Tadeusz Rózewicz 1921-2014

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Tadeusz Rózewicz 1921-2014
Nachruf auf Tadeusz Różewicz
Mit Tadeusz Różewicz ist nun der letzte große Dichter der unmittelbaren Nachkriegszeit gestorben nach Czeslaw Milosz, Zbigniew Herbert und Wislawa Szymborska. Nur Julia Hartwig, die erst spät bei
uns entdeckt wurde, erinnert noch an diese Generation, die auf ganz verschiedene Weise der
polnischen Poesie die höchste Anerkennung in der Welt verschafft hat. Milosz, der in Kalifornien
lebende Intellektuelle, der als ein von der kommunistischen Regierung enttäuschter Diplomat sein
Land von außen begleitet hat, und Wislawa Szymborska aus Krakau haben den Nobel-Preis erhalten,
Zbigniew Herbert, dem Weltenbummler, hat man ihn von Herzen gegönnt.
Der kleine Herr Tadeusz hat einen ganz eigenen Weg eingeschlagen, er war in jeder Hinsicht
ein Einzelgänger. Als junger Mann, der Kunstgeschichte studieren wollte, hat er bei den Partisanen
gegen die deutsche Besatzung gekämpft, ein Bruder von ihm ist von den Deutschen erschossen
worden. "Einst - schrieb er einmal - war die Kunst nicht von der Religion getrennt, sie präsentierte
kein eigenes, laizistisches Schönes. Das Sacrum und das Schöne waren eins. So war es in der Malerei
und Bildhauerei des Mittelalters, im Trecento und so weiter. Seit der Renaissance entwickelte das
Schöne ein Eigenleben, es nabelte sich vom Sacrum ab." Das Schöne und das Wahre gingen eigene
Wege.
Unter dieser Voraussetzung hat Różewicz sein Schreiben gesehen. Als er 1968 in Berlin bei
dem berühmten Kolloquium "Ein Gedicht und sein Autor" zusammen mit Zbigniew Hebert auftrat, las
er folgendes Gedicht vor, auf deutsch, das dieser Dichter sehr gut beherrschte: "Meine
Lyrik/übersetzt nichts/erklärt nichts/verzichtet auf nichts/erfasst keine Ganzheit/erfüllt keine
Hoffnung/...sie unterliegt sich selbst/sie hat viele Aufgaben/die sie nie erfüllt."
Mit diesem Bekenntnis hat Tadeusz Różewicz nach dem Krieg angefangen. Seine spröde Lyrik, die
auch bei uns viele Leser fand, soll im Leser entstehen und Folgen haben, der Dichter soll die Welt
nach dem Tode Gottes nur benennen.
Einem größeren Publikum ist Różewicz durch seine Theaterstücke bekannt geworden, die in
der Schublade "Absurdes Theater" schlummern, wo auch die frühen Stücke von Ionesco oder Beckett
liegen. Aber das Theater hat ihn vergessen, weil es das kürzeste Gedächtnis hat...
Als Tadeusz Różewicz einmal nach München kam und den Meldezettel im Hotel ausfüllte, schrieb er
in der Spalte Beruf: Dichter. Daraufhin bat ihn der Concierge, seine Rechnung im voraus zu bezahlen.
Ob es tatsächlich an der anstößigen Berufsbezeichnung lag oder an der polnischen
Staatsbürgerschaft, wissen wir nicht, ich weiß nur, daß Różewicz auch diese Demütigung durch einen
Deutschen überstanden hat, wie er eben so vieles andere in seinem langen Leben überstanden hat.
Wir verlieren mit ihm nicht nur unser letztes polnisches Mitglied, die Welt verliert einen
bedeutenden Dichter.
Michael Krüger