Hexen und schwarze magie.qxd

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Hexen und schwarze magie.qxd
Montague Summers
Aus dem Englischen von Michael Siefener
Mit einem Vorwort des Übersetzers
www.Festa-Verlag.de
1. Auflage November 2004
Orginaltitel: Witchcraft and Black Magic,
erschienen 1946 bei Rider & Co., Ltd., London and New York
© dieser Ausgabe 2004 by Festa Verlag, Leipzig
Druck und Bindung: Finidr, s.r.o
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 3-935822-93-6
INHALT
VORWORT
7
EINLEITUNG
19
KAPITEL EINS
Was ist Hexerei? – Wie wird man zur Hexe?
– Die Notwendigkeit des Paktes
23
KAPITEL ZWEI
Der Hilfsgeist in menschlicher und tierischer Gestalt
– Die Gotteslästerungen der Hexen – Der Blutzoll
83
KAPITEL DREI
Hexerei in Cambridge und Oxford
– Die manichäischen Zauberer
– Hexenwesen und Revolution – Die Zauberei der Templer
– Hexenwesen und Politik
131
KAPITEL VIER
Die Ursprünge des Hexenwesens
– Die Söhne Gottes und die Töchter der Menschen
– Wer war die erste Hexe?
– Assyrische und ägyptische Hexerei
– Mumien – Der »dianische Kult«
177
KAPITEL FÜNF
Die Bibliothek der Hexen – Die sibyllinischen Bücher
– Die Grimoires – Der Grand Albert
– Die Bibel der Hexen – Zekerboni
– Gedruckte und handschriftlich überlieferte Zauberbücher – Die Szene einer Beschwörung, wie Restif de la
Bretonne sie beschreibt
224
KAPITEL SECHS
The Magus (dt.: Der Magus, 1801) von Francis Barrett
– Zeremonielle Magie – Der böse Blick
– Die Hierarchie der Dämonen – Nekromantie –
Beschwörungen – Ebenezer Sibly – Satanismus heute
– Obeah – Hexerei in Mauritius.
304
KAPITEL SIEBEN
Sympathetische Magie – Wachsbilder – Figurinen
– Die Hexenzirkel – Der Großmeister
– Levitation – Der Sabbat – Incubi und Succubi
– Die schwarze Messe.
365
VORWORT
Das vorliegende Buch ist eines der interessantesten und seltsamsten, das je über das Phänomen des Hexenwesens
geschrieben wurde. Montague Summers, sein Autor, war
von der Wirklichkeit der Hexerei fest überzeugt und vertrat
die Ansicht, die meisten Hexen seien zu Recht verbrannt
worden. Diese Auffassung war vom fünfzehnten bis zum
achtzehnten Jahrhundert häufig anzutreffen, doch Montague
Summers, ein in vieler Hinsicht zu spät Geborener, erblickte
das Licht der Welt nicht während der Renaissance oder im
Barock, sondern im Jahre 1880. Wegen seiner absonderlichen Theorien zur Hexerei und der Schuld der Hexen
und Zauberer wurde er heftig angefeindet, doch auch seine
erbittertsten Gegner mussten anerkennen, dass Summers’
Bücher ausgezeichnet recherchiert sind und von außergewöhnlichem Kenntnisreichtum zeugen. In England und
Amerika erregten sie großes Aufsehen, doch in Deutschland
wurde Summers bisher kaum wahrgenommen. Das vorliegende Buch ist das erste seiner Werke, das vollständig in die
deutsche Sprache übersetzt wurde. Während Summers in
seiner Heimat sehr bekannt ist, gibt es hierzulande nur
wenige Informationen über ihn, die zudem an entlegener
Stelle publiziert wurden (Michael Siefener: »Summers!« In:
Quarber Merkur 85, 1987, S. 113 ff.; Michael Siefener: Einführung, zu: Montague Summers: Das Grimoire. Spukgeschichten,
Gießen 2001). Daher sei hier ein kurzer Abriss des Lebens
und der literarischen Tätigkeit von Montague Summers
gegeben.
Augustus Montague Summers wurde am 10. April 1880 in
Clifton nahe Bristol, England geboren. Sein Vater war ein
wohlhabender Bankier, und Monty, wie er später genannt
wurde, wuchs zusammen mit seinen fünf Schwestern und
seinem Bruder in einer Atmosphäre behaglichen Reichtums
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auf. In seiner Autobiographie (The Galanty Show, posthum
1980 veröffentlicht) schwärmt er von der Bibliothek in dem
schlossartigen Anwesen seiner Eltern und von dem Spielzeugtheater (das er immer »Miniaturtheater« nannte, um
dessen Bedeutung zu betonen), welches seine Liebe zur
Schauspielkunst und den alten Dramatikern begründete.
Erst spät, nämlich mit fünfzehn Jahren, besuchte er die
Schule; vorher erhielt er Privatunterricht. Bereits während
seiner Schulzeit begann er sich für die katholische Kirche
und ihre prachtvollen, alle Sinne ansprechenden Riten zu
interessieren (Summers stammte aus einem anglikanischen
Haushalt). Zunächst blieb er seiner Kirche treu, ging nach
dem Abschluss seiner Schulzeit zum Studium zunächst nach
Oxford, dann nach Lichfield an das Theological College,
denn er hatte sich für die Laufbahn eines Geistlichen entschieden. 1906 schloss er seine Studien mit dem Titel M. A.
(Magister Artium) ab. Bis 1908 gibt es kaum verlässliche
Informationen über Summers’ Leben; in dieser Zeit scheint
er ausgedehnte Reisen durch Italien unternommen zu
haben. Die literarische Bühne betritt er zum ersten Mal im
Jahr 1907.
Antinous and Other Poems ist ein Gedichtband, der bereits
andeutet, welche absonderlichen Neigungen und Vorlieben
Summers zu entwickeln begonnen hatte. Das kleine Büchlein in elegantem blauen Leinen mit Goldprägung und
Goldschnitt, das bei Sisley’s in London erschien, enthält
sowohl flammende religiöse Gedichte als auch solche, die
man als dekadent bezeichnen kann. Aubade zum Beispiel
beschreibt in schillernden Wortgewändern eine schwarze
Messe, und in dem Gedicht To a Dead Acolyte (dt.: An einen
toten Messdiener) zeigen sich deutlich und in wunderschöner
Sprache Summers’ homoerotische Neigungen. Heute ist
Antinous in der Erstausgabe ein Buch von legendärer Seltenheit; zum Glück wurde es 1995 nachgedruckt. Es blieb
Summers’ einziger Ausflug in den Garten der Lyrik, wenn
man von dem Gedicht The Garden God absieht, das Summers
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1925 in das Poesiealbum einer jungen Frau schrieb (1997
erschien eine englisch-deutsche Parallelausgabe als Privatdruck). Andere Interessen traten in den Vordergrund.
1908 wurde Summers zum anglikanischen Diakon geweiht
und erhielt zunächst eine Stelle an einer Pfarrei in Bath,
dann in Bitton nahe Bristol. Etwas scheint in dieser Zeit mit
dem jungen Geistlichen vorgegangen zu sein, denn ein
Freund, der ihn in Bitton besuchte, berichtete, Summers
habe sich tief in dämonologische Studien vergraben; er sei
nervös, ja beinahe hysterisch gewesen und habe behauptet,
das Haus, in dem er lebe, werde von Gespenstern heimgesucht. Nur für kurze Zeit blieb er in Bitton, denn er wurde
dort zusammen mit einem anderen Geistlichen der Päderastie angeklagt und musste den Ort verlassen, obwohl er freigesprochen wurde – ob aus Mangel an Beweisen oder aus
erwiesener Unschuld, lässt sich heute nicht mehr klären,
denn alle Akten wurden im Zweiten Weltkrieg vernichtet.
1909 konvertierte Summers zum Katholizismus, dem er ja
schon lange nahe gestanden hatte, und nannte sich nun
Alphonsus Joseph-Mary Montague. Die katholische Lehre
kam seinem Glauben an das Übernatürliche und das Böse in
der Welt näher als die der Anglikaner; es hat den Anschein,
dass es gerade diese dunkle Seite des Katholizismus war, die
den Ausschlag für Summers’ Konvertierung gab. Zunächst
erhielt er eine Anstellung als Lehrer im »Augustine’s House«
in Walford (im Südosten Londons), dann ging er als Student
an das St. John’s Seminary in Wonersh. Seine theologischen
Studien schloss er bei St. George Kieran-Hyland in Godalming
ab. Am 28. 12. 1910 erhielt er die Tonsur vom Bischof von
Southwark. Glücklicherweise musste er sich nicht, wie es in
den alten Zeiten üblich war, den Hinterkopf scheren lassen,
sondern nur eine Locke seiner Haarpracht opfern. Nun war
er als Kleriker in die katholische Kirche aufgenommen, aber
noch nicht zum Priester geweiht. Seit 1913 behauptete
Summers, er sei ordinierter Priester, doch darüber gibt es
keinerlei Aufzeichnungen; er wird in keiner katholischen
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Priesterliste geführt. Es lässt sich wohl nicht mehr feststellen,
ob Summers tatsächlich katholischer Priester war oder nicht.
Sein Biograph Brocard Sewell vermutet, Summers sei entweder in Italien oder von einem britischen schismatischen
Bischof unerlaubt, aber nach Kirchenrecht gültig geweiht
worden. Tatsache ist zumindest, dass er nie eine Pfarrstelle
innehatte.
Ein weiterer dunkler Fleck in Summers’ Biographie ist die
Vermutung, er habe etwa im Jahr 1913 eine schwarze Messe
gefeiert. Sein Bibliograph Timothy d’Arch Smith machte
einen der Beteiligten an dieser blasphemischen Veranstaltung
ausfindig – angeblich waren nur drei Leute dabei anwesend
–, der diesen Vorwurf bestätigte. Es geht das Gerücht um,
während dieser Teufelsmesse seien Dinge geschehen, die
Summers zum glühenden Gegner jeglichen Verkehrs mit der
Welt des Jenseitigen machten. Zumindest scheint er das, was
er in seinen späteren Büchern über Hexerei und Zauberei
so heftig verdammte, aus eigener Anschauung gekannt zu
haben.
Montague Summers’ Begeisterung für das Drama – vor
allem jenes der Restaurationszeit – trug erste Früchte, als er
1914 das Schauspiel The Rehearsal von Villiers für die Shakespeare Head Press herausgab. In den nächsten achtzehn
Jahren folgten viele Werkausgaben von Autoren wie Dryden,
Congreve, Aphra Behn oder Wycherley, die Summers’ Ruf
als Autorität für das Drama der Restaurationszeit festigten.
Noch heute gelten die meisten dieser Ausgaben als Standardwerke, genau wie seine beiden Bücher über das Drama The
Restauration Theatre (1934) und The Playhouse of Pepys (1935).
Zunächst konnte er von der Herausgabe von Büchern – die
überdies oft in limitierten bibliophilen Ausgaben erschienen
– nicht leben und arbeitete daher viele Jahre als Lehrer für
Latein, Geschichte, Englisch und Französisch; auch sprach
er gut Deutsch. Es heißt, er sei ein sehr guter Lehrer gewesen.
Einer seiner Schüler hat die folgende Charakterisierung
hinterlassen:
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»… er war immer eine charmante und anregende Gesellschaft und besaß eine Schlagfertigkeit, die manchmal schmerzen konnte, aber stets wohlgegründet war. Seine Kleidung
war der von ihm über alles geliebten Restaurations- und
Queen-Anne-Periode so stark wie möglich angenähert. Er
trug einen langen Gehrock, purpurne Strümpfe, Schnallenschuhe, einen hohen Spazierstock mit Griff, und sein Haar
war an der Seite kurz geschnitten und hinten lang, sodass es
beinahe wie eine Kurzperücke wirkte« (zitiert nach Jerome,
Montague Summers, S. 26).
Neben seiner Lehrtätigkeit war Summers Theaterproduzent. 1919 gründete er in London »The Phoenix«, eine
Gesellschaft zur Präsentation von Schauspielen vor allem aus
der Restaurationszeit. Bis 1925 wurden insgesamt 26 Stücke
aufgeführt, und Summers wurde in London so bekannt, dass
sogar »Matt« (Matthew Sandford), der Karikaturist des Evening Standard, eine höchst amüsante Karikatur von ihm
anfertigte. Allmählich wuchs auch die Liste seiner Veröffentlichungen – 1920 schrieb er übrigens ein Pamphlet über den
Marquis de Sade, das die erste eigenständige Publikation in
England über diesen merkwürdigen Menschen war –, sodass
er 1926 seine Lehrerstelle aufgeben und von seiner schriftstellerischen Tätigkeit leben konnte. Im selben Jahr erschien
auch das Buch, das sein berühmtestes werden sollte: The
History of Witchcraft and Demonology, eine sehr gelehrte, mit
vielen lateinischen und griechischen Zitaten gespickte Geschichte der Hexerei und Dämonologie, in welcher Summers
zum ersten Mal öffentlich seine Auffassung vertrat, Hexerei
sei ein reales Verbrechen und die Hexen seien zu Recht
verbrannt worden. Als katholischer Geistlicher war er von der
Wirklichkeit des Teufels und seiner höllischen Heerscharen
überzeugt, und er sah in den Berichten der frühneuzeitlichen
Dämonologen und in den Hexenprozessakten das schreckliche Wirken der Feinde Gottes. Im sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert hätte seine Meinung nur eine weitere
Stimme im Kanon der Prozessbefürworter dargestellt, doch
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für das zwanzigste Jahrhundert war sein Standpunkt ein
wenig eigenwillig, um es vorsichtig zu formulieren. Das
Buch erregte ein solches Aufsehen, dass die erste Auflage
angeblich nach zwei bis drei Tagen verkauft war. Es war der
Auftakt zu einer ganzen Reihe von Büchern mit okkulten
Themen. Ein Jahr später erschien The Geography of Witchcraft,
1928 The Vampire, His Kith and Kin, 1929 The Vampire in Europe
und 1933 The Werewolf. Die drei letzten Bände waren nicht
mehr so erfolgreich; sie wurden 1935 verramscht, wie
Summers verbittert an Charles Kay Ogden, einen seiner
Herausgeber schrieb (Letters to an Editor, Edinburgh 1986,
S. 22). 1937 verfasste Summers A Popular History of Witchcraft,
eine Zusammenfassung seiner beiden großen Bände über
das Hexenwesen in populärerer Gestalt, also ohne viele Fußnoten, wobei er jedoch auch neues Material einbezog. 1946
schließlich erschien sein letztes Buch zu diesem Thema
unter dem Titel Witchcraft and Black Magic, das hiermit in
deutscher Erstausgabe vorliegt. Auch dieses Buch verzichtet
auf Fußnotenballast, ohne deshalb weniger fundiert zu sein.
Bis 1957 erfuhr es drei Auflagen. Es stellt einen guten
Zugang zu Summers’ Gedankenwelt und seiner Sicht der
schwarzen Künste dar und ist überdies ein ungeheuer detailreiches und informatives Werk über Magie, Zauberbücher
und das Treiben der Hexen.
Neben diesen eigenen Werken veröffentlichte Summers
etliche Quellentexte zum Hexenwesen. So gab er das De
Daemonialitate von Ludovico Maria Sinistrari neu heraus, das
eines der seltsamsten Bücher der gesamten dämonologischen
Literatur ist. Sinistrari wurde 1622 im italienischen Ameno
geboren und trat 1647 in den Franziskanerorden ein. Er
schrieb etliche Bücher, unter denen das strafrechtliche Werk
De Delictis et Poenis das wichtigste ist. Ein Kapitel daraus, über
den verbrecherischen fleischlichen Umgang mit den Dämonen, erweiterte er später zu einem eigenständigen Werk mit
dem Titel De Daemonialitate. Auch wenn Summers im Vorwort der von ihm besorgten Ausgabe behauptet, dieses Buch
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enthalte nichts, was gegen die Lehrsätze der heiligen Mutter
Kirche verstößt, beinhaltet das De Daemonialitate doch etliche
Thesen, die einem Imprimatur eindeutig im Wege standen.
So kam es, dass das Buch nur in einer Handschrift fortexistierte, bis es 1872 von dem französischen Bibliophilen Isidore
Liseux in einem Londoner Antiquariat entdeckt und drei
Jahre später in einer lateinisch-französischen Paralleledition
herausgegeben wurde. Summers’ Ausgabe wurde zusammen
mit den ebenfalls von ihm edierten Confessions of Madeleine
Bavent (1933) 1934 verboten, da beide Werke angeblich
obszönen Inhalts seien.
Summers gab überdies einige Hauptwerke der dämonologischen Literatur heraus. So besorgte er die erste englische
Übersetzung des Hexenhammers (Malleus Maleficarum), die
1928 bei Rodker, London, in einer auf 1275 Exemplare
limitierten Ausgabe erschien. In gleicher Ausstattung folgten
1929 als englische Erstausgaben An Examen of Witches (Discours execrable des sorciers) von Henri Boguet, das Compendium
Maleficarum von Francesco Maria Guazzo, ein Jahr später
Demonolatry (Daemonolatreia) von Nicolaus Remy sowie die
Neuausgabe von The Discoverie of Witchcraft von Reginald
Scot und posthum das Pandaemonium von Richard Bovet
(1950). Inzwischen war Summers von London nach Oxford
gezogen, hatte sich in seinem Haus ein Oratorium eingerichtet und las bisweilen die Messe in einer der katholischen
Kirchen Oxfords. Sein Leben verlief in ruhigen Bahnen;
inzwischen hatte er gar einen Sekretär: Hector Stuart-Forbes,
ein langjähriger Freund von Summers, der ihm bei seinen
umfangreichen Arbeiten half.
Neben der Beschäftigung mit den oben angeführten Themen hatte Summers noch eine weitere Leidenschaft, der er
viel Kraft und Tinte widmete: die Schauerliteratur. Er schrieb
darüber eine bis heute unübertroffene, wenn auch von seinen
persönlichen Vorlieben und Abneigungen gefärbte Abhandlung mit dem Titel The Gothic Quest (1938) und verfasste eine
Bibliographie zum Thema (A Gothic Bibliography, 1940), die
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ebenfalls noch immer ein Standardwerk ist, obwohl man sie
nicht als fehlerfrei bezeichnen kann. Wegen des Krieges war
es Summers nicht möglich, außerhalb von England Recherchen anzustellen; daher musste er sich auf die britischen
Bibliotheken und auf seine eigene ungeheuer umfangreiche
Sammlung sowie auf Antiquariatskataloge verlassen. Es gab
– damals wie heute – Antiquare, die sich den Spaß erlaubten,
erfundene Titel in ihre Kataloge zu setzen. The Skeleton Clutch,
or The Goblet of Gore des berühmten Sensationsschriftstellers
Thomas Peckett Prest scheint ein solcher zu sein.
Auch gab Summers vier Gothic Novels neu heraus: The
Castle of Otranto (Das Schloss von Otranto, zusammen mit dem
Schauspiel The Mysterious Mother) von Horace Walpole (1924),
Horrid Mysteries (eine Übersetzung des Genius von Grosse,
1927), The Necromancer (Der Geisterbanner von Karl Friedrich
Kahlert, 1927) und Zofloya, or The Moor von Charlotte Dacre
(1928). Daneben trat er als Herausgeber von drei Anthologien phantastischer Literatur hervor. 1931 veröffentlichte er
The Supernatural Omnibus und schrieb dazu eine Einleitung,
die zum Besten gehört, was je über die Gespenstergeschichte
geschrieben wurde. 1933 erschien die Anthologie Victorian
Ghost Stories und 1936 die Sammlung The Grimoire, in der auch
die beiden einzigen Gespenstergeschichten aus Summers’
Feder enthalten sind: das titelgebende The Grimoire (dt.: Das
Grimoire) und The Man on the Stairs (dt.: Der Mann auf der
Treppe), das anonym erschien, aber eindeutig Summers zugeschrieben werden kann. Diese beiden Erzählungen sowie die
Einleitung zu The Supernatural Omnibus erschienen 2001 auf
Deutsch in dem Band Das Grimoire von Montague Summers
(Informationen dazu unter www.verlag-lindenstruth.de).
1936 gab Summers die Gedichte des elisabethanischen
Autors und Zeitgenossen Shakespeares, Richard Barnfield
heraus. Diese Gedichte, die in einer Auflage von nur 500
nummerierten Exemplaren erschienen und auch nach
zwanzig Jahren noch lieferbar waren, sind nur für Literaturwissenschaftler noch interessant, doch die Einleitung ist
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bemerkenswert, weil sie neben Summers’ Studie über den
Marquis de Sade seine einzige Beschäftigung mit der Liebe
und insbesondere ihrer homoerotischen Spielart darstellt.
Barnfields Gedichte beschwören Kameradschaft und Zuneigung unter Männern und haben oft eine starke homoerotische Färbung, die Summers in zarten Worten preist und in
eine Reihe mit den großen griechischen und römischen
Autoren stellt. Er vergleicht sie gar mit den Gedichten
Michelangelos, rühmt ihre Zartheit und Süße und mutmaßt,
dass es eine wirkliche Person war, ein Ganymed, den Barnfield in seinen Werken besungen hat und von dem sein Herz
übergeflossen sei. Von Summers selbst ist übrigens nicht
überliefert, dass er in seinem Leben je eine engere Beziehung
einging.
Ab etwa 1946 wurde es stiller um Summers. Seine Gesundheit schwand, und er trat literarisch fast nur noch als Verfasser von Artikeln für Zeitschriften und Magazine in
Erscheinung. Inzwischen bediente er sich eines Doktortitels,
dessen Berechtigung genauso im Dunkeln liegt wie sein
Priesteramt, auch wenn es möglich ist, dass Summers dieser
akademische Grad von einer portugiesischen oder amerikanischen Universität verliehen wurde. Er erhielt sogar das
Angebot aus Amerika, eine Professur zu übernehmen, doch
sein Gesundheitszustand erlaubte es ihm nicht mehr, diesem
Ruf zu folgen. Selbst wenn er kein förmliches Promotionsverfahren durchlaufen hat, so ist angesichts seiner ungeheuren
wissenschaftlichen Leistungen die Doktorwürde für Summers
durchaus gerechtfertigt.
1948 widmete sich Summers noch einmal einem großen
literarischen Projekt: Er begann mit den Arbeiten zu seiner
Autobiographie. Am 10. August 1948 starb er in seinem
Arbeitszimmer; der erste Band seiner auf zwei Bände angelegten Memoiren war beinahe fertiggestellt. Erst 1980 konnte
seine Autobiographie in London erscheinen. Sein Sekretär
Hector Stuart-Forbes erbte Summers’ Nachlass, doch wegen
eines Fehlers im Testament erhielt Stuart-Forbes kein Geld,
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sondern nur die literarische Hinterlassenschaft. Kurze Zeit
später war er gezwungen, Summers’ handschriftliches Erbe
zu verkaufen, um überleben zu können. In diesem Nachlass
sollen sich zwei Schauspiele aus der Hand von Summers,
dazu ein fast beendetes Werk über Matthew Gregory Lewis
und ein weiteres Buch über die Gothic Novel mit dem Titel
The Gothic Achievement befunden haben. All diese Werke sind
verschollen. Stuart-Forbes überlebte Summers nur um zwei
Jahre.
Montague Summers war im an Exzentrikern reichen London der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine der
exzentrischsten Erscheinungen. Manche Leute hielten ihn
für düster und unheimlich, doch jeder, der ihn näher kannte,
beschrieb ihn als humorvoll, geistreich, kameradschaftlich
und freundlich. Sein ganzes Leben lang schien er für die
Außenwelt eine Maske zu tragen, und bald war sie ihm zur
zweiten Natur geworden: die Maske des in den okkulten
Künsten Bewanderten, des rätselhaften Klerikers, des mysteriösen, von dunklem Wissen durchtränkten Gelehrten. Eileen
Garrett, die Präsidentin der parapsychologischen Gesellschaft
von New York und Herausgeberin des International Journal of
Parapsychology, begegnete Summers zu mehreren Gelegenheiten auf Partys und hatte von ihm den Eindruck, »er sei
ein Schauspieler, der sich bemüht, eine seltsame und dunkle
Rolle zu spielen«; sie verglich ihn mit »einem Mann, der versucht, sich in den schwarzen Mantel des Bösen zu hüllen –
doch der Mantel war nicht groß genug und stand vorn
offen« (zitiert nach Jerome, Montague Summers, London
1965, S. 79). Gibt es ein hübscheres Bonmot, um Montague
Summers treffend zu beschreiben?
Einige Vorbemerkungen zum folgenden Text seien hier eingefügt: Wenn Summers Buchtitel zitiert, ist dahinter in
Klammern nur dann eine deutsche Übersetzung angefügt,
wenn das betreffende Werk in die deutsche Sprache übersetzt wurde. Eine Ausnahme wird lediglich bei langen,
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barocken Titeln gemacht, die mehr erzählender Natur sind.
Gedichtzitate, derer sich Summers häufig bedient, sind der
inhaltlichen Genauigkeit wegen im Original und in deutscher
Prosaübersetzung wiedergegeben.
MICHAEL SIEFENER
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EINLEITUNG
»Das fesselndste und aufschlussreichste Buch, das man
schreiben kann«, sagte Dr. Johnson, »ist eine Geschichte der
Magie.«
Man sagt, dass »es ziemlich unmöglich ist, das wahre und
innere Leben der Männer und Frauen im England Elisabeths
und der Stuarts, im Frankreich Ludwigs XIII und während
der langen Regentschaft seines Nachfolgers und Sohnes, im
Italien der Renaissance und der katholischen Gegenreformation – um nur drei europäische Länder und einige fest
umrissene Epochen zu nennen – zu verstehen und richtig zu
würdigen, wenn wir nicht die Rolle begreifen, die das
Hexenwesen in jener Zeit und in jenen Königreichen
gespielt hat. Alle Volksschichten waren beteiligt und betroffen, vom Papst bis zum Bauern, von der Königin bis zum
Landmädchen.«
Daher ist es kaum überraschend, dass der Geschichte des
Hexenwesens in den letzten fünfundzwanzig Jahren viele
Autoren besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben, von
denen einige Gelehrte diesem Gegenstand nach langer und
geduldiger Forschung tiefe Gedanken und gründliche Überlegungen widmeten und die Literatur der Dämonologie mit
Beiträgen bereicherten, die, wie unterschiedlich die Blickwinkel, Ansätze und Ergebnisse auch sein mögen, von
dauerndem und bedeutendem Wert sind.
Jedoch hat sich das Hexenwesen auch als unwiderstehliche
Verlockung für nicht gerade wenige wunderliche und seichte
Federn erwiesen, und es sind einfach zu viele billig zusammengeschusterte Bücher erschienen, die entweder einen
wahren Lumpensack an Volksüberlieferungen oder bloß
eine kecke und marktschreierische Ausbeutung des Werks
anderer Autoren darstellen.
Für die Geschichte des englischen Hexenwesens und das
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hierzu gesammelte sowie vortrefflich kommentierte und reich
mit Anmerkungen versehene Material sind Mr. C. L’Estrange
Ewens Witch Hunting and Witch Trials (1929), Witchcraft and
Demonianism (1933) und sein Privatdruck Witchcraft in the
Star Chamber (1938) von höchster Wichtigkeit. Ein nützlicher
Nachdruck mit einer ausgezeichneten Einleitung ist D. G. B.
Harrisons The Trial of the Lancester Witches A. D. MDCXII
(1929). D. Harrison verdanken wir auch die Nachdrucke der
Daemonologie (1597) von König James I. und von Newes from
Scotland (1591) in den ›Bodley Head Quartos‹. The Age of
Arsenic (1931) von W. Branch Johnson ist eine gute Abhandlung über die Praktiken der Hexen, besonders der la Voisin
und ihrer Bande im Paris Ludwigs XIV. Zwei sehr gelehrte
Studien des Jesuiten Reverend Joseph J. Williams, Voodoos
and Obeahs (1932) und Psychic Phenomena of Jamaica (1935),
sind unsere Quellen für die schrecklichen Zaubereien des
schwarzen Mannes in Westindien.
Poltergeists (1940) von Sacheverell Sitwell untersucht ausführlich und meisterhaft jene außergewöhnlichen Geschehnisse, die so oft mit dem satanischen Übernatürlichen in
Verbindung stehen.
Das Werk Witchcraft in Old and New England (1928) des
jüngst verstorbenen Professors George Lyman Kittredge
leidet zumindest meiner Meinung nach in gewissem Grade
unter dem Umstand, dass es in achtzehn Kapiteln miteinander nicht in Verbindung stehende Aufsätze enthält, deren
Einheit lediglich im gemeinsamen Thema besteht. Dennoch
ist es eine beachtliche Arbeit, wenn auch seltsam teilnahmslos
und sogar skeptisch, was in einigen wichtigen Einzelheiten
zwangsläufig zu Fehlern oder zumindest zu Missverständnissen führt.
Es wäre undankbar und ungerecht, einen Tadel über Dr.
Henry Charles Leas Materials Toward a History of Witchcraft
auszusprechen, ein Buch, das der jüngst verstorbene Autor
unvollendet und nicht korrigiert hinterlassen hat. Diese drei
Bände, die 1939 veröffentlicht wurden, darf man notwendi-
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gerweise nur als eine Sammlung von Synopsen, Ausführungen, Verweisen und Anmerkungen ansehen. Sie enthalten
viel wertvolles Material, sind aber unter dem Zwang der
Umstände in einigen wesentlichen Punkten lückenhaft und
rudimentär geblieben. Das ist umso bedauerlicher, da meiner
Meinung nach eine Endredaktion den Autor nicht selten
dazu geführt hätte, sein Urteil zu ändern, und sowohl die
Tatsachen als auch die Schlüsse aus ihnen in richtigerer und
klarer Abfolge erschienen wären.
Eine lange und eingehende Beschäftigung mit dem
Thema des Hexenwesens hat mich vollkommen davon überzeugt, dass es notwendig ist, die Lehren der alten Zeit zu
studieren und sich der Leitung und Führung der Meister
anzuvertrauen, wenn man nach einem weitergehenden und
tieferen Verständnis für diesen allgegenwärtigen, dunklen
und schwierig zu verstehenden Kult trachtet. So muss der
ernsthafte Student zum Beispiel jenen edlen Traktat, den
Malleus Maleficarum (Hexenhammer) sorgfältig lesen und
dessen Lehren in sich aufnehmen. Auch ist er nicht einmal
ansatzweise mit dem genügendem Rüstzeug versehen, wenn
er lediglich eine oberflächliche Bekanntschaft mit dem Werk
solcher Autoritäten wie Guazzo, Anania, Remy, de Lancre,
Delrio, Thyraeus, Sinistrari, Glanvil, Boulton, Romanus,
Brückner, Görres oder Baumgarten gemacht hat.
Es ist keine rein akademische Frage, mit der er sich
beschäftigt. Professor Burr von der Cornell University ist der
Meinung, einige meiner Bücher über Hexerei röchen zu
stark nach Theologie. Doch abgesehen von seltenen und
sehr besonderen Ausnahmen ist nur der Theologe befugt,
dieses Thema zu behandeln; nur er kann die wesenhafte
Bösartigkeit der Hexerei erkennen. Die Probleme des Bösen
und des Versuchs der Menschen, mit bösen Geistern Kontakt
aufzunehmen und sie in gewisser Weise zu beherrschen,
reichen in das Gebiet der Theologie hinein und sind von ihr
nicht zu trennen. Die Autoren des Malleus Maleficarum,
Jakob Sprenger und Heinrich Kramer, waren Thomisten,
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also ausgebildete Theologen. Zwei Jahrhunderte später definierte ein Geistlicher aus einer ganz anderen Schule, der
Reverend Cotton Mather, ein gelehrter und scharfsinniger
Mann, Hexerei auf fast genau die gleiche Weise. Guazzo,
Delrio, Thyraeus und Sinistrari waren Theologen höchster
Güte. Man findet nur selten eine Autorität der Dämonologie,
die nicht auf diesem Gebiet ausgebildet wurde, es sei denn,
es handelt sich um einen Juristen, der das Verbrechen der
Hexerei vom rein rechtlichen Standpunkt aus betrachtet.
Hier sollte vielleicht erwähnt werden, dass es keinen
Beweis für die nichtige Behauptung gibt, Sinistraris wichtiger
Traktat De Daemonialitate sei »von einem kirchlichen Zensor«
verurteilt worden. In Wirklichkeit wurde das Werk von zwei
bekannten Theologen gelesen, von denen der eine ein
Kapuzinermönch und der andere ein Weltgeistlicher von
gleicher Erfahrung war. Beide nennen es ein gutes Buch,
das keine schweren Irrtümer enthält. Vielleicht gebe es einige
leichte und oberflächliche Fehler, aber sie seien nicht von
Bedeutung.
Es ist meine angenehme Pflicht, Reverend Fr. Gregory
Raupert, O. P., für seine freundliche Erlaubnis zu danken,
aus seinem bewunderungswürdigen Bericht über das Leben
seines Vaters, des berühmten Erforschers des Okkulten, mit
dem Titel A Convert from Spiritualism, J. Godfrey Raupert, K. S.
G., zu zitieren.
Auch füge ich meinen Dank an Mr. Arthur Machen für die
freundlich erteilte Erlaubnis hinzu, aus The House of Souls zu
zitieren.
MONTAGUE SUMMERS
2. Juli 1945
In Visit. B. M. V.
22
KAPITEL EINS
Was ist Hexerei? – Wie wird man zur Hexe? – Die Notwendigkeit
des Paktes
»Vereitelt wird euer Bund mit dem Tod, euer Vertrag
mit dem Totenreich hält nicht stand.«
– Jesaja 28. 18.
Ein alter und erfahrener Oxford-Professor gab beinahe ein
halbes Jahrhundert lang den Studenten, die seine Vorlesungen besucht hatten, bei ihrem Abschied ein sehr kostbares
Vermächtnis mit auf den Weg, das in den folgenden Worten
bestand: »Definieren Sie immer die Begriffe, die Sie benutzen.« Auch wir können am Beginn einer Abhandlung über
Hexerei kaum etwas Besseres tun, als genau nachzufragen,
was Hexerei ist und in welchem Sinn wir dieses Wort benutzen
werden, was es alles umfasst und was die Ziele und Beweggründe der Vertreter dieser schrecklichen Kunst waren und sind.
Zunächst ist es für unseren Zweck reine Zeitverschwendung
und Haarspalterei, genaue und kleinliche Unterscheidungen
zu treffen, Begriffe in ihre Bestandteile zu zerlegen und Wortklaubereien zu begehen, aus etymologischen und sachlichen
Gründen einen Zauberer von einer Hexe, eine Hexe von
einem Nekromanten und einen Nekromanten von einem
Satanisten zu unterscheiden. In tatsächlicher Hinsicht stehen
all diese Namen in einer Wechselbeziehung; im üblichen
Sprachgebrauch sind sie Synonyme. Daher heißt es, obwohl
der lateinische Begriff für Zauberer Sortiarius lautet und sors
so viel bedeutet wie Los oder Schicksal, in unserem Standardwerk, dem Oxford English Dictionary: »Zauberer – Jemand, der
Zauberei praktiziert, ein Hexer, Magier«, während Zauberei
definiert wird als »der Gebrauch von magischen Künsten
oder Hexerei«. Der Begriff »Nekromant« kommt aus dem
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Griechischen und bezeichnet jemanden, der Geheimnisse
oder zukünftige Ereignisse durch Verkehr mit den Toten
enthüllen kann. Bei diesem Wort hat es eine Verwechslung
des griechischen Begriffs Nekros (Leichnam) mit dem lateinischen niger (schwarz) gegeben, und im Mittelenglischen
kennen wir etwa in der Zeit von 1200 bis 1500 das Wort
»nigromancer« für jemanden, der in der Schwarzen Kunst
geübt ist. (Mancer ist das griechische Manteia, das übersetzt
»Weissagung, Wahrsagerei« bedeutet.) Ein Satanist ist natürlich jemand, der sich dem Satan ergeben hat – eine Person,
die als Anhänger und Gefolgsmann Satans angesehen wird.
Es ist jedoch bezeichnend und erwähnenswert, dass der
Begriff »Satan« zunächst die Entsprechung für einen Atheisten war und in diesem Sinne von John Aylmer gebraucht
wurde, der unter Königin Elisabeth der Ersten Bischof von
London war. In seinem politischen Pamphlet An Harbour for
Faithful and True Subjects, gedruckt 1559 in Straßburg, wo er
damals lebte, spricht er von Satanisten und meint damit die
nicht Rechtgläubigen und die Ungläubigen im Allgemeinen.
Später wurde der Begriff eingeschränkter benutzt und änderte seinen Charakter, denn die Hexe mag alles Mögliche sein,
aber sie ist keine Atheistin. In dem 1901 veröffentlichten
Werk The Life of Mrs. Lynn Linton erscheint der folgende
Abschnitt: »Es gibt zwei Sekten – die Satanisten und die
Luziferisten –, die diese Gestalten als Gott anbeten.« Das ist
eine spitzfindige Unterscheidung, denn Satan und Luzifer
sind identisch in Gestalt und Macht. Dr. Charles H. H.
Wright, ein ehemaliger Oxforder Dozent für die Septuaginta,
sagt über Luzifer: »In der Bibel hat dieser Name mit dem
Teufel nichts zu tun.« Aber das ist falsch. Zumindest im Englischen steht der übliche Gebrauch des Namens und dessen
allgemeines Verständnis gegen den Dozenten. Man muss
nur die Worte Jesajas: »Wie bist du vom Himmel gefallen, du
Glanzgestirn, des Morgenrots Sohn!« (Jesaja 14, 12) gegen
das Evangelium halten: »Ich sah den Satan wie einen Blitz
vom Himmel fallen.« (Lukas 10, 18)
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Mit einem Wort: Zauberer, Hexe(r) und Nekromant sind
grundsätzlich dasselbe; daher ist es bequem möglich und –
was bei Bequemlichkeit selten der Fall ist – auch völlig korrekt, den Begriff »Hexe« als Oberbegriff zu benutzen, während Hexenwesen oder Hexerei den Kult und die Praktiken
der Hexe bezeichnet.
Ein bekannter elisabethanischer Schriftsteller, ein zu seiner
Zeit recht bekannter Prediger und Theologe namens George
Giffard, der Pfarrer von Maldon in Essex, versteht als Hexe
oder Hexer »jemanden, der entweder durch die Hilfe des
Teufels oder durch teuflische oder seltsame Künste Schaden
bereitet oder heilt, geheime Dinge enthüllt oder Zukünftiges
vorhersagt und dem es der Teufel gegeben hat, die Seelen
der Menschen zu binden und in die Verdammnis zu stürzen.
Zu diesem Kreise gehören der Beschwörer, der Zauberer,
der Magier, der Wahrsager und was es deren sonst noch
gibt.«
Nebenbei bemerkt, wurde der Begriff »Hexe«, der heutzutage im Allgemeinen und beinahe ausschließlich eine
Frau bezeichnet, auch für einen Mann benutzt, und in einigen entlegenen Gebieten des Landes kann man ihn noch in
seiner alten Bedeutung hören: »Er ist ‘ne verdammte Hexe.«
»Witch« (Hexe) leitet sich von dem altenglischen maskulinen
Substantiv wicca ab: »Ein Mann, der Hexerei oder Magie
betreibt, ein Magier und Zauberer« – eine ziemlich verständliche Definition.
In einem lateinischen Glossar aus der Zeit um 1100, unter
der Herrschaft König Heinrichs I, werden die beiden Wörter
augur und ariolus mit wicca übersetzt.
Lewis und Short leiten in ihrem lateinischen Wörterbuch
das Wort augur von avis, dem Vogel, und dem Sanskritwort
gar, »bekannt machen« ab. Sie definieren den Begriff so:
»Ein Augur, Wahrsager, Weissager; in Rom ein Mitglied einer
besonderen, in früherer Zeit sehr verehrten Priesterkaste,
das die Zukunft vorhersagte, indem es Blitze, den Flug und
die Laute der Vögel, die Fütterung heiliger Hühner,
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bestimmte Vierbeiner und alle möglichen ungewöhnlichen
Ereignisse beobachtete.« Cicero, dieser weitschweifige, aber
recht trockene Rhetoriker, sagt in seinem interessantesten
Werk De Divinatione (Über Wahrsagung) eine Menge über heilige Vögel. Seine Erklärungen sind rationalistisch und nicht
überzeugend, doch er bringt gut gewählte Beispiele.
So wurde im Jahr 217 v. Chr. der Konsul Flaminius, der vor
den Karthagern stand, vom Hüter der heiligen Hühner
gewarnt, die Schlacht nicht zu beginnen, da sich die Vögel
zu essen weigerten.
»Was für eine nette Art von Omen!«, höhnte Flaminius.
»Und was ist, wenn sie nie mehr essen?«
»Du würdest gut daran tun, nicht in den Krieg zu ziehen«,
lautete die Antwort. Darauf gab der spöttische Flaminius tapfer das Signal zum Angriff und in der folgenden Schlacht am
Trasimenischen See wurde er von Hannibal vernichtend
geschlagen und verlor 15.000 Männer; auch er selbst fiel auf
dem Schlachtfeld. Ungewöhnliche Ereignisse umfassten
zum Beispiel Schreckensgeburten, deren viele überliefert
sind und von denen man glaubte, sie drückten den Zorn der
Gottheit aus. Vor solchen Missgeburten hatten alle Nationen
Angst, und in allen Geschichtsbüchern werden sie als Warnzeichen angesehen. Wenn zu Ciceros Tagen ein Mädchen
mit zwei Köpfen geboren wurde, folgten diesem entsetzlichen
Omen Aufruhr und Unruhen aller Art. 1512 wurde in
Ravenna ein seltsames Geschöpf mit einer Art Flügel anstelle
der Arme geboren; es trug noch andere außergewöhnliche
Zeichen. Ein Monstrum männlicher Natur war ein völlig
behaartes Kind mit scheußlichen Deformierungen. Es wurde
1597 in Arles in der Provence geboren, lebte nur einige Tage
und versetzte alle, die es sahen, in Schrecken.
Where children thus are born with hairy coats
Heaven’s wrath unto the kingdom it denotes.
(Wo solche Kinder mit behaarter Haut geboren werden,
zeigt dies den Zorn des Himmels auf das Königreich an.)
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So lautet der alte Vers, der sich in jener unseligen Region
bewahrheitete, in der die Menschen sich gegeneinander
eher wie grausame Tiere denn wie menschliche Wesen
erzeigt haben. Ein weiteres Ungeheuer wurde im Jahr 1581
in Nazara geboren. Es hatte vier Arme und vier Beine. In
Flandern, in einem Dorf zwischen Antwerpen und Mecheln,
genas eine arme Frau eines Kindes, das zwei Köpfe und vier
Arme hatte; anscheinend waren es weibliche siamesische
Zwillinge. »So gab es auch unter der Herrschaft König
Heinrichs III von Frankreich (1574–1589) eine Frau, die ein
Kind mit zwei Köpfen und vier Armen gebar, und die Körper
waren am Rücken zusammengewachsen. Die Köpfe blickten
in entgegengesetzte Richtungen; jeder der Körper hatte
zwei deutlich erkennbare Arme und Beine. Die aneinander
gewachsenen Wesen lachten, sprachen, schrieen gemeinsam
und waren gemeinsam hungrig. Manchmal war auch der
eine Kopf still und der andere redete, manchmal redeten sie
gleichzeitig. Sie lebten mehrere Jahre, doch der eine überlebte den anderen um drei Jahre und trug den Toten mit sich
überallhin (denn es gab keine Möglichkeit, sie zu trennen),
bis der Überlebende unter der Last und mehr noch unter
dem Gestank des Leichnams an seiner Seite zusammenbrach.«
Diese Beispiele stammen aus einem Werk, das unter dem
Titel Aristotle’s Problems oder Aristotle’s Masterpiece bekannt ist.
Dabei handelt es sich um ein seltsames Buch, das natürlich
nichts mit dem großen griechischen Philosophen zu tun hat,
sondern ihm fälschlich zugeschrieben wurde. Die früheste
Ausgabe wurde 1475 in lateinischer Sprache in Rom unter
dem Titel Die Probleme des Aristoteles gedruckt. Da das Buch
viele Neuauflagen erfuhr, wurden immer wieder zeitgenössische Ereignisse hinzugefügt. Es wurde in beinahe jede
moderne Sprache übersetzt. So wurde 1597 in London eine
Ausgabe mit dem Titel The Problems of Aristotle with other
Philosophers and Phisitions veröffentlicht. Eine beinahe identische Version war bereits zwei Jahre zuvor in Edinburgh
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erschienen. Aus dem Jahre 1710 stammt »The Twenty-Fifth
English Edition«, und es gibt unzählige Nachdrucke.
»Ariolus« (oder »Hariolus«), abgeleitet aus dem Sanskritwort hira, Eingeweide, wird von Lewis und Short als »Wahrsager, Prophet« gedeutet und mit »Augur« gleichgesetzt.
Das Wort hat einen düsteren Anstrich, denn der »Ariolus«
wurde durch die Etrusker, die Meister der schwarzen
Geheimnisse, bei den Römern eingeführt. Zu Recht schreibt
Cicero, die Etrusker seien durchtränkt vom Aberglauben,
und kein Volk sei geübter in der Eingeweideschau. Die
etruskischen Wahrsager erkannten die Zukunft aus der
Betrachtung der noch warmen und zuckenden Eingeweide
von Opfern, die manchmal Tiere, manchmal aber auch
Menschen waren. Diesem schrecklichen Brauch wurde auch
in Rom selbst gehuldigt, besonders während der Kaiserzeit.
Seltsame und erschreckende Gottheiten gab es in der alten
Mythologie von Etrurien, »wo einst die stolze Stadt Tarquinia
stand, die Rom die Könige schenkte, als Rom noch nichts
weiter war als eine Siedlung von Gesetzlosen und Räubern«.
Da gab es Teramo, Fuflus und Tinia, der sich windende
Schlangen als Beine hat und mit düsterer Miene und ausgestreckten Schwingen den roten Blitz der Zerstörung packt,
um ihn weit und mit großer Wut zu schleudern. Selbst heute
noch flüstert man, dass in den Dörfern und Gehöften dort,
wo die Marta aus dem See von Bolsena fließt, Abkömmlinge
der alten Rasse leben, die Tinia verehrten, lange bevor die
Wölfin die Zwillinge Romulus und Remus in ihrem sabinischen Bau säugte. Mit verhaltenem Atem erzählen die Menschen davon, wie eine uralte Tradition seit unvordenklichen
Zeiten von dieser Rasse weitergegeben wird, deren Geschichte und Sprache im Dunkel der Zeitalter verloren gingen.
Noch immer gibt es einige Eingeweihte, die sich vor der Welt
verstecken und im Geheimen leben und allzu vertraut mit
den namenlosen Liturgien und Praktiken der Geisterbeschwörungen sind – mit verfluchten Riten, welche die Kirche
ängstlich mit dem Bann belegt hat. Vor drei Jahrhunderten
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war Papst Gregor der Fünfzehnte, kein unerleuchteter
Mann, während seiner nur wenige Jahre währenden Regierungszeit, so erschüttert über jenen fäulnishaften Glauben
an die Götter des Grabes, dass er durch einen besonderen
päpstlichen Entscheid schriftlich und mündlich das Heilige
Offizium beauftragte, sofort eine gnadenlose Inquisition
einzuleiten und das infizierte Land von dieser Krankheit zu
befreien.
Selbst in den Tagen Hadrians (117–138 n. Chr.), als Rom
jede neue Zauberei und jeden Aberglauben, wie schrecklich
verderbt oder unverhohlen obszön er auch sein mochte,
eifrig vereinnahmte, als es eine »göttliche Invasion« aus dem
exotischen Ägypten, aus Syrien, aus dem fernsten Asien und
dem Osten gab, als es den dekadenten Genießer nach den
verrücktesten Delirien der Derwische und Fakire verlangte,
als selbst der Cäsar der mitternächtlichen Magie und Wahrsagerei mehr als nur verdächtig war, wurde schamhaft ein
Gesetz erlassen, das Menschenopfer streng verbot. Dennoch
kehrten viele der späteren Kaiser, besonders Commodus,
der sadistische Caracalla und der wahnsinnige Maxentius, zu
diesen abscheulichen Riten zurück, weil sie herausfinden
wollten, was das Schicksal für sie bereithielt. Am 25. Mai 385
verbot Theodosius der Erste, ein christlicher Herrscher,
jegliche Art magischen Opfers und verfügte, dass jeder
Wahrsager, der solche Widerwärtigkeiten unternahm – vor
allem das Ritual, menschliche Eingeweide zu betrachten –,
einem schmerzhaften, langsamen und abscheulichen Tod
verfallen sei. Doch, wie noch anzumerken sein wird, haben
diese blutigen Opferungen trotzdem weiterhin Bestand
gehabt und sind selbst heute noch bei Teufelsanbetungen
nicht unbekannt.
Wie soeben erwähnt, wird das altenglische Wort wicca von
den Wörterbüchern erklärt als »ein Mann, der Hexerei oder
Magie ausübt«. Was ist Magie?
Während vor Richter Smith am Königlichen Gericht im
April 1934 ein viel diskutierter Fall verhandelt wurde, fragte
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der Richter* den Kläger nach der »kürzesten und gleichzeitig
verständlichsten Definition für Magie, die er kenne«.
Die Antwort lautete: »Magie ist die Kunst, nur durch den
eigenen Willen eine Veränderung hervorzurufen. Wenn der
Wille ehrenhaft ist, handelt es sich um weiße Magie, wenn er
bösartig ist, handelt es sich um schwarze Magie.«
Richter Swift: »Bezieht das auch die Anrufung der Geister
mit ein?«
Antwort: »Möglicherweise. Es bezieht die Anrufung des
Schutzengels mit ein, den der allmächtige Gott einem jeden
von uns zur Wacht an die Seite gestellt hat.«
Richter Smith: »Also geht es auch um Geisterbeschwörung.«
Antwort: »Um die Beschwörung eines Geistes. Gott ist ein
Geist, und diejenigen, die ihn anbeten, müssen ihn in Geist
und Wahrheit anbeten.«
Richter Smith: »Ist Magie Ihrer Ansicht nach die Kunst,
Geister zu beherrschen, um auf diese Weise den Lauf der
Dinge zu beeinflussen?«
Antwort: »Das ist Teil der Magie, ein kleiner Zweig davon.«
Richter Smith: »Und wenn der Zweck der Beherrschung
gut ist, handelt es sich um weiße Magie?«
Antwort: »Ja.«
Richter Smith: »Welche Geister muss man beschwören,
wenn der Zweck der Magie ein schlechter ist?«
Antwort: »Man kann keine bösen Geister beschwören.
Man kann sie nur rufen.«
Richter Smith: »Wenn Sie also etwas Übles im Sinn haben,
rufen Sie einen bösen Geist an?«
Antwort: »Ja. Man begibt sich in ihre Gewalt. In diesem
Fall ist es möglich, auch böse oder blinde Geister für einen
guten Zweck zu beherrschen, so wie wir auch die gefährlichen Elemente des Feuers und der Elektrizität beherrschen,
um damit zu heizen oder Licht zu machen etc.«
* Aus einem Zeitungsbericht des Daily Telegraph von Freitag, dem 13. April
1934 mit der Überschrift: »Richter fragt: Was ist Magie?«
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DIE SCHWARZEN MYSTERIEN DER HEXEREI
(Abomination des Sorciers)
Radierung von Jaspar Isaac (1614)
SADDUCISMUS TRIUMPHATUS von Joseph Glanvil
Frontispiz zum zweiten Teil, Ausgabe 1681, von W. Faithorne. Die
sechs Bilder zeigen: Der Trommler von Tedworth; Julian Cox, die
Hexe von Somersetshire; die Levitation des Richard Jones aus
Shepton Mallet; das Hexentreffen in der Nähe von Trister Gate,
Wincanton; Margaret Jackson, die schottische Hexe, die sich
ihrem Dämon hingibt, und die himmlische Erscheinung in
Amsterdam.
Diese letzte Antwort ist sehr sophistisch, denn jeder, der
einen bösen Geist anruft, würde ihn niemals für einen guten
Zweck einsetzen, und selbst wenn es ein anscheinend guter
Zweck wäre, würde daraus schließlich nur noch größerer
Schaden entstehen.
Als der Kläger auf die Frage des Richters »Also geht es
auch um Geisterbeschwörung?« antwortete: »Um die
Beschwörung eines Geistes. Gott ist ein Geist …«, zitierte er
eine falsche Übersetzung, die wohl eine Menge Verwirrung
gestiftet haben wird. Die richtige Übersetzung von Johannes
4, 24 lautet: »Gott ist Geist«, was etwas vollkommen anderes
ist. Zu sagen, »Gott ist ein Geist«, ist schlechte Metaphysik
und noch schlechtere Theologie. Es ist einfach sinnlos.
Ich bezweifle sehr, dass diese Grenzziehung, dieses Reden
von »weißer« und »schwarzer« Magie, etwas anderes als
verbale Hohlheit ist; es stellt eine völlig künstliche (und
recht gefährliche) Unterscheidung zwischen Gut und Böse
dar. Alle Magie, alle Hexerei geht vom Teufel aus und ist
grundsätzlich böse.
Es stimmt, dass wir auch von »natürlicher Magie« reden,
welche die Wörterbücher als »nicht durch persönliche Geister vermittelt« definieren, doch diese Phrase ist nichts anderes
als ein Vulgärausdruck und eine Metapher. Es wäre gut, wenn
wir diese Zweideutigkeiten und Namensirrtümer aus unserer
Alltagssprache verbannen würden. Ein zeitgenössischer
Autor (1929) geht so weit, von »weißer Hexerei zur Heilung
von Krankheiten und für andere unschuldige Zwecke« zu
reden. Auch wenn völlig klar ist, was er damit meint, kann es
doch nicht so etwas wie »weiße Hexerei« geben. Diese beiden
Worte bilden einen Widerspruch in sich, und es ist kein Wunder, dass ein klügeres Zeitalter als unseres diese Kunst, unter
welchem Vorwand sie auch immer ausgeübt worden sein
mag, als »heidnisch und teuflisch« verdammt hat. Uralte
Zauberformeln und Bannsprüche, die Kenntnis von Kräutern und Planeteneinflüssen – all das ist weder Hexerei noch
Magie, sondern Heilkunde. Keine Beschwörungen und
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