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BUCHBESPRECHUNGEN Anton Jakob Weinberger : „Jüdische Frömmigkeit kennt nur das Suchen“. Der Beitrag des Rabbiners Dr. Max Dienemann zur jüdischen Theologie. Hg. von der Max Dienemann / Salomon Formstecher Gesellschaft Offenbach e. V., Offenbach am Main, Oktober 2011, 52 Seiten, kt. 6,00 Euro. Zu beziehen über die Geschäftsstelle der Gesellschaft: Michael Lenarz, Bismarckstraße 98, 63065 Offenbach, E-Mail: [email protected] Im Dezember 1935 fand in Offenbach ein für die Geschichte des Judentums bis 1972 singuläres Ereignis von historischem Rang statt: Der Rabbiner Dr. Max Dienemann ordinierte die Berlinerin Regina Jonas zur weltweit ersten Rabbinerin des Judentums (S. 33 – 37). „Erst 1972 folgte am liberalen Hebrew Union College in Cincinnati mit Sally Priesand eine weitere Ordination.“ (S. 41) Und in Deutschland dauerte es noch weitere 38 Jahre, bis im November 2010 mit Alina Treiger in Berlin-Charlottenburg wieder eine Frau zur Rabbinerin ordiniert wurde (S. 42). Wer war dieser mutige, zugleich auch weitsichtige Mann, der Regina Jonas im Auftrag des „Liberalen Rabbinerverbandes“ der letzten halachischen Prüfung zur Erteilung der Hatarat Hora‘a, des Rabbinerdiploms, unterzog? Aufklärung darüber gibt Anton Jakob Weinberger in seinem kenntnisreichen Aufsatz ”‘Jüdische Frömmigkeit kennt nur das Suchen‘. Der Beitrag des Rabbiners Dr. Max Dienemann zur jüdischen Theologie”, der im Oktober 2011 als Sonderdruck von der Max Dienemann – Salomon Formstecher-Gesellschaft Offenbach e.V. herausgegeben worden ist. Ihm liegt ein Vortrag zugrunde, den Weinberger im Mai 2010 auf Einladung des Zentrums für jüdische Kulturgeschichte an der Universität Salzburg gehalten hat und der in der Nummer 10/2011 der Halbjahreszeitschrift „Chilufim. Zeitschrift für Jüdische Kulturgeschichte“ („Austausch, Transfer”) erstmals veröffentlicht worden ist (S. 59 – 105). Weinberger ist Initiator der 1995 in Offenbach gegründeten Max Dienemann – Salomon Formstecher-Gesellschaft und seither deren Vorsitzender. Er arbeitet seit 1987 als Rhein-Main-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Sitz in Offenbach. In seinem Aufsatz zeichnet Weinberger Leben und Wirken sowohl Max Dienemanns (1875 – 1939) wie auch von Regina Jonas (1902 – 1944) nach. Sein Hauptaugenmerk richtet Weinberger dabei auf den Beitrag, den Dienemann, der neben Leo Baeck und Max Wiener zu den bedeutendsten liberalen Rabbinern im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in Deutschland zählt, für die Entwicklung einer Tradition und Moderne verbindenden Theologie des Judentums geleistet hat. Weinberger arbeitet dazu wesentliche Aussagen zentraler Texte Dienemanns heraus, in denen sich immer wieder eine Haltung spiegelt, die Dienemann schon in jungen Jahren in seiner Familie erfahren hat. In ihr vereinen sich „jüdische Frömmigkeit und Weltoffenheit“ (S. 14). Im „Bestreben, das rechte Maß zu finden“, bewegte sich Dienemann in seinem theologischen Denken und Handeln stets zwischen den spannungsreichen Polen „Bewahren“ und „Erneuern“ (S. 42). Weinberger wendet sich auch ausführlich der gründlichen Auseinandersetzung Dienemanns mit dem Christentum zu (S. 17 – 24), die für Dienemann notwendiger Bestandteil der Selbstvergewisserung des deutschen Judentums in einer christlich grundierten, gleichwohl säkularen Gesellschaft war. Mit einem Zitat aus der letzten Predigt, die Dienemann vor seiner im Dezember 1938 von der Gestapo erzwungenen Emigration (S. 14) im zerstörten Festsaal der Offenbacher Kuppelsynagoge hielt, beschließt Weinberger seine Ausführungen: „Es heißt, wenn man Abschied nimmt, soll man Abschied nehmen mit einem Wort der Halacha. Sinngemäß nehme ich daher Abschied von Euch, indem wir uns rasch Wichtiges des jüdischen Denkens ins Bewusstsein heben. Unverbrüchlich bleibt uns der Homiletische Monatshefte, Jg. 88, Heft 6, Mrz 2013 2013 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 297 Glauben an den gleichen Wert aller Menschen. Unverbrüchlich bleibt uns der Glaube an die Unverwandelbarkeit des Rechtes, denn das Recht ist Gottes. Unabhängig ist es von jedem äußeren Stand. Und festhalten müssen wir, wo immer wir als Juden leben, dass es nichts Festes und Dauerndes gibt. Keine Stellung der Juden, selbst noch so hell und licht, ist dauernd, alles bleibt im Wandel, alles fließt.“ (S. 43) Abbildungsnachweise (S. 43) und ein ausführliches Literaturverzeichnis (S. 44 – 51), das zu vertiefenden Studien einlädt, runden den profund gearbeiteten, überaus lesenswerten Aufsatz ab. Manfred Holtze Herbert Koch: Einfach glauben – Botschaften des Jesus von Nazareth. Publik-Forum Edition, Oberursel 2012, 192 S., 17,90 Euro „Einfach glauben“ – ja, wenn das so einfach wäre, würden manche sagen. Für Herbert Koch (Jahrgang 1942), ehemaliger Industriepfarrer (KdA Hannover), ehemaliger Superintendent in Wolfsburg, ist es ganz einfach. Das versucht er in seinem oft recht provokativ geschriebenen, für Laien und Theologen gleichermaßen gut lesbaren Buch deutlich zu machen. Der mit einem soliden und seriösen biblischen Grundwissen (Koch hat im NT bei Eduard Lohse in Göttingen promoviert) sich präsentierende Autor will aus einer grundliberalen Haltung heraus damit einem kircheninstitutionell verordneten komplizierten dogmatisch fest gezurrten Glauben entgegentreten, der lebensfern und lebensfeindlich zugleich ist. Die harsch zugespitzte – zuweilen m. E. etwas überspitzte – Kritik an den beiden institutionell verfassten Großkirchen (nicht nur der katholischen, sondern auch seiner eigenen Kirche, deren offizieller Institutionsvertreter er immerhin auch war) ist dabei unüberhörbar. Manchmal hat man gar den Eindruck, dass diese Kritik das eigentliche Anliegen seines Buches sei, obwohl Koch mehrfach versichert, es komme ihm vor allem darauf an, uneingeschränkt „positiv“ und „lebenszugewandt“ vom Glauben zu reden. Was ist seine Grundaussage? „Einfach glauben“ heißt für ihn: Einfach auf Gott und seinen Botschafter Jesus von Nazareth (den Menschen) vertrauen. Vertrauen! Mehr nicht! Das reicht aus zum Glauben. Denn Glaube (pistis) – das weiß der Neutestamentler und verweist als Beleg dafür auf Bauers „Wörterbuch zum NT“ – ist kein objektives Geschehen des Für-Wahr-Haltens von „Wahrheiten“ (klassisch: fides quae), sondern einfach existentielles (ganz und gar subjektives) Vertrauen darauf, dass mein Leben in Gott geborgen und von ihm gehalten ist (klassisch: fides qua). Glauben ist Vertrauen. So hat es Jesus gehalten, und so können wir es auch halten. Also einfach an Gott glauben, wie Jesus es tat. Glauben als pures Vertrauen hat also nicht den „Unglauben“ zum Gegensatz, sondern die „Furcht“, nicht vertrauensvoll von Gott gehalten zu sein. „Was aber ,Vertrauen‘ genannt wird, ist rational wie emotional ein subjektiver Vorgang, dass er sich jeglicher Art von Verwaltung (erg: durch kirchenleitende dogmatische Verordnungen) entzieht“ (S. 27) Diese Grundannahme wird in einfachen (jedoch keineswegs vereinfachten und allzu schlichten) Thesen in den einzelnen Kapiteln entfaltet. Etwa so: „Vertrauen – Ende von Furcht und Gehorsam“, „Einfach glauben statt ,fest (gemeint ist dogmatisch festgelegt) glauben‘“, „Einfach glauben – positiv denken“. Denn wir sind alle (wie Jesus) Söhne und Töchter Gottes. „Einfach glauben – einfach beten“, denn Gott weiß, was wir brauchen: „Einfach glauben – einfach handeln – einfach frei sein!“ (Luthers „Freiheit eines Christenmenschen“ wird mehrfach zustimmend zitiert, gerade auch, weil es eine „gefährdete Freiheit“ gibt. „Institutionelle Religionsverwaltung und freie Selbstbestimmung des einzelnen über die religiöse Dimension seines Lebens, das ist ein Gegensatzpaar, das unaufhebbar zu sein scheint“ (S. 116) „Einfach glauben“, das heißt 298 Homiletische Monatshefte, Jg. 88, Heft 6, Mrz 2013 2013 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen aber auch „einfach vergeben“ und am Ende alles zusammenfassend „einfach leben“ (dabei: Verzicht als Gewinn) Bei zwei Kapiteln setzt Koch hinter das „Einfach“ ein Fragezeichen. „Einfach glauben – einfach nachfolgen?“ und „Einfach glauben – einfach sterben?“. Jesu Ruf zur Nachfolge darf nicht als „Gehorsamsdiktat“ verstanden werde, denn Nachfolge heißt weder „Gefolgschaft“ noch „Sukzession“. Eine kurze, zugleich zustimmende und kritische Auseinandersetzung mit Bonhoeffers „Nachfolge“-Buch macht das deutlich. Denn Bonhoeffer habe zeitgeschichtlich (gegen das Gehorsamsdiktat Hitlers zurecht) auf den „Glaubensgehorsam“ insistiert, aber der Begriff „Gehorsam“ sei eben inzwischen vergiftet und muss heute durch den „einfach vertrauenden Glauben“ (S. 82) ersetzt werden. Mir persönlich ist das in der pointierten Zuspitzung etwas gar zu einfach, denn ,Gehorsam‘ meint ja auch das aufmerksame, durchaus freie und vertrauensvolle ,Hören‘ auf einen anderen. Aber vielleicht ist meine eigene ,Liberalität‘ hier immer noch dogmatisch zu sehr eingeengt. Sehr gelungen und weiterführend ist am Ende das mit dem zweiten Fragezeichen versehene Kapitel: „Einfach sterben?“ Über Nahtoderfahrungen wird hier einfühlsam und differenziert berichtet in einer mystischen Tiefe, die jeden wohlfeilen Vorwurf, das Buch würde lediglich einen „platten Rationalismus“ und einen simplen „Glauben light“ predigen, ins Reich der allzu schnellen und damit eben vereinfachenden Vorurteile verweist. Nein, dieses engagierte Buch hat Tiefe, gibt Anregungen, Anstöße, auch Provokationen für Laien und Theologen. Es zeugt von einer grundliberalen Haltung, es ist – auch wegen einzelner Aussagen, wo man widersprechen mag – gar fundamental liberal und von einem hohen theologischen Ernst getragen. Man liest es mit Gewinn in einem Zug. Axel Denecke Homiletische Monatshefte, Jg. 88, Heft 6, Mrz 2013 2013 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 299