir würden uns dort oben
entgegen treten, „High Noon“, in Wild-West-Klamotten, er mit Hut und Sporen und
ich in Cow-Girl-Rock und Stiefeln, den Hut auf meinem Rücken hängend. Der Wind
verweht unsere Haare und die Sonne scheint uns ins Gesicht. Wir stehen auf dem
staubigen Feldweg, ein paar Meter voneinander und es ist Zeit, ihm alles zu sagen. Er
kann nicht weg. Die Atmosphäre ist klar und er muss mich anhören. Nur er und ich.
Die Anderen haben sich hinter Strohballen versteckt, die auf dem Feld aufgestapelt
sind, mucksmäuschenstill.
So stellte ich mir das vor.
Aber mit der Bild-Zeitung – was soll ich ihm da sagen? Er liest sie eben. Ich kann es
noch so unglaublich finden, dass Menschen das tun, er liest sie. Seit ich denken kann.
Täglich. Wenn er sie nicht hat, wird er unausstehlich. Aber es kommt eigentlich auch
nicht vor, dass er sie nicht hat, weil er alles dransetzt, sie täglich zu bekommen.
Und, ehrlich gesagt, ich rege mich gar nicht mehr darüber auf. Ich gestehe es ihm
zu. Es gab Zeiten, da fand ich das ganz schrecklich, dass mein Vater so ein BildZeitung-Fetischist ist. Aber jetzt … es ist halt so. Ich glaube nicht, dass ich da
irgendetwas dran ändern kann, wenn er nicht von sich aus drauf kommt. Ich könnte
natürlich kämpfen. Aber das würde nur bezwecken, dass er sich in seiner Haltung
noch mehr verhärtet. Vielleicht würde er sich dann zwei Bild-Zeitungen am Tag
kaufen. Das traue ich ihm auch zu.
Außerdem, das muss ich hier mal einfügen: Wenn mein Vater sich so stur und
uneinsichtig zeigt … und Dirk manchmal auch … und selbst Michel, der sich manchmal
so benimmt … dann denke ich wieder daran, dass alle und alles, was sich mir zeigt,
mein Spiegel ist. Wenn Papa und Dirk sich also über äußere Umstände aufregen, und
ich sehe, wie sie angesichts solcher Gegebenheiten doch auch ganz ruhig und
gelassen bleiben könnten und keines ihrer beschwerenden Worte darüber zu äußern
brauchten, dann erkenne ich mich selbst in diesem Verhalten. Ich mache das auch
noch so … mit Dirk z.B. Ich gehe in den Widerstand, wenn er sich so und so verhält.
105
Ich bin beleidigt, wenn er mürrisch ist. Ich beschwere mich. Mich beschwere ich. Wo
ich es mir auch leicht machen könnte. Dabei: Vielleicht ist es doch auch zweierlei.
Nicht alles zu schlucken und auf schlechte Behandlung aufmerksam zu machen, ist
Eines. Daraus einen Staatsakt zu machen, ein, zwei, drei Tage beleidigt und betrübt
zu sein, etwas Anderes. Das muss nicht sein. Überhaupt, mich vom Mürrisch-Sein
anderer abhängig zu machen, das muss auch nicht sein.
Als Papa also anlässlich dieses Unfalls bei uns vor dem Gartentor stand, fing er auf
einmal damit an, warum Dirk nicht an unserem neuen Freisitz weiterbaue. Das
Wetter sei doch die letzten Tage so schön gewesen. Was er denn getan hätte. Die
Leute würden ihn, Papa, schon ansprechen, was hier oben bei uns los sei, ewige
Baustelle oder was? Ihn würde das belasten und er könne nachts deswegen nicht
ruhig schlafen. Ob er mal kommen und helfen solle. Dirk will aber nicht, dass Papa
ihm hilft, weil Papa ständig nörgelt und alles besser weiß. Er kann einfach nicht
sagen: „Das gefällt mir. Das hast Du gut gemacht.“ Geht nicht. Hat er noch nie über
die Lippen gebracht. Ich hatte in meiner gesamten Grundschulzeit, vier Jahre lang,
nur Einser und Zweier in den Arbeiten und im Zeugnis, nie eine schlechtere Note.
Nie. Was mein Vater dazu sagte, war: „Die Zwei hätte aber auch noch eine Eins sein
können.“ Also das, das!, finde ich absolute Ober-Scheiße, Papa! Weißt Du, was Du mir
damit angetan hast? Nicht nur damals, sondern ganz nachhaltig für mein weiteres
Leben. Ich war nie gut genug. Dabei war und bin ich gut! Das bin ich jetzt am
erkennen, für mich selbst am entdecken. Ich finde mich gut. Aber ich hatte stets
das Empfinden, den Glauben, nicht zu genügen, ein Nichts zu sein, nichts zu können,
nichts zu bieten zu haben, nicht für andere und nicht für’s Leben. Mir selbst auch
nicht. Ich hatte auch nie genug Geld. Auch als ich recht gut verdiente, reichte es
nicht und ich war immer im Soll, denn ich kann ja nichts. Auch nicht mich selbst
erhalten. … - Dabei: Was ich wirklich glaube ist, dass mir das niemand angetan hat,
dass ich diesen Glaubensatz ausgebildet habe, sondern dass das mein mitgebrachtes
Ding ist. Ich habe das in mir und deshalb habe ich mir die passenden Eltern
ausgesucht, die mir das schön drastisch aufzeigen, damit ich es deutlich sehe und
beheben kann. Also dann eigentlich: Danke! Hast Deinen Job sehr gut gemacht. Dass
Du mich im Grunde Deines Herzens volle Kanne liebst, weiß ich. Ich Dich auch! Ich
glaube, Du bist auch stolz auf mich. Ich bin es auf Dich auch!
Trotzdem will ich das nicht immer alles so schlucken, was mein Vater gelegentlich an
Vorwürfen von sich gibt. Mir ist in den akuten Situationen nur oft nicht klar, was ich
dazu nun eigentlich sagen soll. Manchmal auch nicht, was mich da jetzt eigentlich am
meisten ärgert, was alles hineinspielt. Mich rechtfertigen mag ich nicht. Und in einer
akuten Situation mit ihm zu diskutieren ist irgendwie auch sinnlos. Das ist dann nur
Schlagabtausch. „Die Leute“ z.B., die zu uns etwas über unsere Baustelle sagen,
haben bisher alle nur bekundet, wie schön alles sei. „Ganz wunderbar!“ hat Papas
Freund Konrad schon wiederholt gesagt, der ist ganz begeistert von dem, was Dirk
macht. Nur mein Vater sagt: „Das hält doch nicht!“ oder: „Warum hast Du das so und
nicht anders gemacht?“ und solchen Käse. Deshalb will Dirk ihn beim Arbeiten nicht
dabei haben. Als Papa an diesem Vormittag so auf Dirk herumhackte, sagte ich ihm,
dass wir auch nicht so viel Geld hätten, um dauernd Baumaterial zu kaufen, dass sich
das, auch wenn die Kosten nicht hoch seien, doch summiere und unser Konto jetzt so
106
weit im Soll sei, dass nun eben mal Baustopp wäre und wir unser Konto erst wieder
ins Plus bringen wollten. Ich solle ihm nicht so kommen, sagte Papa.
…-…
Mein Opa Heiner, Papas Vater, war wirklich ein alter Knochen. Der sorgte mit seinem
Eigensinn des Öfteren für Furore. Einmal, als er schon sehr alt war, und mit seinem
Stock im Dorf spazieren ging, hielt er den Zug an, weil er der Ansicht war, der Zug
könne wegen ihm ruhig anhalten, wenn er bei geschlossenen Schranken den
Bahnübergang überquerte. Er konnte ja nicht mehr schnell laufen. Aber die Zeit, die
Eisenbahn vorüberfahren zu lassen, wollte er sich auch nicht nehmen. Er zockelte
also an der heruntergelassenen Schranke vorbei und stellte sich mit erhobenem
Spazierstock mitten auf die Schienen. Der Zug legte wegen Opa Heiner 30 Meter
vor dem Bahnhof eine Vollbremsung hin. Er fuhr auch heimlich Traktor, wenn meine
Eltern im Urlaub waren, obwohl er das offiziell seit Jahren nicht mehr tat. Er hatte
auch gar keinen Führerschein mehr, den hatte er schon abgegeben. … – … - Bei Papa
muss ich eben hin und wieder an Opa Heiner denken. … Ein paar Tage nach dem Unfall half Dirk meinen Eltern beim Äpfel-lesen. Es fing an
diesem Nachmittag an zu regnen und die drei kamen hierher zu uns, um die auf das
Baumstück mitgebrachten Stückchen und den Kaffee zu schmausen. Als wir
zusammen am Küchentisch saßen, sagte ich spontan zu Papa, ich müsse ihm mal sagen,
dass er das lassen solle, so auf uns herum zu hacken. Und wenn ich ihm eine redliche
Erklärung gäbe, warum die Baumaßnahmen ruhen, solle er nicht so tun, als würde ich
Mist reden. Er nahm das an und sagte nichts dagegen. Stattdessen schäkerte er (in
seiner Verlegenheit?) mit Michel. Mama sagte, Papa würde halt manchmal Dinge
sagen, die er nicht so meine. (So-so. Das macht Dirk auch, hat er mir gesagt.) Und
damit war die Sache vom Tisch. War ganz einfach, ungeplant und leicht. Mir geht’s
gut damit.
Und was lerne ich daraus? Vielleicht soll man manches Ärgernis einfach erstmal so
stehen lassen, ohne eine Front zu errichten und zu kämpfen, weil das die
gegenseitigen Fronten eh nur erhärtet. Sich lieber zurückziehen, im eigenen Space
bleiben, sein Ding machen, ohne über die Angelegenheit zu grübeln, im Vertrauen auf
die Er-Lösung. Nur das: sich innerlich mit der Lösung verbinden, auch wenn man keine
Ahnung davon hat, wie sie sich gestalten wird. Und nicht meinen, dass irgendetwas
auf bestimmte Weise geschehen muss.
Intermezzo: kleines, großes Geschenk zum Thema Tod und „Es gehen immer drei“.
Ich war bei meiner Freundin Gabi zum Baby-Besuch. Sie hat im August ihr drittes
107
Kind bekommen, einen kleinen Jungen. Wir haben zusammen die Erzieher-Ausbildung
gemacht und Gabi erzählte, dass sie sich mit einigen aus unserer Klasse getroffen
habe. Eine der Anwesenden, deren Mutter schon seit langem tot ist, erzählte, dass
die zweite Frau ihres Vaters nun auch gestorben sei. Sie habe dazu einen schönen
Spruch gesagt, sagte Gabi: „Wenn einer stirbt, fallen drei Neue (Sterne) vom
Himmel.“
!!!!!!!!!!!!
Klasse, oder?!!
So
ist
mein
(dummerweise
angenommener)
Glaubenssatz „Es gehen immer drei“ nicht nur für dieses Mal zufrieden gestellt,
sondern für immer erlöst!! Danke liebe Gabi, liebes Leben, für die neue Sichtweise!
Ob Ihr’s glaubt oder nicht: Gerade jetzt fährt einer direkt vor unserem Haus und
ruft durch ein Sprechrohr: „Alt-Eisen! Alten Schrott! Alte Waschmaschinen!“ Ganz
laut! Das war noch nie der Fall! Die fahren sonst nur auf der Hauptstraße entlang und
rufen auch nicht durch das verstärkende Sprechrohr, sondern nur so, mit ihrer
Stimme und bimmeln mit ihrer Glocke. Ja! Weg mit dem alten Schrott! Braucht kein
Mensch mehr, diese einengenden, bedrückenden Glaubensmuster!!
Danke! Danke! Danke!
Das Leben ist einfach klasse!
Meine beiden fehlenden Zähne verlor ich dieses Frühjahr. Sie wurden mir gezogen.
Den einen hatte ich mir locker gebissen und der andere wackelte auch arg und sie
wären ohnehin beide bald von selbst herausgefallen. Der erste wurde mir am 2. April
gezogen, am Geburtstag meiner Schwester, und der zweite am 23. Mai, dem
Geburtstag meines Schwagers, ihres Mannes. Spontan, akut, ohne dass ich die
Termine vorher gemacht hätte. Ich frage mich, ob, und wenn ja, was, das zu
bedeuten hat, aber mir ist noch nichts eingefallen.
Ich hörte, dass es früher hieß, nach jeder Geburt würde man mindestens einen Zahn
verlieren. Na dann – für Michel gebe ich die zwei Zähne gerne her!
108
„Hattest Du keine Angst?!“
Goldener Oktober. Das Wetter ist so schön und ich war mit Michel im Dorf
spazieren. Er im Kinderwagen. Er steht jetzt ganz oft auf seinen Füßen, zieht sich
hoch am Couchtisch oder am Sofa. In der letzten Physio-Therapie-Stunde ist er
auch ein paar Schritte seitwärts gelaufen. Das waren seine ersten eigenen Schritte!
Wenn wir, hauptsächlich sein Opa, mit ihm laufen üben, ihn unter den Achseln halten,
dann wirft er schwuppdiwupp! seine Füße hoch in die Luft, wie die Marionetten in der
Augsburger Puppenkiste. Der kleine König Kallewirsch ist ein Scheiß gegen Michel! In
der Physio-Therapie-Praxis haben sie so eine Sportbank, wie sie in den Turnhallen
stehen. Die ist nicht sehr hoch und Michel kann sich darauf gut mit seinem
Oberkörper abstützen und in dieser Position selbstständige Schritte machen,
seitwärts erstmal, immer dem Spielzeug hinterher, mit dem ihn die Therapeutin
lockt.
Es ist so wunderbar mit Michel! Jetzt sitzt da so ein kleiner Kerl unter dem
Küchentisch und reicht mir sein Spielzeug hoch, Ringe, Bälle und Töpfchen, und freut
sich, wenn ich sie ihm abnehme und ihm dann wiedergebe. Oder er kommt
angekrabbelt, schmiegt sein Köpfchen an mein Bein und macht „ai“ mit einem hohen,
feinen Stimmchen. Oder er kommt mit einem Bilderbuch und möchte das mit mir
zusammen betrachten. Wenn ich morgens im Bad bin, sitzt er manchmal vor der
umfunktionierten Gartentür, die Dirk in den Türrahmen der Küche eingebaut hat,
damit Michel nicht in den Flur krabbelt wegen des heißen Ofens, der Treppe und der
Tierhaare, und wartet auf mich. Er spielt derweil, z.B. wirft er sein Spielzeug durch
die Freiräume zwischen den Holzlatten, oder er streichelt eine unserer Katzen, die
vor der Tür im Flur liegt – „ai!“. Wenn ich aus der Badezimmertür schaue, mal kurz
um die Ecke sehe zu meinem Michel, und ich winke ihm, dann winkt er mir zurück und
lacht! Das ist so schön! Da geht mir jedesmal das Herz auf!
Wir haben gerade eine sehr gute Zeit. Auch Dirk und ich. Es ist ruhig und schön.
Dirk hat bei der Zeitarbeitsfirma einen Auflösungsvertrag unterschrieben und ist
nun wieder arbeitslos gemeldet. Wir dachten, das sei besser, als von knapp 900 Euro
60 % Krankengeld zu bekommen. Mal sehen, wie sich das mit dem Geld nun gestaltet.
Es ist sowieso alles am zusammenbrechen. Die Banken krachen zusammen. Heute
steht zwar in den Nachrichten im Internet, dass die Börsianer aufgrund eines
Rettungspaketes wieder jubeln, aber ich vermute, das ist nur eine Aufschiebung. Das
geht vielleicht ein, zwei Wochen, wenn überhaupt, dann wird der Zusammenbruch
weiter voran schreiten. Das Alte zerfällt. Es ist ins Rollen gekommen. Das ist jetzt
einfach so. Und ich bin sehr froh darum! Der Kapitalismus zerfällt. Ist doch
wunderbar!! Und das ist nicht der einzige alte, einengende, beklemmende,
kleinmachende Scheiß, der wegfällt! Ich habe gar keine Angst. Jetzt nicht wegen der
109
Banken-Crashs, deswegen sowieso nicht. Auch nicht wegen unserer persönlichen
Lage. Als Dirk den Aufhebungsvertrag unterschrieben hatte, an einem Freitag,
dachte ich, obwohl ich dem Ganzen zugestimmt hatte, dass ich möglicherweise im
Laufe des Wochenendes von Sorgen befallen werden könnte, ob er denn aufgrund
dieses Aufhebungsvertrages überhaupt gleich Geld vom Arbeitsamt bzw. von der
Job-KOMM erhält. Am Montag hatte er dort einen Termin. Aber nichts war! Kein
Aufwachen des Nachts und Kopf-Kino am losrattern. Ich habe gar nicht daran
gedacht. Und überhaupt mache ich mir keine Sorgen mehr. Mir ist aufgefallen, dass
das verschwunden ist. Das ist prima! Morgen hat Dirk wieder einen Termin bei
seinem Hausarzt. Wenn die Entzündung in seinen Stirnhöhlen (oder wo? Vielleicht
auch in der Nase. Ich weiß es nicht genau.) abgeklungen ist, soll er ins Krankenhaus
und seine Nasenscheidewand operiert bekommen.
Die Sonne kommt durch, durch den Herbstnebel.
Ich hätte Lust, einfach locker weiter zu erzählen, vom Äpfel-lesen letzte Woche,
von unserem Sonntags-Ausflug gestern und von meiner eigenen Tarot-Session. Aber:
Michel erwacht aus seinem Mittagschlaf. Das heißt: Schreib-Pause machen. Und dann
werde ich mich zuerst dem Thema der Überschrift zu diesem Kapitel zuwenden.
See you later, alligator. – In a while, crocodile! Nächster Tag, gleiche Zeit, Michel schläft. – Das Wetter war also so schön und wir
waren spazieren, mit dem Kinderwagen unterwegs, Michel und ich. Wir waren auf
dem Spielplatz schaukeln, haben Leute getroffen und geplaudert, waren bei
Oma/Mama, die auf dem Friedhof die Gräber herbstlich bepflanzte. Auf dem
Nachhauseweg trafen wir Nachbarn, die ein paar Häuser weit weg wohnen und sich
gerade in ihrem Garten aufhielten. Wir grüßen uns meistens nur im Vorübergehen,
ohne dass wir zum Gespräch beieinander stehen bleiben. Der Mann, als er uns
kommen sah, kam an den Gartenzaun gelaufen und rief mir zu, ob der Hund wieder
abgeholt sei. Der Hund aus dem Unfallwagen. Ich sagte ihm, dass unser
Gemeindepfarrer mit der Frau des Verunglückten den Hund nachmittags abgeholt
hätte. Er sprach noch etwas über den Unfall, sagte, dass er den Hergang dieses
Unfalles nicht hätte glauben können, wenn es ihm jemand erzählt und er es nicht
selbst gesehen hätte. Währendem kam seine Frau hinzu, die uns da hatte stehen
110
sehen. Sie fragte mich das Gleiche, ob der Hund abgeholt worden sei, und ich gab
noch mal die gleiche Antwort. Dann fragte sie: „Hattest Du denn gar keine Angst?“
Ich sagte „Nein“ und dass der Hund so traurig gewesen sei und so geschockt.
… - … - … - Während ich das schreibe, bekomme ich einen Kloß in den Hals und Tränen
hinter die Augen, über die Nase. Was haben die Leute?! Angst, wenn jemand Hilfe
braucht? Die schauen noch durch ihre Brille „größerer Hund = Angst“, wenn dieser
Hund eine Stunde im Unfallwagen eingeklemmt war, sein Herrchen tot und der Hund
selbst völlig verschreckt und verschüchtert ist. Selbst Dirk, als der Hund schon eine
Stunde bei uns im Hof gelegen und wir ihn gestreichelt hatten! Findus, unser Kater
schmuste um den Hund herum und legte sich zu ihm und Dirk rief plötzlich: „Findus,
lass das!“ und jagte ihn weg. Ich war ganz erschrocken und fragte, was Findus denn
gemacht habe. Dirk antwortete: „Du weißt doch nicht, wie der Hund auf Katzen
reagiert! Nicht dass er Findus beißt!“ Eigentlich ist es ja witzig, oder? Wie kleine
Kinder, die fünf Minuten lang einen Hund streicheln und dann den Besitzer fragen:
„Beißt der?“ Findus hat die Lage gecheckt und sich angemessen und liebevoll
verhalten, er hat dem fremden Hund seinen Beistand und Trost geschenkt, während
Dirk sich von seinen „Hallus“ hat leiten lassen. Halluzinationen. Der Mensch stellt
sich etwas vor und meint es sei so.
Aber wie ist es wirklich? Für den Menschen jedenfalls so, wie er es sich erschafft.
Folgendes Gedicht habe ich im Internet gefunden:
Helga Kurowski
Das Krokodil und der Dachs
Es war einmal ein Krokodil
das war uralt und wusste viel.
Den Tieren allen, nah und fern,
erzählte es sein Wissen gern.
Da kam ein junger Dachs daher
und schrie: ,,Dein Hirn ist mir zu leer!
Ich weiß es besser, hab' studiert!
Mach Dich vom Acker! Los!! - Kapiert!!!"
111
Das Krokodil jedoch war weise,
es schliff die Zähne sich ganz leise.
Und ohne noch mal was zu sagen,
verschwand der Dachs in dessen Magen!
© Helga Kurowski
Tja! Wenn man einfach alles auffressen würde, was einem nicht passt. In bestem
Wissen und Gewissen natürlich, nicht aus Willkür. Fressen, Verdauen, kleiner
Rülpser, Ausscheiden. Fertig. Das war’s. – Jetzt mal wirklich! Vielleicht sollte ich das
symbolisch so machen! Alles, was mir ein Ärgernis oder Hemmnis ist oder was mir
Angst macht, schmiere ich mir auf’s Brot, mache mir ein Schnittchen daraus,
garniere es mit Petersilie und verspeise es. Damit ist die Sache gegessen.
Vor ein paar Jahren war ich auf dem Hessentag in Bad Arolsen. Dort gab es an einem
Stand viele, viele Buddhas, große, kleine, in vielen verschiedenen Positionen, alle
fröhlich lachend. Ich betrachtete sie mir, in der Absicht, einen zu kaufen. Plötzlich
stand ein kleiner Junge hinter mir und fragte mich: „Weißt Du, warum Buddha so dick
ist?“ Er gab auch gleich die Antwort: „Weil er das ganze Leid der Welt aufgegessen
hat.“ „Dafür sieht er aber ganz schön fröhlich aus“, erwiderte ich, aber als ich mich
zu dem Jungen umdrehte, war er schon wieder verschwunden. – Ich habe mehrere
kleine Buddhas gekauft. Die stehen jetzt bei mir in der Wohnung und jedesmal, wenn
ich sie ansehe, steckt mich ihre Fröhlichkeit an.
Und der Dachs? – Vielleicht kann man den Dachs aus der Nacht meines DrogenSelbstversuches ja auch anders deuten. Was ist der Segen dieser scheinbaren
Negativität? Vielleicht war das nicht meine Angriffslust, die ich mir nicht
zugestehe, die da überfahren auf der Straße lag, sondern eine andere Angriffslust,
die Angriffslust der Sucht. Sie ist tot. Meine Sucht ist tot.
Das ist gut.
So long – farewell – good byyyyeeee 112
Die Wut und das Lachen
Kann es sein, dass ich mein „Liebes-Kind-Sein“ dermaßen anerzogen bekommen habe,
dass sich die Konditionierung „Du-darfst-nicht-böse-sein“ in meinen Zellen so
verankert hat, dass ich meine Wut gar nicht mehr spüre? Verzweiflung schon,
Hoffnungslosigkeit,
angesichts
mancher
Gegebenheiten,
aber
Wut?
Hoffnungslosigkeit gegenüber Willkür, Verzweiflung gegenüber Verrat, aber Wut?
Ich habe früher immer gelächelt und gelacht, und mache das manchmal immer noch,
wenn ich meinem Gegenüber lieber sagen würde: „Halt die Klappe!“ Ja. Manchmal
würde ich einfach das gerne sagen. In einem Film mit John Cleese sagt er in MonthyPyton-Manier: „Ach halt doch die Klappe“ und wendet sich ab. Und genau das würde
ich angesichts, besser gesagt angehörs, dessen, was manche Menschen gelegentlich
von sich geben, auch tun. Stattdessen lächele ich und lasse sie reden und höre es mir
an. Den akustischen Müll, den manche absondern. - Aber: Es hat sich schon
gewandelt. Drastisch, möchte ich sogar sagen. Ich möchte hier nur noch mal darüber
schreiben, weil noch Reste dieses Verhaltensmusters vorhanden sind und die will ich
nicht mehr haben!!
Das kann natürlich Trennung mit sich bringen. Ich habe mich von FreundInnen und
Bekannten getrennt, von denen ich mich zugemüllt fühlte. Bzw. sie haben sich von mir
getrennt, nachdem ich gesagt hatte: „Ich will es nicht mehr hören.“ Klagen,
Jammern,
Sich-im-Elend-suhlen-und-überhaupt-nicht-da-raus-wollen.
Wie
im
Hamsterrad, immer die gleiche Tretmühle. Ich kenne Frauen, die sind seit zehn
Jahren und länger von ihren Ex-Männern getrennt. In meinem Beisein haben sie zwei,
drei oder vier Jahre dieses Schicksal beklagt und zeitgleich Horrorgeschichten vom
Ex erzählt. Sollten sie doch froh sein, dass sie ihn los waren! Bemerkungen
meinerseits wie: „Nutz‘ doch das Potential der Veränderung! Sieh, welchen Nutzen
Du daraus ziehst, ist doch auch ein Geschenk. Guck, was Du daraus lernen kannst,
und auch, was Deine Muster dabei sind.“ Das haben sie sich ja noch angehört. Aber
als ich verschiedene Muster benannte, war es aus. Zum Beispiel: „Du bist total in der
Opfer-Rolle. Opfer wollen nicht hinsehen, die wollen nur Aufmerksamkeit und
Mitleid.“ oder: „Was man im Außen kritisiert, hat man in sich selbst nicht gelöst. Da
muss man sich mal an die eigene Nase fassen.“ Sowas wollten sie nicht hören und
damit war’s das dann mit unseren Freundschaftsbeziehungen (bis jetzt). Und das ist
auch gut so, denn sie haben immer noch die gleiche Leier drauf, wie ich durch
gemeinsame Bekannte weiß.
Manchmal sage ich auch gar nichts dazu, wenn jemand in meinem Beisein mal wieder
in seinem zwanzig Jahre alten, mitgeschleppten inneren Müll wühlt. Weil ich keine
Lust mehr habe, zu versuchen zu helfen oder etwas zu bereinigen. Die wollen das
ohnehin nicht. Ich werde dann für meine Bemühungen auch noch angegriffen. Die
113
wollen lieber auf ihrer inneren Müllhalde sitzen bleiben. Es macht keinen Sinn, zu
missionieren.
Jedenfalls schüre ich nicht mehr das Feuer indem ich meine, ich müsste andere in
dem, was sie sagen, bestätigen. Dieses Verhalten hatte ich nämlich auch mal.
Wahrscheinlich auch eine Folgeerscheinung meines Liebes-Mädchen-Syndroms. Wie
schrecklich! Aber wenn ich daran denke, wird mir auch bewusst, dass ich doch schon
ganz schön viele Befreiungsschritte gegangen bin. Gott sei Dank! Und dieser Wunsch,
anderen zu sagen: „Halt die Klappe!“ Bin ich das? Oder ist das eher etwas
Übernommenes, dass ich meine, so muss man es machen! Oder ein Ideal, dass ich
Menschen, die so direkt sein können, bewundere. Das entspricht vielleicht gar nicht
meinem Naturell, oder? Vielleicht sollte ich einfach mich anerkennen, die Art und
Weise, wie ich mit den Dingen umgehe. Das erscheint mir immer wieder das
Allerwichtigste zu sein.
Es ergeben sich dennoch gelegentlich Begegnungen und Konstellationen, in denen
einer oder mehrere den ganzen Abend lang Mist reden. Jammern und sich
beschweren (sich beschweren!) über „die Umstände“, die „Gesellschaft“ (das ist man
doch selbst! Das sind wir! Ich und du.), die Politiker, über Ausländer, Männer, Frauen,
Jugendliche, Terroristen … - by the way: meine Vermutung ist: Osama Bin Laden ist
keine reale Person. Den gibt es gar nicht. Er wurde erfunden, kreiert, als Feindbild.
Auch die Terroranschläge in den USA, auf’s World-Trade-Center und was sonst noch
war, empfinde ich irgendwie als selbstgemacht, um wieder ein dickes, fettes AngstFeindbild zu haben gegen das man Krieg führen kann. So sehe ich das. … - Aber:
Dabei kann ich mir auch die eigene Nase halten. Ich habe auch Feindbilder. AngstFeindbilder. Angst vor anderen Menschen. Selbstgemacht? - Und was ist es sonst,
was hinter dem „Mist-reden“ dahinter steckt, als Angst? Also muss ich mich jetzt
gar nicht weiter darüber auslassen, über die anderen, sondern bleibe bei mir. Bei
meiner Angst. Angst vor Mangel? Vor Bedrohung? … Wovor? Wovor habe ich Angst?
Ich hatte immer Angst vor Menschen. Sonst eigentlich vor nichts. Nein. Sonst vor
nichts. Wovor soll man Angst haben? Es ist alles in bester Ordnung. Aber vor den
Menschen hatte ich Angst. Früher schlug ich beim Gassi-gehen immer einen anderen
Weg ein, wenn ich jemanden kommen sah, um dem nicht zu begegnen.
Ja, das stimmt. Im Grunde habe ich vor nichts Angst. Nur vor den Menschen.
Das macht mich gerade ganz traurig. Jetzt, in erster Linie, wegen dem, was
Menschen auch alles für eine Scheiße fabriziert haben. Was sie den Tieren antun,
ihrer Umwelt, der Natur und sich untereinander. Aber auch um die Menschen selbst
reißt es mir gerade im Herzen. Warum tun wir das? Warum sind wir so? Lieblos,
114
achtlos, ängstlich. Woher kommen Neid und Eifersucht, Niedertracht und Gewalt?
Sind wir so geworden, um das Schlimme zu erlösen? Um das Böse kennenzulernen, uns
selbst, wenn wir selbst so sind, um uns lieb zu gewinnen, alles mit einzubeziehen,
damit es durch (Selbst-) Erfahrung und (Selbst-) Liebe erlöst wird. Irgendwie so?
Aber was macht das für einen Sinn, das Schlimme, warum gibt es das? Das kann ich
nicht wirklich verstehen.
…-…-…
Es wandelt sich.
Nachdem mir aufgefallen ist, dass ich mich nicht mehr sorge, wird mir neuerdings
gewahr, dass mein Widerstand gegenüber anderen Menschen zu schwinden scheint.
Vorbehalte, Bilder aus vergangenen Begegnungen, Verweigerung – löst sich auf,
während der aktuellen Begegnung, während des Gesprächs. Ich lasse sie in mein
Herz. Oder vielleicht eher: Ich bin einfach aus meinem Herzen heraus. Offen.
Integer. Einfach. In der vergangenen Woche ist mir das bei zwei Leuten aufgefallen,
gegen die ich Vorbehalte hatte. Ich bin ihnen begegnet, einem persönlich und mit
dem anderen habe ich telefoniert, und ich merkte, wie die Vorbehalte weg waren.
Ich habe mich ganz auf sie eingelassen. Und mir ging es gut mit ihnen. Das waren
schöne Begegnungen. Nachhaltig und dennoch vorbei, als sie vorbei waren. Da hängt
nichts nach. Trotzdem war es bereichernd. – Wie soll ich das sagen? – Es ist dann
vorbei und so ist es gut. … Das ist noch so etwas, was mir z. Zt. gewahr wird: Ich
sehe etwas, das ist wunderschön und dann ist es vorbei und es ist gut so. Es hängt
nichts nach. Ich will es nicht wieder haben, freue mich nicht auf ein nächstes Mal
und denke nicht: „Schade, dass es vorbei ist.“
Michel ist wach. Er lacht, mit seinem Papa, der gerade hereingekommen ist.
Michel zeigt seine Wut. Wenn etwas nicht klappt, wird er zornig oder quengelig. Ich
lasse mich jetzt ein bisschen von Michel inspirieren. Von Dirk auch! Der schimpft
auch, wenn ihm was nicht passt. Ich will ihn dann immer beschwichtigen. Ich Depp! –
Erkenntnis des Tages: Wut braucht auch ihre Daseinsberechtigung. Ich gestehe Dir
Deinen Platz jetzt zu, Wut, im Leben. Du darfst sein.
115
Der Borsdorfer Apfel und das Paradies
Wie ist das denn nun mit dem Baum der Erkenntnis? Mit der Geschichte vom
Paradies? Vertreibung durch Gott ist Schwachsinn. „Ihr dürft Euch alles nehmen,
von allem essen, nur von diesem einen Baum nicht.“ Das ist ja wie: „Denke jetzt bloß
nicht an einen rosa Elefanten!“ Vielleicht haben wir uns selbst ein Bein gestellt,
vielleicht war da der Coyote am Werk, das indianische Krafttier, der kosmische
Trickser, der andere hinter’s Licht führt und dabei selbst immer wieder in seine
ausgehobenen Gruben fällt. Aber genau das bringt ihn letztendlich auch zu seiner
inneren Weisheit und Wahrheit.
„Hinter das Licht führen“, das ist auch etwas, was ich nicht verstehe, was ich nicht
nachvollziehen kann. Wie kann man jemanden „hinter das Licht“ führen? „Wo Licht
ist, ist auch Schatten.“ Wo Licht ist, ist kein Schatten. Wo Licht ist, ist Licht, sonst
nichts. Ich weiß das, weil ich weiß, dass ich woher komme, wo nur Licht ist. Daran
konnte ich mich als Kind erinnern. Weißes Licht, sonst nichts. Und was ist an der
Dunkelheit eigentlich schlimm? Ich habe ein schwarzes Loch in mir. Vor einigen
Jahren habe ich davon geträumt. Ich bin im Traum hineingefallen. Ich ging im Traum
durch einen Wald, herbstlicher Wald, viele Blätter auf dem Boden. Plötzlich machte
es plumps, ich war durch den Boden gefallen, durch die Blätter und befand mich im
schwarzen Raum. Kein Boden unter mir, keine Wände, nichts zu tasten, alles schwarz.
Ich fiel aber auch nicht, ich war einfach in diesem Raum. Zur Zeit dieses Traumes
machte ich in einer Frauengruppe Gestalttherapie, wir trafen uns mit der leitenden
Psychologin jeden Mittwochabend. Dieses schwarze Loch hatte mich so beeindruckt,
dass ich in der Therapie damit arbeitete. Dabei wurde mir bewusst, dass ich keine
Angst in dem Loch hatte und dass ich es auch nicht mit irgendetwas auffüllen will.
Das Ur-Loch, das Nichts, darin alles (und nichts) enthalten ist, das Potential, das
Vertrauen. Dieses schwarze Loch ist mein Vertrauen. Nicht wissen, absolut nichts,
und doch vertrauen und irgendwie geborgen sein. Ich bin froh, dass ich weiß, dass ich
es habe, dass es in mir ist.
Vielleicht verhält es sich so mit dem Schlimmen: Wir haben uns selbst eine Aufgabe
gestellt, von der wir wissen, dass wir sie nicht lösen können: „Denke jetzt an keinen
rosa Elefanten!“ „Wenn Du es tust, fliegst Du raus, aus zuhause, aus dem Paradies!“
Das war der Witz. Es ist so absurd, rauszufliegen, aus dem Paradies – es ist, wie
lebend den eigenen Körper zu verlassen, es geht nicht. Das Beispiel ist vielleicht
schlecht, weil das ja geht. Irgendetwas, was nicht geht. Was für uns klar war, dass
es nicht geht. Das war das Augenzwinkern, das: „He, stimmt doch gar nicht!“ Aber
dann haben wir unseren eigenen Schabernack geglaubt. Wir haben geglaubt, wir
hätten eine Missetat begangen und müssten dafür bestraft werden. Oder wir haben
noch eins draufgesetzt und wollten sehen, ob wir uns dann immer noch lieb haben, wir
116
uns selbst, wir untereinander. Z.B. haben wir dann noch unseren Bruder umgebracht.
Wenn ich so böse bin, liebst Du mich dann auch noch? Ein Selbstversuch dieser Art.
Aber wir haben uns verheddert. Wir haben es mit der Angst bekommen und sind
davon gelaufen. – Jetzt sind wir uns am Wiederfinden. Untereinander und uns selbst.
„Der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“. Vielleicht war das ja schon der
brüllende Witz: „Gut und Böse! Ich lach‘ mich tot! Der ist gut! Gut und Böse!“ Weil es
kein Gut und kein Böse gibt, keine Unterscheidung zwischen besser und schlechter. –
Und dann sind wir uns in die eigene Falle getappt. Die gar keine war. Aber wir haben
trotz allem so ein schönes Spiel daraus gemacht, dass alle, die bisher nur zusahen,
Engel, das jetzt auch spielen wollen. Die wollen alle mal Mensch werden. Weil wir es
eben auch geschafft haben: uns da herauszulieben. Uns anzunehmen. Alles. Wir
können stolpern, straucheln, fallen – deshalb sind wir nicht schlecht, wir machen
keine Fehler. Oder so gesagt: Wir dürfen Fehler machen, deshalb sind wir nicht
schlecht. Strafen bringt gar nichts. Nur lieben hilft. Das wissen wir jetzt. Vielleicht
haben wir es vorher nur geahnt, aber jetzt wissen wir es. Deshalb die Inszenierung.
…-…-…-
Komm, komm, wo immer du gerade bist!
Wanderer, Andächtiger, Liebhaber des Abschieds.
Es spielt keine Rolle.
Unsere Karawane
ist kein Ort der Verzweiflung.
Komm,
komm, selbst wenn du
deine Gelübde
schon tausendmal gebrochen hast.
Komm,
komm trotzdem wieder,
komm!
Inschrift auf dem Grab von Jellaladin Rumi
…-…-…Borsdorf ist mittendrin im Geschehen, in der göttlichen, dramatischen Komödie. Der
Borsdorfer Apfel, die paradiesische Frucht. Vielleicht war genau hier der Garten
117
Eden. Und ist es noch. Die ganze Erde ist der Garten Eden. Und wir erkennen
einander wieder als das, was wir sind. Das Spiel von Gut und Böse ist für uns zuende.
Wenn Du es nicht mehr spielen willst, dann beende es.
So weit, so gut
Gestern, als ich das vorhergehende Kapitel zuende geschrieben hatte, regte sich in
mir eine Empfindung, dass dieses Buch hier zuende geht. Ist es fertig? Halb-fertig?
Ich könnte noch Wochen und Monate weitererzählen, aus unserem Leben und meiner
inneren Welt. Aber wann ist es dann zuende? Fertig? … - Dirk sagt immer: „Wenn ich
hier fertig bin … dann ….“ Dann machen wir all die schönen Sachen, die wir jetzt nicht
machen, so in dem Sinne. Ich finde, das ist Blödsinn, denn jetzt ist das Leben. Ich
will jetzt alles machen. Und deshalb muss/will/tu ich’s einfach: aufhören, es auf den
Weg bringen und dann weitermachen. Punkte setzen, Pausen machen. Rhythmen.
Dieses Lied klingt hier aus. Möglicherweise ist es eine Überlappung und ich schreibe
nach diesem Abschlusskapitel gleich weiter, weil’s so schön ist. Kann sein. Vielleicht
schreibe ich auch eine Weile nicht und koche stattdessen jeden Tag was Leckeres,
wenn Michel schläft, oder mache Fußbäder und tanze. Vielleicht schreibe ich auch ein
Kinderbuch. Mir geht da schon was im Kopf rum, aber es ist nur der absolut äußere
Rahmen. Wer weiß. Oder ein Drehbuch. Ich wollte immer einen Film machen.
Ja. Meine Träume. Und Sehnsüchte. Das, was mich im Innern so berührt, so anrührt.
Ich habe mich auf den Weg gemacht. Ich will jetzt auch einfach wissen, ob ich es
zuende
bringen
kann.
Ob
ich
das,
was
ich
hier
geschrieben
habe,
zur
Veröffentlichung bringen kann. Ob es jemand kaufen und lesen will. Jedenfalls: Wenn
Du, der Du träumst/die Du träumst, selbst zu schreiben, das hier liest, am Ende
eines Buches, das Du in der Hand hältst, dann schreib‘! Mach’s! Du siehst, es geht!
Dir wird es auch gelingen. Oder was sonst Dein Traum ist – mach’s! Wag‘ Dich!
Probiere die neue Rolle einfach aus. Du wirst sehr gut darin sein! Wenn es Dein
Herzenswunsch ist, dann wirst Du es sehr gut machen. Dessen bin ich gewiss. Und
Dir selbst wird es unendlich gut tun.
Dirk sagt auch, dass er mit fünfzig nichts mehr bauen will. Da will er „fertig“ sein. Er
wird nicht aufhören zu bauen, dessen bin ich auch gewiss. Wenn er es, bis er fünfzig
ist, wirklich geschafft haben sollte, hier am und um’s Haus alles nach seinen
Vorstellungen zu gestalten, dann wird er irgendetwas anders anfangen, woran er
basteln kann, weil er das braucht. Alles ist jetzt. „Wenn wir fünfzig sind“, das gibt
118
es in Wirklichkeit nicht. Wenn wir fünfzig sind, dann sind wir es auch jetzt.
Vielleicht ist auch nie der perfekte Zeitpunkt, etwas zu beginnen oder etwas zu
beenden. Aber wenn man es tut, dann ist es der richtige Zeitpunkt dafür. Als ich
schwanger war und Dirk hier einzog, als ich im Bett liegen musste, nichts tun konnte,
als Flur und Bad in Schutt und Asche lagen, alles weggehauen war, weil alles neu
werden sollte, selbst die Kloschüssel war zwei Tage lang nicht vorhanden, stand an
einem dieser Tage in meinem Mond-Kalender: „Lieber unvollkommen beginnen als
immer vollkommen zögern.“ Der richtige Zeitpunkt ist nie, aber wenn wir es tun, dann
ist es der richtige Zeitpunkt. Die perfekten Umstände wird es nie geben. Und
dennoch ist alles perfekt, vollkommen. Wir sind immer und überall zur rechten Zeit
am rechten Ort, ganz bestimmt.
Draußen, Dirks Baustelle, ist auch nicht fertig, d.h. manches ist fertig und manches
noch nicht. Hier drin im Haus eigentlich auch, manches ist neu und manches ist alt.
Aber schön aufgeräumt haben wir alles. Ganz viel alten Krempel, den ich über Jahre
in irgendwelchen Ecken verstaute, haben wir entsorgt. Ent-sorgt. Dirk hat sich bei
seinem Umzug auch von sehr vielem getrennt. Und ich glaube, so ist es überhaupt
gerade auf der Welt. Ent-Sorgung. Das Ende der Sorgen. Wir brauchen uns nicht
mehr zu sorgen, weil eine neue, wunderbare Zeit anbricht, bzw. die Zeit aufhört. Wir
sind am Ende der Zeit angelangt. Das Alte zerfällt. Angefangen beim Kapitalismus.
Das wird alles mit sich reißen, was uns gefangen hielt. Der Anfang des Neuen ist da
und das Ende des Alten auch noch. Es überlappt sich.
Damit nichts offen bleibt: Letzten Sonntag, vorletzten, habe ich meine eigene
Tarot-Session gemacht. Utas Einladung für den Oktober war per E-Mail gekommen.
Immer noch 25,- € pro Sitzung. Vielleicht sollte ich ihr sagen, dass mir das zu teuer
ist und sie fragen, ob sie wieder auf 23,- € geht? Vielleicht ist das mit dem Preis
auch einfach ein äußerer Anstoß für eine Entwicklung, die bei mir ohnehin gerade
anstand. Ich habe meine eigene Tarot-Sitzung gemacht und das war sehr schön. Bei
Uta, das ist auch immer sehr schön und tut mir sehr gut. Das jetzt war einfach nur
ich. Meine Weisheit. Das Thema diesen Monat war „Zielsetzung“. Ich habe über die
Jahre alle Unterlagen von Uta aufbewahrt und ich holte alles heraus, was ich von ihr
zum Thema Zielsetzung, Vision, Absicht, Samen-setzen habe. Es war interessant,
nachzuvollziehen, was ich im Laufe der Jahre für Karten gezogen hatte und wie sich
die Dinge in meinem Leben entwickelt haben. Voll interessant! An diesem
Sonntagnachmittag sagte ich Dirk, dass ich mich gerne eine Weile zum Tarot
zurückziehen möchte. Ich schrieb mir meine eigene Legeweise, hatte Musik und
Kerzen an, zog meine Karten und lauschte meiner inneren Weisheit. Die sprach klar
und deutlich, in leisen Tönen, aber ganz kraftvoll. Das war ein schöner Nachmittag.
Im Laufe meiner Sitzung wurde es dunkel. Vorher, am frühen Nachmittag, waren wir
drei unterwegs gewesen. Es war ein nebliger Tag und der Dunst hielt sich zäh. Wir
119
wollten eine Glückwunschkarte wegbringen. An einer Straßenkreuzung bogen wir
spontan in die entgegengesetzte Richtung ab, die wir eigentlich fahren wollten, und
fuhren in den Vogelsberg, Richtung Hoherodskopf. Ich wollte sehen, ob dort
vielleicht die Sonne schien. Es sah nicht so aus. Kurz unterhalb des Gipfels war
immer noch Nebel. Aber dann, als wir ganz oben waren: Die Spitze lag im strahlenden
Sonnenschein! Jede Menge Leute waren da! Wir wunderten uns, wo die alle
herkamen, denn unterwegs hatten wir kaum jemanden getroffen. Zum Glück hatten
wir den Kinderwagen im Auto. Den packten wir aus und gingen spazieren. Und das war
total schön. Michel schaukelte da oben auf dem Spielplatz zum ersten Mal alleine in
einer Klein-Kinder-Schaukel und wir aßen Pommes und Curry-Wurst.
Vielleicht fahre ich im November mal wieder zu Uta. Und frage sie auch nicht, ob sie
ihren Preis senkt. Ist okay.
Beim Korrekturlesen hatte ich bei verschiedenen Textpassagen das Gefühl, dass sich
die Thematik, dadurch, dass ich darüber geschrieben habe, verwandelt hat. Mein
Männerthema z.B., ich glaube, ich habe nichts mehr gegen Männer. Meine innere
Kritik an ihnen schweigt. Ich sehe sie nur. Keine Stimme in mir, die anfängt: „Sieh
dir den bloß an, was der hat, tut oder nicht tut!“ Vielleicht hat alles, worüber ich
geschrieben habe, Erlösung gefunden. In mir … und in meiner Welt.
Unser Konto ist im Plus. Wisst Ihr was? Ich glaube, das bleibt es jetzt auch.
Macht’s gut, Leute.
Vielleicht treffen wir uns mal wieder.
See you later, alligator. – In a while, crocodile. 120
Das Buch im Buch
Die folgenden Kapitel schreibe ich in der Reihenfolge, in der sie beim
Schreiben und nach Beendigung des Buches in mir auftauchten, in meinem
Leben und in meinem Bewusstsein. Deshalb verzichte ich bei der Erwähnung
der sieben Raben im Kapitel „Drei Wege“ oder wenn ich über Michel oder
vom Down-Syndrom schreibe auf einen Verweis auf dieses „Buch im Buch“,
um Verwirrungen vorzubeugen, weil meine Schwester und meine Mutter im
Text später erscheinen.
Zwei Schwestern
Als das Buch fertig war und ich die verschiedenen Kapitel an die Menschen,
die darin vorkommen, verschickt hatte, mit der Frage, ob ich ihre Namen
lassen darf, antwortete mir meine Schwester, dass das, was ich geschrieben
habe, sehr direkt und offen sei, dass sie beim Lesen einige Male
zusammengezuckt sei und dass sie noch nicht wisse, ob sie ihren Namen
derart in einem Buch veröffentlicht sehen wolle. Sie wollte das nochmal
überdenken.
Diese Kommunikation zwischen uns fand per E-Mail statt. Ich hatte
meinerseits ein Antwortschreiben für sie verfasst und wollte es losschicken,
mit abschließenden Sätzen im Sinne von: „Ja, schlaf‘ nochmal drüber. Und
lies es auch noch mal durch. Vielleicht ist Dir das, was Dich betroffen hat, so
in die Glieder gefahren, dass Du die Lösungen überlesen hast.“ Aber bevor
ich fertig geschrieben hatte, weinte Michel und ich ging in die Küche und
gab ihm Brei. Wie gut! Denn während ich da mit Michel saß und ihn fütterte,
sickerte in mir der Gedanke durch, dass Daniela gar nicht so unrecht hatte.
Manche Stellen, an denen ich von ihr geschrieben hatte, brachten Trotz und
Widerstand gegen sie zum Ausdruck. Das hätte ich von jemand anderem
geschrieben auf mich gemünzt auch nicht gerne gelesen. Da war irgendeine
Barriere, eine Blockade, die nicht meine Liebe zu ihr zum Ausdruck brachte,
121
sondern mein anerzogenes Konkurrenzdenken. (Dass ich das überhaupt
hatte, wurde mir auch erst im Zuge dieses Briefwechsels bewusst. Das war
mir vorher gar nicht klar.) Nicht sie sollte das Ganze noch einmal
überdenken, sondern ich. Der Rat mit dem „Schlaf‘ noch mal drüber“ war
also für mich selbst am geeignetsten. Mir wurde auch bewusst, dass ich mich
schon beim Schreiben dieser einen Textstelle unwohl gefühlt hatte, unfrei, im
Widerstand. Und mir war die Befreiung nicht gelungen, wie beim Schreiben
über andere Themen im Buch. Als Michel zuende gegessen hatte, schrieb ich
Dani, dass ihr Unbehagen begründet sei und dass ich das Ganze nochmal
überarbeiten wolle.
An dieser Stelle hier wollte ich nun diese erste Version des Textes, in dem es
um Dani geht, aus dem Kapitel mit „Prinz Albert“ einfügen, aber gelöschte
Textpassagen finden sich im Papierkorb des PC nicht wieder. Also abhaken.
Das Alte nicht rekonstruieren. Warum auch. Warum sollten wir zurückgehen
ins Enge, wenn es uns gerade gelungen ist, eine Tür zu öffnen und hinaus zu
treten ins Weite, Befreite. Es tut so gut hier.
Deshalb lasse ich mich jetzt auch nicht mehr groß aus über die alten
Konditionierungen, über das Verhalten unserer Eltern, das bewirkt hat, dass
wir beide jede den Eindruck hatten, die Andere sei die Bevorzugte, der
Anderen würden Freiräume und Chancen gewährt und man selbst sei die
Ungeliebte und käme zu kurz. Vielleicht haben unsere Eltern gedacht, wenn
sie uns Anerkennung und Lob vorenthielten, würden sie uns zu größeren
Leistungen anspornen. Vielleicht haben sie sich auch gar nichts gedacht.
Vielleicht sind sie einfach nur in einem vorgegebenen Hamsterrad
weitergelaufen, ohne innezuhalten und sich ihre Kinder zu betrachten. Ihre
zwei Mädchen. Vielleicht haben sie uns schon deshalb nicht richtig angesehen,
weil wir Mädchen waren und keine Buben. Sie hätten so gerne einen
Stammhalter gehabt! Sie schnitten uns die Haare kurz. Und vielleicht
schnitten sie sich damit selbst von etwas ab. Sie nahmen uns nicht vollends
an, als die, die wir waren. Sie haben uns gar nicht richtig angesehen. … Jetzt bin ich doch drin, im Alten. Sie haben uns nicht vorbehalt- und
grenzenlos in ihr Herz geschlossen. Sie enthielten uns etwas vor: volle Kanne
Elternliebe, Begeisterung über ihre wunderbaren Kinder. Aber, jetzt mal im
122
Ernst: Wenn wir Jungens gewesen wären, hätten wir es dann bekommen?
Hätten wir, geboren in den 60er Jahren, bedingungslose Liebe bekommen,
wären wir freudig willkommen gewesen einfach für das, was wir sind?
Vielleicht wäre ein Penis auch kein Garant für Liebe und Anerkennung
gewesen. Er wäre es nicht gewesen. Ich weiß es. Auch mit Penis hätte man
Erwartungen der Eltern erfüllen sollen. Dann vielleicht noch viel mehr.
Als Kind habe ich meine Schwester heiß und innig geliebt, abgöttisch. Diese
Liebe verschwand mit dem Größerwerden im Untergrund; Liebe wurde in
unserer Familie nicht gepflegt, eher eine Ideologie des Ansporns: Andere
wurden mir zum Vorbild gehalten. Das hat in mir bewirkt, dass ich mich als
falsch und nicht gut genug befand. Und vielleicht ging es meiner Schwester
ähnlich. Auch sie wurde mir zum Vorbild gehalten … - … - Als meine
Mutter mir vor einigen Jahren einmal sagte, meine Schwester meine immer,
sie sei zu kurz gekommen, fiel ich innerlich aus allen Wolken. Sie??! Das war
doch mein Part! Sie war die privilegierte Tochter und ich das schwarze Schaf.
Aber nun hat meine Schwester bestätigt, dass sie das so empfindet. Genauso
wie ich. Aber ich höre jetzt damit auf, in unserer Erziehung zu wühlen. Mit
meinem inneren Kind habe ich schon vor Jahren intensiv gearbeitet. Ich
werde kein Buch mehr darüber schreiben.
Wir sind jetzt beide über vierzig. Das heißt: Wir werden langsam erwachsen.
„Mit 52 ist man erwachsen“, sagen die Indianer. Meine Schwester studiert
jetzt berufsbegleitend. Sie will mehr werden und sie traut es sich jetzt auch
zu, sagt sie. Ich habe dieses Buch geschrieben. Ich zeige mich. Das habe ich
mich früher nicht getraut. Ich habe mich immer versteckt. Jetzt zeige ich
mich. Ich gehöre auch dazu, zum Leben. Ich habe etwas zu teilen,
mitzuteilen, zum Teilen. Mir hat das Schreiben dieses Buches Spaß gemacht
und gut getan. Ich glaube, ich entdecke gerade etwas von mir selbst, was
sehr Meines ist. Ich decke mich selbst auf, ich stülpe mich von innen nach
außen. Ich erblühe. Und ich genieße das. Ich genieße mich selbst.
Wir gehen beide unseren Weg. Und irgendwie sind unsere Eltern genau die
Richtigen für uns.
Mama und Papa, Ihr seid genau die richtigen Eltern für mich! Danke!
123
Dani, und Du bist meine allerliebste Schwester!
Mama
Ich meine auch, dass meine Mutter im Text zu kurz und zu einseitig kommt.
Auch der „Durchbruch“ ist nicht da. … - Was kann oder will ich hier noch
schreiben? Was will ich einfach auch bei mir behalten? Alles will ich nicht
abhandeln in diesem Buch. Manches kann ich auch nicht abhandeln, weil ich
es noch nicht erlebt habe. Früher habe ich unter fehlender Nestwärme
gelitten. Auch schon, bevor ich sieben Jahre alt war und mein Bruder starb,
einen Tag nach seiner Geburt. Vielleicht war meine Mutter schon vorher mit
einem Teil ihres Herzens woanders und suchte nach etwas.
Ich habe die Menschen, von denen ich geschrieben habe, um Erlaubnis
gefragt, ob ich ihre Namen lassen darf. Nur meine Eltern, die frage ich nicht.
Ich will, was dieses Buch betrifft, mit Euch nichts ausdiskutieren. Es handelt
sich hier um mein Empfinden, um meine Sicht der Dinge, um mein Erleben.
Wahrscheinlich seht Ihr manches anders. Auch Dani sieht bestimmt manches
anders. Dafür ist jeder er selbst. Und auch die „Abrechnung am Church Hill“
ist ja nicht wirklich eine Abrechnung, denn es gibt nichts abzurechnen. Im
Grunde ist alles in Ordnung, so wie es ist. Ich bin im Reinen. Ich liebe Euch.
Und ich danke Euch für alles.
Vor ca. 20 Jahren hatte ich einen Traum. Ich träumte, dass ich mit meiner
Mutter auf einer Straße unterwegs war. Wir konnten nicht miteinander
reden, es war so eine „Watte“-Stille, der Raum zwischen uns verschluckte
alle Worte. Wir konnten uns auch nicht berühren. Ich streckte die Arme nach
ihr aus, aber der Raum trennte uns auch körperlich, ließ keine Annäherung
zu. Jede war an ihrem Platz, da war ein gewisser Abstand zwischen uns, aber
wir bewegten uns nebeneinander auf der Straße voran. Da war ein riesiger
Fernseher am Horizont. Wie die untergehende Sonne spannte sich der
Bildschirm über die Straße. Ich wollte nicht dort hinein. Ich wehrte mich
124
mit Händen und Füssen. Ich weinte und sträubte mich und irgendwann lagen
wir einander in den Armen, der Fernseher war weg und wir waren
beieinander. Alles Trennende war verschwunden und das Einzige, was
wirklich war, waren unsere Herzen, voller Liebe.
Ich vertraue darauf, dass wir uns von diesem Film, von den Geschichten, die
wir in diesem Leben miteinander erlebt haben, nicht verschlucken lassen.
Wir werden wieder zueinander finden. Wir finden uns. Die Essenz ist Liebe.
… - … - Außerdem: Vielleicht haben es Mütter in Sachen Beziehung auch
ziemlich schwer. Von ihnen wird so viel erwartet. So viel bedingungslose
Liebe. Dabei sind sie auch „nur“ Menschen, mit ihrer jeweiligen Geschichte,
und eine Mutter-Kind-Beziehung ist auch „nur“ eine Beziehung, all dem
unterworfen, dem andere zwischenmenschliche Beziehungen auch
unterworfen sind. Vielleicht ist die größte Liebe, die es auf Erden gibt, die
eines Kindes zu seinen Eltern. Und nicht umgekehrt. Weil ein Kind noch so
frisch und rein ist und die Eltern haben schon so viele Jahre Leben gelebt
und dabei vergessen, woher sie kommen und wer sie sind und sie meinen,
kämpfen zu müssen, wofür oder womit auch immer, anstatt dass sie einfach
im Vertrauen sind.
Mir fallen auch nach und nach Dinge ein, die wir doch zusammen gemacht
haben, z.B. dass Mama mich an ihrem Gobelin hat sticken lassen, oder dass
wir, Dani und ich, Montagabends zu ihr ins Bett durften. Wir hörten dann
zusammen Radio und wenn Papa kam, legten wir uns „löffelchesweis‘“
hintereinander. Es gab also doch Berührungen. Und auch Mama gibt ihr
Bestes. Jedenfalls tut sie es jetzt und bestimmt hat sie es früher auch getan.
Und was in meiner Pubertät und wann sonst noch alles schief lief … - es ist
auch nicht mehr Sache.
Ja, ich wünsche mir mehr Körperlichkeit und Liebe. Ich wünsche mir dieses
Miteinander-leben, wie es am Ende des Traumes mit dem Fernseher war und
nach dem Wirbelsturm im Tanz-Klassenzimmer: keine Trennungen, keine
Hemmnisse mehr, sondern Verbundenheit und Ekstase. Aber dafür ist keiner
verantwortlich. Es entsteht in mir. Und es fließt von innen nach außen. Wie
alles.
125
… - Und außerdem: weil ich doch so eine Schlafmütze bin, gern lange
schlafe und den Schlaf für mein Wohlergehen auch richtig brauche, und weil
meine Träume für mich manchmal so real sind: Sie sind es auch! Das ist auch
die Wirklichkeit!
Sieben Raben oder lauter Ungeheuer?
Was ist mit den Männern in meinem Leben? Bin ich mit denen auch im
Reinen? Als das eigentliche Buch zum Ende kam, schrieb ich, dass ich mit
Dirk eine gute Zeit habe, ruhig und schön. So war es auch. Das war im
September und im Oktober. Jetzt ist es November und wir hatten wieder
einige Tage am Stück, die waren nicht so schön. Wir haben uns schwer
miteinander getan. Schwer getan, den anderen zu verstehen oder zu
akzeptieren und einfach sein zu lassen. Eines Nachts wurde ich wach und mir
kam der Gedanke: Ich schreibe über meine Männer. Ein Kapitel für jeden,
mit dem ich zusammen war, eine Abhandlung. Vielleicht bringt mir das
Aufschlüsse und Klärung. Ich gehe der Sache auf den Grund. Warum finde
ich nicht endlich Frieden in einer Beziehung? Es sind doch immer die
gleichen Muster. Das hat doch was mit mir zu tun. Vielleicht kann ich es
lösen, wenn ich darüber schreibe. Vielleicht knacke ich es. Kann doch nicht
sein, dass das lauter Unholde waren. Oder?
Bei allem, was da zwischen Dirk und mir wieder aufgetaucht ist, in diesen
„nicht so schönen“ zwei Wochen, dachte ich mir jedesmal irgendwann: „Ich
hätte jetzt auch ganz anders damit umgehen können.“ Nicht so ins Drama
gehen. Ja. Hätte ich. Dann fällt mir wieder Eckhart Tolle ein mit seiner
Aussage: „Eine Beziehung ist nicht dazu da, um mich zu befriedigen, sondern
um mich bewusst zu machen.“
… Während ich hier sitze und schreibe: Ich habe Michel zum Schlafen
hingelegt. Er hatte ein paar Mal gegähnt. Jetzt höre ich ihn erzählen und an
den Stäben seines Ställchens rütteln, in dem er immer seinen Mittagsschlaf
126
hält. Er schläft nicht mehr so viel. Aber währendem ich das schreibe, wird er
wieder ruhig. Vielleicht schläft er doch noch ein Stück und ich kann mein
Buch zuende schreiben. Heute Nachmittag. Es ist Sonntag. So ein richtiger
Novembertag heute, trüb, nass, windig. In unserem Ofen prasselt das Feuer.
Miezi liegt an der Ecke des Schreibtisches, zu meinen Füßen. Sie liegt immer
hier, wenn ich hier sitze und schreibe. Flöckchen kommt gerade durch die
Katzenklappe aus dem Keller hoch, steht in der Tür, gähnt und leckt sich sein
Mäulchen. Findus sitzt mitten im Zimmer und putzt sich. – Hier, in mein
Bücherzimmer dürfen die Katzen aus ihrem Flur noch rein, wenn die Tür
offen steht. - Jetzt fängt Michel mit seinem Einschlaf-Sing-Sang an. Ich gehe
zu im und gebe ihm sein Fläschchen. … - … - Mit dem Ergebnis, dass er
nichts trinken wollte und jetzt wieder erzählt und kräht. Ich warte einfach
noch ein bisschen. Das ist so eine Eigenart von Michel: Oft, wenn wir ihm
sein Fläschchen geben wollen, will er nichts trinken. Da ist nichts zu
machen. Aber zehn oder fünfzehn Minuten später, wenn er schon im
Halbschlaf ist, pumpt er das ganze Fläschchen ab.
Heute ist der letzte „normale“ Sonntag in diesem Jahr. Dann kommen die
zwei novembrigen Sonntage für die Toten, Volkstrauertag und Totensonntag.
Und dann ist der erste Advent! Dann wird es Weihnachten. Stille, Ruhe,
Einkehr. – Ich habe viele Leute sich beschweren hören nach der Umstellung
der Uhr von der Sommer- auf die Winterzeit, dass es jetzt so früh dunkel
würde, das brauche kein Mensch. Doch, ich brauch‘ das. Ich bin dafür
dankbar. Ich brauche diesen Rückzug. Mir gefällt das: lange Abende,
Kerzenlicht, früh ins Bett gehen, lesen, Tee trinken, kuschelig. Orakeln in
den Raunächten. Dunkle Zeit. Ich liebe den Winter! Ich liebe auch den
Frühling und den Sommer und den Herbst! Ich finde jede Jahreszeit
wunderschön und bin von Herzen dankbar, dass ich hier lebe, an einem Ort,
wo das so ausgewogen ist, wo alles da ist, jede Jahreszeit.
Ich war auch immer froh darüber, dass ich als Erzieherin jedes Jahr zwischen
den Jahren Urlaub hatte. Da hatten alle Kindergärten geschlossen. Letztes
Jahr war eine ganz besondere Ruhezeit zwischen Weihnachten und Neujahr.
Das weiß ich noch. Da war so richtig Pause. Pause von allem. Dirk hatte
seine Mutter über Weihnachten geholt und wir fuhren sie am zweiten
127
Feiertag wieder nach Hause, Ganztagesausflug nach Wuppertal und zurück.
Zwischen Weihnachten und Sylvester besuchten wir auch noch Onkel Rainer
in Bayern. Und obwohl wir so viel unterwegs waren, war das richtig Pause.
Energetisch. Pause von allem. Ich war irgendwie zurückgefahren, in mir,
völlig ruhig, in einem anderen Raum als sonst irgendwie. Das war sehr
schön! Es war alles in Ordnung. Ich hatte keinerlei Stress mit irgendjemand,
ob ich nun alleine im Bett lag und las, ob wir in Regensburg durch belebte
Gassen und Läden bummelten oder ob über Weihnachten Familie im
größeren Kreis angesagt war. Ich fühlte mich niemandem verpflichtet,
irgendwie zu sein, z.B. meine Schwiegermutter in spe zu unterhalten, das
war alles völlig in Harmonie.
…-…Was ist mit den Männern? Ihr seid keine Unholde. Weiß ich. Obwohl ihr
manchmal schon ein bisschen bis arg blöd gewesen seid. Vielleicht schreibe
ich mir doch noch mal was von der Seele. - Mit Dirk jedenfalls: Er gibt sich
die größte Mühe, dass das mit uns klappt. Das sehe ich schon. Manchmal bin
ich dennoch absolut gekränkt. Ich gehe aber einfach davon aus, dass das mit
ihm klappt, gelingen kann. Und wie es wirklich ist, sehe ich erst, wenn es
rum ist. Ich muss mich darauf einlassen. Ich lasse mich darauf ein.
Wahrscheinlich werde ich jetzt keine Lösung für immer erarbeiten können.
Das lasse ich einfach los und lasse mich ein, auf unsere Beziehung. Mit allem,
was ist oder nicht ist.
Ja.
Gut. So offen lasse ich das jetzt. Und so verbindlich. … - … - Die toughe
Anästhesistin, die mir im Kreissaal die Wange streichelte, sagte, sie wolle
kein Kind, denn dann müsse man mit dem Mann, dem Vater des Kindes, ja
immer zusammenbleiben. Nun, das muss man wohl nicht. Aber irgendwie ist
ein Kind schon sehr verbindlich, finde ich. Und obwohl ich meine große
Angst, alleinerziehend zu sein, mittlerweile abgelegt habe (ich habe schon
damit geliebäugelt, als das mit Dirk neulich so schief lief), ist Michel,
dadurch, dass er da ist, doch irgendwie auch eine Hilfe für Dirk und mich in
unserer Beziehung. Jedenfalls für mich.
128
Das mit dem Down-Syndrom
Im Zuge der Nachfragen wegen der genannten Namen, entstand eine
Korrespondenz mit Dr. Raab aus der Klinik, in der Michel geboren wurde.
Wir tauschten uns darüber aus, wie emotional ich alles wahrgenommen habe
und er stellte die Frage, ob eine „objektive“ Information von Seiten des
Arztes an Eltern in emotionalen Belastungssituationen überhaupt möglich
sei. Er schrieb auch, dass 90 % der Trisomie-21-Kinder abgetrieben werden,
wenn die Eltern vorher wissen, dass ihr Kind das hat. Das treibt mir die
Tränen in Augen und Nase.
Ich meine ja, dass „Objektivität“ überhaupt nicht möglich ist, weil jeder er
selbst ist und alles, absolut alles, durch „seine“ Brille sieht, durch seine Filter
wahrnimmt und über seine Erfahrungswerte und Ansichten verarbeitet. Das
ist meines Erachtens nicht nur in emotionalen Belastungssituationen so. Auch
wenn man meint, man sei sich einig, hat doch jeder seine eigene Version.
Aber das mit dem Down-Syndrom. Ich könnte heulen und um mich
schlagen, wenn ich höre, dass 90 % der Trisomie-21-Kinder abgetrieben
werden. Zum Teil kann ich es auch verstehen bzw. nachvollziehen. Wenn ich
gewusst hätte, dass Michel das Down-Syndrom hat, wäre mein Kopf-Kino
mit Sicherheit auch angesprungen. Ich weiß nicht, ob ich an Abtreibung
gedacht hätte. Ich habe keine Fruchtwasseruntersuchung durchführen lassen
mit dieser Intention: „Wenn was festgestellt wird - ich will das gar nicht
wissen! Wenn was anders ist – man weiß dennoch nie, welcher Mensch da
heraus kommt, bevor er nicht da ist.“ Und auch dann weiß man es nicht
gleich. Dann muss man warten und ihn kennenlernen, ihn wachsen lassen.
Aber Sorgen hätte ich mir gemacht. Ganz bestimmt. Gott sei Dank wusste
ich es nicht vorher! Ich habe während der Schwangerschaft auch nie gedacht,
dass er „etwas“ hätte. Er kam raus und dann war er da. Dann war’s halt so,
dass er das Down-Syndrom hatte. Ich habe keine Fruchtwasseruntersuchung
machen lassen, weil ich mich nicht in die höheren Gegebenheiten des Lebens
einmischen wollte. Vielleicht ein Geschenk des Lebens nicht hätte annehmen
wollen. Aber ich hätte sowieso nicht über Leben und Tod entschieden. Alles,
was uns das Leben schenkt, sind Geschenke in Liebe. Davon bin ich
129
überzeugt. Und ich kenne Menschen mit Down-Syndrom, die finde ich
einfach klasse! Gerade, weil sie anders sind. Nicht den Zwängen und
Einschränkungen der „normalen“ Gehirne unterworfen, offen, freundlich
und liebevoll, Liebe gebend, einfach so, jemandem, der vorbeikommt, auch
wenn sie ihn gar nicht kennen. Aber das kann man potentiellen DownSyndrom-Eltern nicht anpreisen, zumal manche Menschen ja gerade damit
Probleme haben, mit „Distanzlosigkeit“, und nicht jeder Mensch mit DownSyndrom ist durch sein Down-Syndrom automatisch ein Sonnenschein. Ich
kenne auch eine, aus der Werkstatt, in der ich Praktikum machte, die war
jeden Tag stinksauer, man sah es ihr von Weitem an und sie sagte es mir, wenn
wir uns begegneten: „Ich bin so sauer!“ Ich habe sie nie anders erlebt. Eine
andere junge Frau mit Down-Syndrom in diesen Werkstätten, verbrachte
ihre Tage in der Abteilung, in der nicht gearbeitet wurde, weil sie dazu nicht
in der Lage war. Sie lag meistens mit dem Oberkörper auf dem Boden,
zwischen ihren gespreizten Beinen, wie eine Balletttänzerin. Dabei rollte sie
ihre Zunge immer rundherum im offenen Mund. Sie konnte auch nicht
sprechen. Das gibt es alles auch. Noch viel schlimmer mehrfach behinderte
Menschen gibt es. Das kann auch bei der Geburt geschehen, obwohl das
Kind vorher gesund war. Wer weiß das schon. Oder später im Leben. Aber
das soll hier keine Angst-Mache werden. Ich meine nur, manches kann man
nicht abwenden. - Aber wenn man es vorher weiß? Ich meine halt, man weiß
es vorher nie! Auch nicht, wenn irgendeine Diagnose vorliegt. Vielleicht
treibt man den wunderbarsten Menschen ab! Vielleicht treibt man auch
jemanden ab, mit dem man nicht klargekommen wäre. Aber das glaube ich
nicht: dass das Leben einem etwas bringt, womit man nicht klar kommt. Ich
glaube, dass alles, was das Leben bringt, Liebe ist. Lauter Lektionen der
Liebe. Wir erkennen es nur nicht immer, oder ganz schön oft erkennen wir
es nicht, und meinen, kämpfen zu müssen. Ich glaube, ein Kind mit DownSyndrom abzutreiben, ist eher so, wie wenn man ein ganz wunderbares
Geschenk ausschlägt, weil man meint, man habe es nicht verdient oder es
wäre zu groß für einen. Und in vielen Fällen geschieht eine Abtreibung
vielleicht auch einfach deshalb, weil man nicht weiß, was das eigentlich ist,
was das bedeutet, wie es sein wird, und dann radiert man es aus, weil man es
nicht kennt, weil es zu anders sein könnte, weil man nicht aus der Norm
fallen will. – Ganz schön angstbeladen und eingeengt sowas!
130
Es macht mich auch wütend, dieser Fakt, dass 90 % der Down-SyndromKinder abgetrieben werden! Ich plädiere natürlich dafür: Lasst die Kinder zu
Euch kommen, die zu Euch kommen wollen!!!! Alle! Jeden! Lasst Euch
darauf ein. Ohne irgendwelche Garantien auf irgendwas.
Vielleicht ist auch eine Abtreibung in Ordnung, wenn es die Entscheidung
des eigenen Herzens ist. Frage Dein Herz. Dein Herz weiß die Antwort. Die
für Dich richtige Antwort. Nimm Dir Zeit und Raum für Dich und frage
Dein Herz. Nur Dich. Lass Dich nicht durch irgendwelche Klischees
beeinflussen.
Was mich wütend macht, ist die Beobachtung, dass Eltern ihren Kindern
auch ganz schön selbstverliebte Anspruchshaltungen entgegenbringen
können. Das Kind als Prestige-Objekt, das natürlich so funktionieren soll,
wie die Eltern sich das vorstellen. Wenn man dann vorher weiß, dass das
Kind das Down-Syndrom hat – oh Gott oh Gott! – das passt da natürlich gar
nicht rein. Dabei wäre wahrscheinlich gerade dieses Kind für seine Eltern ein
unglaublicher, glaublicher!, Segen. Wenn sie es denn annehmen würden. Es
könnte ihnen zeigen, wie das Leben auch ist. Es könnte ihnen neue,
unentdeckte Facetten des Daseins nahe bringen: Geduld z.B. oder Demut,
den Mut, zum eigenen, individuellen Sein, mehr Herz- statt
Verstandesorientierung. Aber da sie es nicht wollen, nicht annehmen wollen,
dieses Kind, das aus Liebe zu ihnen kommt, ist es am Ende vielleicht sogar
für das Kind besser, weggeschickt, als geboren zu werden. Vielleicht bleibt
ihm damit Lieblosigkeit erspart. … - Es macht mich wütend! Diese
Selbstgefälligkeit und Arroganz, Ignoranz und Feigheit! Aber es ist wie mit
allem: Man kann es keinem aufzwingen. Wer nicht von selbst drauf kommt,
dem ist solange nicht zu helfen. Das Beste ist dann wohl, man lebt einfach so,
wie man es für richtig hält. Das sickert auch durch und wirkt in der Welt.
Michels Down-Syndrom ist irgendwie gar kein Thema. Für mich nicht. Es ist
selbstverständlich. Eigentlich „hat“ Michel gar nichts in meinen Augen. Oder
er „hat“ doch was, aber es ist nochmal was extra Schönes, was er „hat“.
Michel ist mein Kind. Das ist Thema.
131
Ende
Das ist nicht das Ende, das ist klar. Es ist der Schluss dieses Buches. – Noch ein
Kapitel - Ich kann irgendwie nicht aufhören – hm? Es tut mir so gut, das Schreiben.
Ich will aber wirklich auch noch was sagen: In Utas Maya-Kalender ist das Thema
des gegenwärtigen Mondes vom 15. 11. bis zum 12.12. das Loslassen. Ich wollte heute
ins Fitness-Studio gehen, aber das hat nicht geklappt, weil Dirk nachmittags mit
Papa unterwegs war und ihm etwas half. Ich konnte also nicht weg. Und im Studio
war heute Nachmittag keine Kinderbetreuung. Heute Abend, vorhin gegen halb
sieben, fragte ich Dirk, ob ich mich mal eine halbe Stunde zurückziehen könne, um
ein bisschen Yoga zu machen. Das habe ich seit Monaten nicht gemacht und vorhin
hatte ich Lust dazu. Ihm war es recht. Ich ging in Michels Zimmer, machte mir Musik
an und holte mein Yoga-Buch hervor, das dort im Regal bei Michels Bilderbüchern
steht. Das ist ein wundervolles Buch von Gertrud Hirschi (16). Ich habe es schon seit
vielen Jahren und es erweist mir immer wieder treue Dienste. Es ist ganz
zauberhaft: Ich schlage es auf, nachdem ich es seit Monaten oder Jahren nicht in
der Hand hatte, und dann steht da genau das, was gerade passt. Ich hatte also das
Buch in der Hand und rief zu Dirk herunter, er solle mir aus dem Kalender bitte die
aktuelle Kalenderwoche sagen. Das Buch ist nämlich in 52 Wochen aufgeteilt. Aktuell
ist gerade KW 47. Und was steht da? „Loslassen“ steht da. Und ich las den Text, der
den Übungen vorangeht, und wusste, dass ich wieder genau zur rechten Zeit am
rechten Ort bin. … - Ich fühle mich dann immer so magisch verbunden. So berührt.
Verbunden mit allem, was ist, was je war und allem, was sein wird. Und noch mehr.
Oder weniger, einfach nur die Essenz. Die leisen Töne, das Nicht-greifbare. Mit
Hermann Hesse war ich auch verbunden. Da steht ein Gedicht von ihm. In dem Text
wird zur Illustration des Loslassens der Herbst beschrieben, wie sich die Blätter
verfärben, abfallen und zu Kompost werden, zur neuen Lebensgrundlage. „(…) Und
Hermann Hesse sagt zu den fallenden Blättern so schön:
Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
lass es still geschehn.
Lass vom Winde, der dich bricht,
dich nach Hause wehn.“
Ich würde diese vier Seiten aus meinem Yoga-Buch mit dem Text und den Übungen
der 47. KW am liebsten einscannen und hier mit ausdrucken, damit Ihr das auch
lesen und machen, erfahren könnt. – Ich liste das Buch im Literaturverzeichnis auf. –
Eine halbe Stunde mit sich selbst verbracht, mit solch einem Zauber-Buch und ein
paar Yoga-Übungen … und schon ist man wieder voll im Wesentlichen. Klarer Geist,
großes Herz, keine Ablenkungen mehr, leicht und frei.
Danke, liebes Leben, für all die Hilfe! Für all die zauberhafte Hilfe!
Danke, liebes Leben, für dieses wunderbare Leben!
132
Heute ist der einstmalige Buß- und Bettag. Dass er abgeschafft wurde, ist okay. Wir
müssen keine Buße tun. Gott bewahre!! Göttin!!
Dirk war mit Papa auf dem Baumstück, am Kirchwald. Sie haben vier oder fünf alte
Apfelbäume gefällt. Ich war mit Michel mit dem Kinderwagen unterwegs und habe
aus der Ferne gesehen, wie einer von den Bäumen umfiel. Sie zogen ihn um, mit dem
Traktor und einem Drahtseil. In der Abenddämmerung. Ich musste weinen, als er
fiel. Es ist traurig.
… - … - Aber … - … - Gibt es einen Segen im vermeintlich Negativen? … - …
„Spiel dein Spiel und wehr dich nicht …“ – Das ist doch genau die Philosophie meines
ganzen Buches, wovon ich dauernd geschrieben habe; diese vier Zeilen!
Die Apfelbäume sind gefällt. Die alten Apfelbäume. – Der eine wollte nicht. Der hat
meinem Vater noch ordentlich die Schaufel seines Traktors verbeult.
Die letzten Monate hat es hier rundum noch viel mehr Freiräume gegeben. Die Stadt
kam auf die Idee, einigen Garten- und Grundstücksbesitzern die Auflage zu machen,
Zäune und Gebäude entfernen zu müssen, Gartenhütten und Ställe. Das war für die,
die es betraf, traurig oder ärgerlich, auch für mich und andere, die Anteil nahmen.
Aber jetzt, wo das alles weg ist: Es sieht richtig gut aus. Aufgeräumt und frei. Das
alte Gerümpel ist fort und der Platz, wo es stand, sieht jetzt irgendwie so
jungfräulich aus. Da ist nichts und doch schwebt das ganze Potential in der Luft.
Vielleicht: So langsam hat die Geschichte mit diesem (Apfel-)Baum der Versuchung
keine Gültigkeit mehr. So kann’s doch auch echt nicht sein! Ich könnte jetzt noch
voller Enthusiasmus sagen: Und hier in Borsdorf kommt das Ganze ins Rollen!! Ha!
Papa fällt die alten Apfelbäume! Nein, es geschieht überall. Das Alte vergeht und das
Neue kommt. Ein neues Zeitalter beginnt, das des Wassermanns. Die alte UnGleichberechtigung der Geschlechter, Rassen, Klassen, Arten … Kampf und
Unterdrückung, Ausbeutung und Leid, das alles geht jetzt zuende. Das ist nicht
Wassermann-like. Wassermann ist Freiheit, Originalität, Individualität, Kreativität,
Gemeinschaft und auch Rückzug, All-eine-sein, die eigene tiefe Weisheit, Frohsinn
und Lebenslust, Ruhe und Lebendigkeit, Ernsthaftigkeit und Spaß. Wir fangen neu an.
Wir machen es jetzt so, wie es uns gefällt. Wie es jedem gefällt, nicht nur manchen.
Und natürlich will man manchmal am Alten festhalten und es tut einem leid um
irgendwas. Das ist menschlich. Oder das Alte wehrt sich und will nicht gehen. Aber
es passiert sowieso. Es passiert sowieso. Und es ist jetzt. Es hat angefangen: Himmel
– Erde – Paradies … - es ist alles eins: die neue Erde. Das Alte stirbt ja auch nicht. Es
geht auf im Neuen. Es kommt mit. Jeder und alles kommt mit nachhause. Über kurz
oder lang.
Let’s dance together! Come on! Come on!
133
Zweiter Teil
Advent bis Ostern
134
Wir sollten auf
unsere Seele hören,
wenn wir gesund werden wollen.
Letztlich sind wir hier, weil es
kein Entrinnen von uns selbst gibt.
Solange der Mensch sich nicht
selbst in den Augen und im Herzen
seiner Mitmenschen begegnet,
ist er auf der Flucht.
Solange er nicht zulässt,
dass seine Mitmenschen
an seinem Innersten teilhaben,
gibt es keine Geborgenheit.
Solange er sich fürchtet,
durchschaut zu werden,
kann er weder sich
noch andere erkennen.
Alles ist mit allem verbunden.
Verfasser unbekannt
Das stand am 1. Dezember in meinem Adventskalender (17).
135
Quinten
Die Unerschütterten, die Sicheren
brachten nie etwas Großes zustande.
Verlegene sind’s, die die Verlegenheiten
lösen; Stammelnde sprechen besser
als Redegewandte.
Robert Walser
Dezember. In 23 Tagen ist Weihnachten. Gestern und auch schon vergangene Woche
versuchte ich stundenlang vergeblich, über’s Internet Druckerpatronen zu bestellen,
weil ich mein Manuskript ausdrucken und an Verlage schicken wollte und die alten
Patronen leer sind. Es ging nicht. Es war absolut nichts zu machen, in keinem der
Shops gelangte ich bis zur Kasse. Während der Suche nach einem Zettel, auf dem
ich meinte, meine Zugangsdaten für einen Internetshop notiert zu haben, fiel mir ein
Buchzeichen in die Hände, das ich schon im Sommer für meinen Freund und Michels
Patenonkel Rainer gekauft hatte. Auf dem Buchzeichen ist ein kleiner Eisbär zu
sehen und wenn man es in der Hand hin und her bewegt, dann sieht es sieht aus, als
würde er laufen. (Einen Zettel mit Daten fand ich natürlich nicht.) Ich hielt mit
meiner Sucherei und meinen vergeblichen Bestellungsversuchen inne und schrieb
einen Brief an Rainer:
„Lieber Rainer!
Das ist mir heute in die Hände gefallen. Es ist für Dich! Noch vom Sommer, als wir
Oma Erna in Wuppertal besuchten, und zusammen im Zoo waren.
Ich bin schon seit 2 Stunden am Druckerpatronen bestellen (am PC). Und es klappt
und klappt nicht. Nicht ums Verrecken sozusagen. In Nidda war ich auch und wollte
die Patronen im Geschäft kaufen. Hatten sie natürlich nicht. Ich möchte mein
Manuskript ausdrucken und an Verlage schicken.
Meine innere Weisheit weiß ja, dass, wenn etwas nicht gelingen will, es das jetzt
nicht sein soll. Jetzt, nach 2 Stunden und schon vorangegangenen Bemühungen letzte
Woche, ist mir das wieder eingefallen. Ha ha! Witzisch, witzisch!
Es soll also jetzt nicht sein. … - Warum auch immer.
Aber am Samstag kam das Hamburger Magazin zum Down-Syndrom „Kids“ mit der
Post. In der Herbst-Ausgabe sind ein Foto von Michel mit seinem Papa und mein
136
Artikel abgedruckt! Und heute Morgen kam Frau Dornbusch, Michels FrühförderFrau, mit der Frankfurter Rundschau und ihrem Artikel über uns darin!“
(Frau Dornbusch ist die Frau, die jede Woche zu uns nachhause kommt und mit
Michel die Frühförderung macht. Außer ihrer pädagogischen Arbeit ist sie auch als
Journalistin aktiv-kreativ. Sie fragte uns neulich, ob sie uns als Beispielfamilie
nehmen dürfe, um anhand von uns einen Artikel zu schreiben, in dem sie das
hessische Modell der Frühförderung darstellt.)
„Das sind für mich keine Zufälle, sondern Aufmunterung und Bestätigung des
Himmels, mein Schreibprojekt betreffend. (Gerade jetzt!)
… und Michel schläft schon die ganze Zeit. Und ich wette, er schläft solange, bis die
Botschaft zu mir durchgesickert ist.
Ich glaube, ich schreibe weiter. … - Gerade eben ist eine Spinne auf den Tisch
gehüpft. Ganz schön dick. Hier sitzt sie. Direkt vor mir. – Jetzt habe ich sie erstmal
rausgebracht. – Die Spinne steht für das Vertrauen. Sie gehört zu Imix im MayaKalender: das Ur-Vertrauen, empfänglich sein.
Natürlich habe ich auch Zweifel: … ich kann das nicht, das Buch zur Veröffentlichung
bringen, bei dem Wust an Verlagen und was da alles dranhängt. Ich veröffentliche es
nicht. Es will keiner lesen …
Rainer, aber weißt Du was? Ich find’s gut. Ich find’s voll gut mein Buch. Ich glaube,
es ist gut, und vielleicht ist es noch nicht fertig.
Jetzt könnte Michel wach werden.
Ich schreibe weiter.“
(…) (Noch ein paar persönliche Sätze.)
„Alles Liebe!
Siehste – gerade fertig, da muckst sich Michel.
Tschüßi! Bussis!
Sonja
mit Dirk und Michel“
137
Vorhin habe ich es mit der Patronenbestellung noch einmal probiert. Und es hat –
flutschi-flutsch – geklappt.
Ja, ich habe Zweifel.
…-…-…Ich glaube, ich mache jetzt sowohl, als auch: Ich schicke das, was ich schon habe, an
Verlage und ich schreibe weiter. Und die Frage lautet wahrscheinlich nicht „Soll ich
weiterschreiben?“, sondern „Will ich weiterschreiben?“ … - Ich setze mich schon
wieder unter Druck. Ich meine, ich müsste
etwas machen. Verbessern.
Oder
einfach mehr. … - Auch: „Ich muss das jetzt veröffentlichen, um zu sehen, ob ich
damit Geld verdienen kann, dann muss ich vielleicht nach meiner Elternzeit nicht
wieder arbeiten gehen.“ …
…-…-…Es macht mir Kopfschmerzen, dieses Mich-unter-Druck-setzen.
Ich frage mich auch, ob die Verzögerung vielleicht war, weil ich die genannten
Namen und die Ortsangaben ändern soll? Aber es haben sich alle einverstanden
erklärt! (Bis auf „Ralf“, den habe ich von vornherein selbst umbenannt und deshalb
„in echt“ nicht gefragt.) Und einige haben mir auch sehr positive und anrührende
Resonanz gegeben.
Ich war aufgeregt, als ich meine Anfragen verschickt hatte, die ganzen
Textpassagen, in denen die Leute vorkommen, mit der Frage, ob ich ihre Namen
lassen darf, während ich auf die Antworten wartete. Auch hier regten sich meine
(Selbst-)Zweifel. Ich bin froh und dankbar, dass ich jetzt von allen positive
Antworten und Bestätigung erfahren habe! Aber ich glaube, eine meiner nächsten
Übungen ist es, mich von Bestätigung durchs Außen frei zu machen. …
Dennis - als ich bei ihm klingelte, um ihm das Kapitel zum Lesen zu bringen, in dem er
vorkommt, hatte ich ganz schön Herzklopfen! Als ich ihm gegenüberstand ging mein
Herz auf! Ich sah ihm in die Augen. Das war sehr schön. Heilsam für mich. Seine
Augen leuchteten. … Ich hatte ja darüber geschrieben, dass er mir (potentiell) Angst
macht und dass ich nicht weiß, wie ich seinen Blick deuten soll. Jetzt stand ich ihm
gegenüber - und es war gut.
Dieser Tage bin ich ihm auf der Straße begegnet. Ich war allein unterwegs, zu Fuß,
und er kam mir alleine entgegen, wahrscheinlich nach der Schule, ohne Kumpels. Als
ich ihn von Weitem sah, durchzuckte mich kurz der Impuls stehenzubleiben und
138
umzudrehen. Flucht! Angst, Verlegenheit. Dann kam mir der Gedanke, dass das nicht
geht und dass das lächerlich ist. Ich ging weiter und wollte gerade „Hallo“ sagen, als
er es tat. Er lächelte mir sogar zu und ich musste auch lachen und grüßte zurück.
Und in dem Moment war alles zurechtgerückt. Er ist ein Junge. Einfach ein Junge.
Unschuldig und wundervoll. Mit soviel Potential. Wie die Menschen in der Pubertät
halt sind.
Außerdem beeindruckt es mich, dass er zugestimmt hat und ich seinen Namen lassen
darf. Danke. Danke Euch allen, die Ihr in meinem Geschriebenen vorkommt, für Euer
Vertrauen und Eure Unterstützung, dass Ihr in meiner absolut individuellen Sicht
der Dinge mit Euren Namen steht und mit euren Geschichten!
Ja, ich habe von allen Antwort, außer von Judith. Die antwortet nicht und ist partout
nicht zu erreichen. Ich habe zig-mal probiert, sie anzurufen. Das erste Mal war der
Anrufbeantworter dran. Dem habe ich mein Anliegen mitgeteilt. Sie rief nicht
zurück und die darauffolgenden Male, die ich versuchte anzurufen, ging weder der
AB an, noch jemand ans Telefon. Ein paar E-Mails habe ich auch geschickt. – Keine
Antwort. – Durch Judith hat doch alles angefangen! Mit ihrer Antwort würde sich
der Kreis schließen.
Tut er aber nicht.
Er ist also noch offen.
Okay.
Ich freue mich! Auf’s Weiterschreiben und auf die Winke des Himmels oder meiner
Seele. Dass sie mir so deutlich und hartnäckig sagt, was sie will! Ja! Hier ist meine
Freude! Ganz deutlich. Das ist der Wegweiser.
Irgendwo habe ich einmal eine sehr schöne Definition für „Quinte“ gelesen. Im
Duden steht sie aber nicht. Dort steht nur: „Musik: fünfter Ton (vom Grundton an).“
(18)
Die Erinnerung an diese Definition schwingt in mir, seit dieses Ich-schreibe-weiter
in mir schwingt. … - Die Erläuterungen in Meyers großem Taschenlexikon nähern sich
139
dem, was ich meine, ein Stückchen mehr an: „Quinte (Quint) (…) Intervall, das ein
Ton mit einem 5 diaton. Stufen entfernt gelegenen Ton bildet (z.B. c-g). Die Qu. (…)
gilt im Abendland seit der Antike als vollkommene Konsonanz.“ Dann heißt es noch,
dass die Quinte „als Rahmenintervall des Dreiklangs grundlegende Bedeutung“ hat.
(19) Eine Konsonanz ist „ (…) in der überlieferten Harmonielehre ein Zusammenklang,
der keine Auflösung erfordert. (…)“ (20)
Diese Definition in meiner Erinnerung – vielleicht finde ich sie irgendwo?! - bezog
sich darauf, dass die Quinte als fünfter Ton z.B. einen 4/4 Takt ergänzen, bzw. zum
Abschluss bringen kann. Sie ist dann der letzte Ton eines Stückes. Zwangsläufig
müsste sie nicht da sein, das Stück wäre auch ohne sie fertig, aber sie rundet es
noch einmal pfiffig ab und sie trägt das Potential eines neuen Liedes in sich, für das
sie den Auftakt bietet. Sie wäre dann zugleich Ende und Anfang oder eher eine Art
Verbindungsstück, noch dazu ein sehr schwungvolles, das neue Akzente setzt und auf
größere, weitere, tiefere, bisher unentdeckte oder noch nicht zum Ausdruck
gebrachte Räume und Spielweisen (Spielwiesen?! ☺☺) hinweist. Sie
bereichert das vorhergehende Stück und ist der heitere, kraftvolle Impuls für das
Neue. Und dadurch, dass sie beides verbindet, stehen die Dinge nicht getrennt da,
sind nicht voneinander isoliert, sondern werden quasi miteinander bekanntgemacht,
zum
gemeinsamen
kennengelernt,
Tanz geladen.
sozusagen.
Ganz
Ohne
die
verschiedene
Quinte
hätten
Aspekte
sie
können
sich
durch
nicht
sie
zusammenkommen.
Manchmal lese ich Texte und muss während des Lesens weinen, weil sie mich so
berühren. Ich glaube das ist so, wenn ich mit Teilen meiner selbst in Berührung
komme, mit der Weisheit und Liebe, die tief in mir drin sind und die ich oft durch all
die Betriebsamkeit des Alltags nicht wahrnehme. Diese Definition der Quinte, des
fünften Tones, berührte mich auch in meinen Tiefen. Ich habe diese Fünf in mir. Als
Qualität, die in ganz vielen Bereichen und Facetten des Lebens mitschwingt, sich
einbringt, einfach da ist. – Und jetzt, wo ich es niedergeschrieben habe und lese,
muss ich wieder weinen. Ja. Weil‘s die Wahrheit ist. Wenn ich so berührt bin, weiß
ich, dass die reine Wahrheit bei mir ist. Meine Wahrheit.
Ich hatte ein paar Tage lang vergessen, meinen Mondkalender umzublättern. Heute
habe ich’s nachgeholt. Und was steht da als Tagesmotto für Donnerstag, den 27.
140
November, als Neumond im Schützen war? Ein Zitat von William Shakespeare:
„Zweifel sind Verräter, sie rauben uns, was wir gewinnen können, wenn wir nur einen
Versuch wagen.“ Ha! Und das heutige Motto lautet: „Machen Sie sich bewusst, es
heißt „Er-folg“ und nicht „Er-kämpft“ oder „Er-zwing“ oder „Er-renn“ und auch nicht
„Er-bitte“ oder „Er-rede“, nicht einmal „Er-handle“. Mit anderen Worten: Um Erfolg
zu haben, muss ich nicht kämpfen, nicht bitten, nicht handeln. Allein ein Gedanke hat
schon Folgen.“ (Kurt Tepperwein).
Ich habe jetzt ein ganz anderes Gefühl zu diesem An-die-Verlage-schreiben. Der
Druck ist weg. Ich mache es einfach.
Uta, die Sprüche und Geschichten liebt, sagt zum Thema Erfolg: „Erfolg ist was
folgt, wenn du dir selbst folgst.“
„Es ist und es ist nicht“
Ich war und bin immer noch ein Suchender,
aber ich habe aufgehört,
Sterne oder Bücher zu befragen,
ich habe angefangen, auf die Lehre zu lauschen,
die mein Blut mir zuflüstert.
Hermann Hesse
Ich war im November bei Uta zum Tarot. Das war sehr schön. Jedesmal, wenn ich
von Uta komme, habe ich das Gefühl, ganz in meiner Essenz zu sein, in meiner
Göttlichkeit, meiner Glückseligkeit, meinem Vertrauen, meiner Präsenz. Ich bin
verbunden mit allem was ist und alles ist gut. Ich bin dann vollkommen in meinem
Herzen und weiß alle Antworten und habe keinerlei Zweifel mehr. Das ist kein
Verstandeswissen, sondern das Wissen im Herzen, dass alles gut ist. Es gibt nichts
zu tun, außer zu sein und die Glückseligkeit ist einfach da.
Uta hat letztes Jahr eine schamanische Ausbildung begonnen, die sie jetzt bei einem
Lehrer ihres Lehrers noch vertieft. Im Schamanismus gibt es die vier Sichtweisen
von Schlange, Jaguar, Kolibri und Adler. Die Schlange sagt: „Es ist wie es scheint.“
Der Jaguar fragt: „Was fühle ich?“ Der Kolibri steht für den mystischen Anteil,
Musik, Poesie etc. Und der Adler sagt: „Es ist und es ist nicht.“
141
Diese Thematik der Vierheit, der Zyklen, der verschiedenen Perspektiven und
Qualitäten tauchte an diesem Tarot-Abend einige Male auf. Und dabei geht es um
alles im Leben, im Großen wie im Kleinen. Die vier Jahreszeiten z.B., die immer und
immer wieder aufeinanderfolgen, eines folgt dem anderen. Frühling, Sommer, Herbst
und Winter. Alle sind da. Die Qualitäten der vier Jahreszeiten gibt es auch in jedem
Tag: Morgen, Mittag, Abend und Nacht. Und ich kann nicht sagen: „Frühling und
Sommer sind okay, aber den Winter mag ich nicht.“ (Ich ja sowieso nicht! Ich liebe
sie alle vier!) Man kann es schon sagen, aber man verschließt sich dadurch der
Ganzheit, der heilsamen Ganzheit. Ausschließen kann man ja sowieso nichts.
Höchstens energetisch, indem man sich keine Ruhephasen gönnt z.B. oder meint,
nicht warten zu können und die Dinge nicht von alleine wachsen und sich entwickeln
zu lassen. Wenn man selbst alles machen will. Das ist unvernünftig und außerdem
ungesund. Das ganze System hat dann eine Unwucht und läuft nicht rund, wie
geschmiert. Zum Glück merkt man das gleich. Durch irgendwelches Unwohlsein. Dann
kann man es beheben. Manchmal vielleicht am besten dadurch, dass man alles sein
lässt und abwartet. Vieles ergibt sich ohnehin von selbst.
Uta sagte, es sei interessant, diese vier schamanischen Sichtweisen auf die
Geschehnisse unseres Lebens anzuwenden. Ich habe es natürlich gleich ausprobiert,
in folgender Situation: Ich hatte gleich morgens nach dem Aufstehen einen Zwist
mir Dirk. Ich weiß gar nicht mehr, um was es ging. Kann sein, dass er einfach nur
mürrisch war und ich war deswegen beleidigt: dass er schon wieder so mürrisch ist
und sich nicht freut, wenn er mich sieht und mich freundlich und liebevoll begrüßt:
„Guten Morgen, mein Schatz! Hast Du gut geschlafen? Wie geht es Dir, mein
Liebling?“ Küsschen, Küsschen. Kann auch sein, dass ich Michel gewickelt und
angezogen hatte und mich darüber ärgerte, dass Dirk das nicht gemacht hatte, denn
bei Dirk bleibt Michel ruhig liegen wie ein Lämmchen und alles läuft wie am
Schnürchen, und bei mir dreht und wendet er sich, egal, was ich mache, hangelt nach
der Box mit den feuchten Tüchern und holt seine Pullis vom Haken, wenn er nicht
ganz und gar versucht, dauernd aufzustehen, um seine Cremes und Windeln vom
Regal zu feuern. Das ist jedesmal eine schweißtreibende Angelegenheit für mich,
Michel morgens an- und abends auszuziehen. Wenn Dirk das macht, sind beide völlig
entspannt. Michel hat einen Mordsrespekt vor seinem Papa. Vor mir nicht so. Egal,
wie ich mich verhalte. … (Warum ist das so? – Morgen früh wende ich die
Sichtweisen der vier schamanischen Tiere an, wenn ich Michel aus dem Bett hole!)
142
Jedenfalls hatten wir Streit. Dirk pflaumte irgendwas, z.B.: „Soll ich hier morgens
schon mit einem Lächeln rumrennen oder was?!“ Ich könnte dann gesagt haben: „Ja.
Warum nicht?“ Und er: „Und jetzt muss ich mich mit Dir darüber streiten?! Seh‘ ich
nicht ein!“ und verlässt die Küche, lässt mich stehen, geht raus, stellt sich vor die
Haustür und raucht. Ich rufe ihm noch hinterher: „Ja, da haste keinen Bock drauf!
Da gehste lieber weg!“
Dann stand ich am Küchenfenster, sah ihn dort stehen und rauchen, trank selbst
heißen Kaffee und dachte an die vier schamanischen Tiere: „Es ist, wie es scheint.“ …
Als ich mich fragte: „Was fühle ich?“ dachte ich im ersten Moment noch, ich wäre
wütend oder enttäuscht. Aber das war ich nicht. Ich merkte, dass ich eine
Anspruchshaltung empfand. Das war alles. … Und die mystische Seite? Da fiel mir
sofort die Geschichte vom „Fischer un sin Fru“ ein. … Ja. Ich habe ganz schön hohe
Ansprüche. Wahrscheinlich sind deshalb (unter anderem) auch meine ganzen Männer
bisher alle irgendwann auf und davongelaufen. Geflüchtet. Nix wie weg. Ich habe sie
nicht einfach so sein lassen, wie sie sind. Abgesehen davon, ist es okay, dass sie weg
sind. Aber Dirk? Manchmal spüre ich die Liebe. Auch wenn er mürrisch ist. Ich
vertraue ihm. Er hat mein Vertrauen.
…-…-…Gott sei Dank, habe ich an diesem Morgen an die Schlange, den Jaguar und den
Kolibri gedacht! – Mit dem Adler kann ich mich sowieso immer gut verbinden! „Es ist
und es ist nicht.“ Lauter Geschichten. – Der Zwist löste sich in Luft auf und ich
konnte einfach von mir aus wieder lieb sein.
Es gibt nichts zu tun. Nur sein. Die Präsenz halten. Sein ist mehr als tun. Viel mehr.
Unendlich ewig viel mehr.
Das Leben lehrt uns die Dinge, auf die es ankommt, ganz von selbst …
Uns selbst lieben, dazu gehört auch
unsere Bedürfnisse kennen – um die des Anderen achten zu können.
Unsere Ängste konfrontieren – die des Anderen tolerieren.
Ganz bei uns zu sein – ganz bei den Anderen zu sein.
Erwartungen loslassen – den Anderen hundertprozentige Freiheit geben.
Erkennen, dass das Wohl unserer Mitmenschen unser Wohl ist.
Frieden mit unseren Eltern und unserer Kindheit schließen – um sie nicht mit unserem
143
Partner zu wiederholen.
Frieden mit der Welt machen – Vorwürfe aufgeben.
Uns selbst unsere Fehler verzeihen – damit wir dem Anderen seine nachsehen können
–einmal nicht recht zu haben.
Starre Verhaltensmuster aufgeben – flexibel reagieren.
Selbstbewusstsein entwickeln – den Anderen nicht zur Bestätigung des eigenen
Wertes missbrauchen.
Das Wunder der eigenen Persönlichkeit achten und lieben – damit wir das Wunder
der Persönlichkeit des Anderen wahrnehmen können.
Hingabe ohne Selbstaufgabe. Loslassen in der Verpflichtung.
Unser Leben geben und es dadurch bekommen.
Von uns aus Liebe geben und nicht erwarten, dass sie uns entgegengebracht wird.
Verfasser unbekannt (17)
Ich war immer jung. In vielen Gruppen, die ich besuchte, seien das Rückengymnastikoder Yoga-Kurse oder Fortbildungen war ich oft die Jüngste. Eine junge Frau unter
älteren. Ich wurde auch oft um Jahre jünger geschätzt, als ich es war. Als ich mit
30 die Erzieherausbildung begann war ich, trotzdem die meisten anderen in der
Klasse 18 waren, einfach nur jung. Seit Michel auf der Welt ist, weiß ich nicht mehr,
wie alt ich aktuell bin. Ich muss überlegen oder nachrechnen. Und das Ergebnis
erscheint mir so unwirklich. Nichtssagend. – Aber ich habe ein Thema mit dem
Älterwerden. Ich merke es seit einiger Zeit, wenn ich in den Spiegel sehe, manchmal.
Ich krieg‘ Falten. Und manchmal will ich sie nicht sehen. Aber sie sind da. So kleine
Fältchen, hintereinander gestaffelt, auf der Wange, die auftauchen, wenn ich meinen
Kopf zur Seite drehe. Oder am Hals und auf meinem Dekolleté. Die jungen Männer
gucken mir nicht mehr nach. Oder? … - … - Ja. – Es fängt an, dass nicht mehr alle
gucken. – Alle gucken sowieso nicht. Aber die, die früher geguckt haben: Es gucken
nicht mehr alle. Und das Leben lehrt mich: Wie-ich-mich-von-Bestätigung-im-Außenbefreie. Ganz toll.
… featering Verzweiflung am dritten Advent
... Ich versuche gerade, ein bisschen witzig zu sein. … Es war aber nicht witzig.
Überhaupt nicht. Kein Stück. Jetzt ist Montagabend. Der Montag danach, nach dem
dritten Advent. Der war folglich gestern. Und dass ich die beiden vorherigen
Absätze unter der ursprünglichen Überschrift geschrieben habe, ist schon ein paar
144
Tage her. … Gestern war ich völlig verzweifelt. Ich wollte Liebe. Und Unterstützung.
Von Dirk. Und ich hatte nur das Gefühl, dass er mich weder sieht, noch überhaupt
irgendwie will. Dass er einfach nur böse mit mir ist und mich nicht leiden kann. … Da
wollte ich nicht mehr hin, innerlich. Aber gestern war nichts zu machen. Ich habe
geweint
und
geweint,
verzweifelt,
im
Bett
abends.
Wie
früher,
in
der
Schwangerschaft. … Und wer oder was war das jetzt, die da so geweint hat und so
abgrundtief verzweifelt war? Ich konnte in dem Moment nicht anders, das war echt.
Kam aus mir hoch. Dennoch hatte ich die ganze Zeit auch irgendwie die Empfindung,
dass ich gerade voll im Opfer-Spiel drin bin und dass Dirk eigentlich ganz normal,
menschlich reagiert mit seiner Verweigerung und seinem sauer-sein.
Ich habe ihn unter Druck gesetzt, schon mit dem, was ich sagte und tat, und hatte
noch höhere unausgesprochene Erwartungen. - Die er ja wahrscheinlich sowieso
schwingungsmäßig abgekriegt hat. – Ich selbst ja auch, den Druck. – Oh Mann! – Völlig
verpeilt gestern. … Ich wollte Plätzchen backen, d.h. ich habe Plätzchen gebacken.
Ich habe seit zwanzig Jahren keine Plätzchen mehr gebacken zu Weihnachten. Meine
Mutter backt jedes Jahr reichlich und von denen habe ich immer mitgegessen. Nun
dachte ich: „Mit dem kleinen Michel – da backe ich Plätzchen: eine vorweihnachtliche
Erfahrung mit allen Sinnen für das Kind!“ Ha ha! Ich sag’s gleich vorweg: Michel
wollte weder den Teig, noch die fertigen Plätzchen probieren. Er hat bis jetzt keines
gegessen, dreht den Kopf weg, bei jeder Sorte. (Vier Sorten habe ich gemacht.) Ich
habe extra die Rührschüssel auf seinen kleinen Kindertisch gestellt, damit er
während des Rührens hineinsehen kann, wie die Butter mit dem Zucker schaumig
wird und die Eier dazukommen. … Das hat ihn nicht interessiert. Er zog nur mal kurz
die Mundwinkel nach unten, weil ihm das Handrührgerät zu laut war. Und ich habe
alle vier Sorten auf einmal gemacht und es dauerte viel länger, als ich dachte. Als ich
am Vormittag anfing, dachte ich noch, dass ich nach getaner Arbeit, vielleicht gegen
16.00 Uhr, nach Bad Salzhausen in die Sauna und ins Thermalbad fahren wolle,
bisschen für mich sein und relaxen. … Als es dunkel wurde, war ich gerade dabei, den
Küchenboden feucht zu wischen, wegen des Mehlstaubs und so. Dann tauchte ich die
Nussstäbchen mit beiden Enden in Schokoladenkuvertüre und weil die übrige
Kuvertüre ja nicht zukommen kann, bestrich ich damit noch das Buttergebäck.
Danach kochte ich Rosenkohl, weil ich am Samstag zwei Netze davon im
Sonderangebot gekauft hatte. Dirk sagte: „Wegen mir brauchst Du gar nichts zu
kochen.“ Und obwohl ich wusste, wie er das meint, sagte ich: „Ja, wegen Dir brauche
ich gar nichts zu machen!“ und fühlte mich mit meiner ganzen geleisteten Arbeit
nicht anerkannt. – Heute Vormittag telefonierte Dirk mit seiner Mutter in
Wuppertal und erwähnte ihr gegenüber, dass ich gestern Plätzchen gebacken habe
und ich dachte: „Naja, kann ich wenigstens noch bei meiner Schwiegermutter ein
bisschen punkten mit dem ganzen Akt.“ …
145
Was war das jetzt?
Ich erspare es mir, tiefer in die gestrigen Ereignisse einzutauchen. Das wird mir zu
mühselig und gestern war es mühselig genug.
Habe ich mir einfach nicht die Zeit und mir meine Wichtigkeit genommen, in mich
hinein zu hören? Was ich wirklich will? Oder habe ich mich einfach verschätzt? Mit
dem Zeitmanagement? Oder wollte ich eigentlich gar keine Plätzchen backen?
Wirklich? War das eher so ein verkleideter Pflichtteil: Das macht man doch gern für
sein Kind. … Ich mach‘ das auch für mich, für mein inneres Kind. … Einer muss sich
doch kümmern. … - So in der Art. … - Mein inneres Kind wollte in die Sauna. Im
warmen Wasser schwimmen. Oder sich zum Yoga zurückziehen. So was in der Art!
Ich habe mir ein kleines rotes Buch gekauft. Es heißt „Josef, es ist ein Mädchen!
Weihnachten mal anders“ (21). Darin ist auf Seite 53 auch ein „Rezept für
Weihnachtsgebäck“. Man braucht dabei u.a. eine Flache schottischen Whisky. Das
Rezept endet mit den Worten: „Schmeißen Sie die Schüssel aus dem Fenster.
Trinken Sie den Rest Whisky und gehen Sie zu Bett.“ Das ging mir gestern kurz
durch den Sinn als ich eine Schüssel am Auskratzen war, aber ich habe es natürlich
nicht befolgt. Schon wegen des Whiskys. … Den hätte ich ja weglassen können.
Einfach die Schüssel wegschmeißen, alles stehen und liegen lassen. … - Freitag war
ich auf einem Geburtstag. Dort gab es alkoholfreien Sekt und ich habe davon
getrunken. War gut. … Und natürlich hätte ich am liebsten die ganze Flasche
ausgetrunken. … In der Nacht träumte ich davon, echten Sekt zu trinken. Zwei
Flaschen. … Ob das auch was mit gestern zu tun hat? Abhängigkeitsmuster? …
Sinnlosigkeit? Leere. Etwas füllen wollen. … Jedenfalls renne ich manchmal hinter
etwas her, so wie ich gestern hinter Dirks Zuneigung her gerannt bin, will etwas
einfordern, was durch hinterherrennen nicht zu kriegen ist und was man nicht
einfordern kann. Ich weiß das und tue es trotzdem und werde, indem dass ich’s tue,
immer verzweifelter. Ich weiß es und weiß mir dennoch in den Momenten, wenn es so
schlimm ist wie gestern, nicht zu helfen. Im Grunde suche ich da nach Liebe. Nach
absoluter Zugehörigkeit. Ich will nicht alleine sein. Und fühle mich unendlich allein, in
diesem Zustand. Noch eher ist es dann so: Ich will gehalten werden. Ich sehne mich
danach, dass sich jemand um mich kümmert.
Ich hätte sagen können: „Nimmst Du mich mal in den Arm?“ Das hätte er
wahrscheinlich gemacht. Stattdessen sagte ich: „Warum nimmst Du mich nicht in den
Arm?“ Und Dirk fühlte sich angegriffen oder unter Druck gesetzt oder manipuliert
und war sauer und abweisend und ich kommunizierte dauernd weiter so um die Ecke
und wurde immer verzweifelter. Das war schrecklich!
146
Heute Mittag habe ich es hingekriegt, es so zu sagen dass er mich umarmt hat. Wir
haben lange so gestanden, in der Umarmung, und ich hätte noch viel länger so stehen
können. Da ist etwas geflossen und das habe ich so gebraucht. Das hat mir so gut
getan. …
… - … Als ich diesen Text des unbekannten Verfassers „Uns selbst lieben …“ in
meinem Adventskalender las, machte mich das innerlich ganz frei und leicht: „ … den
Anderen hundertprozentige Freiheit geben … Frieden mit unseren Eltern und
unserer Kindheit schließen – um sie nicht mit unserem Partner zu wiederholen …
Vorwürfe aufgeben … einmal nicht recht zu haben … den Anderen nicht zur
Bestätigung des eigenen Wertes missbrauchen … Von uns aus Liebe geben und nicht
erwarten, dass sie uns entgegengebracht wird.“ … - Und dann das! Dieser dritte
Advent! Das krasse Gegenteil dieses Textes! „Hab‘ ich ja wohl wieder mal voll
Scheiße gebaut! Nix gelernt. Oder noch schlimmer: das Gelernte nicht angewandt,
mich trotz besseren Wissens einen ganzen Tag lang so verhalten, dass ich erstens
mich selbst und vielleicht auch noch Dirk gequält habe“, will ein Teil in mir sagen. Ich
schenke ihm aber kein Gehör. Ich bin es nämlich leid, alles, was geschieht, zu
analysieren. Und noch viel
mehr bin ich es leid, mich für „Schlechtes“
niederzumachen. Ja, ich habe mich so verhalten, ja, das war grausam, für mich selbst
und Dirk gegenüber vielleicht auch. Aber dann ist es halt so. Es ist okay. Ich hab’s
gemacht, ich war so und ich nehme mich in Liebe so an. Fertig.
Und am Ende kann ich wahrscheinlich noch dankbar für alles sein: dass da etwas mit
Macht aus meinem Schatten ans Licht gekommen ist, weil es gesehen, erkannt und
ausbalanciert werden will.
Morgen ist der vierte Advent. Im Laufe der vergangenen Woche habe ich gemerkt
und dann beobachtet, wie grausam mein Verstand sein kann, mein Denken. Das ist
ganz subtil. Ständig treibt es mich an: Das musst du noch machen und das und das
und das. Es vergleicht und es will mir Angst machen. Es lässt mir keine Ruhe. Es sitzt
mir im Nacken. Mein Nacken ist seit einer Woche ganz verspannt.
Aber heute Nacht hatte ich folgenden Traum: Viele Raubkatzen kamen auf mich zu.
Sie sahen alle gleich aus. Ich kann nicht sagen, ob es Tiger oder Jaguare waren, eine
Mischung aus beiden. Es waren 15 oder 16 Tiere und einer von ihnen hatte zwei
147
Köpfe. Sie kamen auf mich zu gelaufen, über eine Wiese, einen Hügel hinab und
sprangen durch’s offene Fenster zu mir ins Zimmer. Ich saß auf einem Stuhl am
Tisch und sie streiften unter dem Tisch um meine Beine. Uta war dabei. Sie saß mit
am Tisch. Ich wusste, dass ich keine Angst zu haben brauchte, obwohl etwas in mir
panisch werden wollte. Es ist nichts geschehen. Sie haben uns nicht angegriffen. Sie
gingen dann wieder weg. … – Ich stelle mich meinen Ängsten. Und meiner Kraft. So
interpretiere ich das.
Danach war ich auf einem Schiff. Auf einem großen alten Holzschiff, mit vielen
anderen Wesen, alle oder hauptsächlich männlich. Es waren Menschen und auch noch
anderes als Menschen, zauberhafte Wesen … - wie soll ich das sagen? Kraftvoll,
bedrohlich, roh, archetypisch, ein bisschen wie die Orks in „Herr der Ringe“, aber
nicht ganz so heftig. Diese Gestalten befanden sich in einem tieferliegenden Raum.
Ich war mit den menschlichen (Helden) auf einer etwas höheren Ebene. Dann begann
eine Provokation, einer von unten „suchte Stunk“, einer von oben reagierte darauf,
der von unten stieg die Treppe hoch und kam herauf, um anzugreifen, in seiner
ganzen Gewalt, oben die waren aber auch sehr stark und kraftvoll. Ich saß nahe der
Treppe, ich hätte den ersten Angriff abkriegen können, aber auch hier wusste ich,
dass ich keine Angst zu haben brauchte. Ich ging einfach ins Vertrauen, anstatt in
die Angst. Ich weiß nicht, ob ein Kampf ausbrach. Jedenfalls lag ich dann am Boden
und ein schwarzer Zauberer beugte sich über mich. Er sagte: „Ich zieh‘ es Dir raus.“
Ein Teil von mir dachte: „Der will mir Angst machen“, aber wieder wusste ich, dass er
mir nichts Böses tun kann, dass ich mich nicht fürchten muss, weil ich nichts habe,
wogegen er kämpfen kann. Und er zog etwas aus mir heraus. Er fuhr mit seiner Hand
(?) über mich, von oben nach unten, und zog etwas aus mir heraus, aus meinem
Inneren. Ich weiß aber, dass er mir nichts nehmen kann, was mir dann fehlt, um das
es mir leid täte, weil ich mit allen Wesen und mit allem, was ist, auf einer Ebene bin,
auf der keiner dem anderen etwas antun kann. Wir sind unangreifbar und ganz. Im
Grunde ist das so. Das weiß ich immer mehr. In meinem Inneren spielen sich die
Kämpfe ab. In mir sind die Grenzen, sonst nirgends. Wenn ich kämpfe, dann ist der
Kampf da und wenn ich vertraue, dann ist Vertrauen da. Und dieser schwarze
Zauberer hat mir, glaube ich, einen großen Dienst erwiesen.
148
20. Dezember 2008
Vergiss, vergiss,
und lass uns jetzt nur dies erleben,
wie die Sterne durch geklärten Nachthimmel dringen,
wie der Mond die Gärten voll übersteigt.
Rainer Maria Rilke
Morgen ist der vierte Advent …
Jetzt ist es zehn nach acht, abends. Michel liegt im Bett und jetzt ist es still. Er ist
wohl eingeschlafen. Seinen Papa hat er heute den ganzen Tag über nicht gesehen.
Ich glaube, das erste Mal in seinem Leben. Dirk war schon weg, als Michel heute
Morgen wach wurde, und jetzt ist er noch nicht da. Er ist heute Morgen mit Thomas
weg, ihm bei einer Arbeit helfen. Jetzt kippen sie sich vermutlich noch irgendwo
einen hinter die Binde. Gegen 18.00 Uhr bekam ich Bauchweh und mir wurde schlecht.
Er hätte im Laufe des Tages doch mal anrufen können, wenn ihm was an mir liegt,
spätestens, als sie Feierabend machten und in die Kneipe gingen, um mir Bescheid zu
sagen. Der Verrat durch frühere Freunde steigt in mir auf. Die Gleichgültigkeit, die
da auf einmal war, das Ich-liebe-dich-nicht-mehr, obwohl das vorher hieß Egal-waspassiert-ich-werde-dich–immer-lieben. … - Die Sehnsucht nach dem Geliebten.
Glaube ich noch daran? … - Im Moment glaube ich, dass Dirk nicht wirklich etwas an
mir liegt. Er will meine Nähe nicht, mich nicht. Gestern waren wir zusammen in
Frankfurt auf dem Weihnachtsmarkt. Wir beide, Michel war bei Oma. Als wir mit
dem Zug zurückfuhren, sah er auf seinem Handy nach, ob jemand angerufen habe.
Thomas hatte angerufen. Er war auf dem Weg zu der Arbeit, zu der Dirk hätte
mitfahren können, und Dirk ärgerte sich, dass er nicht mitfahren konnte. Das
verletzt mich und macht irgendwie alles kaputt, was wir zusammen gemacht haben.
Einmal machen wir zwei etwas zusammen, ohne Michel, nur für uns, und dann
bedauert er, dass er darüber Thomas verpasst hat.
Gestern Abend war ich noch mal mit dem Auto unterwegs und sah einen Freund
vorbeifahren. Er hat vor Kurzem geheiratet. Seine Frau saß mit im Auto auf dem
Beifahrersitz. Sie haben mich nicht gesehen. Als wir aneinander vorbeigefahren
waren, dachte ich mir, dass wir uns oft in bestimmten Bahnen begegnen, es ist
irgendwie festgelegt: „Hallo, wie geht’s?!“ „Gut!“ Ha-ha. Lächel-lächel. Winke-winke.
Auf einmal war ich froh, dass sie mich nicht gesehen hatten. Dass ich mit meinen
Empfindungen bei mir bleiben konnte. Tief in mir spürte ich, wie berührt ich bin,
dass die beiden jetzt zusammen sind, dass sie sich gefunden haben, dass sie nicht
mehr alleine sind, wie schön ich das finde und wie dankbar ich dafür bin.
149
Zuhause wollte ich das mit Dirk teilen, dieses Empfinden, und erzählte ihm davon. Er
sagte darauf: „Ja und?“ Dann nannte er die Namen eines anderen befreundeten
Ehepaares: „Schau Dir die an. Jetzt sind sie sich nach elf Jahren nicht mehr sicher.“
– Die Frau will ausziehen. Weil der Mann „intimen“ E-Mail-Kontakt mit einer anderen
Frau pflegt. Und weil ein dickes Thema der beiden hochgekommen ist. – Ich
antwortete nicht auf Dirks Einwand. Aber es schnürte mir den Hals zu.
…-…-…Vielleicht passt das doch nicht so gut, Dirk und ich. Wir sind uns nie einig. Wenn ich
etwas sage, nimmt er automatisch die Gegenposition ein. Er sucht meine Nähe nicht.
Er nimmt mich nicht ernst. Ich interessiere ihn nicht.
…-…-…Ist das wirklich so? Oder sind meine Muster gerade auferstanden und sitzen auf den
Barrikaden, schwenken ihre Fahnen und erzählen mir lauthals, was wir, sie und ich,
alles schon erlebt haben und wie infolgedessen das Leben ist, immer wieder.
…-…-…Wie geht das, vergessen? Sich nicht einlassen auf den Schmerz. Wie macht man
das?
…-…-…Es ist gleich neun. Morgen woll(t?)en wir nach Wuppertal fahren, die Oma, Dirks
Mutter besuchen. Denkt der im Ernst, dass ich das noch will? Noch kann, leichten
Herzens? Wahrscheinlich denkt er gar nichts. Und ich weiß nicht, wie ich mit ihm
reden kann, weil er bestimmt wieder böse wird, wenn ich was sage.
Warum lebe ich überhaupt mit ihm? Warum tu ich das? Liebe – das ist alles nur ein
Deal, was wir Liebe nennen. Warum suche ich das bei ihm? Ich kann ihn nicht dazu
bringen, mich zu lieben. Manchmal liebe ich ihn. Ich habe es schon gespürt, tiefes
Vertrauen und so. Liebe ich ihn jetzt? Eigentlich ist es egal, er kann doch ruhig den
ganzen Tag weg sein. Ist doch egal, bzw. an sich nichts Schlimmes, ist in Ordnung,
wenn es mal so ist. Oder? Ich habe aber Angst vor Verrat. Vor Gleichgültigkeit
seitens des Geliebten. Aber dann ist es doch auch nicht der Geliebte, wenn er mir
gegenüber gleichgültig ist. Was will ich eigentlich von ihm? Warum lasse ich ihn nicht
einfach los?
150
Hör‘ auf, Sonni. Hör‘ auf, Menschen nachzulaufen. Bleib‘ bei Dir. Bleib‘ bei Dir. Bleib‘
einfach bei Dir. Da ist es doch auch immer am Schönsten. Besinne Dich auf Dein
Vertrauen! Ich weiß, ich darf vertrauen. Für mich ist gesorgt. Es geschieht nichts
Schlimmes mehr.
Ich glaube im Grunde auch, dass Dirk mich auf seine Art liebhat. … - Ach je! … - Der
Schmerz ist in mir. „Es-ist-und-es-ist-nicht“ auch. Die Freiheit und die Liebe sind
auch in mir. Die sind weit - das ist ein weites, freies Land! Der Schmerz sitzt
verknotet im Hals, im Bauch und in der Brust. Das muss doch zu lösen sein! Jeder
Knoten löst sich irgendwann. Und wenn er es durch Zeit und Verwitterung tut.
Irgendwann löst er sich.
…-…-…-
Vergiss, vergiss, und lass uns jetzt nur dies erleben,
wie die Sterne durch geklärten Nachthimmel dringen,
wie der Mond die Gärten voll übersteigt.
Wir fühlten längst schon, wie’s spiegelnder wird im Dunkeln;
wie ein Schein entsteht,
ein weißer Schatten in dem Glanz der Dunkelheit.
Nun aber lass uns ganz hinübertreten
in die Welt hinein, die monden ist –
Rilke
151
Vierter Advent
Bitte
Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut.
Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.
Es taugt die Bitte,
dass bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
dass noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden.
Und dass wir aus der Flut,
dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst entlassen werden.
Hilde Domin
Gegen 23.00 Uhr kam Dirk nachhause. Ich habe an dem Abend nicht mehr mit ihm
gesprochen, denn Ich gehe nicht zu ihm! Er soll zu mir kommen, „Hallo“ sagen, sagen,
dass es ihm leid tut, dass er nicht angerufen hat, sagen, dass es ihm leid tut, dass er
so spät kommt und warum es so gekommen ist. Er kam aber nicht zu mir.
Gelegentlich griff in der Nacht die Panik nach meinem Herzen. Ich durchlebte alte
Qualen. Schon vorher, als Dirk noch nicht daheim war: die Erinnerung an meinen
letzten langjährigen Freund, der auch immer weg war, tagelang am Stück manchmal.
Wenn er nachhause kam, war er in der Regel betrunken. (Ich trank ja zu der Zeit
auch noch. Wir beide hatten u.a. das Thema „Suff“ miteinander.) … Andere Frauen …
Ich glaube, ich habe mich von ihm mächtig verarschen lassen. Manches habe ich
mitbekommen und manches wollte ich vielleicht auch einfach nicht wahrhaben. Einmal
trafen wir beim Einkaufen eine Bekannte und die beiden blitzten sich vielsagend an.
152
Das wollte ich auch nicht wahrhaben. Nicht schon wieder diskutieren, fragen, die
Eifersüchtige spielen. Nicht schon wieder. Als unsere Beziehung schon zwei oder
drei Jahre zuende war, bekam ich erst mit, dass er nach mir eine Weile mit dieser
Frau zusammen war. … - Das lief Samstagnacht alles in mir ab: „ … Dirk in der Kneipe
… wer weiß, wen er da so trifft … was sich da so ergibt … er wird stinkbesoffen sein,
wenn er nachhause kommt … Wuppertal, die Oma … ich fahre mit Michel alleine hin …
Dirk wird nicht aufstehen können … nicht autofahren können … mir ist schlecht … ich
fahre nicht mit … ich kann doch Michel nicht alleine mit ihm fahren lassen … - … - ….“
So lag ich mit meinem Kopf-Kino im Bett. … - Als ich gehört hatte, dass Dirk
gekommen war, stand ich auf, um aufs Klo zu gehen, obwohl ich eigentlich nicht
musste (um ihm die Chance zu geben, mir über den Weg zu laufen) und registrierte,
dass ich in Bad und Flur keinen Alkoholdunst wahrnahm. … Sollte er möglicherweise
doch nicht so sturzbesoffen sein? … Er saß in der Küche und stand nicht auf, um mir
über den Weg zu laufen, und ich ging wieder ins Bett, ohne dass einer von uns beiden
etwas gesagt hätte.
Gelegentlich griff die Panik nach meinem Herzen, der Schmerz und die Qual. Aber:
Wenn es so war, atmete ich ein paar Mal tief durch … vergiss, vergiss … und …
erstaunlicherweise: Dieser tiefe Frieden breitete sich in mir aus. Ich war ganz ruhig.
Ich dachte an den schwarzen Zauberer, was es wohl gewesen sein mag, das er aus
mir herausgezogen hat. Es muss etwas mit Männern zu tun haben.
Am Sonntagmorgen: als ich aufgestanden war: Ich wollte Dirk sagen, dass ich
Bauchweh habe, dass mir schlecht sei und dass ich nicht mitfahre nach Wuppertal.
Sonst wollte ich gar nichts sagen. Ich sage diesmal nichts! Er soll was sagen. … Ich
zog eine Tarot-Tageskarte: die sechs Schwerter, mit dem Titel „Wissenschaft“.
Ihre
Bedeutung
„beschränkt
sich
jedoch
keineswegs
auf
die
Welt
der
Wissenschaft.“ Und meine „persönlichen Angelegenheiten (…) sollten (…) auf eine
Weise kommuniziert werden, die von allen Beteiligten gehört, verstanden und
angenommen werden kann.“ (22) … So so. … Das nahm ich erstmal nicht so wörtlich.
Ich nahm mir einen Kaffee, setzte mich an den Küchentisch und schlug die Seite an
meinem Adventskalender (17) um. Da stand auf der einen Blatthälfte:
Die Sterne
fürchten sich nicht
wie Leuchtkäfer zu erscheinen.
Rabindranâth Tagore
… Vielleicht sollte ich doch was sagen? … Und auf der anderen Hälfte des Blattes
stand:
153
Wie möchtet ihr denn euren Tee?
Ein Weiser ist in tiefer Meditation. Da erscheinen am Eingang seiner Höhle drei
kriegslüsterne Dämonen. Sie lassen ihre blutigen Schwerter rasseln, klappern mit
Totenschädeln und dringen unter Gebrüll und Heulen, mit wüsten Beschimpfungen in
die Höhle ein.
Der Weise aber lädt sie mit einem liebenswürdigen Lächeln ein, an seinem Feuer
Platz zu nehmen und mit ihm Tee zu trinken. „Versetzt dich denn unser Anblick nicht
in Angst und Schrecken?“ fragen die Dämonen.
„In keinster Weise“, antwortet der Weise. „Ich bin dankbar, dass ihr gekommen
seid, denn ich befinde mich auf dem Pfad der Heilung, und euer Erscheinen gibt mir
die Möglichkeit, meine Angst und meine Zweifel zu untersuchen. Kommt her und
trinkt Tee mit mir, macht es euch bequem. Wie möchtet ihr denn euren Tee?“
Sufi-Geschichte
…-…-…Na gut.
Ich sage: „Warum hast Du nicht angerufen?“
Dirk sagt: „Warum hast Du mir keine sms geschickt? Das machst Du doch sonst auch
manchmal.“
Schon steigen in mir der Widerstand und die Wut hoch. Ich frag‘ ihn was und er
schiebt die Frage auf mich ab! Es lag bei ihm (dreimal unterstrichen!!!), Bescheid zu
sagen! … Aber ich sage: „Weil ich Dir nicht hinterher telefonieren will: Wo bist Du?
Wann kommst Du?“ Weil das auch stimmt.
Er dachte, es würde nicht so lange dauern, antwortete er, und das solle ihm eine
Lehre sein. Und ich will das mit „eine Lehre sein“ gleich wieder auf mich beziehen, im
Sinne von wenn die sich so anstellt, werde ich es nicht mehr wagen, nicht anzurufen,
weil sie sonst zur Furie wird. Aber ich frage: „Inwiefern eine Lehre?“
„Na, wenn der Thomas einmal sitzt, dann sitzt er. Das kann dann dauern. Ich hatte
gesagt: eine Stunde, länger nicht. Aber dann haben wir Fahrrad-Freunde von Thomas
getroffen und dann war es zu spät.“
Ich erzählte ihm, wie es mir ergangen war. – Eine Fahne hatte er übrigens nicht und
er machte auch keinen verkaterten Eindruck. – Er fragte mich, was ich denn dächte,
154
was er gemacht hätte. Und ich antwortete ihm, dass ich denke, dass er mit Thomas,
wenn es schon mal elf Uhr wird, auch im Puff gewesen sein könnte.
…-…-…Jedenfalls haben wir in kurzer Zeit viel geklärt. Und ich danke den Dämonen fürs
Rasseln mit den alten, blutigen Schwertern! Danke für die ganze wundervolle Hilfe!
Und für die freie Autobahn nach Wuppertal und zurück, für den schönen Nachmittag
und für das leckere Essen, das Oma für uns gekocht hat!
Der Zauberer: Vielleicht war das, was er entfernt hat, meine Angst vor Männern,
mein Misstrauen und meine Vorbehalte ihnen gegenüber, meine alten Erfahrungen
und Muster. Er hat eine Grenze entfernt, ein Abgetrenntsein, die trennende Wand. –
Ich brauchte nicht böse und verletzt zu sein. Wir haben es geklärt und gut war’s.
So, jetzt ist aber Schicht im Schacht!
Joy to the world!
And so this is Christmas …
Draußen, jenseits der Vorstellungen
von Fehlverhalten und Wohlverhalten,
liegt ein Feld.
Dort werd‘ ich mit dir zusammentreffen.
Wenn die Seele sich in jenes Grasland niederlegt,
ist die Welt zu sehr erfüllt, um darüber zu reden.
Vorstellungen, Sprache, selbst der Ausdruck „der Andere“,
ergeben keinerlei Sinn mehr.
Jellaladin Rumi
Zweiter Feiertag. Wir hatten heute Morgen Krach. Im Grunde ging es wohl darum,
wer nachts aufsteht, wenn Michel wach wird, ihm sein Fläschchen gibt und nachsieht,
ob er eine frische Windel braucht, und wer liegenbleiben darf. Um es gleich
vorwegzunehmen: Wir haben uns wieder versöhnt.
155
Dirk telefonierte vorhin mit seiner Mutter, Frohe-Weihnachten-wünschen, weil wir
sie gestern nicht erreicht hatten. Sie erzählte ihm, dass seine beiden Geschwister,
seine Schwester und sein Bruder, auch Krach hätten. Sie werfen sich gegenseitig
vor, sich nicht genug um sie, ihre Mutter, zu kümmern, und so haben sie das Gleiche
in grün wie wir. Als der Krach mit Dirk am Laufen war, setzte ich mich währendem,
ich weiß nicht warum, innerlich mit meiner Schwester auseinander. Da wusste ich
noch nichts von dem Streit von Dirks Geschwistern. Ist es das Geschwister-Thema,
das diese Weihnachten hochkommt? Oder ist es etwas anderes? Mir ging durch den
Sinn, dass ich meine, dass meine Schwester immer am rennen ist, dauernd am machen
und dass sie damit viel verdrängt. Das ist meine oberflächliche Meinung. Und mein
Weg ist mit Sicherheit nicht der einzig selig-machende. Vielleicht ist das einfach
ihre Art, mit den Dingen umzugehen, ihre Aufrichtigkeit, denn ich glaube nicht, dass
sie nicht ehrlich mit sich selbst ist. Ich habe nur den Eindruck, dass sie dazu neigt,
Dinge zu verdrängen, mit denen sie nicht konfrontiert werden will. … - Aber
vielleicht ist das auch eine Gabe und ich konfrontiere mich zu viel und allzu
bereitwillig und sollte mir vielleicht auch lieber einiges am Ar… vorbeigehen lassen. …
– Ich finde, sie hat einen prima Job, absolut beneidenswert: Sie arbeitet in der
Grundschule als Schulsekretärin. Aber sie studiert und will höher hinaus. Sie hat
einen Ehrgeiz, der mir abgeht. Und ihr ganzes politisches Engagement und ihre
sonstigen gesellschaftlichen und sportlichen Aktivitäten – sie ist dauernd mit
irgendwas beschäftigt und hat keine Zeit für sich. Und ich meine, sie tut es, weil sie
Anerkennung will und letztendlich Liebe. Von Papa, und Mama, von ihrem Mann, den
Männern, der Gesellschaft, den Anderen. … Ja und? – Wenn ich das so sehe, was
sehe ich da? – Die Welt ist ein Spiegel. Wie ich hineinschaue, so schaut es heraus.
Ich will das auch: Anerkennung und Bestätigung, für das, was ich tue und bin. Das
liegt diesem ganzen Streit zugrunde. Ich versorge Michel und will Anerkennung,
stattdessen ist Dirk mürrisch und in sich gekehrt und sagt nicht mal „richtig“ Guten
Morgen. Dirk versorgt Michel und will Anerkennung, stattdessen will ich auch noch in
den Arm genommen werden und beschwere mich, wenn er es nicht tut.
Und möglicherweise ist meine bisherige Sichtweise, dass solch überaus aktive,
ehrgeizige Menschen Anerkennung wollen auch längst nicht die ganze Wahrheit,
vielleicht ist es überhaupt keine Wahrheit. Dirk hat mir diesbezüglich eine Tür
geöffnet. Anhand von Thomas, Danis Mann. Der fährt nämlich exzessiv Fahrrad. Wir
gaben dazu stets freimütig das Urteil ab: „Er tut das um der Selbstbestätigung
willen.“ Aber nachdem Dirk mit Thomas ein paar Mal in der Kneipe war, weiß er, dass
dem nicht so ist. Es geht nicht um Selbstbestätigung. Oder, wenn doch, dann längst
nicht nur. Es ist ein Hobby, Freiheit … Thomas kennt Plätze, die sonst keiner kennt.
Mit seinem Fahrrad sucht er Orte auf, an denen viele andere Menschen sehr selten
oder vielleicht nie sind, die Nidda-Quelle z.B. Sein Fahrradfahren verbindet ihn mit
156
der Erde, mit seiner Umgebung, seiner Heimat, mit dem Land. So habe ich das noch
nie gesehen.
Was weiß man also schon vom äußeren Drauf-schauen und was bedeutet eine
bestimmte Meinung? Die Dinge sind oft anders, als es scheint.
Um was geht es bei besagten Krächen? Dass das Baby, die Oma oder wer oder was
sonst nur vorgeschoben sind und dass man im Grunde selbst möchte, dass jemand für
einen sorgt? Dass sich die große kosmische Mutter und der himmlische Vater um
mich kümmern? Bei Vielen ist es, glaube ich, ein unendliches Ruhebedürfnis. Und weil
die Menschen von sich aus nicht für Ruhe sorgen, kommt ein himmlischer
Schneesturm, schneit alle ein und zwingt sie zu der ersehnten Pause. Wie kurz vor
Weihnachten in den USA.
Thomas, fällt mir gerade ein, ist sich mit seiner Schwester auch nicht grün. Die
beiden haben überhaupt keinen Kontakt mehr. Dirk und sein Bruder auch nicht. Ich
kenne den Bruder nur von Fotos. Die Gründe, die Dirk vorgibt, warum er mit seinem
Bruder nicht verkehrt, sind meines Erachtens irrelevant. Was haben die? … Herrscht bei allen erwachsenen Geschwistern Konkurrenz oder was das ist? Wann
ist das bei Dani und mir aufgetaucht? Als Kind, wie gesagt, habe ich sie abgöttisch
geliebt. Meine große Schwester! Im Vorschulalter war das. Machen Schule und
Gesellschaft mit ihrem Leistungs- und Konkurrenzgetrimme Geschwisterliebe
kaputt? … - Die Eltern? Gibt es Kinder, Geschwister, die mit Elternliebe und deren
Anerkennung so durchtränkt sind, dass später keine Konkurrenz aufkommt?
… - … Mein Schultergürtel ist immer noch verspannt. Vielleicht wachsen mir Flügel.
Engelsflügel. Außerdem habe ich das Gefühl, ich sei schwanger. Vielleicht bin ich’s
wirklich. Vielleicht bin ich aber auch schwanger mit mir selbst. „Wir sind die, auf die
wir warten“, sagen die Hopi-Indianer. Es ist Weihnachten! Unsere eigene innere
Heiligkeit wird geboren! Sie liegt bei keinem anderen.
Bei den Krächen habe ich immer mehr das Gefühl, es geht um gar nichts mehr. Das
löst sich alles auf. Es geht nur darum, mit mir selbst zu sein. Es ist irgendwie egal,
was ich tue, gleich-gültig. Es geht um meine Sichtweise auf die Dinge.
Das steht für gestern und heute, die beiden Weihnachtsfeiertage, als Motto in
meinem Mondkalender ein Zitat von William Shakespeare:
Was Macht hat, mich zu verletzen,
ist nicht halb so stark wie mein Gefühl,
verletzt werden zu können.
157
Des Weiteren fegte Flöckchen, einer unserer beiden Kater, gestern Morgen eine
Figur von der Treppe, die dort als Deko steht. Es hat ihr den Kopf abgeschlagen und
ich finde das wunderbar!
Joy to the world!
Den Kopf verlieren
Und es will Vieles werden.
Wir gehen immer verloren,
wenn uns das Denken befällt,
und werden wiedergeboren,
wenn wir uns ahnend der Welt anvertrauen
und treiben, wie Wolken in hellem Wind.
Und alle Grenzen, die bleiben,
sind ferner, als Himmel sind.
Und es will Vieles werden,
doch wir ergreifen es kaum.
Wie lange sind wir der Erden
Ängstliche noch im Traum?
Fragwürdige noch wie lange,
jetzt, da sich schon alles besinnt,
da das, was einstens so bange,
schon klarer vorüberrinnt?
Dass uns ein Sanftes geschähe,
wenn uns der Himmel berührt,
wenn seine atmende Nähe
uns ganz zum Hiersein verführt.
Jean Gebser
27. Dezember, Samstag. Ich finde, heute ist der dritte Feiertag, immer noch
Weihnachten. Mein Nachbar ist draußen mit seinem Laubsauger zugange: Öööhhnnöööhhnn-öööhhnn-dröhn-brumm-nerv! Dirk kam vom Einkaufen, zog sich um und
158
wollte rausgehen, was „schaffe“. Ich rief ihm nach: „Sag‘ dem, dass er mich nervt!“
Da kam Dirk nochmal von der Haustür zurück zu mir, stützte seine Arme auf den
Schreibtisch auf und sagte: „Das sag‘ ich ihm nicht. Der hat recht! Muss doch was
geschafft werden! Alles saubergemacht!“ Ja ja. „Es ist Weihnachten“, sagte ich,
„dritter Feiertag.“ „Das meinst Du“, sagt Dirk. „Jetzt gibt‘s noch einen Feiertag: Das
ist Neujahr. Dann kommen noch die heiligen drei Könige, aber die sind für’n Arsch,
und dann geht’s rund!“ Dann klickte er noch mal auf die Maus vom PC, um sein
Gefoppe noch zu untermauern und ich verdrehte die Augen und grinste und fragte
ihn, ob er nicht rausgehen wollte.
Wir haben eine Küche geschenkt bekommen! Und ein riesiges Sofa. Naja, für 700,- €
beides zusammen, aber das ist so gut wie geschenkt. Ein Geschenk des Lebens. Meine
Güte! – Lauter Wunder! Denn Dirk hat außerdem noch jede Menge Modelleisenbahnen
und Zubehör gekauft. Alles gebraucht, aber doch für mehrere hundert Euro. Dabei
dachte ich schon, bevor er damit angefangen hat, wir müssten mal ein bisschen
sparen, aber wir haben jetzt komischerweise immer hinterher, nach dem Geldausgeben, mehr Geld als davor.
Das mit der Küche kam so: Unser Nachbar von gegenüber, der vom Tierschutz, stand
vor ein paar Tagen mit Dirk am Gartentor und erzählte ihm von einer Bekannten, die
umzieht und händeringend jemanden sucht, der ihr ihre Küche abnimmt, weil sie die
nicht mitnehmen kann. In einer Woche müsse sie aus ihrer Wohnung draußen sein.
Sie hätte auch noch Wohnzimmermöbel, ob wir was haben wollten. Ich war auf
Abwehr und dachte, der will uns was andrehen, weil ich meine, dass er ein Schlitzohr
ist. … - Kurz nach Weihnachten klingelte er abends wieder bei uns, kam rein und
zeigte uns auf seinem Handy Fotos von der Küche. Ich war immer noch im
Widerstand, zumal am nächsten Tag Rainer, unser bayrischer Freund, zu Besuch
kommen und ich nicht noch kurz vorher irgendwelche Aktionen mit Möbeln starten
wollte. Ich ließ mich aber darauf ein, für den nächsten Vormittag einen Termin mit
der Frau zu vereinbaren, um uns die Sachen vor Ort anzusehen. Rainer wollte erst
nachmittags eintreffen. … Später im Bett fiel mir ein: Meine Tarot-Karte für den
momentanen Maya-Mond (-Monat), die ich im Sommer bei Uta für das ganze Jahr
gezogen hatte und die ich in einem Kalender aufgeklebt habe, ist „Der Stern“. Uta
sagte dazu: „Lass es fließen in diesem Monat, nimm an, auch von dort, woher Du es
159
vielleicht nicht haben willst.“ ... Aha. … - Welche Instanz das immer schon so weiß,
Monate vorher. …
Am nächsten Tag um 11.00 Uhr waren wir bei der Frau. Sie war längere Zeit krank,
hat ihren Job verloren, ist jetzt arbeitslos und kann deshalb die Haushälfte, in der
sie wohnt, nicht mehr bezahlen. Sie zieht aus, in eine Einzimmerwohnung, und muss
sich deshalb vom Großteil ihrer Möbel trennen. Wenn es ihr niemand abnimmt, muss
sie sie entsorgen lassen. Für die Küche wollte sie 400,- € und für das Sofa 300,-. …
Eine prima, dufte, schöne, neue, klasse Küche! Mit allen Elektrogeräten! Inklusive
Spülmaschine. Wir haben nämlich keine und Dirk spricht schon seit er hier ist davon,
dass wir eine bräuchten. Ich meinte die ganze Zeit, dass wir keine brauchen. Jetzt
kriegen wir eine für 400,- €, mit Küche drum herum! Die Küche sagten wir dann auch
gleich zu, zumal wir schon seit Dirk bei mir ist, wiederholt davon redeten, dass eine
neue Küche fällig wäre. Die, die wir haben, stand schon drin als ich hier einzog. Sie
ist noch von den Vorbesitzern und Erbauern des Häuschens und stammt wohl aus den
50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Glatte weiße Fronten, die ich vor ein paar
Jahren mit farbiger Folie beklebt habe. … Mensch! Und jetzt kommt das Universum,
geht ganz pragmatisch irdische Wege und schenkt uns eine schöne neue Küche. Holz
mit blauen Türen. Und jede Menge Platz!
Wegen des Sofas fuhren wir erst nachhause, um auszumessen, weil es ein Riesenteil
ist. Aber es passt, wenn wir umräumen. Und das ist jetzt beschlossene Sache:
renovieren, umräumen, neue Möbel!
Meine Güte! Halleluja! Das ist klasse! Wunder über Wunder! – Schon vor
Weihnachten, nachdem Dirk die erste Ladung Modelleisenbahn gekauft hatte, die
uns um 350 unvorhergesehene Euro erleichterte, bemerkte ich ihm gegenüber, dass
mir das wie ein Wunder erscheine, weil wir hinterher, nach dem Kauf, irgendwie mehr
Geld hatten als vorher. Dirk sagte, das sei kein Wunder und brachte unsere Finanzen
mit der Bezahlung seiner Arbeit bei Thomas in Zusammenhang. Aber es geht dauernd
so weiter. Das Füllhorn ist weit geöffnet und überschüttet uns mit seinen
himmlischen Gaben. „DANKE!“ kann ich da nur sagen! – Jetzt könnte man meinen,
unser Glück gründet sich auf das Unglück der Frau, von der wir die Möbel bekommen.
Aber ich sehe das anders. Erstens müsste sie die schönen Sachen für Geld entsorgen
und die schönen Möbel würden weggeworfen, was ein Frevel wäre. Und zweitens bin
ich in dem unerschütterlichen Glauben, dass alles, was derzeit geschieht, an
Trennungen, vermeintlichen Verlusten und solchen Sachen, dazu führt, dass jeder
genau dahin kommt, wo er hingehört. Dass sich die tiefsten Herzenswünsche und
Sehnsüchte eines jeden erfüllen. Aller Ballast, alles Falsche fallen weg. Ich verstehe
nicht – oder ich verstehe es schon, aber wir müssen nicht mehr so reagieren! – warum
Leute traurig, ja verzweifelt sind, wenn sie ihren Job verlieren oder – und das
160
verstehe ich wirklich nicht! – sich beklagen, wenn sie anstatt 40 Stunden nur noch 20
in der Woche arbeiten müssen. Vielleicht haben manche immer noch Angst vor Stille
und Nichtstun und dem Wagnis, sich auf sich selbst einzulassen. Wir müssen alle
lernen, uns selbst zu vertrauen. Und furchtlos zu sein. Das ist ganz wichtig! Wo
Furcht ist, wird alles im Keim erstickt. Uns selbst vertrauen, den anderen und dem
Leben, das ist die Devise! Annehmen und genießen. Und alles, was dem im Wege
steht, loslassen. Auch Partner, die nicht wirklich die eine, große Liebe sind, gilt es
loszulassen, damit der Platz frei wird. Falsche Freunde fallen weg, falsche Jobs.
Es geschieht ja sowieso. Es geschieht. Ganz bestimmt. Das Alte zerfällt und das
Neue flutet herein in gigantischen, grandiosen Wellen. Sich dabei am Alten
festhalten zu wollen tut nur weh, ist furchtbar anstrengend und funktioniert sowieso
nicht. Sich dem Neuen anvertrauen, hingeben, mitgehen, auf den Wellen reiten –
Wow! Das macht Spaß! Bringt Anmut, Leichtigkeit und befreit! Im Internet steht,
dass die Wege sich nun drastisch trennen würden, der Weg derer, die sich weiterhin
lieber auf ihren Verstand verlassen und der Weg derer, die auf die Weisheit und die
Liebe ihres Herzens hören, der Weg der Dualität und der Weg der Einheit. Vielleicht
trennen sie sich in dem, was jeder erfährt, wie jeder die Geschehnisse wahrnimmt
und bewertet bzw. nicht bewertet. Ich glaube aber, dass beide Wege zum gleichen
Ziel führen: Echtheit, Wahrheit, Liebe und das Paradies auf Erden. Ganz bestimmt! –
Vielleicht brauchen die, die immer lieber noch auf ihren Verstand hören, ein paar
Leben länger.
Die Figur, die Flöckchen bei seinem Herumtollen geköpft hat, stellt ein schmusendes
Hundepärchen
dar. Flöckchen hat gleich beiden den Kopf abgeschlagen. - Ich
beziehe das auf Dirk und mich, dass wir aufhören, uns zu sorgen, uns „einen Kopf zu
machen“, zumal die schmusenden Hunde, wie sie jetzt auf der Treppe stehen, die
abgeschlagenen Köpfe zu ihren Füßen, ohne dieselben aussehen wie ein Herz. Ein auf
dem Kopf stehendes Herz. Wir lassen uns von unseren Herzen leiten. Wenn der Kopf
sich meldet, in Belangen, für die er keine Kompetenz hat, wird er gleich dem Herzen
einverleibt.
Herz ist Chef!!
161
Sich keinen Stress machen
Du kannst das Leben und seine Geheimnisse
nicht verstehen, solange du es zu fassen suchst.
Ja, du kannst es gar nicht ergreifen, ebenso wenig
wie du einen Fluss im Eimer davontragen kannst.
Wenn du versuchst, fließendes Wasser in einem Eimer einzufangen,
so zeigt das, dass du es nicht verstehst
und dass du immer enttäuscht sein wirst,
denn im Eimer fließt das Wasser nicht.
Um fließendes Wasser zu haben, musst du
es loslassen, musst du es fließen lassen.
Dasselbe gilt für das Leben und Gott.
Alan Watts
Heute Mittag, als ich Michel hingelegt hatte, und er eingeschlummert war, überlegte
ich, was ich machen könnte. Wollte. An den Computer setzen und schreiben. Das war
das Erste, wozu es mich trieb. Aber dann dachte ich, dass ich doch eigentlich gerade
alles aufgeschrieben habe, was ich aufschreiben wollte. Was jetzt noch in mir
rumschwirrt, worüber ich schreiben möchte, das ist alles noch nicht fertig, ist noch
diffus, bruchstückhaft, und im Grunde ist es das hier, was am Greifbarsten ist und
anliegt: mir keinen Stress machen und mich nicht unter Druck setzen. Mit gar nichts.
Sondern im Augenblick sein, und wenn etwas zu tun ist, wenn ich etwas tun möchte,
dann das Naheliegende zuerst. Der Impuls zu schreiben war heute Mittag wieder ein
bisschen so, dass ich dachte: „Ich muss schreiben. Damit es was wird.“ … – Ich muss
aber nicht.
Eines habe ich im Dezember schon ganz gut hingekriegt, finde ich: Ich war kaum im
Fitness-Studio und war dabei innerlich ganz ruhig. Die erste Hälfte des Dezembers
war ich ein bisschen grippig. Nicht krank, aber auch nicht fit. Und nach körperlichem
Powern war mir überhaupt nicht. Als ich dann ein paar Tage am Stück nicht im Studio
war, meldete sich meine innere Antreiberin: „Ej! Was ist los?! Du müsstest mal
wieder gehen!“ Ein anderer Teil in mir sagte aber: „Mir ist nicht danach. Außerdem
soll es ja auch Spaß machen und ich brauche jetzt einfach Ruhe. Der Sport ist eine
Freizeitbeschäftigung. Ich mache das zum Ausgleich und weil’s mir Spaß macht.
Wenn ich mich jetzt unter Druck setze, weil ich gerade nicht hingehe, dann stimmt
da doch auch was nicht.“ „Du willst abnehmen, du willst fit bleiben und schließlich
kostet das Ganze auch Geld!“ sagte meine Antreiberin. „Ja. Aber das ist auch kein
Grund, mich unter Druck zu setzen“, antwortete der andere Teil. „Wenn ich es mir
nicht leisten kann, zuhause zu bleiben, das wäre doch arm.“ … Meine innere
162
Antreiberin hat sich dann auch entspannt und mit mir Tee getrunken und Plätzchen
gegessen, die selbstgebackenen - mit denen ich mich im Zuge dieses Prozesses
ebenfalls versöhnte.
Außerdem haben wir noch, meine Antreiberin und ich, die Waage weggepackt. Bis
März, dachte ich mir, dann hole ich sie vielleicht wieder mal raus. Mein Jahresziel an
abgenommenen Kilos, das ich mir vergangenen März gesteckt hatte, habe ich
erreicht. Es reicht aber noch nicht, dass mir meine Hosen von vor der
Schwangerschaft wieder passen. Auf 2 x vier oder 3 x drei Tage Rohkost-essen im
abnehmenden Mond habe ich keine Lust mehr. Meine Selbstdisziplin diesbezüglich ist
erschöpft. Das will ich nicht mehr. Also war ich, um weiterhin abzunehmen, vor
meiner Auszeit im Fitness-Studio in „der Rührschüssel“. Das ist ein Gerät, das mit
Unterdruck arbeitet, ein Laufband mit Überbau. Man steigt hinein, eine Tür wird
geschlossen, so dass man nur noch mit dem Oberkörper herausschaut, das Laufband
wird eingeschaltet und während man läuft, saugt an Beinen, Bauch und Po das
Vakuum. Das soll die Fettpolster an diesen Stellen (drastisch!) reduzieren und ein
schönes Hautbild erzeugen. Ich war einmal (eine halbe Stunde) drin und hatte
danach 1 Kilo abgenommen! Das ist zum Einen sehr verführerisch: ratz-fatz! Wenn
ich den achtwöchigen Kurs absolviere, bin ich rank und schlank und all meine Hosen
passen mir wieder! Zum Andern geht mir das aber auch irgendwie zu schnell. Ob das
gut ist, so schnell so viel abzunehmen? Und ich hätte mich so festlegen und verplanen
müssen, denn ich hätte acht Wochen lang drei Mal pro Woche in diese Schüssel
gehen müssen. – Jetzt, wo ich das niederschreibe, erscheint es mir noch viel
aufgezwungener! Waren das wirklich acht Wochen?! – Kann ich mir gar nicht
vorstellen. – Gut, dass ich es nicht gemacht habe. Jetzt nicht. - Man sollte, wenn man
in diese Schüssel geht, am gleichen Tag hinterher keine Kohlehydrate mehr essen,
also kein Brot, keine Kartoffeln, Nudeln, Reis und so, sondern nur noch Gemüse,
mageres
Fleisch,
Fisch
oder
Magerquark,
eiweißhaltige
Nahrung,
weil
die
Fettverbrennung angeregt ist und, wenn man Kohlehydrate essen würde, dieser
Prozess wieder auf Null heruntergefahren würde. Das werde ich jetzt nach meinem
normalen Training immer machen: keine Kohlehydrate mehr essen. Ich warte einfach
mal ab bis März oder April und probiere dann ein paar Hosen aus meinem Schrank an.
Wenn ich mir dann nicht gefalle, kann ich ja immer noch in die Schüssel gehen. –
Aber ich gefalle mir ja jetzt schon!
Heute Mittag setzte ich mich an meinen Schreibtisch, lies den Computer erstmal
aus, sah aus dem Fenster in die strahlendweise Winterlandschaft und fragte mein
Herz und mein inneres Kind: „Was willst du machen?“ „Schreiben“, sagte mein inneres
Kind. Aber auch: „Aber nicht, wenn’s Dir Druck macht und Dich von was abhält, was
Du jetzt eigentlich eher tun willst. Es läuft ja nicht davon.“
163
„Bügeln? Hier, im sonnigen Bücherzimmer?“
„Au ja! Auch schön!“
Ich bügelte also. Das ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen: im Bücherzimmer
bügeln! Oder im Flur vor‘m Ofen, und die Katzen liegen drum herum. Das ist
irgendwie meditativ, dann bin ich ganz bei mir. Dann bin ich rundum glücklich.
Danach brachte ich den Müll raus. Anfang der Woche hat es geschneit, dicke 20 cm,
und jetzt ist es knacke-kalt und über die Schneedecke scheint tagsüber die Sonne.
Als ich am Kompost war, sah ich ein paar größere Kinder auf Papas Baumstück
Schlitten fahren und hörte sie juchzen und schreien, wenn sie den Hügel
herunterfuhren. Dann kochte ich. Chili con carne, eiweißhaltiges Essen ohne
Kohlehydrate, schon für nach dem Training … Und die ganze Zeit über war ich bei
mir. In Frieden und Glückseligkeit.
Den Kopf verlieren, Teil 2
Den äußeren Verstand durch stichhaltige Erklärungen befriedigen
ist gänzlich unmöglich.
St. Germain
Wie ist es eigentlich wirklich mit Dirk und mir? Die meiste Zeit über ist es doch so,
dass alles perfekt ist. Wir leben hier zusammen mit Michel; eine kleine Familie mit
drei Katzen. Wir sind bestens versorgt, haben es kuschelig warm; jeder hat Zeit, das
zu tun, was er möchte und außerdem haben wir uns in den nunmehr bald drei Jahren,
die wir zusammen sind, kontinuierlich und kraftvoll entwickelt, sind zusammen
gewachsen und haben jede Menge ausgemistet und aufgeräumt, im Haus, auf dem
Grundstück und in uns selbst. Wir vertrauen uns einander an und schaufeln die Liebe
frei. Wir haben jede Menge neu gestaltet, Reichtümer fließen uns zu und die meiste
Zeit leben wir hier in Frieden und Schönheit. So ist es.
Und das, was immer wieder hochkommt, an Verzweiflung und alten Mustern? Wenn
ich irgendwie bin, wenn ich in den Arm genommen werden will und das Gefühl habe,
dass ich gerade alles falsch mache und dadurch, wie ich es mache andauernd alles nur
schlimmer und schlimmer wird, einen ganzen Tag lang oder länger … wenn ich weiß,
dass ich doch einfach hingehen könnte zu Dirk, ihn in den Arm nehmen, dass er mich
164
dann auch halten wird, aber ich bin nur am klagen und leiden und will, dass er mich in
den Arm nimmt. Von sich aus. Und er tut es nicht und ich denke, dass er mich nicht
will und sich nichts um mich schert. … Und ich mache ihm Vorwürfe und er verteidigt
sich und ich fühle mich abgeschmettert und bekämpft. Und will doch nur Liebe. –
Was’n Scheiß! Mein Verstand ist dann am plappern und erzählt mir lauter Scheiß:
„Der liebt Dich nicht. Der kümmert sich nicht um Dich usw. usf.“ Und ich glaube ihm
und lass mich volllabern und folge nicht dem Weg meines Herzens, ja ich höre es gar
nicht. – Das Beste wäre dann, glaube ich immer, wenn ich mich einfach nur um mich
kümmern würde, in meinem Space bleiben würde. Ja! Ich mich um mich kümmern,
wenn er sich nicht um mich kümmert, etwas tun, was mit gut tut, und aufhören zu
jammern. Aber ich bin dann immer so abgrundtief verzweifelt und weiß nicht, wo ich
hin soll. … - Ich hätte das natürlich liebend gerne los! … - Aber wenn das so ist, dass
der plappernde Verstand nicht zu befriedigen oder eines Besseren zu belehren ist …
dass er immer wieder die alten Muster durchkaut …. - Vielleicht muss ich lernen,
anders damit umzugehen. Vielleicht ist es auch ein verkleideter Lehrmeister. … Ein
Segen, der als vermeintlich Negatives daherkommt. … … - Es ist verdammt hartnäckig! Herrjeminee! Mein Nacken ist seit … ? sechs
Wochen? total verspannt. Was sitzt mir denn da im Nacken? Wachsen die Flügel?
Soll ich mich davon befreien, mich von irgendjemandem abhängig zu machen? Ob
mich jemand sieht oder braucht, mich will oder gut behandelt? Sollte ich alles
Mürrisch-sein der Welt an mir abperlen lassen? Alles, in jeder Form, die schlechten
Nachrichten im Fernsehen und den fiese Möpp zuhause? – Das mit den Nachrichten
klappt in der Regel. Aber zuhause, mein Partner – an dem will ich doch meine Freude
haben!!
Seit es Januar ist, und der ist nun zur Hälfte um, ist dauernd irgendetwas. Dauernd
bin ich enttäuscht und finde, dass Dirk gemein zu mir ist. Und wenn ich was sage,
wird es immer nur noch schlimmer. Erst nach ein, zwei Tagen, können wir ruhig
miteinander reden, nähern uns wieder an, klären. Aber dann kommt kurz darauf
gleich das Nächste. Und läuft wieder nach dem gleichen Muster ab. … - Also mache
ich etwas falsch. Dirk kann nichts dafür. Der ist nur Mitspieler und folgt bereitwillig
und liebevoll meinen Regeln. Er reagiert auf mein Bewusstsein. … - Liebevoll!!! - Das
ist das Wort, was mir dabei immer im Kopf herumgeht: „Ich wünsche mir einen
Partner, der liebevoll ist!“
…-…-…Mit Michel ist es ähnlich. Der kommt anscheinend ins Trotzalter und kann ganz schön
zornig werden, wenn ihm etwas nicht passt. Oder er macht Spielchen beim Essen,
streckt die Zunge mit dem ganzen Essen darauf raus oder steckt seine kleinen
165
Fäuste in den vollen Mund. Wenn ich dann schimpfe und mich aufrege, treibt er’s nur
noch doller. Mich aufregen bringt gar nichts. Manchmal schreit er dann auch.
Kräftemessen, mich nachahmen. Schimpfen, mit ruhiger Konsequenz, hilft manchmal,
aber auch nicht immer. Bei seinem Papa funktioniert das immer, dem folgt Michel wie
ein Lämmchen, wenn er schimpft - bei mir nicht. Aber das ist eben so. Dirk ist anders
als ich und mit der Mama ist es anders als mit dem Papa. Wenn ich Michel von seinem
Zorn ablenke und freundlich und liebevoll mit ihm bin, ihm etwas zeige, die Vögel im
Vogelhäuschen oder etwas mit ihm spiele, dann ist am ehesten alles wieder gut. Wenn
ich mich aufrege und schimpfe, schaukele ich’s nur hoch. … Und so ist mir Michel ein
Lehrmeister für das mit Dirk. … Mein Kopf sagt hundert- und tausendmal: „Dirk ist
ein erwachsener Mann! Der muss doch in der Lage sein, von sich aus auf mich
zuzukommen und mich in die Arme zu nehmen!“ Mein Herz sieht aber, dass es so
nicht läuft und dass da auch nichts Schlimmes bei ist. Und dass Dirk genau das
wahrscheinlich extra für mich hat, damit ich das für mich Wichtige daran lerne. Und
davon abgesehen tut er es ja auch oft: auf mich zukommen und mich in den Arm
nehmen. Nur eben in aller Konsequenz gerade dann partout nicht, wenn ich meine,
dass er es jetzt aber unbedingt tun müsste!
So einfach ist das. Und so schwer tu ich mir damit.
Vielleicht haben wir auch einfach gerade eine nicht so gute Zeit und ich will das
fließende Wohlbehagen der vergangenen Wochen in meinem Eimerchen aufbewahren.
…-…
Sich selbst und andere liebhaben, glücklich und zufrieden sein, wenn alles im Lot ist,
wenn alles gut ist, das ist einfach. Sich nicht verrücktmachen lassen, wenn die Dinge
verquer laufen, ist die Herausforderung. „ In guten wie in schlechten Zeiten.“ „Wollt
Ihr Euch lieben und ehren“ oder wie heißt es? – Ich kann und will aber auch nicht
dauernd an unserer Beziehung arbeiten! (Dirk, vermute ich, auch nicht.) Manchmal
habe ich die Nase einfach voll, bin sauer wegen seines wieder und wieder Mürrischund abweisend-Seins und habe keine Lust mehr, mich zu ärgern oder zu streiten.
Dann sage ich nichts mehr, gebe keine Antwort auf irgendein Angeblaff … - vielleicht
hat er einfach Stress wegen unserer Renoviererei, da hängt wieder mal viel mehr
Arbeit dran, als wir so locker leicht im Vorfeld dachten - … ziehe mich innerlich
zurück, dreh‘ mich runter bzw. gehe weg vom Kampfherd oder wie soll ich das
ausdrücken? Und schaffe mir Ruhe- und Rückzugsräume für mich selbst. Dann mache
ich das, was ich auch wirklich machen wollte. Und das weiß ich dieser Tage ganz
genau. Meine innere Stimme spricht sehr deutlich, ruhig und zart, aber
unmissverständlich. - Wenn es nicht um Dirk geht. Vielleicht, weil ich mich da zu sehr
reinsteigere und sie nicht höre … oder nicht auf sie höre. - Und ich merke –
166
eigentlich genau in dem Augenblick, in dem ich’s tue – wenn ich dem, was sie sagt,
zuwiderhandle. Durch ein inneres Gefühl, und im Außen zeigt sich die Konsequenz
sogleich indem es komplizierter wird oder arbeitsaufwendiger oder es mir selbst
nicht mehr gut geht, mit dem, was ich mache, wie ich’s mache.
Also loslassen und mitgehen, mit dem was ist. Mich nicht widersetzen. Anerkennen,
was ist. Meinen kleinen Eimer nur zum Putzen verwenden.
…-…
Von wegen „erwachsener Mann“ habe ich gestern zwei Anekdoten gehört: Dirk fuhr
nachmittags in den Baumarkt, um noch Sachen für’s Renovieren zu besorgen. Unser
Wohnzimmer ist schon ganz leergeräumt und weil Michel in der Küche quengelig
wurde, zog ich ihm und mir die Jacken an und lies uns von Dirk mitnehmen zu Oma
und Opa. Er setzte uns dort ab und später nahm er uns wieder mit. Opa-Papa wird im
Februar 70. Er will das groß feiern und als wir gestern ankamen, war der Koch da, um
die Speisen für die Feier abzusprechen. Vorher wurde aber noch Kaffee getrunken
und über Gott und die Welt geredet. Den Aufhänger für die beiden folgenden
Geschichten stellt die Gegebenheit dar, dass der Koch ursprünglich aus Bisses
stammt, einem Dorf hier in der Gegend. Die Rede war auf Bisses gekommen. Papa
erzählte von einem Gedicht, das er kürzlich gelesen hatte, in dem Bisses vorkam. Er
stand auf, um eines seiner zig Bücher in oberhessischer Mundart zu holen. Als er
damit zurück kam, schlug er das an seinem Rücken mehrfach mit Tesafilm geflickte
Buch auf und las dem Koch besagtes Gedicht vor. Über manche Redewendungen und
über die Story an sich lachten sich beide währendem kringelig. Das Gedicht
handelte, soweit ich das verstanden habe, von einem Mann während der Heuernte. Er
hatte einen Hut. Dieser Hut war, glaube ich, in Bisses geflochten worden, erzählte
das Gedicht, und er setzte ihn nur zur Heuernte auf. Wenn der Mann also jenen Hut
trug, wussten alle, dass er nun ins Heu ging. An diesem Tag aber wehte eine frische
Brise, die wollte ihm den Hut beständig vom Kopf wehen. Der gute Mann musste
allerlei Verrenkungen seines Kopfes vollführen, damit der Hut auf demselben blieb.
Darüber kam er kaum zum Arbeiten. Zuerst mochte er das noch ganz possierlich
gefunden haben, aber mit der Zeit regte er sich darüber auf und geriet letztendlich
so in Rage, dass er sich den Hut vom Kopf riss, auf ihm herum trampelte wie
Rumpelstilzchen ums Feuer und ihn kurz und klein riss. … - Danach ging es dem Mann
besser und er hatte Kraft zum Arbeiten.
Der Koch gab daraufhin zum Besten, dass ein „echter Mann“ (aus Bisses?) einst
während der Heuernte seine Heugabel auf der Pressmaschine zerschlagen hatte, weil
diese keine ordentlichen Heuballen produzierte. Auf die Frage, ob es danach besser
gegangen sei, antwortete der Mann: „Nein, die Presse nicht, aber mir ging’s besser!“
167
… - … - … Offensichtlich gehen Männer mit ihrer Wut anders um als Frauen,
jedenfalls als ich. – Das Thema hatte ich doch schon! Die Erkenntnis war: Ich muss
keine Angst haben. Und so, wie die Thematik jetzt daherkommt, in diese witzigen
Geschichten verpackt, hat sich in mir anscheinend auch schon was gewandelt! …
Schubidu … ☺
Kurz nachdem ich hier eingezogen war, vor nunmehr zwanzig Jahren, hatte ich einen
Traum. Ich träumte von einem Mann, einem dunkelhaarigen, dunkel behaarten Mann.
Zuerst war er nackt, später trug er einen Tarnanzug der Bundeswehr. Dann war da
noch ein anderer Mann, ein blonder. Waren die beiden im Krieg? … Es war eher so ein
„Krieg auf Erden“, so in der Art, wie es ist … (- es ist und es ist nicht …). In dieser
Art, dass das Leben so verquer läuft, der Kampf des Lebens, dass vieles so ist, wie
wir es doch gar nicht haben wollten, wir kämpfen und haben „keine Zeit“ und dabei
sind wir hier doch auf einem so wunderbaren Planeten! Wir hasten herum und nehmen
seine Wunder nicht wahr. Wir verstümmeln uns selbst und unser Leben. Wir trennen
uns voneinander ab. Dabei ist dies doch ein Planet der Freuden, der Liebe, des
Lachens und Spielens, der Planet versorgt uns! Und wir machen irgendwie alles
kaputt,
indem
wir
das
alles
nicht
annehmen,
ja
verleugnen.
Männer
in
Militäruniformen – Sinnbild eines völlig verpatzten Daseins.
Ich weiß nicht mehr, ob der Blonde dem Dunklen den Kopf abschlug. Jedenfalls
wurde der geköpft und sein Kopf flog davon, in den Weltraum hinein. Er wurde zu
einem Mond oder zu einem neuen Planeten und ich hörte im Traum die Stille des
Universums. Ja, ich glaube, der Kopf wurde zu einem Mond, denn dann sah ich zwei
Marienkäferchen. Die liebten sich. Sie kopulierten und hoben sich als Silhouette ab
vor diesem großen neuen Mond und dabei hörte ich die Musik des Universums und das
war wunderschön und alles war gut.
…-…-…Was heißt das denn?
…-…-…Dass die Männer (die aus dem Ruder gelaufenen männlichen Muster) von sich aus,
ganz alleine und zu ihrer Zeit dorthin kommen? In den Frieden, in die Balance; die
168
Liebe und den Zauber des Daseins finden. Ich muss, kann und brauche nicht mit
ihnen kämpfen und nichts für sie erkämpfen. Mir keinen Kopf machen. Mir keinen
Stress machen. Nur vertrauen. Bei mir bleiben. Ich selbst sein.
„Gesunde“ Zwänge – Hinsehen, was wirklich ist
Letztendlich führen alle Flüsse und Seen zu dem Ozean,
in dem der Planet schwimmt und existiert.
(…)
Die Schönheit des Ganzen liegt darin,
dass alles von selbst geschieht.
Wir müssen nichts tun,
um dorthin zu gelangen.
Tatsächlich ist es so,
dass der Prozess um so schwieriger wird,
je mehr wir versuchen, ihn zu kontrollieren.
Paul Ferrini
Ich überlege, ob ich mir selbst einen Schreibstop verhängen soll für die Zeit des
Renovierens. Aber ich glaube, ich kann eher auf den Fluss der Dinge vertrauen und
darauf, dass alles zur rechten Zeit seinen Raum hat. Jetzt sitze ich ja auch hier und
schreibe, während Michel in seinem Bettchen liegt und schläft. Dabei dachte ich,
dass wir hier, zuhause, heute gar nicht sein können und hatte mich schon bei OmaMama angemeldet, dass wir uns dort aufhalten könnten, denn Dirk will im
Wohnzimmer Löcher bohren für neue Steckdosen und Kabelschlitze ziehen. Das gibt
Krach und Staub. Aber nun war er erst im Baumarkt und macht jetzt noch
Vorbereitungsarbeiten. Michel war früh wach und von Anfang an unausgeschlafen
und knorzelig heute Morgen. Frau Dornbusch von der Frühförderung war da, die
kommt jeden Montagmorgen um 9.30 Uhr, und als sie wieder weg war, habe ich
Michel gleich wieder zum Schlafen hingelegt. Für heute Nachmittag habe ich mich
mit einer ehemaligen Arbeitskollegin, die auch ein kleines Kind hat, verabredet.
Michel und ich fahren zum Kaffeetrinken hin.
Das Leben wird immer mehr so, dass ich den Eindruck habe, dass man gar nichts
mehr planen muss. Jedenfalls nichts Großartiges. Sowas wie die Verabredung treffen
für heute Mittag, ja. Das habe ich aber auch eben erst gemacht und nicht schon
vorgestern. Und ansonsten ergibt sich alles, wenn es soweit ist. Und zwar so, wie es
169
am allerbesten ist. Wenn man das vorher planen wollte, würde man sich erstens
Stress machen, „einen Kopf“, und etwas festlegen wollen, womit man die
Vollkommenheit begrenzen würde. Und dann klappt es nicht mehr, mit dem Fluss der
Dinge. Das Leben selbst macht alles bestens und wir wohnen dem bei.
Außerdem ist es so, dass, wenn etwas nicht klappt, es deshalb nicht klappt, weil
etwas Besseres kommt.
Und mit Dirk ist es, seitdem ich akzeptiert habe, dass wir eine schlechte Zeit haben,
wieder gut. Das ist auch so ein Ding! Da versucht man und macht und tut,
irgendetwas wieder hin zu bekommen, irgendwie mit den Dingen umzugehen … und
sobald man das, was ist, einfach vorbehaltlos annimmt, ist es wieder gut, dann löst es
sich. Es muss halt nur echt sein, die Annahme.
So. Jetzt werde ich mich den „gesunden Zwängen“ widmen: renovieren, Essen
vorbereiten und so weiter. – Über Norddeutschland waren „mysteriöse Lichter“ am
Himmel. Es wird vermutet, dass ein Meteorit in die Ostsee gestürzt ist. Aber wer
weiß, was das wirklich war? Wir beginnen zu leuchten! Vielleicht kommen auch andere
Leuchtende unseres Universums, um mit uns zu tanzen, zu essen, zu spielen … Joy to
the world! Auch wenn Weihnachten vorbei ist!
… Oder ich vertraue darauf, dass eh nichts zu schreiben ist dieser Tage. … Ich weiß
nicht … mir war nicht nach Schreiben, einige Tage lang. Aber in mir arbeitet etwas …
ich kann das nicht in Worte fassen. Ich kann es überhaupt kaum fassen. … Vielleicht
ist es so ähnlich, wie das, was hier im Haus geschieht: völlige Erneuerung
verschiedener Räume, Wohnzimmer und Küche, wo man sich aufhält und wo die
Speisen zubereitet werden. … Alles, aber wirklich alles, wird herausgerissen, wobei
Risse, Abnutzungen und Mängel zutage treten. – So fühle ich mich. Zurück kann ich
nicht. Will ich auch nicht. Und das Neue? Ich weiß noch nicht wirklich, wie’s geht.
Und ob ich das kann, hinbekomme, die Umsetzung (einfacher) Erkenntnisse im Alltag.
…
In dieser Befindlichkeit möchte ich jetzt gar nicht darüber schreiben, was hier
tagsüber geschieht. Ich möchte meinen Traum von letzter Nacht aufschreiben.
Zumal ich zweimal im passenden Moment wach wurde, damit er mir im Bewusstsein
blieb: Ich war in diesem neuen Haus, dieses große, geräumige, gut eingeräumte Haus.
170
Es stand wieder, oder immer noch, an dem Ort, an dem mein „wirkliches“ Haus auch
steht. Im „richtigen“ Leben. Am Ortsrand. Ich näherte mich dem Haus vom Ort her.
Das Haus ist zum Dorf hin durch Bäume und Büsche abgeschirmt. Da hingen viele
Wäschestücke in den Büschen, 60°-Grad-Wäsche, Geschirrtücher und Unterhosen,
Männerunterhosen, von Dirk. Eigentlich waren sie alle sauber, nur manches sah aus,
als solle es noch gewaschen werden. Ich hängte von der sauberen Wäsche soviel ich
tragen konnte ab und nahm es mit ins Haus. Dieses betrat ich wieder von hinten,
durch die absolut eigenständige und sehr komfortable Einliegerwohnung, oder was
das da hinten für ein Anhang ist. Diesmal sah es aus wie ein Tonstudio. Ich blieb in
einem Kabel hängen und zog eine Kompaktanlage vom Regal, die fiel halb herunter,
blieb dann aber hängen und am Stück zusammen und blieb heil. Ich öffnete die
Verbindungstür zum Haupthaus. Und merkte, dass da „etwas war“. Da war etwas, was
mir Angst machte. Dennoch trat ich ein in diese sehr geräumige Eingangshalle,
großzügig und sehr schön eingerichtet, mit Türen links und rechts, aber unbewohnt.
Hinter mir, linkerhand, das „weiß“ ich und ich spürte es, obwohl ich es nicht einsehen
konnte, geht es in ein oberes Stockwerk, in obere Räume, die auch sehr geräumig,
vielseitig, originell und genial sind, und die haben etwas mit meiner Schwester zu tun.
Sie hat da mal gewohnt … oder hat sie für sich in Anspruch genommen, obwohl es
mein Haus ist. … Die Rollläden in der Eingangshalle waren herunter gelassen. Dennoch
war genügend Licht da, dass ich vorne vor der Haustür ein Regal stehen sah, auf dem
viele
(Brett-
bzw.
Gesellschafts-)Spiele
standen.
–
Ich
habe
mir,
im
Wachbewusstsein gewünscht, zu spielen. Dass es wieder Menschen und Freunde in
meinem Leben gibt, mit denen ich nach Herzenslust spielen kann. – Ich machte mich
auf den Weg durch die Eingangshalle, um die Tür zu öffnen und die Rollläden
hochzufahren. Und ich merkte, dass von hinten jemand auf mich zukam. Das war ein
kleiner Mann, er hatte normale Proportionen, Kopf und Hände, war aber kleinwüchsig.
Ich nahm ihn bei der Hand und zog ihn zur Haustür hinaus. Ich wachte auf und mir
war ganz unheimlich zumute, wie nach einem Alptraum. Der Mann hat mir Angst
gemacht. … Er sah aber so aus, wie einer, den ich dieser Tage im Trailer eines Films
über neues menschliches Bewusstsein und den Aufstieg der Erde in die fünfte
Dimension gesehen habe, und der mir in diesem Film sehr sympathisch war. Und
warum war er so klein?
Michel war im Schlaf unruhig gewesen und lag quer im Bett. Ich legte ihn wieder
gerade hin und deckte ihn zu. Bei mir im Schlafzimmer ließ ich noch eine Weile das
Licht an, um mich zu beruhigen, hielt mein inneres Kind und bat um Hilfe, um
Unterstützung zur Klärung meiner Ängste oder um Annahme derselben und um die
Möglichkeit und den Mut, das Haus zu erkunden, zu entdecken, darin zu wohnen. …
Als Michel das nächste Mal greinte und ich wach wurde, hatte ich noch das Bild der
sonnendurchfluteten Eingangshalle in mir. Der Raum schien kleiner geworden, noch
immer geräumig, aber nicht mehr so großzügig eingerichtet, eher „nur“ Diele, nicht
171
schon Wohnraum. An den Fenstern, die die Haustür umrahmten, hingen weiße Stores,
durch die hell das Licht strahlte. Ich hatte das Gefühl von „Leben im Haus“ und von
Weiblichkeit, ganz geerdet. Das Regal mit den Spielen war weg (von der Haustür),
weil benutzt, vermute ich. Eine Frau stand an der Haustür, die Klinke noch in der
Hand, weil sie anscheinend gerade liebe, fröhliche Freunde verabschiedet hatte. Ich
stand mitten im Raum und wir sahen und lachten uns an. Sie trug einen Rock - und
eine Schürze? War sie meine Haushälterin? Freundin? Mitbewohnerin? Angezogen
war sie wie die Mutter von den Waltons. „Die Waltons“! Inbegriff für Geborgenheit,
Großfamilie, Zuhause, Zugehörigkeit, Alle für einen – Einer für alle, Liebe – und jeder
hat seine Individualität! Wertvoll und einfach. … Das war schön! Mir ging’s gut. Ich
war geheilt.
Wer wirklich unter’m Bett liegt
Was wir am nötigsten brauchen, ist ein Mensch,
(… oder ein Tier …)
der uns zwingt, das zu tun, was wir können.
Ralph Waldo Emerson
Manchmal habe ich nachts so irrationale Ängste. Manchmal werden sie durch äußere
Gegebenheiten ausgelöst und manchmal kommen sie einfach in mir hoch, indem dass
ich Alpträume habe. Neulich z.B. las ich einen Krimi, in dem auch von Jack the Ripper
die Rede war und davon, dass diese Fälle nie aufgeklärt wurden. Das wusste ich
vorher nicht und es weckte mein Interesse und meine Neugier. Ich recherchierte im
Internet und las Informationen nach. Dort war auch ein Foto eines seiner Opfer
abgedruckt: The long Liz. – Vor dieser langen Liz hatte ich dann einige Nächte lang
Angst. Ich dachte, sie läge unter meinem Bett und stünde hinter Michels Tür, wenn
ich nachts zu ihm ging, weil er unruhig war. Ein, zwei Mal musste ich Dirk wecken,
weil ich dachte, meine Angst nicht aushalten zu können und ich lies mich von ihm in
die Arme nehmen und beschützen.
Als ich den vorhergehenden Traum niedergeschrieben hatte, war es bald
Mitternacht und ich ging zu Bett. Ich überlegte – weil ich doch gerade in der Nacht
zuvor so mutig gewesen war, trotz bzw. mit meiner Angst, die Eingangshalle meines
neuen Hauses zu betreten – ob ich mich selbst, meine Seele, darum bitten sollte,
172
einer weiteren Angst gegenüberzutreten, an die ich mich erinnerte. Oder ob diese
erinnerte Angst im Grunde die gleiche war, der ich mich im neuen Haus gestellt
hatte. Ob überhaupt noch die Notwendigkeit bestand, diese alte Angst erneut
heraufzubeschwören: Vor einiger Zeit hatte ich von einem anderen Haus geträumt,
ein altes Gasthaus oder Hotel, das ich aus einem anderen früheren Traum her
kannte. Damals bargen seine Räume das blanke Entsetzen für mich. Schlimmer als
jeder Horrorfilm. Als ich nun wieder von diesem Haus träumte, meinte ich im Traum,
ich müsste in seine Räume vordringen, um nachzusehen, was wirklich dort ist, weil ich
mich nicht von meinen Ängsten beherrschen lassen will, sondern wissen will, was dort
wirklich ist. Aber ich brachte es vor lauter Grauen nicht über mich, die leere
Gaststube zu verlassen und den Flur zu betreten, geschweige denn die Zimmer. Ich
wachte auf und fürchtete mich wieder so sehr, dass ich mich kaum traute,
aufzustehen und zur Toilette zu gehen, obwohl ich dringend musste. … – Sollte ich
noch einmal in dieses Haus gehen? Oder löst es sich auf leichtere Weise? Habe ich
schon einen Teil gelöst, bin ich dabei, es zu (er-)lösen, indem ich mich meiner Angst
im neuen Haus stellte? … - Mit diesen Gedanken ging ich zu Bett und ein bisschen war
diese Angst dadurch bei mir. … Ich zog die Möglichkeit in Betracht, dass eine Hand
unter dem Bett hervorkommen und mich am Fußgelenk packen könnte. So schlimm,
dass ich mich auf den Boden legen und nachsehen musste, war es jedoch nicht. … Als ich das Licht ausknipsen wollte, raschelte es unter dem Bett. „Das kann nur eine
Katze sein …“, dachte ich, und als es wieder raschelte: „… oder?“ … Huah … ganz
dicht hinter meiner Hirnrinde hockten zahlreiche Ideen, bereit hervorzukommen, um
mir zu erzählen, was es noch alles sein könnte. … Man bedenke, dass auch gerade
Mitternacht war. … „Hallo, wer ist da?!“ fragte ich und wagte mich, über den
Bettrand zu spähen. Es raschelte noch einmal und dann streckte Flöckchen seinen
Kopf unter dem Bett hervor, unser schwarz-weißer Kater. Er kniff voller
Wohlbehagen seine Augen zusammen und machte: „Murr“. Dann legte er sich
schnurrend vor’s Bett und später, als ich schon am Einschlafen war, kam er ins Bett,
und ich lies ihn und war froh über die Lektion, die er mir beschert hatte. - Und
dankbar und begeistert über die spontane und liebevolle Antwort, die das Leben mir
wieder mal geschenkt hatte!
Die Angst ist nur meine Angst. Wenn ich hingehe und sie annehme, sehe ich, dass sie
nicht schlimm ist. Alles, was mir Angst macht, ist nur in meinem Kopf. In der
Wirklichkeit gibt es nichts Furchterregendes.
In der Wirklichkeit gibt es nur Wesen voller Liebe. Weil da jeder um die Liebe weiß.
In der Wirklichkeit.
…-…
173
Ich bin übrigens nicht schwanger. Obwohl einiges dafür sprach. Aber meine Periode
kam so zeitgenau, im ersten Drittel des Monats, dass es wohl nicht so gewesen ist.
Nun habe ich aber an meinem Geburtstag, am 28. Januar, schon wieder meine Tage
bekommen. Ganz azyklisch. – Vielleicht ist das die Weisheit meines Körpers, die mir
damit etwas sagen will: ein azyklischer Zyklus, mein Zyklus macht einen Sprung. Das
heißt: Ein Zyklus geht zuende! Etwas ganz Neues beginnt! In mir, in Dir, für die
ganze Erde. Es hört völlig auf. Und fängt völlig neu an. Das ist die einfache
Wahrheit. – Ich kann dazu nicht mehr sagen. Das macht mich ruhig, glücklich … es
berührt mich und macht mich völlig weit und frei.
Alles spirituelle Erwachen besteht aus der Hingabe an das, was ist.
Wir erwachen zu der Schönheit dessen, was bereits da ist.
Unserer eigenen tiefen Schönheit.
Der vollkommenen Schönheit des Geliebten.
Der grundlegenden Vollkommenheit des Lebens, wie es sich entfaltet.
Paul Ferrini
„Gesunde“ Zwänge, Teil 2
„Du bist immer noch zu ungeduldig. Hast du inzwischen nicht begriffen,
dass man nie das bekommt, was man sich nimmt, sondern nur das,
was einem geschenkt wird? Alles kommt zu dem, der warten kann.“
Hans Bemmann
Wir haben wieder mal Geldsorgen. - Scheiße! Ich dachte echt, wir bleiben nun
dauerhaft im Plus. Und jetzt … - Irgendwie fühle ich mich, als würde ich
feststecken. Oder eher so, als wäre gar kein Raum da. Ich hänge. Mein Nachbar, der
mich früher mit Techno terrorisiert hat, ist auch wieder präsent. Ich dachte schon,
er sei ausgezogen, weil ich ihn überhaupt nicht mehr wahrgenommen habe über
Wochen und Monate. Vergangenes Wochenende lag er wieder den ganzen Tag unter
und vor seinem und anderen Autos: hämmern, klopfen, Kompressorengebrumm.
Immer
auf
der
Straße,
vor
seiner
Garage,
direkt
unter
unserem
Wohnzimmerfenster. Und ich stehe wieder vor der Frage: „Soll ich Akzeptanz und
Toleranz üben oder soll ich mich wehren und abgrenzen?“ Ich bin wütend. Und traue
mich nicht, was zu machen. Darf der das überhaupt? Muss man sich das gefallen
lassen oder kann ich mal auf der Stadt anrufen, beim Ordnungsamt, fragen, ob ihm
174
die Auflage gemacht werden kann, sich eine Werkstatt zu suchen? … - … - Wie
früher. – So ein Scheiß! Ich dachte, ich hätte das hinter mir gelassen. … - Wer setzt
da wen unter Druck? Er mich? Ich mich selbst? Oder was ist? Kosmische „Zwänge“?
Oder gehe ich durch’s Nadelöhr? … Bin ich ein Kamel? Verstehe ich was nicht?
Jedenfalls ist es schon komisch, dass er gerade jetzt wieder auftaucht, wo ich
selbst nicht besonders ausgeglichen bin. … Sollte ich das einfach so hinnehmen, zur
Kenntnis nehmen? Ohne mich großartig zu echauffieren. … Desgleichen unseren
Kontostand?
Samstagabend habe ich, weil ich zu Sylvester nicht orakelt habe, anlässlich meines
Geburtstages letzte Woche, ein keltisches Kreuz gelegt. Für mein neues Lebensjahr
und für 2009. An meinem Geburtstag war eine so schöne Energie für mich. Das ist
immer so. An meinen Geburtstagen bin ich immer so behütet, in einem ganz
besonderen Space. Alles hat sich ganz leicht und ruhig auf natürliche Art und Weise
auf das Vollkommenste ergeben. Den ganzen Tag über. Ich habe gar nichts
dazugetan. Auf diese Energie hoffte ich auch in meinem keltischen Kreuz. Aber das
kam irgendwie ganz anders rüber. Seine Botschaft setzte mich unter Druck und
engte mich ein. Ich kann es auch irgendwie nicht ganz greifen, es ist irgendwie
konfus, unklar. Obwohl ich als zweite Karte, welche die Energien anzeigt, die die
Ausgangssituation kreuzen, das As der Kristalle liegen hatte, die „Klarheit“ (5). Aber
auch das Bild auf dieser Karte wirkte auf mich eher verworren als klar. Das
Gesamtbild des Kreuzes war überhaupt so: so viel, so vieles, aber tot irgendwie,
sinnlos oder erstarrt: Stierkampf, Achterbahn, Steinformationen, in denen nichts zu
erkennen ist. Dabei hatte ich so auf Leichtigkeit, Fließen, auf Wärme gehofft. Mit
der ersten Karte, die die Ausgangssituation zeigt, fing es schon an: Fünf der Welten
„Rückschlag“. Die wollte ich schon nicht. Aber da lag sie dann halt. Und dann ging es
so weiter, dass ich das Empfinden bekam … wie soll ich das ausdrücken? … Dass es in
3D nichts mehr zu finden gibt. In der äußeren Welt ist das nicht, worauf es
ankommt. … - Aber was ist dann mit: Man soll das Leben genießen? … - Oder stehe ich
gerade auf dem Schlauch? – Mir erschien das alles leblos, starr. … - Für mein Selbst
lag die „Fülle“. Da ist diese schwarze Frau in der Mitte. Ist das Kali, die schwarze
Göttin? Zerstörerin der Illusionen? Na, wenn’s so ist, das käme mir sehr gelegen,
denn auf dieser Karte ist dieses Viele, Sinnlose: Stierkampf, ein abstürzendes
Flugzeug, Achterbahn, Chaos …. Aber sie ist auch eine Karte der großen Arkana und
trägt die römische Ziffer X, was bedeutet, dass ein Zyklus zuende geht. Na dann … vielleicht doch nicht so schlecht. Zumal ich als zehnte Karte, die das Ergebnis, den
Ausgang und/oder Schlüssel anzeigt die XX. Karte der großen Arkana liegen hatte:
„Raum und Zeit“. Diese Karte sagt mir, dass ich immer zur rechten Zeit am rechten
Ort bin, dass alles gut und richtig ist und vollkommen im göttlichen Plan. Sie sagt mir
auch, dass sich meine Visionen erfüllen werden, dass ich an meine Vision glauben soll.
Eigentlich ist schon alles geschehen. Wir sind schon am Ziel, wir leben es nur
175
nochmal durch. … Diesen Eindruck habe ich manchmal beim Orakeln. Irgendeine
Instanz weiß schon Monate vorher, was geschieht. Und warum soll das nicht auch für
viel längere Zeiträume gelten?
Auf
dem
Platz
der
größten
Hoffnungen
und/oder
Befürchtungen
lag
die
„Negativität“, die Fünf der Kristalle. Die hat dieses Gefühl des Unbewegten,
Leblosen, Festgefahrenen und Starren noch verstärkt. Das macht mir Angst: dass
sich nichts mehr bewegt: immer der gleiche Kreis: Da ist schon wieder mein dreister
Nachbar, da ist schon wieder der Geldmangel. Aber! Jetzt kommt das Aber! Erst das
kleine, dann das große: Das Rumgewerkel meines Nachbarn an den Autos hat mich am
Samstag im Grunde überhaupt nicht gestört. Das war eher meine alte Wut. … - … Ich weiß nicht, ob das stimmt. Es stimmt und es stimmt nicht. … - Ich weiß immer
noch nicht, wie ich damit umgehen soll. Und ich verurteile mich immer noch dafür,
dass ich nicht handele, dass ich mich nicht traue und mich nicht wehre.
Das große Aber verlässt diesen Kreis: Ich habe heute eine E-Mail bekommen. Sie
erzählt von einem Sohn, der seinen Vater eines Tages fragte, ob er einen Marathon
mit ihm laufen würde. Der Vater sagte: „Ja“. Einige Zeit darauf fragte der Sohn
seinen Vater ein zweites Mal, ob er einen Marathon mit ihm laufen würde. Der Vater
sagte wieder: „Ja“. Und dann fragte der Sohn seinen Vater irgendwann, ob er einen
Iron-Man mit ihm bestreiten wolle. Der Vater antwortete wieder mit „Ja“. Dann ist
ein Link in der Mail zu einem youtube-Video. Das Lied heißt „My redeemer lives“ und
gezeigt werden der Sohn und der Vater, wie sie zusammen an dem Iron-Man
teilnehmen. Der Sohn ist spastisch gelähmt und der Vater läuft und fährt ihn dabei
im Rollstuhl vor sich her. Er schwimmt und zieht ihn im Schlauchboot mit. Dann trägt
er ihn zu ihrem Fahrrad, setzt ihn vorne hinein und fährt los. Und der Sohn ist total
glücklich. Die Menschen applaudieren ihnen, feuern sie an und manche beachten sie
auch gar nicht. Die zwei heißen Dick und Rick Hoyt. „Redeemer“ – ich habe es
nachgeschlagen – heißt „Erlöser“ und am Ende des Videos wird eine Bibelstelle
zitiert, Philipper 4, 13: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht,
Christus.“ (23) … - … - … - Das kam wieder vom Himmel, diese Mail. Ein Wunder
kommt den irdischen Weg daher. Angesichts dessen hat der Stand unseres Kontos
all seine Schrecken für mich verloren. Und das, was jemanden ausmacht, ist nicht
unbedingt das, … - … - wie soll ich das sagen? … – Auf mich angewandt: Vielleicht soll
ich meine Behinderung, mich nicht wehren zu können, einfach annehmen. Ich kann
nicht anders. Und doch kann ich alles erreichen.
…-…-…Auf der Karte „Rückschlag“ sind diese leeren Felsenhäuser abgebildet. Ich weiß im
Moment nicht, wie das Volk heißt, das dort gelebt hat. Sie haben ihre Häuser
176
verlassen. Sie sind aufgestiegen. Mir kam beim Anblick dieser leeren Häuser der
Gedanke, dass auch wir 3D verlassen. Wir verlassen die dritte Dimension. Deshalb
gibt es da auch nichts mehr zu finden, keine Erfüllung mehr, keinen Sinn. … - Die drei
Karten, die ich zur Ergänzung des keltischen Kreuzes zog, für das, was neu hinzu
kommen will, waren: As der Kelche „Ekstase“, die große Arkana Nummer VIII
„Ausgleich“
und
die
Fünf
der
Stäbe
„Unterdrückung“.
–
„Ekstase“
-
ja!
„Unterdrückung“ – wie schrecklich! Nein! – Sagt mein Verstand. Aber dahinter
verbirgt sich womöglich eine tiefere Weisheit. Wieder im Sinne von: Das Schwere
gehört auch dazu. Es will auch mit. Es will nicht zurückgelassen werden. Die Karte
des Ausgleichs in der Mitte erzeugt in mir folgendes Bild: Das Schwere ist schwer,
ja. Es hat uns lange Zeit auf einer Seite gehalten. Aber jetzt kommt die Leichtigkeit
ins Fließen und wiegt die Schwere auf. Es ist in Balance und: Auf einmal macht es
SCHWUPP – und wir sind auf der anderen Seite! „Ekstase“! Vielleicht ist es sogar so,
dass die Ekstase die Schwere braucht, so wie das Wasser den Felsen, um sich
ekstatisch über ihn als Wasserfall in die Tiefe zu stürzen. Je gewaltiger der Felsen,
umso größer die Freude, die Lust und das Entzücken! Ja! So könnte es sein.
…-…-…Heute, nachdem ich mir gestern Vorhergehendes erarbeitet habe, kam noch ein
Wunder durch meinen Computer als E-Mail herangeswitscht: Uta hat ihre Maya-Post
zur beginnenden Eb-Welle geschickt und die enthält folgende beduinische Weisheit:
„Die Wege der Weisheit führen durch die Wüste.“
Aha! Die Wüste ist sowohl auf der Karte des „Rückschlags“ als auch auf der Karte
der „Klarheit“ abgebildet. Ich bin ohnehin schon ganz versöhnt mit meinem
Keltischen-Kreuz-Orakel. Schon seit gestern. Nach dieser E-Mail erscheint es mir
geradezu ein Geschenk und eine besondere Ehrerbietung meiner inneren Weisheit zu
sein. Zumal der Mail dieses anhing:
Quellen entdecken
Immer aus dem Vollen schöpfen? Geht das?
Wenn der Brunnen leer ist, was dann?
Dann geh durch die Wüste
zum nächsten Brunnen.
Oder grabe mit deinen eigenen Händen.
Grabe dich durch,
bis du wieder auf Quellen stößt.
Da sind Quellen.
177
In dir,
in deiner Umgebung,
unter dem Geröll.
Gib dich nicht geschlagen.
Aber bleib nicht stehn mit leeren Händen.
Nur einer braucht dich mit leeren Händen: Gott.
Die anderen brauchen deine Fülle.
Michael Graff
Vor zwei Wochen ungefähr war ich bei meinem Arbeitgeber zum Frühstück
eingeladen. Der Kindergarten, in dem ich kurz bevor ich mit Michel schwanger wurde,
neu angefangen hatte, ist eine Elterninitiative und die vier Frauen vom Vorstand
hatten mich eingeladen. Zum Jahresanfang hatte ich ihnen einen Brief geschickt und
darum gebeten, meine Elternzeit bis zu Michels drittem Geburtstag ausdehnen zu
dürfen. Ursprünglich wollte ich mir ein paar Monate davon aufheben für die Zeit,
wenn Michel in die Schule kommt. Nach Weihnachten aber fing meine Mutter bei
einem Kaffeplausch damit an, wann ich denn wieder arbeiten gehen wolle bzw. ich
müsste dann ja auch wieder mal arbeiten gehen. Sie wäre ja auch noch da, sie könnte
dann ja Michel nehmen … - … - … - Z.Zt. sagt sie ganz schön oft „ Nein“, wenn ich sie
diesbezüglich frage, da hat sie immer was anderes zu tun. Ist ja auch in Ordnung,
wenn sie sich abgrenzt und auf ihre Bedürfnisse achtet. Bei dem Gespräch über
meine Arbeit fühlte ich mich aber unbehaglich, fast schon wieder fremdbestimmt,
da wollten andere mir sagen, was ich wie zu machen hatte. Aber – von wegen
„gesunde Zwänge“! – dieses Gespräch regte mich dazu an, selbst die Verantwortung
für meine Belange zu übernehmen. Ich lauschte auf mein Unbehagen und das sagte
mir, dass mich die Vorstellung, diesen Sommer wieder arbeiten zu gehen, unter
Druck setzt. Nee! Das will ich nicht. Also schrieb ich besagten Brief an meine
Arbeitgeber und wurde daraufhin von ihnen eingeladen. Die fanden es gut, dass ich
diese Sache zum Jahresbeginn angesprochen und geklärt hatte. So wissen die
jetzigen Erzieherinnen, die in Vertretung da sind, dass sie ein Jahr länger bleiben,
und können gezielter planen.
Wir redeten während des Frühstücks einfach darüber, was sein könnte, ohne
irgendetwas fest zu machen, und das eröffnete auch mir ganz neue Perspektiven. Ich
muss da nicht wieder mit 30 Stunden einsteigen. Ich könnte auch 20, lieber 15
178
Stunden die Woche arbeiten. Ich wäre dann auch nicht mehr die erste
Ansprechpartnerin für die Eltern, diese Position könnte die Vertretung behalten, so
sie das möchte, die zwei, welche die 30-Stunden-Stellen inne haben. - Das würde mir
viel mehr entsprechen. Die Rolle der Leitung war nicht mein Ding. Das setzte mich
auch unter Druck. … - Schön. Ja. Das kann ich mir gut vorstellen. Dann kann arbeiten
richtig Spaß machen. Danke für diese Entwicklung!
Chaos in Laos – äh, in Borsdorf
Habe Geduld gegen alles Ungelöste in deinem Herzen und versuche,
die Fragen selbst lieb zuhaben, wie verschlossene Stuben und wie Bücher,
die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Forsche jetzt nicht nach den Antworten, die dir nicht gegeben werden können,
weil du sie nicht leben kannst. Und es handelt sich darum, alles zu leben.
Lebe jetzt die Fragen. Vielleicht lebst du dann allmählich,
eines fernen Tages, in die Antwort hinein.
Rainer Maria Rilke
Jetzt ist es Februar. Papa wird am 15. siebzig Jahre alt. Das wird ein großes Fest, er
hat mehr als hundert Leute eingeladen.
Wir, seine Kinder, Enkel- und Schwiegerkinder haben an runden Geburtstagen, wenn
sie so groß gefeiert wurden, die letzten Jahre immer etwas aufgeführt, manchmal
auch noch mit Verstärkung aus der weiteren Verwandtschaft. Irgendetwas mit Musik
und wir haben dann was Lustiges dazu gemacht. Das hat Spaß gemacht und ist bei
den Jubilaren und Gästen immer gut angekommen.
Diesmal hängt es irgendwie. Es will nicht klappen. Ja, heute, als wir uns zum Proben
treffen wollten, kam es regelrecht zur Eskalation. Schon neulich, vor zwei Wochen,
als wir in einem Kostümverleih nach geeigneten Kostümen sahen, eskalierte es zwischen Dirk und mir. Inwieweit die anderen Beteiligten an diesem Tag auch Stress
untereinander hatten kann ich nur ahnen, weil Dani, meine Schwester, die mit uns im
Auto mitfuhr, auf unser Uns-gegenseitig-anschreien sagte: „Bei Euch herrscht ja
genauso eine Stimmung wie bei uns.“ – Dirk war mit über hundert Sachen in einen Ort
reingebrettert, weil er Thomas im Wagen vor uns einholen wollte und machte keine
Anstalten, abzubremsen. Ich sagte: „Wir sind hier in einem Ort.“ Ein paar Kilometer
weiter preschte er in einem Waldstück mit einem Affenzahn auf eine enge Kurve zu.
179
Und er kannte die Strecke überhaupt nicht. Ich bekam Angst, sah uns schon aus der
Kurve fliegen und rief: „Brems‘ doch ab! Du kennst doch die Strecke gar nicht!“ Da
schrie er mich an, was ich eigentlich von ihm wolle. Und ich schrie zurück, dass ich
Angst hätte und dass er nicht fahren solle wie eine gesengte Sau. Diese Worte
benutzte ich, glaube ich, nicht, aber wir haben uns voll angeblafft, und als er kurz
darauf auch noch ungebremst und ohne zu schauen über eine Kreuzung heizte, war
überhaupt nichts mehr zu retten. … - Das war aber auch blöd von ihm! Oder? … - … Und wir hätten in diesem Verleih gar keine Kostüme mehr anzuprobieren brauchen,
denn wenn etwas im Vorfeld schon so schiefläuft, dann soll doch da irgendwas nicht
sein, oder?
Heute hatten wir uns um 17.00 Uhr verabredet um zu proben. Wir wollten Can Can
tanzen auf dem Geburtstag und vorher in Mönchskutten einlaufen. Dani hatte mir
nachmittags schon eine sms geschickt, dass Sven, mein Neffe, noch nicht wisse, ob
er um 17.00 Uhr zuhause sei und sie wolle uns anrufen, wenn er da wäre. Wir fuhren
dann aber trotzdem zur vereinbarten Zeit hin, einfach um auch mal Oma und Opa zu
besuchen, und weil wir dachten: „Sven wird dann schon bald kommen. Wir sind ja
verabredet.“ … Er kam aber nicht. Ich saß bei Dani und wir redeten darüber, dass
dieses Mal irgendwie keine besondere Inspiration dahintersteckt. Keiner hatte so
richtig Lust, wir folgten eher einer Erwartung, vielleicht auch unseren eigenen
Ansprüchen, und Dani sagte, sie wolle nicht mehr das tun was von ihr erwartet
würde, das habe sie lange genug gemacht. … Finde ich gut, dass sie das sagt.
Sven war um 18.00 Uhr immer noch nicht da und sein Vater Thomas rief ihn an, um zu
hören, wo er sei und wann er komme. Sven war bei Freunden, Computer-Spielen. Da
wurde Thomas wütend. Er ging dann zu Marie, Svens Schwester, und fragte, ob sie
für uns die Can-Can-Musik auf ihren Laptop laden und abspielen könne. Sven und
Marie wollen/sollen doch auch mittanzen und Svens Freundin Leila auch. … - Leila ist
aber heute sowieso auch krank. … - … - Das Nächste war, dass wir, Dani, Thomas,
Dirk und ich, im Büro der beiden standen und Dani Thomas fragte, warum Marie in
ihrem Zimmer säße und heule. Thomas erzählte von seiner Anfrage, die er wohl
zweimal an Marie gerichtet hat, und dass Marie in keinster Weise darauf reagiert
habe. Da hat er sie dann wohl zusammengeschissen. … - Daraufhin wurde Dani sauer,
er müsse auf Marie ein bisschen Rücksicht nehmen, sie schreibe doch gerade an
einem Sportreferat. Und dann verteidigte sich Thomas wieder, immer sei er „der
Depp“. Dani wollte dann mit Thomas „überhaupt nichts mehr machen“- „Mit Dir mach‘
ich nichts!“ … - … - … - Naja. Die Sache wurde irgendwie nicht besser. Sie fuhr sich
ziemlich fest. Wir verblieben dann so, dass wir keinen Can Can tanzen und dem
Kostümverleih wieder absagen und dass wir uns Samstagabend nochmal treffen –
vielleicht. Wir wollen vorher nochmal telefonieren. Dann könnten wir ja Pizza
bestellen und erstmal zusammen essen, das erdet und stimmt vielleicht versöhnlich
180
und ausgleichend, und wir können dann noch mal bereden, was oder ob wir überhaupt
etwas machen wollen.
„Gut“, dachte ich, und ging zu Oma und Opa, bei denen Michel derweil geblieben war.
(Dani, Thomas, Sven, Marie, Opa und Oma wohnen alle im gleichen Haus, in
getrennten Etagen.) Ich sagte, dass es diesmal vielleicht nichts würde mit unserem
Auftritt, und dass sie nicht enttäuscht sein sollten. Oma sagte: „Ooch! Das könnt ihr
doch nicht machen. Macht doch was!“ Und Opa sagte (aufgebracht): „Dann mache ich
für Euch auch nichts mehr! Nie wieder!“ … - … - Toll, oder?! Familie Hesselbach live.
… - … - Das mit dem „Nie wieder!“ kenne ich. Das haben wir früher als Kinder gesagt,
wenn wir Streit hatten: „Du bist ja so gemein! Mit dir spiele ich nie wieder!“ Dann ist
die Beleidigte abgerauscht, nachhause, tief gekränkt. Aber am nächsten Tag war’s
meistens wieder gut und vergessen.
Hoffentlich muss ich dieses Kapitel hier nicht wieder löschen, weil die Benannten das
so nicht lesen wollen. Eij! – Das könnten auch Dirk und ich sein! Und jeder beliebige
andere auch. Dirk und ich sind oft so, siehe Fahrt zum Kostümverleih. Diesmal seid’s
eben Ihr. Es ist so schön illustrativ! So sind wir Menschen eben. Dabei will doch
jeder nur Liebe. Und so verhalten sich dann unsere inneren Kinder, wenn sie sich
nicht anerkannt und geliebt fühlen.
Ich selbst war während der ganzen beschriebenen Vorkommnisse innerlich im
Bewerten und am Position-beziehen. Ich schlug mich auf Thomas‘ Seite. Ich finde, er
hat keinen leichten Stand und für ihn hatte ich Verständnis, für die anderen eher
nicht. Ich fand, dass Thomas recht hat und konnte seinen Unmut durchaus
verstehen. … Und auf Papas Reaktion hin verging dann auch mir noch die Lust auf
Auftritt. Ich habe im Internet ein Orakel befragt, wegen dieses ganzen KrempelKrams, ob wir noch was machen sollen oder lieber nicht. Das Orakel sagte, es sei
alles im Fluss und ich könne mich entspannen. Desweiteren wies es mich darauf hin,
dass ich zunächst einmal Mitgefühl entwickeln solle. … - Gerade da fing Michel an zu
weinen. Der sollte eigentlich schlafen und ich ging hoch und er trank noch einmal eine
Viertelstunde lang an seinem Fläschchen. … Diese Viertelstunde bei meinem Kind am
Bett war sehr heilsam für mich. Ich gab meinen Widerstand auf und konnte
Mitgefühl für alle Beteiligten empfinden. Das hat mich losgelöst und frei gemacht.
Und ein Satz aus Utas Maya-Post fiel mir ein: mir erlauben, nichts zu wissen, leer zu
sein. … - Das Orakel, das ich als Michel wieder eingeschlafen war, noch einmal fragte,
sagte zum zweiten Mal: „Es ist alles im Fluss. Du kannst dich entspannen.“
181
Und dann hat man’s auch noch eilig
Über die Rennerei
Sieh deine Getriebenheit mit Gelassenheit an,
Und du erkennst die Nutzlosigkeit der ganzen Rennerei.
Lass alle Sorgen in innerer Stille los,
Und du merkst, wie im Genuss dieser Stille
alles andere unwichtig wird.
Hung Ying-Ming
„Familie Hesselbach“ war gestern. Heute Morgen hatte ich einen Arzt-Termin. Und
danach war ich mit Michel zum Frühstücken eingeladen. Ich bekomme diese Woche
jeden Tag Reizstrom auf meinen verspannten Engels-Flügel-Nacken und danach
Spritzen.
Wegen der Einladung zum Frühstück habe ich heute Morgen extra einen frühen
Termin genommen in der Arztpraxis. Ich nehme es gleich vorweg: Ich musste ewig
warten und zu besagtem Frühstück kamen wir um halb zwölf.
Aber ich möchte hier etwas anderes erzählen: Auf der Hinfahrt zur Praxis zuckelte
ich auf dem letzten Kilometer hinter einem Pkw her und wurde dabei ungeduldig. Der
fuhr so, dass ich nicht wusste, ob ich im dritten oder im vierten Gang fahren sollte,
außerorts, bzw. im zweiten oder dritten im Ort. Kurz vor der Straße, in die ich nach
links abbiegen musste, lenkte der Fahrer vor mir seinen Wagen ganz an den rechten
Fahrbahnrand und fuhr nur noch in Schrittgeschwindigkeit. Ich wollte gerade den
Blinker setzen und links an ihm vorbei abbiegen, als er wieder in die Straßenmitte
rollte und seinerseits blinkte und abbog. Ich zockelte hinterher. Da blieb er plötzlich
stehen. Einfach so, mitten auf der Straße. Ich musste auch stehenbleiben. Dann lies
er sich zurückrollen, wieder einfach so, und mich ergriff Panik, ich hörte schon das
Geräusch von Autoblech, das auf Autoblech trifft. In dem Wagen vor mir saß ein
alter Mann und er blickte einfach geradeaus, er sah mich nicht. Ich fummelte über’s
Lenkrad, um die Hupe zu betätigen, aber die erwischte ich in meiner Aufregung
nicht. Ich lies mich meinerseits ein Stück zurückrollen und stand schon fast wieder
auf der Bundesstraße. Ich schrie und rief, irgendwas von: „Hej! Achtung! Pass auf!
Hast Du sie noch alle?!“ und fuchtelte mit meiner Hand vor meinem Gesicht auf und
ab. Diese Gefuchtele drang dann wohl in das Gesichtsfeld des Mannes. Er drehte den
Kopf und sah mich an, rollte noch ein Stück und kam zum Stehen. Puh! Haarscharf.
Mein Adrenalinhaushalt war in Wallung. Ich setzte mein Auto in Bewegung, um von
der Bundesstraße runterzukommen, fuhr die paar verbleibenden Meter und parkte
182
vor
der
Arztpraxis.
Der
Mann
fuhr
mir
hinterher,
parkte
auf
der
gegenüberliegenden Straßenseite und stieg ebenfalls aus. „Is‘ ja nix passiert“, sagte
er. Und ich: „Ja, Gott sei Dank! - Sie müssen mal besser gucken!“ fügte ich noch
hinzu, ein bisschen ärgerlich, weil ich meinte, so müsse ich ja nun auftreten. Aber
eigentlich hatte ich den vagen Impuls, zu ihm rüberzugehen, über die Straße, und ihn
zu umarmen oder sowas. Zu lachen, ihm auf die Schulter zu klopfen. Ich fand ihn so
liebenswert, wie er da stand. Er sagte noch, dass er nicht geschaut habe, weil ja
nichts hinter ihm gewesen sei. Und ich machte „Hm“ und nickte leicht und ging dann
zur Praxis. Während ich die Treppe zum Garten hochstieg, fiel mir ein: „Ich war da
doch, hinter Dir!“ – Mir fallen so Antworten nie ein, wenn das Thema aktuell ist,
immer erst später. –
Dann musste ich im Wartezimmer ewig lange warten. Als Leute drankamen, die nach
mir gekommen waren, fragte ich mal nach. Das Stromgerät würde gleich frei werden,
bekam ich zur Antwort. Als ich mich wieder ins Wartezimmer setzte, diesmal auf die
andere Seite des Raumes, sah ich an der Pinnwand einen Zettel hängen, auf dem um
Verständnis dafür gebeten wurde, wenn Leute, die später gekommen waren, eher
drankamen, weil die Behandlung auch organisatorischen Gesichtspunkten folge.
Auf der Heimfahrt überlegte ich, was die Geschehnisse des Vormittags für mich
bedeuten könnten. Vielleicht ist es so: Da fährt das Alte vor mir her, die alte
Energie, und ich will unbedingt vorbei, ins Neue! Ich will da jetzt endlich sein und das
Alte hinter mir lassen! Ich sollte dem Alten aber seine Zeit lassen, die Zeit, die es
braucht, es auf seine Art und Weise zu tun, und in seinem Tempo anzukommen, es
nicht drängen, weil es dadurch auch nicht schneller geht, im Gegenteil schwöre ich
dadurch noch Karambolagen und Gefahren herauf. Ich sollte auch nicht überholen
und einfach davonpreschen, weil, wenn man das Alte trifft, das zu einer angenehmen
Begegnung werden kann. – Ich habe darum gebeten, die Engel, dass ich diesen alten
Mann noch einmal treffen darf, um mich bei ihm zu entschuldigen, dass ich so kurz
angebunden war, als er anhielt und mit mir über den Vorfall reden wollte, und dass
ich ihm vorher das Balla-balla-Zeichen an den Kopf geschmissen habe. … Dennoch ist
alles in Ordnung, so wie es war, denn wenn ich nicht so herumgefuchtelt hätte, wäre
er mir vielleicht doch noch ins Auto gerollt.
183
Ich wollte die Tarotkarten von meinem Keltischen-Kreuz-Orakel wieder ins
Kartendeck einmischen. Dabei lachte mich dieses As der Kristalle so an, dass ich die
13 Karten noch einmal vor mir ausbreitete. Sie sehen jetzt ganz anderes aus als vor
einigen Tagen! So vielversprechend und freundlich. Selbst die Negativität sieht
freundlich aus. Es ist auch nichts Sinnloses mehr dabei. Alles gehört dazu und das
Eine baut auf dem Anderen auf. Es ist total kraftvoll und klar. Es geht darum, bei
mir zu bleiben. Das ist alles.
Endzeit
Sich mitten in der Endzeit zu befinden würde fast jeden einschüchtern!
Karen Bishop
Die letzten Tage waren schrecklich. Einfach nur schrecklich! Heute ist alles anders.
Aber über etliche Tage war ich … - ja – wo war ich? In der Hölle, am kämpfen, im
Krieg. Ich habe auch, zufällig (?), auf youtube Videos aus „Hair“ gesehen und gehört:
„Let the sunshine in“, in dem gezeigt wird, wie der Hippie Berger anstelle seines
Freundes in den Krieg zieht und dort sein Leben lässt. … - Ich hatte auch irgendwie
Angst um mein Leben, in gewisser Weise, … - dass ich es nicht schaffe, dass ich
irgendetwas so entscheidend falsch mache, dass ich es einfach nicht schaffe. Auf
ewig bleibe ich im Alten hängen. Alle steigen auf, nur ich nicht. Weil ich’s nicht
raffe. Weil ich mich nicht vom Alten lösen kann und grolle und grolle und leide und
leide und mir immer wieder das Gleiche inszeniere. … - Mit Dirk: die Hölle letzte
Woche. Er: „Ich ziehe aus! Und Michel nehme ich mit! “ … - Da hatte er getrunken.
Und ich habe ihm das alles auch nicht wirklich geglaubt, aber ich bin dennoch drauf
gesprungen und wir haben gekämpft … - und ich habe gelitten … – bestialisch. … Immer wissend, dass ich etwas falsch mache. Aber ich konnte nicht anders. … - Ich
fragte mich auch, ob ich masochistische Züge an mir habe, dass ich mir das antue,
mir von Dirk sowas anzuhören. Und immer wieder war die Frage in mir: Was soll ich
tun? Im Sinne von: Soll ich mich trennen? Wäre das besser? … - Zwischendurch
kamen Tag für Tag stetig und beharrlich die absolut passenden Texte über’s
Internet zu mir. Das half mir auch über das Gröbste hinweg. Aber raus aus dem
Schmerz kam ich nicht wirklich. Tagelang nicht. Ich fühlte mich, als sei ich gegen
einen Zug gelaufen. Total zu im Kopf. Und im Körper. Ganzkörperliche Stauung. … - …
- Mein Spiegelbild war Dirk, der hielt mir das schön deutlich vor Augen. Der war
genauso … - Und es ging dauernd weiter mit ihm, mit uns, der Kampf. Totale Patt-
184
Situation. Wenn es mal ein bisschen besser war, wurde es am nächsten Tag wieder
schlimm.
Papas Geburtstag war zwischenzeitlich auch. Wir hatten – vielleicht habt Ihr es
Euch schon gedacht – keinen Auftritt. Aber von wegen Negativität: Auch hier war ja
großer Krach und Aufruhr, während wir uns bemühten, einen Auftritt zu
organisieren. Und wir haben es einfach nicht hinbekommen, das Alte, es so zu
machen wie sonst immer, wie früher. Ich habe für Papa eine Karte geschrieben, die
ich an sein Geschenk klebte, herzliche Glückwünsche und ein Gedicht mit Fotos von
Michel. Unter die Glückwünsche schrieb ich noch, dass es mir leid tut, dass wir
dieses Mal keinen Auftritt hingekriegt haben und dass das einzig an uns lag und mit
ihm nichts zu tun hat. Ich habe geschrieben, dass wir ihn gern haben und ihn
schätzen: „Das ist so. Auch ohne Auftritt.“ Und dass ich es schön finde, dass er mein
Papa ist. … - Gestern brachte ich Michel über Mittag zu meinen Eltern. Da hatte Papa
die Karte gerade gelesen. Ich glaube, er war sehr berührt und ich habe gemerkt, wie
sehr er sich gefreut hat. … - Und so ist das Resultat dieses ganzen Prozesses am
Ende nur Liebe und Einfachheit. Und Schönheit. Ohne Stress und Schnickschnack. …
– Das muss nun nicht heißen, dass wir nie wieder auftreten. Wenn uns danach ist,
machen wir vielleicht was, wenn Mama 70 wird, nächstes Jahr im Sommer. Oder zu
Thomas‘ 50tem. Macht ja auch Spaß. Aber so, wie es diesmal war, ist es auch gut,
zumal dieses schöne Geschenk daraus wurde für mich und Papa, schlicht und doch
grandios. Wer hätte das gedacht, neulich – in Laos – äh, in Borsdorf. Und Papa hatte
auch ohne unseren Auftritt einen echten Knaller-Geburtstag. Da waren viele Andere,
die schöne Sachen gemacht haben. Genial waren die! Manche haben so schön und
schlicht gesprochen. Und manche haben fabelhafte Dinge vorgeführt. Superklasse!
Was alles in den Leuten steckt ist beachtlich! Papa war ganz aus dem Häuschen vor
lauter Glück und Rührung. Hat er auch verdient.
Meiner Mutter möchte ich das auch mal sagen, dass ich sie schätze und lieb habe.
Bei meinem Vater tu ich mir damit irgendwie leichter. By the way, da fällt mir ein:
Etwas ist anders, mit Mama und mir, verändert sich. Sie hat am Telefon „Schatz“ zu
mir gesagt. Ich glaube, das war das erste Mal. Und als sie mir zum Geburtstag
gratulierte, hielt sie mich lange im Arm. Außerdem verändert sich etwas an unserer
Kommunikation. Ich kann „normaler“ mit ihr reden. Ich bin nicht mehr dauernd so in
Hab-acht-Stellung, dass ich mich ständig fremdbestimmt und kleingemacht von ihr
fühle. Ich erzähle ihr mittlerweile ganz normale Dinge, was wir machen z.B., das habe
ich über lange, lange Zeit nicht getan. Ich hatte das irgendwann im Teenie-Alter
aufgegeben, weil meine Mutter bei allem, was ich ihr erzählte, z.B. Begebenheiten
mit anderen Menschen in der Schule, mich jedesmal dazu aufforderte, die Anderen
zu verstehen. Sie vertrat stets die Anderen und deren Standpunkte und meine
Sichtweisen waren die, welche von ihr in Frage gestellt wurden. Sei hielt mir immer
185
Andere zum Vorbild. Aber das erzählte ich ja bereits. Auf mich wirkte das lähmend
und beschämend. … - … - Ich lass‘ das jetzt so stehen, ohne weitere Analysen oder
Auseinandersetzung.
Zwischendurch
Abends. Ich lese ein bisschen Korrektur, weil ich das Gefühl habe, dass ich gerade
nicht kreativ schreiben kann. … - Ist ja witzig, wie ich mir oft selbst die ganzen
Antworten gebe! Dauernd geschieht das, scheint mir. Ich schreibe meine Gedanken
und Erkenntnisse auf und dann, in der Zeit, die folgt, spielt sich etwas ab, in dem ich
genau das, was ich vorher aufgeschrieben habe, wunderbar anwenden könnte. Nur
kann ich dann (komischerweise) mit meinen vorherigen Einsichten nicht viel anfangen.
Ich muss sie erst wiederfinden irgendwie, auf einer anderen Ebene. Im täglichen
Leben. Wenn ich im Drama bin. Es anwenden. … - Gar nicht so einfach. … - „Es ist
einfach, aber nicht leicht.“ Wer das gesagt hat, erzähle ich dann. Ja, so ist es wohl
mit der Umsetzung vieler universaler Weisheiten. Sie sind so einfach! Und wir tun
uns oft so schwer damit. Aber manchmal es ist auch ganz leicht! Und vor allem ist
das Leben einfach genial!
Ach ja: Da war ein Dachs in unserem Hof, nachts. Ich wurde wach durch Geräusche
im Hof, stand auf und sah aus dem Fenster. Da lief ein recht großes Tier quer durch
den Hof, niedrig und breit war es, und es watschelte ziemlich schnell zum hinteren
Garten. Als ich zum anderen Fenster lief, um es vielleicht noch einmal zu sehen, war
es aber weg. Ich begrüßte den Dachs innerlich und hieß ihn willkommen. Am nächsten
Tag stellte ich ihm Wasser und was zu Fressen vor die Tür, aber ich weiß nicht, ob er
nochmal gekommen ist. Vielleicht ist er nicht sonderlich fixiert auf unseren
Komposthaufen und hat ein viel größeres Revier. Ich freue mich aber, dass er bei uns
war! - Auferstehung! Nichts ist auf ewig verloren. … Die Schatten wahrscheinlich
auch nicht, man geht halt nur irgendwann anders mit ihnen um. … - Und dann sind sie
nicht mehr furchteinflößend, sondern liebenswerte Schatten, die durch den Hof
huschen und uns an unsere überwundenen Ängste erinnern, an die besiegte
Verzweiflung.
…-…
186
Michel war gestern über Mittag bei meinen Eltern, weil Dirk und ich ein
Beratungsgespräch beim Diakonischen Werk hatten. Partnerberatung. Ein Mann hat
uns beraten. Eigentlich hat er lauter Dinge gesagt, die ich meinte, schon zu wissen.
Und dennoch wäre ich, und wir beide wären es erstrecht nicht, ohne ihn dorthin
gekommen, wohin er uns geführt hat. Aus dem Schutthaufen raus. Das war so gut,
dieses aus dem Gewohnten rauszugehen, aus den eingefahrenen Bahnen, und mit
einem Dritten zu reden! Schon rein dinglich: unser Haus verlassen, dorthin fahren,
uns mit diesem Menschen zum Gespräch zu treffen, um uns Hilfe und Inspiration
geben zu lassen. Er zeigte uns sehr deutlich unsere Muster auf und formulierte
Vorschläge, wie wir es stattdessen mal probieren könnten. Auch Vorschläge für
anderes Denken hat er uns gegeben. Mir sagte er z.B., wenn ich verzweifelt bin und
mich (von Dirk) alleingelassen fühle, könne ich denken: „Der kommt schon.“ Ja. Und
er wird kommen. Das weiß ich. Ich beiße mich – biss mich! – stets so an meiner
abgrundtiefen Verzweiflung fest. … - … - Es ist nicht mehr lebensbedrohlich für
mich, wenn mich jemand alleine lässt. Die ersten acht Wochen meines Lebens in der
Kinderklinik war es das, und möglicherweise ist es diese alte Verzweiflung,
Todesangst, die jetzt immer noch in solchen Situationen in mir aufsteigt. … So habe
ich das noch nicht gesehen, da hat er mir doch etwas Neues gesagt. Auch der
Gedanke „der kommt schon, irgendwann kommt er“ ist ganz neu und stellt eine
rettende Tür für mich dar. Danke!
Allein das Hingehen war heilsam und er hat uns viele gute Tipps gegeben, z.B. indem
er unser beider Fokus mehr auf uns selbst ausgerichtet hat, weg vom anderen. Was
kann ich selbst tun, nicht, was erwarte ich vom anderen. In zwei Wochen haben wir
wieder einen Termin. Ich fühlte mich nach dieser Beratung sehr erleichtert und
befreit. Dirk gab er den Impuls, erstmal „zum Drauf-rum-kauen“, ob er eine
Therapie
machen möchte, um seine Vergangenheit zu bearbeiten. All
die
Mechanismen, die darauf aufbauen, wie sein Vater mit ihm umgegangen ist. … - … Über das Internet oder durch Bücher, die ich gerade „zufällig“ lese, kommen wieder
all die passenden Texte, z.B. heute eine astrologische Erläuterung der Zeitqualität,
in der genau das drinsteht, was bei uns abgeht. Oder gestern Abend im FitnessStudio auf dem Fahrrad las ich in dem Buch „Rückkehr nach Eden“ von Paul Ferrini
eine bereichernde Zusammenfassung unseres Beratungsgesprächs vom Nachmittag.
„Es ist einfach, aber nicht leicht“, sagte unser Berater nicht nur einmal. „Es gibt eine
universale Weisheit“, sagte er zu mir: „Was ich haben möchte, soll ich einem anderen
geben. Aber es muss von Herzen kommen.“ Ja. Und genau damit tu ich mir verdammt
schwer, wenn ich hier mit Dirk im Clinch liege. Ich möchte, dass er „lieb“ zu mir ist.
Er ist mürrisch und unfreundlich. Und ich, wohlwissend um diese universale Weisheit,
kriege es nicht hin, freundlich und liebevoll auf ihn zuzugehen. … - Oder noch
187
schlimmer: Er ist betrunken und absolut ätzend. Wie an diesem ausschlaggebenden
Abend… - Das war schlimm. … – Aber habe ich es da nicht doch gemacht? Bin
freundlich auf ihn zugegangen? Ich habe mich schrecken lassen, ja, aber nicht
abschrecken. Ich gehe wieder und wieder mit meiner Wahrheit zu ihm. … - Es ist
unheimlich kräftezehrend. Und ich habe auch keine Lust mehr. Ich will es jetzt
leicht haben. Aber … vielleicht … ist es das doch wert. „Das ist alles andere nicht
wert“, waren meine Worte an Dirk nach dieser Eskalation. Und, ja, das braucht kein
Mensch. … - Aber alles hinschmeißen aufgrund eines Trugbildes? – Wäre ja auch
dumm. … - Oder? … - Wie lange soll ich warten? Und auf was? Dass alles gut ist?
Oder soll ich mich einfach nicht schrecken lassen? … - Hatte ich das nicht schon mal,
diese Fragestellung? Diese Erkenntnis? Vielleicht ist es jetzt am ehesten einfach
das: mich nicht schrecken lassen von diesen (Hirn-) Gespinsten. … - Dirk war wie vom
Teufel besessen an diesem beschissenen Abend. Das war nicht wirklich er. Das war
nicht sein Herz. Hier in Oberhessen gibt es den Leibhaftigen nicht, da sagt man
eher: „Der ist vom wilden Watz gebissen.“ Was in besagtem Fall nicht minder
schrecklich war. … - … - Oder war es doch nicht nur ein Trugbild? – Es war nicht sein
Herz! Dessen bin ich gewiss! – Aber sind die Differenzen vielleicht doch zu groß?
Haben wir zu wenig oder essentiell wichtige Sachen nicht gemeinsam? … - Warum ist
es so anstrengend? Weil ich ihn verändern will? Weil ich etwas falsch mache? Oder
hat es auch noch andere Gründe? Sowas „Halbgares“ ist nicht schön, so eine
unerfüllende Partnerschaft, da wäre ich lieber alleine. Aber ich habe jetzt ein Kind.
Michel braucht seinen Papa. Hier, täglich. Nicht eine Woche Mama, eine Woche Papa,
oder welche Trennungsmodelle vorstellbar sind. Ich brauche Dirk als Papa in dieser
Familienbeziehung auch. Wenn Michel und ich alleine wären, begänne ein Desaster,
vermute ich, denn Michel hört ohne mit der Wimper zu zucken auf seinen Papa, wenn
er bei mir den Mogo macht. Wir ergänzen uns hier schon sehr gut, wenn alles glatt
läuft. Und manchmal läuft es wie geschmiert. Aber in letzter Zeit nicht. Ob wir das
wieder hinkriegen? Und was ist mit Dirk und mir? Mich darin üben, ihn nicht
verändern zu wollen, keine Erwartungen zu hegen, ist eins, mich dauernd nicht
verstanden und nicht gehört zu fühlen, mich nach Nähe und Zweisamkeit zu sehnen,
ist ein anderes.
…-…-…Ich bin irgendwie zerrissen und hänge fest. Nicht ganz hier und nicht ganz dort. … Was ist mit Dirk und seiner Art, Alkohol zu konsumieren? Mir schrillen dabei die
Alarmglocken. Was ist mit dem Rauchen? Ist das auch schon Suchtverhalten (des
Partners), das ich mir nicht antun muss? Rauchen ist sowas von out, meine ich. Dirk
will, ich glaube seit wir uns kennen, damit aufhören. Aber er tut es nicht. … - Ja, ja,
ich weiß: Solange das für mich ein Thema ist und ich darauf warte, dass er’s tut, wird
er es wahrscheinlich nicht tun. Loslassen, gleich-gültig sein – und er wird’s lassen. -
188
Könnte ich wetten. … - Aber der Alkohol! Diese entscheidende Sache des ersten
Abends, an dem ich ihm das ganz klar gesagt habe („Ich will keinen Alkohol im Haus.
Und ich kann nicht mit einem Mann zusammen leben, der regelmäßig Alkohol trinkt.“),
in der er mich einfach übergeht. Jedesmal, wenn ich mit ihm darüber reden will,
bricht das Inferno los. Das bringt mich dazu, dass ich nicht mehr weiß, was ich tun
soll und mir die Trennungsfrage stelle. Ich will aber nicht in diese Maschinerie der
Familientrennung geraten! Und vor kurzer Zeit war mein Herz auch noch ganz klar:
„Ja, ich will mit Dirk zusammen leben!“ Jetzt, nach diesem besagten beschissenen
Abend ist es das nicht mehr.
Manchmal gehe ich davon aus, dass sich die Dinge, Probleme, über Nacht verändern
und auf einmal alles anders ist, geheilt, gut, befreit, erlöst. Ganz von selbst, aus
heiterem Himmel und einfach so. … - Vielleicht bin ich da zu sehr „Adler“: „Es ist und
es ist nicht.“ Ich tue mir manchmal schwer mit alltäglichen Entscheidungen und auch
mit dem alltäglichen Leben. Zu anderen Zeiten, wenn alles gut ist, ist das alltägliche
Leben total bereichernd, erdend und wunderschön. Dann finde ich alles prima und die
alltäglich anfallenden Arbeiten machen mir Freude. Es macht Spaß zu kochen, zu
bügeln, Wäsche zu waschen, den Abwasch zu machen … - und was sonst noch ist: mit
Michel spielen, andere Menschen treffen, an meinem PC sitzen und schreiben oder
lesen, ins Fitness-Studio gehen … – einfach herrlich! Und vielleicht braucht es das
jetzt, auch in schweren Zeiten, wenn nicht alles gut ist: was machen. Tun, was zu tun
ist. Tun, was man für richtig hält. Es ins Irdische bringen. Nicht aufgeben. Mit Dirk
reden. Vorschläge machen, meine Wahrheiten anbringen. Zur Beratung gehen. Uns
helfen lassen. Vielleicht liegt darin das Wunder, das, einfach so, im heiteren Himmel
herumschwirrt: Wir müssen es tun, es einfangen, es auf die Erde bringen. „Es gibt
nichts Gutes, außer man tut es“, hat schon Erich Kästner gesagt, und den schätze ich
sehr, weil er sich, als er erwachsen war, seine Kindlichkeit erhalten konnte.
Glauben reicht nicht, man muss es auch leben. Ich denke oft, wenn ich es glaube,
verändert es sich von selbst. … - Und ich bemühe mich, Kraft meiner Gedanken, die
Welt zu verändern, wenigstens und erstmal meine Welt. Und das klappt nicht. Nicht
nachhaltig. … - Wieder mit dem Konto im Soll. Wieder Beziehungsdesaster. … Dabei: Während des Korrekturlesens musste ich schmunzeln, als ich das von Dirks
Eisenbahnkauf las. Da haben wir so viel Geld ausgegeben, und bei den vermehrten
Abbuchungen zum Jahresbeginn mit Nachzahlungen hie und da: Ist es da groß
erstaunlich, dass wir nun mal wieder im Soll sind? Wenn ich nur mal aufhören könnte,
mich deswegen zu sorgen! Oder: aufhören mich wegen der Sorgen zu grämen, weil ich
dann denke: Ich gräme mich und kann nicht anders, verstärke damit diese Energie
und erschaffe dauernd das Gleiche: noch mehr Mangel. Selbst schuld! Da beißt sich
bei mir die Katze immer in den eigenen Schwanz. Auch bei der Thematik mit Dirk. … Von wegen Visualisieren: Wenn ich versuche, mir meine Wunschwelt vorzustellen, das
189
Paradies, auf dass es sich – Kraft meiner Gedanken und Gefühle – erfülle, dann
schleichen sich stets Angstbilder und ein Gefühl des Versagens ein. Ich kann das
nicht, visualisieren, gute Gedanken denken, jedenfalls nicht auf Kommando, wenn ich
es jetzt aber will. Selbst schuld. Ein Text, den ich dieser Tage gelesen habe, hat das
Thema „Du erschaffst Dir die Welt, in der Du lebst, selbst“ mit den folgenden
Worten auf den Punkt gebracht: „Glaubt oder fürchtet“ (Channeling mit Seth vom
22.02.2009 bei www.sternenkraft.at). … - Na, und das weiß ich ganz klar: Ich glaube!!
Ich glaube. Tief in meinem Herzen, in meiner Wahrheit, ist keine Furcht. … Vielleicht soll ich mich auch von allen Bemühungen lösen. Was mir Mühe macht, sein
lassen. So aufgesetzte Sachen, mit denen ich mir schwer tue, Visualisationsübungen
und so, die Welt kraft meiner Gedanken umgestalten. … - Mich vor meinen eigenen
Ängsten nicht fürchten. … - Wenn Dirk nicht so abgrundtief bescheuert gewesen
wäre, wären wir nicht zur Beratung gegangen. … - Und das mit dem Geld, oder mit
der Fülle: Es ist doch schon die ganze Zeit so, dass wir nicht besonders viel Geld
haben. Wenn ich mich aber umsehe, hier, in meiner unmittelbaren häuslichen
Umgebung: Was da alles ist! Aus dem Nichts entstanden! Alles neu. Dabei hatten wir
doch die ganze Zeit kein Geld. Und wir sind noch mittendrin in diesem Prozess. … Auch jetzt: diese Dürre, diese Leere … oder das Viele, mit dem ich nicht mehr
umgehen kann, will … - Ich habe gegraben, um mich herum, in mir, und siehe da: Die
Quellen sind da! Da sind sie!
Jetzt grabe ich lieber noch ein bisschen in mir, anstatt an Dirk rumzubaggern, sehe
mir meine erschrecklichen (Hirn☺)-Gespinste an. - Dieser Smilie hat sich eben ganz
von selbst wie von Zauberhand dorthin gemalt. Einfach so, aus heiterem PC. Ich
wollte eigentlich einen Bindestrich schreiben. „Don’t worry!“ sagt er. Ich werde es
schaffen!
Wir sind alle krank. Grippe. Michel hat das erste Mal über Tage hinweg Fieber. Er
schläft schlecht, wacht öfters auf und weint. … Es ist aber gut, dann hingehen zu
können und ihn im Arm zu halten, zu trösten und ihm zu zeigen, dass wir da sind. …
Hausputz habe ich auch gemacht. Im Zuge des Neues-Wohnzimmer-einräumen-unddie-ganzen-im-Haus-verteilten-Sachen-aufräumen. Ich habe auch dort geputzt, wo
ich sonst nicht immer putze, z.B. hinter den Betten. – War gar nicht so dreckig, wie
ich vermutet hätte. Hinter meinem Bett war es sogar fast sauber, da sauge ich aber
auch immer mal hinter lang, da kommt man besser dran als hinter Dirks Bett. Aber
190
auch hinter seinem Bett war es nicht soo schlimm, wie es „normalerweise noch einer
solchen Zeitspanne hätte sein müssen“. … Was soll mir das sagen? Hoffnung machen:
„Da ist gar nicht so viel Dreck!“? … - Es waren nur Reste von Blutflecken unter
seinem Nachtisch auf dem Fussboden, die ich nicht wegbekommen habe, wohl
Überbleibsel einer massakrierten Maus aus der Zeit, als mein Singlebett noch an
dieser Stelle stand und die Katzen freien Zugang zu sämtlichen Räumen des Hauses
hatten. Des Sommers brachten sie nachts gelegentlich eine Maus mit hoch und
fraßen sie unter meinem Bett auf. – Hua! – Ich erwachte dann vom Geräusch der
knackenden Knochen. … - Wenn ich mal ordentlich schrubbe, geht der Blutfleck
vielleicht auch noch weg. - Oder das Schlafzimmer bekommt bei Gelegenheit gleich
einen neuen Fussboden.
Heute geht es Michel besser, er hat auch mittags wieder durchgeschlafen. Dafür
hat es mich niedergehauen, hab‘ die meiste Zeit des Tages im Bett verbracht.
Irgendwie war das heute aber genau das Richtige und Beste für mich, mal
ausgeschaltet zu sein. Heute Morgen wollte ich mit Dirk die Dinge besprechen, über
die ich in den vorigen Absätzen geschrieben habe. Aber es war nichts zu machen.
Wieder nur Desaster und Chaos. – Das mit dem Alkohol. … – Das blockt er völlig ab
und ich frage mich wieder: Warum ist es so schwer? Warum geht es nicht? Ich will
nicht mehr! Ich kann nicht mehr! … - Bin trotzdem irgendwann zu Dirk und habe ihn
geküsst. Da war die schlimmste Trennung vorüber.
… - Dann las ich heute Abend Shoud Nr. 7 aus der Rückkehr-Serie des Crimson Circle
mit dem Titel „Den Elefanten ganz aufessen“ (auf www.shouds.de), welcher besagt,
dass ich dort, wo ich meine, ich kann nicht mehr, alles in mich hineinlassen soll, alles
fühlen soll und mich dem Ganzen nicht verschließen. Von wegen: Halb drin ist es ja eh
schon, der Elefant. Iss es ganz auf. Damit kommt auch das Neue herein. … - Ei wei
Backe!! … Aber eigentlich ist das ja das, was ich irgendwie schon ahnte, und was ich auch schon
geschrieben habe: Alles will mit. Und ich kann mich den Dingen eh nicht verschließen,
den schrecklichen, die ich lieber nicht sehen und hören will. Sie klopfen doch bei mir
an und schieben sich vor mein inneres Auge, sobald ich die äußeren schließe.
191
Vielleicht sollte ich, während ich so drinhänge, nicht so viel darüber schreiben.
Dadurch wird’s nicht unbedingt besser, wenn ich es wälze und durchkaue und darüber
brüte.
Heute ist ein neuer Tag. Ich bin immer noch krank. Per E-Mail sind ein paar schöne
Sachen angekommen, sehr passende und heilsame Texte für mich. Einen davon
möchte ich jedem interessierten Menschen ganz besonders ans Herz legen: „Unsere
ewige Verbindung“ von Karen Bishop. Im Internet kann man das finden.
Behindert? – Oder begnadet!
Sie verändern die Dinge nie durch ein Ankämpfen
gegen die existierende Realität.
Wenn Sie etwas ändern wollen,
dann bauen Sie ein neues Modell auf,
das das existierende Modell überflüssig macht.
R. Buckminster Fuller
Ich lag fünf Tage im Bett. Absolut ausgeschaltet. … - … - Und ich glaube, das war das
einzig
Richtige
und
das
Allerbeste,
was
jetzt
sein
konnte,
für
mich.
… - Da ist noch ein Film per E-Mail angekommen, nach diesem berührenden Film mit
dem Vater, der mit seinem Sohn einen Marathon läuft. Der neue Film beginnt und
man sieht einen hübschen jungen Mann, der von sich erzählt, was er gerne macht und
der sagt, dass er sein Leben genießt und dass er glücklich sei. Dann fährt die Kamera
ein Stück zurück für eine Ganzkörperaufnahme und man sieht, dass der Mann keine
Arme und keine Beine hat. … - Der Film geht nur wenige Minuten, es werden Bilder
aus seiner Kindheit gezeigt, aus seinem jetzigen Leben und eine Sequenz, in der er in
einer Schule vor jungen Menschen spricht. Ich verstehe nur wenig von dem, was er
da sagt, denn er spricht Englisch, aber die Botschaft kommt dennoch rüber. Dieser
Mensch ist so selbstverständlich und hat so eine wundervolle und charismatische
Ausstrahlung, völlig frei von jeglichem Selbstmitleid und tief und dankbar liebt … „lebt“ wollte ich schreiben … - liebt und lebt er sein Leben. Und berührt so sehr
seine Mitmenschen! Sie wären/wir wären ohne ihn viel ärmer. Er ist eine Gnade für
die Welt. Im Internet könnt Ihr ihn Euch ansehen. Er heißt Nick Vujicic.
192
Und dann seht Euch bei Gelegenheit doch auch auf www.youtube.de noch „Christian
the Lion“ an.
… - … - Ich habe das Gefühl, dass soviel Neues hereinkommt. … - So viel. – Deshalb
hat es mich vielleicht auch erstmal umgehauen, Auszeit, Integration und - die alte
Haut abstreifen. Das auch.
… - Ich will jetzt gar nicht wieder viel reden und erklären … - die Sache mit Dirk … Ich muss es einfach anders machen! Das Schlechte ignorieren und in meiner
Hoffnung bleiben! So tun, als sei morgen – oder jetzt! - schon alles so, wie ich es mir
wünsche, als lebten wir morgen schon, ganz bestimmt!, im Paradies. Und ich wollte
doch sowieso üben, mich von Bestätigung im Außen zu befreien. Das ist doch jetzt
eine gute Gelegenheit. So lange es nicht besser ist, muss ich einfach anders damit
umgehen, dann habe ich etwas noch nicht gelernt. Da kann ich mich auf den Kopf
stellen.
Bei all dem, was ich gelesen habe, als ich im Bett lag, an esoterischen Schriften zum
aktuellen Zeitgeschehen, wurde ganz klar, dass mein keltisches Kreuz für dieses
Jahr das schon alles auf den Punkt gebracht hat. Und, auch auf die Gefahr hin, dass
ich mich wiederhole: Ich kann darauf vertrauen, dass ich immer zur rechten Zeit am
rechten Ort bin und dass alles in göttlicher Ordnung ist. Auch der Kampf mit Dirk an
der Beziehungsfront. – Weiß ich denn, was da wirklich abgeht? Vielleicht werden wir
neu strukturiert, vielleicht werden die letzten Schlacken und Verkrustungen
abgeschrubbt, die in den verborgensten Winkeln sitzende Negativität, die immer
noch vorhanden ist, herausgepresst … - „All das Negative wird den ersehnten Wandel
bringen“, habe ich gelesen. Ja! Ich gebe nicht auf. Es darf geschehen, was geschieht.
Ich höre aber jetzt auf zu kämpfen. Das reicht. Dicke reicht das. … - Jetzt mal im
Ernst: Stellt Euch nur einmal vor wir, die Menschen, würden aufhören zu kämpfen.
Ganz plastisch: Wir würden aufhören, Waffen zu produzieren und zu vertreiben.
Was da für Unsummen!!!!!! von Geld frei würden! Was kostet ein Panzer?! Ein
Überschallflugzeug? Ein Kriegsschiff?! … - Ja sind wir denn vollkommen bescheuert,
dass so etwas noch praktiziert wird? … - … - Das ist leicht, auf die anderen zu
zeigen, auf Die Gesellschaft, Das Militär, Die Politiker, Geldhaie, Machtbesessene,
skrupellose Waffenhändler. … - Wenn ich mit Dirk kämpfe, bin ich genauso dumm –
und machtbesessen?! Welche Energien ich da binde und sinnlos zum Herzerbarmen
vergeude. – Es ist traurig. Das ist traurig, das zu erkennen. Und doch: Alles spielt
sich in mir ab.
Ich danke für die ganze Hilfe, die uns zur Verfügung steht, und dass ich in dieser
großartigen Zeit des Wandels leben darf.
Ich träume eben viele Träume, die ich lieber nicht träumen würde, von Verrat und
Trennung oder von Menschen, die sterben. Dann aber denke ich mir: „Leiste keinen
Widerstand.“ Und auch: Vielleicht ist das, was ich träume, das ganze auch
vorhandene Potential und dadurch, dass ich es träume, muss es hier nicht geschehen.
193
Oder es sind letzte Attacken, des sogenannten Bösen, um mich einzuschüchtern. NÖ! Jetzt bin ich so weit! Ich geb‘ nicht auf! Ich weiß, dass die neue Welt schon da
ist. Wir stehen schon am Ufer.
Oder so:
„Blockaden sind wie Wasserdampf auf dem Badezimmerspiegel…
Sie hindern Dich daran, Dich selbst klar zu sehen.
Das Bild ist verzerrt, und die vernebelte Gestalt wird zu einem
furchterregenden Monster, vor dem Du wegläufst,
anstatt den Spiegel zu säubern.
Hasst du Dich wegen des beschlagenen Spiegels?
Warum hasst Du Dich dann wegen des geistigen Nebels?
Säubere den Spiegel und entdecke Dich selbst.“
Lazarus
Wir sind mittendrin, in diesem Prozess. Wenn ich selbst aufhöre zu kämpfen, wird
auch der Kampf im Außen aufhören.
Ich habe mir selbst noch Einiges zu verzeihen.
Unsere Behinderungen werden sich noch als die größte Gnade erweisen.
Luna
Einen Tautropfen betrachtend,
entdeckte ich das Geheimnis des Meeres.
Khalil Gibran
Ich fühle mich immer noch, als sei ich durch eine große Trommel mit Steinen gedreht
worden.
Bei all dem Schweren und Negativen, das ich gewälzt habe, das mich gewälzt hat, ist
am Ende eines wieder hochgekommen, und weil ich das schon immer habe, sehe ich
mir das jetzt an, vielleicht finde ich darin die Erlösung.
Es geht um die Tiere. Luna ist es, die hochgekommen ist. Sie war Schröders
Schwester und auch sie ist schon gestorben. Es waren sieben Geschwister, Sister
hatte sieben Kinder. Und alle haben wir gut untergebracht. Wir, mein damaliger
194
Freund und ich, hätten sowieso alle Welpen am liebsten selbst behalten, aber das
wäre too much gewesen. … Wir haben unsere kleinen Hunde später dann bei ihren
neuen Menschen noch ein, zwei Mal besucht. Bei allen hatte ich ein gutes Gefühl –
außer bei Luna. Sie hatte es nicht gut und ich habe das ihr ganzes Leben lang
mitbekommen, weil sie bei entfernten Verwandten von mir lebte, und ich hatte über
Jahre ein schlechtes Gewissen und habe es noch, weil ich meine, ich hätte sie retten
müssen. Jetzt, wo ich das schreibe, zieht sich mir die Brust zusammen. Sie hatte es
nicht gut, sie war oft angebunden und musste immer alleine draußen im Hof sein,
niemand ging mir ihr Gassi, sie durfte nicht ins Haus. Sie hat sich zum Angst-Kläffer
und –Schnapper entwickelt. Einmal, als sie noch klein war, wollte ich sie holen. Ich
hatte das Geld, das ihre neuen Besitzer uns für sie gegeben hatten, dabei und wollte
sie loskaufen. Aber sie haben sie mir nicht gegeben. Sie sagten mir, dass sie sich gut
um sie kümmern würden und sie behalten wollten. Und ich … - konnte mich nicht
durchsetzen.
So lange sie lebte, trug ich das mit mir herum, dieses: Ich müsste sie retten.
Dagegen sprach: Ich hatte schon zwei große Hunde. Und die Katzen – wie kann Luna
mit Katzen? Wenn sie die jagt oder tot beißt?! Meine Eltern sagten, auf drei Hunde
würden sie nicht aufpassen, wenn ich mal weg sei. Und dann: … Hatte ich überhaupt
den Durchblick, den Überblick, warum es so war, wie es war, mit Luna. … Vielleicht
war ja doch „alles richtig“. … -Aber: Ich habe mir das noch immer nicht verziehen.
Ich werfe mir vor, dass ich sie hätte retten müssen.
Sie lebt nicht mehr.
…-…Als ich Kind war, hatten wir mehrmals im Jahr Katzennachwuchs auf unserem
Bauernhof. Mein Opa brachte die kleinen Katzen immer um und erzählte uns, der
Kater habe sie gefressen. Ab und zu ließ er mal eins oder zwei am Leben. Mir war
das, glaube ich, schon bald klar, dass der Opa die Katzen umbrachte, aber auch wenn
sie wirklich der Kater gefressen hätte: Ich hätte sie doch retten müssen! Die armen,
kleinen, hilflosen Kätzchen! … - … - Auf einmal, jetzt, hier, beim Schreiben, ist der
Druck weg. – Warum? … – Weil ich weiß, dass das kleine Mädchen all die kleinen,
hilflosen Katzen nicht hätte retten können?
Es gibt immer irgendwo Tiere, von denen ich weiß, oder meine zu wissen, dass es
ihnen nicht gut geht. Kann ich die alle retten?
Nein, das kann ich nicht.
…-…-…Wir hatten heute unseren zweiten Beratungstermin beim Diakonischen Werk. Mir
wurde heute klar, dass ich Dirk am besten ganz in Ruhe lasse, mit Reden über
Therapie, er solle doch, könne doch, wolle doch bitte eine Therapie machen. Ich muss
ihm sein eigenes Tempo oder seine Langsamkeit und überhaupt seinen eigenen
195
Prozess zugestehen. Vielleicht macht er ja überhaupt keine Therapie. Weil das für
ihn nicht dazugehört. Was weiß ich.
Alles was ich forcieren will und meine machen zu müssen … - was weiß ich schon? Und
wenn ich es probiere und es geht nicht, dann soll ich es sein lassen! Und nehmen was
da ist und was von alleine zu mir kommt.
Es ist ganz einfach.
Ganz einfach.
Und weil ich jetzt weinen muss, weiß ich, dass das die Wahrheit ist.
Mua
And I think to myself, what a wonderful world.
Louis Armstrong
Ich habe das Gefühl, dass ich in (mindestens!) zwei Welten lebe. In der einen geht
das mit Dirk, entwickelt sich einfach, wächst und gedeiht, strukturiert sich
vielleicht anders und neu. Wir lernen uns ja auch quasi gerade erst kennen, wir sind
ja noch am Anfang! – Und in der anderen Welt geht es nicht. Gestern Abend hatte
Dirk wieder leicht einen im Tee. Ich war seit zwei Wochen mal wieder im FitnessStudio und als ich nachhause kam … - er spricht dann langsamer, und spätestens,
wenn es ihm beim Essen aufstößt – so ein ganz bestimmter Hickser – dann ist es
irgendwie zu spät. Dann hat es keinen Sinn mehr, mit ihm zu reden, jedenfalls nichts
Ernsthaftes, und auf gar keinen Fall, die Situation betreffend, denn dann ist die
Ausrastung
vorprogrammiert
…
meine
ich.
Deshalb
habe
ich
mich
lieber
zurückgezogen. … - Irgendwie mag ich ihn dann aber auch nicht und will nicht mit ihm
zusammenleben. – Aber darüber zu reden, haben wir letzte Woche per Handschlag
abgemacht, lassen wir bleiben, während wir uns streiten. Wenn wir uns streiten,
streiten wir eben, wir wollen dann nicht jedesmal die ganze Beziehung in Frage
stellen. „Löcher in den Schiffsboden schießen“ nannte das unser Berater vom
Diakonischen Werk während unseres Gespräches diese Woche. … - Heute Morgen ist
es auch wieder gut, mit Dirk. Er hat Michel aus dem Bett geholt und mich
ausschlafen lassen und ich bin ihm dafür dankbar, das hat mir gut getan und ich sage
nichts mehr wegen gestern. Vielleicht beim nächsten Beratungsgespräch. Oder soll
ich es einfach ignorieren? Ihn so sein lassen? – Wie geht man damit um? Wie soll ich
damit umgehen? Furchtlos sein, auch wenn die Liebe mal nicht spürbar ist? – Brauche
196
ich ihm also gar nicht vorzuwerfen: Du liebst mich nicht. Ich liebe ihn ja selbst
manchmal nicht. … - Jedenfalls glaube ich, dass, wenn wir uns trennen würden, wir
einen Fehler begehen würden. Das wäre eine Kurzschlussreaktion. Ich habe für mich
beschlossen, mich nur zu trennen, wenn ich mir dessen absolut sicher bin. Und das
bin ich absolut nicht. Hier geht es um was anderes. „Wir schaufeln die Liebe frei“
habe ich neulich geschrieben. Vielleicht ist es einfach das. Da gibt es schon mal
Dreck und aufgewirbelten Staub und viel alter Unrat tritt zutage, den es zu
entsorgen gilt. – Mir fällt jetzt ein Text ein, von Anne Morrow Lindbergh, „Gezeiten
der Liebe“:
Wenn man jemanden liebt, so liebt man ihn nicht die ganze Zeit,
nicht Stunde um Stunde auf die gleiche Weise. Das ist unmöglich.
Es wäre sogar eine Lüge, wollte man diesen Eindruck erwecken.
Und doch ist es genau das, was die meisten von uns fordern. Wir
haben so wenig Vertrauen in die Gezeiten des Lebens, der Liebe, der
Beziehungen. Wir jubeln der steigenden Flut entgegen und wehren
uns erschrocken gegen die Ebbe. Wir haben Angst, die Flut würde
nie zurückkehren. Wir verlangen Beständigkeit, Haltbarkeit und
Fortdauer; und die einzig mögliche Fortdauer des Lebens wie der
Liebe liegt im Wachstum, im täglichen Auf und Ab - in der Freiheit;
einer Freiheit im Sinne von Tänzern, die sich kaum berühren und
doch Partner in der gleichen Bewegung sind.
Danke für diese Worte! Wie gut die mir jetzt tun!
Auf meinen esoterischen Streifzügen durch’s Internet, habe ich neulich einen Text
gelesen, in dem das Wort Mua erwähnt wurde. Mua ist eine Art Übergangszeit, ein
Abschluss und das Nichts. Jetzt ist Mua. In vorherigen Muas wurden Sonne und
Mond geboren oder neue Zeitalter begannen, wie z.B. nach der Sintflut. Das Mua,
das 2009 beginnt und ca. drei Jahre andauern soll – wobei solche Zeitangaben
überhaupt nicht mehr wörtlich zu nehmen sind, meine ich, vielleicht sind die drei
Jahre morgen schon vorbei oder zu Weihnachten – bringt die Geburt der neuen
Matrix und der einen wahren Liebe.
Jetzt muss ich wieder weinen.
Ja.
Aber irgendwie habe ich doch auch schon die ganze Zeit das Gefühl: Da passiert was
ganz Grundlegendes, was riesig Großes Wunderbares. Die ganze Welt betreffend.
Und dann ja auch wahrscheinlich bei Dirk und mir im Kleinen. Ich kann z.Zt. auch gar
197
nicht sagen, was ich wirklich will, vieles betreffend: ob ich mit Dirk zusammenleben
will, ob ich wieder im Kindergarten arbeiten möchte, ob ich dieses Buch
veröffentlichen soll, ob ich mir vorstellen kann, noch ein Kind zu haben … ja, das ist
alles okay … – jetzt, wo ich es aufschreibe, erfüllt es mich mit Zufriedenheit … auf
einmal lande ich bei mir, im Kleinen. … - Das ist schön. … - Ich wollte eigentlich meine
Vision aufschreiben in diesem Kapitel, die große, die für die ganze Erde. – Das mache
ich später. Ich gieße mir jetzt noch eine Tasse Tee ein … - vielleicht wird Michel
bald wach. – Ich würde gerne eine kleine Filmsequenz von Michel drehen und in das
Buch einbringen, wenn das ginge. Weil er soo goldig ist! Z.B. macht er „Du-du“ mir
seinem kleinen Zeigefinger. Und die Situationen, in denen er das macht und wie er
dann guckt – das müsstet Ihr sehen! Er ist so herzerfrischend kleines Kind, mit
großem Zauber! So fröhlich und freundlich! … Mmh! – Gaaanz viel Liebe!
Der Samen
I see trees of green, red roses too
I see them bloom for me and you
And I think to myself what a wonderful world.
I see skies of blue and clouds of white
The bright blessed day, the dark say good night
And I think to myself what a wonderful world.
The colors of the rainbow so pretty in the sky
Are also on the faces of people going by
I see friends shaking hands saying how do you do
They're really saying I love you.
I hear babies cry, I watch them grow
They'll learn much more than I'll ever know
And I think to myself what a wonderful world
Yes I think to myself what a wonderful world.
Oh yeah.
Louis Armstrong
198
Das ist meine Vision:
Eine geheilte, heilige Erde. Alles, was uns jetzt noch Kummer und Gram verursacht,
ist verschwunden, ausgeheilt und kann nie mehr zurückkommen. Das gilt für jeden:
Mensch, Tier, Naturwesen, Pflanzen, die Erde selbst …. Wir leben zusammen in
gegenseitigem Respekt, in Liebe und dankbarer Anerkennung. Wir hören auf,
einander aufzuessen, auch die Tiere, auch Raubtiere, zu dem sich der Mensch ja
eigentlich auch entwickelt hat, stellen sich um auf Pflanzennahrung. Die Tiere laufen
frei umher, als unsere Freunde, wilde Tiere auch in den Städten. Es gibt von nichts
zu viel und von nichts zu wenig. Das gilt auch für die Bevölkerungsdichte (von Mensch
und Tier und allen anderen). Wir vernetzen uns: Menschen, Tiere, Elfen, Feen und
andere Naturwesen, Außer-Irdische kommen zu Besuch und vielleicht können wir
selbst auch außerirdisch reisen. Vielleicht stellen wir fest, dass wir sowieso selbst
zum Teil außerirdisch sind.
Die Städte und das Land erstrahlen in Schönheit und Anmut. Es gibt keine
Autobahnkreuze mehr, die vor aus dem Fenster geworfenem Abfall erstarren,
vielleicht gibt es überhaupt keine Autobahnkreuze mehr, weil wir lieber wieder
reiten oder wir beamen uns oder wir bleiben sowieso am liebsten da, wo wir sind,
oder wir reisen irgendwie grundlegend anders, innerlich. Unsere Lebensräume sind
einfach nur schön, kein Dreck und Unrat mehr, keine Hässlichkeiten, weil es keine
Deppen mehr gibt, die ihren Dreck wegwerfen oder irgendwas verkommen lassen.
Alle sind einsichtig geworden und es ist uns eine Herzensfreude, Schönheit zu
schaffen. Wir werden sehr kreativ sein und außerdem unterstützen uns die
Naturwesen. Von den Tieren können wir auch viel lernen – die Freuden, das Genießen,
die Verspieltheit, das Vertrauen – aber das haben wir dann sowieso auch schon in uns
entwickelt!
Jeder lebt, wie es ihm Freude macht, jeder lebt seine Leidenschaft. Wir leben im
Wohlstand, aber das hat nichts mit Sachen-anhäufen zu tun. Wir leben im
Miteinander und im Austausch. Jeder gibt, was er hat und trägt somit zum großen
Ganzen bei. Sinnlosigkeit und Langeweile gibt es weder vom Wort noch von der
Bedeutung her mehr, sowie viele andere Wörter samt dem, wofür sie stehen,
verschwinden (Hass, Neid, Gier …). Dafür werden neue Worte und Inhalte geboren.
Wir sprechen die Sprache des Herzens. Die Gesichter erstrahlen und wir werden
viel lachen! Frieden herrscht sowieso. Aber nicht nur dieser Frieden, der bedeutet,
dass kein Krieg mehr ist, sondern dieser tiefe Frieden, der uns mit dem Mysterium
und dem Zauber allen Seins verbindet.
Wir werden auch ewig lange leben, tausende von Jahren, in schönen, frischen
Körpern. So was wie körperliche oder geistige Gebrechen gibt es nicht mehr, weil
199
alles ausgeheilt ist, auch die Wunden und Verunreinigungen der Erde sind geheilt.
Wir bleiben so lange hier, wie wir möchten. Die Erde ist ein Juwel und unser Leben
hier ein Geschenk. Wir werden sooo viel entdecken und aus dem Staunen und Freuen
nicht mehr herauskommen.
Das ist das Paradies, zweite Ausgabe.
Kommt! Let’s go! Das Tor ist weit offen …
Durchbruch
No matter what they tell us,
no matter what they do,
no matter what they teach us,
what we believe is true.
No matter what they call us,
however they attack,
no matter where they take us,
we’ll find our own way back.
Boyzone / Lyrics by Jim Steinmann
„Durchbruch“, „Was alles hochkommt“, „Stasis“ – wie soll ich dieses Kapitel nennen?
… - Auf einmal ist alles anders. Ich gehe nicht mehr in Resonanz mit Dirks MürrischSein und dem, was ich vor … wann war das? … ist noch nicht lange her, oder? … - Es
ist gerade alles so zeitlos. - … was ich als himmelschreiende Ungerechtigkeiten
seinerseits und gemeine Angriffe mir gegenüber empfand. … – Das macht das
(Zusammen-) Leben viel leichter. … - Es regt mich auch nicht mehr auf und schürt
meinen Widerstand, wenn er sich Negativ-Scheiß im Fernsehen ansieht.
Ich erkläre erstmal das mit der Stasis. Ich habe z.Zt. im Internet die Kosmische
Tagesschau abonniert und in deren Schreiben ist des Öfteren die Rede von der
„Stasis“. Ich verstehe das bisher so, dass eine Zeit des Stillstands eintritt, in der
sich nichts oder auch gleichzeitig ganz viel bewegt. Ja – komischerweise saß ich
vorhin (einfach nur) da, habe (entspannende) Musik gehört und hatte währenddessen
die Wahrnehmung, ich säße in einer Art Wirbelwind, einem sich drehenden Schlauch,
der sich immer schneller und schneller drehte und als er eine sehr hohe
200
Geschwindigkeit erreicht hatte, einen Affenzahn, war das quasi Stillstand, absolute
Ruhe und Stabilität.
So, wie von dieser Stasis in der Kosmischen Tagesschau gesprochen wird, verstehe
ich es als Möglichkeit, die global eintreten könnte: Stillstand aller Aktivitäten,
Stillstand der Wahrnehmung, des Bewusstseins, Evakuierung oder wie auch immer,
jedenfalls ist nach dem Aufwachen aus der Stasis der Durchbruch (in die fünfte
Dimension, in die neue Zeit, ins Paradies …) geschehen und wir sind heil hindurch
gekommen, gebracht worden. Vielleicht ist es so. Vielleicht erlebt auch jeder seine
ganz persönliche Stasis, so wie auch jeder seinen ganz individuellen und persönlichen
Aufstieg durchmacht. Es geschieht global und bei jedem einzeln und vielleicht ist
ohnehin jeder die ganze Welt, irgendwie, im Grunde. Vielleicht bin ich alles, was es
gibt, das, was ich erlebe, ist die Welt. Jedenfalls bin ich mit allem in dieser Welt
verbunden. Und meines Erachtens ist da was dran, an dieser „Stasis“. Ich hatte so
was wie Stasis als ich … wann war das? … letzte Woche? … die fünf Tage im Bett lag.
Ich konnte nichts tun, war völlig ausgeschaltet und gleichzeitig ist ganz viel
geschehen. Vorher und nachher auch noch, ich bin immer noch verschleimt und nicht
ganz wach und vorher hing ich ja richtig fest.
… - Auf einmal ist alles anders. …
Vielleicht bin ich durch. Und ich muss nur noch die Augen öffnen, zu mir kommen. … Jedenfalls habe ich etwas hinter mir gelassen. … Außerdem schreiben in der Kosmischen Tagesschau dieser Tage etliche Menschen,
woran sie sich erinnern, dass sie wissen, woher sie kommen und wer sie wirklich sind,
dass sie von den Sternen kommen und weit entwickelte Meister-Seelen sind, viel
mehr, als nur die 3-D-Realität hier. Und ich glaube ihnen. Bei dem Zweiten, der sich
outete, dachte ich zunächst: „Der hat zu viel ‚World of warcraft‘ gespielt.“ Aber
jetzt glaube ich ihm auch. Die Menschen erinnern sich und entdecken ihr wahres
Potential und das ist – ja: irgendwie gigantisch, wunderbar! – Ich muss hier für
Skeptiker noch hinzufügen: ohne Protz und Pomp. Es geht nicht darum, sich in die
Brust zu werfen: „Hier, seht alle her wie toll ich bin!“ Sondern es geht darum, seine
eigene Größe und Wunderbarkeit anzunehmen. Die eigene Göttlichkeit. In aller
Demut. Dabei vermute ich, dass wir im Grunde noch gar nicht wissen, was Demut
eigentlich ist. Einen entscheidenden Satz, eine universelle Wahrheit, will ich hier
zitieren, sinngemäß: „Wahrhaft Großes könnt ihr vollbringen, wenn ihr euch selbst
dabei nicht wichtig nehmt. Ihr könnt alles erreichen, wenn ihr euch selbst dabei
ausklinkt.“ Und so ist es.
…-…-…-
201
Und ich erinnere mich nicht. Außer an das weiße Licht, aus dem ich komme. Vielleicht
bin ich Gott selbst. Und obwohl ich davon überzeugt bin, dass das im Grunde so ist,
traue ich mich nicht, das zu denken. Außerdem habe ich mit dem Wort ‚Gott‘ noch ein
Hühnchen zu rupfen. Aber das mache ich später, jetzt brennt mir anderes unter den
Nägeln. Z.B. dass Findus und Flöckchen, unsere beiden Kater, in der letzten Zeit
dauernd das Wort an mich richten, als wollten sie mir etwas sagen. Und Miezi klopft
sowieso immer an die Badetür, wenn ich im Bad bin, und kommt herein. Oder dass
Dirk, nachdem ich im vorigen Kapitel Louis Armstrong zitiert habe, heute mit
Inbrunst dieses Lied gesungen hat! (Dabei wusste er gar nichts von dem, was ich hier
geschrieben habe.) Und wie er gesungen hat! Wie Satchmo höchstpersönlich, tiefe
Stimme, volles Rohr, der kann das wirklich gut! Und Michel sitzt in der Küche und
staunt mit offenem Mund seinen singenden Papa an, dann lacht er und freut sich. Und ich finde es einfach nur klasse!
Des Weiteren scheint mir, dass mein Ja-Nein-Groschen nicht mehr funktioniert,
besser gesagt: Er will nicht mehr. Ich soll das selbst machen, die kleinen und großen
Entscheidungen treffen, die „richtigen“ Formulierungen finden, vielleicht einfach
drauflos-schreiben, ohne dauernd nachzufragen. Und: wenn ich aufhöre, mich
darüber aufzuregen: „Hu! Du musst mir aber helfen! Ich weiß nicht, was ich machen
soll!“ – dann geht das auch ganz leicht, dann weiß ich intuitiv, was ich will, was „das
Beste“ ist. Und das mache ich dann einfach. Es ist ganz klar. Die Intuition ist ganz
zart und fein und klar und kraftvoll zugleich.
… - Wahrscheinlich weil ich mich nicht erinnere, an meine Großartigkeiten, und
stattdessen so im Negativen festhing, kam Folgendes hoch: Ich denke wieder, dass
ich es nicht schaffe: Alle steigen auf, die Leute erinnern sich, vernetzen sich, legen
los, mit Freudengeheul sozusagen, und ich hocke hier und komm‘ nicht mit. Dabei war
ich schon so nah dran! Ich war ja schon manchmal da, im Paradies! Und jetzt? Jetzt
weiß ich wieder gar nichts mehr, nicht, was ich will, nicht, wozu ich hier bin. … … - Zum Glück schreibe ich darüber, denn jetzt, wo ich es niederschreibe, regt sich
in meiner Brust das Lachen: Ich gehe nicht verloren! … - … In meiner Verzweiflung
dachte ich Folgendes, was dann auch irgendwie mein Trost war: Vielleicht gehe ich
als Letzte, erst alle anderen, und wenn wirklich alle angekommen sind, im Paradies,
dann gehe ich auch. Als Letzte. Und mache hier die Tür zu und das Licht aus
sozusagen. Und dann werfen wir die alte 3-D-Welt mit all ihrem Leid ins Feuer der
Transformation. Dann ist sie leer und keiner mehr drin und vielleicht gibt es noch ein
schönes Feuerwerk. Wenn Eine als Letzte gehen muss, dann tu ich das gern, dann
warte ich, bis wirklich alle angekommen sind. … - … - Aber vielleicht ist das auch
einfach meine Selbstbeschränkung, ein Gedanken-Spielchen meines Egos, um mich
zurückzuhalten. Ich muss mich nicht sorgen. Es werden alle ankommen, früher oder
202
später, das weiß ich. Darauf kann ich vertrauen und ich darf jeden seinem eigenen
Prozess anvertrauen.
Noch was: Ich dachte wieder, dass ich schwanger sei. Jetzt habe ich meine Tage
bekommen. Vielleicht komme ich auch einfach in die Wechseljahre, dass meine
Periode unregelmäßiger wird. Kann ja auch sein. Im Zuge dieser vermuteten
Schwangerschaft wurde mir einiges bewusst: z.B. dass ich irgendwo in meinem Hirn
den Anspruch formulierte, dass dieses Kind dann doch bitte „gesund“ sein soll. … Als
ich um Weihnachten herum annahm, ich sei schwanger, hatte ich eines Abends vor
dem Schlafengehen aber die ganz deutliche Herzensbotschaft: „Das Kind dürfte
auch das Down-Syndrom haben, und egal wie, einfach so sein, wie es ist.“ … – Bei
diesen widersprüchlichen Gedanken, die mir da durch den Kopf gehen, wird mir klar,
dass ich mich von jeglicher Form des Urteils und der Bewertung, warum wer was wie
macht, verabschieden kann. Eltern, die ihre (vermutlich) „behinderten“ Kinder
abtreiben, sind wahrscheinlich keine Monster. Und ich kann es niemandem ankreiden,
in dieser manipulierten, kranken und lebensfeindlichen Gesellschaft gut angepasst zu
sein.
Jeder hat seine Träume und sehnt sich danach, geliebt zu werden.
And I will keep you safe and strong
and sheltered from the storm.
No matter where it’s barren
a dream is being born.
Jim Steinmann
Wir müssen uns alle nur selbst retten, unsere eigenen inneren Kinder, sonst
niemanden. Das ist alles. Dann ist die Welt gerettet. Wenn wir uns selbst lieben und
halten können.
203
Das mit Gott
Lass Dir immer genug Zeit in Deinem Leben, um etwas zu tun,
das Dich glücklich macht, zufrieden, sogar freudig.
Das hat einen größeren Einfluss auf
das ökonomische Wohlergehen
als irgendein anderer Faktor.
Paul Hawken
Das, was ich „mit Gott“ habe, ist ein dicker Brocken und ich weiß nicht, wie ich mich
ihm nähern soll. Das Kapitel könnte auch die Überschrift tragen „Abrechnung am
Church Hill II“ oder „Das mit den Männern“ - es hängt alles zusammen. Absolut alles.
Ich glaube, dass nicht nur unsere inneren Kinder gerettet werden müssen, sondern
auch unsere inneren Männer und Frauen. Die sind auch ziemlich verkorkst.
„Gott“ … - welch ein Dilemma!! So, wie ich „Gott“ kennengelernt habe, wie ich „ihn“
vorgestellt bekam … - … - das war keine Erlösung. Im Gegenteil, das belastet mich
noch heute: Der allgegenwärtige Gott, der alles sieht, aber nicht liebend, gnädig und
mitfühlend, sondern mit erhobenem Zeigefinger: Pass bloß auf, sei immer schön
artig!
…
Und
dieses
Männerbild!
Dieser
nur
männliche
Gott
mit
seiner
Ernsthaftigkeit, seiner Strenge und Allmacht, dem Liebe und Sanftmut total
abgehen! Gut, vielleicht haben die Großen um mich herum mir das als Kind schlecht
rübergebracht. Letztendlich ist es egal, woher es kommt und warum es so ist, denn
jetzt ist es so und ich muss damit umgehen. Geschichten wie – wie heißen die beiden?
Der sein Kind opfern soll? Abraham und Isaak? Das verstehe ich bis heute nicht. Wie
man das liebevoll deuten könnte. … Weiter: Das Leben als Last, bestenfalls findet
man Erfüllung in der alltäglichen Arbeit. Aber was ist mit Leichtigkeit und
Verspieltheit, wo bleiben Ausgelassenheit und Freude? Sei bloß nicht zu ausgelassen,
das kann ganz schnell ins Unheil führen! Immer schön fleißig sein, ordentlich und
gehorsam! Faul? Das geht gar nicht! Sünde! Sexualität? Owei … nur, wenn man
verheiratet ist und abends im dunklen Schlafzimmer. Bloß nix ausprobieren! Männer
haben da natürlich mehr Freiräume … ho ho ho, hinter vorgehaltener Hand natürlich –
ist ja nicht schlimm, ist ganz natürlich, der Mann braucht das, Männer sind so. Aber
die Frauen – lauter Huren, wenn sie nicht züchtig sind. Zucht und Ordnung – das
passt gut auf den Gott meiner Kindheit. Furchtbar. Dieses Männerbild (wie gesagt)!
Die fehlende Weiblichkeit! Das ist so schrecklich! Und die vorhandene Weiblichkeit,
der „Weiblichkeit“ irgendwie selbst abgeht, die unter der Herrschaft der Männer
verformt ist und innerhalb dieses Systems funktioniert, fällt ihrem eigenen Kind in
den Rücken, verrät es und bietet es den Männern an. – So habe ich es erlebt. Ich
204
möchte dabei nicht ins Detail gehen, weil ich dann wieder eine „schlechte“
Geschichte von meiner Mutter erzählen müsste. Es geht hier nicht darum, dass ich
deswegen noch mit ihr hadere, das tu ich nicht. Letztendlich rupfe ich das Hühnchen
mit mir selbst. Mama bin ich. Es geht um das ganze System, um das innerliche
System, das lediglich im Außen seine Spiegelung findet. Ich will die Lösung in mir
selbst finden. Mir fehlt doch da selbst etwas und ich gestehe mir was nicht zu, ist ja
egal, woher es kommt. In mir selbst herrscht oft noch das männliche Regime.
Was ist mit meiner Weiblichkeit? Was ist mit meiner Männlichkeit? Was ist mit
meiner Wertung, sprich: Welchen Dingen, Eigenschaften messe ich Wert bei? Was,
finde ich, soll zuerst gemacht werden, und was kommt bei mir zum Schluss dran? –
Von wegen, wenn ich Dirk vorwerfe, ich käme bei ihm immer als Letztes dran oder im
Vorbeigehen. Vielleicht komme ich mit meinen Belangen bei mir selbst ja auch zuletzt
dran. Erst alles andere und alle anderen, dann ich. Wenn dann noch Zeit ist. – Ich
verrate auch mich selbst.
Jetzt kann man wieder sagen: Wir sind so erzogen worden. Ja, wir sind so erzogen
worden. Aber: Es ist, wie es ist, und jetzt gilt es eine Lösung zu finden. Meinetwegen
zu er-finden, wenn es sein muss. Ich glaube aber, dass sie schon in mir ist. Sie ist da.
Ich weiß es. – In letzter Zeit, wenn ich ein Problem habe, kommt mir dieser Gedanke
meistens: ich denke: Das Problem, überhaupt dadurch, dass es ist, trägt seine Lösung
schon bei sich. Weil ja alles zwei Seiten hat. Dadurch, dass es in der Dualität
existiert, enthält es auch seine Lösung. Genau die passende Lösung für jegliches
Problem, ist im Problem selbst enthalten. Und wenn ich dann denke: „Danke, dass das
Problem seine Lösung schon enthält und dass ich die jetzt entdecken darf“, dann
kommt sie meistens auch hurtig hervor und es ist ganz einfach und leicht. Ich
strenge mich dann nicht mehr an und will es nicht partout und jetzt aber sofort
selbst lösen. Ich lasse die Lösung einfach kommen - und sie kommt.
„Das mit den Männern“ … - wie fange ich’s an? - Eva Herman … - da ist eine Frau,
öffentlich, im Fernsehen, populär, die spricht von weiblichen Werten, plädiert dafür,
diese wieder anzuerkennen und wertzuschätzen – und verliert dafür ihre öffentliche
Stellung!
Die Frauen … - kriegen Kinder, gehen arbeiten, machen Spagat, zerreißen sich – und
kommen (nicht nur) (bei sich) selbst immer zum Schluss (dran). Wenn überhaupt.
Wahrscheinlich oft auch gar nicht. Und das über Wochen, Monate und Jahre. – Das
ist alles „ganz normal“, da kräht kein Hahn danach. - Wir sind total verhärtet. Dabei
ist das doch zum Himmel schreiend und zum Haare ausraufen!! Wann hören wir
endlich auf? Wann hören wir auf damit? Uns selbst so zu übergehen.
205
Verhungerte Kinder … - „Mutter lässt ihr Kind sterben …“ Das sind ja auch immer die
Mütter. Welche Verantwortung tragen die Väter? Ihren Kindern gegenüber? Ihren
Frauen? Geld verdienen, aber nie da sein? Wir sind total verhärtet. Diese ganze
verzerrte, ungesunde, Menschen-, Tier- und lebensfeindliche Lebensweise erscheint
uns ganz normal. Dabei ist das zum Weinen und zum Herz erbarmen! In meinem
Bekanntenkreis gibt es eine Frau, deren Kollegin wurde in die Psychiatrie eingeliefert
und ihr jüngstes Kind, ein drei Jahre altes Mädchen, durch das Jugendamt abgeholt
und in eine Klinik gebracht. Das Mädchen wog noch sechs Kilo. Die Mutter hat ihr von
Anfang an, seit ihrer Geburt, Abführtropfen gegeben, so dass sie ständig Durchfall
hatte und in ärztlicher Behandlung war. Früher versuchte die Mutter selbst, durch
angeblich lebensbedrohliche Krankheiten … - Aufmerksamkeit zu bekommen,
Auszeiten, Zuwendung und Fürsorge. … - Warum lässt eine Mutter ihr Kind
verhungern? Das hat nichts mit „asozial“ zu tun, außer dass das ganze System, in dem
so etwas geschehen kann, “asozial“ ist, das sind Hilferufe! Unbewusste, denn wenn es
klarer im Bewusstsein wäre, könnte es wahrscheinlich auch adäquater artikuliert und
ganz anders damit umgegangen werden. Als diese Frau die Krankheiten noch bei sich
selbst hervorrief, reagierte niemand. Da nahm sie den Nächst-Schwächeren, ihr
Kind. Nach außen hin schien in dieser Familie alles bestens zu sein: verheiratet, drei
Kinder, eigenes Haus, beide gehen arbeiten, sprich: sind nicht arbeitslos und haben
einen Job, der Mann sogar einen sehr guten, verdient richtig dickes Geld, ist den
ganzen Tag weg, die Frau arbeitet „halbe Tage“. – „Halbe Tage arbeiten gehen“ –
geht doch. Ist doch okay. Drei Kinder haben und einen Mann, der „nie“ da ist. Das
brauche ich gar nicht in Anführungszeichen zu setzen. Ich kenne genug Familien, in
denen das wirklich so ist. Und ich will auch nicht sagen, dass die Männer „blöd“ sind,
an denen hängt auch genug. Die kommen genauso zu kurz. Das System ist von Grund
auf krank. Wir lassen uns manipulieren und versklaven. – Wenn wir nur einmal inne
halten und auf unsere Bedürfnisse hören würden, auf unser Herz.
Einmal hinsetzen und auf das eigene Herz hören. Was sagt das?
Vielleicht muss das alles so passieren, Kinder, die verhungern, Jugendliche, die Amok
laufen, weil wir so
verhärtet sind und das alles „normal“
finden, unser
lebensfeindliches Leben. Ich plädiere nicht dafür, dass Frauen grundsätzlich zu
Hause bleiben sollten, bewahre! Wer gerne arbeiten geht, soll das tun. Wer etwas
macht, was ihm Spaß macht und ihn/sie erfüllt – prima! Ich plädiere dafür, dass
niemand mehr etwas macht, weil er/sie meint, er/sie müsste es machen oder weil
er/sie mittels Aktivismus vor den Schreien des eigenen Herzens davonläuft. Oder
vor dessen Wimmern. Oder einfach nur vor den eigenen Themen.
Lasst uns aufhören, zu funktionieren! Lasst uns leben!
206
Ich will auch im Grunde nicht „die Gesellschaft“ ankreiden, denn „die Gesellschaft“
entspricht unserem eigenen Bewusstsein, und ich meine das alles auch in erster Linie
innerlich: meine männlichen Attribute – Verstandesdenken, leistungsorientiert sein,
der Macher … meine weiblichen Attribute - Gefühle, Hingabe, Herzensweisheit …
meine kindlichen Attribute – spielen, Spontanität, nörgelig-sein, ganz authentisch
sein …. … - Ich glaube andererseits aber auch, dass wir von „irgendeiner bösen
Macht“ versklavt, manipuliert und verarscht werden. Aber irgendwie ist das ist
niemand „Wirkliches“ zum Greifen. Und die wenigen Menschen, bei denen das Geld
und die Macht sitzen, glauben vielleicht am Ende sogar noch an das, was sie tun.
Vielleicht denken sie, sie müssten uns steuern, weil wir zu dumm seien. Die meinen es
vielleicht sogar irgendwie gut, kann ja sein. – Aber das sind Mutmaßungen und
entzieht sich zudem meinem Einflussbereich. – Und auch wieder nicht! – An mir muss
ich arbeiten! Alle Lösungen liegen in mir. Wenn ich es in mir erlöst habe, dann ist es
erlöst. Mir muss ich die Liebe, die Aufmerksamkeit, die Zuwendung und die Fürsorge
geben, die ich ersehne, und auch: sie vom Außen annehmen, wenn sie zu mir kommt.
Ich muss im Frieden sein. Mit mir. Dann ist alles gut. Ich muss mir selbst alles
erlauben und alles in mir zulassen – nein, nicht zu lassen, sondern lassen, öffnen, da
sein lassen. Ich muss mir selbst die Zeit nehmen, geben, die ich brauche, meine
Freiräume. Jemand anderes gibt sie mir nicht. Da erübrigt sich auch Gott. Ich muss
die Göttin in mir entdecken. Die Weiblichkeit. Die fehlt noch. Mann, Kind und Frau! –
Na ja, das Kind fehlt auch noch. Es ist alles so männlich dominiert. Dabei meine ich
nicht unbedingt, dass die Männer die Frauen und Kinder dominieren, die Männer
selbst sind auch von den vorherrschenden männlichen Werten versklavt. Die haben ja
auch weibliche und kindliche Anteile in sich, die zu kurz kommen.
Warum also ist dieser Gott meiner Kindheit so ungenügend? Und warum lässt Gott
das ganze Elend in der Welt zu? Ganz klar: Ihm fehlt die Frau! Der packt das nicht
alleine. Höchste Zeit für Weiblichkeit! Mann und Frau, dann kann auch das Kind
hervorkommen und spielen.
207
Die Geburt der Göttin
Ich werde die Frau, die ich sein will,
grau an den Schläfen, weicher Körper,
heiter, zerfetzt durch ein Leben,
mit einem Lachen, das Bitterkeit kennt,
aber besser wurde danach,
die weiß, sie ist eine Überlebende –
die durchhalten kann, egal was kommt.
Ich werde ein tiefer, verwitterter Korb.
Ich werde die Frau meiner Träume,
die mütterlich Liebende mit Armen, stark und zärtlich,
die fast erwachsene Tochter, die überraschend errötet.
Ich werde zu Vollmonden und Sonnenaufgängen.
Ich finde sie reizvoll, die Frau, die ich sein will,
die weiß, sie ist umfassend, die weiß, sie genügt,
weiß, wohin sie geht, und reist mit Leidenschaft.
Die nie vergisst, dass sie kostbar ist,
und dennoch weiß, sie ist nicht klein und schwach –
die weiß, sie ist FÜLLE, hat FÜLLE zu geben.
Jayne Relaford Brown
Sie muss nicht geboren werden, sie ist schon immer da. Aber wo bist Du? Schläfst
Du? Hundert(tausend) Jahre Dornröschenschlaf?
Die hundert Jahre sind um! Die Dornenhecke öffnet sich. Wir können hindurch. Und
wer erwacht da? Das ist nicht nur Dornröschen, das junge Mädchen, mit ihrer
Leichtigkeit, ihrem Zutrauen und ihrer Lebensfreude, es ist auch die reife Frau, die
Mütterliche, die liebend für sich selbst und andere sorgt, voller Zärtlichkeit, die
auch ihre befreite Sexualität lebt, genießt und teilt, und es ist die weise Alte, die
die ganze Tiefe weiblichen Wissens in sich trägt, der ganze Zyklus.
Du hast uns so gefehlt!
Ah! Wie gut, dass Du da bist!
208
Oma und die Liebe
Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
1.
Korinther 13. 13
Meine Oma ist im Krankenhaus. Sie hat sich den Oberschenkelhals gebrochen. Sie ist
hingefallen und ihre Pflegerin über sie drüber, als sie sie im Fallen nicht mehr halten
konnte. Michel und ich haben sie heute besucht. Sie liegt wie eine Spitzmaus in ihrem
Bett, schläft meistens, und wenn sie wach ist, kann ich an ihrem Blick nicht erkennen,
was sie „begreift“ und was nicht, ob sie mich erkennt oder nicht. Ist vielleicht auch
nicht so wichtig. Über Michel hat sie sich jedenfalls gefreut. Sie hatte die ganze
Zeit den Blick auf ihm und strahlte.
Wir hatten Mama mitgenommen, die jeden Tag zu ihr hin fährt und heute kein
eigenes Auto hatte, weil Papa es brauchte. Später kamen auch noch Omas
Schwiegertochter und die neue Pflegerin, die seit zwei Tagen da ist. Dass eine neue
Pflegerin da ist, hat nichts mit Omas Sturz zu tun. Die Frauen müssen nach einigen
Monaten, die sie hier waren, immer wieder für eine Weile zurück in ihr Heimatland,
wegen Aufenthaltsregelungen, und die Zeit von Omas erster Pflegerin war um. Ich
habe diese Frau bewundert, wie sie das mit Oma gemacht hat. Die letzten Wochen
und Monate liegt Oma zuhause ja die meiste Zeit auf dem Sofa und schläft. Davor
aber war sie total unruhig, blieb nirgends sitzen, war unstet, getrieben und
durcheinander. Sie wusste ja überhaupt nicht, wo sie hin wollte, aber eben immer
woanders hin, als wo sie gerade war: „Ich muss hier mal weg!“ Und ihre Pflegerin
hatte absolut die Ruhe weg und hat das meisterlich geschafft mit Oma. Egal wie Oma
drauf war.
Die neue Pflegerin scheint auch eine Seele von Mensch zu sein.
Oma kriegt jetzt ganz viel Liebe. Alle sind einfach nur lieb zu ihr, zärtlich und
fürsorglich. Oma bringt mit ihrem So-sein, wie sie jetzt ist, an den Menschen um sie
herum Seiten ans Licht, die ich noch nie gesehen habe! Ich war ganz erstaunt, wie
meine Tante Omas Hand streichelte und ihr Gesicht, wie sie mit ihr sprach, ruhig und
liebevoll, und wie ihre Augen dabei strahlten! Das ist echt ein Ding! Na, und mir zeigt
Oma, dass Läuterung nicht immer Gott-weiß-wie heftig geschehen muss, sondern
dass Wandlung und Hervortreten von Neuem, (vielleicht) noch nie Da-gewesenem,
auch ganz sanft erfolgen kann,
natürliche Art und Weise.
209
ruhig, in Schönheit und Anmut und auf ganz
Außerdem kommt die ganze (weitläufige) Familie an Omas Bett zusammen. Das ist
irgendwie schön. – Oma macht uns ein Geschenk, mit dem, dass sie jetzt so hilflos
ist. Ein kostbares.
Danke, Oma! „Michel ist ein kleiner Promi!“
Wäre es uns möglich, weiter zu sehen, als unser Wissen reicht,
und noch ein wenig über die Vorwerke unseres Ahnens hinaus,
vielleicht würden wir dann unsere Traurigkeiten mit größerem Vertrauen ertragen
als unsere Freuden. Denn sie sind die Augenblicke, da etwas Neues
in uns eingetreten ist, etwas Unbekanntes;
unsere Gefühle verstummen in scheuer Befangenheit,
alles in uns tritt zurück, es entsteht eine Stille,
und das Neue, das niemand kennt, steht mitten darin und schweigt.
Rainer Maria Rilke
21. März. Heute ist weltweit der Tag des Down-Syndroms. Letztes Jahr wusste ich
das noch nicht, aber das ist jedes Jahr am 21. 3. Dieser Tag wurde bewusst
ausgewählt, weil die Menschen mit dem Down-Syndrom das 21. Chromosom 3 x haben.
Es heißt ja auch Trisomie 21. (Was mir die liebste Bezeichnung ist.)
Und Michel ist anlässlich dieses weltweiten Tages des Down-Syndroms in unserer
lokalen Zeitung! Ein Foto von ihm und mir vor unserer Pin-Wand in der Küche mit der
Bildunterschrift: „Schon bei Babys mit Down-Syndrom ist die Pinnwand der Familien
oft voll mit Terminen. Ob Arzt, Krankengymnastik, Ergotherapie, Frühförderung –
die Kinder brauchen Entwicklungsförderung auf etlichen Gebieten.“ (24)
Frau Dornbusch von der Lebenshilfe, die mit Michel jeden Montag bei uns zuhause
die Frühförderung macht, und auch für die Zeitung schreibt, rief gestern Abend an
und fragte, ob sie das Foto von neulich noch einmal verwenden darf. Dirk war am
Telefon und sagte ihr, dass sie das natürlich tun darf. Sie hat den Bericht, der
heute in der Zeitung ist, über Familien mit Kindern mit Trisomie 21 in der Region
und deren Verbindungen zum „Draußen“ geschrieben. Der Ausspruch „Michel ist ein
kleiner Promi!“ stammt von Frau Dornbusch. Sie kam damals, als ihr Artikel über uns
210
in der Frankfurter Rundschau abgedruckt war, mit diesen Worten montagmorgens
zur Tür herein. - Und heute ist Michel nochmal ein kleiner Regional-Promi!
Als ich das las, dass der Tag des Down-Syndroms jedes Jahr am 21. März ist, war ich
ganz berührt. Frühlingsanfang, Tag- und Nachtgleiche. Heute ist ein wunderschöner
Tag! Sonnenschein, Leichtigkeit, neues Leben! … - Der „kleine Promi“ hat mich heute
Vormittag, als ich noch gar nichts wusste vom Tag des Down-Syndroms und dass wir
in der Zeitung sind, dazu gebracht, meine Routine zu durchbrechen. Ich war im Bad
beim Zähneputzen, wollte Staubsaugen und dann mein Bücherzimmer abstauben.
Dachte ich. Michel spielte in der Küche. Dann war es verdächtig still: weil Michel im
Wohnzimmer den Schrank ausräumte. Als ich um die Ecke lugte, sah ich, wie er den
Übungsbogen für die Wirbelsäule zerknitterte, den ich vom Orthopäden bekommen
habe. – Der hat mir nämlich keine Massagen verschrieben, sondern diesen Bogen
mitgegeben, und ich soll die Übungen darauf sechs Wochen lang alle zwei Tage
durchführen. Dann müssten meine Nackenbeschwerden weg sein, sagt er. Diese
Übungen und Wärme. Ich mache das auch, seitdem ich bei ihm war, und es tut mir
gut. Aber mein Nacken schmerzt trotzdem noch oft. – Nun denn. - Erst habe ich mit
Michel geschimpft. Da hat er aber nur noch mehr Scheiß gemacht, Knöpfe an der
Stereoanlage gedrückt und noch mehr Schranktüren geöffnet. … - Grrr!!!!! … - Also
nahm ich eine CD, legte Musik auf und dachte: „Pfeif‘ auf’s Staubwischen, kann ich
auch heute Nachmittag noch machen.“ Ich machte ein paar Aufwärmübungen und
übte meinen Übungsbogen durch. Michel gab ich einen Schneebesen und eine
Plastikschüssel – und wir hatten unseren Spaß!
… - „Das vermeintlich Negative wird den Wandel bringen.“ … Ich glaube, es ist ein ganz besonderer Frühlingsanfang. Es wird nicht nur, wieder
einmal, Frühling. (Was an sich ja schon voller Zauber ist.) Es ist der Frühling einer
neuen Zeit. Schon dass alle so selbstverständlich und natürlich Michel begegnen! …
Wäre das vor 10 oder 20 Jahren auch so gewesen? … - Irgendetwas ist anders. Und
es wird nie wieder so sein, wie es war. Ich bin voller Lebensfreude, Zutrauen und
Gelassenheit. Das Leben ist herrlich und die Welt ist wunderschön.
211
Wer hat Angst vor’m schwarzen Mann …
Da alles nur eine Erscheinung ist, vollkommen im Sein was es ist,
nichts mit Gut und Böse zu tun hat, mit Anerkennung oder Ablehnung,
tut man gut daran, laut aufzulachen!
Longchenpa, tib. Mönch
Es ist wieder passiert. Dirk ist alkoholisiert und so sadistisch drauf wie neulich.
Jetzt, hier, heute. Ich bin seit Stunden am Heulen. Jetzt hat er sich Kissen und
Decke genommen und ist im Keller verschwunden. Gott sei Dank! Wenigstens das.
Vorher saß er auf dem Sofa und roch mit roten Augen vor sich hin. Erfüllte das
ganze Zimmer mit Alkoholdunst.
Das Schlimmste aber ist, dass er absolut unerreichbar ist und nur Scheiße erzählt.
„Seine Meinung“. Und das wiederholt er auch dauernd, dass ich „seine Meinung“ nicht
vertragen könnte. Und im Grunde hat er damit sogar recht. Das kann ich auch nicht
vertragen. Das ist so schrecklich heute … - dass es mir aber auch ganz deutlich
zeigt: Nein! Nicht mehr. Das ist wirklich alles andere nicht wert. Das hätte nicht
noch einmal passieren dürfen. Aber da es passiert ist, zeigt es mir, dass ich eine
Wiederholung vermeiden will. Das muss ich mir nicht antun. Dirk schlägt nicht mit
Fäusten wie sein Vater, er tut es mit Worten und indem, dass er zu macht, sich
„blöd“ stellt, ignorant ist und keinen Zentimeter von seinen Behauptungen abweicht.
Ich kann das immer gar nicht fassen. Aber wenn ich mich dem weiterhin potentiell
aussetze, ist es doch das Gleiche, als würde ich körperliche Schläge in Kauf nehmen.
Oder?
Er ist nicht bei Sinnen. Ich habe das Gefühl, er kennt sich manchmal selbst nicht. Es
geht ihm einfach nur um „sich behaupten“ und dabei achtet er darauf, dass er die
Kontraseite zu dem einnimmt, wovon er meint, der andere würde das vertreten.
Ich muss ihm auch „das mit dem Alkohol“ nicht vorwerfen. „Selbst schuld“, sagt Dirk
immer. Und hier hat er damit recht: Ich bin „selbst schuld“. Ich habe die offene
Bierflasche gesehen, damals, als wir nach dem Mittagessen bei Oma zu ihm
rübergingen. Sie stand in einer Ecke seiner Werkstatt. Mittags um eins.
Noch ein schwarzer Mann. In der Reihe meiner dunklen Männer. Der Dritte.
Ich kann das gar nicht beschreiben, was hier heute abgeht. Wir sind auf völlig
verschiedenen Ebenen. Reden geht gar nicht. Über nichts. Jedes Wort mündet in
was, das weh tut. Er sagt nur Dinge, von denen ich das Gefühl habe, er sagt das jetzt
nur, um mir weh zu tun, um mich anzugreifen, zu provozieren und zu verletzen. Und
212
er behauptet Sachen, wie ich sei, was ich meinen würde, was alles überhaupt nicht
stimmt. Sage ich was, antworte ich, fällt er mir sofort ins Wort, hört also null zu,
hin. Und es ist auch egal, was ich sage, er dreht alles in „seine Meinung“ ein und
erstickt es darin.
Ich weiß, dass er ein gutes Herz hat, und ich habe wieder das Empfinden, dass er
irgendwie „besessen“ ist. Und hoffe irgendwo auch immer noch auf ein gemeinsames
Leben. Aber vielleicht ist das auch nur meine Bequemlichkeit. Ist doch ganz bequem
mit Mann, wenn’s halbwegs läuft. … - Nein! Das heute ist alles andere nicht wert! Und
das mit der Bequemlichkeit ein fauler Kompromiss. … - Oder? Könnte das gehen? WG
statt Partnerschaft? … - Mit Dirk? Papa, Mama, Kind als WG?
… - Ja, warum eigentlich nicht.
Aber die Liebesbeziehung ist im A…. Im Arsch! Jetzt ist sie es. Ich hatte schon die
ganze Zeit das Empfinden, dass wir uns nicht besonders nahe sind. Es hat halt jeder
so sein Ding gemacht.
Schade.
… - … Ich denke natürlich schon daran, wozu das alles gut sein könnte. Vielleicht
gehe ich mit Michel in eine Lebensgemeinschaft. Nach Bingenheim ins Schloss zu den
Anthroposophen. Was ich ansonsten nicht gemacht hätte. Und dort werden wir sehr
glücklich leben und es wird eine Bereicherung für unser Leben sein. … - Vielleicht.
Vielleicht auch nicht.
Scheiße!
Vorhin hätte ich Dirk am liebsten ins Gesicht geschlagen. Ich bekam eine Mordswut,
als er eine Provokation rausranzte. Ich sagte ihm das und er meinte, ich könnte es ja
mal probieren. Dann hätte er mir wahrscheinlich einen Kinnhaken verpassen wollen.
Und das ist mein Muster: Ich darf und kann meine Wut nicht rauslassen. Weil sonst
nämlich ich vom (männlichen Gegenüber – dem „Schwarzen Mann“, einem meiner
schwarzen Männer) zu Boden geschlagen werde. Wenn ich sie überhaupt schon mal
spüre, die Wut. Meistens merke ich ja nur die Enttäuschung. … - Damit fing das, was
jetzt ist, vielleicht auch an – ich kann das nicht mehr klar zurückverfolgen. Das,
worum es eigentlich ging, geht in diesen Stürmen mittlerweile immer unter. Ich
hätte Michel Samstagabend gerne gebadet. Wir machen das immer zusammen, zu
dritt. Dirk war aber bis ultimo draußen im Garten, arbeiten. Die ganze Woche über
war er von früh bis spät im Keller. Und ich meine, dass es in so einer kleinen Familie
doch möglich sein sollte, das Kind Samstagabends zu baden.
213
Wenn schon sonst nichts. … - …
Es ist ja nicht „sonst nichts“. Es war eigentlich ganz okay die letzen zwei-drei
Wochen. … - Wann kippt es? Wann ist dann über zu lange Zeit zu wenig Nähe
dagewesen, dass es kippt? Oder was ist das? Woran liegt es? … - Das
Fernsehprogramm geht heute Abend auch nicht. Ganz grünes Bild. … - Laut
Wetterbericht soll es Tornados geben und heftige Schneeschauer. - Bei uns sind sie
schon da. Zwischenmenschlich.
Ich bringe Michel ins Bett. Der Geduldige. Er spielt in der Küche. – Was der wohl von
uns denkt? Wie er das empfindet? Wie wird das noch werden mit ihm und uns?
…-…
Außerdem … irgendwie … meine ich, dass es im Grunde gar nichts zur Sache tut, ob
ich mit Dirk weiterlebe oder nicht. Es geht so oder so.
Zum Lachen, wie der tibetische Mönch empfiehlt, ist mir nicht. Aber dass ich
beschützt bin und nicht allein, das glaube ich.
Draußen prasselt immer wieder in Böen der Regen ans Fenster. Michel ist ruhig. Er
schläft wohl schon. Er war müde.
Und ich esse jetzt Tiefkühlpizza. Mit Mozzarella.
…-…
… Niemand!!
Und wenn die Welt voll Teufel wär‘
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht zu sehr,
es wird uns doch gelingen!
Martin Luther
Drei Tage später. – Wir brauchen immer ein paar Tage, bis wir so einen Sturm
verwunden haben.
214
Was ist die Essenz? Die Schläge, die auf mich eingeprasselt sind, haben mein Ego
weichgeklopft. … - Dirk sagte im Laufe unserer (stundenlangen) Auf-Klärungs-Arbeit
am Vormittag, es stelle ein Problem dar, wie man/er mir etwas sagen könne, weil ich
immer meine, der Andere wolle mir etwas Böses. Das habe ich nun zum ersten Mal
wirklich gehört. Er hat sowas wohl schon des Öfteren gesagt, aber ich steckte das
stets sofort in meine Schublade mit der Aufschrift „Unverständnis, Ignoranz und
absichtliche Provokation“. … - Ich meine, Dirk ist oft barsch und nicht gerade der
Meister in Sachen liebevolle und einfühlsame Kommunikation. … - Aber er meint das
scheinbar nicht böse. Er kann nicht anders.
… - Während der Sturm in unseren Hallen wütete, dachte ich einmal: „Ich fühle mich
wie die Erde: missbraucht, von (einem) skrupellosen, gefühllosen, unverständigen
Wesen. Und ich muss das alles über mich ergehen lassen und kann zu diesem Wesen
nicht in Kontakt treten, weil es mich überhaupt nicht versteht. Es hat keine
Wahrnehmung für mich. Es fegt in seiner Rohheit über mich hinweg und verletzt und
schändet dabei nicht nur mich, sondern auch sich selbst.“ … - Oder die Naturreiche,
die Elfen und Feen und alle, denen wurde genauso Gewalt angetan, und sie konnten
sich nur schützen, indem sie sich zurückgezogen haben. … - … - Und ich glaube, an
dieser Empfindung ist etwas dran. Nicht nur, dass ich der Empfindung als solcher
glaube und traue, sondern auch die Erkenntnis oder die Ahnung, dass die „rohen
Wesen“ nicht unbedingt in böser Absicht handelten, sondern eher aus einer Art
Unvermögen.
Irgendwann im Laufe dieses Vormittags spürte ich auf einmal auch wieder die Liebe
zu Dirk.
… - Als wir beide soweit alles geklärt hatten, fragte ich ihn noch, was er von mir
denken würde, wenn ich jetzt einfach „wieder weitermachen“ würde, angesichts der
potentiellen Möglichkeit, dass „sowas“ noch mal passiert. Ich sei doch dann genauso
… ja – wie? … „blöd“, unfähig, schwach, bequem, abhängig? … wie seine Mutter, die es
nicht geschafft hat, ihren gewalttätigen Mann zu verlassen, die sich immer wieder
hat schlagen lassen. Dirk sagte, das sei ein Prozess, dass wir uns immer wieder mit
den anfallenden Situationen auseinandersetzten, und er fände es gerade gut, wenn
ich zu ihm halten würde und mit ihm diesen Weg ginge, der vielleicht dahin führt,
dass es immer besser wird und „irgendwann gut ist“.
Puh!
…-…-…-
215
Das glaube ich auch. Und außerdem glaube ich, dass ich für alles die Verantwortung
übernehmen muss, was in meinem Dunstkreis passiert. Alles, was in mein
Gesichtsfeld tritt, ist von mir geschaffen, letztendlich. Alles. Für alles habe ich die
Verantwortung. Und wenn ich mit manchem nichts mehr zu tun haben will, dann muss
ich es ent-schaffen. Durch Nicht-beachten und Mich-nicht-darauf-einlassen. Nicht
mehr damit oder dagegen kämpfen, denn dann hat es meine Aufmerksamkeit, meine
Energie und gewinnt Kraft. So war es während des Sturms. Ich habe meinen Platz im
Zentrum des Sturmes verlassen und habe gegen ihn angekämpft. Ich bin hinaus
getreten und es hat mich umgehauen. – „Selbst schuld!“ … - Es gibt keine Schuld, nur
Erfahrungen. Und: Schlussendlich bin ich nun dankbar für diese Erfahrung, weil sie
mein enges, forderndes, nicht-an-sich-glaubendes Ego soweit weichgeklopft hat,
dass es sich mehr und mehr auflösen kann, sprich: im Großen aufgehen, im Glauben an
mich selbst, an die Göttlichkeit, die Heiligkeit, im Vertrauen und in der Freude.
Alles vollzieht sich in Kreisläufen. Und vielleicht macht es ab und zu einen Sprung.
Schwupps! – Und auf einmal haben wir es geschafft und sind auf einer neuen Ebene.
Wochenende. Dirk ist wieder am Räumen. In unserem Hof türmen sich die
Schutthaufen. … - Meine Güte! So viel entrümpelt!
In unserer Küche sieht es z.Zt. aus wie irgendwo in Polen nach dem zweiten
Weltkrieg. Oder irgendwo in Deutschland. Aufgerissen und zusammengestückelt.
Halb ausgeräumt und noch nicht mit dem Renovieren angefangen. Einen Teil der alten
Küchenschränke haben wir schon in den Keller geräumt. Dirk hat seine EisenbahnSachen hineingestellt. Er leistet erst mal Vorarbeit, bevor die Küche dran ist. Und
wir warten auch auf besseres Wetter, damit ich mit Michel mehr raus kann und es
nicht ganz so haarig hier wird, ohne Küche. Habe ich’s schon geschrieben? Ich habe
eine Mutter-Kind-Kur beantragt. Kann sein, dass Michel und ich Ende April drei
Wochen wegfahren. Dann kann Dirk die Küche aufreißen. Das wäre natürlich ganz gut.
Prima wäre das! … – Bei dieser Ausdrucksweise der letzten beiden Sätze, fällt mir
eine Begebenheit ein, betreffs: Kommunikation in Deutschland: Gestern war ich im
Fitness-Studio und nach dem Training in der Sauna. Ein junger Mann kam herein und
setzte sich auf die untere Bank am Ofen. Gleich darauf betrat auch noch ein älterer
Mann die Sauna. Währendem er sich einen Platz suchte, sagte der junge Mann, dass
gleich noch mehr Leute kämen und sie einen Aufguss machen wollten. „Dann bleibe
216
ich lieber weiter unten“, sagte der ältere Mann. „Soll ich ein bisschen rücken?“
fragte der Jüngere. Achtung! Und jetzt kommt’s! Der Ältere antwortete: „Das wäre
vielleicht nicht ganz falsch.“ – Ist doch krass! – Jedenfalls saßen die beiden dann
einträchtig nebeneinander auf dem Bänkchen.
…-…
Jetzt überlege ich, ob ich der „Kommunikation in Deutschland“ ein eigenes Kapitel
widmen soll. Eigentlich wollte ich, bevor mir die Begebenheit aus der Sauna einfiel,
schreiben, dass ich wieder an dem Punkt angelangt bin, an dem alles gesagt ist, was
ich sagen wollte. Ich muss nichts mehr aufschreiben, Gedanken, die ich noch im Kopf
habe, ich habe alles geschrieben, was ich schreiben wollte. Ich bin bei. Auch mit der
Hausarbeit: keine Wäsche im Wäschekorb, alles gebügelt, das Haus ist sauber, noch
nicht mal nennenswertes schmutziges Geschirr zum Spülen. Wir haben sogar Kleider
und Stofftiere für die Altkleidersammlung aussortiert. Die Säcke werden morgen
abgeholt.
…
-
Soll
ich
mich
jetzt
mit
dem
maroden
Kommunikationsstil
auseinandersetzen, der hierzulande grassiert? Weil: Mittwochmorgen in der
Krabbelgruppe: auffällig: (jetzt überspitzt, aber nur ein bisschen) Jeder meint, sich
immer für alles entschuldigen zu müssen, und bringt rüber: „Wir kommen gut allein
zurecht.“ Praktisches Beispiel: Mutter gibt Kind Apfelschnitze. Kind nicht ihr
eigenes. Mutter des Kindes sagt: „Danke. Würden ja sonst auch verhungern.“ – Ist
doch schrecklich! Oder? – Noch auffällig: Welchen Müll sich (schon die
allerkleinsten) Kinder anhören müssen! Praktisches Beispiel: kleiner Junge: spielt die
ganze Zeit schön, quengelt dann kurz, weil: kann ja noch nicht reden, will vielleicht
ein bestimmtes Spielzeug, wer weiß. Mutter: „Sei doch nicht so nervig. Sei doch
nicht wie ein Mädchen!“ – Kann ich nicht fassen! – Auch noch auffällig: nett erzählte
Geschichten aus dem alltäglichen Leben, Begebenheiten mit (Ehe-)Männern, Eltern
und anderen Mitmenschen oder über zu bewältigende Aufgaben, bisschen Ha ha ha,
und ich kann mich die ganze Zeit nicht des Gefühls erwehren, dass den Erzählerinnen
eher zum Heulen ist oder zum Bombe-werfen. … - …
… - Kein extra Kapitel, weil sonst Nähren durch Zuwendung und Auseinandersetzung.
Lieber ignorieren und anders machen. Bisschen darauf achten, dass ich selbst
aufrichtig und integer kommuniziere.
Ich bin bei. Es ist Wochenende!
217
Schutthaufen
Arbeite, als ob du kein Geld brauchst.
Singe, als würde keiner zuhören.
Tanze, als würde niemand hinsehen.
Liebe, als wärest du noch niemals verletzt worden.
Lebe, als ob dies hier das Paradies auf Erden wäre.
Unbekannt
Samstag. Dieses Thema von gestern geht doch mit etwas in mir in Resonanz.
Diese Art der Kommunikation, wie sie mir vergangene Woche aufgefallen ist, hat ja
auch etwas mit Unvermögen zu tun. … - Ist alle Böswilligkeit am Ende nur
Unvermögen? Wir können es (noch) nicht besser und finden keinen anderen Weg?
Ärger auszudrücken, Frustration. – Der Junge bei Stuttgart, der 15 Menschen
erschossen hat. - Liebe auszudrücken, Liebesbedürftigkeit. – Dieser Mann, der seine
Tochter im Keller gefangen hielt und wie viele Kinder mit ihr gezeugt hat. – Warum
machen Menschen das? Was steckt wirklich dahinter? – Was steckt hinter
Sadismus? Ich glaube nicht, dass es Sadismus in der Wirklichkeit gibt. Das ist nichts
Wahres. Es ist verzerrt. Hinter jedem Sadisten steckt ein verletztes Kind,
irgendeine Verletzung, irgendeine Kränkung. Der Mensch nimmt es persönlich und
kann nicht verzeihen, er ist der Meinung, seiner Seele könne etwas angetan werden,
was in Wahrheit, glaube ich, gar nicht geht. Die Seele ist rein und unschuldig. Ihr
kann nichts angetan werden. Sie kann nicht missbraucht werden. Sie ist heilig. Sie ist
voller Glorie. Wir wissen überhaupt nicht, was das ist: Glorie.
Wenn wir uns nur mit unserer Seele verbinden würden. Einfach in unseren heiligen
Raum gehen. … Ich habe das neulich auch gespürt, dieses: einem eins auswischen wollen. Jemand hat
mir die Vorfahrt genommen. Ich bin einfach weitergefahren und es war ganz schön
knapp. Der Andere hat dann noch gehupt – und in mir stieg die Rache hoch. Plötzlich
habe ich den jugendlichen Amokläufer verstanden. Seine Gefühle, seinen Ärger auf
„die Deppen“, die ignoranten, unverschämten, dreisten. Einmal zurückhauen. Einmal
zurückhauen! … - … - Als Kind hatte ich das auch: Phantasien von Macht. Ich stellte
mir vor, jemand anderen gefangen zu halten, ein noch kleineres Kind, geheim,
irgendwo in einem Schuppen, und keiner wusste es. Die Motivation zu dieser
Phantasie war die Angst vor größeren Kindern. Ich fürchtete mich vor ihnen und
dachte, die wollten das mit mir machen, mich als Geisel nehmen. … - … - Alles nur
Phantasie. … - ? - Alles nur Phantasie? Vielleicht ist das mit Vielem so. Wir haben
218
Ängste und projizieren sie nach draußen. Und Zack – wohnt der Feind vor unserer
Haustür. … - Und das mit den Kränkungen: Kann sein, dass es böswillige, intrigante
Menschen gibt. Ich meine, ein paar zu kennen. Aber … - … - Das sind doch alles selbst
Gekränkte. Oft ist es auch die Sorte Mensch, die gehetzt und getrieben durch’s
Leben rennt auf der Jagd nach Anerkennung und Bestätigung. Null innere Ruhe. Warum also soll ich mich auf den Kampf einlassen? Es ist doch viel besser, in meinen
heiligen Space zu gehen und es mir mit mir selbst gut gehen zu lassen.
…-…-…So viel entrümpelt! Klar – da sieht es eine Zeitlang wüst aus, bis alles weggeräumt
ist, weg-geschafft. Ent-schaffen. Ich will nicht mehr kämpfen. Wenn ich nicht mehr
kämpfe, wird es auch keine Deppen mehr geben. Jedenfalls nicht für mich. Weil ich
weiß, dass jeder eine reine und unschuldige Seele hat, voller Glorie.
Ich habe gelesen, dass wir hier als Menschen mit nur ca. 6% unseren ganzen Seins
anwesend sind. Das ist auch der Grund dafür, warum die größten Teile unseres
Gehirns brachliegen. Da wir unsere Gehirne mit den ungenutzten 90% aber schon mal
bei uns haben, sollte es mich nicht wundern, wenn wir die uns dann auch mal so
langsam erschließen. – Vielleicht bedeutet erschließen dabei ja noch nicht mal
aktivieren, sondern einfach entdecken: den ganzen Müll im Hirn ausmisten – und
siehe da: Da ist sie! Die Glorie! Direkt in unseren Köpfen! All unser glorreiches
Potential!
Wie sieht der Müll aus? – Hirnmüll: jeder Gedanke, der uns klein macht, der uns
Angst macht, der andere beschuldigt oder uns selbst, Gedanken des Mangels, alles,
was unser Vertrauen untergräbt. Und dann ganz viel, von dem wir meinen, es lesen
oder lernen oder leisten zu müssen. Wir wissen schon alles. Ja – und natürlich wissen
wir bestimmt ganz Vieles nicht, aber die Antworten, die wir brauchen, tragen wir in
uns, unser Herz weiß. Und wir sollten nur das lesen, lernen und tun, wobei unser Herz
… singt.
Was uns nicht gut tut, das sollen wir lassen.
Einfache Regel.
Vielleicht macht es dann auf einmal auch SCHWUPPS.
Wart’s ab.
… - Ich meine jetzt natürlich nicht: Vermeide Unbehagen, welches deine eigenen
Themen dir vielleicht verursachen. Aber das ist ja klar, gelle?!
219
- Jetzt hat es
draußen geblitzt und gedonnert – KRAWUMM!! - und sofort bricht der Schutt los
und dahinten wird es schon wieder hell.
Genial. Das Leben ist genial! – Hui! Wie das prasselt!
Vorhin ist etwas Schönes passiert: Wie ich hier sitzt und schreibe, klingelt es an der
Haustür. Michel machte Mittagschlaf und er ist schon manchmal durch die Türklingel
wachgeworden. Die Frau vom Hermes-Versand stand vor der Tür mit einem Paket für
meine Nachbarin. Ich hab’s angenommen und während ich es ihr quittiert habe,
kamen mir die Worte: „Wenn Sie wiedermal um diese Zeit kommen, können Sie dann
bitte an die Haustür kommen und mit der Glocke klingeln? Die ist nicht so laut, weil“
Michel schläft. Sie sah mir klar in die Augen und sagte „Ja“ und wünschte mir ein
schönes Wochenende, und während ich von der Gartentür ins Haus ging, dachte ich:
Wie das passt! Anliegen geäußert, spontan und ungeplant, nette Begegnung und gut.
Ich hätte ja auch nichts sagen können und denken: „Die blöde Kuh! Muss die immer
klingeln, wenn Michel schläft?!“ Und irgendwann hätte ich sie vielleicht erschossen.
Jetzt ist aber gut.
Weltpremiere
Der Himmel ist ein weiter blauer Ozean,
die Sterne sind die Fische, die schwimmen.
Die Planeten sind die weißen Wale, auf denen ich manchmal reite,
und die Sonne und alles Licht haben sich für immer verbunden
mit meinem Herzen und meiner Haut.
Es gibt nur eine Regel auf diesem wilden Spielfeld,
denn jeder Hinweis, den Hafiz je gesehen, sagt das gleiche.
Sie alle sagen: „Hab Spaß meine Liebe,
mein Lieber hab Spaß in des Geliebten göttlichen Spiel,
O in des Geliebten wunderbaren Spiel.“
Hafiz
Michel kann alleine laufen! Seit gestern! Nach diesem Blitz und Donnerschlag am
Mittag und dem Prasseln des Regens an die Fenster, wurde er oben im Kinderzimmer
220
wach, und als wir unten waren, stolperte er auf einmal drei Schritte vom
Wohnzimmer in die Küche! Ich sah es aus den Augenwinkeln und drehte mich um und
sah ihn laufen! Hab‘ ich mich natürlich gefreut! „Michel! Das waren Deine ersten
Schritte ganz allein!“ Er hat es dann immer wieder gemacht und es macht richtig
Spaß! Die Arme aufhalten und Michel kommt angelaufen! Und freut sich wie ein
Schneekönig!
Zwei Tage später, Dienstag, letzter Tag im Monat März. Jetzt muss ich noch was
erzählen: Freud‘ und Leid, dicht beieinander … - Oder? … - Vielleicht alles nur
Freude?
Erstmal: Seit gestern ist der Frühling da!! Strahlender Sonnenschein! Und gestern
Abend im Fernsehen beim Wetterfrosch in hr 3 die Schautafeln für die nächsten
Tage: alle gleich: eine strahlende Sonne am blauen Himmel mit ein paar hübschen,
bauschigen, weißen Wölkchen und steigende Temperaturen zum Wochenende hin. Der
Moderator war rein glückselig. Er verstummte angesichts dieser Bilder und
kommentierte sie gar nicht, sie sprächen für sich, meinte er und schwieg einen
Moment lang. Richtig erhaben war das. - Da war sie, die Glorie! – Im Fernsehen! Beim
hr 3 Wetterfrosch.
Und Michel: Am Sonntag hatte er noch Fan-Besuch von Oma, Opa und Tante Dani, die
sich über seine ersten Schritte freuten, und Sonntagnacht, um halb zwölf, fing er
an, sich zu übergeben. Die ganze Nacht lang und vier, fünf Schlafanzüge und
Schlafsäcke voll, bis wir wirklich bei den letzten angekommen waren. Die ersten
zwei, drei Mal wurden wir noch mit vollgekübelt, erst ich, dann Dirk. Dann hatten wir
uns soweit eingespielt, dass wir begriffen, dass Michel vor jedem erneuten Brechen
weinte, und wir hielten ihm dann vorsorglich ein Gefäß unter.
Kein Tropfen blieb bei ihm und ich befürchtete schon, dass wir am nächsten Tag ins
Krankenhaus müssten und Michel Infusionen haben müsse. Als wir morgens dann
gleich zum Kinderarzt fuhren, beruhigte der uns aber, sagte uns, das „gehe um“,
verschrieb Michel Zäpfchen gegen das Brechen und gab uns einen Diätplan mit. Erst
mal sollte Michel aber noch gar nichts essen, nur trinken. Er will auch überhaupt
nichts kauen und nimmt nur Flüssiges zu sich, was Gott-sei-Dank jetzt auch drin
bleibt. Er ist total schlapp und lag gestern den ganzen Tag nur auf dem Sofa, bzw. im
221
Reisebett, das wir im Wohnzimmer aufgestellt haben. Heute Morgen hatte er
nochmal ordentlich Durchfall, im Laufe des Tages aber nicht mehr. Jetzt ist er „nur
noch“ müde, weinerlich und krank.
… Und wir – haben alles über den Haufen geschmissen gestern und heute an
„normalem Tagesablauf“ und widmen uns unserem Kind. Und wisst Ihr was?! Das ist
eine richtig schöne Erfahrung!
Die Waschmaschine läuft mehrmals am Tag.
…-…-…Dann hatte ich wieder Zoff mit Dirk. Schon am Sonntag. Weiß gar nicht mehr,
warum. Ich war ganz schön sauer auf ihn und lastete ihm sein … - naja … - kennt Ihr
ja alles schon: mürrisch-sein, gemein-sein usw. an. Ich fühlte mich wieder mal
zutiefst unverstanden und noch dazu mutwillig geringschätzig, böswillig, gleichgültig
… wie-auch-immer … behandelt. … - Im Grunde war ich auch sauer mit mir selbst, weil
ich mich so schwer und schlapp und lethargisch fühlte. Da war‘s ganz gut, ein
bisschen einen Sündenbock zu haben. … - Den Streit habe ich angefangen. Naja –
nachdem Dirk eine blöde Bemerkung gemacht hatte.
Mein Dilemma ist, mich einerseits darin zu üben, die Dinge anzunehmen, wie sie sind,
aber andererseits die Dinge, wie sie sind, manchmal so unerträglich finde, dass ich
meine, das nicht ertragen zu können. Dann sehe ich das einzige Heil darin, mich von
dem Alten – dem Alten auch, meinem Macker (ha ha) – abzuwenden. Dann will ich was
Neues erschaffen … - und zweifle gleichzeitig an mir selbst, dass es immer und
immer wieder auf die gleiche alte Weise daherkommt. … - … - Vielleicht ist es wie mit
dem Frosch, der in den Milcheimer gefallen ist. Er paddelt und paddelt und kurz
bevor er meint, jetzt kann er nicht mehr, jetzt säuft er ab, hat er die Milch zu
Butter gepaddelt, der Boden unter ihm wird fest, er ist gerettet und hüpft aus dem
Eimer in die Freiheit. – Das fällt mir gerade ein. – Danke, schreibende Kreativität in
mir, liebes Werkzeug, liebe Hilfe!
Da ist aber noch viel mehr: Unterstützung, Erklärungen, Hilfen, Neues aus allen
Ecken! Zunächst befragte ich in meiner Verzweiflung am Sonntag das Orakel (25):
„Was geht hier (wieder und wieder) vor? Was soll ich tun?“ Das ist des Orakels
Antwort: „Ozean, Nektarmeer, Ausdehnung. „Die ruhende Kraft des Wassers“. Stell‘
dir vor, Du bist der ganze Ozean, nicht die Welle auf seiner aufgewühlten
Oberfläche. Diese erquickende Ruhe im Herzen ist Dein innerer Nektarquell, der
Dich mit kraftvoller Weite nährt. Wenn Du Dich mit dieser Weite verbindest, sehen
die Dinge gleich ganz anders aus: Statt von den Emotionen hin- und hergeworfen zu
222
werden, kannst Du mit tiefer Ruhe beobachten, wie sie sich in Dir bewegen - und sich
ganz von selbst wieder auflösen.“ –Tja – sowas Ähnliches hatte ich mir auch schon
gedacht. … Immer, wenn ich mit Dirk streite, in all meiner (echten) Verzweiflung,
spüre ich auch immer dieses Es-ist-und-es-ist-nicht-Feeling in mir. … - Nur: So, wie
ich am Sonntag drauf war, war das Meer, in das ich hätte abtauchen können,
leergefischt und vergiftet. … - … - Ich habe auch über Tage keine körperlichen
Übungen gemacht, nicht Fitness-Studio und kein Rückentraining zuhause, was mir
doch immer gut tut, mich ausgleicht und erdet. … - … - Habe
„die Schuld“ ein
bisschen Dirk in die Schuhe geschoben, weil der „es mir nicht ermöglicht hat“, weil
er seinerseits dauernd mit irgendwelchen Sachen beschäftigt und unterwegs war und
ich dadurch keinen Freiraum hatte. … - Ja ja. Schön blöd. Bin ich da gewesen. Ich
weiß. … - Immer, wenn ich schwer und lethargisch bin, laste ich mir das an. … Immer
nicht, aber oft.
… - Dann, als ich mir wieder den Freiraum für meine Rückenübungen nahm, mir
organisierte, nahm ich auch mein Yoga-Buch mit (16). KW 14: Ich rechnete mit einem
Wochenthema, das voll zum Frühling in Bezug stünde: Power, Wachstum, Dynamik –
und hatte deshalb auch Widerstände in mir, das Buch überhaupt zu öffnen, weil ich
doch lieber noch meine Ruhe haben wollte. Ich schlug es dann aber doch auf. Und was
stand da? „Nur die Ruhe kann es bringen“ stand da! Und unter dem Meditationstext
ein Bild, auf dem ein Gesicht abgebildet ist, das sich über einen Wasserspiegel beugt
und sich darin betrachtet. Von wegen: Nur wenn die Oberfläche ganz ruhig ist,
können wir (uns) klar sehen. Schon die kleinsten Kräuselungen verzerren das Bild. …
Die ruhende Kraft des Wassers …
… - … - Haste da noch Worte?
Und das ist noch längst nicht alles! Als ich das Internet anmachte, war dort im
Esoterium ein neuer Text von Karen Bishop. Sie beschrieb die von mir durchlebten
Situationen. Und: „ … wie immer, wenn wir uns in eine höhere Schwingung hinein
bewegen, können wir lethargisch werden, schwach, schläfrig, müde, out-of-space, und
absolut schlaff.“ … - … - Zu alle dem hat Dirk auch noch Kontoauszüge geholt: fast
200,- € im Soll obwohl das Geld für April vom Arbeitsamt schon da ist. – Du liebe
Scheiße!! … - … - In Karen Bishops Text stand, es könne auch sein, dass das Geld alle
ist, und dann, in Klammern, wie beiläufig: „Wenn es so ist, bist Du im Neuen
angekommen.“
223
Auf den Lahnbergen
Der Test für den "richtigen" Weg:
Lässt dein Tun deine Liebe wachsen, so bist du auf dem richtigen Weg,
vermindert es sie, so entfernst du dich von ihm.
nach einer indischen Weisen
Break.
Wir waren in Marburg in der Kinderklinik. – Alles stehen und liegen gelassen und uns
den Geschehnissen hingegeben, mitgegangen.
Nachdem Michels Durchfall am Dienstag nicht so schlimm war, mussten wir ihm am
Mittwoch bestimmt zehn Mal die Kleidung wechseln, weil es ihm alle Nase lang aus
der Windel rauslief. Abends hing er dann ganz schlapp in Dirks Arm und weil er nicht
trinken wollte, fuhren wir nach Gießen in die Kinderklinik. Dort bekam er eine
Infusion angehangen. Als die Blutwerte vorlagen, sagte uns die diensthabende
Ärztin, dass ein Wert so im Keller sei, dass die eine Infusion nicht ausreiche und
Michel stationär bleiben müsse. Sie hatten aber keinen Platz mehr für uns und sie
telefonierte in anderen Kinderkliniken umher – die auch belegt waren: Gelnhausen,
Hanau … – und so sind wir in Marburg auf den Lahnbergen gelandet. Wegen der
anhängenden Infusion wurden Michel und ich mit dem Rettungswagen dorthin
gefahren, in der Nacht.
Tja. Und dann waren wir zwei Tage lang (wieder mal, völlig) out of space. … - Das hat
was von einer Weltraumstation, diese Uniklinik da oben: auf dem Berg gelegen,
hypermodern, eine Welt für sich, geschäftig, freundlich, offen, kompetent … - ja,
sehr offen … jung. … - … - Ich war froh, dass wir dort waren und dass Michel
geholfen wurde. Nur Ruhe gibt es in so einer Klinik keine. … - Als wir angekommen
waren und als die Nachtschwester gegangen war und wir alleine im Zimmer waren,
bat ich um Schutz und Einbettung und darum, dass sich dieser Aufenthalt so
harmonisch wie möglich gestalten möge. Und das tat er. In der Nacht kam noch ein
weiteres Kind mit seinen Eltern zu uns ins Zimmer. Ein größerer Junge, vielleicht
fünf, der mit seiner Mama das zweite Bett belegte. Die beiden waren sehr
angenehme Zimmergenossen. Er war auch mit Bauchschmerzen eingeliefert worden,
aber bei ihm war es eher Verstopfung und Verdacht auf Blinddarm, und nachdem er
am nächsten Morgen einen Einlauf bekommen hatte, fuhren die zwei wieder
nachhause.
224
Am Nachmittag wurde das Bett gleich wieder belegt. Dieses Mal war es ein kleines
Mädchen, vielleicht ein Jahr älter als Michel, die die gleichen Beschwerden hatte wie
er, nicht enden wollendes Erbrechen und Durchfall mit Fieber. Eine Schwester sagte
uns, dass sie auf der Kinderstation schon seit November täglich vier, fünf
Einlieferungen mit diesen Magen-Darm-Symptomen hätten, es wolle dieses Jahr gar
nicht aufhören. – Große Reinigungswelle. - Dirk unterlag ihr auch, er bekam auch
Durchfall. Mir wurde schlecht, ein paar Tage lang, ich hatte keinen Appetit, bzw.
wenn ich etwas aß, hob es mir. Ist aber alles drin geblieben. Ich habe es wohl
innerlich verwandelt. Und: Jetzt passen mir wieder ein paar meiner Hosen, die mir
vorher nicht passten! Das ist ein angenehmer Nebeneffekt. Ein anderes Resultat
dieses Procedere sind Michel und ich als Mama und Sohn. Das hat uns nochmal auf
eine tiefere, weitere Ebene gebracht, dass ich einfach für Michel da sein konnte,
ihm Halt geben, ihn trösten, wenn er weinte, ihn beruhigen durfte, bei ihm sein. Dass
er und ich, wir beide, da alleine waren, ohne Dirk. Das war gut. Das hat die Liebe
vertieft und unsere Beziehung. …- … - Außerdem habe ich das Gefühl, dass er in den
zwei Tagen zehn Zentimeter gewachsen ist. Und auf jeden Fall hat er sich
entwickelt, er ist gewachsen, in seiner Persönlichkeit, in dem, was er tut. Auch er ist
weiter und offener geworden, da oben auf den Lahnbergen, kompetenter.
Als wir heimkamen, war die Bewilligung für die Mutter-Kind-Kur da. Nun fahren wir
also am 29. April ins Saarland zu Kur. … - Und nach dieser Erfahrung des
Klinikaufenthaltes kann ich das jetzt ganz entspannt angehen. … - Denn ich bin auch
gewachsen, weiter und offener geworden, kompetenter. Ich bin jetzt eine sicherere
Mutter. Vorher war mir etwas bange: ich, drei Wochen allein mit Michel. – Jetzt
freue ich mich drauf.
… - Das scheinbar Negative wird den ersehnten Segen bringen. … - Vermeintliche
äußere Zwänge haben uns Tiefe und Liebe beschert. Wir waren wieder mal genau
richtig. Zur rechten Zeit am rechten Ort durch die für uns absolut angebrachtesten
Umstände. Ein Geschenk des Himmels!
225
Das mit Dirk
Es geht nicht darum, das Richtige zu tun,
sondern das Falsche zu lassen,
damit sich das Richtige von selbst tun kann.
F. M. Alexander
… Eigentlich müsste ich dazu gar nicht mehr zu schreiben. Das Zitat da oben
bringt es auf den Punkt.
… - Ich füge auch noch das zweite Zitat ein, das für dieses Kapitel zur Wahl
stand, und erzähle dann … das mit Dirk:
Wir wollen Wege, weil wir ständig in Furcht sind, in die Irre zu gehen.
... Da ist eine Stelle in uns, die hat a priori Angst
vor dem falschen Weg und rechnet mit ihm.
Obwohl wir doch wissen müssten, seit uralten Zeiten,
dass sogar die "falschen" Wege ... uns weitergebracht haben.
Joachim-Ernst Behrendt
…-…Wir kamen aus der Klinik nachhause … und zack! Ging’s wieder los. Oder weiter.
Wieder Enttäuschungen, wieder Erwartungen. Natürlich muss ich das umgekehrt
schreiben: erst die Erwartungen, dann die Enttäuschungen. Dann das Aussprechen
dessen, dann der Krach, das Chaos, der Kampf … dann das Gefühl, gegen einen Zug
gelaufen zu sein. … - Ich habe keinen Nerv, das jetzt zu illustrieren. - Will nicht
wieder einen Brummschädel bekommen!
… - … - Wir haben dann von uns aus schon mal innegehalten. Es einfach so sein
lassen. Das war das eine, unser Missklang … aber da war ja auch noch ganz viel
anderes. … Schönheit, Ruhe, Einfachheit, Spaß und Freude mit Michel z.B. … - So
habe ich es gemacht. Weiß nicht, wie Dirk es für sich geregelt hat.
Dann waren wir diese Woche wieder bei unserem Berater beim Diakonischen
Werk. Und: Es ist immer noch so: Er erzählt nichts Neues, und doch öffnet er uns
die Türen und hilft uns, unsere Last hinter uns zu lassen. … - Ich meine, Dirk
schon so oft so viel von dem, was wir dort reden, gesagt zu haben, aber erst da,
im Beratungszimmer, kommt es bei Dirk an. … „Ich wusste doch nichts von Deinem
kleinen Mädchen!“ sagte er in der letzten Sitzung. Und ich weiß nicht, wie oft ich
ihm, wenn wir streiten, schon gesagt habe, dass sich da unsere inneren Kinder
226
austoben und dass er mich, sprich mein inneres Kind, doch mal in den Arm nehmen
soll. Er erzählt dann fünf Tage lang, dass das auch nichts ändern würde, wenn er
mich umarmen würde und tut es auch nicht. Woraufhin mein inneres Kind
verzweifelt und tobt … - … So ist es gewesen.
Unser Berater legt hin und wieder einen trockenen und sehr treffenden Humor an
den Tag. Er sagte: „Blöder Spruch, aber: ‚Gut, dass wir drüber gesprochen
haben!‘“ Ja! Da hat er recht! Wie gut, dass wir nochmal darüber gesprochen haben!
Auch für mich, die ich meine, das alles schon zu wissen. Ich habe das Drübersprechen auch noch mal gebraucht. … - … - „Es wird nie gut sein“, sagte er zu mir.
„Die Bedürfnisse des kleinen Mädchens können nicht mehr gestillt werden. Weil
die Situation vorbei ist. Das ist wie ein Loch, das nicht gefüllt werden kann.“ – Das
Warten auf Mama. Die Sehnsucht, dass sie mich in ihre Arme nimmt und lieb-hält.
– „Er (Dirk) kann dieses Bedürfnis nicht befriedigen, auch kein anderer
potentieller Partner dieser Welt.“
Ja.
Da hat er recht.
Gut, dass wir drüber gesprochen haben.
…-…-…Mama.
…-…-…Dirk. … - Es ist schon vorher in mir aufgestiegen, vor unserer Beratung: Er tut
wirklich alles für mich und uns. Er ist halt manchmal etwas barsch und düster. Und
dann tut er es vielleicht zwei Zacken abweichend davon, wie ich es mir vorstelle …
und daran hänge ich mich auf, beschwere mich … und ihn … und unsere Beziehung.
… - … - Mein kleines Mädchen ist so verletzt, gekränkt und beleidigt … Dirk hat da
keine Chance. Selbst wenn er es fertig bringen sollte, mich im Streit in den Arm
zu nehmen, kann es gut sein, dass ich ihm gegen das Schienbein trete, denn in mir
ist eine Instanz, die reizt es immer so weit aus, bis sie jeden in die Flucht
geschlagen hat. … - Um in ihrer alten Erfahrung bestätigt zu werden: „Siehste,
der auch!“ … - … „Manches macht man so lange, bis man es lässt“, sagt unser Berater.
227
Das mit Gott, Teil 2
„Das wahre Wunder besteht nicht darin, auf dem Wasser zu wandeln,
sondern auf der Erde zu gehen.“
Thich Nhat Hanh
Ich bin die Göttin und das Kind.
Ich bin die Mama. Ich kann mich nur selbst halten.
Ja, klar, ich kann auch zu meiner Mutter gehen, sagen: „Bitte, Mama, halte mich.“
Das könnte ich tun.
Wenn ich’s mich mal traue.
Einmal habe ich’s gemacht. Das war schön.
Als ich 17 oder 18 war, habe ich’s auch mal gemacht. Da hat sie mich abgewiesen.
… - Und ob das Loch von damals zu füllen ist, das von ganz früher, das des
alleingelassenen Kindes? … - … - Ich nehme es einfach zu mir, wie du bist, so
verletzt und bedürftig. Lass‘ dich bei mir sein. Weiß, dass du da bist. Bin bei dir.
Liebe dich. Halte dich.
Ich weiß nicht, ob es gut ist. … Es ist, wie es ist. Ich trage dich und wir gehen ins
Neue. Und da werden wir auch hingetragen. … Und auf dem Weg … vergessen wir …
unser altes Leid. … Etwas Größeres ist da, das uns führt … und wir gehen darin
auf. … Hab‘ keine Angst, mein Kind, hab‘ keine Angst mehr.
…-…-…Gott ist Mann und Frau in einem. Mehr und mehr spüre ich die liebende Göttin,
den mütterlichen, femininen Teil, mit seiner Sanftmut, seiner Empfänglichkeit,
seiner
Kraft,
seinem
Zauber!
Aber der
liebende,
männliche,
väterliche,
partnerschaftliche Anteil steht da irgendwie auch noch hintenan und möchte
hervorkommen und endlich sein. Der alte Gott meiner Kindheit, der aus der Bibel,
aus dem Alten Testament, und dem neuen, … der war kein liebender Vater oder
verlässlicher Partner! Der war einfach nur dogmatisch: du musst, du sollst, du
darfst nicht! Und pass auf, ich sehe alles! – Nein! Nein! Nein! – Schluss! Aus!
Vorbei! – Schwuppdiwupp! Schwuppdiwupp! Schwuppdiwupp! Raus aus der Enge!
…-…-…-
228
Die alten Schutthaufen in unserem Hof sind weg. Papa hat sie entsorgt.
Und es liegt schon wieder ein neuer da, weil Dirk eine Wand für den neuen
Partyraum rausgehauen hat. Noch eine. Die wievielte ist das? Neue Türen hat er
auch gehauen. Er verbindet und schafft neue Räume.
Wie innen so außen.
… - Ob das dem Partyraum auch weh tut, wenn so an ihm gearbeitet wird? … - Und
ob er sich dann freut, wenn er gewahr wird, was Neues entsteht? Wie schön er
sein kann? Ob er das für möglich gehalten hätte, nochmal so schön zu werden?
Ganz jung und ganz was anderes. Früher war er ein dunkler Geräteschuppen und
jetzt wird es ein heller, freundlicher Raum. Er hat jetzt ein großes Fenster und
bekommt ein neues Dach und wir werden unsere Geburtstage in ihm feiern. … Oder unser Keller, der jahrelang mir allem möglichen Krempelkram vollstand, den
ich wahrscheinlich die nächsten 20 Jahre auch noch von einer Ecke in die andere
geräumt hätte: Dirk hat alles weggeschmissen, streicht die Wände hell-aprikot
und baut seine Modellbahnanlage hinein. – Welche Ehre für den Keller!! - Der
freut sich bestimmt!
…-…-…Wahrscheinlich hat es Gott-Göttin selbst nicht besonders gut gefallen und mit
Sicherheit keinen Spaß gemacht, so verunglimpft zu werden. Diese Strenge, diese
Härte, die fehlende Leichtigkeit und Freude. Der Dogmatismus … und dann auch
noch die verschiedenen Religionen, bzw. ihre verbissenen Anhänger: „Ich hab‘
recht!“ „Nein, ich!“ bla bla bla. … - … - Das mit dem freien Willen ist ja schön und
gut. … Aber wenn es so viel Leid verursacht … nur, weil die trotzigen Kinder keine
Einsicht zeigen … . Ich würde meine Kinder zusammenrufen und ihnen sagen:
„Hier, kommt, jetzt habt Ihr gesehen, wie das ist. Lasst uns jetzt wieder in die
Liebe gehen.“ Wer partout nicht will, kann ja auf dem Spielplatz bleiben. Aber die
anderen sollen die Chance haben, mit nachhause zu kommen. Und für die, die noch
ein bisschen spielen wollen, legen wir eine dicke, rote Kordel auf den Heimweg,
dass sie nachkommen können.
Mir reicht’s. … - „Leid ist das Verleugnen der Liebe“ habe ich irgendwo gelesen.
Und seit ich diesen Satz gelesen habe, sehe ich in jedem menschlichen Leid, sei es
meines oder das von Freunden und Bekannten, die Wahrheit dieser Aussage. –
Wenn ich wegen Dirk leide, gebe ich ihm und seiner Liebe zu mir keine Chance. Ich
verleugne sie. Dabei ist sie da. - Ganz einfach.
…-…-…-
229
… - Und das mit Jesus! … - Es ist Ostern. Michel hat ein Bilderbuch mit der
Ostergeschichte geschenkt bekommen. In dem Buch wurde auf ein Bild von Jesus
am Kreuz verzichtet und das finde ich in aller Schlichtheit bahnbrechend! Schluss
mit dem Leid! Kein Jesus am Kreuz mehr! Er ist auferstanden! Das ist doch die
Botschaft, Mensch! Die frohe! Stattdessen wurde er 2000 Jahre lang in den
Kirchen und an jedem dicken Baum am Kreuz hängend gezeigt. Wie bekloppt sind
wir eigentlich? Wie leidenssüchtig? … Mir reicht’s.
Jesus ist auferstanden. Er hat es geschafft. Und wir schaffen es auch!
Wollen, Schuld und Freiheit
“Es ist schon eine Last mit euch Menschen!
Immer treibt es euch weiter, weil ihr meint,
ihr müsstet euch das aus eigener Kraft zusammenraffen,
was man nur geschenkt bekommen kann.“
Der Zirbel, Hans Bemmann
Ein paar Dinge schwirren in mir herum, die ich gerne noch aufschreiben würde,
bevor wir in Kur fahren. … Zwischen Fensterputzen, Fliegennetze aufhängen,
Küche ausräumen und Michels zweiten Geburtstag feiern. …
… Kinder trauern nicht. Es tut ihnen nicht leid, wenn jemand stirbt. Und sie
können auch Trauer bei Erwachsenen nicht nachvollziehen. Sie sehen nur, dass es
so ist, dass die Großen trauern. Bei mir war es so, als mein Bruder starb, mein Opa
und meine Tante; bei den Kindern meiner Schwester war es so, als ihr Opa
väterlicherseits starb und kürzlich habe ich in einem Buch einen Satz dazu
gelesen. Seitdem muss ich daran denken.
Außerdem habe ich im Internet einen Channel gelesen, in dem es hieß, der größte
Irrtum, dem wir erlegen seien, sei unser Glaube an Schuld. (26) Scham gehört da
auch noch dazu, meine ich. … - … - Ja. Das hält uns klein, eng und gefangen. Vieles
machen wir gar nicht erst, aus Angst, uns irgendwie schuldig zu machen, wird in
dem Channel gesagt, und dass wir mal überlegen sollten, wessen Überzeugungen
das eigentlich sind, ob wir selbst das glauben, oder ob wir einfach noch an alten
Erzählungen festhalten, an dem, was uns unsere Eltern, Großeltern und wer noch
erzählt haben. Was glauben wir? Glauben wir das alles? … - Prompt traf ich beim
230
Spazierengehen eine Bekannte aus dem Dorf. Ich erzählte ihr, dass Michel und
ich in Mutter-Kind-Kur fahren, worauf sie mir sagte, sie wolle auch eine Kur
beantragen – sie hat eine körperliche Behinderung - , aber sie habe Hemmungen,
weil das doch immer zu Lasten ihrer Arbeitskollegen ginge. Ich antwortete ihr,
dass die Kollegen ein anderes Mal dran wären und dass man sich solche Freiräume
selbst schaffen muss. Wenn sie darauf wartet, dass es am Arbeitsplatz mal passt
oder dass gar ein anderer sie fragt, ob sie sich mal erholen wolle, wird sie
wahrscheinlich in Rente gehen, ohne in Kur gewesen zu sein. Die Anderen haben
immer etwas, was man für sie tun kann.
… Einfach für sich selbst sorgen.
…-…Es ist jetzt so ein einfacher, leichter Flow da … irgendwie …. … Alles ist zur
rechten Zeit da. Wir sind mit allem versorgt. Im Fluss. – Und nicht nur mit dem
Nötigsten! Auch Extras und Luxus: Die Straße vor unserem Haus wird auf eine
Strecke von vielen Kilometern neu asphaltiert, d.h. sie ist gesperrt: herrliche
Ruhe! Als wir an Ostern bei diesem strahlendem Sonnenschein grillten. Nichts los
auf der Bundesstraße. … – Und unsere Kur ist doch auch Luxus. Das Geld für die
eigene Zuzahlung von 210,- € für die drei Wochen und noch etwas Taschengeld
nehme ich von Michels Sparbuch. … Subtile Falle: Bei dem Gedanken hatte ich
zunächst auch Skrupel. Schuldgefühle. Michels Sparbuch soll unangetastet
bleiben. … Warum aber? Das alte Geldsystem löst sich wahrscheinlich eh auf. Da
geben wir das, was wir noch haben, doch lieber vorher aus. Ach! Und auch ohne
Erklärungen: Wir machen es einfach so. Wüsste auch nicht, wie es z.Zt. anders
gehen sollte. Ja, „Geld“ haben wir keines, aber wenn wir was brauchen, ist es doch
da. Und sonst haben wir alles!
Ich habe so ein VWErtrauen in mir – das sich schon verkehrt schreibt, weil ich
eigentlich auch gar nicht darüber reden will, kann, … weil es im Grunde kein
Vertrauen mehr ist, sondern nochmal was anderes. Ruhe, Gelassenheit, Abwarten.
(Vor-)Freuden. Irgendwie. Glaube, Hingabe, geschehen-lassen , mitgehen. … Und
das auch alles nicht mehr. Einfach sein. … Zusehen. Wissen …. Ich kann es nicht
wirklich beschreiben.
… Ich will auch nichts mehr. Z.Zt. will ich nichts. … Das Thema „Wollen“ ist mir
dieser Tage auch nochmal begegnet: Wenn man etwas partout will, macht man sich
damit für das, was man will, eher zu. Bzw.: Es geschieht sowieso das, was das
Beste für einen ist. Und das ist oft etwas anderes als das, was man unbedingt will.
Siehe: Ich wollte sooo gerne stillen. War mein großes Ideal. … Hat nicht geklappt.
231
Fazit ist aber: Im Nichtgelingen des Stillens war ein Geschenk für mich
eingewickelt. … - Ich wollte einmal sooo gerne einen Esoterik-Laden aufmachen.
Unabhängig sein, selbstständig und frei. – Ist nichts draus geworden. Gott sei
Dank. Viel zu lange Arbeitszeiten für jemanden wie mich, ein eigener Laden in
Selbstständigkeit. … - Ich wollte ein Profi werden in Haltgebender Erziehung,
selbst Vorträge und Seminare geben zu diesem Thema, oder auch sooo gerne
selbst Tarotsitzungen veranstalten. Und bevor ich mit Michel schwanger wurde,
hatte ich mich zu einer mehrjährigen, berufsbegleitenden, psychologischen
Ausbildung angemeldet, wollte Familienaufstellungen machen, NLP und solche
Sachen. – Njet. Is nischt. … … - Jetzt überlege ich, ob ich von alle dem noch einmal etwas angehen sollte. … … - … - … - Bei diesen Vorhaben hatte ich stets Vorbilder. Menschen, die mich
beeindruckten, und die diese Dinge praktizierten. Ja. Und das sind lauter prima
Menschen. Ich bewundere sie. Ja, verehre sie. Sie bringen viele wunderbare
Sachen in die Welt.
… - Aber was ist meins?
… - … - … - Offen sein. Mitgehen. Ich komme von selbst dahin. … Und ich bin auch
immer schon da.
Das Naheliegende tun und alles für möglich halten. Das ist die Freiheit! Sich nicht
verzetteln, im Augenblick sein und offen. Mehr braucht es nicht. Dann ist hier, wo
ich gerade bin, ein kleiner Punkt, ein bisschen Raum und gleichzeitig alles, das
Ganze. Das ist so einfach, dass man es kaum sagen kann.
Ostern ist vorbei.
Am Montag wird Michel zwei Jahre alt!
Ende des Monats fahren wir in Kur. Drei Wochen.
Wenn wir wiederkommen ist Sommer.
Der erste Sommer im goldenen Zeitalter vielleicht.
232
Dritter Teil
Mai …
233
In den grünen Wäldern des Saarlands
Jetzt sind wir, natürlich, wieder zuhause, sonst könnte ich nicht schreiben. Dort gab
es keinen PC. Jedenfalls keinen, zu dem ich Zugang gehabt hätte. Nur die Geräte in
der Verwaltung, und Auto hatte ich keines dabei, um in ein Internet-Café zu fahren.
Dirk hat uns hingebracht und auch wieder abgeholt. … Es war klasse! Mensch bin ich froh, dass wir diese Mutter-Kind-Kur gemacht haben!!
Eines nehme ich gleich vorweg: Wir kamen dort an und: Es war Baustelle. Und wie!
Rund um‘s Haus und im Haus, alles neu. Neu gebaut, neu eingerichtet und nun waren
sie am Isolieren und Verputzen. Ein Rundumschlag. Wegen der Umbaumaßnahmen war
die Klinik nicht voll belegt. Wir waren in diesen drei Wochen zwischen 10 und 15
Frauen mit ihren Kindern. Mehr waren es nicht. Mittwochs war An- und Abreisetag,
das brachte neue Mischungen, wodurch sich zwischenmenschliche Begebenheiten
immer wieder relativierten. - Und das, was die ganze Zeit vorher hier zuhause
„Sache“ war, hat sich total relativiert in diesen drei Wochen. Dirk war so weit weg …
- ich dachte manches Mal: „Ich kenne ihn gar nicht mehr.“ Ich habe auch niemanden
vermisst, weder Dirk, noch die Katzen. Obwohl ich Heimweh hatte. Aber es war
einfach gut. Eine runde Sache.
Am ersten Tag, als ich Michel ins Kinderhaus gebracht hatte – die Betreuungszeiten
waren von 8.30 bis 16.00 Uhr und sollten auch verbindlich eingehalten werden zweifelte ich das Ganze zunächst von Grund auf an. Ich hatte Michel weinend dort
gelassen, weinte selbst und dachte, wir hätten zuhause bleiben sollen, in unserem
Nest, Michel ist noch viel zu klein, um in einen Kindergarten zu gehen, dieses System
ist ungesund, in dem so kleine Kinder unter dem Vorwand der „Bildung“ in
Kindertagestätten geschickt werden … ! In dieser Verfassung traf ich auf meinem
Weg vom Kindergarten auf die Leiterin der Hauswirtschaft des Hauses. Der klagte
ich mein Leid und sie sprach mir Trost und Mut zu. Während wir beisammen standen,
kam eine andere Mama aus dem Kinderhaus, die fragte ich nach Michel. Sie sagte, es
sei alles in Ordnung, er habe nicht mehr geweint und befände sich auf dem Arm einer
Erzieherin. … Schluck … - wirklich? … Nach ein paar weiteren Sätzen zum Thema
Unsere-Kinder-im-Kinderhaus, wechselte sie abrupt das Thema und sagte zur
Hauswirtschafterin: „Ich möchte einen Fußabtreter für meine Eingangstür!“ „Ich
auch!“ fiel mir ein. Dann bedankte ich mich für Trost und offene Ohren und wir
gingen jede unseres Weges für diesen Tag.
Mit Michel im Kinderhaus, das hat sich prima entwickelt! Er hat zwar jeden Morgen,
wenn ich ging, geweint, aber wenn ich die Eingangstür erreicht hatte, hörte ich
schon, dass er damit aufhörte. Ich habe auch Vertrauen zum Haus und den
234
ErzieherInnen gefasst. Ich habe Michel ruhigen Gewissens dagelassen. Die ersten
Tage wartete ich immer auf nach mir aus dem Kindergarten kommende Mütter, die
mir stets versicherten, Michel spiele schon oder sitze bei einer Erzieherin. Später
bin ich dann einfach gegangen und wusste: Alles ist gut. Ich habe diese Zeit für mich
sehr genossen. Und außerdem hat Michel der Kindergarten richtig gut getan, seiner
Entwicklung war das Ganze förderlich, das Zusammensein mit anderen Menschen,
sich auf diese einzustellen, und das Spielen mit anderen Kindern. Wir haben beide
von dieser Erfahrung sehr profitiert! Und Michel macht das mit anderen Menschen
einfach klasse! Die Leute sind immer fröhlich, wenn sie Michel treffen oder nur
sehen. Sie blühen auf. … - Für mich war es ja auch das erste Mal zusammen mit
Michel, in diesem Umfang, alle Tage mit anderen Menschen konfrontiert zu sein. Z.B.
war dort ein Junge, der mit seiner Mutter da war, im Teeniealter, pubertär, sehr auf
Abwehr und Sabotage, der nie lächelte und … ich hatte ein bisschen Angst vor ihm. …
? Jedenfalls hatte ich um mein Michelchen ein bisschen Angst … - der Kerl wird ihn
doch im Kinderhaus nicht pisacken!? … Bis mir eine andere Frau erzählte, sie habe
diesen großen Jungen gesehen, als sie ihre Tochter abholte, wie er Michel an den
Händen gehalten habe und mit ihm gelaufen sei. Und sie und die ErzieherInnen
sagten noch zueinander, schade dass sie gerade keinen Foto zur Hand hätten, um ein
Bild davon zu machen: der Größte mit dem Kleinsten. … Und ich war ganz berührt, als
ich das hörte, wegen Michel, wegen dieses großen Jungen und wegen … des Zaubers …
wegen der Menschlichkeit. … - Über die Wirklichkeit, die Weite, die sich da meinen
kleinlichen Ängsten gegenübergestellt hat. Wie es wirklich ist.
…-…-…-
Wie es wirklich ist. Davon hat mich dort manchmal eine Ahnung angeweht. … - Weil
ich meine, dass wir immer noch … sehr … in falschen Rollen gefangen sind? Nicht
wirklich wir selbst sind. Uns nicht trauen, einfach wir selbst zu sein. Vermeintliche
Erwartungen erfüllen und nicht einfach nur das machen, was unser Herz will, was
unser Herz für richtig und gut befindet. … - Gut für uns. … - Manchmal habe ich dort
in der Kur für einen Augenblick deutlich gesehen, warum was wie ist. Warum ein
Mensch tut, was er gerade tut, was sich dahinter verbirgt, welchem Muster er folgt,
was die Ursache ist. Welches Problem er hat. … - Manchmal ist es so klar. … - Und
auch so leicht, es sein zu lassen. So einfach. … - Es kostet nur ein bisschen
Überwindung, es anders zu machen.
…-…-…Am 1. Mai war auch Kinderbetreuung, bis 13.00 Uhr. Michel war im Kinderhaus und
ich saß vormittags in der Sonne auf dem Balkon und las, weil am Feiertag keine
Anwendungen waren. Direkt über dem Balkon stieg das schiefergedeckte Dach auf
235
und irgendwann saß ich dort, hatte mein Buch sinken lassen und blickte die schwarzen
Schieferplatten hinauf. Wie kunstvoll die gelegt waren! Wie schön das aussah! … Wer
machte
sowas?
Wo
kommen
die
Platten
her?
Wer
hat
sie
so
schmal
zurechtgeschnitten? Wer so fachmännisch und noch dazu in so einem hübschen
Muster verlegt? Diese runde Ecke, an der die Dächer im rechten Winkel
zusammenlaufen! Dass das Dach jedem Wetter standhält. … Und dann das ganze
Drumherum! Die Holzkonstruktion des Hausbaues, die Stabilität, die Feinheiten. … … - Während meines Schauens kam mir ein noch nie gedachter Gedanke, ja, eine
Erkenntnis, die ich trotz ihrer Offensichtlichkeit noch nie hatte: Die Männer
machen das! Das machen alles die Männer: den Schiefer abbauen, ihn in Form
bringen, all die anderen Rohstoffe abbauen und die Materialien herstellen, die Pläne,
die Arbeit, das Bauen! … - Mit dieser Erkenntnis brach etwas in mir auf … - oder ich
brach in etwas ein, das in mir ist und wovon ich bisher nichts wusste … - auf einmal
war da Weite, Liebe, Dankbarkeit, Achtung, ja, mehr noch: Ehrung! Ich achtete und
ehrte die Männer und sah zum ersten Mal offenen Auges ihr Werk. – Das machen
alles die Männer. Und wir können drin wohnen und uns darin aufhalten.
Überhaupt war das Mann-Frau-Verhältnis in der Kur ausgewogen. Man hätte ja
meinen können, dort seien hauptsächlich Frauen und Kinder beisammen. Aber durch
den Trupp Bauarbeiter, die dort von früh bis spät zugange waren, war die männliche
Energie auch präsent, wenn auch die beiden Geschlechter doch die meiste Zeit eher
unter sich waren.
…-…-…In der ersten Woche war ich durch die ganzen körperlichen Anwendungen – Massage,
Fango, Sport, Yoga, Bäder und Entspannungstechniken wie PMR und Autogenes
Training – nach ein/zwei Tagen so entspannt, dass ich förmlich dahin schwebte. Auch
mein Geist war total entspannt. Alles easy.
Ein Kurs, der angeboten wurde, war „Selbstverteidigung für Frauen“. Das war
überhaupt nicht mein Ding! Zum Einen, weil ich an die Methode an sich nicht glaube.
Das ist vom Prinzip her wie „Versicherung“, sich gegen etwas versichern, gegen
eventuell eintretende Schäden. Was heißt, dass man etwas befürchtet und sich für
den Fall der Fälle durch Training oder Versicherung absichern möchte. Das bindet
einen Teil meiner Energie an das jeweils Befürchtete. Und ich möchte nichts
befürchten. Ich will vertrauen. Und genießen. Außerdem hätte ich in diesem Kurs,
wenn schon, diese ganzen Übungen dann auch gerne mal „richtig“ ausgeführt! Also
dem angreifenden Typen richtig den Arm hochgehebelt und ihn zu Boden gezwungen
und ihm volles Rohr mein Knie in die Eier gerammt. Wir durften ja alles nur andeuten,
damit es niemandem weh tut. … - Das mit der Ehre den Männern gegenüber ist sich
236
scheint’s noch am Ausbalancieren in mir. … - Da sind auch noch alte Verletzungen
gespeichert, die Wut und Rachegelüste in mir auslösen. … - … - Wie dem auch sei: Als
ich den Selbstverteidigungs-Trainer zum ersten Mal sah, stutzte ich. Denn der sah
aus wie mein junger Nachbarssohn, der mich so lange mit Techno bombardiert hat …
und auf den ja dieser Satz mit den Verletzungen, der Wut und den Rachegelüsten
für mich genau zutrifft! Ich habe immer noch Angst vor ihm und gehe nicht einfach
so, leichten Herzens, auf die Straße, wenn ich weiß, dass er sich dort aufhält. - Und
jetzt kam da einer, der aussah wie er, und wollte mir „Selbstverteidigung“
beibringen!! … - Ich nahm das mit Staunen, Belustigung und Dankbarkeit zur
Kenntnis. … - … - Und: Ich bin ja nun, wo ich dies schreibe, schon bald zwei Wochen
wieder zuhause: Wir waren letztes Wochenende eingeladen, bei unseren Nachbarn.
Die Mutter besagten Sohnes hatte einen runden Geburtstag und feierte eine
größere Party im Garten. Durch Dirk ist unser verhärtetes nachbarschaftliches
Verhältnis aufgeweicht, der hält immer ganz unverkrampften nachbarschaftlichen
Smalltalk, wenn sie sich begegnen. Dennoch war ich sehr überrascht, als sie mich auf
ihre Feier einlud. Ich ziehe meinen Hut vor ihr und rechne ihr das hoch an, denn das
ist ein Schritt der Friedensschließung, den sie auf mich zugegangen ist. Ihr Sohn hat
an diesem Abend nur mit Dirk gesprochen und mir überhaupt keine Beachtung
geschenkt. Aber gestern, als ich vorm Haus in unser Auto einstieg, kam er über die
Straße gelaufen, und … hob drei Finger seiner Hand, mir zum Gruß!! … - … - Ich bin
echt beeindruckt! Von Euren Fähigkeiten, von Eurem Verhalten und von den Dingen,
wie sie sich entwickeln. DANKE! … - Ich habe mich den Schritt auf Euch zu noch
nicht getraut, obwohl ich gedanklich die Verbindung ein paar Mal aufgenommen
hatte: Hand ausstrecken und sagen: „Komm, lass uns Frieden schließen.“ … - Vielleicht
war das auch schon ein zu hoher Anspruch (an mich) oder zu kompliziert und jetzt
hat es mein männlich-jugendlicher Nachbar einfach(er) gelöst: kurz die Hand
gehoben und gegrinst.
In der Kur habe ich beobachtet, dass, wenn ich eine Sache, die für mich „Thema“ ist,
angehe, diese Sache mit einem Mal eine eigene Dynamik entwickelt. Andere
Menschen mischen sich ein, sagen auch etwas dazu, und es geschehen Dinge, aus
„heiterem Himmel“, die absolut meinem Anliegen und meinen Bedürfnissen
entgegenkommen, in einer Art und Weise und einem Ausmaß, das mich einfach nur
staunen lässt. Und ich vermute, dass diese Dinge nicht passiert wären, wenn ich mich
gedrückt, nicht getraut und darauf gehofft hätte, dass sich mein Problem von selbst
löst.
Mein Problem in der Kur war Folgendes: Einige der Mütter ließen ihre Kinder
während der Mahlzeiten, die morgens und abends gemeinsam mit den Kindern im
Speisesaal stattfanden, währendem um die Tische laufen. Das störte mich. Zum
Einen, weil ich finde, dass man während des Essens sitzenbleibt, und zum Anderen,
237
weil die Kinder, besonders zwei kleine Mädchen, das Ganze auch noch schreiend und
rennend praktizierten, was mich nervte. Ich wollte in Ruhe essen. Außerdem fing
Michel auch bald an, nach den herumlaufenden Kindern zu zeigen und stellte sich in
seinem Stühlchen auf. Ich traute mich aber nicht, etwas zu sagen. … - … - Nach einer
Woche, als wieder Abreisetag gewesen war, wurden die beiden kleinen Mädchen mit
ihren Müttern an meinen Tisch gesetzt. – So ein Zufall aber auch! – Die Mütter
fingen bei unserer ersten gemeinsamen Mahlzeit dann auch gleich noch an, sich über
alles Mögliche zu beschweren: das sei eine Unverschämtheit mit dem Essen und wasweiß-ich-nicht-alles. Bla bla bla. Sie zogen lauthals vom Riemen. Ich fand das Essen
okay und fand einfach nur die beiden unverschämt. Ihre Mädchen aßen übrigens
beide kaum etwas. Damit hatten die zwei Frauen wieder ein Problem. … - Meines aber
war: Ich traute mich nicht, etwas zu sagen, meine Bedürfnisse zum Ausdruck zu
bringen, oder einfach nur meine Meinung zu sagen. … Ich bat um ein Einzelgespräch bei der Psychologin und konnte auch gleich am
nächsten Tag zu ihr kommen. Sie fragte mich, wie es mir ginge, und ich fing an zu
weinen und klagte ihr mein Leid. – Überhaupt war mir dort manches Mal zum Heulen,
und ich weinte manchmal, einfach so, dann floss Druck ab. Der ganze angesammelte
Druck der letzten Monate, und was-weiß-ich von wann alles, der sich auf meine
Schultern gelegt und meinen Nacken steif gemacht hatte. – Ich berichtete der
Psychologin von der aktuellen Situation und erzählte ihr auch noch, dass es für mich
eigentlich immer und (fast? Oder wirklich??!) überall jemanden gäbe, vor dem ich
Angst habe, der oder die mich einschüchterte und dem gegenüber ich mich nicht
traute, meines zu sagen. Meine Eltern, meine Schwester, meine Nachbarn,
Arbeitskolleginnen, Freunde …. … - Weil ich Angst habe, dass sie mir eins überbügeln,
wenn ich mich einbringe. Das ist so oft geschehen: „Ach Du! Du hast aber komische
Ansichten!“ „Du bist blauäugig.“ „Du bist unrealistisch.“ „Ha ha, die Sonja!“ Und wenn
dann auch noch jemand so unverblümt und dreist vom Leder zieht, wie die beiden
Frauen an meinem Tisch – dann traue ich mich erst recht nicht, weil ich Angst habe,
angegriffen zu werden, wenn ich etwas sage.
Die Psychologin sagte mir, dass ich das aber tun solle: meine Meinung sagen. Und die
Anderen müssten das gar nicht gut finden. Aber ich solle es unbedingt machen, weil
es ansonsten mir dauernd nicht gut ginge. Ich trage es die ganze Zeit mit mir herum,
nicht die Anderen. … - Sie gab mir die Aufgabe, einmal am Tag meine Meinung zu
sagen.
… - … - Es ist nicht schwer. Es kostet nur ein bisschen Überwindung. … -
„Nicht, weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es
schwer“, sagt Seneca.
238
… - Die nächste Mahlzeit nach meinem Gespräch mit der Psychologin war das
Mittagessen, das ohne die Kinder stattfand, weil die im Kinderhaus zu Mittag aßen.
Und auch die zwei besagten Frauen saßen bei dieser Mahlzeit nicht an meinem Tisch,
denn mittags galt die Tischordnung nicht. Ich befand mich in neutraler Zone, in
Gesellschaft von Menschen, die mir sympathisch waren oder die ich noch gar nicht
kannte, weil sie gerade erst angekommen waren. Es entwickelte sich ein Gespräch, in
dessen Verlauf ich gewahr wurde, dass da etwas besprochen wurde, das ich anders
sah, als es die zum Ausdruck brachten, die darüber redeten. Und weil ich mir
vorgenommen hatte, mich zu trauen und meine Meinung zu sagen, tat ich das. … Und: Es ist nichts passiert! Niemand hat mich angeblafft. Sie gingen auf mein
Gesagtes ein - und redeten weiter. Und ich dachte: „Wow!! Nichts passiert!“ und
sagte noch einmal etwas dazu. Ich wurde sogar ein bisschen leidenschaftlich in
meinen Ausführungen, aber niemand hat mich angegriffen. … - … - … - Aber sonst war
es doch immer … - … - … - Sollte das an meiner inneren Einstellung liegen?? … - … Nach dem Essen war ich jedenfalls … dankbar, erstaunt, erfreut, überrascht, was da
geschehen war, wie einfach ich die Aufgabe umgesetzt hatte und wie viel das für
mich bedeutete.
Das eigentliche Phänomen kam aber erst noch. Beim Abendessen, das wieder mit den
Kindern in der vorgegebenen Tischordnung stattfand, ergab es sich, dass die Mutter
des einen Mädchens gerade zum Buffet gegangen war, und das Mädchen sich auf
seinem Stuhl aufstellte, auf dem sie ausnahmsweise mal saß, und „Flugzeug“ spielte.
„Jetzt bleib‘ doch mal sitzen!“ sagte ich zu ihr. „Das bringt so eine Unruhe hier an
den Tisch!“ Und sie setzte sich weiß Gott wieder hin. Und ich war hin und her
gerissen, freute mich zum Einen, dass ich mich trotz meines Herzklopfens getraut
hatte etwas zu sagen, und haderte zum Anderen mit mir, dass ich es in Abwesenheit
der Mutter getan hatte, denn eigentlich wollte ich es doch ihr sagen. Das Ganze war
aber auch spontan aus der Situation heraus geschehen und die Mutter war nun mal
nicht dabei gewesen. Und dass sich da gleich mein nächstes Thema zeigte, als
Rattenschwanz am Ich-trau-mich-nicht-mich-zu-behaupten, am Ich–trau-mich-nichtich-selbst-zu-sein, das erkannte ich erst später.
Iris, die schon vom ersten Tag an mit an diesem Tisch saß, fragte mich hinterher,
was mit mir los sei, so kenne sie mich gar nicht, dass ich so direkt sei, und ich
dachte: „Hä? Woher weiß die das?“ und erzählte ihr von der Aufgabe, die mir die
Psychologin gegeben hatte.
Jedenfalls: Auf einmal hatte sich etwas verändert. Ich vermute, dass das
Küchenpersonal, das sich während der Mahlzeiten auch um den Speisesaal kümmerte,
vielleicht etwas gesagt hatte, dass es zu unruhig sei, wenn die Kinder während des
Essens herumrennen, denn mit einem Mal saßen die zwei Mädchen, die ja auch erst
239
drei Jahre alt waren, beim Essen in Hochstühlen. Da konnten sie nicht mehr einfach
aufspringen und weglaufen. Und ihre Mütter kümmerten sich auch ein wenig um sie,
anstatt wie vorher, wenn die Kinder sich verweigerten, zu seufzen, die Augen gen
Himmel aufzuschlagen und mit den Schultern zu zucken. – Und Iris legte sich
mächtig ins Zeug! Die war mit einem Mal nur noch am zurechtweisen und Grenzen
setzen! Und was noch erstaunlicher war: Die zwei Mütter reagierten darauf
zugänglich und freundlich. … - Ich wohnte dem Ganzen nur noch bei und staunte. … … - Und das ist noch längst nicht alles. Am nächsten Tag bekam eines der beiden
Mädchen eine Blasenentzündung. Sie musste dauernd in die Hose machen und es
wurde so schlimm, dass sie stationär ins Krankenhaus gebracht wurde. Natürlich mit
Mama. Dann waren beide eine Woche lang weg. Und die zwei anderen, Mutter und
Tochter, reisten im Laufe dieser Woche ab, weil ihre Zeit um war. Vorher durfte ich
aber noch Einblick erhalten, warum was wie war. Ich war mit dieser Mutter
zusammen in einem Erziehungs-Kurs und ich erkannte, dass sie nicht einfach nur
„blöd“ und gleichgültig war, sondern dass alles seine Ursachen hat. Und ich erkannte
auch, was für ein Glück es ist, dass Michel so ist, wie er ist, und dass Dirk so ist, wie
er ist. … – Seit ich wieder zuhause bin, mische ich mich nicht mehr ein, wenn Dirk mit
Michel was am Klären ist, auch nicht, wenn Michel darüber anfängt zu weinen. Ich
weiß, dass ich Michel seinem Vater anvertrauen kann. Und ich bin dankbar für Dirks
Hinsehen, wenn etwas schief läuft, seine Konsequenz und väterliche Strenge. Das
kommt uns allen dreien zugute. Er erspart uns damit viel unklares und aufreibendes
„Wischiwaschi“ in der Erziehung. Michel hat vor seinem Vater wirklich Respekt. Und
ich glaube, dass er ihn gleichzeitig mächtig liebhat.
…-…-…Und Michel und ich … während der Kur … mir ist das erst hinterher bewusst
geworden, als ich jemandem von unserer Kur erzählte: Uns ging’s richtig gut
miteinander. Ich hatte meine Freude an ihm. Klar, es lief nicht ständig alles rund, er
war auch mal nörgelig und hat nicht immer nur das gemacht, was ich gerne gehabt
hätte. Aber ich war alleine verantwortlich, habe die Dinge gehandhabt nach bestem
Wissen und Gewissen, und das lief prima. Wir waren ein gutes Team.
Es gab auch Situationen, in denen er sehr geweint hat, z.B. am ersten Abend in der
neuen Umgebung oder ein paar Tage später, als er krank war. Ich habe ihn dann
gehalten und getröstet, er ist in meinen Armen eingeschlafen und später habe ich ihn
in sein Bettchen gelegt. Hier zuhause macht das oft Dirk. Wenn Michel bei mir schon
so lange geweint hat, wenn mal was ist, wenn er krank ist, dann kommt Dirk und löst
mich ab oder er ist eh schon die ganze Zeit dabei und übernimmt Michel und Michel
schläft dann bei ihm ein. … - … - Drei Wochen lang nur zu zweit zu sein, hat unserer
Mutter-Kind-Beziehung gut getan. Uns ging es gut miteinander. Wir hatten unseren
240
Spaß
und
unseren
…
Rhythmus
…
Ruhezeiten,
Ausgleichszeiten,
Spielen,
Unterwegssein …. Und ich bin kompetenter geworden in meiner Erziehung. - Ich
hatte das Gefühl, dass ich das richtig gut mache. Dass wir das richtig gut machen.
…-…-…Rennen beim Essen, 2. Akt: Wenn ich gedacht hatte, dass durch die Abreise der
einen und den Krankenhausaufenthalt der anderen Ruhe einkehren würde, hatte ich
mich geschnitten: Die einen waren abgereist und die nächsten kamen an: Gleich
Mittwochabends beim Essen rannten neue Kinder durch den Speisesaal. Vier Stück.
(Sechs Kinder waren angekommen. Vier rannten herum, zwei blieben sitzen.) Und ich
dachte: „Hier muss wohl immer die gleiche Energie sein, nur Ruhe geht scheinbar
nicht, muss auch immer der Gegenpol präsent sein.“ … - Ich sagte erstmal nichts,
aber ich merkte sehr wohl bald, dass das nicht aus Gründen des Lass-sie-erstmalankommen geschah, sondern dass ich mich wieder nicht traute. … Immer schlucken …
ruhig sein … ducken. Mein altes Muster: Ich schlucke meine Wut herunter. Und mir
geht es schlecht. … … - Jetzt kamen die Hinweise, die Hilfe und die Unterstützung von allen Seiten:
Zuerst fiel mein Blick am nächsten Tag, als ich in der Fangopackung lag, auf ein
Plakat, das dort an der Wand hing: Die menschliche Wirbelsäule war darauf
abgebildet und zu jedem Wirbel zeigte ein Pfeil an dessen Ende ein kurzer Text
stand, der erläuterte, welche geistigen Ursachen bei der Person zugrunde liegen
können, die in diesem Bereich eine Blockade oder Beschwerden hat. Auf den
Halswirbel, der mir Beschwerden bereitete, zeigte ein Pfeil auf dem stand: „Kann
sich nicht wehren, leidet still.“ … - Im Anschluss an die Fango (und Massage) stand
auf
meinem
Behandlungsplan
eine
Gesprächsgruppe
unter
der
Leitung
der
Psychologin. Ich brachte mein Thema dort ein und sie forderte mich natürlich wieder
dazu auf, mein Anliegen zu äußern. Zudem ging es den anderen Teilnehmerinnen der
Gruppe ähnlich wie mir, die herumrennenden Kinder störten sie auch. – Aber dass es
jemand anders für mich regelte, das ging in dem Fall natürlich überhaupt nicht!! … Nach dieser Gesprächsgruppe fand noch eine Yogastunde statt. – Spätestens da ging
mir ein Licht auf, dass die Kräfte wieder am wirken waren. Denn wir waren nur zu
zweit, mit der Kursleiterin zu dritt. Ich hatte erwartet, einige der neu
angekommenen Frauen in diesem Kurs anzutreffen, aber es kam niemand mehr dazu.
Die Kursleiterin fragte uns nach unserem Befinden und was wir uns wünschen würden
für diese Stunde. Und es wurde, auf Anregung meiner Mitteilnehmerin hin, eine
Stunde ganz für mich. Wir besprachen mein Thema, dass ich meine Stimme erheben
möchte. Und nachdem wir ein paar Silben und Mantren getönt hatten, meinte die
Kursleiterin, dass meine Stimme durchaus vorhanden, ich aber anscheinend blockiert
sei. Wir klopften uns ab, nach einer von ihr angeleiteten Methode, wobei ich merkte,
241
dass sich in mir etwas löste und veränderte. Dann machte sie noch ein paar
entsprechende Yogaübungen mit uns, zur Erdung, zum Ausgleich und zur Kräftigung:
„Hier bin ich, ihr müsst mit mir rechnen!“ Was sie uns während der Ruhephase zum
Abschluss der Stunde erzählte, weiß ich nicht mehr, aber danach war ich gelassen,
gestärkt und dankbar und ging mit dem Vorsatz, mein Anliegen noch vor dem Essen
an die Frau zu bringen zum Mittagessen. Damit ich es währendem nicht wieder mit
kaue und schlucke.
Zwei der drei Mütter der rennenden Kinder saßen schon zu Tisch, als ich den
Speisesaal betrat. Ich holte mir ein Glas Wasser und bevor ich mein Essen abholte,
setzte ich mich auf einen freien Stuhl neben die beiden und sagte, was ich zu sagen
hatte. Etwa so: „Ich möchte euch etwas sagen: Könnt Ihr bitte Eure Kinder beim
Essen eine Weile am Tisch sitzen lassen? Mich stört das, wenn die dauernd
rumrennen. Ich würde gern in Ruhe essen. Und Michel guckt sich das ab und steht
auch schon in seinem Stühlchen auf und will nicht sitzen bleiben.“ – Die beiden
Frauen sehen mich an. „Die ist aber so hippelig“, sagt die Eine und meint ihre
Tochter. „Es sind halt Kinder“, sagt die andere und schaut böse. Mir klopft das Herz
und ich habe, glaube ich, Wahrnehmungsstörungen, sehe und höre nicht richtig, wie
durch Watte. „Ja. Okay“, sage ich, „ich wollte Euch das mal sagen.“ Und dann lächele
ich sie noch mal an und stehe auf und gehe mein Essen holen. „Hattest Du gerade ein
Gespräch mit der Psychologin?!“ ruft Iris quer durch den Raum. Und ich denke:“ Oh
nein!! Was sag‘ ich denn der jetzt?“ Und ich sage: „Nein. Yoga.“ Und dann habe ich
mein Essen und setze mich hin und esse und denke - nein: meine innere Antreiberin
spricht zu mir: - „Mensch, jetzt hast Du das gemacht und Dich getraut, was zu
sagen, und hast es so versiebt! Die eine Mama, die es auch betrifft, war ja gar nicht
da! Und dann hättest Du noch mal auf das, was die beiden gesagt haben, antworten
sollen! Du warst ja viel zu aufgeregt und deshalb unklar!“ Aber Elisabeth, die vorher
mit mir im Yoga war, sitzt mir gegenüber und hebt irgendwann ihren Daumen: „Das
hast Du gut gemacht!“ Und nach dem Essen, als die anderen schon weg sind, sagt sie
auch noch, dass sie meine Antwort an Iris klasse fand. Und ich erzähle ihr von
meinen Zweifeln. Sie aber meint, das sei gerade gut gewesen so, wenn ich noch etwas
darauf gesagt hätte, wären wir bloß ins Diskutieren gekommen und dann wäre mein
Anliegen wahrscheinlich viel eher wieder verwaschen gewesen. … - Aha. Na gut. … Nach dem Essen bin ich auf mein Zimmer und habe mir ein Bonbon geholt. Das war
zur Belohnung, einfach dafür, dass ich es gemacht hatte, dass ich was gesagt hatte.
Dann geschah wieder das Phänomen: Ich stelle mich der Herausforderung und die
Sache entwickelt eine Eigendynamik. Am darauffolgenden Tag landete mittags ein
Rettungshubschrauber vor dem Klinikgelände. Es sprach sich gleich herum, dass der
kleine Sohn der „Es-sind-halt-Kinder“-Mama gekrampft hatte und bewusstlos von
der Schaukel gefallen war. Er war eine Weile nicht ansprechbar gewesen und der
242
Hubschrauber nahm ihn mit und brachte ihn, zusammen mit seiner Mutter, in eine
Klinik. Die Mutter war, als er gekrampft hatte, gar nicht bei ihrem Kind gewesen,
sondern hatte es in der Obhut eines größeren Kindes gelassen. Der Kleine war
ungefähr so alt wie Michel, etwa zwei Jahre alt. … - Die beiden waren dann weg. Ich
habe sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. … Das entspannte die ganze Lage, es trug
dazu bei, dass sich keine zwei Parteien bildeten. Ich kam sogar das eine und andere
Mal noch ins Gespräch mit den beiden anderen Müttern der „Renn-Kinder“ und
unsere Gespräche hatten dann auch andere Themen.
Vielleicht ist dieses „zweite Mal Renn-Kinder“ für mich deshalb noch einmal gewesen,
damit mir der weiter oben erwähnte Rattenschwanz auch noch bewusst wurde: mein
himmelhoher Perfektionsanspruch. An mich. An andere. … - Ich will das nicht weiter
analysieren. Ich hab’s gecheckt. … Ich werde es mir jetzt einfacher machen. … Es
einfach machen. In der doppelten Bedeutung.
…-…-…Als es wieder Mittwoch wurde, kam Dirk und holte uns ab. Nachhause. Ich ging
umher und verabschiedete mich von allen. Zum Schluss sagte ich den Bauarbeitern
Tschüss.
Seit zwei Jahren ist überall, wo ich hinkomme, Baustelle: Bei Michels Geburt war
Baustelle in der Frauenklinik, bei uns zuhause reicht eine Baustelle der nächsten die
Hand, auf den Lahnbergen in Marburg: Großbaustelle, in der Kur: Großbaustelle, auf
den Straßen, die ich entlangfahre ist eine Baustelle an der anderen und bei meinem
Nachbar steht jetzt auch ein Gerüst am Haus. … - … - Und ich selbst, ich fühle mich
auch so: als würde an mir gebaut, entrümpelt, als würde ich in meinem tiefsten
Inneren umgepflügt. All das Alte wird abgetragen, damit hervorkommen kann, was
hervorkommen will.
Es wird alles neu und schön und noch nie dagewesen. Einfach, praktisch, verspielt und
magisch. So, wie ich es mir baue, aber noch viel mehr: wie es sich mit viel Liebe fügt.
243
Wieder zuhause
Jetzt sind wir schon seit ein paar Wochen wieder zuhause. Meine Mit-Kurenden der
letzten Woche meiner Kur müssten auch alle wieder daheim sein, auch wenn sie
verlängert hatten. …
Die ersten Tage daheim war ich ganz euphorisch, in einer Jetzt-ist-alles-gutÜberzeugung. Und es war auch alles gut. Dirk war so einfühlsam und zuvorkommend.
Ich bemerkte, wie er manches Mal bewusst freundlich war, wo er sonst immer
mürrisch gewesen war. Und er hat auch alles gemacht, was er sonst nicht immer
macht, und was mich zufrieden sein lies. Abends lagen wir zusammen im Bett und
sahen fern oder redeten, wir aßen gemeinsam, er kümmerte sich viel um Michel. Wir
schliefen oft miteinander. …
Naja, nun bin ich fast vier Wochen wieder zuhause und mittlerweile hatten wir auch
wieder Streit, weil wir das hohe Level nicht haben halten können. Und mich hat
wieder die Wut gepackt. Wegen soviel Ignoranz und … was weiß ich. Ich meine, da sei
Ignoranz und Unwillen, Verweigerung, aber: Weiß ich denn, was es wirklich ist? … - …
- Ich glaube, dass es niemand böse mit mir meint. Dirk schon mal gar nicht. Und ich
erkenne immer mehr, dass ich (einfach) anders damit umgehen muss, mit solchen
Situationen. Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber die braucht es auch, die
Wiederholung. Von einem Mal habe ich es nicht gelernt. Dafür habe ich es zu oft und
zu lange anders gemacht: andere verantwortlich gemacht, gejammert, mich
verzweifelt als Opfer gebärdet. … - Aber das kann es nicht sein. Für mich und mein
Leben, für meine Gefühle und Empfindungen, für das, was ich denke, ist niemand
verantwortlich außer mir selbst. Ich übernehme jetzt die Verantwortung. Ich mache
das einfach.
Es betrifft ja nicht nur Dirk. Ich bin hier ein paar Tage lang von allen möglichen
Leuten versetzt und enttäuscht worden. Vielleicht sollte mir das das Ganze noch mal
drastisch klarmachen: dass niemand anders die Verantwortung hat, für das, was mich
betrifft. Und dann zu jammern und um mich zu treten hilft mir auch nicht weiter. Im
Gegenteil, es schwächt mich. … Das ist auch Entrümpelung, das so klar zu erkennen.
Ja. Es sind lauter Prozesse, das Leben wächst und verändert sich langsam, nicht
sprunghaft. … Aber auf einmal ist es dann doch da! Das Wunder. Dann haben wir es
erkannt, freigeschaufelt und angenommen. Wir haben uns verändert.
Aber auch während wir am Schaufeln sind und uns abmühen und meinen, dass wir
vielleicht gar nichts bewirken können oder das Gefühl haben, alles sei irgendwie
kleinlich, auch dann können wir vertrauen und liebevoll sein, mit dem was ist und mit
244
uns selbst. Das ist in dem Moment vielleicht das Großartigste, das wir tun können:
einfach mit allem sein, in Liebe, in Gelassenheit, ohne Gegenwehr. Annehmen und
vertrauen.
So wie es ist, wird es gut sein, und so nehme ich es jetzt an.
Finale mit happy open End
Wir haben zwei neue, vierbeinige Weggenossen, Hundenasen, und wir haben sie Pepsi
und Zoe genannt. Die beiden sind schon ausgewachsen, aber noch jung. Sie brauchen
noch Erziehung und was zum Drauf-rum-Kauen, so wie Michel.
… Es ist ein bisschen so, als hätten wir noch zwei Kinder im Haus. Puh! Das habe ich
nicht bedacht. Es war eine Spontan-Annahme mit den Hunden und ich habe mich
schon gefragt, ob ich da richtig gehandelt habe. Es ist anstrengend (aber nicht nur!)
und mein Verstand sagt: „Ohne Hunde war es einfacher.“ Aber meine Seele und mein
Herz meinen, dass es vielleicht Schröder und Sister sind, denn Zoe sieht aus wie
Schröder als Welpe, als sich seine Ohren noch nicht aufgestellt hatten, und Pepsi
ist genauso quirlig, wie es Sister in jungen Jahren war. … Wir sind Weltenwanderer
und kommen immer wieder zusammen. … - Die Katzen brauchen etwas Zeit, sich an
die zwei Rabauken zu gewöhnen. Findus und Miezi kommen schon von alleine wieder
hoch in den Flur, wo nun auch die Hunde ihren Platz haben. Nur Flöckchen bleibt von
sich aus noch lieber sicherheitshalber im Keller. An einem Tag habe ich ihn gar nicht
gesehen und ich machte mir schon Sorgen, wo er abgeblieben sei. Mein (blödes)
Kopf-Kino sabberte: „Vielleicht hat ihn der Jagdpächter erschossen“, denn das
letzte Mal hatte ich Flöckchen gesehen, als ich mit den Hunden Gassi war: Er stand
auf einem Feldweg am Ackerrand und der Jagdpächter kam angefahren und bog in
diesen Weg ein, um zu seiner Hütte zu fahren, die auf Papas Baumstück steht. – Da
sitzt er Gott-sei-Dank ohnehin meisten drin, mit Freunden beim Schoppen, anstatt
auf die Pirsch zu gehen. - … Am nächsten Tag fragte ich Dirk, ob er Flöckchen
gesehen habe, und der sagte Ja, Flöckchen sei gerade im Hof gewesen. Ich erzählte
ihm von meiner Angst, dass ich befürchtet habe, der Jäger habe ihn erschossen.
Dirk sah mich an, mit so einem Bist-du-balla-balla-Blick und sagte: „Warum sollte der
eine Katze erschießen?“ „Weil er ein Jäger ist“, sagte ich – und dann mussten wir
beide lachen.
… Ich habe also immer noch Unrat im Kopf. Un-Rat. Aber es ist schon bedeutend
besser geworden! Sehr bedeutend! Und wenn ich mir über den Mist, der da noch ist,
245
bewusst werde, dann ist es ja gut, dann kann ich ihn wegfegen. Und auf den anderen
Rat hören. Den der weiß, dass alles gut ist.
Dirk hat wieder Arbeit. Und auch ich werde ab August wieder 40 Stunden im Monat
in der Kindergruppe arbeiten. Wir verlassen also die finanzielle Talsohle und ich
muss schon sagen, dass mir das Sicherheit und Stabilität gibt. Ich merke das richtig
als körperliches Empfinden im Bauch.
Michel geht ab September in den Kindergarten! Halleluja! Was für Aussichten! Das
wird uns gut tun! Es wird ihm hier langsam langweilig. Er scheint mir manchmal etwas
unterfordert. Ich bringe es nicht, ihn andauernd zu beschäftigen und er braucht
einfach auch mal andere Menschen zum zusammen-sein. Und ich brauche Zeiten ohne
Michel, danach können wir auch wieder viel besser miteinander sein. Ich habe das
gemerkt, als die Babysitterin das erste Mal da war. - Ja, wir haben jetzt eine
Babysitterin! - Das ist so klasse! Als sie zum ersten Mal hier war, hat sie mit Michel
gespielt, Michel war ganz vergnügt mit ihr und ich habe in aller Seelenruhe die im
Haus verteilten Küchen-Sachen in die neuen Schränke eingeräumt. Drei Stunden lang.
Und danach war ich ganz vergnügt und entspannt mit Michel und habe ihn beim InsBett-gehen sogar ein bisschen mit der Bürste, die uns der Ergotherapeut gegeben
hat, massiert, was wir sonst in unserer Routine nicht tun. Das hat uns beiden gefallen
und gut getan. Gestern war die Babysitterin zum zweiten Mal da und ich habe erst
ein paar Bilder in der Küche aufgehangen und war dann im Fitness-Studio. Bis ich
nachhause kam, lag Michel schon im Bett und schlief. Ich erlebe das als sehr
angenehm und diese drei Stunden Babysitten schaffen mir einen Ausgleich, der mich
die ganze Woche über entspannter sein lässt.
Unsere neue Küche ist so gut wie fertig, es fehlen noch die Abschlussleisten zum
Fußboden und ein paar Kindersicherungen an den Schubladen und Schranktüren. Das
Haus ist wieder aufgeräumt und sauber. Keine außergewöhnlichen Belastungen mehr.
Partyraum und Freisitz nehmen auch Gestalt an.
Michel liegt in seinem Bettchen oben zum Mittagschlaf, aber ich höre ihn schon
quaken, er ist wieder wach. Zu meinen Füßen, auf dem gelben Teppich, spielen Pepsi
und Zoe miteinander. Dirk ist draußen und mauert am Partyraum. Am Montag tritt er
seine neue Stelle an.
Ich hole jetzt Michel aus dem Bett und mache uns was zu essen. Was Einfaches.
Heute Nachmittag bekommen wir Besuch, dann gibt’s noch Kuchen. ☺
246
Sommersonnenwende
In drei Tagen ist Sommersonnenwende. Das Jahr ist um. Mein Buch ist fertig. Ich
hab’s gemacht! Mein Herz jubelt. Es ist gut!
Zum Schluss nehme ich mir noch die dichterische Freiheit und benenne alle um. Nur
den engsten Kreis nicht, das heißt alle Zwei- und Vierbeiner, die mit mir hier im Haus
wohnen. Wir heißen wirklich so. Die anderen heißen anders. Aber es gibt sie alle.
… Lauter auf die Erde gekommene Kinder des Himmels 247
☺
Mutter: „Bist du dir im Klaren, dass Gott anwesend war, als du den Keks in der Küche
geklaut hast?“
Kind: „Ja.“
Mutter: „Und, dass er dich die ganze Zeit über angeschaut hat?"
Kind: „Ja."
Mutter: „Und was meinst du, hat er zu dir gesagt?"
Kind: „Er sagte: Niemand ist hier, außer uns beiden - nimm zwei."
☺
248
Literaturverzeichnis
(1) „Das Manuskript der Magdalena“, Tom Kenyon und Judi Sion, KOHA
(2) Shakti Loos-Welzenbach, Erläuterungen zum Tzolkin
(3) „Grenzbereiche des Lebens“, Lyall Watson, S. Fischer Verlag
(4) www.esoterium.de: Karen Bishops Energy-Alert vom 9. Juli 2008
(5) „Voyager Tarot“, James Wanless, Ken Knutson, Integral Verlag
(6) „Engel – Himmlische Helfer“, Kimberly Marooney, Windpferd
(7) Susanne Marschner, www.TanzderSeelen.eu
(8) „Außergewöhnlich“, Conny Rapp, Paranus Verlag
(9) „Das Leben ist schön.“, Simone Fürnschuß-Hofer, G&S Verlag
(10) „Lipshitz“, T Cooper, marebuch, Fischer Taschenbuch Verlag
(11) „Lebendige Beziehungen JETZT!“, Eckhart Tolle, J. Kamphausen
(12) www.shouds.de: „Vier Männer in der Wüste“
(13) „Karten der Kraft“, Jamie Sams und David Carson, Windpferd
(14) www.esoterium.de
(15) Duden, Fremdwörterbuch, Band 5, Dudenverlag
(16) „Yoga für Körper, Geist und Seele“, Gertrud Hirschi, Bauer
(17) Adventskalender 2008 von Shakti Loos-Welzenbach
(18) Duden, Rechtschreibung, Band 1, Dudenverlag
(19) Meyers großes Taschenlexikon in 24 Bänden, Band 18,
(20) ebd. Band 12
(21) „Josef, es ist ein Mädchen!“, Coppenrath
249
(22) „Tarot - Spiegel der Seele“, Gerd Ziegler, Urania Verlags AG
(23) Die Bibel, 1972 by Württembergische Bibelanstalt Stuttgart
(24) Kreis-Anzeiger für Wetterau und Vogelsberg, 21. März 2009, S. 33
(25) Neo- Orakel bei www.osorakel.de
(26) Das Konzept Schuld (durch SaiJaRa), www.sternenkraft.at
250
Seite
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil, Juni bis November
2
Einführung
3
19. Juni 2008
4
25. Juni 2008
5
24. Juli 2006, Tag X
7
Wie es weiterging …
11
… und die Feinheiten zwischendurch
14
9. Juli 2008
15
Drei Wege
17
Adolf Hitler im Raps
22
Die Krone des Königs
24
Etwas ganz Neues
27
Im Fluss sein
28
Michels Geburt
30
Holy child
32
Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom
33
Freiheit / 4. August 2008
38
Rapper-Space
40
25. Juli 2008
40
5. und 6. August 2008 / Noch mehr Freiheit
45
Beziehungskiste
48
251
Borsdorfer Apfel
50
Schröder
51
Geschehnisse am Tag und Träume in der Nacht
55
Me and Michel Mc Gee
59
Olympiade in Nidda
63
To sing an opera
65
Sturm (am Tag der Mondfinsternis)
66
Herbst im August
69
Rapper, Punker, Prinz Albert und was ich damit zu tun habe
72
Oma
79
Das mit der Suche
80
Mittwochabend Anfang September
83
Alles passt perfekt zusammen – Lucy
87
Cauac
89
Über kurz oder lang
94
Mainstream, Träume, Filme
97
Primitiv, aber glücklich
99
Stücke im Ganzen
101
„Hattest Du keine Angst?!“
109
Die Wut und das Lachen
113
Der Borsdorfer Apfel und das Paradies
116
So weit, so gut
118
252
Das Buch im Buch
121
Zwei Schwestern
121
Mama
124
Sieben Raben oder lauter Ungeheuer?
126
Das mit dem Down-Syndrom
129
Ende
132
Zweiter Teil, Advent bis Ostern
134
Quinten
136
„Es ist und es ist nicht“
142
Das Leben lehrt uns die Dinge, auf die es ankommt, ganz von selbst …
143
… featering Verzweiflung am dritten Advent
144
20. Dezember 2008
149
Vierter Advent
152
And so this is Christmas …
155
Den Kopf verlieren
158
Sich keinen Stress machen
162
Den Kopf verlieren, Teil 2
164
„Gesunde“ Zwänge – Hinsehen, was wirklich ist
169
253
Wer wirklich unter’m Bett liegt
172
„Gesunde“ Zwänge, Teil 2
174
Chaos in Laos – äh, in Borsdorf
179
Und dann hat man’s auch noch eilig
Endzeit
182
184
Zwischendurch
186
Behindert? – Oder begnadet!
192
Luna
194
Mua
196
Der Samen
198
Durchbruch
200
Das mit Gott
204
Die Geburt der Göttin
208
Oma und die Liebe
209
„Michel ist ein kleiner Promi!“
210
Wer hat Angst vor’m schwarzen Mann …
212
Niemand!!
214
Schutthaufen
218
Weltpremiere
220
Auf den Lahnbergen
224
Das mit Dirk
226
Das mit Gott, Teil 2
228
Wollen, Schuld und Freiheit
230
254
Dritter Teil, Mai …
233
In den grünen Wäldern des Saarlands
234
Wieder zuhause
244
Finale mit happy open End
245
Sommersonnenwende
247
Literaturverzeichnis
249
255
www.sonjas-schreibkammer.de.tl
e-Mail: [email protected]
© Sonja Kammer 2009
Herstellung und Verlag:
Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-8391-2345-4
256

Documentos relacionados