Catania, Pescara, Juve, Gruppenauflösungen
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Catania, Pescara, Juve, Gruppenauflösungen
Fan-News Catania: Ultras stoppen Züge Als den Ultras aus Catania klar wurde, dass sie es aufgrund der mehrstündigen Zugverspätung nicht mehr zum Auswärtsspiel ihrer Mannschaft am 14.1. in Brescia schaffen würden und daher die am Vorabend begonnene Reise umsonst angetreten hatten, entschieden sie sich zu einer radikalen Protestform: Die etwa 300 mitgereisten Sizilianer blokkierten bei Parma die Gleise und sorgten so für ein Verkehrschaos auf der vielbefahrenen Strecke Bologna – Mailand. Die Folge waren Zugverspätungen von bis zu 100 Minuten. Foto: Almut Schmoll Pescara: Landesweites Gedenken für verstorbenenen Capo Von Genua über Ternana und Rom bis nach Messina: In den vergangenen Wochen gedachten Ultras der verschiedensten Gruppierungen mit Spruchbändern Marco Bubus, des legendären Capos der Pescara Rangers, der im Januar nach kurzer aber schwerer Krankheit verstarb. Die landesweite Trauer in den Kurven zeigt das Bewusstsein der Ultraszene, eine der wahrhaft großen Führungsfiguren der 70er Jahre verloren zu haben, die durch ihr Handeln und ihre Erscheinung ein positives Beispiel gelebter Ultramentalität gaben. Seine Gruppe ehrte Marco mit der Umbenennung der Heimkurve in „Curva Nord Marco Mazza“. Brescia: Ultra-Mahnmarsch für Polizeiopfer Paolo Hunderte Ultras aus dem ganzen Land zogen am 18. Februar friedlich durch die Straßen Brescias um für Paolo, den von der Polizei in Verona ins Koma geschlagenen Fan zu demonstrieren. Obwohl die Gruppe Brescia 1911 nur die Veroneser offiziell eingeladen hatte, kamen Ultras selbst aus so weit entfernten Orten wie Cava de’ Tirreni, Monopoli und Potenza zusammen, um ihre Solidarität zu bekunden. „Wir wollen keine Rache, sondern Gerechtigkeit und Wahrheit“, erklärten die Brescia 1911, die erfolgreich zum gewaltund politikfreien Mahnmarsch aufgerufen hatten. 80 Trotz der teuren Eintrittspreise noch Geld für eine Choroeo: In der Mitte der Teufel, das Symbol der AC Milan-Fans, dazu das Spruchband: „Du Armer, wie leid du uns tust…“ Foto: Guido Stutz Juve – Milan Ein teures Vergnügen Dass die hohen Eintrittspreise ein Hauptgrund für den Besucherrückgang in Italiens Stadien sind, ist ein offenes Geheimnis, auch wenn mancher Funktionär trotz rückläufiger Zahlen die Schuld immer noch bei gewalttätigen Fans sucht. Die Ticketpreise für das Schlagerspiel der Serie A am 12. März zwischen Juventus und dem AC Mailand im Turiner Stadion „Delle Alpi“ markierten einen vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung: Der Rekordmeister forderte für die „billigsten“ Aufgelöst: Udines Gruppe „Nord Kaos“ Karten (jeweils in den weit vom Spielfeld entfernten Kurven) 50 Euro. Entsprechend hoch ging die weitere Staffelung der Kartenpreise: Einen Platz im zugigen vierten Rang der Osttribüne gab es für 65 Euro, für die im Vergleich dazu größere Nähe zum Spielfeld im dritten Rang wurden dem Fan gar 90 Euro abverlangt. Über Tribünenpreise von 115, 125 und 150 Euro war schließlich das Ende der Fahnenstange bei 250 Euro für einen Haupttribünenplatz erreicht. Für Minderjährige gewährte Juve Foto: almtraumpaderborn.de Zeit der großen Ultra-Gruppen beendet? Auflösungserscheinungen „Wir sind zu der bitteren aber stolzen Entscheidung gelangt, uns aufzulösen und das Abenteuer der Fossa dei Leoni zu beenden.“ Mit diesen Worten endete im November 2005 die Geschichte der legendären Ultragruppe des AC Mailand. Zwar waren die Vorfälle in der Mailänder Südkurve die spektakulärsten, doch ging die Fossa ihren schmerzhaften Weg diese Saison keinesfalls allein. Bereits zuvor hatten sich die Brigate Nerazzure Atalanta aus Bergamo aufgelöst, und in den vergangenen Wochen folgten weitere: In Modena und Venedig lösten sich mit den Brigate Gialloblù Modena und den Ultras Unione Venezia Mestre die beiden bekanntesten Gruppen mit jahrzehntelanger Geschichte auf; desweiteren stellten auch die Gruppen Robur Alcool (Siena), Nord Kaos (Udinese) und Noi Soli (Juve) ihre Aktivitäten ein. Während in Modena die Gruppengründer die Auflösung gefordert hatten, da die jetzige hingegen „Preisnachlässe“: Unter 18-Jährige sollten 40 Euro ihres Taschengeldes aufbringen, und die unter 16-Jährigen mussten gar „nur“ die Hälfte des Preises für den dritten Rang der Westtribüne zahlen – 75 Euro. Ein Familienvater mit Sohn hätte also 225 Euro für das Sportereignis bezahlt. Zum Vergleich: Im Pay-TV war das Spitzenspiel für 3 Euro zu sehen. Ob es wohl an der Angst vor Ausschreitungen gewalttätiger Fangruppen und mangelndem Komfort im Stadion lag, dass nur 16.019 zahlende Zuschauer außer den 23.000 Abonnenten den Weg ins „Delle Alpi“ fanden? Führungsriege ihrer Ansicht nach nicht würdig sei, die Brigate zu leiten, gaben die Venezianer keine Gründe an; ausschlaggebend dürften jedoch kurveninterne Konflikte gewesen sein. Auch in den Auflösungsbekanntmachungen der Gruppen in Siena, Udine und Turin ist von szeneinternen Differenzen zu lesen; weiterhin weisen sowohl Robur Alcool, als auch Nord Kaos auf den jeweils ausbleibenden Generationswechsel hin. Wie verschieden die einzelnen Vorkommnisse bei jeder Gruppe auch sein mögen –, die Gruppenauflösungen sind ein kurvenübergreifendes Phänomen. Die Zeit der großen Gruppen scheint zu Ende zu gehen; sicherlich nicht nur Schuld der wachsenden Repression, sondern auch einer neuen Ultrageneration, die das Spiegelbild einer immer egozentrierteren Gesellschaft ist, folglich ihre Individualität gnadenlos auslebt und andererseits immer wieder Elemente in die Kurven einführt, die mit Fußball und Fankultur nicht das Geringste zu tun haben. Aber wie schrieben die BGB Modena? „Niemand wird je 30 Jahre ehrenvolle Geschichte löschen können.“ Stadionwelt April/Mai 2006