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Montague Summers Aus dem Englischen von Michael Siefener Mit einem Vorwort des Übersetzers www.Festa-Verlag.de 1. Auflage November 2004 Orginaltitel: Witchcraft and Black Magic, erschienen 1946 bei Rider & Co., Ltd., London and New York © dieser Ausgabe 2004 by Festa Verlag, Leipzig Druck und Bindung: Finidr, s.r.o Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-935822-93-6 INHALT VORWORT 7 EINLEITUNG 19 KAPITEL EINS Was ist Hexerei? – Wie wird man zur Hexe? – Die Notwendigkeit des Paktes 23 KAPITEL ZWEI Der Hilfsgeist in menschlicher und tierischer Gestalt – Die Gotteslästerungen der Hexen – Der Blutzoll 83 KAPITEL DREI Hexerei in Cambridge und Oxford – Die manichäischen Zauberer – Hexenwesen und Revolution – Die Zauberei der Templer – Hexenwesen und Politik 131 KAPITEL VIER Die Ursprünge des Hexenwesens – Die Söhne Gottes und die Töchter der Menschen – Wer war die erste Hexe? – Assyrische und ägyptische Hexerei – Mumien – Der »dianische Kult« 177 KAPITEL FÜNF Die Bibliothek der Hexen – Die sibyllinischen Bücher – Die Grimoires – Der Grand Albert – Die Bibel der Hexen – Zekerboni – Gedruckte und handschriftlich überlieferte Zauberbücher – Die Szene einer Beschwörung, wie Restif de la Bretonne sie beschreibt 224 KAPITEL SECHS The Magus (dt.: Der Magus, 1801) von Francis Barrett – Zeremonielle Magie – Der böse Blick – Die Hierarchie der Dämonen – Nekromantie – Beschwörungen – Ebenezer Sibly – Satanismus heute – Obeah – Hexerei in Mauritius. 304 KAPITEL SIEBEN Sympathetische Magie – Wachsbilder – Figurinen – Die Hexenzirkel – Der Großmeister – Levitation – Der Sabbat – Incubi und Succubi – Die schwarze Messe. 365 VORWORT Das vorliegende Buch ist eines der interessantesten und seltsamsten, das je über das Phänomen des Hexenwesens geschrieben wurde. Montague Summers, sein Autor, war von der Wirklichkeit der Hexerei fest überzeugt und vertrat die Ansicht, die meisten Hexen seien zu Recht verbrannt worden. Diese Auffassung war vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert häufig anzutreffen, doch Montague Summers, ein in vieler Hinsicht zu spät Geborener, erblickte das Licht der Welt nicht während der Renaissance oder im Barock, sondern im Jahre 1880. Wegen seiner absonderlichen Theorien zur Hexerei und der Schuld der Hexen und Zauberer wurde er heftig angefeindet, doch auch seine erbittertsten Gegner mussten anerkennen, dass Summers’ Bücher ausgezeichnet recherchiert sind und von außergewöhnlichem Kenntnisreichtum zeugen. In England und Amerika erregten sie großes Aufsehen, doch in Deutschland wurde Summers bisher kaum wahrgenommen. Das vorliegende Buch ist das erste seiner Werke, das vollständig in die deutsche Sprache übersetzt wurde. Während Summers in seiner Heimat sehr bekannt ist, gibt es hierzulande nur wenige Informationen über ihn, die zudem an entlegener Stelle publiziert wurden (Michael Siefener: »Summers!« In: Quarber Merkur 85, 1987, S. 113 ff.; Michael Siefener: Einführung, zu: Montague Summers: Das Grimoire. Spukgeschichten, Gießen 2001). Daher sei hier ein kurzer Abriss des Lebens und der literarischen Tätigkeit von Montague Summers gegeben. Augustus Montague Summers wurde am 10. April 1880 in Clifton nahe Bristol, England geboren. Sein Vater war ein wohlhabender Bankier, und Monty, wie er später genannt wurde, wuchs zusammen mit seinen fünf Schwestern und seinem Bruder in einer Atmosphäre behaglichen Reichtums 7 auf. In seiner Autobiographie (The Galanty Show, posthum 1980 veröffentlicht) schwärmt er von der Bibliothek in dem schlossartigen Anwesen seiner Eltern und von dem Spielzeugtheater (das er immer »Miniaturtheater« nannte, um dessen Bedeutung zu betonen), welches seine Liebe zur Schauspielkunst und den alten Dramatikern begründete. Erst spät, nämlich mit fünfzehn Jahren, besuchte er die Schule; vorher erhielt er Privatunterricht. Bereits während seiner Schulzeit begann er sich für die katholische Kirche und ihre prachtvollen, alle Sinne ansprechenden Riten zu interessieren (Summers stammte aus einem anglikanischen Haushalt). Zunächst blieb er seiner Kirche treu, ging nach dem Abschluss seiner Schulzeit zum Studium zunächst nach Oxford, dann nach Lichfield an das Theological College, denn er hatte sich für die Laufbahn eines Geistlichen entschieden. 1906 schloss er seine Studien mit dem Titel M. A. (Magister Artium) ab. Bis 1908 gibt es kaum verlässliche Informationen über Summers’ Leben; in dieser Zeit scheint er ausgedehnte Reisen durch Italien unternommen zu haben. Die literarische Bühne betritt er zum ersten Mal im Jahr 1907. Antinous and Other Poems ist ein Gedichtband, der bereits andeutet, welche absonderlichen Neigungen und Vorlieben Summers zu entwickeln begonnen hatte. Das kleine Büchlein in elegantem blauen Leinen mit Goldprägung und Goldschnitt, das bei Sisley’s in London erschien, enthält sowohl flammende religiöse Gedichte als auch solche, die man als dekadent bezeichnen kann. Aubade zum Beispiel beschreibt in schillernden Wortgewändern eine schwarze Messe, und in dem Gedicht To a Dead Acolyte (dt.: An einen toten Messdiener) zeigen sich deutlich und in wunderschöner Sprache Summers’ homoerotische Neigungen. Heute ist Antinous in der Erstausgabe ein Buch von legendärer Seltenheit; zum Glück wurde es 1995 nachgedruckt. Es blieb Summers’ einziger Ausflug in den Garten der Lyrik, wenn man von dem Gedicht The Garden God absieht, das Summers 8 1925 in das Poesiealbum einer jungen Frau schrieb (1997 erschien eine englisch-deutsche Parallelausgabe als Privatdruck). Andere Interessen traten in den Vordergrund. 1908 wurde Summers zum anglikanischen Diakon geweiht und erhielt zunächst eine Stelle an einer Pfarrei in Bath, dann in Bitton nahe Bristol. Etwas scheint in dieser Zeit mit dem jungen Geistlichen vorgegangen zu sein, denn ein Freund, der ihn in Bitton besuchte, berichtete, Summers habe sich tief in dämonologische Studien vergraben; er sei nervös, ja beinahe hysterisch gewesen und habe behauptet, das Haus, in dem er lebe, werde von Gespenstern heimgesucht. Nur für kurze Zeit blieb er in Bitton, denn er wurde dort zusammen mit einem anderen Geistlichen der Päderastie angeklagt und musste den Ort verlassen, obwohl er freigesprochen wurde – ob aus Mangel an Beweisen oder aus erwiesener Unschuld, lässt sich heute nicht mehr klären, denn alle Akten wurden im Zweiten Weltkrieg vernichtet. 1909 konvertierte Summers zum Katholizismus, dem er ja schon lange nahe gestanden hatte, und nannte sich nun Alphonsus Joseph-Mary Montague. Die katholische Lehre kam seinem Glauben an das Übernatürliche und das Böse in der Welt näher als die der Anglikaner; es hat den Anschein, dass es gerade diese dunkle Seite des Katholizismus war, die den Ausschlag für Summers’ Konvertierung gab. Zunächst erhielt er eine Anstellung als Lehrer im »Augustine’s House« in Walford (im Südosten Londons), dann ging er als Student an das St. John’s Seminary in Wonersh. Seine theologischen Studien schloss er bei St. George Kieran-Hyland in Godalming ab. Am 28. 12. 1910 erhielt er die Tonsur vom Bischof von Southwark. Glücklicherweise musste er sich nicht, wie es in den alten Zeiten üblich war, den Hinterkopf scheren lassen, sondern nur eine Locke seiner Haarpracht opfern. Nun war er als Kleriker in die katholische Kirche aufgenommen, aber noch nicht zum Priester geweiht. Seit 1913 behauptete Summers, er sei ordinierter Priester, doch darüber gibt es keinerlei Aufzeichnungen; er wird in keiner katholischen 9 Priesterliste geführt. Es lässt sich wohl nicht mehr feststellen, ob Summers tatsächlich katholischer Priester war oder nicht. Sein Biograph Brocard Sewell vermutet, Summers sei entweder in Italien oder von einem britischen schismatischen Bischof unerlaubt, aber nach Kirchenrecht gültig geweiht worden. Tatsache ist zumindest, dass er nie eine Pfarrstelle innehatte. Ein weiterer dunkler Fleck in Summers’ Biographie ist die Vermutung, er habe etwa im Jahr 1913 eine schwarze Messe gefeiert. Sein Bibliograph Timothy d’Arch Smith machte einen der Beteiligten an dieser blasphemischen Veranstaltung ausfindig – angeblich waren nur drei Leute dabei anwesend –, der diesen Vorwurf bestätigte. Es geht das Gerücht um, während dieser Teufelsmesse seien Dinge geschehen, die Summers zum glühenden Gegner jeglichen Verkehrs mit der Welt des Jenseitigen machten. Zumindest scheint er das, was er in seinen späteren Büchern über Hexerei und Zauberei so heftig verdammte, aus eigener Anschauung gekannt zu haben. Montague Summers’ Begeisterung für das Drama – vor allem jenes der Restaurationszeit – trug erste Früchte, als er 1914 das Schauspiel The Rehearsal von Villiers für die Shakespeare Head Press herausgab. In den nächsten achtzehn Jahren folgten viele Werkausgaben von Autoren wie Dryden, Congreve, Aphra Behn oder Wycherley, die Summers’ Ruf als Autorität für das Drama der Restaurationszeit festigten. Noch heute gelten die meisten dieser Ausgaben als Standardwerke, genau wie seine beiden Bücher über das Drama The Restauration Theatre (1934) und The Playhouse of Pepys (1935). Zunächst konnte er von der Herausgabe von Büchern – die überdies oft in limitierten bibliophilen Ausgaben erschienen – nicht leben und arbeitete daher viele Jahre als Lehrer für Latein, Geschichte, Englisch und Französisch; auch sprach er gut Deutsch. Es heißt, er sei ein sehr guter Lehrer gewesen. Einer seiner Schüler hat die folgende Charakterisierung hinterlassen: 10 »… er war immer eine charmante und anregende Gesellschaft und besaß eine Schlagfertigkeit, die manchmal schmerzen konnte, aber stets wohlgegründet war. Seine Kleidung war der von ihm über alles geliebten Restaurations- und Queen-Anne-Periode so stark wie möglich angenähert. Er trug einen langen Gehrock, purpurne Strümpfe, Schnallenschuhe, einen hohen Spazierstock mit Griff, und sein Haar war an der Seite kurz geschnitten und hinten lang, sodass es beinahe wie eine Kurzperücke wirkte« (zitiert nach Jerome, Montague Summers, S. 26). Neben seiner Lehrtätigkeit war Summers Theaterproduzent. 1919 gründete er in London »The Phoenix«, eine Gesellschaft zur Präsentation von Schauspielen vor allem aus der Restaurationszeit. Bis 1925 wurden insgesamt 26 Stücke aufgeführt, und Summers wurde in London so bekannt, dass sogar »Matt« (Matthew Sandford), der Karikaturist des Evening Standard, eine höchst amüsante Karikatur von ihm anfertigte. Allmählich wuchs auch die Liste seiner Veröffentlichungen – 1920 schrieb er übrigens ein Pamphlet über den Marquis de Sade, das die erste eigenständige Publikation in England über diesen merkwürdigen Menschen war –, sodass er 1926 seine Lehrerstelle aufgeben und von seiner schriftstellerischen Tätigkeit leben konnte. Im selben Jahr erschien auch das Buch, das sein berühmtestes werden sollte: The History of Witchcraft and Demonology, eine sehr gelehrte, mit vielen lateinischen und griechischen Zitaten gespickte Geschichte der Hexerei und Dämonologie, in welcher Summers zum ersten Mal öffentlich seine Auffassung vertrat, Hexerei sei ein reales Verbrechen und die Hexen seien zu Recht verbrannt worden. Als katholischer Geistlicher war er von der Wirklichkeit des Teufels und seiner höllischen Heerscharen überzeugt, und er sah in den Berichten der frühneuzeitlichen Dämonologen und in den Hexenprozessakten das schreckliche Wirken der Feinde Gottes. Im sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert hätte seine Meinung nur eine weitere Stimme im Kanon der Prozessbefürworter dargestellt, doch 11 für das zwanzigste Jahrhundert war sein Standpunkt ein wenig eigenwillig, um es vorsichtig zu formulieren. Das Buch erregte ein solches Aufsehen, dass die erste Auflage angeblich nach zwei bis drei Tagen verkauft war. Es war der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Büchern mit okkulten Themen. Ein Jahr später erschien The Geography of Witchcraft, 1928 The Vampire, His Kith and Kin, 1929 The Vampire in Europe und 1933 The Werewolf. Die drei letzten Bände waren nicht mehr so erfolgreich; sie wurden 1935 verramscht, wie Summers verbittert an Charles Kay Ogden, einen seiner Herausgeber schrieb (Letters to an Editor, Edinburgh 1986, S. 22). 1937 verfasste Summers A Popular History of Witchcraft, eine Zusammenfassung seiner beiden großen Bände über das Hexenwesen in populärerer Gestalt, also ohne viele Fußnoten, wobei er jedoch auch neues Material einbezog. 1946 schließlich erschien sein letztes Buch zu diesem Thema unter dem Titel Witchcraft and Black Magic, das hiermit in deutscher Erstausgabe vorliegt. Auch dieses Buch verzichtet auf Fußnotenballast, ohne deshalb weniger fundiert zu sein. Bis 1957 erfuhr es drei Auflagen. Es stellt einen guten Zugang zu Summers’ Gedankenwelt und seiner Sicht der schwarzen Künste dar und ist überdies ein ungeheuer detailreiches und informatives Werk über Magie, Zauberbücher und das Treiben der Hexen. Neben diesen eigenen Werken veröffentlichte Summers etliche Quellentexte zum Hexenwesen. So gab er das De Daemonialitate von Ludovico Maria Sinistrari neu heraus, das eines der seltsamsten Bücher der gesamten dämonologischen Literatur ist. Sinistrari wurde 1622 im italienischen Ameno geboren und trat 1647 in den Franziskanerorden ein. Er schrieb etliche Bücher, unter denen das strafrechtliche Werk De Delictis et Poenis das wichtigste ist. Ein Kapitel daraus, über den verbrecherischen fleischlichen Umgang mit den Dämonen, erweiterte er später zu einem eigenständigen Werk mit dem Titel De Daemonialitate. Auch wenn Summers im Vorwort der von ihm besorgten Ausgabe behauptet, dieses Buch 12 enthalte nichts, was gegen die Lehrsätze der heiligen Mutter Kirche verstößt, beinhaltet das De Daemonialitate doch etliche Thesen, die einem Imprimatur eindeutig im Wege standen. So kam es, dass das Buch nur in einer Handschrift fortexistierte, bis es 1872 von dem französischen Bibliophilen Isidore Liseux in einem Londoner Antiquariat entdeckt und drei Jahre später in einer lateinisch-französischen Paralleledition herausgegeben wurde. Summers’ Ausgabe wurde zusammen mit den ebenfalls von ihm edierten Confessions of Madeleine Bavent (1933) 1934 verboten, da beide Werke angeblich obszönen Inhalts seien. Summers gab überdies einige Hauptwerke der dämonologischen Literatur heraus. So besorgte er die erste englische Übersetzung des Hexenhammers (Malleus Maleficarum), die 1928 bei Rodker, London, in einer auf 1275 Exemplare limitierten Ausgabe erschien. In gleicher Ausstattung folgten 1929 als englische Erstausgaben An Examen of Witches (Discours execrable des sorciers) von Henri Boguet, das Compendium Maleficarum von Francesco Maria Guazzo, ein Jahr später Demonolatry (Daemonolatreia) von Nicolaus Remy sowie die Neuausgabe von The Discoverie of Witchcraft von Reginald Scot und posthum das Pandaemonium von Richard Bovet (1950). Inzwischen war Summers von London nach Oxford gezogen, hatte sich in seinem Haus ein Oratorium eingerichtet und las bisweilen die Messe in einer der katholischen Kirchen Oxfords. Sein Leben verlief in ruhigen Bahnen; inzwischen hatte er gar einen Sekretär: Hector Stuart-Forbes, ein langjähriger Freund von Summers, der ihm bei seinen umfangreichen Arbeiten half. Neben der Beschäftigung mit den oben angeführten Themen hatte Summers noch eine weitere Leidenschaft, der er viel Kraft und Tinte widmete: die Schauerliteratur. Er schrieb darüber eine bis heute unübertroffene, wenn auch von seinen persönlichen Vorlieben und Abneigungen gefärbte Abhandlung mit dem Titel The Gothic Quest (1938) und verfasste eine Bibliographie zum Thema (A Gothic Bibliography, 1940), die 13 ebenfalls noch immer ein Standardwerk ist, obwohl man sie nicht als fehlerfrei bezeichnen kann. Wegen des Krieges war es Summers nicht möglich, außerhalb von England Recherchen anzustellen; daher musste er sich auf die britischen Bibliotheken und auf seine eigene ungeheuer umfangreiche Sammlung sowie auf Antiquariatskataloge verlassen. Es gab – damals wie heute – Antiquare, die sich den Spaß erlaubten, erfundene Titel in ihre Kataloge zu setzen. The Skeleton Clutch, or The Goblet of Gore des berühmten Sensationsschriftstellers Thomas Peckett Prest scheint ein solcher zu sein. Auch gab Summers vier Gothic Novels neu heraus: The Castle of Otranto (Das Schloss von Otranto, zusammen mit dem Schauspiel The Mysterious Mother) von Horace Walpole (1924), Horrid Mysteries (eine Übersetzung des Genius von Grosse, 1927), The Necromancer (Der Geisterbanner von Karl Friedrich Kahlert, 1927) und Zofloya, or The Moor von Charlotte Dacre (1928). Daneben trat er als Herausgeber von drei Anthologien phantastischer Literatur hervor. 1931 veröffentlichte er The Supernatural Omnibus und schrieb dazu eine Einleitung, die zum Besten gehört, was je über die Gespenstergeschichte geschrieben wurde. 1933 erschien die Anthologie Victorian Ghost Stories und 1936 die Sammlung The Grimoire, in der auch die beiden einzigen Gespenstergeschichten aus Summers’ Feder enthalten sind: das titelgebende The Grimoire (dt.: Das Grimoire) und The Man on the Stairs (dt.: Der Mann auf der Treppe), das anonym erschien, aber eindeutig Summers zugeschrieben werden kann. Diese beiden Erzählungen sowie die Einleitung zu The Supernatural Omnibus erschienen 2001 auf Deutsch in dem Band Das Grimoire von Montague Summers (Informationen dazu unter www.verlag-lindenstruth.de). 1936 gab Summers die Gedichte des elisabethanischen Autors und Zeitgenossen Shakespeares, Richard Barnfield heraus. Diese Gedichte, die in einer Auflage von nur 500 nummerierten Exemplaren erschienen und auch nach zwanzig Jahren noch lieferbar waren, sind nur für Literaturwissenschaftler noch interessant, doch die Einleitung ist 14 bemerkenswert, weil sie neben Summers’ Studie über den Marquis de Sade seine einzige Beschäftigung mit der Liebe und insbesondere ihrer homoerotischen Spielart darstellt. Barnfields Gedichte beschwören Kameradschaft und Zuneigung unter Männern und haben oft eine starke homoerotische Färbung, die Summers in zarten Worten preist und in eine Reihe mit den großen griechischen und römischen Autoren stellt. Er vergleicht sie gar mit den Gedichten Michelangelos, rühmt ihre Zartheit und Süße und mutmaßt, dass es eine wirkliche Person war, ein Ganymed, den Barnfield in seinen Werken besungen hat und von dem sein Herz übergeflossen sei. Von Summers selbst ist übrigens nicht überliefert, dass er in seinem Leben je eine engere Beziehung einging. Ab etwa 1946 wurde es stiller um Summers. Seine Gesundheit schwand, und er trat literarisch fast nur noch als Verfasser von Artikeln für Zeitschriften und Magazine in Erscheinung. Inzwischen bediente er sich eines Doktortitels, dessen Berechtigung genauso im Dunkeln liegt wie sein Priesteramt, auch wenn es möglich ist, dass Summers dieser akademische Grad von einer portugiesischen oder amerikanischen Universität verliehen wurde. Er erhielt sogar das Angebot aus Amerika, eine Professur zu übernehmen, doch sein Gesundheitszustand erlaubte es ihm nicht mehr, diesem Ruf zu folgen. Selbst wenn er kein förmliches Promotionsverfahren durchlaufen hat, so ist angesichts seiner ungeheuren wissenschaftlichen Leistungen die Doktorwürde für Summers durchaus gerechtfertigt. 1948 widmete sich Summers noch einmal einem großen literarischen Projekt: Er begann mit den Arbeiten zu seiner Autobiographie. Am 10. August 1948 starb er in seinem Arbeitszimmer; der erste Band seiner auf zwei Bände angelegten Memoiren war beinahe fertiggestellt. Erst 1980 konnte seine Autobiographie in London erscheinen. Sein Sekretär Hector Stuart-Forbes erbte Summers’ Nachlass, doch wegen eines Fehlers im Testament erhielt Stuart-Forbes kein Geld, 15 sondern nur die literarische Hinterlassenschaft. Kurze Zeit später war er gezwungen, Summers’ handschriftliches Erbe zu verkaufen, um überleben zu können. In diesem Nachlass sollen sich zwei Schauspiele aus der Hand von Summers, dazu ein fast beendetes Werk über Matthew Gregory Lewis und ein weiteres Buch über die Gothic Novel mit dem Titel The Gothic Achievement befunden haben. All diese Werke sind verschollen. Stuart-Forbes überlebte Summers nur um zwei Jahre. Montague Summers war im an Exzentrikern reichen London der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine der exzentrischsten Erscheinungen. Manche Leute hielten ihn für düster und unheimlich, doch jeder, der ihn näher kannte, beschrieb ihn als humorvoll, geistreich, kameradschaftlich und freundlich. Sein ganzes Leben lang schien er für die Außenwelt eine Maske zu tragen, und bald war sie ihm zur zweiten Natur geworden: die Maske des in den okkulten Künsten Bewanderten, des rätselhaften Klerikers, des mysteriösen, von dunklem Wissen durchtränkten Gelehrten. Eileen Garrett, die Präsidentin der parapsychologischen Gesellschaft von New York und Herausgeberin des International Journal of Parapsychology, begegnete Summers zu mehreren Gelegenheiten auf Partys und hatte von ihm den Eindruck, »er sei ein Schauspieler, der sich bemüht, eine seltsame und dunkle Rolle zu spielen«; sie verglich ihn mit »einem Mann, der versucht, sich in den schwarzen Mantel des Bösen zu hüllen – doch der Mantel war nicht groß genug und stand vorn offen« (zitiert nach Jerome, Montague Summers, London 1965, S. 79). Gibt es ein hübscheres Bonmot, um Montague Summers treffend zu beschreiben? Einige Vorbemerkungen zum folgenden Text seien hier eingefügt: Wenn Summers Buchtitel zitiert, ist dahinter in Klammern nur dann eine deutsche Übersetzung angefügt, wenn das betreffende Werk in die deutsche Sprache übersetzt wurde. Eine Ausnahme wird lediglich bei langen, 16 barocken Titeln gemacht, die mehr erzählender Natur sind. Gedichtzitate, derer sich Summers häufig bedient, sind der inhaltlichen Genauigkeit wegen im Original und in deutscher Prosaübersetzung wiedergegeben. MICHAEL SIEFENER 17 EINLEITUNG »Das fesselndste und aufschlussreichste Buch, das man schreiben kann«, sagte Dr. Johnson, »ist eine Geschichte der Magie.« Man sagt, dass »es ziemlich unmöglich ist, das wahre und innere Leben der Männer und Frauen im England Elisabeths und der Stuarts, im Frankreich Ludwigs XIII und während der langen Regentschaft seines Nachfolgers und Sohnes, im Italien der Renaissance und der katholischen Gegenreformation – um nur drei europäische Länder und einige fest umrissene Epochen zu nennen – zu verstehen und richtig zu würdigen, wenn wir nicht die Rolle begreifen, die das Hexenwesen in jener Zeit und in jenen Königreichen gespielt hat. Alle Volksschichten waren beteiligt und betroffen, vom Papst bis zum Bauern, von der Königin bis zum Landmädchen.« Daher ist es kaum überraschend, dass der Geschichte des Hexenwesens in den letzten fünfundzwanzig Jahren viele Autoren besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben, von denen einige Gelehrte diesem Gegenstand nach langer und geduldiger Forschung tiefe Gedanken und gründliche Überlegungen widmeten und die Literatur der Dämonologie mit Beiträgen bereicherten, die, wie unterschiedlich die Blickwinkel, Ansätze und Ergebnisse auch sein mögen, von dauerndem und bedeutendem Wert sind. Jedoch hat sich das Hexenwesen auch als unwiderstehliche Verlockung für nicht gerade wenige wunderliche und seichte Federn erwiesen, und es sind einfach zu viele billig zusammengeschusterte Bücher erschienen, die entweder einen wahren Lumpensack an Volksüberlieferungen oder bloß eine kecke und marktschreierische Ausbeutung des Werks anderer Autoren darstellen. Für die Geschichte des englischen Hexenwesens und das 19 hierzu gesammelte sowie vortrefflich kommentierte und reich mit Anmerkungen versehene Material sind Mr. C. L’Estrange Ewens Witch Hunting and Witch Trials (1929), Witchcraft and Demonianism (1933) und sein Privatdruck Witchcraft in the Star Chamber (1938) von höchster Wichtigkeit. Ein nützlicher Nachdruck mit einer ausgezeichneten Einleitung ist D. G. B. Harrisons The Trial of the Lancester Witches A. D. MDCXII (1929). D. Harrison verdanken wir auch die Nachdrucke der Daemonologie (1597) von König James I. und von Newes from Scotland (1591) in den ›Bodley Head Quartos‹. The Age of Arsenic (1931) von W. Branch Johnson ist eine gute Abhandlung über die Praktiken der Hexen, besonders der la Voisin und ihrer Bande im Paris Ludwigs XIV. Zwei sehr gelehrte Studien des Jesuiten Reverend Joseph J. Williams, Voodoos and Obeahs (1932) und Psychic Phenomena of Jamaica (1935), sind unsere Quellen für die schrecklichen Zaubereien des schwarzen Mannes in Westindien. Poltergeists (1940) von Sacheverell Sitwell untersucht ausführlich und meisterhaft jene außergewöhnlichen Geschehnisse, die so oft mit dem satanischen Übernatürlichen in Verbindung stehen. Das Werk Witchcraft in Old and New England (1928) des jüngst verstorbenen Professors George Lyman Kittredge leidet zumindest meiner Meinung nach in gewissem Grade unter dem Umstand, dass es in achtzehn Kapiteln miteinander nicht in Verbindung stehende Aufsätze enthält, deren Einheit lediglich im gemeinsamen Thema besteht. Dennoch ist es eine beachtliche Arbeit, wenn auch seltsam teilnahmslos und sogar skeptisch, was in einigen wichtigen Einzelheiten zwangsläufig zu Fehlern oder zumindest zu Missverständnissen führt. Es wäre undankbar und ungerecht, einen Tadel über Dr. Henry Charles Leas Materials Toward a History of Witchcraft auszusprechen, ein Buch, das der jüngst verstorbene Autor unvollendet und nicht korrigiert hinterlassen hat. Diese drei Bände, die 1939 veröffentlicht wurden, darf man notwendi- 20 gerweise nur als eine Sammlung von Synopsen, Ausführungen, Verweisen und Anmerkungen ansehen. Sie enthalten viel wertvolles Material, sind aber unter dem Zwang der Umstände in einigen wesentlichen Punkten lückenhaft und rudimentär geblieben. Das ist umso bedauerlicher, da meiner Meinung nach eine Endredaktion den Autor nicht selten dazu geführt hätte, sein Urteil zu ändern, und sowohl die Tatsachen als auch die Schlüsse aus ihnen in richtigerer und klarer Abfolge erschienen wären. Eine lange und eingehende Beschäftigung mit dem Thema des Hexenwesens hat mich vollkommen davon überzeugt, dass es notwendig ist, die Lehren der alten Zeit zu studieren und sich der Leitung und Führung der Meister anzuvertrauen, wenn man nach einem weitergehenden und tieferen Verständnis für diesen allgegenwärtigen, dunklen und schwierig zu verstehenden Kult trachtet. So muss der ernsthafte Student zum Beispiel jenen edlen Traktat, den Malleus Maleficarum (Hexenhammer) sorgfältig lesen und dessen Lehren in sich aufnehmen. Auch ist er nicht einmal ansatzweise mit dem genügendem Rüstzeug versehen, wenn er lediglich eine oberflächliche Bekanntschaft mit dem Werk solcher Autoritäten wie Guazzo, Anania, Remy, de Lancre, Delrio, Thyraeus, Sinistrari, Glanvil, Boulton, Romanus, Brückner, Görres oder Baumgarten gemacht hat. Es ist keine rein akademische Frage, mit der er sich beschäftigt. Professor Burr von der Cornell University ist der Meinung, einige meiner Bücher über Hexerei röchen zu stark nach Theologie. Doch abgesehen von seltenen und sehr besonderen Ausnahmen ist nur der Theologe befugt, dieses Thema zu behandeln; nur er kann die wesenhafte Bösartigkeit der Hexerei erkennen. Die Probleme des Bösen und des Versuchs der Menschen, mit bösen Geistern Kontakt aufzunehmen und sie in gewisser Weise zu beherrschen, reichen in das Gebiet der Theologie hinein und sind von ihr nicht zu trennen. Die Autoren des Malleus Maleficarum, Jakob Sprenger und Heinrich Kramer, waren Thomisten, 21 also ausgebildete Theologen. Zwei Jahrhunderte später definierte ein Geistlicher aus einer ganz anderen Schule, der Reverend Cotton Mather, ein gelehrter und scharfsinniger Mann, Hexerei auf fast genau die gleiche Weise. Guazzo, Delrio, Thyraeus und Sinistrari waren Theologen höchster Güte. Man findet nur selten eine Autorität der Dämonologie, die nicht auf diesem Gebiet ausgebildet wurde, es sei denn, es handelt sich um einen Juristen, der das Verbrechen der Hexerei vom rein rechtlichen Standpunkt aus betrachtet. Hier sollte vielleicht erwähnt werden, dass es keinen Beweis für die nichtige Behauptung gibt, Sinistraris wichtiger Traktat De Daemonialitate sei »von einem kirchlichen Zensor« verurteilt worden. In Wirklichkeit wurde das Werk von zwei bekannten Theologen gelesen, von denen der eine ein Kapuzinermönch und der andere ein Weltgeistlicher von gleicher Erfahrung war. Beide nennen es ein gutes Buch, das keine schweren Irrtümer enthält. Vielleicht gebe es einige leichte und oberflächliche Fehler, aber sie seien nicht von Bedeutung. Es ist meine angenehme Pflicht, Reverend Fr. Gregory Raupert, O. P., für seine freundliche Erlaubnis zu danken, aus seinem bewunderungswürdigen Bericht über das Leben seines Vaters, des berühmten Erforschers des Okkulten, mit dem Titel A Convert from Spiritualism, J. Godfrey Raupert, K. S. G., zu zitieren. Auch füge ich meinen Dank an Mr. Arthur Machen für die freundlich erteilte Erlaubnis hinzu, aus The House of Souls zu zitieren. MONTAGUE SUMMERS 2. Juli 1945 In Visit. B. M. V. 22 KAPITEL EINS Was ist Hexerei? – Wie wird man zur Hexe? – Die Notwendigkeit des Paktes »Vereitelt wird euer Bund mit dem Tod, euer Vertrag mit dem Totenreich hält nicht stand.« – Jesaja 28. 18. Ein alter und erfahrener Oxford-Professor gab beinahe ein halbes Jahrhundert lang den Studenten, die seine Vorlesungen besucht hatten, bei ihrem Abschied ein sehr kostbares Vermächtnis mit auf den Weg, das in den folgenden Worten bestand: »Definieren Sie immer die Begriffe, die Sie benutzen.« Auch wir können am Beginn einer Abhandlung über Hexerei kaum etwas Besseres tun, als genau nachzufragen, was Hexerei ist und in welchem Sinn wir dieses Wort benutzen werden, was es alles umfasst und was die Ziele und Beweggründe der Vertreter dieser schrecklichen Kunst waren und sind. Zunächst ist es für unseren Zweck reine Zeitverschwendung und Haarspalterei, genaue und kleinliche Unterscheidungen zu treffen, Begriffe in ihre Bestandteile zu zerlegen und Wortklaubereien zu begehen, aus etymologischen und sachlichen Gründen einen Zauberer von einer Hexe, eine Hexe von einem Nekromanten und einen Nekromanten von einem Satanisten zu unterscheiden. In tatsächlicher Hinsicht stehen all diese Namen in einer Wechselbeziehung; im üblichen Sprachgebrauch sind sie Synonyme. Daher heißt es, obwohl der lateinische Begriff für Zauberer Sortiarius lautet und sors so viel bedeutet wie Los oder Schicksal, in unserem Standardwerk, dem Oxford English Dictionary: »Zauberer – Jemand, der Zauberei praktiziert, ein Hexer, Magier«, während Zauberei definiert wird als »der Gebrauch von magischen Künsten oder Hexerei«. Der Begriff »Nekromant« kommt aus dem 23 Griechischen und bezeichnet jemanden, der Geheimnisse oder zukünftige Ereignisse durch Verkehr mit den Toten enthüllen kann. Bei diesem Wort hat es eine Verwechslung des griechischen Begriffs Nekros (Leichnam) mit dem lateinischen niger (schwarz) gegeben, und im Mittelenglischen kennen wir etwa in der Zeit von 1200 bis 1500 das Wort »nigromancer« für jemanden, der in der Schwarzen Kunst geübt ist. (Mancer ist das griechische Manteia, das übersetzt »Weissagung, Wahrsagerei« bedeutet.) Ein Satanist ist natürlich jemand, der sich dem Satan ergeben hat – eine Person, die als Anhänger und Gefolgsmann Satans angesehen wird. Es ist jedoch bezeichnend und erwähnenswert, dass der Begriff »Satan« zunächst die Entsprechung für einen Atheisten war und in diesem Sinne von John Aylmer gebraucht wurde, der unter Königin Elisabeth der Ersten Bischof von London war. In seinem politischen Pamphlet An Harbour for Faithful and True Subjects, gedruckt 1559 in Straßburg, wo er damals lebte, spricht er von Satanisten und meint damit die nicht Rechtgläubigen und die Ungläubigen im Allgemeinen. Später wurde der Begriff eingeschränkter benutzt und änderte seinen Charakter, denn die Hexe mag alles Mögliche sein, aber sie ist keine Atheistin. In dem 1901 veröffentlichten Werk The Life of Mrs. Lynn Linton erscheint der folgende Abschnitt: »Es gibt zwei Sekten – die Satanisten und die Luziferisten –, die diese Gestalten als Gott anbeten.« Das ist eine spitzfindige Unterscheidung, denn Satan und Luzifer sind identisch in Gestalt und Macht. Dr. Charles H. H. Wright, ein ehemaliger Oxforder Dozent für die Septuaginta, sagt über Luzifer: »In der Bibel hat dieser Name mit dem Teufel nichts zu tun.« Aber das ist falsch. Zumindest im Englischen steht der übliche Gebrauch des Namens und dessen allgemeines Verständnis gegen den Dozenten. Man muss nur die Worte Jesajas: »Wie bist du vom Himmel gefallen, du Glanzgestirn, des Morgenrots Sohn!« (Jesaja 14, 12) gegen das Evangelium halten: »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.« (Lukas 10, 18) 24 Mit einem Wort: Zauberer, Hexe(r) und Nekromant sind grundsätzlich dasselbe; daher ist es bequem möglich und – was bei Bequemlichkeit selten der Fall ist – auch völlig korrekt, den Begriff »Hexe« als Oberbegriff zu benutzen, während Hexenwesen oder Hexerei den Kult und die Praktiken der Hexe bezeichnet. Ein bekannter elisabethanischer Schriftsteller, ein zu seiner Zeit recht bekannter Prediger und Theologe namens George Giffard, der Pfarrer von Maldon in Essex, versteht als Hexe oder Hexer »jemanden, der entweder durch die Hilfe des Teufels oder durch teuflische oder seltsame Künste Schaden bereitet oder heilt, geheime Dinge enthüllt oder Zukünftiges vorhersagt und dem es der Teufel gegeben hat, die Seelen der Menschen zu binden und in die Verdammnis zu stürzen. Zu diesem Kreise gehören der Beschwörer, der Zauberer, der Magier, der Wahrsager und was es deren sonst noch gibt.« Nebenbei bemerkt, wurde der Begriff »Hexe«, der heutzutage im Allgemeinen und beinahe ausschließlich eine Frau bezeichnet, auch für einen Mann benutzt, und in einigen entlegenen Gebieten des Landes kann man ihn noch in seiner alten Bedeutung hören: »Er ist ‘ne verdammte Hexe.« »Witch« (Hexe) leitet sich von dem altenglischen maskulinen Substantiv wicca ab: »Ein Mann, der Hexerei oder Magie betreibt, ein Magier und Zauberer« – eine ziemlich verständliche Definition. In einem lateinischen Glossar aus der Zeit um 1100, unter der Herrschaft König Heinrichs I, werden die beiden Wörter augur und ariolus mit wicca übersetzt. Lewis und Short leiten in ihrem lateinischen Wörterbuch das Wort augur von avis, dem Vogel, und dem Sanskritwort gar, »bekannt machen« ab. Sie definieren den Begriff so: »Ein Augur, Wahrsager, Weissager; in Rom ein Mitglied einer besonderen, in früherer Zeit sehr verehrten Priesterkaste, das die Zukunft vorhersagte, indem es Blitze, den Flug und die Laute der Vögel, die Fütterung heiliger Hühner, 25 bestimmte Vierbeiner und alle möglichen ungewöhnlichen Ereignisse beobachtete.« Cicero, dieser weitschweifige, aber recht trockene Rhetoriker, sagt in seinem interessantesten Werk De Divinatione (Über Wahrsagung) eine Menge über heilige Vögel. Seine Erklärungen sind rationalistisch und nicht überzeugend, doch er bringt gut gewählte Beispiele. So wurde im Jahr 217 v. Chr. der Konsul Flaminius, der vor den Karthagern stand, vom Hüter der heiligen Hühner gewarnt, die Schlacht nicht zu beginnen, da sich die Vögel zu essen weigerten. »Was für eine nette Art von Omen!«, höhnte Flaminius. »Und was ist, wenn sie nie mehr essen?« »Du würdest gut daran tun, nicht in den Krieg zu ziehen«, lautete die Antwort. Darauf gab der spöttische Flaminius tapfer das Signal zum Angriff und in der folgenden Schlacht am Trasimenischen See wurde er von Hannibal vernichtend geschlagen und verlor 15.000 Männer; auch er selbst fiel auf dem Schlachtfeld. Ungewöhnliche Ereignisse umfassten zum Beispiel Schreckensgeburten, deren viele überliefert sind und von denen man glaubte, sie drückten den Zorn der Gottheit aus. Vor solchen Missgeburten hatten alle Nationen Angst, und in allen Geschichtsbüchern werden sie als Warnzeichen angesehen. Wenn zu Ciceros Tagen ein Mädchen mit zwei Köpfen geboren wurde, folgten diesem entsetzlichen Omen Aufruhr und Unruhen aller Art. 1512 wurde in Ravenna ein seltsames Geschöpf mit einer Art Flügel anstelle der Arme geboren; es trug noch andere außergewöhnliche Zeichen. Ein Monstrum männlicher Natur war ein völlig behaartes Kind mit scheußlichen Deformierungen. Es wurde 1597 in Arles in der Provence geboren, lebte nur einige Tage und versetzte alle, die es sahen, in Schrecken. Where children thus are born with hairy coats Heaven’s wrath unto the kingdom it denotes. (Wo solche Kinder mit behaarter Haut geboren werden, zeigt dies den Zorn des Himmels auf das Königreich an.) 26 So lautet der alte Vers, der sich in jener unseligen Region bewahrheitete, in der die Menschen sich gegeneinander eher wie grausame Tiere denn wie menschliche Wesen erzeigt haben. Ein weiteres Ungeheuer wurde im Jahr 1581 in Nazara geboren. Es hatte vier Arme und vier Beine. In Flandern, in einem Dorf zwischen Antwerpen und Mecheln, genas eine arme Frau eines Kindes, das zwei Köpfe und vier Arme hatte; anscheinend waren es weibliche siamesische Zwillinge. »So gab es auch unter der Herrschaft König Heinrichs III von Frankreich (1574–1589) eine Frau, die ein Kind mit zwei Köpfen und vier Armen gebar, und die Körper waren am Rücken zusammengewachsen. Die Köpfe blickten in entgegengesetzte Richtungen; jeder der Körper hatte zwei deutlich erkennbare Arme und Beine. Die aneinander gewachsenen Wesen lachten, sprachen, schrieen gemeinsam und waren gemeinsam hungrig. Manchmal war auch der eine Kopf still und der andere redete, manchmal redeten sie gleichzeitig. Sie lebten mehrere Jahre, doch der eine überlebte den anderen um drei Jahre und trug den Toten mit sich überallhin (denn es gab keine Möglichkeit, sie zu trennen), bis der Überlebende unter der Last und mehr noch unter dem Gestank des Leichnams an seiner Seite zusammenbrach.« Diese Beispiele stammen aus einem Werk, das unter dem Titel Aristotle’s Problems oder Aristotle’s Masterpiece bekannt ist. Dabei handelt es sich um ein seltsames Buch, das natürlich nichts mit dem großen griechischen Philosophen zu tun hat, sondern ihm fälschlich zugeschrieben wurde. Die früheste Ausgabe wurde 1475 in lateinischer Sprache in Rom unter dem Titel Die Probleme des Aristoteles gedruckt. Da das Buch viele Neuauflagen erfuhr, wurden immer wieder zeitgenössische Ereignisse hinzugefügt. Es wurde in beinahe jede moderne Sprache übersetzt. So wurde 1597 in London eine Ausgabe mit dem Titel The Problems of Aristotle with other Philosophers and Phisitions veröffentlicht. Eine beinahe identische Version war bereits zwei Jahre zuvor in Edinburgh 27 erschienen. Aus dem Jahre 1710 stammt »The Twenty-Fifth English Edition«, und es gibt unzählige Nachdrucke. »Ariolus« (oder »Hariolus«), abgeleitet aus dem Sanskritwort hira, Eingeweide, wird von Lewis und Short als »Wahrsager, Prophet« gedeutet und mit »Augur« gleichgesetzt. Das Wort hat einen düsteren Anstrich, denn der »Ariolus« wurde durch die Etrusker, die Meister der schwarzen Geheimnisse, bei den Römern eingeführt. Zu Recht schreibt Cicero, die Etrusker seien durchtränkt vom Aberglauben, und kein Volk sei geübter in der Eingeweideschau. Die etruskischen Wahrsager erkannten die Zukunft aus der Betrachtung der noch warmen und zuckenden Eingeweide von Opfern, die manchmal Tiere, manchmal aber auch Menschen waren. Diesem schrecklichen Brauch wurde auch in Rom selbst gehuldigt, besonders während der Kaiserzeit. Seltsame und erschreckende Gottheiten gab es in der alten Mythologie von Etrurien, »wo einst die stolze Stadt Tarquinia stand, die Rom die Könige schenkte, als Rom noch nichts weiter war als eine Siedlung von Gesetzlosen und Räubern«. Da gab es Teramo, Fuflus und Tinia, der sich windende Schlangen als Beine hat und mit düsterer Miene und ausgestreckten Schwingen den roten Blitz der Zerstörung packt, um ihn weit und mit großer Wut zu schleudern. Selbst heute noch flüstert man, dass in den Dörfern und Gehöften dort, wo die Marta aus dem See von Bolsena fließt, Abkömmlinge der alten Rasse leben, die Tinia verehrten, lange bevor die Wölfin die Zwillinge Romulus und Remus in ihrem sabinischen Bau säugte. Mit verhaltenem Atem erzählen die Menschen davon, wie eine uralte Tradition seit unvordenklichen Zeiten von dieser Rasse weitergegeben wird, deren Geschichte und Sprache im Dunkel der Zeitalter verloren gingen. Noch immer gibt es einige Eingeweihte, die sich vor der Welt verstecken und im Geheimen leben und allzu vertraut mit den namenlosen Liturgien und Praktiken der Geisterbeschwörungen sind – mit verfluchten Riten, welche die Kirche ängstlich mit dem Bann belegt hat. Vor drei Jahrhunderten 28 war Papst Gregor der Fünfzehnte, kein unerleuchteter Mann, während seiner nur wenige Jahre währenden Regierungszeit, so erschüttert über jenen fäulnishaften Glauben an die Götter des Grabes, dass er durch einen besonderen päpstlichen Entscheid schriftlich und mündlich das Heilige Offizium beauftragte, sofort eine gnadenlose Inquisition einzuleiten und das infizierte Land von dieser Krankheit zu befreien. Selbst in den Tagen Hadrians (117–138 n. Chr.), als Rom jede neue Zauberei und jeden Aberglauben, wie schrecklich verderbt oder unverhohlen obszön er auch sein mochte, eifrig vereinnahmte, als es eine »göttliche Invasion« aus dem exotischen Ägypten, aus Syrien, aus dem fernsten Asien und dem Osten gab, als es den dekadenten Genießer nach den verrücktesten Delirien der Derwische und Fakire verlangte, als selbst der Cäsar der mitternächtlichen Magie und Wahrsagerei mehr als nur verdächtig war, wurde schamhaft ein Gesetz erlassen, das Menschenopfer streng verbot. Dennoch kehrten viele der späteren Kaiser, besonders Commodus, der sadistische Caracalla und der wahnsinnige Maxentius, zu diesen abscheulichen Riten zurück, weil sie herausfinden wollten, was das Schicksal für sie bereithielt. Am 25. Mai 385 verbot Theodosius der Erste, ein christlicher Herrscher, jegliche Art magischen Opfers und verfügte, dass jeder Wahrsager, der solche Widerwärtigkeiten unternahm – vor allem das Ritual, menschliche Eingeweide zu betrachten –, einem schmerzhaften, langsamen und abscheulichen Tod verfallen sei. Doch, wie noch anzumerken sein wird, haben diese blutigen Opferungen trotzdem weiterhin Bestand gehabt und sind selbst heute noch bei Teufelsanbetungen nicht unbekannt. Wie soeben erwähnt, wird das altenglische Wort wicca von den Wörterbüchern erklärt als »ein Mann, der Hexerei oder Magie ausübt«. Was ist Magie? Während vor Richter Smith am Königlichen Gericht im April 1934 ein viel diskutierter Fall verhandelt wurde, fragte 29 der Richter* den Kläger nach der »kürzesten und gleichzeitig verständlichsten Definition für Magie, die er kenne«. Die Antwort lautete: »Magie ist die Kunst, nur durch den eigenen Willen eine Veränderung hervorzurufen. Wenn der Wille ehrenhaft ist, handelt es sich um weiße Magie, wenn er bösartig ist, handelt es sich um schwarze Magie.« Richter Swift: »Bezieht das auch die Anrufung der Geister mit ein?« Antwort: »Möglicherweise. Es bezieht die Anrufung des Schutzengels mit ein, den der allmächtige Gott einem jeden von uns zur Wacht an die Seite gestellt hat.« Richter Smith: »Also geht es auch um Geisterbeschwörung.« Antwort: »Um die Beschwörung eines Geistes. Gott ist ein Geist, und diejenigen, die ihn anbeten, müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten.« Richter Smith: »Ist Magie Ihrer Ansicht nach die Kunst, Geister zu beherrschen, um auf diese Weise den Lauf der Dinge zu beeinflussen?« Antwort: »Das ist Teil der Magie, ein kleiner Zweig davon.« Richter Smith: »Und wenn der Zweck der Beherrschung gut ist, handelt es sich um weiße Magie?« Antwort: »Ja.« Richter Smith: »Welche Geister muss man beschwören, wenn der Zweck der Magie ein schlechter ist?« Antwort: »Man kann keine bösen Geister beschwören. Man kann sie nur rufen.« Richter Smith: »Wenn Sie also etwas Übles im Sinn haben, rufen Sie einen bösen Geist an?« Antwort: »Ja. Man begibt sich in ihre Gewalt. In diesem Fall ist es möglich, auch böse oder blinde Geister für einen guten Zweck zu beherrschen, so wie wir auch die gefährlichen Elemente des Feuers und der Elektrizität beherrschen, um damit zu heizen oder Licht zu machen etc.« * Aus einem Zeitungsbericht des Daily Telegraph von Freitag, dem 13. April 1934 mit der Überschrift: »Richter fragt: Was ist Magie?« 30 DIE SCHWARZEN MYSTERIEN DER HEXEREI (Abomination des Sorciers) Radierung von Jaspar Isaac (1614) SADDUCISMUS TRIUMPHATUS von Joseph Glanvil Frontispiz zum zweiten Teil, Ausgabe 1681, von W. Faithorne. Die sechs Bilder zeigen: Der Trommler von Tedworth; Julian Cox, die Hexe von Somersetshire; die Levitation des Richard Jones aus Shepton Mallet; das Hexentreffen in der Nähe von Trister Gate, Wincanton; Margaret Jackson, die schottische Hexe, die sich ihrem Dämon hingibt, und die himmlische Erscheinung in Amsterdam. Diese letzte Antwort ist sehr sophistisch, denn jeder, der einen bösen Geist anruft, würde ihn niemals für einen guten Zweck einsetzen, und selbst wenn es ein anscheinend guter Zweck wäre, würde daraus schließlich nur noch größerer Schaden entstehen. Als der Kläger auf die Frage des Richters »Also geht es auch um Geisterbeschwörung?« antwortete: »Um die Beschwörung eines Geistes. Gott ist ein Geist …«, zitierte er eine falsche Übersetzung, die wohl eine Menge Verwirrung gestiftet haben wird. Die richtige Übersetzung von Johannes 4, 24 lautet: »Gott ist Geist«, was etwas vollkommen anderes ist. Zu sagen, »Gott ist ein Geist«, ist schlechte Metaphysik und noch schlechtere Theologie. Es ist einfach sinnlos. Ich bezweifle sehr, dass diese Grenzziehung, dieses Reden von »weißer« und »schwarzer« Magie, etwas anderes als verbale Hohlheit ist; es stellt eine völlig künstliche (und recht gefährliche) Unterscheidung zwischen Gut und Böse dar. Alle Magie, alle Hexerei geht vom Teufel aus und ist grundsätzlich böse. Es stimmt, dass wir auch von »natürlicher Magie« reden, welche die Wörterbücher als »nicht durch persönliche Geister vermittelt« definieren, doch diese Phrase ist nichts anderes als ein Vulgärausdruck und eine Metapher. Es wäre gut, wenn wir diese Zweideutigkeiten und Namensirrtümer aus unserer Alltagssprache verbannen würden. Ein zeitgenössischer Autor (1929) geht so weit, von »weißer Hexerei zur Heilung von Krankheiten und für andere unschuldige Zwecke« zu reden. Auch wenn völlig klar ist, was er damit meint, kann es doch nicht so etwas wie »weiße Hexerei« geben. Diese beiden Worte bilden einen Widerspruch in sich, und es ist kein Wunder, dass ein klügeres Zeitalter als unseres diese Kunst, unter welchem Vorwand sie auch immer ausgeübt worden sein mag, als »heidnisch und teuflisch« verdammt hat. Uralte Zauberformeln und Bannsprüche, die Kenntnis von Kräutern und Planeteneinflüssen – all das ist weder Hexerei noch Magie, sondern Heilkunde. Keine Beschwörungen und 33