Panzerhaubitze 2000 - Strategie und Technik

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Panzerhaubitze 2000 - Strategie und Technik
Heer
Heer
Erste logistische Erfahrungen aus dem Einsatz
in Afghanistan
Nach einer Vorbereitungszeit im Verband von sechs Wochen verlegten erste Kräfte des Artillerieeinsatzkontingentes Panzerhaubitze (PzH) 2000 am 26. Mai 2010 nach Kunduz in Afghanistan. Etwa einen Monat später
wurden die PzH 2000 zum ersten Mal im scharfen Schuss eingesetzt.
Manfred Mertes
V
or der Verlegung der Haubitzen in
das Einsatzgebiet standen den in
der Nordregion eingesetzten Kräften zur unmittelbaren Feuerunterstützung
mit indirektem Feuer lediglich Mörser 120
mm, verlastet auf Lkw 0,9t Wolf SSA (Sonder-Schutz-Ausstattung), zur Verfügung.
Zeitgleich mit den ersten grundsätzlichen
Überlegungen wurde die Nutzungsleitung
für das Waffensystem PzH 2000 in den Entscheidungsprozess eingebunden. Aufgabe
der Nutzungsleitung war es, die Anforderungen an das Produkt für diesen Einsatz
und die notwendige Leistungsfähigkeit
zu analysieren, um daraus resultierende
logistische Maßnahmen abzuleiten. Zentrale Aspekte waren dabei die besonderen
Umweltbedingungen und klimatischen
Rahmenbedingungen.
Es wurden bereits mehrere Berichte über
die operationelle Leistungsfähigkeit der
PzH 2000 im Einsatz in Afghanistan ver-
Autor
Oberstleutnant Manfred Mertes
ist Nutzungsleiter Artillerie/Mörser in
der Abteilung V des Heeresamtes.
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September 2011 · Strategie & Technik
öffentlicht. Die folgenden Ausführungen
beschreiben – in Abgrenzung dazu – im
Schwerpunkt die logistischen Aspekte eines Einsatzes dieses hochkomplexen Waffensystems.
Kurzcharakteristik des
Wirkmittels
Die PzH 2000 ist ein 155-mm-Rohrwaffensystem der Artillerie auf einem gepanzerten Kettenfahrgestell. Die wesentlichen Leistungsdaten sind: Schussweite
in Abhängigkeit von der Munitionsart bis
zu 40 km, hohe Mobilität, Autonomie
durch einen bordeigenen Rechner und
eine Navigationsanlage sowie ein hoher
Automatisierungsgrad der Geschosszuführungsanlage. Sie verleihen diesem
Wirkmittel eine überragende Leistungsfähigkeit und Bedeutung. Im Verbund der
streitkräftegemeinsamen taktischen Feuerunterstützung (STF/Joint Fires) ergänzt
die PzH 2000 in Afghanistan nunmehr
erfolgreich die fliegenden Waffensysteme
und die Mörser im jeweils zugeordneten
Wirkungsbereich.
So bewertet der Kontingentführer des 1.
Kontingents in seinem Bericht:
„Die Panzerhaubitze 2000 erfüllt die Anforderungen in Verbindung mit der Stangentreibladung L8A1 mehr als deutlich.
In mehreren Gefechten und Operationen konnte die PzH 2000 ihre Feuerkraft
und Präzision im Rahmen unmittelbarer
Feuerunterstützung der Kampftruppe
unter Beweis stellen. Dabei wird sie zum
Beleuchten, Nebeln und Zerschlagen
feindlicher Stellungen im multinationalen
Rahmen zur Unterstützung Verbündeter
eingesetzt. Durch die Trefferergebnisse
und Geschwindigkeit konnte das Vertrauen der Kampftruppe in die Unterstützung
mit Steilfeuer mehr als zurückgewonnen
werden. Die artilleristische Feuerunterstützung ist dadurch h. E. zu einem unverzichtbaren Force Enabler der Kampftruppe geworden.“
Logistik im Einsatz
Auf der Grundlage umfangreicher Erkenntnisse aus der Nutzung anderer Produkte
unter den geographischen und klimatischen Bedingungen in Afghanistan wurde
entschieden, die PzH 2000 zunächst für einen stationären Einsatz aus den Feldlagern
heraus vorzubereiten.
(Foto: Bundeswehr/Schmidt)
Panzerhaubitze 2000
(Fotos: Kendermann)
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Mit dem Jingle-Truck nach Kunduz
Zusätzlich zu den nationalen Erkenntnissen konnten Informationen und Berichte der niederländischen Partner in die
eigenen Bewertungen einfließen. Dies
ist erneut ein gutes Beispiel dafür, dass
internationale Zusammenarbeit auf einer
vertrauensvollen Basis, die sich über lange
Jahre hinweg gebildet hat, in der Gegenwart mehr denn je als unverzichtbar zu
bewerten ist.
Als vorbereitende Maßnahmen hat ein
Expertenteam – unter Führung des Nutzungsleiters – folgende Bereiche herausgearbeitet:
s Einleitung und Abschluss der Zertifizierung der PzH 2000 zur Durchführung
des Lufttransportes mit verschiedenen
Luftfahrzeugen. Das Großgerät wurde
schließlich mit dem Luftfahrzeug Typ
Antonow An-124 nach Mazar-e Sharif
(MeS) verbracht.
s Montage des zunächst im Depot gelagerten Dachschutzes, in erster Linie aus
thermischen Gründen, aber auch zum
Schutz der Besatzung.
s Adaption eines externen Klimagerätes
zur Kühlung der Treibladungen und der
Waffenelektronik. Eine Beschaffung der
bereits in den Niederlanden eingeführten Kühlanlage war zeitgerecht nicht
möglich.
s Bereitstellung neuwertiger Ketten
wegen der durch das hohe Gefechtsgewicht der Haubitze begründeten
Laufleistungsbegrenzung der Kette auf
4.000 km.
s Prüfung und Anpassung der Softwarestände in den Haubitzen sowie den
Peripheriegeräten.
s Koordination der Materialerhaltungsmaßnahmen und Produktänderungen.
s Vorrangige Einleitung zwingend notwendiger Beschaffungen von Ersatzteilen in Fällen nicht ausreichender Bevorratung (Engpassartikel).
Zur Sicherstellung der Logistik im Einsatzgebiet wurde geprüft:
s Die Verfügbarkeit von Sonderwerkzeugen für zunächst einen Einsatzort.
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Im Feuerkampf
s Die Ausstattung des Artillerieeinsatzkontingentes mit einem Ersatzteilpaket
und die Befüllung der Versorgungskette
zur Sicherstellung der verzuglosen Ergänzung dieses Pakets.
s Die Verfügbarkeit des für die
Instandsetzung notwendigen Materialerhaltungspersonals sowie die
Bereitstellung der elektronischen
Dokumentation und Mittel zur Datenerfassung und Übermittlung nach
Deutschland.
Aktuell stehen in Afghanistan als militärisches Instandsetzungspersonal zwei Unteroffiziere der Fachrichtung Kraftfahrzeug-/
Panzerinstandsetzung und zwei Unteroffiziere der Fachrichtung Elektronik-/Waffenmechanik zur Verfügung.
Die Zusammenarbeit
Der Verbund zwischen militärischem Fachpersonal und Industriepersonal hat sich
auch in diesem Fall bewährt. Beide Komponenten sind im Einsatz unverzichtbar und
ergänzen sich folgerichtig. Die Ersatzteilversorgung erfolgt über das „Materialwirtschaftszentrum Einsatz“ der Bundeswehr
in Hesedorf direkt in das Einsatzgebiet. Sie
funktioniert bislang zufriedenstellend, nennenswerte Engpässe hat es nicht gegeben.
Es ist entscheidend, dass die Ersatzteile
nach erfolgtem Umschlag in der logistischen Basis in Mazar-e Sharif oder auch in
einer Forward Support Base (FSB) unverzüglich nach Kunduz gelangen und dass
die Schadbaugruppen ebenso zügig wieder in die Versorgungskette nach Deutschland zurückgeführt werden, um verzuglos
in die Instandsetzung eingesteuert werden
zu können. Diese Aussage bezieht sich vornehmlich auf Komponenten, die erstmals
beschafft worden sind oder aus Kostengründen nur in begrenzter Anzahl in der
Versorgungskette vorgehalten werden
können. Dies ist zukünftig besonders bei
Produkten zu beachten, die unmittelbar
aus den Produktionsstätten der Industrie
(Neufertigung/Modifikation) in den Einsatz
verbracht werden müssen.
Die Infrastruktur im Einsatzgebiet wird als
ausreichend bewertet, um anstehende Materialerhaltungsmaßnahmen ordnungsgemäß durchführen zu können.
Die ursprüngliche Planung ging vom Einsatz
zweier Geschütze in Kunduz aus. Ein weiteres Geschütz sollte als Reservegeschütz
dienen. Die taktische Lage erforderte, dieses Geschütz in die im Schwerpunkt des RC
North eingerichtete FOB zu verlegen, um
auch dort – übrigens auch als ein Zeichen
der zwischenzeitlich erreichten Akzeptanz
des Geschützes und der Erkenntnis der zwingenden Notwendigkeit – die Unterstützung
der Kampftruppe mit zielgenauem indirekten
Feuer sicherzustellen. Um weiterhin über eine
schnell verfügbare Großgerätereserve im Einsatz verfügen zu können, wurden im Verlauf
des Jahres 2010 zwei weitere PzH 2000 nach
Afghanistan verlegt, um den steigenden Bedarf an Feuerunterstützung zu decken.
Nach einem Jahr des Einsatzes der PzH
2000 in Afghanistan wird in Kürze eine
neue Phase eingeleitet. Hierzu werden im
Rahmen des Verfahrens des Einsatzbedingten Sofortbedarfes (ESB) insgesamt sieben
Geschütze mit der integrierten Treibladungskühlanlage und Kampfraumkühlanlage ausgerüstet. Diese zwingende, aber
auch aufwändige Modifikation schafft die
Voraussetzung für den mobilen Einsatz
der Geschütze außerhalb eines Feldlagers.
Das Schutzniveau der PzH 2000 ermöglicht noch keinen Einsatz außerhalb eines
geschützten Feuerstellungsraumes (PRT
bzw. FOB). Beginnend mit der Formulierung einer „Abschließenden Funktionalen
Forderung (AF)“ sind die ersten entscheidenden Schritte eingeleitet, um das System
PzH 2000 auf ein höheres Schutzniveau zu
bringen. Dadurch werden die Voraussetzungen geschaffen, die PzH 2000 unter Berücksichtigung der Gefährdungslage noch
mobiler einzusetzen.
Der mobile Einsatz
Der mobile Einsatz der PzH 2000 stellt höhere Anforderungen an die Logistik und an
das Nutzungsmanagement als der bisheri-
Aus dem Heer
GTK Boxer in Afghanistan
Besatzung und militärisches Instandsetzungspersonal
ge stationäre Einsatz. Größere Bedeutung
erhält die Bereitstellung von militärischem
Instandsetzungspersonal für die Unterstützung der Waffensysteme in einer FOB. Die
Unterstützung durch Industriepersonal in
den Feldlagern gewährleistet die schnelle
Lösung von technischen Problemen, die
das Fachwissen des Herstellers erfordern.
Dieses kann aufgrund der Bedrohungslage
aber nicht unmittelbar in den FOB eingesetzt werden. Darüber hinaus ist die Bereitstellung von Sonderwerkzeugen sowie
Ersatzteilen in ausreichender Menge der
Schlüssel zum Erfolg.
Das Großgerät sollte so vorbereitet werden, dass auf aufwändige, vorbeugende
Materialerhaltung (Fristenarbeiten) während der Einsatzdauer außerhalb der Feldlager verzichtet werden kann.
tivation unserer Soldaten und zivilen Mitarbeiter.
Der seit langem vorbereitete und gut funktionierende Erfahrungsaustausch zwischen
den technischen und logistischen Kräften
im Einsatzgebiet und den Dienststellen im
Inland ermöglicht in den meisten Fällen eine unverzügliche Nachsteuerung von Maßnahmen, die sich erst aus der Nutzung der
Produkte im Einsatz ableiten lassen.
Zusammenfassung
Die Rahmenbedingungen im Einsatzgebiet
Afghanistan weichen deutlich von den
europäischen Rahmenbedingungen ab.
Das Material wird anders und höher beansprucht, als es auf einem europäischen
Gefechtsfeld der Fall wäre. Die zwangsläu-
Feuerbereit in der Stellung
Die produktbezogene Informationsgewinnung wurde schon vor geraumer Zeit als
Herausforderung erkannt. Sowohl Mitarbeiter des Bundesamtes für Wehrtechnik
und Beschaffung als auch Nutzungsleiter
im Einsatz aus den Bereichen Heeresamt
und Logistikamt der Bundeswehr tragen
zur gezielten Informationsgewinnung bei.
Die neu konzipierte „Datenbank Nutzung“
dient der Dokumentation der Meldungen
und der Archivierung der getroffenen
Maßnahmen zur Vermeidung von Doppelarbeit und Verbesserung der Transparenz.
Gleichzeitig wird der Meldende über den
Sachstand informiert. Dies dient der Mo-
Die Ende Juli aus Deutschland per
Antonow An-124 luftverlasteten fünf
Gepanzerten Transportkraftfahrzeuge (GTK) Boxer sind in ihrem Bestimmungsort Mazar-e Sharif eingetroffen. Dort werden sie seit August von
einem Zug des Jägerbataillons 292 aus
Donaueschingen im Rahmen des ISAFEinsatzes in einem Ausbildungs- und
fige Folge ist ein höherer Koordinierungsaufwand in der Vorbereitungsphase vergleichbarer Einsätze. Die Verlegung des Artillerieeinsatzkontingentes PzH 2000 in das
Einsatzgebiet hat erneut deutlich gemacht,
wie komplex die Waffensysteme und Systemverbünde mittlerweile geworden sind
und wie vielschichtig die Aufgabenstellungen sein können, die sich aus der Tatsache
heraus ergeben, dass weite Entfernungen
überbrückt werden müssen. Das Gelingen
solcher Vorhaben kann nur gewährleistet
werden, wenn alle Beteiligten im Netzwerk
des jeweiligen Produktes an einem Strang
ziehen.
Schutzbataillon genutzt. Vorher wurde
der Zug im Heimatland ausführlich in
Fahrzeug und Technik eingewiesen und
in Übungen damit vertraut gemacht.
Für die besonderen Bedingungen in Afghanistan wurden die GTK Boxer speziell angepasst. Diese Version trägt den
Namen GTK Boxer A1 und verfügt neben einer zusätzlichen Panzerung über
eine um 30 cm erhöhte Waffenstation.
Dies ermöglicht ein besseres Wirken im
Umfeld. Selbstverständlich erhielt der
Transportpanzer auch den für die dortige Region ver wendeten Tarnanstrich.
Ein großer Vorteil ist neben dem hohen
Schutzniveau die nun mögliche Vernetzung zwischen den einzelnen, mit
der Infanterist der Zukunft (IdZ)-Ausstattung ausgerüsteten Soldaten und
dem GTK Boxer. Außerdem unterstützt
das Fahrzeug die Infanteriegruppe mit
seinen Beobachtungsmitteln und der
Fernbedienbaren Leichten Waffenstation 200 (FLW 200), die entweder über
ein schweres Maschinengewehr (12,7
Millimeter) oder eine Granatmaschinenwaffe (40 Millimeter) als Wirkmittel
verfügt.
(Helmut Hinz)
Strategie & Technik · September 2011
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