Alkohol und Drogen
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Alkohol und Drogen
Drägerheft spezial 392 Drägerheft 392 spezial Technik für das Leben Alkohol und Drogen Riskante Schönheit: Weiße Zinfandeltraube unter dem Mikroskop Alkohol und Drogen Wirkungen, Gefahren, Schutz IN H ALT 60 Milliarden Euro K AUEN PUSTEN 4 R AU S C HM I T T E L Verbreitung: Schon früh zeigte sich, dass manche Substanzen das Gefühl verändern – einige Meilensteine. 14 P IO NIER Dräger-Alcotest: Seit 1953 wird bei Alkoholkontrollen gepustet – nicht nur auf Deutschlands Straßen. 6 DR OGE N Geschichte: Rauschmittel wirken nicht nur auf Geist und Körper, sondern auch auf Wirtschaft und Gesellschaft. 20 A LKO HO LME S SU N G Neue Verfahren: Fußfesseln geben Kontrolle und Bewegungsfreiheit. 10 A L KOHOL Geschichte: Ethanol berauscht die Menschheit schon seit der Steinzeit. 12 KON SU M Verhalten: Ist der Mensch überhaupt vorstellbar ohne Alkohol und Drogen? 2 14 DRÄGERWERK AG & CO. KGA A 12 CARLOS VILLALON / REDUX/LAIF TITELFOTO : BEVSHOTS-EUROPE.COM / ACTION PRESS Auf rund belaufen sich die wirtschaftlichen Schäden, die alkoholisierte Mitarbeiter jedes Jahr in der EU verursachen – mehr ab Seite 32. 22 W IR KUN G Ethanol: Wie und wo Alkohol Menschen beeinflusst. 23 L EG AL H IG HS Badesalze: Sie spielen eine immer größere Rolle im Drogenmarkt. 24 D RO GEN T E S T Speichelprobe: In Belgien fischt man benebelte Autofahrer mithilfe moderner Speicheltests aus dem Verkehr. 28 R ISIKO FAK TO R Mensch: Berauscht im Job? Das führt immer wieder zu verheerenden Unfällen. 32 AR BEI T S W ELT Sucht: Wenn Mitarbeiter mit Fahne zur Arbeit kommen, oder sich mit Medikamenten aufputschen, wird es brenzlig. 38 SU C H T Hilfe: Alkohol- oder Drogenabhängigkeit ist eine Krankheit, die auch Dritte in Mitleidenschaft zieht. Für den Entzug gibt es verschiedene Ansätze. 42 S T R A S SE N V ER K EHR Alkoholgrenzwerte: Wie sie sich zum Schutz der Verkehrsteilnehmer entwickelt haben. DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL SCHLUCKEN 62 RAUCHEN 46 V E R K E HR S SIC H E R H E I T Alkohol-Interlocks: Als „Zündschlüssel“ dient der Atem. Nur ein nüchterner Fahrer kann sein Fahrzeug starten. 58 G E S ELL SC H AF T Hirndoping: Die eigene Leistung gezielt durch Medikamente zu steigern bleibt meist nicht ohne Folgen. 50 G E S U N DHE I T Mythen und Legenden: Verdunstet Alkohol beim Kochen? Kaum, und es gibt noch weitere Überraschungen! 61 R AN G LIS T E Drogen: Die 20 gefährlichsten Rauschmittel. 52 S C HR I F T S T E L L E R Im Rausch: Viele Werke der Weltliteratur verdanken sich „Drogen und Rausch“ (Ernst Jünger, 1970). 56 E N DS TAT ION Notaufnahme: Vor allem am Wochenende ist hier für manchen Partygänger Schluss. DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL PICTURE ALLIANCE / AP PHOTO 58 DRÄGERWERK AG & CO. KGAA Titelbild: Weißer Zinfandel, eine Rebsorte, zeigt unter dem Mikroskop verborgene Ästhetik. Michael W. Davidson, von der Florida State University in den USA, hat seit 1992 mit dieser Technik verschiedene Rauschmittel fotografiert. Darunter, von links nach rechts: Bier, Tequila Sunrise und Methcathinon, ein Psychostimulans 62 D RO GEN Politik: Die US-Bundesstaaten Colorado und Washington legalisieren Anbau und Besitz von Marihuana. 66 J U S T I Z Gesellschaft: Gibt es ein Recht auf Rausch? 68 MI NI - LE X IKO N Rauschmittel: Wirkstoffe, Konsum, Risiken 3 Globaler Drogenkonsum Schon früh zeigte sich: Manche Substanzen verändern das Gefühl. Gezielt sucht und produziert der Mensch sie seitdem: erst als Tor zur Götterwelt, dann als Genussmittel. Das Glas Wein kann guttun, die Flasche zur Gefahr werden – für einen selbst und andere. Einige MEILENSTEINE aus der Welt des Rauschs. Atlanta/Georgia, USA: Coca-Cola (1887) Der Arzt und Apotheker John Stith Pemberton entwickelt „Coca-Cola“, das anfangs „peruanische Kokablätter, Wein und Kolanuss“ enthält. Kincardine O’Neil, Schottland: Eisbock (2012) 65 Prozent Alkoholgehalt bietet das stärkste Bier der Welt. Das „Armageddon“ von Brewmeister (Typ: „Eisbock“). Akron/Ohio, USA: trocken (1935) William Griffith Wilson und Robert Holbrook Smith gründen am Muttertag die Selbsthilfegruppe „Anonyme Alkoholiker“, die heute etwa zwei Millionen Mitglieder in über 180 Ländern hat. FOTOS: PICTURE ALLIANCE, ACTION PRESS, MAURITIUS IMAGES / ALAMY, WME, IMAGO / FRIEDRICH STARK, ARCHIV, SHUT TERSTOCK, IRYNA RASKO/DDP IMAGES, IMAGO/MCPHOTO / WOLF-FEIX, ACTION PRESS / BRAUN, MAT THIAS V B Bethel/New York, USA: M My Generation (1969) O Ohne Drogen auf, hi hinter und vor der Bühne wä wäre das legendäre un und verregnete Woodsto stock-Festival wohl gan ganz ins Wasser gefallen. 4 Südpazifik: Kava Aus Rauschpfeffer (Piper methysticum) wird hier ein euphorisierendes Getränk gewonnen. Mixeteco Mountains, Mexiko: magische Pilze (1955) Mit dem US-amerikanischen Bankier R. Gordon Wasson nimmt erstmals ein Außenstehender am zeremoniellen Genuss von psychoaktiven Pilzen teil. Seine Veröffentlichung in „LIFE“ löst 1957 einen Boom aus. Lima, Peru: Mitbringsel (1859) Das österreichische Expeditionsschiff „Novara“ bunkert einen 60 Pfund schweren Ballen Kokablätter. Aus ihnen wird ein Jahr später Albert Niemann in Göttingen „Kokain“ isolieren. Wien, Österreich: Drogenreport (2012) Laut „World Drug Report“ (www.unodc.org) haben 230 Millionen Menschen, rund 3 Prozent der Weltbevölkerung, schon mal illegale Drogen konsumiert. Heroin, Kokain & Co. führen zu 200.000 Drogentoten – jährlich. Ouagadougou/Burkina Faso, Westafrika: Menschwerdung des Affen (ca. 2.000 v. Chr.) Die Ureinwohner der Subsahara bauten Hirse an, aus der sie auch Bier brauten. Erst damit wurden sie der Legende nach wahre Menschen – sie verloren Fell und Schweif. Feuerland und Patagonien: Minimalismus Hier wachsen keine Pflanzen, die sich fermentieren lassen. Die Menschen konnten daher keine alkoholischen Getränke herstellen. DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL V E RBREI T UNG Darmstadt, Deutschland:: 1912) Partydroge (1912) Der Pharma-Konzern Merck synthetisiert MDMA, das später als „Ecstasy“ Karriere macht. Çatal Höyük, Türkei: alter Jahrgang (ca. 5.500 v. Chr.) Bei Ausgrabungen findet James Mellaart 1961 in einem Gefäß Rückstände von Wein als frühestes Zeugnis dieses Getränks. Alamut, Iran: Haschisch (ca. 1.000 n. Chr.) Der Geheimbund der Assassinen („Haschischraucher“) bedroht umliegende Fürsten durch Meuchelmord. Ungeklärt ist, ob die Krieger Haschisch zur Aufstachelung oder als Belohnung erhielten. Hochland/Äthiopien, Ost-Afrika: Ursprung des Kath Alltagsdroge dieser Region. Das Cathin in den Blättern des Kathstrauchs wirkt psycho-stimulierend. DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL R AU S C HMI T T EL Nowaja Semlya, Russland: sland: halber Geist (1924) Für die Schamanen verrkörpert jeder Fliegenpilz jee einen Pilzgeist. Sie essen zweieinhalb weieinhalb Pilze, da der halbe Pilzgeist sich immer nach seiner anderen Hälfte dreht, langsamer läuft und der Schamane ihm nur so folgen kann. Kanton, China: Erster Opiumkrieg (1839–42) Die Engländer schmuggeln Opium aus Indien nach China. Als die Mandschus das verbieten, kommt es zum Opiumkrieg, den China verliert. Daraufhin u. a.: Abtretung Hongkongs. Neu-Delhi, Indien: Betel Die Blätter dieser Palme sind Bestandteil des „Betelbisses“. Sie wirken euphorisierend, werden bereits in alten Sanskrit-Texten erwähnt und zählen damit zu den ältesten Drogen. Saigon, Vietnam: Kurier (1970) Ein Pilot des US-Botschafters wird mit Heroin im Wert von acht Millionen US-$ festgenommen. Vietnam: Apocalypse Now (1971) Im „Goldenen Dreieck“ (Laos, Thailand, Myanmar) wird Heroin Nr. 4 produziert. Amerikanische Armee-Ärzte schätzen, dass 10 bis 15 Prozent aller US-Soldaten in Vietnam Heroin konsumieren. Java, Indonesien: Monopol (19. Jahrhundert) Bis zu 15 Prozent der Einnahmen aus ihrer Kolonie erhalten die Niederländer allein durch den Verkauf von Opium. 5 D ROGEN GESCH I CH T E Zwischen Traum und Albtraum Mit dem ewigen Wunsch des Menschen nach Transzendenz, nach Rausch und Befreiung von den Beschränkungen des Daseins lassen sich Kriege anzetteln, Gesellschaften verändern und Wirtschaftsimperien aufbauen – ILLEGALE WIE LEGALE. A ngefangen hat alles mit Pflanzen, die sich gegen ihre Fressfeinde zur Wehr setzten. Im Laufe der Evolution entwickelten viele ein chemisches Schutzschild, um nicht gefressen zu werden: Inhaltsstoffe, die für Tiere giftig oder unbekömmlich sind. Bereits in grauer Vorzeit entdeckten die ersten Menschen, dass diese Pf lanzen auch für sie giftig sind. Und sie entdeckten noch etwas anderes: Viele Blätter, Wurzeln, Pilze und Kakteen hatten – richtig dosiert – erstaunliche Wirkungen. Sie konnten Schmerzen lindern, Krankheiten heilen und – mitunter – denKontakt zu Geistern, Göttern und Ahnen herstellen. Dazu waren Heilkundige und Schamanen nötig, denn nur sie kannten sich auf dem schmalen Grat zwischen Trance und Vergiftung aus. Rausch seit der Antike Bewusstseinsverändernde Pflanzen begleiten seither die Menschheit. Das Alte Testament erwähnt die halluzinatorisch wirkende Mandragorawurzel (Alraune) – und Myrrhe: ein tropisches Harz, das in hoher Dosierung ähnlich schmerzstillend wie Opium wirkt. Seit Jahrtausenden lassen sich Menschen vom Hanf und dem dar aus hergestellten Haschisch berauschen. Herodot berichtet von den Skythen, einem Reitervolk, das im 7. Jahrhundert v. Chr. die Steppen Osteuropas besiedelte und Hanfsamen im Dampfbad auf glühende Steine streute und dabei „so fr oh wurde, dass es begeistert heulte“. Mit dem Islam und seinen verbindlichen Lebensregeln seit dem 8. Jahr hundert fanden im Orient gesellschaftliche Veränderungen statt. Durch die Ächtung 6 Was lässt sich von der Natur lernen, wie kann sie der Mensch zu seinem Nutzen neu zusammensetzen? Schon der Alchemist suchte danach DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: AKG-IMAGES (2), THINKSTOCK Auf dem Weg zur Zigarette: Kinder in den USA bei der Tabakernte und Verarbeitung der Blätter (1916) Schreckliche Schönheit: Schlafmohn – Quelle des Opiums DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL des Alkohols gewannen Drogen wie Opium, Haschisch, Stechapfel und Kath an Bedeutung. Die exotischen Geschichten der Scheherazade aus 1001 Nacht scheinen einem f arbigen Haschischrausch entsprungen zu sein. Aller dings war Haschisch in den islamisc hen Gesellschaften des Altertums eher das Kraut der Armen; die wohlhabenderen Schichten rauchten Opium. Auch in China und Indien war Haschisch schon seit der Jungsteinzeit bekannt. In Indien war der Gebrauch strengen Ritualen unter worfen – und ist es teilweise im K ult um den vedisc hen Fruchtbarkeitsgott Shiva noch heute. Mit der Neuzeit begann nach einer düsteren Zeit des Hexenwahns, in dem halluzinatorische Rauschdrogen wie Bilsenkraut und Tollkirsche eine Rolle spielten, eine Phase der räumlichen und geistigen Horizonterweiterung, die direkte Auswirkungen auf den Gebrauc h von Drogen hatte. Christoph Columbus entdeckte 1492 Amerika. Mit den spanischen Eroberern kam die Tabakpflanze nach Europa, von wo aus Entdeckungsreisende und Händler sie über die ganze W elt trugen. Zunächst wegen ihrer stimulierenden Wirkung als Heil- und Medizinalpflanze vor allem in höf ischen Kreisen und unter Mediziner n sowie Biologen weitergereicht, begann man Ende des 16. Jahrhunderts, die Blätter nach indianischem Vorbild zu rauchen. Die neue Mode breitete sich schnell aus, doch es gab schon früh intensive Bemühungen seitens der Obrigkeit und des Klerus, diese neue Sitte zu verbieten. Nachdem die vielen Versuche, den Tabakkonsum einzudämmen, keinen Erfolg hatten, wollten die Landesherren wenigstens daran mitverdienen. So wurde Tabak besteuert – bis heute: Steuereinnahmen von jährlich mehr als vierzehn Milliarden Euro (2011 allein in Deutschland) tragen „erheblich dazu bei, die damit verbundenen sozialen und medizinischen Probleme aufrechtzuerhalten“, so Dr . Henrik Jungaberle, Suchtpräventions- und Drogenforscher an der Universität Heidelberg. Geist aus der Flasche Die Kulturgeschichte des Tabaks, den noch heute einige Völker des Amazonas als Heil- und Religionspflanze nutzen, ist auch ein Beispiel dafür, welchen Bedeutungswandel viele psychoaktive Substanzen im Laufe der Geschichte vollzogen – vom ritualisiert eingenommenen Sakrament zur weitgehend individualisier ten Genusshandlung. Am Beispiel des Opiums lässt sich das gut nachverfolgen – wie auch der Weg von der Pflanze zum isolierten, Rausch erzeugenden Wirkstoff. Der Arzt und Naturforscher Paracelsus (1493–1541) machte mit Laudanum („das Lobenswer te“), einer alkoholhaltigen Opiumtinktur, das Opium für weite Be völkerungskreise zu einem alltäglichen Medikament gegen die Beschwerden des Alltags, wie heute etwa Aspirin. Es wurde für 400 Jahre das wohl am meisten ange wendete Medikament der westlichen Welt und war vermutlich auch deshalb die erste Droge, die naturwissenschaftlich analysiert wurde. Dem Apotheker F. W. Sertürner gelang es 1804, den „Schlaf bringenden Stoff“ im Opium zu isolieren, das Morphin. Damit war zum ersten Mal in einem pflanzlichen > 7 D ROGEN GESCH I CH T E Jedes Verbot von Drogen und Alkohol setzt enorme kriminelle Energien frei > Produkt das Wirksame vom Unwirksamen getrennt. Schon 1827 begann die Dar mstädter Firma Merck mit der Massenproduktion von Morphin. Als 1841 die Hohlnadel zur Injektion erfunden wurde, war aus medizinischer Sicht das Lazarett für die Verwundeten im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) bereitet. Morphin wurde zur „Soldatenmedizin“. Unzählige Soldaten kehrten als Süchtige heim. Um den sc hmerzlindernden Effekt beizubehalten, die Suchtgefahr aber auszuschließen, wurde 1898 das „Heroin“ (im Andenken an verwundete Heroen oder Kriegshelden) aus Morphin und Essigsäure hergestellt und massenhaft vermarktet. Damit war der Geist endgültig aus der Flasche. Heroin ist bis heute eine der gefährlichsten Suchtdrogen. Nach dem EU-Jahresbericht 2012 ist in den vergangenen zehn Jahren in der EU im Dur chschnitt ein Mensch pro Stunde an einer Überdosis Opioiden gestorben. Meistens handelte es sich dabei um Heroin. Krieg gegen die Drogen Die moderne Chemie und die beginnende Industrialisierung waren die Motoren für einen grundlegenden Wandel: Aus rituell vorbereiteten Trance-Reisen wurden mit den isolierten Einzelsubstanzen endgültig pharmakologische Konsumgüter – je nach Seelenlage zum Aufputschen oder Vergessen geeignet. 1860 gelang Albert Niemann die Isolierung von Kokain aus der Kokapflanze. Damit w ar es nic ht mehr weit zu den „R oaring Twenties“, als sich Boheme und Halb welt in Paris und Berlin mit dem „Schnee“ in ein hysterisches Nachtleben stürzten. Im Laufe des 20. Jahr hunderts entstanden mehrere internationale Abkom- Weißes Gold: Ein Drogenhändler in Kolumbien bereitet Kokain für den Straßenverkauf vor 8 men, die weltweit die Pr oduktion von Morphin und Kokain einschränken sollten. Mit dem Inter nationalen Opiumabkommen von 1912 wollten die Länder des Völkerbunds erstmals weltweit die Pr oduktion von Mor phin und Kokain kontrollieren. Bis dato legale, weit verbreitete und auch als Arzneimittel verwendete Substanzen wurden für illegal er klärt. Mehrere Verträge folgten, bis 1961 mit dem Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel (Single Convention on Narcotic Drugs) ein völkerrechtlich bindender Vertrag für über 180 Staaten entstand, der namentlich Mohn-, Koka- und Cannabispflanzen – sowie daraus hergestellte Rohstoffe und einige Derivate – stark kontrolliert und jeden nicht medizinischen Gebrauch verbietet. Doch die Einteilung in legale und illegale Drogen ist umstritten. Wie bereits Kleiner Aufwand, großer Ertrag: Bauern mischen Natron unter die Kokablätter, die so unter der Sonne besser Kokain ausschwitzen können DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: ALVARO YBARRA ZAVALA / EDIT BY GET T Y IMAGES, TIM GRAHAM / PHOTONICA WORLD / GET T Y IMAGES, EYE UBIQUITOUS / HUTCHINSON / GLOW IMAGES bei den früheren Prohibitionsbestrebungen (Alkohol: USA, 1919–1933; Opium: China, 19. Jahrhundert) werden enorme wirtschaftliche und kriminelle Energien freigesetzt, um die Verbote zu umgehen. Mit dem Schmuggel von Drogen lässt sich glänzend Geld verdienen, wie im 19. Jahrhundert bereits die britische East-India Company in Indien und China er fahren hatte. Mit dem Opiumschmuggel in das abgeschottete China versuchte die Handelsgesellschaft, das britische Außenhandelsdefizit aus dem Teehandel mit China auszugleichen. China, das sich gegen diese Überschwemmung mit Rauschgift nicht wehren konnte, wurde in den beiden Opiumkriegen (1839–1842 und 1856– 1860) zur Öffnung seiner Märkte und zur Duldung des Opiumhandels gezwungen. Bis heute verdienen viele Menschen sehr viel Geld mit illegalem Dr ogenanbau und -handel. Die Politik der weltweiten Drogenprohibition, der „War on Drugs“, den der ehemalige US-Präsident Richard Nixon einst ausrief, ist gescheitert. Das gibt die W eltkommission für Drogenpolitik in ihrem Bericht 2011 zu. Drogenkartelle sind Teil der weltweit organisierten Kriminalität: mit Geldwäsche, Waffen- und Menschenhandel. Und erfolgreicher als je zuvor. Hase-und-Igel-Spiel Das Drogenrad dreht sich immer schneller. Jede Woche wird in der EU eine neue Droge auf den Mar kt gebracht, sagt die EU-Drogenbeobachtungsstelle in ihrem Jahresbericht 2011. Es ist ein Hase-undIgel-Spiel, das sich hauptsächlich um die „Legal Drugs“ dreht – psychoaktiv wirken- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Zeremonie: Hindus in Rajasthan/Nordindien bereiten sich auf eine virtuelle Reise vor. Alles ist angerichtet für die Fahrt mit dem „Opium-Vehikel“ de Designer-Substanzen, die als Fertigprodukte verkauft werden. Sie enthalten synthetische Cannabinoide und Cat hinone (Abkömmlinge aus Cannabis- und K athInhaltsstoffen). Damit unterlaufen sie das Betäubungsmittelgesetz (BTM), weil sie nicht explizit verboten sind. Sobald sie mit einer Verzögerung ins BTM aufgenommen und dadurch verboten werden, entstehen neue Abwandlungen, für die das BTM (noch) nicht gilt. Unter diesen Substanzen befinden sich „Badesalze“ (siehe auch S. 23), amphetaminartige Stoffe wie Mephedron und Bupropion, aber auch die Cathinone in Kräutermischungen wie Spice und K2. Cecilia Malmstr öm, Mitglied der EU-Kommission, sagt: „Stimulanzien und synthetische Drogen spielen für die europäische Drogensituation eine zentrale Rolle, da sie einen sic h schnell verän- dernden, unbeständigen und schwer zu kontrollierenden Markt schaffen.“ Dazu kommen die sc hon länger bekannten Aufputscher und Halluzinogene Ecstasy, LSD, GHB (K.-O.-Tropfen), Crack Cocaine, Crystal Meth, Desomorphin (Krok) – eine Hydra, der mit jedem abgeschlagenen Kopf zwei neue w achsen. Immer mehr setzt sich deshalb bei Drogenexperten die Erkenntnis durch, dass diese Entwicklung mit strafrechtlichen Maßnahmen allein nicht zu stoppen ist. N eben Aufklärung über W irkung und aktive Beschäftigung mit den am stärksten durch Drogenmissbrauch gefährdeten Gruppen sehen viele heute einen Ausweg aus dem Elend und der Kriminalität in einer Loc kerung der strengen Verbote – etwa für Drogen wie Cannabis. Regina Naumann 9 AL KOHOL GESCH I CH T E Arbeit im Weinberg, Straßburg, Frankreich (1519): Von der Lese bis zum Fass war Weinherstellung Handarbeit I m jungsteinzeitlichen China steht ein Cocktail aus Wein, Met und Reisbier auf der Speisekarte. Die Menschen, die ab 7.000 v. Chr. am Gelben Fluss siedeln, vergären dafür Säfte von Weinbeeren und Weißdorn mit Honig und Reis. Dieses Gebräu, mit seinen zehn Prozent Alkoholgehalt, gilt derzeit als das älteste von Menschen hergestellte alkoholische Getränk. Rekonstruiert hat den neolithischen Cocktail der amerikanische Molekulararchäologe Patrick McGovern. Er untersuchte Spuren in keramischen Getränkebehältern, die bei Ausg rabungen in Jiahu, einer steinzeitlic hen Ausgrabungsstätte in der chinesischen Provinz Henan, entdeckt wurden. Durch komplexe Nachweisverfahren entschlüsselte er die Zusammensetzung des vorzeitlichen Tranks: „Uncorking the Past“, wie er sein Buch nennt. Verfeinerung der Rohstoffe Vom biblischen Weinstock zur Branntweinplage Menschen stellen seit vorgeschichtlicher Zeit Getränke her, die den TRINKALKOHOL ETHANOL enthalten. Dabei gibt es immer wieder Wechselwirkungen zwischen sozialer, ökonomischer und technischer Entwicklung. 10 Zur Vorbereitung des Gär prozesses brachen die Menschen die Stärke der Getreidekörner durch Zerkauen auf. Dabei spalten Amylasen des Speichels die langkettigen Polysaccharide in kurzkettigen Zucker. Aus heutiger Sicht ein rohes Verfahren, doch wichtig für die Kulturgeschichte alkoholischer Getränke. Denn nicht der Konsum von Ethanol war vor 9.000 Jahren das Phänomen, sondern seine gezielte Her stellung. Als natürlich vorkommendes Rauschmittel ist Alkohol älter als die Gesc hichte des modernen Menschen: Bis heute schätzen viele Tiere die berauschende Wirkung von überreifem, vergorenem Obst, DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: ACTION PRESS/ULLSTEIN, AKG / SCIENCE PHOTO LIBRARY, J. ZHANG UND Z. ZHANG, INSTITUTE OF CULTURAL RELICS AND ARCHAEOLOGY OF HENAN dessen Zucker von wilden Hefen umgewandelt worden ist. Die gezielte Her stellung alkoholischer Getränke fällt mit der Entwicklung der Landwirtschaft in der neolithischen Revolution zusammen. Insbesondere die frühen Hochkulturen verbesserten stetig die Methoden von Acker-, Obst- und Weinbau, wodurch mehr Ausgangsmaterial für Alkoholika zur Verfügung stand. Gleichzeitig verfeinerten Winzer und Brauer die Auswahl der Rohstoffe, Gärverfahren und nac hgeschalteten Prozesse wie Brennen und Lagerung. Die alkoholische Gärung dürfte zufällig und durch Beobachtung entdeckt worden sein. Aus fermentiertem Getreidebrei entstand ein Vorläufer des Bieres, aus gärenden Früchten wurden weinartige Produkte. Damit ließ sich die physiologische und psychologische Wirkung des Rauschmittels Alkohol jederzeit abrufen. Eine der Wurzeln der Bierherstellung liegt in Mesopotamien, wo sich im zweiten vorchristlichen Jahrtausend ein großes Angebot an Biersorten etabliert hatte. In weiten Teilen Mitteleuropas war Bier bis zum 17. Jahrhundert eines der wichtigsten Nahrungsmittel. Der Kulturwissenschaftler Wolfgang Schivelbusch verbindet sogar die massigen Körper nordeuropäischer Gemälde des 17. Jahrhunderts mit der von Bier und Biersuppen geprägten Küche. Zu dieser Zeit galt bereits die Bayerische Landesordnung von 1516, die ausschließlich Wasser, Malz, Hefe und Hopfen als Rohstoffe für die Bierproduktion zuließ. Bekannt wurde die Vorschrift als „Reinheitsgebot“ (siehe auch Drägerheft 391; S. 18–21). DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Feste-Reste: In steinzeitlichen Keramikkrügen aus China entdeckte der amerikanische Molekulararchäologe Patrick McGovern Spuren, anhand derer er die Herstellung von alkoholischen Getränken rekonstruieren konnte Auch die Gewinnung von Wein aus Trauben entwickelte sich früh zu einer komplexen Kulturtechnik. Der br itische Weinexperte Oz Clar ke schreibt, dass sich im dritten Jahrtausend vor Christus der Weinbau in Ägypten so weit ausgedehnt hatte, dass K enner ähnliche Unterschiede zwischen den Qualitäten machten, wie es heute der F all ist. Von der frühen Bedeutung des W einbaus zeugt nicht zuletzt die Weinmetaphorik in biblischen Texten. Alkohol im Tank Um höher konzentrierte Alkoholika herzustellen, muss das Et hanol aus dem Ausgangsprodukt destilliert werden. Das wurde um das Jahr 1000 durch den Alambic, ein Gefäß zur Trennung von Stoffen, möglich, nach dessen Prinzip bis heute Brennblasen für hochwertige Branntweine arbeiten. Neben Maischen aus Getreide und Früchten kommen seit der Neuzeit auch Kartoffeln (Wodka) und Zuckerrohr (Rum) zum Einsatz. Mit dem Alambic begann eine Reihe technischer Innovationen rund um alkoholische Getränke, zu der auc h die Flaschengärung von Champagner (17. Jahrhundert), der Weinkorken (18. Jahrhundert), Kältemaschinen für die Bierbrauerei und kontinuierliche Brennverfahren für Spirituosen (beide 19. Jahrhundert) gehören. 1889 trug Johann Heinrich Dräger mit seinem LubecaVentil für das sic here Zapfen von Bier aus einer Kohlensäure-Hochdruckanlage ebenfalls zu dieser Entwicklung bei. Die Industrialisierung der Herstellung, Lagerung und Distr ibution von alkoholischen Getränken sorgte für gleichbleibende Qualität und geringere Preise. Gerade der billige (aus Kartoffeln gewonnene) Branntwein wurde allerdings für den „Elendsalk oholismus“ verantwortlich gemacht. Der Beg riff be schreibt den Alk oholmissbrauch insbesondere durch Gruppen unterer Bevölkerungsschichten. Heute spielt in industr iellem Maßstab hergestelltes Et hanol aus landwirtschaftlichen Produkten als Ener gieträger eine immer wichtigere Rolle, etwa in den Kraf tfahrzeugtreibstoffen E10 (zehn Prozent Ethanol) und E85 (85 Prozent Ethanol). Der Biotreibstoff der zweiten Generation wird dabei nicht mehr aus denselben Quellen gewonnen wie Trinkalkohol, sondern vor allem aus Zellulosefasern. Peter Thomas Buchtipp: „Uncorking the Past – The Quest for Wine, Beer, and Other Alcoholic Beverages“ / University of California Press, 348 Seiten 11 KON SUM V ERH ALT EN Flügel der Seele W enn mittags die Kids in Los Angeles nach einer heißen Ecstasy-Nacht nach Hause gehen, beginnt der neue T ag in China mit koffeinhaltigen Getränken. Millionen Tassen Kaffee, Tee und Cola, aber auch Zigaretten und Am phetaminpillen begleiten die Menschen auf der ganzen Welt durch ihren Alltag. In WestAfrika diskutiert man in Schwaden aus Haschischrauch die T agesereignisse, und in Europa werden zum Feierabend Millionen Bierflaschen geöffnet. Wenige Kulturen kommen ohne die berauschenden, bewusstseinserweiternden oder stimulier enden Erfahrungen von Drogen aus: „Der Rausch gehört wie Essen, Trinken und Sex zu den fundamentalen Bedürfnissen des Menschen.“ Wolfgang Nešković, ein ehemalige Richter am Bundesgerichtshof, sagte das, als er sic h für einen liberaleren Umgang mit Cannabis einsetzte (siehe auch S. 66 –67). „Ein menschliches Phänomen ist auc h, den Konsum von Rausch- und Genussmitteln zu ritualisieren, ihm eine sichtbare Bedeu- New York City, USA: Für Lara ist Ecstasy das Mittel der Wahl, unter großer Auswahl 12 tung zu verleihen und damit die eigene Identität und soziale Stellung zu kommunizieren“, weiß Dr. Henrik Jungaberle, Suchtpräventions- und Dr ogenforscher an der Universität Heidelberg. Rituale strukturieren den Drogenkonsum Hochritualisierte, religiöse Formen des Drogenkonsums finden sich vor allem in Mittel- und Südamer ika, Südostasien und Ozeanien. Dort spielen Pflanzen mit psychoaktiven Substanzen bei Schamanen und spirituellen Heilern eine wichtige Rolle (siehe auch S. 6–9). Teonanacatl-Pilze, Peyote-Kakteen oder Stechapfel sind nur einige „Flügel der Seele“, mit denen die Indianer Mittel- und Südamerikas in spir ituellen Sitzungen ver suchen, in das Reich der Götter, Geister und Ahnen vorzudringen. Viele Drogen sind Teil des Alltags, wie etwa das Trinken von Kawa (Rauschpfeffer) in vielen K ulturen des Südpazifiks und das Kauen von Kokablättern, etwa in Bolivien. Der Kawatrunk ist ein Ritual, Lake Eyasi, Tansania, Afrika: Junge Männer lassen eine Haschischpfeife kreisen um freundschaftliche Beziehungen herzustellen, und die Kokablätter erleichtern den Coqueros, den Koka-Kauern, ihren Alltag. Diese Art des Drogenkonsums ist fest in der jeweiligen Kultur verwurzelt. Stimulierende Drogen wie K affee, Tee oder Tabak sind rituelle Begleiter von Geselligkeit, Muße und Gastfreundschaft. Vor allem in den islamisch geprägten Ländern spielen sie wegen der weitgehenden Abstinenz von Alkohol – zusammen mit Cannabis und Kathblättern – eine wichtige Rolle im sozialen Aust ausch. Doch Rituale können sich ändern, vor allem in den Industriestaaten. „In unserer pluralistischen Gesellschaft entstehen immer neue Rituale – solche, die schützen oder zum Konsum animieren. Oft werden sie in den Medien vorgelebt“, hat Dr ogenforscher Jungaberle beobachtet. Wie der Sonnenuntergang am S trand, der mit bestimmten alkoholischen Getränken genossen wird, oder stark ritualisierte Technopartys in Industrietempeln mit eigenem Jargon, eigener Musik und Drogenkonsum. Auf der ander en Seite ent- Nuku‘alofa, Tonga-Inseln: Aus Wurzeln bereiten Frauen euphorisierenden Kawa DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: CARLOS VILLALON / REDUX / LAIF, CHINAFOTOPRESS / LAIF, ULLSTEIN BILD-IMAGEBROKER.NET / ULRICH DOERING, PICTURE ALLIANCE, SCOT T HOUSTON / SYGMA / CORBIS Ist der Mensch überhaupt vorstellbar ohne Drogen? Fast immer begleiten ihn zu jeder Zeit und in jedem Land SUBSTANZEN, die sein Denken, Fühlen und Handeln verändern. El Alto, Bolivien: Ein alter Mann stärkt sich mit den Blättern des Kokastrauchs – wie seine Vorfahren stehen neue Rituale des Fastens und der Drogenabstinenz, nicht nur in christlich geprägten Kreisen. Alkohol hat seit r und 9.000 Jahr en einen beispiellosen Siegeszug dur ch die ganze Welt hinter sich. Abstinente Kulturen haben es angesichts der Globalisierung schwer, sich gegen das Eindr ingen des Alkohols zu behaupten. Und eine Kultur, in der Alkohol einmal etabliert war, kann ihn erfahrungsgemäß nicht wieder restlos Linhuan, China: Bangbangcha-Tee ist eine der beliebtesten Alltagsdrogen in Asien DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL abschaffen. Spektakuläre Verbote wie die Prohibition in den USA von 1 919 bis 1933 konnten nicht durchgehalten werden und waren ein wichtiger Baustein beim Aufbau der organisierten Drogenkriminalität. Von verboten bis freizügig: Begründen lässt sich beides In weiten Teilen der islamischen Welt gilt ein aus dem Koran abgeleitetes Alkoholverbot. Zwar steht in den entsprechenden Versen nicht der Begriff „haram“ (verboten) – und eine Minderheit der muslimischen Geistlichen ist der Auffassung, nur ein Übermaß an Wein sei verboten –, doch hat sich diese liberaler e Ansicht nicht durchgesetzt. Genetisch bedingt vertragen Ostasiaten, Aborigines und die indigenen Völker Amerikas Alkohol schlechter als die meisten Europäer. Sie ver fügen häufig nur über geringe Mengen des Enzyms Alk oholdehydrogenase, mit dem Alkohol in der Leber abgebaut wird, und spüren deshalb die Wirkungen schneller. Auch deshalb hatten die Eroberer in Amerika und Ozeanien leichtes Spiel, mit dem F euerwasser die indigenen Kulturen zu zerstören. Als uraltes Rausch- und Genussmittel ist Alkohol in den meisten K ulturen ein zentrales Element von Zer emonien, mit denen große und kleine Ü bergänge im Leben begangen werden. Das geht vom Ende des Arbeitstags, an dem die „Happy Hour“ lockt, bis zum Ende der Schulzeit mit dem Trinkgelage unter Abiturienten. Bei den Mestizen in Peru ist Maisbier ein ständiger Begleiter zu unterschiedlichen Ereignissen wie der T aufe, dem ersten Haarschnitt bei Jungen oder Ohrlochstechen bei Mädchen. In anderen Kulturen wiederum stärkt man sich mit Alkohol für den Arbeitstag: in der Normandie, wo man auf einen Cal vados in die Bar einkehrt, oder in Peru, wo Alkohol vor körperlich schweren Arbeiten konsumiert wird. In einem Punkt sind sic h allerdings alle Kulturen einig: Der einsame Alkoholgenuss zu Hause ist ver dächtig und entsprechend verpönt. Regina Naumann 13 Jahrzehntelanger Fortschritt: 1953 kam der erste Dräger Alcotest mit Prüfröhrchen auf den Markt. Heute sind schnelle und präzise Messgeräte Stand der Technik, die mit elektrochemischen Sensoren arbeiten Puste, wer solle Alkohol im Straßenverkehr ist gefährlich. Jahrzehntelang fehlte ein Messverfahren, um den GRAD DER INTOXIKATION schnell und sicher zu bestimmen. 1953 setzte Dräger mit dem „Alcotest“Röhrchen Maßstäbe. Heute werden Atemalkoholmessungen sogar vor Gericht anerkannt. P usten, ablesen, fertig: Als Dräger 1953 das Alco test-Röhrchen auf den Markt bringt, lässt sich erstmals mit einem einfachen Atemtest feststellen, ob ein Kraftfahrer unter Einfluss von Alkohol steht. Durch die kontinuierliche Forschung zur Atemalkoholmessung hat das Lübec ker Unternehmen seither verschiedene andere Methoden auf dem Markt etabliert, die auf elektronischen Sensorsystemen basieren – bis hin zum gerichtsverwertbaren Messer- 14 gebnis, um etwa in Deutschland eine Ordnungswidrigkeit nach Paragraf 24a Straßenverkehrsgesetz zu belegen. „Hierfür besitzt derzeit ausschließlich das Dräger Alcotest 7110 Evidential MK III eine Bauartzulassung durch die PhysikalischTechnische Bundesanstalt“, sagt Dr. Jürgen Sohège, Produktmanager bei Dräger. Dahingegen dient der er ste Alcotest mit Dräger-Röhrchen (und Volumenkontrolle durch einen Folienbeutel) bis heute vor allem als Vortest, um bei Verkehrskon- trollen festzustellen, ob eine Int oxikation vorliegt. In den Röhrchen befinden sich Schwefelsäure und gelbes K aliumdichromat. Diese Grundstoffe reagieren zu Acetaldehyd und dreiwertigem grünem Chrom, wenn beim Test der Trinkalkohol Ethanol mit der ausgeatmeten Luft durch das Röhrchen strömt. An der Intensit ät und Ausdehnung der Verfärbung lässt sich die Ethanolkonzentration ablesen. Wenn der Vortest eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat (absolute Fahruntüchtigkeit am DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL P IO NIER FOTOS: DRÄGERWERK AG & CO. KGAA D R ÄGE R- A LCOT EST Steuer) erwarten lässt, wird eine weitere Bestätigungsanalyse angefordert. Die Entwicklung des Röhrchens ist ein klassisches Beispiel für weitsic htigen Wissenstransfer aus einer ander en Anwendung. Denn das Know-how stammt aus der Gasmesstechnik, in der Dräger seit den 1930er-Jahren weltweit Maßstäbe setzt, sagt der promovierte Elektrochemiker Sohège. Die Idee zu dem neuen Nachweisverfahren hatten die Dräger Inge nieure am Morgen nac h einer Betriebsfeier. Das Messver fahren kam zur rechten Zeit, denn mit der Massenmotorisierung stieg nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Zahl der unter Alk oholeinfluss verursachten Verkehrsunfälle drastisch. Das spiegelt sich in der Rechtsprechung wider. So wird ebenfalls 1953 für die Bundesrepublik Deutschland eine Blutalkoholkonzentration von 1,5 Promil- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL le als Grenzwert für die absolute F ahruntüchtigkeit festgelegt. Ähnliche Grenzwerte etablierten sich auch andernorts. Das Problem des Fahrens unter Alkoholeinfluss ist inter national – ebenso wie der Markt für Drägers Alcotest. In vielen Ländern wird der Name zum Synonym für Alkoholnachweisverfahren. Von Intoxikation und Dampfmaschinen Das Problem mit Alkoholsündern im Straßenverkehr ist Mitte des 20. Jahr hunderts nicht neu, und es hängt auch nicht ursächlich mit dem Aut omobilverkehr zusammen. So ist das Aut omobil noch gar nicht erfunden, als das britische Parlament Alkohol am Steuer erstmals unter Strafe stellt. 1872 wird in Westminster ein „Licensing Act“ verabschiedet, mit dem die Gefährdung der Allgemeinheit durch alkoholisierte Fahrzeugführer eingedämmt werden soll. Bis das er ste Exemplar des 1886 von Daimler und Benz erfundenen Motorwagens nach England kommt, dauert es zwar noch bis ins Jahr 1894, doch schon um 1870 gibt der dichte Verkehr im industrialisierten Großbritannien Anlass genug für ein Verbot, „betrunken auf einer Straße oder im öffentlichen Raum ein Fuhrwerk, ein Pferd, Rind oder eine Dampfmaschine zu führen“. Durchschlagenden Erfolg hat der „Licensing Act“ von 1872 nicht. Das Problem begleitet seither die Mobilitätsgeschichte und wird überall auf der W elt durch Verbote, Kontrollen und Prävention bekämpft. Aber was genau heißt eigentlic h „betrunken“? Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts fehlt den Or dnungshütern ein schnelles und zuverlässiges Verfahren, um bei einer V erkehrskontrolle > 15 1938 1953 1953 Das amerikanische „Drunkometer“ arbeitet mit Der Klassiker: Drägers einem nasschemischen Nachweisverfahren Alcotest-Prüfröhrchen Seit den 1920er- und 1930er-Jahren ist der Zusammenhang von Blut- und Atemalkoholgehalt belegt Borkenstein (links) und sein „Breathalyzer“ des Alkohols mit der Exspirationsluf t“). Liljestrand und Linde belegen den Zusammenhang zwischen Exspirationsluft und Blutalkoholkonzentration. Sie gehen noch davon aus, dass der Grund ausschließlich im Gasaustausch zwischen Luft und Blut in der Lunge liegt. Später wir d jedoch die Diffusion von Alkohol im gesamten Atemtrakt als Basis für das Verhältnis von BAC und der A temalkoholkonzentration (Breath Alcohol Content, BrAC) erkannt. Dräger-Röhrchen bieten ersten Schnelltest > den Grad der Intoxikation eines Fahrers bestimmen zu können. Die tatsächliche Einschränkung des Reaktionsvermögens durch die Wirkung von Alkohol ist nur schwer zu messen, st attdessen kann die Blutalkoholkonzentration (Blood Alcohol Content, BAC) oder die Alkoholmenge im Urin bestimmt werden. Doch bei alltäglichen Verkehrskontrollen lassen sich diese mitunter aufwendigen Verfahren kaum in großem Maßstab durchführen. „In den 1920er- und 1930er-Jahren wurde dann wissensc haftlich belegt, dass sich die Blut alkoholkonzentration über den A tem bestimmen lässt“, sagt Dr. Sohège. Der amerikanische Arzt Emil Bogen schlägt 1927 vor, die exspiratorische Atmung zum Nachweis der BAC zu nutzen. Als maßgeblich gelten die Studien der schwedischen Pharmakologen Göran Liljestrand und Paul Linde, die sie 1930 veröffentlichen („Über die Ausscheidung 16 1978 Die schwedischen Wissenschaftler schlussfolgern, dass „zwei Liter Ausatemluft (bei 34 Grad Celsius) etwa so viel Alkohol enthalten wie ein Kubikzentimeter Blut“. Als durchschnittliches Verhältnis der gemessenen Werte von Blutund Atemalkoholkonzentration (Blood Breath Ratio, BBR) wird in den meisten Ländern der Faktor 2.100 verwendet. Weil die Streubreite der BBR abhängig von verschiedenen Rahmenbedingungen aber zwischen 2.000 und 2.300 liegt, ist eine direkte Konvertierung von gemessenen Werten in die jeweils andere Einheit bei einem gerichtsverwertbaren Test nicht üblich. Vielmehr haben sich eigenständige Grenzwerte für Atem- und Blutalkoholtests etabliert, die unabhängig voneinander gelten. So heißt es in Deutschland im Paragraf 24a des Straßenverkehrsgesetzes: „Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- Prototyp „Alcytron“: erstes Messgerät mit infrarot-optischem Sensor oder Blutalkoholkonzentration führt.“ Die BAC wird in den meisten Ländern in Milligramm Ethanol je Kilogramm Blut oder je Liter Blut angegeben („Pr omille“), die BrAC in Milligramm Ethanol je Liter ausgeatmeter Luft. Der erste Ansatz, die Er kenntnisse über den Zusammenhang von B AC und BrAC für die Kontrolle von Verkehrsteilnehmern zu nutzen, ist das 1 938 in den USA von Rolla N. Harger entwickelte „Drunkometer“, das mit einem nasschemischen Verfahren arbeitet. „Das war eher ein transpor tables Chemielabor als ein mobiles T estgerät“, sagt Dr. Sohège. Als Dräger seine Alco testRöhrchen 1953 auf den Markt bringt, folgt in Nordamerika der von R obert F. Borkenstein entwickelte „Breathalyzer“, der die BrAC mit einer chemischen Reaktion misst, die elektrisch ausgewertet wird. Später übernimmt Dräger Herstellung und Vertrieb des Breathalyzers. Doch die Dräger-Röhrchen sind der erste Alkoholtest, der regelmäßig operativ im Straßenverkehr eingesetzt wird, um eine objektive Einschätzung der BrAC zu erhalten. „Polizei und Verkehrsbehörden wissen seit den 1950er-Jahren, dass für eine zuverlässige Prävention eine möglichst schnelle Messung vor Or t notwendig ist“, sagt Dr. Sohège. Entsprechend schnell setzen sich die T eströhrchen durch. Und sie werden nicht nur von den Ordnungshütern akzeptiert, sondern wegen der gut nachvollziehbaren Anzeige auch von den kontrollierten Kraftfahrern. Neben Deutschland gehören Großbritannien, Schweden und Australien zu den Märkten der ersten Stunde. DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL D R ÄGE R- A LCOT EST P IO NIER 1980 Dräger übernahm von Smith & Wesson die Produktion des „Breathalyzer“ Auf diesem Er folg ruht man sic h in Lübeck aber nicht aus. Denn die DrägerExperten wissen, dass die Ansprüc he an die Alkoholanalytik kontinuierlich steigen. „Es gab bald eine F orderung nach schnelleren, genaueren – und damit auch gerichtsverwertbaren – Ergebnissen“, sagt Dr. Sohège. Aus kriminologischer Sicht sei der Atemtest sowieso das direktere Verfahren. Denn der von der Diffusion aus arteriellem Blut abhängige Atemalkohol gibt die Konzentration des auf die Arterien des Gehirns wirkenden Alkohols direkter wieder als der Blutalkohol, der aus venösem Vollblut oder dessen Serum mit Verfahren wie der Gaschromatografie oder Alkoholdehydrogenase bestimmt wird. INFRAROT-OPTISCHER SENSOR Schematisches Messprinzip Lampe Fenster Fenster Spektrallinien Gas Interferenzfilter Detektor Infrarotspektrum Die Messtechnik der Zukunft basiert auf Elektronik Messsystem Kolben Elektrochemischer Sensor Elektro-Pumpenmotor Probenahme-Kammer Infrarot oder elektrochemischer Sensor: Die beiden gängigen Messverfahren zur Bestimmung der Atemalkoholkonzentration beruhen auf unterschiedlichen Prinzipien. Während der infrarot-optische Sensor die Absorption von Licht durch Ethanol misst, entsteht das Signal des elektrochemischen Sensors durch die Oxidation der Moleküle an einer Katalysatorschicht DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: DRÄGERWERK AG & CO. KGAA, CORBIS (1), INDIANA UNIVERSIT Y (1) ELEKTROCHEMISCHER SENSOR Die neuen Geräte für den A temalkoholtest, die Dräger in den 1 970er- und 1980er-Jahren entwickelt, arbeiten mit elektrischen und elektronischen Systemen. „Bei der Entwicklung dieser neuen Technik nutzen wir konsequent die Möglichkeiten, die miniaturisierte Sensoren der jeweils aktuellen Genera tion bieten“, sagt Dr . Sohège. T echnische Impulse kommen dabei wieder aus dem Bereich der Messung gefährlicher Gase. Wohin der Weg geht, zeigt Dräger bereits 1978 mit dem „Alcytron“, einem Prototyp mit infrar ot-optischem Sensor. Bei diesem Verfahren sendet eine Lichtquelle infrarote Strahlung einer bestimmten Wellenlänge aus, die durch eine Messkammer geleitet und anschließend von einer Fotozelle gemessen wird. Befindet sich das zu detektierende Gas > 17 1982 1988 Alcotest 7010 mit infrarotoptischem Sensor Elektrochemischer Sensor: Alcotest 7410 Moderne Elektrotechnik ist der Schlüssel zur gerichtsverwertbaren Messung von Atemalkohol > in der Kammer, absorbiert es einen Teil der Strahlung, was die Signalstärke der Fotozelle reduziert. Daraus lässt sich die Gaskonzentration errechnen. Vier Jahre später kommt der Alcotest 7010 auf den Markt, der ausschließlich stationär eingesetzt wird. Parallel zur Infrarottechnik führt Dräger einen Halbleitersensor auf Basis von Zinndioxid ein. Mit dieser Messzelle wird der mobile Alcotest 7310 ausgerüstet, der 1980 auf den Mar kt kommt. Nun lässt sich bei Kontrollen der gemessene Wert wenige Sekunden nach der Probenahme von der digitalen Anzeige ablesen. Bald setzen elektrochemische Sensoren neue Maßstäbe für schnelle und exakte BrACKontrollen. In diesen Geräten wir d die Messkammer mit einem genau definierten Luftvolumen beschickt. In der K ammer oxidiert das in der Luf t enthaltene Ethanol elektrochemisch an der k ataly- 18 1998 2003 Gerichtsverwertbare Messung mit dem Alcotest 7110 Evidential tisch wirksamen Schicht der Messelektrode und erzeugt dabei einen Strom, der als Signal für die Ber echnung des Messwerts dient. Dieser elektrochemische Sensor reagiert sehr spezifisch auf Alkohol, sodass ebenfalls in der Atemluft vorkommende Ketone wie Aceton das Ergebnis nicht verfälschen können. Seine Premiere erlebt der Sensor 1988 im Alcotest 7410. Mit elektrochemischem Sensor und Infrarottechnik hat Dräger um 1990 die beiden Verfahren etabliert, die in den kommenden Jahren den Grundstein für eine Innovationsgeschichte legen. Aus dem ersten Alcotest 7410 entwickelt man eine ganze Familie von Geräten bis hin zum 7410 Plus com mit digit aler Volltextanzeige und elektronischem Datenaustausch. „Die in der jeweiligen Landessprache ausgegebenen Ergebnisse mac hen die Messung für alle Be teiligten intuitiv nachvollziehbar“, sagt Dr. Jürgen Sohège. Längst sind Messgeräte mit elektrochemischem Sensor Standard für Vortests geworden. In Deutschland hat heute so gut wie jeder Streifenwagen der Polizei ein elektronisches Alkoholmessgerät an Bord. Den aktuellen Stand der Dräger-Vortestgeräte markieren der 2004 vorgestellte Alco test 6510, der Alco test 6810 (aus dem Jahr 2005) sowie der Alcotest 7510 (2008). Aber auch mit der Infrar ottechnik geht es voran: 1 985 erscheint der Dräger Alcotest 7110 mit einem besonder s selektiv auf Alkohol ansprechenden Infrarotsensor. Die dr itte Generation dieses Geräts (1994) bietet auf Wunsch die Kombination mit einem elektr ochemischen Sensor. Dieses Doppelsensorsystem wird vier Jahre später im Alcotest 7110 Eviden- Atemalkoholbasierte Wegfahrsperre: Interlock tial zur Serienausstattung und schafft die Basis für eine ger ichtsverwertbare Atemalkoholkontrolle. „Das ist ein absoluter Meilenstein, denn das Gerät liefert durch seine redundante Auslegung besonders sichere Ergebnisse, die in ihr er Evidenz der Blutprobe gleichgestellt werden“, sagt Dr. Sohège. Die Leistungsf ähigkeit der Technik bestätigt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), die den Alcotest 7110 Evidential MK III als er stes Atemalkoholmessgerät mit ger ichtsverwertbaren Ergebnissen zulässt. Mit einem ähnlichen Doppelsensorsystem arbeitet auch das 2007 vorgestellte Evidential-Messgerät Alcotest 9510, das gleichermaßen stationär wie mobil eingesetzt werden kann. Paradigmenwechsel in der Messstrategie Nach der Präsentation der ersten AlcotestRöhrchen im Jahre 1953 arbeitet man heute an Geräten mit weiter op timierten Reaktionszeiten für umfangreiche und hochfrequente Verkehrsprüfungen. „Das ist weltweit ein T rend für die nahe Zukunft“, sagt Dräger -Produktmanager Sohège. Außerdem soll die optische Filtertechnik weiter verbessert werden, um noch genauere Infrarotsensoren zu erhalten. Eine ganz neue Op tion könnten künftig transdermale Messungen sein, bei denen die Alk oholkonzentration des Bluts dur ch die Haut festgestellt wird (siehe auch S. 20–21). Die entsprechende Technik bietet im Gegensatz zum Atemtest und gegenüber der Blutpr obe den Vorteil einer komplett kooperationsfreien Messung. Davon würden auch Alkoholtestgeräte profitieren, die in Szenar i- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL D R ÄGE R- A LCOT EST P IO NIER 2007 Mit Touchscreen: EvidentialMessgerät Alcotest 9510 WIE SICH ALKOHOL IM KÖRPER MESSEN LÄSST Alkohol im MagenDarm-Trakt Blut / Herz Kapillarblut in den Lungenbläschen Herz Arterien der Arme Venen der Arme 1 x Entnahme von venösem Vollblut Arterien des Gehirns Lungenluft (Henry-Gesetz) 2 x Entnahme einer Atemprobe mit Lungenluft Jeweils direkte AlkoholKonzentrationsbestimmung (mg/l) in Lungenluft (Gaskonzentration) Transport Abtrennung der festen Bestandteile Blutserum Direkter Vergleich mit Grenzwert Rückrechnung von Blutserum auf Vollblut (‰) mit mittlerem Divisor 1,2 Vergleich mit Grenzwert DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Beim Trinken geht Alkohol in verschiedene Teile des Körpers über – beispielsweise Blut, Atemluft, Urin und Schweiß. Die Grafik zeigt generell die Bestimmung des maßgeblichen Alkoholwerts aus dem Blut (links) sowie der Atemluft FOTOS: DRÄGERWERK AG & CO. KGAA 4 x Alkohol-Konzentrationsbestimmung (‰) im Blutserum (Flüssigkeitskonzentration) en abseits des Straßenverkehrs eingesetzt werden – etwa in der Notfallmedizin, um Patienten auf Alkoholeinfluss zu untersuchen (siehe auch S. 56–57). Doch die Exper ten für Alkoholmessung denken über die Verbesserung bestehender Lösungen hinaus. Dabei geht es um einen Paradigmenwechsel – weg von der nachträglichen Kontrolle hin zur präventiven Messung, um das Bedienen von Fahrzeugen oder kr itischen Anlagen unter Alkoholeinfluss zu unterbinden. Dazu dient das Dräger Interlock XT. Es wird in Transportmitteln wie Bussen, Taxen und Lokomotiven eingebaut, um den Passagieren mehr Sicherheit zu bieten. Aber auch in Personenwagen, deren Fahrer durch Alkohol am Steuer auffällig geworden sind, kommen Alkohol-Interlocks zum Einsatz, um den F ahrern so die erneute Teilnahme am Straßenverkehr unter strengen Auflagen zu ermöglichen (siehe auch S. 46–49). Das er ste Dräger Interlock, das die Zündung er st nach einer negativ verlaufenen Atemkontrolle freigibt, kam 1994 auf den Markt. Ob Verkehrskontrolle, Alkohol-Interlock oder Langzeitüberwachung, ob elektrochemischer Sensor oder Infrarottechnik – jede neue Generation der Alkoholtestgeräte von Dräger setzt neue Schwerpunkte in einem Markt, der mehr Sicherheit ins Leben bringt. Dafür steht der Dräger Alcotest seit 1953, als die ersten Autofahrer eine Atemprobe in das Dräger -Röhrchen mit Messbeutel abgaben. Peter Thomas Information: Präzise Alkoholmessungen mit Dräger-Geräten www.draeger.com/392/diagnostik 19 AL KOHOLM E S SU N G NEUE V E RFAHREN Durch die Haut W enn der Alkoholgehalt dauerhaft und lüc kenlos überwacht werden soll, scheiden Zufallstests (Blut-, Atem- oder Urintests) aus. Sie sind kostspielig, benötigen mitunter medizinisches Personal und bewirken keine Verhaltensänderung bei den Delinquenten. Da bietet die Alkoholmessung in Schweiß und Hautausdünstung große Vorteile. Ein kleiner Teil von etwa fünf bis zehn Prozent des getrunkenen Alkohols wird nicht in der Leber abgebaut, sondern direkt über die Atemluft, die Haut sowie den Urin und Hautschweiß ausgeschieden. Mit nur einem Pr ozent erscheint die Ausscheidung über die Haut zw ar sehr gering, hat aber einen g roßen Vorteil: Die darüber abgegebene Alkoholmenge ist, mit einer V erzögerung von einer halben bis zu zwei S tunden, ein Abbild der Alkoholkonzentration im Körper – und damit ein leicht zugänglicher Marker für den Alkoholkonsum. Mit einem kleinen Gerät, dem SCRAM® der Firma Alcohol Monitoring Systems, das manipulationssic her am Fußgelenk befestigt wird, können die Messungen automatisch rund um die Uhr durchgeführt und die Ergebnisse über einen Sender an eine Zentrale zur Auswer- 20 tung geschickt werden. Der Delinquent hat keine Chance: Jeder Verstoß gegen die Auflagen wird sofort geahndet. Das Innenleben der Fußfessel ist technisch anspruchsvoll. „Die Alkoholmessung über die Haut funktioniert im Prinzip wie ein Atemalkoholtest – elek trochemisch mit einer Brennstoffzelle“, erklärt Dr. Jürgen Sohège, Pr oduktmanager bei Dräger. „Das Gerät nimmt halbstündlich Proben aus dem ‚Luftkissen‘ über der Haut. Im elektrochemischen Sensor wird der Alkohol in ein Stromsignal umgewandelt, das ausgewertet werden kann.“ Mehrere 10.000 dieser Geräte sind mittlerweile in den USA im Einsatz, und die Er fahrungen sind positiv: Drei von vier Verurteilten halten sich an die Bewährungsauflagen. Und es geht noch strenger: Wenn die Delinquenten in einer verschärften Version Hausarrest verordnet bekommen, der mithilfe eines GPS-Senders im Messgerät überprüft wird, halten sich sogar bis zu 90 Prozent an die Auflagen. Mit Licht in die Haut Nicht immer dient die Alk oholmessung der Verfolgung und Sanktion von alkoholbedingten Straftaten. Ein großer Bedarf könnte sich auch im Bereich der Präven- tion ergeben. Das k ann im Autoverkehr sein, wenn aus Sicherheitsgründen generell jegliche Alkoholfahrten verhindert werden sollen, aber auch im beruflichen Umfeld, wenn die Bedienung bestimmter Geräte völlige Nüchternheit erfordert. In all diesen Fällen kann man nicht unbescholtene Menschen durch das Tragen eines Alkoholdetektors stigmatisieren und einschränken. Für diesen Zwec k ist die A temalkoholkontrolle vor dem S tarten eines Fahrzeugs mit dem Inter lock-System bereits Realität (siehe auch S. 46–49). Aber auch optische Messmethoden sind denkbar, die den Alkoholgehalt durch die Haut hindurch messen, zum Beispiel am Finger. In einem br eit angelegten Forschungsverbund in den USA (Driver Alcohol Detection System for Safety; DADSS) werden optische Methoden mit Nah-Infrarotlicht (NIR) für Messgeräte in Autos erforscht. Diese elektr omagnetischen Wellen im Frequenzbereich von 0,7 bis 2,5 µm dr ingen beim Berühr en eines Sensors mit dem Finger bis zu fünf Millimeter tief in die Haut ein. Die Lic htstrahlen werden vom Gewebe reflektiert und analysiert. Aus der Lic htreflexion lässt sich die Gewebealkoholkonzentra- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: JFX IMAGES / COLOURPRESS.COM, ACTION PRESS / BAUER-GRIFFIN, BARTEE PHOTOGRAPHY / SCRAM (2) In den USA, wo es eine hohe alkoholbedingte Kriminalitätsrate gibt, sind die Vollzugsbehörden daran interessiert, Bewährungsauflagen von ALKOHOLSTRAFTÄTERN besser überwachen zu können. Dabei kommen sogar elektronische Fußfesseln zum Einsatz. Di debitem autem ipsam harciis alicipsus exeruptaqui nestrum assedic tem eos eic tem id mo diandebisque sit quam que volupta illist isitibus „Gefesselte“ US-Schauspieler: Lindsay Lohan wurde betrunken am Steuer erwischt – und musste eine Fußfessel tragen. Rechts: Andy Dick bei einer Filmpremiere in Los Angeles (2009) Die Fußfessel SCRAM überwacht kontinuierlich den Alkoholspiegel eines Delinquenten tion ermitteln – und notfalls das Starten des Autos elektronisch verhindern. Ein Tischgerät auf Basis dieser Technologie, das TruTouch® 2500 von TruTouch Technologies, steht bereits zur Verfügung. Es soll präventiv in Hochrisiko-Arbeitsbereichen eingesetzt werden, um so sicherzustellen, dass auch jeder Mitarbeiter vor Beginn der Arbeit absolut nüchtern ist. „Noch ist die N ah-Infrarot-Technologie nicht völlig ausger eift, aber sie DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL zeigt interessante Möglichkeiten für die Zukunft auf“, sagt Dr. Sohège. Auch in Deutschland beschäftigt sich ein Unternehmen in Hamburg (Der malog Identification Systems GmbH) mit der Entwicklung der transder malen Alkoholmessung auf Basis der N ah-InfrarotTechnologie. In ersten Versuchen konnte die Physikerin Clarissa Hengfoss zeigen, dass eine spektroskopische Messung des Gewebealkohols im Finger möglich ist. Fesselnde Idee Wer sündigt, wird bestraft. Doch es geht auch sanfter: mit einer Rechtsprechung, die auf Einsicht und Änderung des Verhaltens setzt. Ein Mittel dazu ist die kontinuierliche (24/7) Überwachung konformen Verhaltens durch eine Fußfessel wie dieser SCRAM (Secure Continuous Remote Alcohol Monitor). Sie misst alle 30 Minuten transdermal den über die Haut abgegebenen Alkohol und sendet diese Werte plus die der Temperaturkontrolle an einen Zentralserver – entweder direkt via integriertem Handy-Chip oder über eine Basisstation. Allerdings ist die Methode in der Praxis durch technische Probleme – wie Lichtstreuungen im Gewebe, Überschneidungen der Spektrallinien von Alk ohol mit denen von Eiweißen und F etten sowie eine unbefriedigende Kalibrierung – noch sehr aufwendig. „Wir sind in der Entwicklung schon weit gekommen, aber bis zu einem allt agstauglichen Gerät dauert es noch“, sagt Geschäftsführer Günther Mull. Regina Naumann 21 E T H AN OL Haut: teigig, aufgedunsen Nase: knollenartige Verdickung Herz: Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Herzmuskelentzündungen Bauch: Übergewicht Nerven: Störungen, Krämpfe, Zittern, Kribbeln Magen und Darm: Schleimhautentzündung (Gastritis), Funktionsstörung, Krebs Wie Alkohol schadet Mögliche Folgen eines überhöhten Konsums Gehirn: durch Absterben von Gehirnzellen abnehmend: Gedächtnis, Konzentration, Urteilsvermögen, Intelligenz – bis zum völligen geistigen Abbau Mundraum, Rachen, Speiseröhre: Krebs Leber: Verfettung, Schwellung, Leberzirrhose (Schrumpfleber), Krebs Bauchspeicheldrüse: Funktionsstörung, Entzündung (Pankreatitis) Geschlechtsorgane: Nachlassen der Libido, Impotenz Persönlichkeit: Unzuverlässigkeit, Reizbarkeit, Unruhe, übertriebene Eifersucht, vielfältige Ängste, Depression, Selbstmordgedanken Reine Nervensache Kleine Ursache, große Wirkung: Selbst geringe Mengen Alkohol können das KOORDINATIONS- UND REAKTIONSVERMÖGEN einschränken. A lkohol gehört für viele Menschen einfach dazu. Ein Glas Wein beflügelt die Gedank en, eine Runde Bier sorgt für Heiterkeit. Der leicht enthemmende Effekt eines alkoholischen Getränks (ein internationaler „Standard-Drink“ enthält zehn Gramm Ethanol) ist dabei nichts anderes als die erste Stufe eines komplexen Wirkprozesses auf das zentrale Nervensystem (ZNS): Ethanol-Moleküle lagern sich in die Proteine der Nervenzellen ein und verändern deren Funktion. Insbesondere die Ionenkanäle – zuständig für die Signalübertragung im Transmittersystem der Nerven- und Muskelzellen – werden vom Ethanol beeinflusst. Bestimmte Wege 22 der Reizübertragung werden verstärkt, die meisten jedoch gedämpft. Beispielsweise verliert das Gehirn so die Fähigkeit, gefährliche Situationen zu erkennen und richtig einzuschätzen. Eine Studie des National Institute on Alcohol A buse and Alcoholism in Maryland, USA, hat den entsprechenden Effekt auf das Gehir n mittels Magnetresonanztomografie gezeigt. Der Effekt setzt etwa zwei Minuten nach Aufnahme des er sten Getränks ein und steigert sich bei weiterem Konsum proportional zur Alkoholkonzentration im Blut – bis hin zu sc hweren Ausfallerscheinungen. Subjektiv wirkt Ethanol zunächst stimulierend, betäubend und wärmend. Höhere Dosen können zu Selbstüberschät- zung, Aggressivität sowie Minderung der Denk-, Sprach- und Sehfähigkeit führen. Schließlich treten Benommenheit und Bewusstlosigkeit auf. Die Sc hwelle zur Beeinträchtigung des Koordinations- und Reaktionsvermögens kann beim einzelnen Menschen vergleichsweise gering sein. So stellt das Institut für Arbeitssc hutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung in der GESTIS-Stoffdatenbank fest: „Die ZNS-Leistung kann bereits bei Ethanol-Blutkonzentrationen von 200 bis 300 mg/l (0,2 bis 0,3 Pr omille) beeinträchtigt sein, ab 0,6 bis 0,7 Pr omille ist sie bei der Mehrzahl der Menschen erheblich beeinflusst.“ Karussell der Sinne Manche Effekte setzen sich aus verschiedenen Symptomen zusammen. So wir d das mit der Intoxikation einhergehende Schwindelgefühl einerseits durch den neurologisch gestörten Abgleich der für das Gleichgewichtsempfinden notwendigen Sinne verursacht. Der alkoholische Lageschwindel entsteht dagegen dur ch die Diffusion von Ethanol in die sogenannte „Ampullenkuppel“ oder Cupula des Drehsinnorgans. Normalerweise haben Cupula und die sie umgebende L ymphe dasselbe spezifische Gewicht. Bei einem Alkoholspiegel von mehr als 0,3 Pr omille sinkt das spezifische Gewicht der Cupula so deutlich im Vergleich zur Lymphe, dass sie nicht nur auf Dr ehbewegungen, sondern auch auf Lageveränderungen des Kopfes reagiert. So entsteht ein Sc hwindelgefühl, das mit umgekehrtem Verhältnis auch beim Abbau des Ethanols auftreten kann. Peter Thomas DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL ILLUSTRATION: PICFOUR W IR K UN G BADESAL Z E LEG A L H IG HS Kunst-Stoffe Die Rauschgiftszene ist ständig in Bewegung – vor allem bei den SYNTHETISCHEN DROGEN kommen immer neue Stoffe auf den Markt. Rauschmittel, die als „Badesalz“ verkauft werden, breiten sich rasant aus. Ihre Wirkung erschüttert selbst erfahrene Mediziner. B adesalz, Spice, Pflanzennährstoff: Was harmlos klingt, kann lebensgefährlich sein. Neben den klassischen Rauschgiften spielen die unter Fantasienamen verkauften „Legal Highs“ eine immer g rößere Rolle im Dr ogenmarkt. Legal ist diese Gr uppe synthetischer Stoffe nur insofern, als dass es noch keine Verbote für sie gibt. In zahlreichen Ländern wird aber genau daran gearbeitet. Allerdings erinnert die Verfolgung der Kunst-Drogen an das W ettrennen zwischen Hase und Igel: Denn die Produzenten bringen neue Stoffe schneller auf den Markt, als bestehende Mischungen verboten werden. In Deutschland können Vertrieb und Konsum einer Droge erst verboten werden, wenn der entsprechende Stoff im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt wird. Außerdem werden die als Badezusatz oder Räuc hermischung deklarierten Stoffe auf den P ackungen ausdrücklich nicht für den menschlichen Konsum angeboten – das macht schnelle Verbote auch in den USA schwierig. zeigt ein ausgesprochen heterogenes Bild auf. Denn auch wenn ihre Wirkung oft jener von bekannten Rauschgiften ähnelt, unterscheiden sich die synthetischen Substanzen chemisch meist g rundsätzlich von diesen. Das gilt e twa für die synt hetischen Cannabinoide, die an die Cannabis-Rezeptoren im Gehirn andocken und die vor allem in Kräuter -Rauchmischungen enthalten sind. Synthetische Cathinone hingegen werden in sogenannten Badesalzen verkauft. Toxizität und Intensität der „Legal Highs“ betragen oft ein Vielfaches herkömmlicher Drogen, weshalb ihre psychischen und körperlichen Risi- ken die bekannten Wirkungen etablierter Rauschgifte erheblich übertreffen, mitunter sogar potenzieren können – etwa wenn die im Markt angebotenen Produkte miteinander kombiniert werden. Über die Wirkung der im „Badesalz“ enthaltenen Substanzen wie Mephedron oder Methylendioxypyrovaleron kursiert manche Horrorgeschichte. In den USA ist ein Mann laut „N ew York Times“ auf einen Mast am S traßenrand geklettert und in den Verkehr gesprungen, ein anderer sei im Rausc h in ein Kloster eingedrungen und habe einen Pr iester erstochen. Peter Thomas Die Problematik wird immer drängender: Allein im Jahr 20 12 wurden 57 neue Varianten synthetischer Drogen entdeckt, wie die europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) in ihrem Jahresbericht feststellt. Drei Jahre zuvor waren es noch 24 neue Substanzen. EBDD-Präsident Wolfgang Götz warnt deshalb vor der Konjunktur dieser Stoffe. Ein internationales Register sei dringend notwendig, um die Verbreitung psychoaktiver Substanzen besser eindämmen zu können. Ein Überblick der neuen Kunst-Stoffe DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: PICTURE ALLIANCE, STAR-MEDIA Regionale Trends Unter falscher Flagge: Mit immer neuen Substanzen versuchen Drogenproduzenten, staatliche Verbote zu umgehen. Dazu gehört auch diese mit Drogen versetzte Kräutermischung, die weder Speisen würzen soll, noch der Zubereitung einer Art von Kamillentee dient. Es geht um den Rausch – weshalb diese Proben auch im Dezernat Chemie des Landeskriminalamts in Frankfurt am Main gelandet sind 23 Die Spur des Speichels R oss Rebagliati hat im doppelten Sinn Sportgeschichte geschrieben. Der kanadische Snowboarder surfte sich bei den Ol ympischen Winterspielen 1998 im japanisc hen Nagano mit einem Sieg im Riesenslalom zum er sten olympischen Goldmedaillengewinner in dieser Disziplin. Gleic hzeitig wurde er als erster Olympionike des CannabisKonsums überführt. Er hatte Glück, da Kiffen vor dem Wettkampf damals noch nicht geahndet wurde. Rebagliati steht nach wie vor in der ewigen Siegerliste. Heute steht das Hanfge wächs Cannabis, egal ob es als gepr esstes Harz (Haschisch) oder ge trocknetes Gras (Marihuana) geraucht wird, auf der Schwarzen Liste verbotener Dopingmittel. Nicht, weil es die Leistungsg renzen des menschlichen Körpers ins Grenzenlose verschiebt, sondern weil sein W irkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) die Risikobereitschaft der Athleten erhöht. Gerade auf steilen Pisten k ann das sehr gef ährlich werden. „Wer kifft, surft riskanter!“, warnte die Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und ander e Drogenprobleme bereits im Jahr 2002 vor den berauschenden Pfeifchen. Gleichwohl, frotzeln Fans, darf eine der attraktivsten Snowboard-Disziplinen nach wie vor „Halfpipe“ heißen. Grenzwerte auch für Drogen Frisch aus dem Blister: der poröse Probensammler, bereit für den Drogentest 24 Cannabis ist die meist konsumierte „illegale“ Droge der Welt. Nach Schätzungen des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) haben im Jahr 2010 bis zu fünf Prozent aller Menschen zwischen 15 und 64 Jahr en, das entspricht jedem 25. Erdenbürger, mindestens einmal an einem Joint gezogen. Har te Drogen wie Heroin, Kokain oder Ecstasy wurden sehr viel seltener genommen (Tabelle 1). Auch im Straßenverkehr ist, abgesehen von Alkohol, keine andere Droge so häufig anzutreffen wie Cannabis, wie die 2011 vorgestellte Studie DRUID (Driving Under Influence of Drugs, Alcohol and Medicines) der deutschen Bundesanstalt für Straßenwesen zeigte. Europaweit wurden dafür fast 50.000 Autofahrer auf freier Strecke gestoppt und auf den Einf luss von Alkohol, illegalen Drogen oder Medikamenten getestet. Die Autoren der Studie empfahlen anschließend, Grenzwerte für die drogenbedingte Fahruntüchtigkeit einzuführen. So wie beim Alkohol. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn beim Alkohol gibt es nic ht nur etablierte Grenzwerte, sondern auch mo bile und einf ach anzuwendende Atem alkoholkontrollen, die ger ichtlich verwertbare Analysen direkt vor Ort ermöglichen (siehe auch S. 14–19). Bei Drogenkontrollen hingegen werden zum Beispiel von deutschen Polizisten – im Fall von verdächtigen Autofahrern – aufwendige Blutproben angeordnet. Im Vergleich dazu sind Urinproben nur „bedingt aussagekräftig“. In den USA wir d indes der Ruf nach neuen Testverfahren lauter. „Unsere Polizisten brauchen eine Technologie, die es ähnlich wie atembasierte Kontrollgeräte beim Alkohol erlauben, die Fahruntüchtigkeit bei Drogenkonsum direkt vor Ort festzustellen“, mahnte US- Senator Charles Schumer im Januar 20 12. „Also bevor diese Fahrer und Fahrerinnen einen irreparablen Schaden verursachen können.“ DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: DRÄGERWERK AG & CO. KGAA Herkömmliche Blut- und Urintests sind aufwendig, mitunter irreführend, wenn es darum geht, Drogensündern im Straßenverkehr auf die Schliche zu kommen. In Belgien fischt die Polizei benebelte Autofahrer seit einigen Jahren mithilfe MODERNER SPEICHELTESTS aus dem Verkehr – und in Australien muss man sogar am Arbeitsplatz mit einem Schnell-Screening rechnen. SP E I C H E L P ROBE DRO G EN T E S T Hygienisch ins Labor: mit dem DCD 5000 – unten der Probensammler, oben der Haltegriff Obwohl Drogen und Medik amente im menschlichen Körper viele eindeutige Spuren hinterlassen, eignen sich die meisten Körpersubstanzen nicht für einen mobilen Schnelltest. In Haaren und Nägeln beispielsweise sind die Subst anzen über Monate nachzuweisen. Eine Aussage über den genauen Zeitpunkt, w ann eine Substanz geschluckt, inhaliert oder gespritzt wurde, liefern sie allerdings ebenso wenig wie Schweißpflaster, die über Tage hinweg auf der Haut einwirken müssen. Ganz anders dagegen das menschliche Blut: Es liefert schnelle Ergebnisse, Tabelle 1: Weltweiter Konsum illegaler Drogen Droge Es reicht: Ein Farbumschlag markiert die zur Analyse ausreichende Speichelmenge Konsum [in Prozent: 1.), 2.)] Cannabis 2,5 – 5,0 Opioide (z. B. Heroin) 0,6 – 0,8 Opiate 0,3 – 0,5 Kokain 0,3 – 0,4 Amphetaminähnliche Stimulanzien 0,3 – 1,2 Ecstasy 0,2 – 0,4 Andere Drogen 3,4 – 6,6 Quelle: UNODC 2012; 1.) = Leitfrage: Welcher Anteil der Menschen zwischen 15 und 64 Jahren hat diese Droge in den letzten zwölf Monaten konsumiert?; 2.) = minimale und maximale Schätzungen Cannabis ist die meist konsumierte „illegale“ Droge der Welt. Je nach Schätzung haben weltweit bis zu fünf Prozent aller Erwachsenen mindestens einen Joint geraucht. Harte Drogen wie Heroin, Kokain oder Ecstasy wurden deutlich seltener konsumiert DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL da es den Suchtstoff sofort nach der Verabreichung aufnimmt und im gesamten Körper verteilt. Weil es in seiner c hemischen Zusammensetzung bei allen Menschen sehr einheitlich ist und w ährend der Entnahme nicht manipuliert werden kann, sind die Analysen zudem sehr zuverlässig. Schließlich lässt sich aus der Konzentration eines Wirkstoffs im Blut unmittelbar die berauschende Wirkung der Droge im zentralen N ervensystem ableiten. Dennoch gibt es ein K.o.-Kr iterium für spontane Verkehrskontrollen: Die Blutentnahme ist inv asiv und kann nur durch medizinisches Fachpersonal vorgenommen werden. Effizienter Speicheltest Auch die Urinprobe, die häufig als Vortest für eine Blutpr obe dient, hilf t bei der Suche nach einem zuverlässigen und schnellen Drogen-Screening nur bedingt weiter. Um die Intimsphäre der getesteten Person zu wahren, muss sie verdeckt erfolgen, und kann so leicht manipuliert werden. Ein weiteres Problem stellen die vielen falsch-positiven Ergebnisse dar, die unnötige Bluttests nach sich ziehen. Der Grund: Das Abbauprodukt des Cannabis-Wirkstoffs THC schlägt bei einem Urintest viel länger an als der W irkstoff selbst. Damit steigt das Risik o, dass der anschließende Bluttest r echtlich ins Leere läuft, denn die Gerichte erkennen lediglich den direkten THC-Nachweis als Beweis für eine Fahruntüchtigkeit an. Der Nachweis des Abbauprodukts hingegen ist rechtlich irrelevant. In Belgien stieg die dur ch Urintests verursachte Falsch-Positiv-Rate zuletzt > 25 1. 2. Hygienische Handhabung Probennahme mit vorbedes DrugTest 5000: reiteter Testkassette > auf 15 Prozent. Jede siebte Blutpr obe hätten sich die Verkehrshüter streng genommen also spar en können. Ein Ärgernis – für Autofahrer wie Polizisten. Viele Jahre lang gab es k eine Alternative zu dieser Praxis. Mit der gesetzlichen Verankerung der Speicheltests im Jahr 2010 aber geht das Land nun neue Wege. Seitdem folgen die Verkehrskontrollen in Belgien bei Verdacht auf Drogenkonsum einem straffen Plan: Verhält sich ein Autofahrer auffällig, wird ein Speicheltest vor Ort durchgeführt. Überschreitet die Konzentration je nach Substanz eine bestimmte Schwelle (siehe Tabelle 2), wird eine zweite Speic helprobe entnommen und zur Best ätigungsanalyse in ein Labor geschickt. Verweigert sich der Autofahrer generell oder kann er sie nicht durchführen, wird eine Blutprobe im nächsten Krankenhaus entnommen. Studien zeigen, dass die Zahl der Fahrer, denen eine Fahruntüchtigkeit nachgewiesen werden konnte, seit Einführung der Speicheltests gestiegen ist. Auc h in Frankreich wurde der Speicheltest inzwischen gesetzlich verankert. Ebenso in Spanien, wo es jedoch bislang keine verbindlichen Grenzwerte gibt. 3. 4. Farbanzeige markiert das Einschieben in das Ende der Probennahme Analysegerät 5. Analyse und Ergebnis in wenigen Minuten 0,28 Milliliter Speichel reichen aus, um verschiedene Drogen mit dem Dräger DrugTest 5000 (s.u.) in kurzer Zeit nachzuweisen – wie hier in Australien Speichel bietet ähnlich gute Eigenschaften für einen Dr ogentest wie Blut. Er besteht zu rund 99 Prozent aus Wasser, das aus den Blutgefäßen in die Speicheldrüsen gelangt und dadurch viele gelöste Stoffe in den Mund- und Rac henraum spült – dar unter auch Wirkstoffe von Drogen. Ähnlich wie beim Blut lassen sich zudem eindeutige Aussagen über den 26 FOTOS: DRÄGERWERK AG & CO. KGAA Auf den Punkt Das Gerät ist für eine einfache wie hygienische Bedienung konzipiert, und arbeitet autonom – auch unter harten Einsatzbedingungen DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL SP E I C H E L P ROBE DRO G EN T E S T THC lässt sich genauso lange im Speichel nachweisen, wie die Wirkung anhält Zeitpunkt des Drogenkonsums sowie die berauschende Wirkung treffen. Schließlich kann die Probe einfach, schnell und zuverlässig entnommen werden. Selbst für den Wirkstoff THC, der nur in sehr geringem Maß aus dem Blut in den Speichel gelangt, ist das V erfahren geeignet, da sich die Wirkstoffspuren, die sich beim Rauchen in der Schleimhaut ansammeln, genauso lange nachweisen lassen, wie die Wirkung der Droge im Körper anhält. Fast wie am Fließband Hinzu kommt, dass Speicheltest-Geräte nach dem Stand der Technik sehr belastbare Ergebnisse liefern, wie etwa der 2008 eingeführte Dräger DrugTest 5000. Das Gerät spürt schon kleine Wirkstoffmengen (THC: fünf Nanogramm pro Milliliter) auf und bestimmt den Zeitpunkt des Drogenkonsums in einem Zeitfenster von bis zu acht Stunden, wofür es ein Pr obenvolumen von lediglich 0,28 Milliliter Speichel benötigt. „Auf diese Weise lässt sich sehr genau ermitteln, ob ein Mensch kürzlich eine oder mehrere Drogen zu sich genommen hat und davon noch beeinflusst ist“, sagt Dr. Stefan Steinmeyer, verantwortlich für das Thema „Drogentest“ bei Dräger. Neben der Technik muss allerdings auch die gesetzliche Grundlage stimmen. Massenhaft finden Speicheltests daher bislang lediglich in Australien statt. Dort werden Drogenkontrollen seit 2004 per Gesetz so forciert wie in k einem anderen Land. Aller dings ist auch nirgendwo sonst der Cannabis-Konsum so hoch wie hier. Laut UNODC hat in Australien und Neuseeland mindestens jeder neunte Erwachsene im Jahre 2012 Cannabis DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL konsumiert (siehe Tabelle 3). Die Kontrollen beginnen in Australien im Straßenverkehr. Anders als in Belgien wir d hier nicht auf Verdacht geprüft, sondern systematisch zur Abschreckung. Zwischen 2004 und 2009 wur den allein im Bundesstaat Victoria mehr als 100.000 Autofahrer auf Drogen getestet. Die SpeichelSchnelltests am Straßenrand laufen hier fast wie am Fließband (siehe auc h Drägerheft 389; S. 16 ff.). Auch am Arbeitsplatz nehmen die Stichproben zu, wie Michael Wheeldon, Managing Director des Drogentest-Dienstleisters Integrity Sampling Pty Ltd., erklärt. Das Unternehmen wurde 2001 mit der Geschäftsidee gegründet, Mitarbeiter im Auftrag ihrer Arbeitgeber zu überprüfen. Ähnlich wie im Straßenverkehr liegt der Anteil der positiv getesteten Personen bei rund zwei Prozent. „In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Tests stetig gestiegen“, sagt Wheeldon. „In 20 12 haben wir mit Dräger -Geräten rund 35.000 Alkohol- und Drogentests durchgeführt.“ Am Anfang waren es vor allem Minenbetreiber, die die Aufträge vergaben. Heute kommen die Anfragen aus allen sic herheitsrelevanten Industrien. Eine sinkende Nachfrage befürchtet der Manager nic ht. „Australische Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, für die Sic herheit ihrer Angestellten am Arbeitsplatz zu sorgen.“ Dazu zählt eben auch, dass alle im Team tatsächlich nüchtern sind. Frank Grünberg EU-Programm „DRUID“: Drogen-Schnelltest-Geräte für mehr Sicherheit im Straßenverkehr www.draeger.com/392/ddt5000 Tabelle 2: Drogenkontrollen in Belgien: Nachweisgrenzen (sog. „Cutoffs“); in ng / ml der Substanzen Substanz Vortest Bestätigung Speichel Speichel Blut THC (Cannabis) 25 10 1 Amphetamine, Ecstasy 50 25 25 Opiate 10 5 10 Kokain, Benzoylecgonin 20 10 25 (Plasma) Quelle: DRUID: Oral fluid and blood confirmation compared in Belgium. Van der Linden T, Legrand SA, Silverans P, Verstraete AG. J Anal Toxicol. 2012 Jul; 36(6): 418-21 Verkehrskontrollen in Belgien folgen bei Verdacht auf Drogenkonsum einem straffen Plan. Zeigen Autofahrer ein auffälliges Verhalten, wird ihnen eine Speichelprobe entnommen. Überschreitet die Konzentration eine bestimmte Schwelle, folgt ein zweiter, strengerer Speicheltest. Verweigert sich der Autofahrer, wird eine Blutprobe im nächsten Krankenhaus angeordnet Tabelle 3: Cannabis-Konsum nach Regionen Region Konsum (%) Ozeanien 9,1–14,6 Nordamerika 10,8 West-/Zentral-Afrika 5,2–13,5 West-/Zentral-Europa 7,0 Asien 2,2 Quelle: UNODC 2012; Leitfrage: Wie viele Menschen zwischen 15 und 64 Jahren haben diese Droge in den letzten zwölf Monaten konsumiert? Laut UNODC hat in Australien und Neuseeland mindestens jeder neunte Erwachsene im Jahre 2012 Cannabis konsumiert 27 R ISIKOFAK TOR MENSCH Risiken und Nebenwirkungen T raut man sich nach dem Genuss einer Flasche Wein noch zu, in luftiger Höhe die Landebahn von der Landstraße einwandfrei zu unterscheiden? Oder würde man sich noch hinter das Steuer seines Autos setzen? Jeder vernünftige Mensch würde heute „Nein!“ antworten. Aber noch 1968 reagierte die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ mit Entsetzen auf den Gesetzentwurf des Bundesrats, in Deutschland die Promillegrenze im Straßenverkehr von 1,3 auf 0,8 Promille zu senken (siehe auch S. 42–45). „Ein Muster der Sinnlosigkeit“, schrieb das Blatt und besc hwerte sich darüber, dass dem Bürger damit seine Urteilskraft über die Fahrtüchtigkeit aberkannt und jeder bestraft werde, der zwar eine Menge Alkohol im Blut habe, dennoch korrekt fahre. Die subjektive Einsc hätzung der Gefahr zählte damals viel. Haschisch in der Fahrerkanzel Heute weiß man: Jede persönliche Bewertung, ob e twa nach einer bestimmten Dosis Alkohol die Fahrtüchtigkeit noch vorliege, gleicht einem Würfelspiel. Mal gewinnt man, mal ver liert man. Mancher Pilot mag seine Maschine wie Denzel Washington in „Flight“ jahrelang auch nach mehreren Gläsern Wodka und Lines Kokain noch sicher landen können. Andere verfehlen schon mit einem K ater vom Vortag die Landebahn. Autopiloten können einen aufmerksamen Piloten nicht ersetzen, Autos vollgestopft mit Airbags keinen Frontalzusammenstoß verhindern. Kurz vor dem Ziel stür zte 2008 eine russische Passagiermaschine auf die Glei- 28 se der transsibir ischen Eisenbahn. Die Trunkenheit des Piloten kostete 88 Menschen das Leben. Die verheerende Ölpest vor der Küste Alaskas ist dem Kapitän des Tankers Exxon Valdez, der 1989 auf ein Riff lief, indes k aum in die Sc huhe zu schieben: Er lag betrunken in der Kajüte, während seine Besatzung eine der g rößten Umweltkatastrophen der Schifffahrtsgeschichte verursachte. Zwei Jahre zuvor krachte in Maryland, USA, ein Amtrak-Zug mit 174 km/h in eine Reihe Conrail-Lokomotiven. 16 Menschen starben, 170 wurden verletzt. Die Crew des Conrail-Konvois hatte 18 Minuten zuvor einen Joint geraucht und ein Signal über sehen. Ein alkohol- und drogensüchtiger Ingenieur wurde später als Hauptverantwortlicher des Unfalls ausgemacht. Jedes mögliche technische Sicherheitsrisiko wird heute bedacht. Maschinen werden auf die optimale Interaktion mit dem Menschen abgestimmt, Situationen und Varianten durchgespielt und Szenarien entwickelt, um das Unkalkulierbare so kalkulierbar wie möglich zu machen: den Menschen. Mittlerweile gilt im Straßenverkehr aus diesem Grund nicht nur in Deutschland eine Grenze von 0,5 Promille. In vielen slawisc hen und baltischen Ländern müssen Autofahrer sogar komplett nüchtern bleiben. Zu Recht, findet Michael Klein, Professor am Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung an der K atholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen: „Das Problem des Alkohols ist, dass man seine Wirkung noch nicht spürt, während sich die Wahrnehmung schon verschoben hat.“ Das sei deutlic h vor dem > FOTO : ULLSTEIN BILD – STILL PICTURES/AL GRILLO Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied, und jede SICHERHEITSVORKEHRUNG nur so gut, wie es der Mensch zulässt. Betäubt der seine Sinne, gefährdet er nicht nur die eigene Sicherheit. DRÄGERHEFT D DRÄ DR DRÄG RÄG R RÄ ÄGERHE ÄG G ER ERHE E ERH RH RH RHE HE EF FT T 392 3 92 92 | S SPE SP SPEZIAL PE PE Z ZIAL ZIA ZI IA AL A L Zahlen und Fakten u Bei mehr als jeder zehnten Person, die im Straßenverkehr getötet wurde, ist in Deutschland Alkohol im Spiel u Bei rund 14 bis 17 Prozent aller weltweiten Verkehrsunfälle mit Toten und Verletzten spielen Medikamente und Drogen eine Rolle u In Nordamerika übertrifft die Anzahl der Autofahrer unter Einfluss illegaler Drogen die Anzahl alkoholisierter Fahrer u Die Kombination von Drogen und Medikamenten mit Alkohol steigert signifikant das Risiko, verletzt oder getötet zu werden Ölpest: Der betrunkene Kapitän des Tankers „Exxon Valdez“ verursachte eine der größten Umweltkatastrophen aller Zeiten Gegenspieler im Nervensystem > offensichtlichen Rausch und mitunter schon ab 0,3 Promille der Fall. Das Problem, das den Menschen im Straßenverkehr und in jeg lichen sicherheitsrelevanten Bereichen zum Risik o mache, sei zudem der Ent hemmungseffekt. Dinge, die normalerweise gehemmt seien, würden durch psychotrope Substanzen freigesetzt. So entfalle etwa die Scheu vor riskanten Überholmanövern, da die Angst blockiert sei. „Menschliches Verhalten ist eine Balance aus Anbahnung und Hemmung“, sagt Mic hael Klein. „Gut sozialisierte Menschen haben ein hohes Maß an Aggressionskontrolle erworben. Zentrales Nervensystem: Antrieb Aufmerksamkeit Bronchien: Erweiterung Diese wird beim Genuss von Alkohol und anderen Drogen gehemmt. Daraus ergibt sich die Freisetzung bestimmter Aggressionen.“ Wenn sich Emotionen nicht mehr deuten lassen Eine Studie des National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA) in Maryland zeigt, wie Alkohol das Gehirn manipulieren kann. Mithilfe der Magnetresonanztomografie untersuchten die Forscher die Verarbeitung von Emotionen. Eine Gr uppe der S tudienteilnehmer erhielt per Infusion Alk ohol, Augen: Pupillenerweiterung Speichel: wenig, zähflüssig Herz: Frequenz Kraft Blutdruck Magen und Darm: Peristaltik Sphinktertonus Durchblutung Sympathikus Angriff/Flucht 30 Leber: Glykogen-Abbau Glukose-Freisetzung Blase: Sphinktertonus Tonus des Wandmuskels Skelettmuskel: Sphinktertonus Tonus des Wandmuskels eine andere eine Salzlösung. Anschließend wurden beiden Gruppen verschiedene Gesichtsausdrücke gezeigt und ihr Gehirn immer wieder gescannt. Es zeigte sich in bestimmten Hir narealen der nüchternen Probanden ein deutlicher Unterschied in der R eaktion auf neutrale Mimik und angsteinf lößende Gesichtsausdrücke. Bei den alkoholisierten Teilnehmern ließ sich kein Unterschied ausmachen. Alkoholisierte Menschen verkennen die Gef ahr, die von einer anderen Person ausgeht – und sie können keine Konfliktvermeidungsstrategie entwickeln. Ähnliche Ergebnisse brac hte eine Studie der Universität Granada, Spanien, ans Licht, wonach Menschen unter Drogeneinfluss Probleme haben, Emotionen im Gesicht des Gegenübers zu deuten. Je intensiver der Konsum in der Vergangenheit war, desto schwieriger wurde es, Zorn, Wut oder Angst zu er kennen. Eine weitere Studie der Spanier of fenbarte bei 70 Pr ozent der Drogenabhängigen neuropsychologische Beeinträchtigungen von Gedächtnis, Verarbeitung von Gefühlen und der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen – unabhängig davon, ob sie Alkohol, Cannabis, Amphetamine oder Kokain konsumiert hatten. Die Konsequenzen daraus sind nicht nur für Hoc hrisikoberufe absehbar. Vor allem die dr ohende Fehleinschätzung bestimmter Situationen mac ht den Drogen oder Alkohol konsumierenden Menschen bei Fußballspielen, auf Demonstrationen und im täglichen Miteinander zum Risiko. Hinzu kommt die vor allem auf grund von Alkohol einset- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: SHUT TERSTOCK, ISTOCKPHOTO Sie sind Teil des vegetativen Nervensystems mit ganz unterschiedlichen Funktionen: Sympathikus und Parasympathikus. Als Gegenspieler steuern sie wichtige Körperfunktionen. Alkohol und Drogen stören ihre Arbeit MENSCH R IS IKO FA K TO R Augen: Naheinstellung Pupillenverengung Bronchien: Engstellung Sekretion Speichel: viel, dünnflüssig Herz: Frequenz Blutdruck zende Wesensveränderung und Gewaltbereitschaft. „Die F rage, ob jemand gewalttätig wird oder nicht, ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Das Problem ist, dass sich viele Menschen grundsätzlich das Recht zugestehen, unter Alkoholeinfluss aggressiv werden zu k önnen“, sagt Suchtforscher Klein. Das sei nicht überall der Fall: So entschuldige man in Deutschland unter Alkoholkonsum begangene Delikte schneller als in anderen Ländern. „Die Amerikaner nennen das auch ,German Discount‘: Wer stark betrunken ist, wird für nicht voll zurechnungsfähig gehalten – und gilt als vermindert schuldfähig.“ In vielen Bereichen wird dem Sicherheitsrisiko, das von Menschen unter Einfluss von psychotropen Substanzen ausgeht, mittlerweile mit strikten Verboten sowie Alkohol- und Dr ogentests begegnet. In der Luf tfahrt etwa gilt ein weltweites Alkoholverbot für das Boden- und Flugpersonal, dem inter national auch durch unangekündigte T ests versucht wird, Rechnung zu tragen. Je nach Land und Dienstvereinbarung sind Piloten verpflichtet, eine bestimmte Stundenzahl vor Dienstantritt keinen Alkohol zu konsumieren. Getestet wird in der Realität allerdings selten. Selbst die jähr lichen ärztlichen Untersuchungen geben nur bedingt Aufschluss über eine Sucht. Noch entscheidender scheint da das generelle Verständnis der Gef ahr, wie Markus Wahl von der deutschen Pilotenvereinigung Cockpit bestätigt: „Wir alle haben den Anspruch, sicher zu operieren. Das ist ober ste Maxime.“ Wichtiger als unregelmäßige Tests schätzt er die DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Magen und Darm: Sekretion Peristaltik Sphinktertonus Parasympathikus Blase: Sphinktertonus Tonus des Wandmuskels Ruhe/Entspannung zwischenmenschliche Ebene ein: „Man ist natürlich irritiert, wenn der Pilot auf dem Sitz nebenan lallt oder nach Alkohol riecht. Schon bei seltsamen Entscheidungen, ohne weiteren Verdacht, wird man stutzig.“ Es sei T eil der Ausbildung, so etwas zu erkennen, anzusprechen und nicht aus falsch verstandener Scham totzuschweigen. Auch junge Piloten müssten erfahrene Kollegen ansprechen und handeln. „Mit allen Konsequenzen – bis hin zur Annullierung des Flugs!“ Viele Regularien, wenige Standards Die Gesetzeslage ist ink onsistent – in Deutschland, aber auch international. Aus der potenziellen Gefahr, die von dem Betrieb ausgeht, einer Chemiefabrik zum Beispiel, der ausgeübten Tätigk eit, ein Baggerführer etwa, oder schlichtweg aus Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften, resultiert ein diffuses Verbot, Drogen oder Alkohol während der Arbeitszeit zu konsumieren. Das gilt auc h für Fahrer von Gefahrguttransportern und Menschen, die Personen befördern, ebenso Polizisten, Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter. Für die meisten Hoc hsi- cherheitsberufe gibt es länderspezifische Regelungen, aber wenige inter nationale Standards. Auf Drängen von Deutschland hat die Inter nationale SeeschifffahrtsOrganisation (IMO) 20 10 immerhin eine Grenze von 0,5 Pr omille beschlossen, für alle Personen, die auf Schiffen Verantwortung tragen. Weniger eindeutig sind viele ander e Bereiche, in denen einzig individuelle Betriebsvereinbarungen Regelungen vorgeben. Die machen zwar Drogenscreenings und Alkoholtests zum Vertragsgegenstand, lassen den Menschen damit aber keineswegs kalkulierbarer werden. Isabell Spilker Literatur u Dr. Rolf Breitstadt, Prof. Dr. Gerold Kauert: „Der Mensch als Risiko und Sicherheitsreserve“, Shaker Verlag u Barbara Brokate, Armin Scheurich: „Neuropsychologie der Alkoholabhängigkeit“, Hogrefe-Verlag Film- & Fernsehtipp u Film „Flight“ mit Denzel Washington u Sendung „Quarks & Co“ – „Wie wirkt Alkohol im Gehirn“: http://www.wdr.de/tv/quarks/ sendungsbeitraege/2004/0210/003_alkohol.jsp Links u Deutsches Institut für Sucht- und Präventionsforschung: http://www.katho-nrw.de/ katho-nrw/forschung-entwicklung/instituteder-katho-nrw/disup/ 31 Auch im Beruf kann Alkoholabhängigkeit wie ein Gefängnis sein – als Wirklichkeitsverlust, der einsam macht 32 DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTO : BLIND Blau im Job SU C H T AR BEI T S W ELT Ob Hochprozentiges vor dem Dienst, ein Glas Prosecco am Mittag, der Joint zum „Tatort“ oder die tägliche Nase Koks auf der Firmentoilette: Arbeit, Alkohol und Drogen sind nur schwer miteinander vereinbar – erst recht, wenn SICHERHEIT UND QUALITÄT DER ARBEIT leiden. Eine schwierige Situation: für Vorgesetzte, Kollegen und Betroffene. M ontags machten die Färber blau. Auf den Leinen hingen die mit Indigo gefärbten Stoffe und warteten darauf, dass die Sonne den Farbstoff in ein leuchtendes Blau verwandelte. Ein paar Meter weiter lagen die Lohn werker im Gras und arbeite ten am Ruf des Sprichworts. Da für den chemischen Prozess, der aus Indigo Blau werden ließ, viel Urin benötigt wurde, kippten sie Unmengen Alkohol in sich hinein. Als es r und 400 Jahre später mittags auf der Straße kracht, hat Ludwig Eickemeyer * 1,8 Promille im Blut. Er kommt von der Nachtschicht. Nein, er färbt keine Stoffe, und er hat an diesem Morgen auc h nichts getrunken, sondern Restalkohol in einer Höhe, die andere umhaut. Für den Elektriker im Bergbau eine Ar t Normalzustand, nicht nur montags. 18 Jahre lang. FOTO : HENRIK SORENSEN / GET T Y IMAGES Tausche Führerschein gegen ein neues Leben Dass es in dieser Zeit keinen durch ihn verursachten Unfall gab, grenzt an ein Wunder. Bis zu 30 Prozent aller Arbeitsunfälle ereignen sich unter Einf luss von Alkohol und anderen Drogen. Mindestens fünf Prozent aller Beschäftigten in Deutsc hland sind nac h Schätzungen der Deutschen Hauptstelle für DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Suchtfragen e.V. (DHS) alkoholkrank. Die International Labour Organisation (ILO) vermutet, dass weltweit bis zu 25 Prozent aller Arbeitnehmer so viel Alkohol trinken, dass sie als gef ährdet einzustufen sind. Beachtlich sind auch die wirtschaftlichen Folgen für die U nternehmen: Die deutschen Arbeitgeberverbände errechnen den volk swirtschaftlichen Schaden durch den Konsum von Alkohol am Arbeitsplatz auf 15 Milliarden Euro – pessimistisc he Schätzungen gehen von bis zu 30 Milliar den aus. 92.000 Deutsche werden jährlich durch Alkoholabhängigkeit oder -psychosen als arbeitsunfähig eingestuft. Mit zunehmendem Konsum fehlen Mitarbeiter bis zu 16-mal häufiger und büßen 25 Pr ozent ihrer Arbeitsleistung ein. Vergleichbare statistisch belegte Zahlen für die Auswirkungen des Konsums von Cannabis, Kokain, Heroin und anderen berauschenden Substanzen am Arbeitsplatz liegen nicht vor. Es wird geschätzt, dass 5 bis 7 Prozent der Arbeitnehmer mehr oder weniger r egelmäßig Drogen zu sich nehmen. Ludwig Eickemeyer ist nie aufgefallen. Im Freundeskreis war er der nette Kumpel, der gerne mal einen trinkt. Sei- nen Job machte er so, dass seine Suc ht niemanden beschäftigte. Weder Kollegen noch Vorgesetzte. „Mit einem gewissen Pegel konnte ich alle Arbeiten so ausführen, dass alle zufrieden waren“, sagt Eickemeyer. „Aber unter 1,2 Promille kann ich in dieser Zeit nie gelegen haben. Die brauchte ich, um zu funktionieren.“ Bis zu diesem kleinen, harmlosen Unfall nach Dienstschluss, bei dem ihm die Polizei den Führerschein abnahm – und dafür ein neues Leben schenkte. Co-Alkoholismus fördert die Krankheit „Manchmal bin ich schockiert und traurig, wenn ich sehe, was ich in meinem Leben alles hätte ander s machen können, wäre meine Alkoholsucht früher entdeckt worden“, sagt Ludwig Eickemeyer, heute Vorsitzender einer Selbsthilfegruppe im Ruhrgebiet. Die Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Drogen erkennen und den Betroffenen helfen ist deswegen eines der g roßen Themen weltweiter Aktionen und Pr ojekte, die sich mit Suchtproblemen in Betrieben beschäftigen. Die als Co- Alkoholismus bezeichnete Duldung dur ch Kollegen oder Vorgesetzte, die suchtbedingte Fehlzeiten tolerieren oder gar decken, belas- > * Name geändert 33 Klare Empfehlungen sollen Abhängigen den Weg aus der Sucht erleichtern > tet die Abläufe im Betrieb und fördert die Krankheit. Vorgesetzte sind gesetzlich verpflichtet, für Sic herheit und Gesundheit innerhalb des Arbeitsablaufs zu sorgen, den Mitarbeiter von seiner Tätigkeit zu entbinden und aufzufordern, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Für Kollegen und noch mehr für Vorgesetzte gilt im Vorfeld, bei zunehmender Unzuverlässigkeit, häufigen Fehlzeiten und Stimmungsschwankungen aufmerksam zu werden. „Suchtkranke sind Meister im V ertuschen“, erzählt Sabine Morati*. Über 20 Jahre ging sie jeden Tag zur Arbeit. Nüchtern, aber mit Entzugserscheinungen, die sie mit Übereifer kompensierte: „Bloß nicht negativ auffallen.“ Die Kollegen in der Bank schätzten sie, aber sie galt als Biest. Ein Deckmantel. Fritz Lehmann* gelang es, als Heroinabhängiger seine Lehre zum Dachdecker zu beenden. A bends stahl er Material aus der Firma, am Wochenende schmuggelte er Drogen über die Grenze. Er war bei der Bundeswehr, später auf Montage, regelmäßig unter Dro- Präventions- und Hilfsmaßnahmen u Trinksitten ändern: Wie selbstverständlich ist der Konsum von Alkohol inner- halb des Unternehmens? Ist die Sommer- oder Weihnachtsfeier stets feuchtfröhlich, oder reicht schon ein anstehender Urlaub oder ein Etappenziel, um die Korken knallen zu lassen? Ein generelles Alkoholverbot bietet sich an, ist aber nicht immer die Lösung, weil es die Probleme oft nur verschiebt. u Getränkeangebot prüfen: In der Kantine steht der Sekt stets gut gekühlt? Auch der Kasten Bier auf dem Büro-Flur oder im Vorarbeiterraum der Baustelle sollte durch Wasser ersetzt werden. u Aufklärung der Belegschaft: Wann und wie Sucht entsteht, welche Gefahren auch von einmaligen Ausrutschern ausgehen und wie sich ein durchgefeiertes Wochenende auf die Leistungsfähigkeit und Risikobereitschaft auswirkt, sollte den Mitarbeitern in Schulungen nahegebracht werden. u Gesundheitsbewusstsein fördern: Suchtprävention ist Bestandteil der Gesundheitsvorsorge, zu der Vorgesetzte und Betriebsleiter ihre Mitarbeiter ermuntern sollten. u Betriebliche Beratungsstellen einrichten: Nicht jedem Unternehmen ist es möglich, eine hauptamtliche Suchtkrankenhilfe einzurichten. Ehrenamtliche Helfer, durch Seminare oder Selbsthilfegruppen geschult, können ebenso hilfreich sein. u Therapiemöglichkeiten vermitteln: Mit Kontakten zu Suchtberatern, Selbsthilfegruppen und gezielten Therapien öffnen sich dem Suchtkranken neue Türen, die er selbst vielleicht nicht einmal gesehen hat. Gezwungen werden kann niemand zur Therapie. Doch: Ist der Leidensdruck groß genug, erfolgt oft die Einsicht. 34 * Name geändert gen, stets ohne Konsequenzen. Vielleicht blieb er nicht unbemerkt, aber niemals bot ihm jemand Hilfe an oder verpflichtete ihn zu einer Therapie. Leidensdruck erhöhen, soziale Pflicht nicht vergessen Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) empfiehlt einen klaren Maßnahmenkatalog, der Betroffene in den ersten Schritten zur Einsicht und Unterlassung, im fortgeschrittenen Suchtstadium zur Therapie bewegen soll. Steht am Anfang die Aufklärung im Vordergrund (in der Hoffnung, der eine oder andere Ausrutscher werde vom Mitarbeiter eingesehen, die Suchtgefahr und das damit verbundene Risiko erkannt), sollte nach mehrmaligen Fehltritten der Druck in Gesprächen deutlich erhöht werden. Am Ende empfiehlt es sich laut DGUV, Suchtexperten, Betriebsrat, Unternehmensleitung sowie Personen aus dem privaten Umfeld hinzuzuziehen, um dem Betroffenen die Augen zu öf fnen – und ihn zum Handeln zu be wegen. Ändert sich sein Verhalten nicht, sind Abmahnung und Kündigung die letzten Schritte. Allerdings: mit einer Wiedereinstellungsklausel, die Mitarbeitern die Rückkehr in den alten Job bei A bstinenz ermöglicht. Der Verlust des Arbeitsplatzes sei für den Suchtkranken in der Regel die schlimmste Strafe, meist noch schwerwiegender als der Bruch mit Familie oder mit Freunden. Es sei laut DGUV eine soziale Pflicht, die Option der Rückkehr als Motivation zu berücksichtigen. Die Gefährdung des Beschäftigungsverhältniss ist of t der Gr und, warum DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL SU C H T AR BEI T S W ELT sowohl Betroffene als auc h Mitarbeiter, denen das Verhalten auffällt, nicht frühzeitig aktiv werden. Selbst Kollegen mit Rückgrat fehlt oft das Wissen, wie mit einer solc hen Situation umzugehen ist. Ist der K ollege wirklich abhängig, oder feiert er nur gerne? Wie spricht man jemanden an, von dem man glaubt, er könne seine Arbeit heute in diesem Zustand nicht erledigen – und morgen wahrscheinlich auch nicht? Die Sor ge, welche Konsequenzen der K ollege zu er warten hat, ist g roß. Wartet die soziale Schmähung, die weitreichende Diskreditierung – oder er folgt sogar die sofortige Kündigung? Nur wenige Arbeitnehmer wissen: Unmittelbar gefährdet ist weniger das Beschäftigungsverhältnis an sich als vielmehr der V ersicherungsschutz der Berufsgenossenschaft bei einem Arbeitsunfall, wenn der Versicherte, also der Arbeitnehmer, Alkohol oder Restalkohol im Blut hat oder unter Einfluss von Drogen steht. Kündigung ist die Ultima Ratio. Sucht wird als Krankheit betrachtet und ist kein Kündigungsgrund an sich. Alkoholisierte Mitarbeiter verursachen allein innerhalb der EU wirtschaftliche Schäden von rund 60 Milliarden Euro – jährlich FOTO : ISTOCKPHOTO Universelle Herangehensweisen, kulturelle Unterschiede DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Weltweit arbeiten unzählige Verbände, Vereinigungen, Kliniken und Universitäten an Strategien, Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Umgang mit Suchtgefahren, im Bereich Prävention und im Handling von Alkohol- und Drogenmissbrauch, zu schulen. Die Herangehensweisen sind grundsätzlich universell, zeigen aber kulturelle und legislative Unterschiede. „Worauf es ankommt, ist das Handlungs- > 35 „Nur sehr wenige Unternehmen haben die Arbeitsbedingungen, den Stress und das kulturelle Umfeld im Blick“ > dreieck: drei Punkte, die das ganze Thema umreißen und beeinflussen“, erklärt Steve Allsop, promovierter Experte des australischen National Drug Research Institute. „Man hat das Individuum, die Droge und die Umstände.“ Für eine vernünftige Prävention müsse einerseits die Verfügbarkeit der Substanzen überprüft werden – ob beispielsweise innerhalb des Unternehmens Alkohol gekauft oder gar über Spesen abgerechnet werden kann. „Wir müssen auf die Menschen zugehen oder ihnen Zugang zu einer Therapie verschaffen“, ergänzt Allsop und bemer kt: „Auf diese beiden Punkte f okussieren sich in der R egel weltweit die meisten Unternehmen. Nur sehr wenige haben die Arbeitsbedingungen, den Stress und das kulturelle Umfeld im Blick.“ Dass es bei Bauarbeitern auf Montage oder im Bergbau, der oftmals abgelegen von jeglicher Zivilisation stattfinde, kaum Möglichkeiten für eine sinnvolle Feierabendbeschäftigung gebe, müsse unbedingt berücksichtigt werden. Bis zu 30 Prozent aller Arbeitsunfälle ereignen sich unter Einfluss von Alkohol und anderen Drogen Strikte Alkoholverbote sind selten 36 FOTO : CHRIS JACKSON / GET T Y IMAGES Aufklärung innerhalb der Unternehmen über den gesundheitlichen Aspekt des Alkohol- und Drogenkonsums sowie die weitreichenden rechtlichen, sicherheitstechnischen und sozialen Folgen stehen im Vordergrund der präventiven Maßnahmen – auch in Neuseeland, Australien oder den USA . Hier dürfen engmaschige Alkohol- und Drogenkontrollen der Mitarbeiter in bestimmten Berufsgruppen erfolgen. In Deutschland hingegen ist das r echtlich aus- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL SU C H T „Deutschland steht im Vergleich gut da“ Sind die Strategien der Unternehmen in der betrieblichen Suchtprävention sinnvoll und effektiv? Das untersuchte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) als nationaler Partner des europäischen Projekts European Workplace and Alcohol (EWA) bis Mitte 2013. CHRISTINA RUMMEL von der DHS über erste Zwischenergebnisse. Das Projekt EWA untersuchte die betriebliche Suchtprävention in Europa. Wie steht Deutschland da? Deutschland steht im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gut da. Es gibt viele etablierte Maßnahmen, Suchtgefahren im Betrieb zu erkennen und zu verhindern. Und es hat eines der besten Suchthilfesysteme: ein ausgebautes Beratungsnetz, ein flexibles Rehabilitationsnetz, und es wird Suchtforschung betrieben. Betriebliche Suchtprävention ist in Deutschland seit 30 Jahren ein Thema, andere Länder entdecken das gerade erst. Aber das ist auch bei uns noch nicht das Ende vom Lied. Wo sehen Sie Handlungsbedarf? Vor allem in kleineren und mittleren Betrieben. Suchtprävention findet heute vor allem in großen Unternehmen statt, wo es Betriebsräte, Arbeitsmediziner und etablierte Strukturen gibt. Eigentümer kleiner Betriebe oder die Managementebene mittelständischer Unternehmen plagen meist ganz andere Sorgen. Es sind kaum Kapazitäten für Suchthilfeprogramme vorhanden. Wie kann den Firmen mit dem Projekt EWA geholfen werden? Im Moment versuchen wir, voneinander zu lernen und unsere nationalen Maßnahmen zu evaluieren. Nachdem wir in Deutschland Befragungen durchgeführt haben, laufen nun verschiedene Dinge: von Flyern bis hin zu Schulungen. Anschließend wird erneut befragt. So sehen wir, was sich in der Wahrnehmung geändert hat. Am Ende werden die Ergebnisse aller europäischen Partner zusammengetragen und ein „Werkzeugkoffer“ erstellt, mit dem auch kleine Firmen arbeiten können. Werden dabei auch nationale Unterschiede berücksichtigt? Ja, der Koffer ist an die speziellen Bedingungen der Länder angepasst, da es im Umgang mit Alkohol und Drogen natürlich kulturelle Unterschiede gibt. Aber wir achten auch darauf, was wir von anderen lernen können. Großbritannien zum Beispiel ist sehr fortschrittlich, was die Nutzung der neuen Medien betrifft. Selbsttests per App oder Beratungsstellensuche werden dort viel natürlicher angenommen. Das sind gute Anregungen. DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL AR BEI T S W ELT geschlossen, nur im V orfeld der Einstellung kann zu einem Dr ogen- oder Alkoholtest aufgefordert werden. Viele Unternehmen setzen heute auf Betriebsvereinbarungen, die Maßnahmen zur Suc htprävention regeln. Sie bieten Handlungsorientierungen aller mit Alkohol- und Dr ogenmissbrauch konfrontierten Personen und schaffen eine klare Rechtssituation. Fritz Lehmann, Ludwig Eickemeyer und Sabine Morati können sich nicht mehr vorstellen, wie sie es einst geschafft haben, zu arbeiten: zugedröhnt, auf ein er trägliches Maß gebracht oder kaltschweißig, weil dem Körper das Suchtmittel fehlte. Nach dem Entzug w aren sie andere Menschen, durften aber in ihr en Jobs bleiben. Rückfällig sind sie alle nic ht geworden. „Zu g roß war die Selbster kenntnis, wer ich bin und w as ich hier wirklich mache“, sagt Eickemeyer. Und zu groß der Sc hreck, unter welc hen Umständen man jahrelang gearbeitet habe. Groß genug, beim nächsten und übernächsten Betriebsfest aufs Bier zu verzichten – und dafür die Bewunderung der Kollegen zu ernten. Isabell Spilker Literatur-/Linktipps u „Suchtprobleme im Betrieb – Alkohol Medikamente, illegale Drogen“, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, www.dguv.de u „Substanzbezogene Störungen am Arbeitsplatz: Eine Praxishilfe für Personalverantwortliche“, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., www.dhs.de u Projekt Prev@Work: http://www.berlin-suchtpraevention.de/Betriebliche_Suchtpraeventionc1-l1-k56.html u Alkoholbedingte Kosten am Arbeitsplatz (Schweiz): http://www.polynomics.ch/dokumente/ Polynomics_Alkohol-am-Arbeitsplatz_2010.pdf 37 Wie Therapien helfen können Ein Leitspruch der SUCHTTHERAPIE lautet: „Es ist keine Schande, krank zu sein – es ist eine Schande, nichts dagegen zu tun.“ Die Abhängigkeit zu erkennen und zu verstehen ist Aufgabe der Suchttherapie – auch 20 Jahre nach dem letzten Bier oder dem letzten Joint. Ein vielschichtiges Thema, dem sich Experten-Interview, Patienten-Protokoll und Therapie-Schritte ebenso vielfältig nähern. FOTO : BLIND Sucht ist wie ein Käfig. Sie hindert die Persönlichkeit, sich zu entfalten. Erprobte Konzepte helfen aus diesem Gefängnis 38 DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL HILFE SUCHT „Therapieziel ist, dass der Mensch versteht, warum er krank ist“ Herr Röhr, was sind das für Menschen, die zu Ihnen kommen? Das Bild des Suchtkranken wandelt sich. Zurzeit haben wir viele P atienten, die einen Mischkonsum betreiben. Der reine Alkoholiker wird seltener. Viele nehmen zudem Cannabis, Kokain, Amphetamine oder Designer-Drogen zu sich. Auch der klassische Heroinabhängige tritt immer seltener in Er scheinung, was die Sucht aber nicht ungefährlicher macht. Die sogenannten „weichen Drogen“ wie etwa Cannabis sind nicht als solche zu sehen. Die Menschen leiden sehr unter der P ersönlichkeitsveränderung durch diese Drogen. Eine Droge wie Heroin wirkt doch viel zerstörerischer auf den Menschen als die Kombination aus Alkohol und Cannabis. Patient noch nicht so wirklich will. Das ist das Therapieziel: dass der P atient krankheitseinsichtig und abstinenzmotiviert wird und beginnt, den Hinter grund zu verstehen, warum er suchtkrank wurde. Sie betreiben Ursachenforschung? Wir versuchen, die Hinterg ründe zu erkennen und zu verstehen. Der Betroffene muss begreifen, dass er eigentlic h von etwas anderem abhängig ist, vielleic ht von einer ungeklärten Elternbeziehung oder anderen Menschen; dass er unter einem Mangel an Selbstliebe leidet. Das scheint vielleicht so, in W irklichkeit geht die Kurve steil nach unten. Was am Anfang harmlos wirkt, bringt die Menschen an einen Tiefpunkt. Wird der Druck zu groß, kommen sie zu uns. Wie lange braucht ein Patient für diese Erkenntnis? Freiwillig kommt fast niemand zu uns. Dann schon eher weil der Arbeitgeber nicht mehr mitspielt, die F amilie streikt oder der Körper aufgibt. Sobald schwere körperliche Beeinträchtigungen eingesetzt haben, spüren die Patienten: Wenn ich jetzt nichts tue, ist das vielleicht das Ende. Was wäre ein Grund, die Therapie abzubrechen? Die Erkenntnis und die Motivation, abstinent zu leben, entwickelt man oft erst in der therapeutischen Gemeinschaft. Es spielt tatsächlich keine Rolle, ob ein Ja, ganz sicher. Menschen mit einer nar zisstischen Störung greifen zu K okain, weil es genau das bewirkt, was sie interessant finden. Es treibt ihre Größenfantasie Der Druck von außen? FOTOS: EIKO OJALA / IKON IMAGES / CORBIS; PRIVAT Nur wer seine Sucht versteht, hat eine Chance auf ein abstinentes Leben. Das ist die Erfahrung von Heinz-Peter Röhr. Der Suchttherapeut arbeitet seit über 30 Jahren in der Fachklinik Fredeburg – und hat schon Hunderten Menschen geholfen. Das klingt noch nicht nach der Einsicht, suchtkrank zu sein. Sind das Erfolg versprechende Gründe, eine Therapie anzutreten? DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Das ist sehr unter schiedlich und hängt davon ab, wie er sic h in die Therapie begibt und wie schnell er beginnt, seine Probleme zu bearbeiten. Ein Rückfall zum Beispiel, w obei selbst das nicht sofort die Entlassung bedeuten muss, sondern auch im Rahmen der Therapie gedeutet, verstanden und bearbeitet werden kann. Lassen unterschiedliche Rauschmittelabhängigkeiten Rückschlüsse auf den Menschen zu und geben Hinweise für die Therapie? in die Höhe. Bor derline-Patienten bevorzugen dämpfende Mittel: Alkohol, Heroin, Beruhigungsmittel. Doch die Sucht ist ein sehr individuelles Problem. Wie bereiten Sie Ihre Patienten darauf vor, nicht wieder rückfällig zu werden? Wir nehmen die ver schiedenen Situationen des Konsums unter die Lupe. Die Patienten bekommen Handlungsmuster gezeigt, in diesen Momenten nun anders zu reagieren. Die meisten verlassen die Klinik mit einem neuen Selbstwer tgefühl und einem gewissen Verständnis für ihre Krankheit. Statistisch gesehen passieren die meisten Rückfälle in den er sten drei Monaten. In aller Regel schließt sich daher eine Nachsorge an, etwa Gruppengespräche oder weitere therapeutische Maßnahmen. Literatur u Felix Tretter, Angelica Müller: „Psychologische Therapie der Sucht“, Hogrefe u Heinz-Peter Röhr: „Sucht – Hintergründe und Heilung. Abhängigkeit verstehen und überwinden“, Patmos-Verlag Heinz-Peter Röhr ist Mitglied eines multiprofessionellen TherapeutenTeams, das Suchtkranke therapiert 39 SUC H T HILFE „Meine Maßlosigkeit rettete mir das Leben“ Maren S. trank ihr halbes Leben lang und wollte nicht einsehen, wie groß ihr Problem ist. Selbst in der Therapie nicht. Was ihr letztlich die Augen geöffnet hat, zeigt das Protokoll ihrer persönlichen Suchtbekämpfung. D reißig Jahre lang habe ich getrunken und in dieser Zeit dr eimal fast meine Wohnung abgebrannt. Ich bin betrunken mit dem Auto frontal gegen eine Mauer gefahren, eine Treppe kopfüber hinuntergestürzt, im Badezimmer von einer hohen Leiter gefallen und habe dabei das Waschbecken aus der Verankerung gerissen. Wehe dem, der mich auf mein Alkoholproblem ansprach: Ich hatte kein Problem! Im Job ist nie e twas aufgefallen. Ich war Personalsachbearbeiterin eines großen Unternehmens und habe nie vor der Arbeit getrunken. Den Tag über ging es mir oft schlecht, ich habe gezittert, hatte Schweißausbrüche. Nun hatte ic h ohnehin Diabetes und konnte alles darauf schieben. Irgendwann sprach mich mein Arzt an. Er wollte mich zur Alkoholentgiftung ins Krankenhaus schicken, damit ich mal wieder klar werde. Widerwillig stimmte ich zu, nahm ein paar Tage Urlaub und ging für zehn Tage in die Psychiatrie. Danach ging es mir blendend, 40 und so k aufte ich mir g leich auf dem Weg nach Hause eine Flasche Schnaps. Im Krankenhaus hatte eine Sozialarbeiterin der Alkohol- und Drogenberatung mit mir Kontakt aufgenommen. Sie r iet mir zu einer ambulanten Therapie und zu Einzelgesprächen. Ich machte beides – und trank weiter. Chef fiel aus allen Wolken Die Sozialarbeiterin kümmerte sich um eine stationäre Therapie, die dauer te 16 Wochen. Ich musste meinen Arbeitgeber informieren, der aus allen W olken fiel. Ich trat die Therapie an. Das Pr oblem war, dass ich diese Therapie nur für meinen Arbeitgeber, meine Therapeutin, Familie und Freunde angetreten hatte, aber nicht für mich! Nach zehn Wochen war ich wieder zu Hause. Ic h hatte an einem Heimwochenende getrunken. Das bedeutete: Therapieabbruch. Nachdem ich zu Hause er st einmal meinen Frust heruntergespült hatte, meldete ich mich zwei Tage später bei meinem Arbeitgeber – der er kannte den Therapieabbruch und ließ mich nicht arbeiten. Nun hatte ich viel Zeit. Ich trank fast täglich bis zur Besinnungslosigkeit. Diese Maßlosigkeit hat mir letztlich das Leben gerettet. Ich erreichte meinen absoluten Tiefpunkt, wollte meinem Leben ein Ende setzen. Den Baum hatte ich mir bereits ausgesucht. Ich wollte nur noch einen Termin bei meiner Therapeutin wahrnehmen. Sie hat sof ort gemerkt, was mit mir los w ar, und t at etwas, das sie noch nie zuvor mit einem Klienten gemacht hatte: Sie gestand, dass sie selbst trockene Alkoholikerin sei und genau wisse, wie schlecht es mir ging. „Ich wollte etwas für mich tun“ Das war für mich der Wendepunkt. Es gab einen Menschen, der mich verstand, der mir klarmachte, dass Alkoholismus eine Krankheit ist. Eine Krankheit, die zwar nicht geheilt, aber zum S tillstand gebracht werden kann – aber nur von mir selbst. Endlich konnte ich zugeben, dass ich Alkoholikerin bin. Da ic h nun fest entschlossen war, etwas für mich zu tun, konnte ich die verbliebenen sechs Wochen stationärer Therapie nachholen. Anschließend machte ich noch eine ambulante Therapie und besuche seitdem jede Woche eine Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker, ohne die ich sicher nicht meine Stabilität behalten hätte. Ich kann nicht sagen, dass ich nächste Woche oder nächstes Jahr nicht trinken werde. Aber ich kann für heute sprechen: Und heute werde ich nicht trinken. Und das sage ich nun schon seit 14 Jahren.“ Protokoll: Isabell Spilker DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Therapie: In vier Schritten zum Erfolg Ziel einer Suchttherapie ist es, dass der Patient auf Dauer abstinent lebt. Diesen – zudem immer wieder gefährdeten – Zustand zu erreichen erfordert Einsicht, professionelle Hilfe und Disziplin. Schritt 1: Problem erkennen und Hilfe suchen Der Hausarzt oder eine Beratungsstelle sind meist der erste Anlaufpunkt. Wichtig im Vorfeld: Das Problem der Abhängigkeit muss als solches erkannt werden, sonst sind sämtliche Folgeschritte aussichtslos. Das Ausmaß der Sucht muss erkannt und die Lebensumstände geklärt werden, bevor die Therapie beginnen kann. FOTOS: EIKO OJALA / IKON IMAGES / CORBIS Schritt 2: Körperlicher Entzug Ambulant: Der ambulante Entzug erfolgt meist beim Hausarzt. Täglich überprüft der Mediziner in der ersten Woche den gesundheitlichen Zustand und hilft gegebenenfalls mit Medikamenten zur Linderung der Entzugserscheinungen wie Zittern, Schwitzen und Kreislaufbeschwerden. In der zweiten Woche geht es alle zwei Tage zum Arzt. Für die Zeit erhält der Suchtkranke eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Stationär: Besonders bei starker körperlicher Abhängigkeit ist der stationäre Aufenthalt für den körperlichen Entzug sinnvoll. Die Entgiftungen werden auf internistischen Stationen von Krankenhäusern oder in Fachkliniken angeboten, in denen speziell ausgebildete Kräfte den Entzug überwachen und begleitende Gespräche führen. Schritt 3: Entwöhnung – die eigentliche Therapie Ambulant: Die ambulante Behandlung dauert zwischen zwölf und 18 Monaten DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL und meint den Besuch von therapeutischen Gruppen- und Einzelgesprächen, ein- oder zweimal wöchentlich. Voraussetzung ist, dass der Kontakt zum Therapeuten gut ist und man sich gegenseitig vertraut. Sonst ist die Behandlung wenig Erfolg versprechend. Vorteil der ambulanten Therapie ist, dass die Betroffenen in ihrer gewohnten Umgebung und bei ihrer Familie bleiben sowie zur Arbeit gehen können. Das allerdings kann auch Nachteile mit sich bringen, da der Tagesablauf zumeist der gleiche wie vor der Entgiftung ist und manche Menschen dazu neigen, in gewohnter Umgebung rückfällig zu werden. Stationär: Zwischen sechs und 16 Wochen stationären Aufenthalt fern des Alltags bieten Fachkliniken an, meist aufgeteilt nach unterschiedlichen Suchterkrankungen und Patientengruppen. Mit Einzel- und Gruppengesprächen wird nach den Ursachen der Sucht geforscht, um gewisse Muster zu erkennen und sie gezielt behandeln zu können. In den weiteren therapeutischen Behandlungen (Entspannungstechniken, Kreativitätstrainings, Angebote zur Freizeitgestaltung etc.) wird versucht, den Start in ein rausch(mittel)freies Leben zu erleichtern. Der Kontakt zu Familie und Freunden ist in der Regel anfangs eingeschränkt und wird zum Ende der Therapie verstärkt, wenn es auch darum geht, das berufliche und soziale Umfeld zu betrachten. Schritt 4: Nachsorge Gesprächstherapien: Die Basis für ein abstinentes Leben ist geschaffen, aber die Gefahr des Rückfalls bleibt. Regelmäßige Gesprächstermine bei einem Arzt, in einer Beratungsstelle oder einer ambulanten Psychotherapie bieten sich an, um am Ball zu bleiben. Selbsthilfegruppen: Ob Anonyme Alkoholiker, Kreuzbund oder Arbeiterwohlfahrt: Selbsthilfegruppen haben sich zu einer der stärksten Säulen der Suchtbekämpfung entwickelt. Hier treffen Suchtkranke und Angehörige auf Gleichgesinnte, die Ähnliches erlebt und durchgemacht haben. Links u Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: „Alkoholfrei leben. Rat und Hilfe bei Alkoholproblemen“, www.bzga.de u Überblick über deutsche Selbsthilfegruppen mit regional einschränkbarer Suchfunktion: www.schon-mal-an-selbsthilfegruppen-gedacht.de 41 Glas für Glas Die akuten Alkoholwirkungen sind mannigfaltig und von vielen Faktoren abhängig – vereinfacht lassen sie sich aber bestimmten BlutalkoholKonzentrationen zuordnen. 0,2 Promille Die Redseligkeit steigt, Hemmungen lassen nach, die Reaktionszeit verlängert sich. 0,5 Promille Wie wenig ist genug? Seit es sie gibt, sind sie umstritten: ALKOHOL-GRENZWERTE IM STRASSENVERKEHR. Für das Leistungsvermögen am Steuer wäre Nullkommanichts ideal. Im Alltag haben sich liberalere, abgestufte Limits bewährt. Welche Philosophie steckt hinter 0,3, 0,5 und 0,8 Promille? 42 Alkohol lässt die Wirklichkeit verschwimmen. Erst recht bei DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL hohem Tempo A L KO H O L- G R E N Z W E R T E Das Schmerzempfinden wird gedämpft, Sehleistung und Hörvermögen verringern sich. Fehleinschätzung von Geschwindigkeiten. 0,8 Promille D ie beiden Besucher erfüllen die Klischees von Ehe-Veteranen: Seit Jahrzehnten verheiratet, so ziemlich alles miteinander erlebt. Trainiert, um unscheinbare Schwächen und das „Schnurren“ des Partners zu erkennen. Er, konzentriert und selbstsicher, steuert den Alkohol-Fahrsimulator der Hamburger Polizei. Sie begleitet die zunehmend schlingernde Fahrt mit gutmütigem Spott. Das Problem ist, dass das künstlic he Auto die Fahrt immer mehr er schwert – der computergesteuerte Alkoholisierungsgrad des Fahrers steigt an. Er engt das Blickfeld ein, lässt die Lenkung schwammig und ungenau werden. Er verlängert Bremswege und Reaktionszeiten. Rehe springen aus der Dec kung, Fahrzeuge kreuzen unvermittelt, Kinder stolpern auf die Fahrbahn. Und dann, nach drei, vier virtuellen Drinks, kann der Mann nicht mehr rechtzeitig bremsen. „Siehst du“, entfährt es seiner Frau. „Wie oft habe ich dir das schon gesagt?!“ FOTO : THINKSTOCK Gefahren anschaulich machen Für Polizisten ist das der Moment, wissend die Augenbrauen zu heben. Sie kennen sie von der Straße, diese Mischung aus Selbstvertrauen und falscher Zuversicht. Dieser Typ Fahrer fällt bei Kontrollen oft auf: der, der sich sicher ist, noch alles im Griff zu haben. Und doch: Schon bei 0,5 bis 0,9 Pr omille Blutalkoholkonzentration ist das Risiko 11- bis 13-fach höher, bei einem Unfall zu sterben, selbst wenn nur ein Fahrzeug beteiligt ist. Auf das fast 50-Fache steigt es bei 1 bis 1 ,4 Promille. Oberhalb von 1,5 Promille ist die Gefahr fast 400-mal so hoch. DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Erste Gleichgewichtsstörungen treten auf, auch der Sehsinn ist beeinträchtigt, die Reaktionszeit um das 30- bis 50-Fache verlängert. Anschaulich müsse man die ver drängte Gefahr machen, sagt Michael Wenzien, Polizeibeamter bei der Verkehrsdirektion 6 in Hamburg, zust ändig für Prävention. Bis zu 200-mal im Jahr sei der Simulat or unterwegs, in Berufsschulen, auf Messen, in Einkaufszentren. Wie im Alltag sortiere er die, die ihn steuer n, in T ypen, die der Beamte von der S traße kennt: „Den Selbstüberschätzer lassen wir simulier t auf einer Landstraße fahren, 70 km/h sind erlaubt. Aus der dritten Kurve fliegt er mit 90 km/h. Ebenso auf fällig: der Übervorsichtige, der weiß, dass er nic ht fahren sollte und es dennoch tut. Den treffen wir nachts mit 40 km/h auf einer mehr spurigen Straße an, er schleicht an der Linie entlang.“ Beide Fahrer wissen, dass sie Verbotenes tun – den einen reizt es, den anderen schreckt es. Für einen F ahrverzicht reicht die Vernunft bei beiden nicht. Zur Prävention dur ch Argumente kommt deshalb Abschreckung durch Kontrollen. Und wenn Alkoholgrenzwerte überschritten werden, gibt es eine S trafe. Die ist erforderlich – es ist auc h Staatsaufgabe, die Rechte anderer zu schützen. Ein typischer Fall: Kirchweyhe bei Bremen, im April 2010. Ein PkW prallt nach Mitternacht in einer Tempo-30-Zone gegen einen Baum. Die Tachonadel hängt bei 130 km/h fest, 107 km/h ist die später ermittelte Aufprallgeschwindigkeit. Rettungskräfte finden sechs junge Menschen. Drei sind tot, der Fahrer stirbt später auf der Intensivstation, seine Blutalkoholkonzentration wird mit 1,4 Promille festgestellt. „Absolutes Alkoholverbot am Steuer“ fordert der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, der als Dachverband über 200 Organi- 1,0 Promille S T R A S S ENV ER K EHR Es beginnt ein regelrechter Rausch: Emotionen und Verhalten sind deutlich verändert. sationen vertritt, darunter alle deutschen Verkehrsministerien, Unfallversicherungen, Autohersteller und Verkehrsclubs. Der „Grenzwert Null“, in der deutschen Verkehrsgeschichte ein Sonder weg der ehemaligen DDR, wur de in den neuen Bundesländern zum 1. Januar 1993 abgeschafft. Fortan galt 0,8 Promille, seit dem 1. April 2001 der gesamtdeutsche Grenzwert von 0,5. Ausnahme sind F ahranfänger in der Pr obezeit und Fahrer unter 21 Jahren: Seit dem 1. August 2007 sind sie zur Nüchternheit verpflichtet, ebenso wie Bus- und T axifahrer sowie Lenk er von Gefahrguttransporten. Sehr wahrscheinlich ist ein Totalverbot nicht – schließlich vertraut die Philosophie westlicher Gesellschaften auf Vernunft und Urteilskraft des Einzelnen. Die will ausgleichen zwischen der Freiheit des Fahrers und den Rechten der anderen. Dahinter verbirgt sic h die Rechtskonzeption des Königsberger Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant: „Recht ist der Inbegriff aller Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür einer anderen Person nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann.“ Daher gibt es Grenzwerte, also „Kompromisse in Zahlen“. Abschreckung als Ziel Die deutsche 0,5-Promille-Vorschrift steht im 1973 geschaffenen und 2001 verschärften § 24a des Straßenverkehrsgesetzes. Die Philosophie des Verbots ist allgemeine Abschreckung. Funktioniert sie? „Die Zahl der Unfälle unter dem Einfluss von Alkohol und anderen berauschenden Mitteln ist im Zeitraum 200 1 bis 2011 um knapp 40 Prozent zurückgegangen. Und > 43 2,0 Der Alkohol wirkt mitunter wie ein starkes Schlafmittel, die Sprache ist deutlich lallend. Gedächtnisstörungen treten auf, ebenso wie Sehstörungen. Muskeln erschlaffen, die Pupillen sind klein. Promille > das, obwohl es seit 2001 weder eine Verschärfung der Rechtslage noch eine deutliche Erhöhung der Verkehrskontrollen gegeben hat“, konstatiert Dr. Beate Merk, Bayerns Justizministerin, nach gut einem Jahrzehnt „Nullkommafünf“. Promillewerte bröckeln Komplizierter, und ganz ander s begründet, ist die Rechts- und Grenzwertpraxis, wenn ein Alkoholisierter durch Fahrfehler auffällt oder einen Unfall verursacht. Das aber ist nicht jedem Fahrer klar: Dann wird § 316 des Strafgesetzbuchs angewendet. Er ist 20 Jahr e älter als die allgemeine Promillegrenze, stammt aus dem Jahr 1953. Bis zu zwölf Monate Gefängnis droht er jedem an, der „ein F ahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen“. Aber § 316 StGB nennt keine Zahlen. Die sind Sac he der Richter. Die höchsten Instanzen haben sie 2,5 Promille jeweils an den Stand der Forschung angepasst. Die Philosophie dieser Gr enzwerte unterscheidet zwischen „absoluter“ und „relativer“ Fahrunsicherheit. Absolute Fahrunsicherheit wird angenommen, wenn die W issenschaft einen Wert feststellt, bei dem niemand mehr sicher fahren kann. 1953 interpretierte der Bundesgerichtshof den Stand der Forschung so, dass dies bei 1 ,5 Promille der Fall sei. 1966, nach einem Gutachten des damaligen Bundesgesundheitsamts, 0,0 ‰ 0,1 ‰ 0,2 ‰ 0,3 ‰ 0,4 ‰ - 0,5 ‰ 0,7 ‰ - 0,8 ‰ 1,0 ‰ * keine Angaben ohne Beschränkung (kein Promillewert festgelegt) 44 * USA: je nach Bundesstaat unterschiedlich – bis zu 1 ‰ Internationaler Vergleich Auch wenn die physiologischen Wirkungen des Alkohols weltweit gleich sind, gibt es je nach Land unterschiedliche Promillewerte, die im Straßenverkehr erlaubt sind – zwischen 0,0 und 1 Promille. Die Karte ist eine Momentaufnahme (Stand: Anfang 2013). DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL A L KO H O L- G R E N Z W E R T E S T R A S S ENV ER K EHR ILLUSTRATION: PICFOUR sank der Wert auf 1,3 Promille: Die Mediziner konstatierten, dass ab 1,1 Promille kein Proband die Fahranforderungen mehr erfüllen könne. Das Gericht gab, im Zweifel für den Angeklagten, einen Sicherheitszuschlag von 0,2 Pr omille obenauf. Seit 1990 schließlich beginnt der „absolute Bereich“ bei 1,1 Promille: Wer aufgrund von § 316 StGB angeklagt ist, kann keinen individuellen Gegenbeweis antreten, wenn ihm ein Wert von 1,1 Promille oder mehr nachgewiesen wird. Es spielt keine Rolle, ob er eine per fekte Fahrvorführung gegeben hat. Er wird verurteilt. Anders die relative Fahrunsicherheit, bei der sowohl eine Alkoholisierung vorlag als auch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen aufgetreten sind. Das wäre der Fall, wenn der Fahrer „Trinkerserpentinen“ vollführt. Die Kehrseite der strengen Anforderungen an die Be weislage: Es spielt keine Rolle, ob die nachgewiesene Blutalkoholkonzentration unterhalb von 0,5 Promille liegt. Nach einem Unfall kann es bereits ab 0,3 Pr omille zu strengen Strafen kommen. Weil diese Grenzwerte nur einem Zwec k dienen, nämlich den Ausschlag für oder gegen eine Verurteilung zu geben, heißen sie Beweisgrenzwerte. Und da ihre Aussagekraft entscheidend ist, gibt es strenge Vorgaben für ihre Erhebung. Das „Pusten“ auf der Straße dient der Klärung des ersten Verdachts. Entscheidend sind die ger ichtsverwertbare Atemprobe mit extrem zuverlässiger Analytik – in Deutschland mit dem allein dafür zugelassenen Dräger Alcotest 7110 Evidential – oder einer Blutprobe, die von 1,1 Promille aufwärts immer gefordert wird. Bei DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTO : FOERST GMBH Jetzt schlägt die Wirkung in eine Art Narkose um: Die Pupillen werden weit, alle genannten Störungen verstärken sich. Der Trinker kann nun rasch bewusstlos werden und einen Schock erleiden. Trinkt er weiter, drohen Koma und Tod – entweder durch Kreislaufversagen, die Unterdrückung des Atemreflexes oder durch Unterkühlung, weil die Körpertemperatur stetig sinkt. Ernüchternd: Im Fahrsimulator kann man sich ein Bild davon machen, wie sich die Welt der Straße in unterschiedlich alkoholisiertem Zustand darbietet der Probennahme kommt es auf die penible Einhaltung der Prozeduren an. So ist u.a. vorgeschrieben, dass sie von einem Arzt durchgeführt wird. Will er diese Verantwortung abgeben, etwa an eine Krankenschwester, ist das nur mit Zustimmung des Verdächtigen möglich. Verfahrensfehler sind also ein Risiko: ein findiger Anwalt könnte sie nutzen, um einen F reispruch zu erkämpfen. Mentalitätswandel Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hat in einer Entscheidung von 2010 die unterschiedlichen Ansätze der Rechtsgebiete deutlich gemacht: Eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Verwaltungsverfahren dient der vor sorglichen Abwehr von Gefahren, die anderen Verkehrsteilnehmern durch nachweislich ungeeignete Fahrzeugführer drohen. Im Strafverfahren dagegen werde nachträglich kriminelles Unrecht geahndet. Schließt man sich dieser Auffassung an, bleibt die F rage: Ist es „kr iminelles Unrecht“, wenn ein Fahrer mit 1,1 Promille oder mehr unterwegs ist und wohlbehalten am Ziel ankommt? Konkret schädigt er niemanden, doch das Recht sagt „Ja“, die Gefährdung reicht ihm dabei ebenso aus, als wenn jemand unsachgemäß mit Sprengstoff in einer Fußgängerzone hantiert. Für die Deutschen, so zeigte eine Meinungsumfrage im Auftrag der Dekra in 2012, dürfte durchaus der Grenzwert Null kommen: 78 Prozent der Befragten waren dafür. Auch vielen Experten erscheint er vernünftig, gut begründet und eines Tages womöglich durchsetzbar – dank eines allgemeinen Mentalitätswandels: Früher schien es akzeptiert, damit zu prahlen, nicht erwischt worden zu sein „Stell dir vor: sternhagelvoll, und sie haben mic h nicht gekriegt!“ Erzählt man das heute, schüttelt beinahe jeder den Kopf: „Was bist du denn für einer?!“ Silke Umbach 45 V ER K EHRS SIC HE R HEI T ALKOHOL-IN T E RLOCKS Einfach und überzeugend Das Prinzip einer ATEMALKOHOLGESTEUERTEN WEGFAHRSPERRE ist denkbar einfach: Sie gibt den Anlasser des Fahrzeugs erst dann frei, wenn der Atemalkoholtest akzeptiert wurde. 46 FOTO : BLIND Prävention gegen Alkoholfahrten: Das Interlock XT ist der intelligente Zündschlüssel, der Fahrten unter Alkoholeinfluss verhindert DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Unbestechlich: Im Innern des gegen Manipulationen geschützten Dräger Interlock XT arbeitet Messtechnik, die spezifisch Alkohol misst Interlock XT: Erst pusten, dann fahren. Das Prinzip der atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperre www.draeger.com/392/interlock E FOTOS: MIQUEL GONZALEZ; DRÄGERWERK AG & CO. KGAA inen Atemalkoholtest durchführen, damit der Wagen anspringt? Was für viele ungewohnt klingt, ist mancherorts längst Realität: Der Autofahrer pustet mit Nachdruck in das Mundstück eines unscheinbaren Handgeräts, das den Alkoholgehalt der ausgeatmeten Luft analysiert. Ist das Ergebnis negativ , gibt – wenige Sekunden später – die Elektronik des Wagens den Anlasser fr ei. Bei dieser Form der Wegfahrsperre, einem sogenannten Alkohol-Interlock, geht es also nicht um Diebstahlschutz, sondern um die konsequente Minderung des Risikos von Fahrten unter Alkoholeinfluss. Stand der Technik sind Geräte mit elek trochemischem Sensor – wie das Dräger Interlock XT, das spezifisch Alkohol misst. Für die Überwachung der Sicherheit im Straßenverkehr bedeuten Alk oholInterlocks einen P aradigmenwechsel, denn der Test wird präventiv durchgeführt – vor dem Starten des Motors. Übliche Verkehrskontrollen hingegen sind Stichproben und zielen darauf ab, Alk oholsünder im laufenden Verkehr zu identifizieren und ihr Verhalten als Ordnungswidrigkeit oder Straftat zu ahnden. USA: Vorreiter bei Einführung Vorreiter bei der Einführ ung atemalkoholgesteuerter Wegfahrsperren waren in den 1980er-Jahren die USA (wo heute mehr als 200.000 dieser Geräte im Einsatz sind) und Kanada. Auch in Australien werden sie auf breiter Basis eingesetzt, ebenso in Europa: Erste Programme gab es in Schweden (ab 1999 zunächst regional, seit 2004 landesweit), F rankreich (erste Studie in 2004) und F innland DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL (seit 2008, Programm gesetzlich verankert seit 2011). Die positiven Ergebnisse der Feldversuche haben Gesetzgeber in verschiedenen europäischen Ländern darin bestärkt, die Einführung von Alkohol-Interlocks voranzutreiben. So wer den bis zum Jahr 20 15 alle Sc hulbusse in Frankreich mit Alkohol-Interlocks ausgerüstet sein. In Schweden wird das bereits bei allen staatlich ausgeschriebenen Transportaufträgen gefordert. Das Prinzip eines Alkohol-Interlocks ist ebenso einf ach wie über zeugend: Wer alkoholisiert ist, k ann sein Fahrzeug nicht starten. Selbst wenn heute eine solche Wegfahrsperre für jedes Fahrzeug sinnvoll erscheint, lässt sich eine flächendeckende Ausrüstung rechtlich und ökonomisch kaum durchsetzen. Doch es gibt genügend Beispiele dafür , dass der Einsatz bereits gut funktioniert und auch akzeptiert wird. Darunter fällt zum einen die P ersonenbeförderung (Busse, Taxis) oder der Güter verkehr (z.B. Gefahrgut). In beiden Fällen übernehmen die Fahrer eine große Verantwortung gegenüber Fahrgästen, der Allgemeinheit und Umwelt. Zum anderen dient der Einsatz dieser Wegfahrsperren dazu, dass Personen, die bereits alkoholisiert im Straßenverkehr auffällig geworden sind, das Fahren und Trinken strickt trennen lernen. In den Nieder landen sind mittlerweile mehr als 1.000 Autofahrer mit einem solchen Gerät unterwegs, nachdem Ende 2011 ein entsprechendes Gesetz eingeführt wurde (siehe auch Drägerheft 391; S. 44-47). Wirksam ist die Technik aber nur, wenn sie zuverlässig funktioniert und auc h Manipulationsversuchen standhält. Das Dräger Interlock XT verfügt über verschiedene Mechanismen, die sic herstellen, dass der Atemalkohol genau anal ysiert und Manipulationsversuche zuverlässig erkannt werden. Wurde eine Atemprobe abgegeben und akzeptiert, gelangt sie mithilfe des Probenahmebalgs zum elektrochemischen Sensor. Ist sie negativ, sendet das Gerät der Fahrzeugelektronik ein entsprechendes Signal zur F reigabe des Anlassers. Ein Plus an Sicherheit Beim Einbau in F ahrzeuge des Personen- oder Güter verkehrs spricht man von „Primärprävention“. Hier liegt kein konkreter Verdacht gegen den Fahrer vor. „Zudem stillt der Einsatz eines AlkoholInterlocks das Sicherheitsbedürfnis der Fahrgäste und der Umwelt“, sagt Bettina Velten, Produkt-Managerin bei Dräger. „Das schafft Vertrauen und unterstreicht die von Fahrern und Betreibern übernommene Verantwortung.“ Anders sieht es aus, wenn die Geräte in Fahrzeugen von auffällig gewordenen Verkehrsteilnehmern eingebaut werden. Diese „Sekundärprävention“ dient der Vorbeugung weiterer Trunkenheitsfahrten und wird anstelle oder nach einem Fahrverbot angeordnet. Die direkte Wirksamkeit von Alkohol-Interlocks bestätigen wissenschaftliche Publikationen wie die 2011 veröffentlichte Meta-Studie des USamerikanischen „Guide to Community Preventive Services“ oder die CochraneStudie von 2009. Auch die 2006 präsentierte und von der Europäischen Kommission geförderte Studie „Alcolock implementa- > 47 V ER K EHRS SIC HE R HEI T ALKOHOL-IN T E RLOCKS Alkohol-Interlock im Güterverkehr Dräger DrugTest 5000 als Bestandteil der Arbeitssicherheit Alkohol-Interlocks sind ein wesentliches Element der Primärprävention > tion in the European Union“ bekräftigt die Eignung dieser Technik für verschiedene Zwecke. In das Pr ojekt waren Busund Lkw-Fahrer als Testgruppen für die Primärprävention eingebunden. Durch Alkohol am Steuer auffällig gewordene Kraftfahrer bildeten weitere Testgruppen für den Bereich der Sekundärprävention. Den Riegel vorschieben Bei einmal überführten Alkoholsündern zeigten sich Alkohol-Interlocks als wirksame Methode, weitere Alkoholfahrten zu unterbinden. Das gilt insbesondere im Vergleich zum Entzug des Führerscheins, denn unter der Ein wirkung von Alkohol wächst offenbar die Bereitschaft, sich – trotz des möglichen Entzugs der Fahrerlaubnis – ans Steuer zu setzen. Eine atemalkoholgesteuerte Wegfahrsperre schiebt solchen Alkoholfahrten technisch einen Riegel vor. Was manchen Betroffenen zum Versuch verleiten mag, die Geräte zu über listen. Deshalb 48 sind die Zuverlässigkeit und der Schutz gegen Manipulationen auch so wichtig. Die Geräte, die wie das Dräger Interlock XT, die Eur opäische Norm EN 50436 erfüllen, kommen den jeweiligen Anforderungen an das Prüfver fahren und das Betriebsverhalten nach. Alle Ereignisse, wie etwa das Messergebnis des Atemalkoholtests oder die Fahrtdauer, werden mit Datum und Uhrzeit im Gerät gespeichert und können von geschulten Personen mit entsprechender Hard- und Software sowie Zugangsberechtigung ausgelesen werden. Dies geschieht meist im A bstand weniger Wochen. Die Daten des Teilnehmers sind verschlüsselt, Außenstehende haben keinen Einblick. Aus den Ergebnissen lassen sic h im Rahmen einer Therapie beispielsweise R ückschlüsse ziehen, ob sic h das T rinkverhalten des Teilnehmers geändert hat. Studien zufolge fahren einige mehrfach auffällig gewordene Fahrer erneut alkoholi- siert auf den Straßen, sobald die Geräte nach Beendigung des Pr ogramms wieder ausgebaut wurden. Um das Potenzial eines Alkohol-Interlock-Programms voll auszuschöpfen, ist deshalb die K ombination aus Gerät und begleitenden Maßnahmen sinnvoll. Schnelles Nachweisverfahren Erste Konzepte für die Alk ohol-Interlock-Technik stammen aus den 1960erJahren. Als ein Vorreiter der Idee gilt Dr. Robert B. V oas von der N ational Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) in den USA, der in seinem Aufsatz „Cars that Drunks Can’t Drive“ die Funktion moderner Interlock-Technik vorwegnahm. Voas arbeitete mit an der 1992 erstmals veröffentlichten für die USA geltenden technischen InterlockSpezifikation (Model Specif ications for Breath Alcohol Igni tion Interlock Devices). Zunächst wurde in Nordamerika mit Systemen experimentiert, die DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: DRÄGERWERK AG & CO. KGAA Atemalkoholkontrolle unter Tage am Arbeitsplatz 1. Wenn die Zündung des Wagens eingeschaltet wird … 2. … fordert das Interlock XT zur Abgabe einer Atemprobe auf mittels Reaktionstest auf die Fahrtüchtigkeit schließen lassen sollten. Schließlich setzte sich aber der Atemalkoholtest vor dem Antritt der Fahrt als schnelles und direktes Nachweisverfahren durch. Am Grundprinzip hat sic h seitdem nicht viel geändert. Mit der zunehmen- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL 3. Der Alkoholgehalt des Atems wird analysiert … 4. … und bei einem bestandenen Test gibt das System den Anlasser frei den Verbreitung von Alkohol-Interlocks steigen vor allem die Anf orderungen an die Geräte und das Datenmanagement. „Denjenigen, die daran arbeiten, ein Trunkenheitsfahrerprogramm einzuführen, stehen wir mit unser er Erfahrung zur Seite“, be tont Bettina 5. Nun kann der Motor gestartet werden Velten. Davon profitieren die beteiligten Kraftfahrer, die ihre Atemproben unter eindeutigen und r eproduzierbaren Bedingungen abgeben. Das Plus an Verkehrssicherheit durch den Einsatz von Interlocks kommt indes allen zugute. Peter Thomas 49 GE SUN D H EI T M Y T H EN UN D L E GE NDE N Das Märchen von der gesunden Droge Um die WIRKUNG VON ALKOHOL UND DROGEN ranken sich viele Geschichten. Oft sollen sie die Gefährlichkeit herunterspielen oder in ein gesundes Gegenteil verkehren. Die meisten erweisen sich beim näheren Hinsehen jedoch als bizarre Märchen. K eine Frage: Ein Glas Wein in geselliger Runde kann guttun, eine Zigarette auch. Es plaudert sich leichter, die Stimmung wirkt gelassener. Das macht Spaß, und den lässt man sich nur ungern verderben – etwa durch Warnungen vor den Gef ahren des Alkohols und anderer Drogen. Viel angenehmer ist da doch die Vorstellung, dass Alkohol in Maßen sogar gesundheitsf örderlich ist – oder dass man die Auswirkungen von Drogen mit kleinen Tricks im Zaum halten kann. Aber stimmt das? Gesunder Alkohol Mit höchsten wissenschaftlichen Weihen wurde der Rotweinkonsum versehen, seit epidemiologische Studien zu dem Ergebnis kamen, dass mäßiger Alkoholkonsum mit einer niedrigeren Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergehe. Aber das gilt nicht uneingeschränkt. „Nur moderater Alkoholkonsum scheint eine positive Wirkung auf die Gef äße zu haben“, erläutert Dr. Renate Schnabel, Kardiolo- Rotwein: gut fürs Herz? gin an der Universitätsklinik HamburgEppendorf. „Beim Rotwein scheinen auch die Flavonoide und Polyphenole wie Resveratrol eine Rolle zu spielen, die unter anderem verhindern, dass sich die Blutplättchen zusammenklumpen und damit einem Herzinfarkt Vorschub leisten.“ Ein Glas Wein oder Bier ist demnac h noch im gesundheitlich erwünschten Bereich, höhere Alkoholmengen schädigen hingegen das Herz. „Mit dem ‚Holiday -HeartSyndrom‘ bezeichnet man Her zrhythmusstörungen und Vorhofflimmern, die häufig nach Feiern mit viel Alkohol auftreten“, sagt die Ärztin. Nun gut, aber nach einem kräftigen Essen fördert ein Schnaps doch die Verdauung! Stimmt nicht, sagen jetzt Forscher aus der Schweiz. Sie verabreichten 20 Probanden Käsefondue mit 200 Gramm Käse – dazu Brot und hinterher entweder Wein, einen Schnaps oder nur Tee. Die Überraschung: Die Alkoholtrinker verdauten sogar deutlich langsamer als die Teetrinker. Alkohol lockert zwar die Magenmus- kulatur und verursacht dadurch subjektiv eine Linderung des Völlegefühls, verzögert aber gleichzeitig die Verdauung. Auch als Sc hlafmittel hält Alkohol nicht das, was er verspricht. Zwar wird man mit Alkohol müde und schläft leichter ein, doch erholsamer ist der Schlaf bisweilen nicht: Alkohol verhindert in der ersten Nachthälfte den Tiefschlaf, traumlos wälzt man sich hin und her und wird oft wach, die Muskeln erschlaffen, und unter dem Schnarchen leiden die Bettgenossen. Das Gefährlichste sind jedoch Atemaussetzer – eine Schlafapnoe, die sich unter Alkohol noch verstärken kann. Das Fatale ist, dass sic h regelmäßige Trinker von diesen Sc hlafproblemen nicht durch abruptes Absetzen des Alkohols befreien können. Dann kommt es zu einer ausgeprägten Schlaflosigkeit, die oft leider wieder mit Alkohol bekämpft wird. Gebändigte Drogen Noch ein paar Spr itzer Wein an das Fischragout? Kein Problem, das ver - zzZZZ ZZ zzZ zzZZZ Sorgt Alkohol für besseren Schlaf? 50 DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTO : SHUT TERSTOCK; ILLUSTRATIONEN: PICFOUR Verdunstet Alkohol beim Kochen? dunstet doch beim Kochen! Leider ist auch das ein Ir rtum, der auf jedem Weihnachtsmarkt widerlegt wird: Auch der stundenlang erhitzte Glühwein hat schließlich noch ausreichend „Umdrehungen“. Zwar siedet Alkohol bereits bei 78 Grad und ver dampft im Wassergemisch, aber nur bis zu einer Konzentration von fünf Pr ozent. Bei diesem Verhältnis stellt die Mischung ein sogenanntes Azeotrop dar und hat einen konstanten Siedepunkt. Deshalb waren in Experimenten in Rotweinsoße auch nach 2,5 Stunden Kochen noch fünf Prozent Alkohol enthalten. Wasserpfeifen liegen im T rend als vermeintlich bekömmlichere Art des Rauchens. Schließlich gelangt der Rauch vor dem Inhalieren durch Wasser und wird dabei gereinigt. Auch ein Irrtum, sagen Experten. Die gesundheitlichen Gefahren werden durch die süßlichen Aromen und das Fehlen von Bitterkeit und Kratzen unter schätzt: Die Nikotinkonzentration im Blut ist Berauscht vom Champagner-Bad? Dekadent, aber wissenschaftlich untersucht: Das Bad in Champagner kann den Atemalkoholgehalt tatsächlich auf über 1,5 Promille erhöhen – allerdings nur bis zu 15 Minuten nach Verlassen der Wanne. Die Blutalkoholkonzentration bleibt bei etwa 0,1 Promille. Somit gelangt kein Alkohol durch die Haut in das Blut, und man bleibt selbst in Champagner nahezu stocknüchtern. nach dem Rauchen von Shishas deutlich höher als nac h Zigaretten. Während einer Sitzung inhalier en die Konsumenten etwa so viel Rauch wie nach 100 filterlosen Zigaretten, gibt die Weltgesundheitsorganisation zu bedenken. Tricks beim Alkoholnachweis Ein starker Kaffee, ein kurzer Schlaf, Schwitzen bei einem or dentlichen Dauerlauf – das wir d den Restalkohol schon vertreiben! Leider macht man da die Rechnung ohne die Leber. Die lässt sich davon nicht beeindrucken und ver- arbeitet den Alkohol konstant mit 0,1 bis 0,2 Promille pro Stunde. Und wer nach einer alkoholgetränkten Nacht mit dem Auto nach Hause fährt und der Polizei begegnet, wird auch mit Knoblauchfahne oder Pfefferminzbonbons im Mund nur Gleichmut bei den Beamten ernten. Messgeräte, wie das Dräger Alcotest 9510, lassen sich nämlich nicht überlisten. Fremde Aromen stören die Anzeige nicht, und auch wenn bei niedrigeren Temperaturen ein niedrigerer Atemalkoholgehalt angezeigt wird, rechnet ihn das Gerät auf Normaltemperatur hoch. Regina Naumann Shisha: gesünder als Zigaretten? Ist Schnaps gut für die Verdauung? DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL 51 Dichter dran Ein Streifzug durch die LITERATUR BIETET ALKOHOLKONSUM in zahlreichen Facetten: Freud und Leid des Genusses, Faszination und Zerstörungskraft des Exzesses finden sich gleichsam in Werken und Biografien der letzten Jahrhunderte. Doch die Schwerpunkte verschieben sich. Ein Hoch auf die Poesie: Charles Bukowski tankt Inspiration während einer Lesung in Paris (1978) 52 DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL IM R AUSCH S ein letztes Bier trank Benjamin von Stuckrad-Barre auf dem Weg zum Entzug. Ein letzter Schluck. Einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller ist trockener Alkoholiker – seit einigen Jahren, sagt er. Nach jahrelangem Dasein im Dauerrausch blieb ihm die F ahrt in die Entzugsklinik: in einem Zug, in dem für Johann Wolfgang von Goethe, E. T. A. Hoffmann oder Charles Baudelaire noch Plätze frei gewesen wären. Oder für Edgar Allan Poe, Ernest Hemingway und Charles Bukowski, Oscar Wilde, Jean Paul und Jack London. FOTO : SOPHIE BASSOULS / SYGMA/CORBIS; PETER-ANDREAS HASSIEPEN / HANSER Haare grün gefärbt Sie wären eine illustre Gesprächs- und Therapierunde geworden. Goethe, der von seinen zwei, drei Flaschen Wein täglich erzählt und davon, wie seine Frau Christiane am Alkohol zugrunde ging, während er in seinem Weimarer Gartenhaus unbeirrt weitertrank. Drogen-Crosser Baudelaire, der gesteht, sich unter Einfluss seiner Alltagsdroge Absinth (kombiniert mit Opium) die Haare grün gefärbt zu haben. Hoffmann, der abends seine Fantasie mit Wein und Punsch anheizte. Sie alle hätten nett beieinander gesessen und besc hlossen, künftig „Nein, danke!“ zu sagen, wenn man ihnen ein Glas Hoc hprozentiges angeboten hätte. Und wahrscheinlich hätte jeder von ihnen 20 oder auch 30 Jahre länger gelebt. A bgesehen von Goethe, der es – er staunlicherweise – trotz mehr als 60 Jahr e währenden Alkoholmissbrauchs auf 82 Lebensjahr e schaffte. Hoffmann wäre nicht mit 46 Jahren an Leberzirrhose gestorben, Wilde hätte seinem letzten Besucher kurz vor dem Tod > DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL SC HR IF T S T ELLER „Fast alle Kriminalromane kriegt man nur mit Alkohol runter“ MICHAEL KRÜGER ist Verleger, Autor und Herausgeber. Mit der wissenschaftlichen Satire „Literatur & Alkohol“ verfasste er ein nicht ganz ernst gemeintes Verzeichnis real existierender sowie möglicher trunkener Literatur. Herr Krüger, als Autor und Verleger wissen Sie es: Schreibt es sich unter Alkoholeinfluss besser? Besser sicher nicht, aber mitunter einfacher. Es gab in der Geschichte Schriftsteller, die nur unter Alkoholeinfluss schreiben konnten. Diese Wahrnehmung kennen wir schon aus der Antike: Gott löst die Zunge und spricht aus dem Schriftsteller. In unseren bürgerlichen Verhältnissen heute hat sich das verändert, weil Alkohol als Droge und Rauschmittel angesehen wird. Merken Sie als Verleger den Manuskripten an, wenn ein Autor getrunken hat? Nein. Alkohol löst zwar die Zunge, aber das sehe ich ja dem Manuskript nicht an. Vielleicht hätte es mich ohne Alkohol nie erreicht, aber das kann ich als Leser nicht wissen. Literaten und Alkohol gehören irgendwie zusammen. Wird der Alkoholkonsum bei Schriftstellern einfach nur mehr wahrgenommen? Sicherlich. Ich würde nicht sagen, dass es unter Literaten mehr Trinker gibt als in anderen Berufsgruppen. Heutzutage wird vor allem unter Jugendlichen wahnsinnig viel getrunken, und das sind nun weiß Gott keine Dichter. Aber irgendetwas muss diese Nähe zwischen Alkohol- und Schaffensrausch doch begründen! Ohne Frage ist Alkohol ein Thema unter Schriftstellern, denn er ist auch ein Mittel, die Angst vor dem Versagen zu besänftigen. Der Beruf des freien Schriftstellers ist kein leichter, er ist auch geprägt von Versagensängsten. Man muss sich ständig fragen: Taugt das, was ich geschrieben habe? Alkohol kann von dieser Angst befreien. Ein Glas Rotwein gehört vielerorts auch für den Leser zum Buch. Beflügelt Wein die Fantasie und die Fähigkeit, sich auf eine Geschichte einzulassen? Die Frage ist, warum man liest. Am Abend, um sich zu entspannen, ist das nicht abwegig. Fast alle Kriminalromane zum Beispiel sind so schlecht, dass man sie nur mit Alkohol runterkriegt. Am nächsten Tag hat man das, was man da gelesen hat, schon wieder vergessen. Und es ist auch nicht so schade drum. Als Verleger kann ich auf keinen Fall trinken beim Lesen – das würde meinen Blick trüben. Lesen ist für mich Arbeit, und das geht nur nüchtern. 53 „Ich hasse es, Drogen, Alkohol, Gewalt oder Wahnsinn für jedermann zu befürworten – aber mir hat’s immer geholfen“ Hunter S. Thompson lung nehmen – ohne es auc h gleich als solches zu beschreiben oder notwendigerweise zu empfinden. Sondern auch, weil das Image des tr inkenden Schriftstellers, rückblickend betrachtet, kein per se schlechtes ist. Toten Dichtern haftet der Alkohol- und Drogenmissbrauch weitaus weniger negativ an als den heute lebenden, die sogleich als zügellos, maßlos und nicht ernst zu nehmend betrachtet werden. Lockmittel auf dem Titel Günter Grass mit einem Glas Wein in der Hand mag man sich noch gefallen lassen. Zu Michel Houellebecq gehör t es auch irgendwie, wenngleich der nicht müde wird, immer wieder zu be tonen, Sex sei die bessere Droge. Christian Kracht und auch Benjamin von Stuckrad-Barre haben erkannt, was Alkohol mit ihnen anr ich- tet. Sie haben ihn vor Jahren zu ihrem Markenzeichen werden lassen, als wilde, alkoholische Exzesse und Popliteratur in einem Atemzug einhergingen – und machen es heute ebenso zu ihr em Markenzeichen, das überwunden zu haben. Der Amerikaner Augusten Burroughs verarbeitet in einem Werk den eigenen Entzug, Joachim Lottmann nutzt den Alkohol als Lockmittel auf dem Titel, versichert im Buc h aber laufend, dass er selbst am Genuss nie Gef allen gefunden habe. Das Image des modernen Trinkers hat sich gewandelt, für den Leser wie den Autor selbst. Man scheint der Vorstellung, alle Werke könnten einzig Vergorenem entstammen, überdrüssig geworden zu sein. Ob der Alkoholkonsum heute einfach besser versteckt ist oder die Abstinenz tatsächlich gelebt wird, bleibt das Geheimnis der Autoren. Isabell Spilker FOTOS: ONLINE USA, INC. / ACTION PRESS, MAURITIUS IMAGES / UNITED ARCHIVES, PR(9) > als 46-Jähriger nicht erzählen müssen: „Meine Tapete und ich fechten gerade ein Duell aus. Einer muss verschwinden!“ Jack London hätte sich wohl nicht mit 40 Jahren das Leben genommen, Hemingway eine Therapie gegen seine Depressionen gemacht und sich nicht mit Ende 60 erschossen (siehe auch S. 22–23). Aber hätten uns ihre Werke aus den Jahren der Abstinenz ähnlich erfreut wie die, die in der Zeit des Trinkens entstanden? Denkt man an die g roßen Literaten, ist das Bild des T rinkers nicht weit. Ob ein, zwei, drei Gläser zum entspannten Schreiben oder Rauschexperimente als Bewusstseinserweiterung: Alkohol, Drogen und Literatur scheinen auf seltsame Weise miteinander verbunden zu sein. Nicht nur, weil viele Autoren seit der Antike in Briefen oder Anekdoten, Gedichten und Anthologien zu ihrem Laster Stel- Ernest Hemingway in Pamplona (1959): Der alte Mann und das „Mehr“ (links). Rechts: Hunter Thompson, der im Rausch eine neue Art der Reportage erfand und seinen ausschweifenden Schreibstil „Gonzo-Journalismus“ mit Drogen aller Art taufte 54 DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL IM R AUSCH SC HR IF T S T ELLER Top-Werke des Rauschs Trotz oder wegen Alkohol: Diese Werke hätte es so, wie wir sie kennen – ohne den Rausch davor, dabei oder danach –, wohl nie gegeben. Und das ist nur eine kleine Auswahl, der mühelos nicht allein Ringelnatzens „Kuttel Daddeldu“ hinzuzufügen wäre. Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832): „Faust“ Wo hätte Mephisto Faust sonst hinführen können, um ihm das „leichte Leben“ zu zeigen, als in Auerbachs Keller, wo der Wein in rauen Mengen floss? Als Student selbst weilte Goethe dort bei seinen ersten Gläsern Wein. Jean Paul (1763–1825): „Siebenkäs“, „Hesperus“ Wein, Likör und Bier ließ der Zeitgenosse Goethes reichlich fließen. Seinen Werken tat es keinen Abbruch. Ob sie ohne besser geworden wären? Wer weiß, ob es sie überhaupt gegeben hätte. Versprach sich der Dichter doch: „Die Trunkenheit vermehrt zwei schöne Dinge: Mut und Liebe.“ EDGAR ALLAN POE DER RABE Zweisprachige Ausgabe Insel-Bücherei Nr. 1363 Edgar Allan Poe (1809–1849): „The Raven“ Obwohl schon nach einem Glas Wein stockbetrunken, kam der vom Leben Gepeinigte nicht vom Alkohol los. Unzählige Werke nachfolgender Literaten bauen auf Poe auf – uns wären wohl viele großartige Werke vorenthalten geblieben. Charles Baudelaire (1821–1867): „Die Blumen des Bösen“ Baudelaires Hauptwerk ist dem Absinth zu verdanken. Dem Gedichtband, der ihn zum größten Lyriker Frankreichs machte, sagt man nach, dass nur der Wahn unter Absinth so etwas hervorbringen konnte. _ Jack London König Alkohol Roman Jack London (1876–1916): „König Alkohol“ Ein Klassiker für Hochprozentiges: Am Ende, und das fehlt freilich in seinem autobiografischen Roman zur Alkoholsucht, wartete auf den Autor der Selbstmord unter Drogeneinfluss. DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Gottfried Benn (1886–1956): „Bierode“ Ein Loblied auf das braune Gebräu, dem Benn in jeder Hinsicht verfallen war. Nicht ohne Ironie widmete sich der Dichter und Doktor Gottfried Benn hier einmal mehr seinem großen Laster. Ernest Hemingway (1899–1961): „Der alte Mann und das Meer“ Das pulitzer- und nobelpreisgekrönte Werk spielt und entstand in Hemingways Wahlheimat Kuba, wo er täglich mehrere zartgrüne Daiquirís (aus Zuckerrohrsirup, Rum und Limonensaft) und Mojítos, flaschenweise Wein, Whiskey und Tequila trank. Malcolm Lowry (1909–1957): „Unter dem Vulkan“ Lowrys Erfolgswerk, das autobiografisch angehaucht das Schicksal eines Trinkers zum Inhalt hat: Im Endstadium des Alkoholismus befindet sich der Protagonist auf einer Reise durch die Hölle, die zugleich der Himmel ist. Charles Bukowski (1920–1994): „Der Mann mit der Ledertasche“ Keines seiner Werke wäre wohl ohne den Alkohol so, wie wir es heute kennen – und schätzen. Nur wer die Höhen und Tiefen des Rauschs und der Selbstzerstörung am eigenen Leib erfahren hat, wie Komasäufer Bukowski, kann sie derart eindrücklich beschreiben. Hunter S. Thompson (1937–2005): „The Rum Diary“ Es geht um Alkohol, es wurde geschaffen mit Alkohol. Mit seinem exzentrischen Werk „The Rum Diary“ schuf sich das Enfant terrible des von ihm ins Leben gerufenen Gonzo-Journalismus selbst ein Denkmal. 55 EN D S TAT ION N OTAU F N A H M E Schicht im Schacht E s piept – wie ein digit aler Wecker, den niemand ausstellt. W as für Fremde nervig klingt, ist der Sound, der Krank enschwester Judith Szücs seit fünf Jahr en begleitet. Die 26-Jährige arbeitet in der Zentralen Notaufnahme am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Die unablässigen Geräusche des Monitors stehen für den Pulsschlag von Menschen, die in den Betten ihrer Abteilung liegen. Auf den Displays tanzen verschiedenfarbige Wellen zu den Tönen zackig auf und ab. Meist signalisieren sie, dass alles in Ordnung ist mit den Patienten. Wer bei Judith Szücs und ihren Kollegen landet, steht mitunter unter Alkoholund/oder Drogeneinfluss. Wie die 47-jährige Christa. Sie liegt mit V erdacht auf Medikamentenmissbrauch benommen im Zimmer U18. „Als sie hier ank am, konnte sie uns noc h sagen, dass sie zu viele Schlaftabletten zu sic h genommen hat“, sagt die Krank enschwester. Aber erst das Ergebnis der Blutentnahme bringt Gewissheit, welche Substanzen wirklich im Körper zirkulieren. 150 und 300 Patienten versorgt. Vor allem gestrandete Trinker machen im Winter einen Großteil der Patienten aus. „Es hat schon System, dass sich diese Menschen immer wieder bei uns einf inden. Hier fühlen sie sich wohler als in einer Notunterkunft“, so Dr. Mayer. Wie auf Bestellung wankt in diesem Moment ein Rumäne den hellen Gang entlang. „Der hat sich selbst entlassen, das passiert häufiger“, weiß Schwester Judith. Denn irgendwann setzt der Entzug ein – und dann müssen Ge wohnheitstrinker ihren Promille-Pegel wieder auf Normalzustand bringen. „Wenn jemand mit drei 150 bis 300 Patienten – täglich Bisher verläuft diese Samstagnacht im UKE ruhig. „Bei uns werden pro Tag zwei bis fünf Patienten mit Drogen- oder Alkoholproblemen eingeliefert. Das hängt auch von eventuellen Großveranstaltungen in Hamburg ab“, sagt Dr. Ulrich Mayer, Leiter der Notaufnahme im UKE. Seit 2007 organisieren er und seine Kollegen die schnelle Hilfe, behandeln Her zinfarkte, Platzwunden oder Knochenbrüche. Tag für Tag werden hier zwischen 56 Dr. Ulrich Mayer, Leiter der Notaufnahme im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf oder mehr Promille zu uns kommt, hat er mitunter zwei Flaschen Korn intus.“ Zudem kommt es bei schweren Trinkern auch mal zum lebensbedrohlichen Delirium tremens (siehe Kasten). „Diese Fälle landen auf der Intensivstation.“ Immer mehr Jugendliche bevölkern an Wochenenden nach Saufgelagen die Notaufnahme. Grenzerfahrungen mit Alkohol gehören für viele dazu. Sie tr inken Hochprozentiges in Rekordzeit und filmen sich und ihre Taten fürs Internet. Während im Jahr 2005 in Deutsc hland 19.423 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 19 Jahren wegen einer Alkoholvergiftung stationär behandelt wurden, waren es sechs Jahre später 26.349 Fälle. Neben Alkohol sind immer wieder Drogen ein Grund für die stationäre Behandlung: „Vor allem Marihuana, Kokain, Methadon und Pilze. Synthetische Drogen wie Cr ystal Meth gibt es hier so gut wie nicht“, sagt Dr. Mayer. Auch nicht in dieser Nacht, als ein Vater seine Tochter in die N otaufnahme bringt. Die zier liche 15-Jährige wirft ihren Kopf hin und her. „Mir ist so schlecht“, wimmert das Mädchen. Schwester Judith und Krankenpfleger Christopher eilen herbei. Nach einem kurzen Gespräch mit ihr wissen sie, dass sie zu viel W odka getrunken hat. Ihr Vater fand seine Tochter auf der Straße. Nach der Blutentnahme dar f sich die 15-Jährige auf die Matratze in den Gang legen. Hier, am Empfang im grellen Neonlicht, steht sie unter st ändiger Beobachtung des Personals. Obwohl das Mädchen seinen Rausch auch zu Hause ausschlafen könnte, möchte ihr Vater DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTOS: PATRICK OHLIGSCHLÄGER Vor allem am Wochenende ist hier für manchen PARTYGÄNGER Schluss: in der Notaufnahme. Wer hier landet, hat so viel Alkohol oder andere Drogen zu sich genommen, dass er nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Darunter: immer mehr Jugendliche, die mit einer Alkoholvergiftung behandelt werden. Was ist Delirium tremens? Delirium tremens (wörtlich: „zitterndes Irresein“) oder Alkoholdelirium ist eine lebensbedrohliche Komplikation bei einer bestehenden Alkoholkrankheit und erfordert ärztliche Hilfe. Es tritt Stunden bis Tage nach dem letzten Alkoholkonsum bei fünf bis 15 Prozent der Alkoholiker auf. Die Sterblichkeitsrate beträgt unbehandelt rund 20 Prozent, behandelt etwa zwei Prozent. Die Entzugserscheinungen und deren Dauer sind abhängig von der Konstitution des Alkoholikers und seinen Trinkgewohnheiten. Angst, Schlafstörungen und vegetative Beschwerden können jedoch bis zu sechs Monate lang anhalten und dazu führen, dass der Patient im Sinne einer falsch verstandenen „Eigentherapie“ in dem Versuch, sich von diesen Symptomen zu befreien, rückfällig wird. sie hierlassen. „Als Erziehungsmaßnahme“, wie er betont. Kaum verschwindet er in die Nacht, rollt der nächste Notfall herein. Gefährliches „Wasser“ Blauäugig: Nach einer halben Flasche Wodka schläft diese 15-Jährige ihren Rausch in der Notaufnahme aus DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Manuela liegt auf einer T rage, begleitet von Ärzten und zwei Polizisten. Sprechen kann die 15-Jährige nicht mehr. Sie schläft. Und so muss ihr F reund erklären, warum sie hier ist. Auc h in diesem F all ist zu viel W odka der Grund. Das slawische Wort „Wodka“ ist eine Verniedlichung von „Woda“ (zu Deutsch: Wasser). Mit ihren Freunden hat das Mädchen den hochprozentigen Sprit pur aus der Flasc he getrunken – wohl nicht zum ersten Mal, wie der minderjährige Begleiter erklärt. Während Manuela im Gang ihr en Rausch ausschlafen soll, versuchen die Polizisten, ihre Eltern zu benachrichtigen. Erst als die Uniformierten die Er ziehungsberechtigten erreichen, wird klar, dass die ihre Tochter im Kinderzimmer wähnen. Nach 30 Minuten er reichen die Eltern das UKE. Doch allzu mitfühlend sind sie nicht. Der Vater zückt sein Handy und knipst ein Bild. „Das wird einen Ehrenplatz erhalten und Manuela an diesen Abend erinnern.“ Während ihre Eltern gegen 3.00 Uhr morgens das Gebäude verlassen, piepsen die Monitore, hüpfen die Linien des Displays auf und ab – und signalisieren, dass alles in Ordnung ist. Thomas Soltau Interview: Prof. Dr. Rainer Thomasius über Delirium tremens und Trinkspiele bei Jugendlichen. www.draeger.com/392/notfall 57 GE SEL L S C H AF T H IRN DO P IN G Moralisches Dilemma Es scheint verlockend: Eine Pille einnehmen und einfach schlauer werden. Anhänger des COGNITIVE ENHANCEMENTS glauben, dass das funktioniert. Aber stimmt das wirklich, und wie hoch ist der Preis dafür? Lässt sst sich der enkmuskel Denkmuskel genauso dopen wie ein Oberrschenkel? nz, aber so Nicht ganz, ähnlich.. Doch das ist nicht nur unfair, sondern kann auch ährlich sein gefährlich 58 DRÄGERHEFT 3 392 | SPEZIAL Wo nichts ist, können auch leistungssteigernde Mittel nichts hervorkitzeln – wenngleich sie vorhandenes Wissen schneller verfügbar machen können A ngenommen, einer gewinnt die Million: Nicht eine Frage im T VQuiz bleibt unbeantwortet, egal um welches Thema es geht. Der K andidat deutet jede subtile Regung des Moderators – und er obert die Her zen der Zuschauer durch seine schlagfertige Art. Das Land feiert den Sieger. So lange, bis er gesteht: „Ich habe gedopt!“ Aus Heldenverehrung würde empörte Enttäuschung, wie bei Lance Ar mstrong, dem früheren Radprofi mit der lebenslangen Wettkampfsperre. Denn Doping ist unfair, und Doping ist Betrug, oder? Bei Spitzensportlern ist die W irkung leistungsfördernder Substanzen leicht zu erklären: Mehr Sauer stoff im Blut, das bringt auf der Langstrecke Ausdauer. Schmerz unterdrücken heißt, die Grenzen der Belastbarkeit zu dehnen. Aber was entspricht dem Körper-Kick von Blutdoping in unserem Kopf? Warum besteht seit Langem im Turnierschach ein Chemie-Verbot, das von der inter nationalen Anti-DopingAgentur WADA überwacht wird? Welche Stoffe stehen im Verdacht, von SuperhirnAspiranten missbraucht zu werden? FOTOS: IMAGE SOURCE / CORBIS; ISTOCKPHOTO Nächte durcharbeiten Eine ganze Reihe von Wirkmechanismen kommt infrage. Zähes Lernen von Fakten fordert maximale Konzentration. Ritalin, das bekannte „Zappelphilipp“-Medikament, könnte dabei helfen. Hemmt hingegen Müdigkeit den Eifer, lassen sich mit dem Wachmacher Modafinil Nächte durcharbeiten. Und die Gefühlsregungen des Moderators ließen sich besser deuten, als die Konkurrenz es vermag: Das menschliche Sozial-Hormon Oxytocin DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL könnte das bewirken. Es ist als N asenspray erhältlich. Das ist die landläufige Vorstellung vom Hirndoping. Die W issenschaft schätzt den Begriff nicht, eine typisch populäre Parole sei er. Sachlicher heißen geistige Leistungssteigerer „Cognitive Enhancer“ oder „Neuro-Enhancement-Präparate“ (NEPs). Sie werden dringlich gesucht: „Demenz“ heißt eines der Sc hlagwörter zur Forschungsförderung. Erreichte die Pharmakologie es, den geistigen V erfall bei Alzheimer für lange Zeit zu st oppen, wäre das eine Gr oßtat, vergleichbar mit der Erfindung der Antibiotika. Genau wie bei den Bakterien-Vernichtern darf man aber auch bei den Cognitive Enhancern sicher sein, dass sie sic h außerhalb des Kreises der unbedingt Bedür ftigen verbreiten werden. Dabei zeigt sic h das moralische Dilemma des Hirndopings. Nützt Doping der Gesellschaft? Wer Antibiotika ohne Not nutzt, schädigt potenziell alle. Bakterien werden resistent. Einer aber, der sein Gedächtnis frisiert oder die Aufmer ksamkeit stärkt – wie soll der ander en schaden? Nützt seine erhöhte Produktivität nicht sogar der Gesellschaft? Forscher aus Gr oßbritannien und den USA haben 2008 im Wissenschaftsjournal „Nature“ diesen Standpunkt vertreten, darunter der Hirnforscher Michael Gazzaniga, Stanford-Rechtsprofessor Henry Greely und die Neuro-Ethikerin Martha Farah. Ihr Rezept: „Cognitive Enhancement hat für Einzelne und die Gesellsc haft viel zu bieten, und eine angemessene gesellschaftliche Antwort darauf wird sein, sie > Die Kandidaten Welche Stoffe tunen angeblich den Geist? u Klassiker der geistigen Leistungssteigerung sind Psychostimulanzien wie Amphetamine. Sie wurden nicht nur illegal, sondern auch quasioffiziell eingesetzt, um Piloten und Soldaten wach und alert zu machen. In der Medizin wurden sie vorwiegend durch Amphetamin-ähnliche Substanzen abgelöst (z.B. Ritalin). Sie steigern die Aufmerksamkeit, können allerdings zu Selbstüberschätzung führen. Harte illegale Stimulanzien sind Kokain und seine noch gefährlicheren Abkömmlinge. u Müdigkeit lässt sich gezielt mit Modafinil beseitigen, das gegen die „Schlummersucht“ Narkolepsie verschrieben wird. u Auch mit Medikamenten gegen Demenz, die Acetylcholinesterase-Hemmer und Memantine, haben Hirndoper bereits experimentiert. u Antidepressiva werden in der Absicht benutzt, durch gute Stimmung leistungsfähiger zu werden. Dies sind die häufigsten Nennungen in Studien. Daneben werden zahllose Vitamine mit den oben genannten verwandten Substanzen und erlaubte Stoffe wie Kaffee oder Nikotin zur Leistungssteigerung genutzt. Exotischere Ansätze reichen von Hormonen wie Oxytocin (soll soziale Intelligenz steigern) bis zu Cannabis-Abkömmlingen, um lernhemmende Erfahrungen aus dem Gedächtnis zu löschen. Bislang jedoch steht für stärkere Substanzen ein geringer Nutzen einer ganzen Reihe ernst zu nehmender Nebenwirkungen gegenüber. 59 FOTOS: FRANK BOXLER, PICTURE-ALLIANCE / ZB Früh übt sich? Ritalin-Tablette in Kinderhand (links). Rechts schreiben 450 Studenten eine Statistik-Klausur. Einige davon vielleicht mit Ritalin. Hirndoping an Hochschulen ist viel verbreiteter, als bislang vermutet Langer Traum vom Wachsein Mentale Fähigkeiten zu steigern – dieser Wunsch ist alt. Schon jahrtausendealte Praktiken können helfen, das zu erreichen. Besonders die Meditation zählt dazu. Durch ihre Übungstechniken lassen sich Konzentrationsvermögen ebenso wie Struktur und Chemie des Zentralorgans verändern. Der schnelle und bequeme Weg zu mehr Wachheit (für Krieger auf Wache), Ausdauer (für Träger oder Jäger) und zu gefragten geistigen Fähigkeiten (Visionen der Schamanen, Ratschläge der Weisen) aber führt seit vorhistorischer Zeit durch den „Garten der Natur“: Kath, die Alltagsdroge Nordafrikas, wirkt wie Amphetamin. Kaffee und Tee hemmen das Müdigkeitssignal im Gehirn. Die Blätter des Kokastrauchs sind ein klassisches Ausdauermittel, das langes und konzentriertes Arbeiten auch in dünner Andenluft erlaubt. Aber erst mit dem Triumph der Chemie im 19. Jahrhundert kommen die hochwirksamen Reinsubstanzen ins Spiel: 1887 wurde Amphetamin synthetisiert, sein stärkeres Geschwister „Meth“ 1893. Ritalin gibt es seit 1944, die modernen Antidepressiva seit 1984. Unser heutiges Verständnis der Neurochemie und der Struktur des Gehirns aber erlaubt es, Substanzen präzise auf Hirndoping hin zu designen: Die Pharmakologie, etwa der modernen Anti-Demenzmittel, ist deshalb noch sehr jung – ein Großteil möglichen Fortschritts mag noch in der Zukunft liegen. > verfügbar zu machen und ihre Risiken zu steuern.“ Die Experten schrieben das in dem Wissen, dass der Gebrauch der praktisch ausnahmslos verschreibungspflichtigen Medikamente – Ritalin fällt gar unter das Betäubungsmittelgesetz – für Gesunde illegal ist. Kontrollierte Freigabe, so die Hoffnung, sei die besser e Alternative als Wildwuchs. Auch für den professionellen Kopfarbeiter jenseits des Examens, so malt es der Mainzer Neurophilosoph Thomas Metzinger aus, sei das verlockend: Zwölf bis 14 Stunden, die Nacht von Freitag auf Samstag, könnte ein Wachmacher-Konsument zusätzlich schreiben, rechnen 60 oder erfinden. Den Rest des Wochenendes ruht er aus, bleibt daher gesund und gewinnt so eine ganze Arbeitswoche pro Monat – ein Wettbewerbsvorteil in der beschleunigten Leistungsgesellschaft. Nicht nur auf Leistung achten Die Wahrheit ist, dass die t atsächlichen Vorteile, die sic h heutige Hir ndoper verschaffen können, gering ausfallen. Bei Stimulanzien wie Ritalin kann der unsachgemäße Gebrauch Prüfungsergebnisse sogar ver schlechtern. Sie dämpften bei Probanden die Selbstkritik und ließen sie unbedacht falsche Antworten als wahr ankreuzen. Eine den Geist dramatisch stärkende Wirkung ist also kaum zu er warten. Dafür aber sämtliche Nebenwirkungen. Bei aufputschenden Substanzen zählt dazu mindestens die Gefahr einer Abhängigkeit. Und bei sämtlichen intensiv auf den Hir nstoffwechsel einwirkenden Mitteln ist die Frage nach bleibenden Veränderungen von Persönlichkeit, Emotionsregulation und Gedächtnis bei Langzeitgebrauch nicht ausreichend erforscht. Als sich bald nach den „Nature“-Autoren sieben führende deutsche Experten in ihrem Manifest „Das optimierte Gehirn“ dazu positionierten, argumentierten sie: „Niemand kann wollen, dass sich der schon gegenwärtig hohe gesellschaftliche Konkurrenzdruck durch die Verbreitung von Neuro-Enhancements weiter verschärft. Eine dur chgängige Ausrichtung des Lebens auf Leistung und Effizienz wäre inhuman und ausgrenzend.“ Im besseren Verständnis der Hirnprozesse des Lernens und der emotionalen Regulation lägen jedoch auch große Chancen. Für F orschung sprechen sich die Experten aus, nicht jedoch für den schnellen Griff in die Inter netApotheke: Es seien künftig viele Anwendungen der Enhancer vor stellbar, die höchst humanen Fortschritt bringen könnten. Dafür gelte es, R egeln zu finden: „Insbesondere wäre es ver nünftig, für NEPs höher e Sicherheits- und Wirksamkeitsstandards als in der t herapeutischen Pharmaforschung festzusetzen, weil es ,nur‘ um Leistungs- und Befindlichkeitsverbesserungen statt um Rettung, Heilung oder Linder ung von Beschwerden geht.“ Silke Umbach DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL D ROGE N R A N G LIS T E Die 20 gefährlichsten Drogen Gefährliche RAUSCHMITTEL konsumieren die anderen: die Junkies vor dem Bahnhof und die Partykids, die sich mit Ecstasy und Speed aufputschen. Die zwei, drei Bier am Abend sind da etwas anderes, oder? Dritte: körperliche und psychische Verletzungen in der Familie und im weiteren Umfeld, Kriminalität, Verelendung, Umweltschäden, Schäden für die Gesellschaft sowie ökonomische Kosten, etwa durch medizinische Betreuung. Alkohol und Heroin stehen an der Spitze Heroin, Crack/Kokain und Methamphetamin sind demnach die gefährlichsten Drogen, was Abhängigkeit, mentale Schäden und Sterblichkeit angeht. Doch schon die vierte Stelle belegt Alkohol aufgrund seines hohen A bhängigkeitspotenzials. Ganz unangefochten steht er jedoc h an der Spitze, wenn es um die Sc häden für die Umgebung des Konsumenten und für die Gesellschaft geht. Dabei spielt es natürlich eine Rolle, dass Alkohol von viel mehr Menschen konsumiert wird als Her oin oder Crack/Kokain. Abgeschlagen in dieser Rangliste sind LSD, Rauschpilze und das Opioid Buprenorphin. Auch wenn bei diesen Drogen bereits kleine Mengen für einen Rausch reichen, ist der Gesamtschaden für den Nutzer deutlich geringer und geht für die Gesellschaft gegen Null. „Ein niedriger Wert bedeutet allerdings nicht, dass die Droge harmlos ist“, warnt Nutt. „Jede Droge ist unter bestimmten Umständen gefährlich.“ Regina Naumann Heikel, auch für Dritte Die Grafik führt verschiedene Drogen nach Summe ihrer Schädlichkeit für den Konsumenten und für Dritte auf. Die Werte sind normalisiert (0 bis 100) und danach gewichtet: 46 Prozent entfallen auf den Konsumenten, 54 Prozent auf Dritte. KG = kumulative Gewichtsverteilung. GHB = GammaHydroxybuttersäure. LSD = Lysergsäurediethylamid. 80 60 50 Schädlichkeit für Konsumenten KG 46 Schädlichkeit für Dritte: KG 54 40 30 20 10 ko ho He l ac ro M et k (K in ha ok m ph ain ) et am in e Ko ka in Am Ta ph ba k et am i C a ne nn ab is Be nz od G H B ia ze pi ne Ke ta M min et ha d M ep on he dr on Bu An ab ta n ol is ch Ka e S t th er oi d Ec e st as y Bu pr L S en D or ph in Pi lze 0 Cr Summe der Einzelschädlichkeiten 70 Al QUELLE (GRAFIK): WWW.THELANCET.COM, VOL 376, NOVEMBER 6, 2010; ILLUSTRATION: PICFOUR B ei der Frage nach der Gefährlichkeit von Drogen stehen zunächst das psychische und körperliche Abhängigkeitspotenzial und die Schwere der Entzugserscheinungen im Mittelpunkt – aber auch der körperliche Schaden. Um aber die als Gesamtschaden des Drogenkonsums aufgefasste „Gefährlichkeit“ bemessen zu können, ist weit mehr zu berücksichtigen. Genau das hat David J. N utt am Imperial College London getan. Nutt ist Neuropharmakologe und war – als Leiter des Advisor y Council of t he Misuse of Drugs (ACMD) – Dr ogenbeauftragter der Regierung Gordon Brown, bis er 2009 entlassen wur de, weil er sic h öffentlich für eine objektive Be wertung der Gefährlichkeit von illegalen und legalen Drogen einsetzte. Danach gründete er das Independent Scientif ic Committee on Drugs, mit dessen Unterstützung eine Studie entstanden ist. Darin unterzog Nutt 2010 die 20 am meisten genutzten legalen und illegalen Drogen in Großbritannien einer aufwendigen Anal yse. Nutt und sein Team stellten verschiedene Kriterien auf, nach denen sie die Drogen mit einem 100-Punkte-System bewerteten. Mehr als die Hälf te der Kriterien bezogen sich auf den Sc haden für das Individuum: physische Schäden wie körperliche Zerstörung und Tod, psychische Schäden wie A bhängigkeit und Beeinträchtigung der geistigen und mentalen Fähigkeiten sowie soziale Schäden wie Verlust von persönlichem Vermögen und menschlichen Beziehungen. Mit den übrigen Kriterien bewerteten sie den Schaden des Drogenkonsums für DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL 61 Gedämpfte Stimmung In den Bundesstaaten COLORADO UND WASHINGTON STATE ist Marihuana mittlerweile erlaubt, doch die Euphorie verflog mit dem Rauch der ersten Joints. Strenge Regeln schränken die neue Freiheit ein: Gemeinden verbieten Kiffer-Clubs, und US-Gesetze unterbinden weiterhin den Handel mit und den Konsum von Marihuana. Ordnung muss sein, auch im Drogenparadies: Cannabispflanzen in Denver/Colorado mit 62 Tracking-Möglichkeit DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL P OLI T I K DRO G EN Medizin: Michael Dare aus Seattle erhofft sich durch Marihuana eine Linderung seiner Schmerzen und konsumiert hier die Droge demonstrativ öffentlich FOTOS: PICTURE ALLIANCE / AP PHOTO ; UPI/LAIF F röstelnd, aber sichtlich gut gelaunt, versammelten sich mehr als einhundert Menschen in der N acht zum 6. Dezember 2012 unter der Space Needle, dem Wahrzeichen von Seattle. Kaum war der Zeiger auf die Zw ölf gerückt, brach großer Jubel aus. „Initiative 502“ trat in Kraf t – erstmals wurde damit Marihuana in einem US-Bundesstaat legalisiert. Kichernd wurden Joints und Pfeifen herumgereicht. Polizisten beobachteten das Spekt akel, ohne einzug reifen. Sie folgten damit dem Blog-Hinweis auf der Website ihres Polizeikommissariats: „Bis auf Weiteres werden Beamte keine Aktionen angesichts von Verstößen gegen I 502 vornehmen – abgesehen von mündlichen Verwarnungen. Wir werden euch eine großzügige Schonfrist einräumen, um euch an die schöne neue und irgendwie bekiffte Welt zu gewöhnen.“ Seither dürfen im nor dwestlichen US-Bundesstaat alle über 21-Jährigen eine Unze Marihuana (knapp 30 Gramm) für den persönlichen Gebrauch besitzen und im privaten Umfeld konsumieren. Verboten sind nach wie vor das Rauchen in der Öffentlichkeit, bekifftes Fahren eines Fahrzeugs sowie Produktion und Verkauf der Droge, außer für medizinische Zwecke. Der Staat hat ein Jahr Zeit, R egeln für den Anbau von und das Gesc häft mit Cannabis zu entwickeln. Einen Monat nach dem Freudentaumel in Seattle spielten sic h in Colorado ähnliche Szenen ab. Dort trat am 5. Januar 2013 der Gesetzeszusatz 64 zur Mar ihuana-Legalisierung in Kraft. Der von 55 Prozent der Wähler befürwortete Zusatz- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL artikel erlaubt seitdem auch hier über 21-Jährigen, eine U nze Marihuana zu besitzen – zudem dürfen Volljährige bis zu sechs Cannabispflanzen in geschlossenen Räumen anbauen. Es ist zw ar verboten, die Ernte zu verkaufen, nicht aber, sie zu verschenken. Auch hier darf weder in der Öffentlichkeit gekifft noch unter Marihuana-Einfluss Auto gefahren werden. Marihuana-Läden im 300-Meter-Umkreis von Schulen, Spielplätzen, Kindergärten und Parks sind ebenfalls verboten. Bundesstaat gegen Bund Die Lage ist kompliziert. So stuft das USBundesrecht Cannabis nach wie vor als Rauschmittel höchster Klasse ohne medizinischen Nutzen mit hoher A bhängigkeitsgefahr ein – wie Her oin, LSD und Ecstasy. Besitz, Er werb, Verkauf und Produktion werden mit harten Strafen geahndet. Selbst der inzwisc hen in 18 US-Bundesstaaten und dem Distr ict of Columbia genehmigte Gebrauc h von Cannabis für medizinische Zwecke ist laut Bundesgesetz illegal. Diese Widersprüche führen auch zu Grauzonen am Arbeitsplatz. S taatliche Angestellte sind weiterhin dem Bundesgesetz unterstellt – von P olizisten über Lehrer und Förster bis zu Busf ahrern. Anders ist die Lage bei Pr ivatunternehmen. Dort gehört ein Drogentest oft zum Bewerbungsgespräch. Stichproben sind üblich. Bisher war Marihuana im Blut ein Grund zur Nichteinstellung oder Kündigung. Boeing will diese Praxis zunäc hst nicht ändern. Andere Firmen haben angekündigt, ihre Verträge zu überprüfen. Es dürfte schwierig werden, in Bundesstaa- ten mit legalisier tem Marihuana den Konsum der Droge im Privatbereich zu bestrafen, selbst wenn er die Leistung am Arbeitsplatz beeinträchtigt. „Es wird faszinierend sein zu beobachten, wie die R egierungen der Bundesstaaten mit den neuen R egelungen umgehen, wie Washington D. C. und die Industrie reagieren – und natürlich, was die Konsumenten machen“, sagt Professor Mark Kleiman. Der Experte für Strafrecht und Drogenpolitik am Luskin-Politikinstitut der University of California in Los Angeles setzt sich seit Jahren für mehr Forschung über die Legalisierung von Marihuana ein. Er wirft Gegnern wie Befürwortern vor, die Diskussion mit zu viel Propaganda und zu wenig Sac hlichkeit zu führen. Kleiman begrüßt das Wählervotum in Washington und Colorado, auch weil er mangels Legalisier ung bislang nicht genügend Fakten zu Auswirkungen einer Liberalisierung sammeln konnte: „Das ist nun anders.“ Filmemacher Eugene Jar ecki ist vehementer Verfechter der Legalisierung von Marihuana. In „The House I Live In“ dokumentiert er fatale Folgen des „War on Drugs“. Der 1971 ausgerufene AntiDrogen-Krieg habe bis heute mehr als eine Billion Dollar gekostet, richte sich vor allem gegen Ar me und Farbige und trage zur Überfüllung von US-Gefängnissen bei. Rund eine halbe Million Menschen sitzen in den USA wegen Dr ogendelikten im Gef ängnis, etwa zehn Prozent davon wegen Verstößen gegen Marihuana-Gesetze. Gespannt warten Gegner und Befürworter, ob auch Washington seine Dro- > 63 D ROGEN P OLI T IK Solange eine Razzia der Bundespolizei droht, wird Marihuana kein Geschäftsmodell > genpolitik ändert. US-Präsident Obama erklärte Ende 2012, es sei keine Priorität seiner Regierung, hier das Bundesgesetz durchzusetzen. „Wir haben Wichtigeres zu tun, als gelegentlic he Verbraucher von Marihuana in den USBundesstaaten strafrechtlich zu ver folgen, die es genehmigt haben.“ Der Vorsitzende des Justizausschuss im USSenat, Demokrat Patrick Leahy, deutete einen möglichen Kompromiss an: „Wir könnten das Bundesgesetz so ergänzen, dass es in Bundesst aaten mit entsprechender Rechtsprechung legal ist, eine Unze Marihuana zu besitzen.“ Doch die Liberalisierung hat auch Gegner. Unterstützung bekommen diese unter anderem von den Vereinten Nationen. Die erklärten, dass die Wählerentscheidungen in Washington und Colorado gegen internationale Abkommen verstoßen sowie die Gesundheit der Gesellsc haft im Ganzen und der von Jugendlic hen im Besonderen bedrohen. Aber nicht nur die Kritik an der US-Drogenpolitik lässt die Stimmung in Richtung Legalisierung umschwenken. Angesichts hoher Verschuldung und leerer Haushaltskassen sehen Gemeinden, Bundesstaaten und Regierung in Washington ungenutztes Potenzial von Steuereinnahmen in Milliar denhöhe. Eine Gr uppe von dreihundert Wirtschaftswissenschaftlern – darunter Nobelpreisträger – forderte, die Legalisierung von Marihuana wohlwollend zu prüfen. Steuern und Profit Sie verweisen auf eine S tudie des Har vard-Ökonomen Jeffrey Miron, wonach die USA jährlich sechs Milliarden Dollar zusätzlich einnehmen könnten, wenn sie auch diese Droge wie Alkohol und Tabak besteuern würden. Gleichzeitig könnte man eine stattliche Summe bei der strafrechtlichen Verfolgung dieser Droge sparen. Andere Studien schätzen den möglichen Nutzen aus einer legalisier ten „Legalisierung verhindert den Drogenkrieg“ Seit 1989 vertritt das weltweit renommierte Magazin „The Economist“ die These: „Das Verbot hat versagt, Legalisierung ist die weniger schlechte Lösung.“ Zur Begründung führen die liberalen Londoner unter anderem an: Allein die USA verwenden 40 Milliarden US-Dollar jährlich darauf, den Schmuggel zu verhindern. Und über 6.000 Polizisten und Soldaten sterben jährlich im Drogenkrieg. Das große Gefälle zwischen niedrigen Herstellungskosten und hohen Handelspreisen finanziere kriminelle Strukturen. Legalisierung würde diese austrocknen und Drogenkonsum mehr zu einem Thema des Gesundheitssektors als der Straf verfolgung machen. Wie bei Tabak so könne bei einer Liberalisierung auch hier eine Aufklärung über Gesundheitsrisiken den Konsum einschränken. „Unser Vorschlag ist vertrackt“, schreibt das Magazin, „aber ein Jahrhundert manifesten Versagens ruft nach einer Alternative.“ 64 Marihuana-Industrie auf 45 bis 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Professor Kleiman zeigt sich besorgt angesichts der Aussicht auf einen profitablen Handel mit Marihuana: „CannabisUnternehmer sind nicht nur an gelegentlichen Kiffern interessiert.“ Er ver weist auf die Tabak- und Alkoholindustrie. Die mache 80 Prozent ihres Geschäfts mit starken Rauchern und T rinkern. „Aus meiner Sicht dürfte es keinen kommerziellen Handel mit Marihuana geben. Aber das bringt natürlich weder hohe Gewinnspannen noch Steuereinnahmen.“ Seit der Legalisierung von Marihuana arbeiten Colorado und Washington State an der Regulierung von Produktion und Handel der Droge. In Colorado entwickeln Politiker, Sicherheitsexperten, Marihuana-Aktivisten und Unternehmensverbände einen Gesetzesrahmen. Ab Oktober 2013 sollen Behörden Geschäftslizenzen vergeben können. In Washington ist die Behörde für Alkoholausschanklizenzen zuständig für die Entwicklung eines rechtlichen Rahmens. Was den Drogenpolitik-Experten Kleiman beunruhigt – aus seiner Sicht ist die Entwicklung von Alkohollizenzen nach der Prohibition in den USA das beste Beispiel dafür, wie Drogenlegalisierung eben nicht geregelt werden sollte: „Alkohol richtet in den USA mehr Schaden an als alle illegalen Drogen zusammen!“ Jugendliche im Visier Wird Marihuana legal, fürchtet Kleiman, kann die Industr ie offen für ihr Produkt werben und ihr e Marke- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Grasgrün: Jake Dimmock, Mitbesitzer des Northwest Patient Resource Center in Seattle, pflegt seine Marihuana-Plantage für die medizinische Nutzung der Ernte DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Nancy Jo Armstrong (links) und Nancy King zählen die Stimmzettel der MarihuanaPetition in Washington State aus: 341.000 Wähler stimmten mit „Ja“ FOTOS: PICTURE ALLIANCE / AP PHOTO (2), PETER HALLEY / THE NEWS TRIBUNE (1) tingstrategie gezielt auf Jugendlic he ausrichten. Investoren und Existenzgründer stehen in den S tartlöchern, um den neuen Markt zu besetzen. Die Yale-Absolventen Brendan Kennedy und Michael Blue haben mit Privateer Holdings die er ste Wagniskapitalgesellschaft gegründet, die ausschließlich in Marihuana-bezogene Geschäftsideen investiert. Vom Marihuana-Automaten „Medbox“ über den Be wertungsdienst für Marihuana-Läden bis zum Luxus-Kiff-Club „Diego Pellicer“, geleitet vom ehemaligen Micr osoft-Manager Jamen Shively in Seattle, scheinen keine Grenzen gesetzt. Wäre da nicht die noch immer unklar e rechtliche Lage zwischen Bund und Bundesst aaten. Solange jedem Geschäft mit Marihuana eine Razzia der Bundespolizei droht, die US-Drogenbehörde Unternehmen schließen und die US-Steuerbehörde Einnahmen beschlagnahmen und Unternehmer wegen illegaler Aktivit äten verklagen können, lassen sich auch Banken nicht auf den neuen Industriezweig ein. Existenzgründer bekommen weder Kreditkarten noch Bankkonten. Transaktionen zwischen Produzenten, Vertreibern und K unden sowie zwischen Geschäftsbesitzern und Mit arbeitern werden somit bar abge wickelt. Selbst Vermieter lassen sich nur zögerlich darauf ein, Mar ihuana-Unternehmern Räume oder Lagerhallen zur Verfügung zu stellen. Es wird Jahre dauern, bis wissenschaftlich, ökonomisch und medizinisch relevante Ergebnisse aus der Legalisierung vorliegen. Kerstin Zilm In Seattle wird Marihuana abgewogen und verpackt – ganz legal. Wer über 21 ist, darf versteuertes und staatlich kontrolliertes Gras in einem der staatlichen Läden kaufen 65 JUSTIZ GESELLSCH AF T Nein, nein, und nochmals nein! Gibt es ein „RECHT AUF RAUSCH“? Staatliche Gewalt beansprucht, den Bürgern allerhand zu verbieten – bestimmte Drogen zum Beispiel. Das geschehe zu ihrem Besten, heißt es. Volltrunkenheit aber lässt der Staat in vielen Bereichen durchgehen. Ein Widerspruch? Rausch lässt sich nicht verfolgen Artikel 2 des Gr undgesetzes verbürgt das Recht auf „freie Entfaltung der Persönlichkeit“. Jeder darf tun, was ihm beliebt. Doch schränkt sich dieses umfassende Versprechen selbst ein: Jeder dar f alles, „soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die ver fassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“. Was davon tut einDrogenkonsument? Diese Frage bereitete vielen Strafrich- 66 tern Kopfzerbrechen. Verfahren nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) hatten sich in den 1970er- und 1980erJahren explosiv ver mehrt. Zwischen Haschischwelle und der Heroin-Tragödie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sah sich der Staat genötigt, einer als er nste Bedrohung wahrgenommenen Entwicklung zu begegnen. Der Weg zur obersten Instanz war vorprogrammiert. Der heutige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Nešković, damals Richter am Landgericht Lübeck, brachte 1992 den Stein ins Rollen: Neškovićs Strafkammer sah sich nicht in der Lage, eine Angeklagte nach dem BtMG zu ver urteilen. Zentrale Argumente waren: • dass der Gesetzgeber die Konsumenten von Alkohol tolerant behandele und so den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes breche, • dass der Rausch seit ehedem kultur eller Normalfall und damit Teil der Persönlichkeitsentfaltung sei, die von Ar tikel 2 geschützt wird, • und dass die P olitik der straf enden Drogenprävention erfolglos sei. Das Verfassungsgericht allerdings ent- gegnete, dass „das Verbot des Verkehrs mit Cannabisprodukten niemanden zwingt, auf andere – nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegende – Rauschmittel (wie z.B. Alkohol) zurückzugreifen“. Aus Gründen der Rechtssicherheit habe sich der Gesetzgeber entschieden, eine abgeschlossene Liste der verbo tenen Substanzen zu erstellen. Um des Rausches selbst willen werde man nicht verfolgt. Wie auch? Der Gesetzgeber schiene dann verpflichtet, Nagellackentferner, Klebstoffe und Benzin zu verbie ten, sobald er erführe, dass sich „Schnüffler“ damit berauschten. Die Sucht bekämpfen Das zweite „Nein“ des BVerfG ist damit klar: Nicht alle Gif te müssen g leich behandelt werden. Eine Legalisierung von Drogen ist auch dann nicht geboten, wenn sie hierzulande kaum Probleme machen. Denn Deutschland ist seit langem durch internationale Verträge verpflichtet, einen Katalog von Substanzen zu verbieten. Cannabis zählt dazu, ebenso Amphetamine, LSD, Heroin und Kokain. Letztlich kommt es auf die rechtliche DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL FOTO : SHUT TERSTOCK N ein“, sagte das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe. „Nein“, „Nein“ und nochmals „Nein“. Am 9. März 1994 verkündete es seinen „Cannabis-Beschluss“. Die Richter prüften, ob der Bürger das Recht habe, sic h nach Gutdünken zu berauschen – mit Subst anzen, die der Gesetzgeber verboten hat. Dabei ging es auch um eine mög liche falsche Toleranz für Alkohol. Das erste „Nein“ ist das umfassendste: „Für den U mgang mit Drogen gelten die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG. Ein ‚R echt auf Rausch‘, das diesen Beschränkungen entzogen wäre, gibt es nicht.“ Praxis an. Bekämpft der Staat das, was er eigentlich bekämpfen will? Das nämlich ist nicht der Rausch – es ist die Sucht. Dr. Clemens Veltrup, der als Psychotherapeut die Fachklinik FreudenholmRuhleben in Schleswig-Holstein leitet, erkennt einen Widerspruch zwischen der rechtlichen Behandlung der unter schiedlichen Suchtmittel und ihr en tatsächlichen Gefahren. Die 1,3 Millionen Tablettenabhängigen, die es in Deutschland gebe, tauchten in der st ationären Suchttherapie praktisch nicht auf. „Gerade einmal 700 sind 20 12 in Kliniken gegangen“, sagt er. Im Bereich der Drogenhilfe, bei illegalen Subst anzen, sei hingegen über Jahrzehnte eine große Infrastruktur geschaffen worden. Auch Gesetze haben Risiken und Nebenwirkungen. Pragmatiker wissen: Ideale Gesetze wird es nie geben. Dafür aber k onkrete Handlungsfelder, in denen die V erhältnisse gebessert werden können. Im Straßenverkehr etwa geht auch von ganz legalen Arzneimitteln eine erhebliche Gefahr aus – besonders Beruhigungsmittel werden suchthaft eingenommen. Die Gefähr- DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL dung anderer aber ist für eine künf tige Präventionspolitik zugleich der stärkste Hebel. Beim Nichtraucherschutz hat sie bereits gewirkt, auch die Schäden durch eigenes Rauchen sind rückläufig. Verhältnismäßigkeit ist wichtig Was darf der Staat seinen Bürgern verbieten? Worüber Juristen streiten, hat konkrete Auswirkungen in der Praxis Eine Asymmetrie der Verbote jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber 1994 ausdrücklich gestattet. In ihr em Verfolgungseifer setzten die Richter den Behörden allerdings mit ihrem dritten „Nein“ Grenzen: Nicht jeder, der sich mit einer kleinen Menge Haschisch erwischen lässt, gehör t vor Gericht. Zentraler Satz: „Die V erhängung von Kriminalstrafen gegen Probierund Gelegenheitskonsumenten kleiner Mengen von Cannabisprodukten kann in ihren Auswirkungen auf den einzelnen Täter zu unangemessenen und spezialpräventiv eher nachteiligen Ergebnissen führen.“ Ein Recht auf Rausch hat also niemand. Doch im Kampf gegen die Sucht gilt es, Verhältnismäßigkeit zu wahren – eine Politik der eisernen Faust lässt das Recht nicht zu. Silke Umbach 67 M IN I- L E XIKON R AUSCHMI T T EL Drogen-ABC Es enthält Fakten über GEBRÄUCHLICHE DROGEN – zu ihren Wirkstoffen ebenso wie zu Konsumformen, Risiken, Prävalenz (Häufigkeit der Nutzung), Herkunft und Geschichte. Ein Streifzug. Alkohol Wirkstoff: Ethylalkohol (Ethanol) Konsumform: getrunken in verschiedenen Zubereitungsformen und Mischungen mit sehr unterschiedlichem Alkoholgehalt zwischen 2 Prozent (vergorene Stutenmilch „Kumis“) bis 95 Prozent (Maisschnaps „Everclear“). Wirkung: siehe Seite 22 Prävalenz: In den EU-Staaten liegt der Konsum von über 15-Jährigen bei 12,5 Liter reinem Alkohol jährlich – und ist damit doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt. Risiken: EU und WHO listen über 40 anerkannte alkoholbedingte Krankheiten auf, zudem spiele Alkohol „auch bei einer Vielzahl anderer Gesundheitsprobleme eine Rolle, etwa bei Verletzungen und Todesfällen im Straßenverkehr“. In den EU-Staaten waren 2004 10,8 Prozent aller Todesfälle der Altersgruppe zwischen 15 und 64 Jahren auf eigenen Alkoholkonsum zurückzuführen. Zusätzlich starben 3,3 Prozent dieser Altersgruppe durch Alkoholkonsum Dritter. Herkunft und Geschichte: siehe S. 10–11 Synonyme: Alk, Fusel, Sprit Stärkung: Um 3100 v. Chr. erhielten die Pyramidenarbeiter täglich fünf Liter Bier – als Nahrungsergänzung und zur Stimmungsaufhellung. Keiner Droge ist ihre Wirkung und ihr Risiko anzusehen Benzodiazepine Wirkstoff: Gruppe von Verbindungen, die als Grundkörper das 1,4- oder 1,5-Benzodiazepin besitzen. Sie wurden als Tranquilizer für Beruhigungs- und Schlafmittel entwickelt, deren internationale Freinamen oft auf -azepam enden: 68 DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Diazepam, Lorazepam und Oxazepam. Handelsnamen sind unter anderem Valium, Librium, Rohypnol, Tavor und Praxiten. Konsumform: als Tabletten oder intravenös injiziert Wirkung: angstlösend, entspannend, beruhigend Risiken: Gedächtnisstörungen, eingeschränkte Reaktions- und Wahrnehmungsfähigkeit – damit einhergehend: Fahruntüchtigkeit; Abhängigkeit bei nicht ärztlich kontrollierter Dauereinnahme Herkunft und Geschichte: Benzodiazepine kommen als Spuren im menschlichen wie tierischen Blut sowie in einigen Pflanzen vor. 1957 wurde Benzodiazepin mehr oder weniger zufällig in den USA entdeckt. Mit „Librium“ kam 1960 das erste Medikament aus dieser Gruppe auf den Markt, „Valium“ folgte 1963. Erst in den 1980er-Jahren wurde das Abhängigkeitspotenzial erkannt, doch noch 2008 prophezeite eine Studie dieser Stoffgruppe, dass sie „noch viele weitere Jahre verschrieben wird“. Synonyme: Tranx, Benzos, Pillen; Rosch und Rohys für Rohypnol Schlaflos: „Meine Frau erlaubt nicht, dass ich Valium nehme!“, sagte Benzodiazepin-Entdecker Leo Sternbach gegenüber „The New Yorker“. FOTO : GET T Y IMAGES Cannabis Gattung der Hanfgewächse Wirkstoff: Tetrahydrocannabinol (THC) Konsumform: zumeist geraucht, vermischt mit Tabak in Zigaretten als (größerer) Joint, (kleinerer) Stick oder aus spezieller Haschischpfeife. Tritt hierbei die Wirkung fast unmittelbar ein, verzögert sich ihr Eintritt, wenn Cannabis mit Getränken, Joghurt oder in Keksen verbacken konsumiert wird. Wirkung: Verstärkung bereits vorhandener positiver oder negativer Stimmungen sowie deutliche Anhebung der Stimmungslage. Gefühl der Entspannung, inneren Ruhe und Ausgeglichenheit; häufig verminderter Antrieb. Heiterkeit und gesteigerte soziale Kommunikation werden ebenfalls beobachtet. DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Prävalenz: Annähernd 25 Prozent aller Europäer im Alter zwischen 15 und 64 Jahren haben mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. 6,8 Prozent derselben Gruppe konsumierten es in den letzten zwölf Monaten – beziehungsweise eine von drei Personen mit Cannabiser fahrung. Risiken: eingeschränkte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit bei gleichzeitiger Überschätzung; Fahruntüchtigkeit. Bei starkem und regelmäßigem Konsum psychische Abhängigkeit, Passivität Herkunft und Geschichte: Heimat ist wahrscheinlich Vorder- und Mittelasien. Verwendung in der Volksheilkunde (Herabsetzung des Schmerzempfindens bei Neuralgie, Migräne und Anfallsleiden), aber in allen Kulturkreisen auch als Rauschdroge. Erste Erwähnung 2700 v. Chr. in einem chinesischen Arzneibuch. Die Nutzung als Heilmittel mit euphorisierender Wirkung beginnt in Europa im 19. Jahrhundert. Synonyme: Dope, Ganja, Gras, grüner Tabak, Kiff, Pot, Piece, Shit, Spliff, Weed Kiffende Königin: Ärzte verschrieben Königin Victoria (1819 – 1901) Cannabis gegen Menstruationsbeschwerden. Crack mit Alkalien versetztes Kokain-Hydrochlorid Ò Kokain Wird geraucht, und tauchte erstmals 1983/84 an der Westküste der USA auf. „Designerdrogen“ Amphetamine („Speed“) und Methamphetamine („Ecstasy“) Wirkstoffe: Diese strukturähnlichen und synthetisch produzierten Designerdrogen gehören zur Stoffklasse der Beta-Phenylalkylamine (Beta-Phenethylamine). Konsumform: Zumeist werden sie geschluckt, seltener geschnupft, intravenös genommen oder gar geraucht (Methamphetamine). Wirkung: Als Analeptika wirken sie aufputschend und machen hellwach, kraftvoll und selbstsicher; Methamphetamine wirken oft deutlich stärker als Amphetamine (siehe auch S. 23). Prävalenz Amphetamine: Etwa 3,8 Prozent aller Europäer im Alter zwischen 15 und 64 Jahren haben mindestens einmal in ihrem Leben Amphetamine konsumiert. 0,6 Prozent derselben Gruppe konsumierten Amphetamine in den letzten zwölf Monaten – beziehungsweise eine von sechs Personen mit Amphetaminerfahrung. Prävalenz Ecstasy: Etwa 3,4 Prozent aller Europäer im Alter zwischen 15 und 64 Jahren haben mindestens einmal in ihrem Leben Ecstasy konsumiert. 0,6 Prozent derselben Gruppe konsumierten Ecstasy in den letzten zwölf Monaten – beziehungsweise eine von sechs Personen mit Ecstasy-Erfahrung. Risiken: Überdosis und Nebenwirkungen, vor allem bei gestreckter und intravenös applizierter Droge; Halluzinationen, psychische Abhängigkeit, Kollaps, Dehydrierung Herkunft und Geschichte: Die umgangssprachlichen Ausdrücke „Designerdrogen“ und „Weckamine“ beschreiben einerseits die gezielte Synthese dieser Stoffe im Labor, andererseits ihre Wirkung. 1887 synthetisierte der rumänische Chemiker Lazâr Edeleanu in Berlin Amphetamin, das ab 1933 als „Benzedrine“ gegen Schnupfen eingesetzt wurde. Doch bald rückten die aufputschenden Nebenwirkungen in den Vordergrund – etwa beim Militär, das ab dem Zweiten Weltkrieg Amphetamine zur Leistungssteigerung einsetzte, aber auch beim Sport. Mit injizierten Amphetaminen begann ab den 1960er-Jahren eine neue Dimension des Missbrauchs, der als „Partydroge“ bis heute in den verschiedensten Konsumformen anhält. Die Entwicklung der Methamphetamine verläuft parallel: 1893 erstmals in Japan synthetisiert, machte es im Zweiten Weltkrieg dank seiner aufputschenden Wirkung bei fast allen Armeen Karriere – in Deutschland als 1937 patentiertes „Pervitin“. Wie schon beim 1912 erstmals synthetisierten MDMA (Ecstasy) geraten demgegenüber mögliche medizinische Anwendungen bei Erkältungskrankheiten oder als Appetitzügler in den Hintergrund. Als Doping eingesetzt, wurde besonders Ecstasy seit Mitte der 1960er-Jahre zum traurigen Star der Musik-Szene. 69 M IN I- L E XIKON R AUSCHMI T T EL Synonyme Amphetamine: Speed, Pepp, Amph, Crank, Gülle Synonyme Methamphetamine: Ice, Meth, Crystal, Glas, Yaba; für Ecstasy: E, Adam, XTC, Emphaty, Cadillac, MDMA, Love-Drug Noble Bitte: „Der Dienst ist stramm … Heute schreibe ich hauptsächlich um Pervitin. … Euer Hein“, telegrafiert der Literaturnobelpreisträger (von 1972) Heinrich Böll aus Polen am 9. November 1939 an seine Eltern in Köln. Diazepam Ò Benzodiazepine Unentbehrlich: Die WHO führt es in ihrer Liste der „Essentiell Medicines“, die zur Mindestausstattung einer medizinischen Basisversorgung gehören. Ecstasy Ò Designerdrogen Haschisch Harz aus Blütenständen der weiblichen Hanfpflanze Wirkstoff: Tetrahydrocannabinol (THC), Wirkstoffgehalt je nach Herkunft zwischen 5 und 20 Prozent Ò Cannabis Kiffer in Berlin: „Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen!“, Schauspieler und Kabarettist Wolfgang Neuss, 1983 Heroin Ò Opioide Synonyme: H („eitsch“), Stoff, Junk, Gift, Teer, Skag, Harry, Smack, Schmeck, Caca, Caballo À la mode: 1986 prägt die „Sunday Times“ den Begriff „Heroin Chic“ für die Kultur von Heroin-Konsumenten, speziell für sehr schlanke und blasse Mannequins. Ketamin Wirkstoff: ein den Halluzinogenen nahestehendes und sogenanntes „dissoziierendes Anästhetikum“ (Phencyclidinderivat) Konsumform: In wässriger Lösung wird es getrunken oder als Pulver (Ketanest, Ketaset, Ketalar) geschnupft; seltener intravenös injiziert. Wirkung: erzeugt eine Art kataleptischen Zustand, in dem sich der Konsument 70 von seiner Umgebung und seinem Körper („K-Land“) sowie der Zeit („K-Loch“) abgekoppelt sieht. Bizarre, teilweise furchterregende Träume, visuelle und auditive Halluzinationen Prävalenz: Lückenhafte und nicht konsistent erhobene Daten gehen unter jungen Erwachsenen (15–34 Jahre) in einigen ausgewählten EU-Ländern von etwa 2 bis 4 Prozent aus. Risiken: Kollaps bei Überdosierung, Psychosen bei regelmäßigem Konsum, lang andauernde Angstzustände bereits bei kleinen Dosen, wenn eine entsprechende genetische Disposition vorliegt Herkunft und Geschichte: entwickelt ab 1962 als schnell wirkendes Anästhetikum in den USA, dort Zulassung 1970, daraufhin sofortiger Einsatz u.a. im Vietnamkrieg; nicht medizinischer Konsum zunächst unter „Psychonauten“, heute als „Clubdroge“ u. a. bei Raves Synonyme: Special K, Vitamin K, Jet, Super Acid, Kit Kat, Schweine-Speed Das Paradies: „Wenn Industriekapitäne und Staatspräsidenten diese ‚Droge der Liebe‘ nähmen, so wäre die Erde der Garten Eden.“ Psychonautin Marcia Moore in „Journeys Into the Bright World“ (1978) Kokain kristallartiges Pulver aus den Blättern des Kokastrauchs Wirkstoff: Kokain Konsumform: geschnupft, intravenös injiziert und geraucht (Crack) Wirkung: starke zentralnervöse Stimulation durch Hemmung der Rückspeicherung von Noradrenalin, Dopamin und Serotonin in synaptischen Vesikeln. Unmittelbarer Wirkungseintritt, euphorisierend, stressreduzierend. Hemmungen verringern sich. Zugleich gesteigerte Energie und Kreativität Prävalenz: Rund 4,6 Prozent aller Europäer im Alter zwischen 15 und 64 Jahren haben mindestens einmal in ihrem Leben Kokain konsumiert. 1,2 Prozent derselben Gruppe konsumierten Kokain in den letzten zwölf Monaten – beziehungsweise eine von vier Personen mit Kokainerfahrung. Risiken: schnelle psychische Abhängigkeit bis zur „Kokainpsychose“; Verun- reinigungen und Streckmittel erhöhen das Risiko von Nebenwirkungen Herkunft und Geschichte: Der Kokastrauch wird seit gut 5.000 Jahren in Südamerika kultiviert. Die Blätter durften zunächst nur bei kultischen Handlungen gekaut werden. Als mit der spanischen Eroberung die Verelendung einsetzte, bekämpften weite Teile der Bevölkerung damit Hunger- sowie Kälteempfinden und steigerten ihre Leistungsfähigkeit. Nach Isolierung des Wirkstoffs um 1860 zunächst Einsatz als Lokalanästhetikum und Antidepressivum. „Kokainwelle“ in Künstler- und Intellektuellenkreisen in den 1920er-Jahren, Renaissance in den 1970er-Jahren und seit Anfang der 1990er-Jahre als „Leistungsdroge“. Synonyme: Coke, Schnee, Koks; Crack und Rocks (für Crack) Abwärts: „If you wanna get down, down on the ground, Cocaine", JJ Cale, 1976 Marihuana getrocknete und zerkleinerte Teile der weiblichen Hanfpflanze Wirkstoff: Tetrahydrocannabinol (THC), Wirkstoffgehalt je nach Herkunft zwischen 1 und 7 Prozent; niederländische Treibhauszüchtungen (Skunk, Sinsemilla, Nederwiet) bis zu 22 Prozent Ò Cannabis Beat-Poetologie: „Solche Sachen könnte ich auf Gras ohne Ende machen“, schreibt Jack Kerouac seinem Freund Allen Ginsberg. Methadon Wirkstoff: synthetisch Ò Opioide Konsumform: in Pulver- oder Tablettenform, als Tropfen oder Sirup; orale Einnahme bei legaler Nutzung im Rahmen einer Substitutionstherapie für Heroinabhängige; illegale Nutzung sowohl oral als auch intravenös Wirkung: ähnlich wie andere Opioide, jedoch schwächer und zeitverzögerter Prävalenz: Lebenszeitprävalenz wird auf 0,2 Prozent geschätzt Risiken: Abhängigkeit, Tod bei massiver Überdosierung Herkunft und Geschichte: Erstmals DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL 1939 von I.G. Farben als „Va 10820“ synthetisiert und zunächst in kleineren Mengen ab 1942 unter dem Namen „Amidon“ als Schmerzmittel produziert, bevor es 1947 in den USA in „Methadon“ umbenannt wurde. Ab Ende der 1940er-Jahre Einsatz in den USA, um die Entzugserscheinungen heroinabhängiger Patienten zu kompensieren; in Deutschland (als „Polamidon“) ab 1950. Erstes experimentelles Methadonprogramm in Deutschland zwischen 1973 und 1975 in Hannover. Etablierung von Substitutionsprogrammen mit Methadon als Ergebnis positiver Forschungsarbeiten in Deutschland ab etwa 1990. Synonyme: Dolly, Doll, Red Rock Heilung: Dass Methadon (Amidon) vor 1945 als „Adolphine“ in den Handel kam, erwies sich als „urbane Legende“ im New York der 1970er-Jahre, um durch Assoziationen an das NS-Regime die MethadonSubstitutionstherapie zu diskreditieren. die Tabak und Pfeife nach Europa brachten. Nach China kam Opium im 17. Jahrhundert über das heutige Indonesien. Als Schmerzmittel wurde Opium in Europa vorwiegend ab dem 18. Jahrhundert eingesetzt. Morphin als wichtigstes Hauptalkaloid wurde 1804 aus dem Opium isoliert; Heroin mit seinem noch größeren Suchtpotenzial 1898 synthetisiert. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verlagerte sich der medizinische Gebrauch, vor allem von Heroin, auf den Missbrauch als illegale Droge, die hauptsächlich im „Goldenen Dreieck“ zwischen Thailand, Laos und Myanmar sowie in Afghanistan (vor)produziert wird. Opioide bilden in Deutschland die Hauptdroge bei der Hälfte aller Drogentherapienachfragen. Nadel und Schaden: „I have seen the needle, and the damage done“. Neil Young besingt 1972 auf dem Album „Harvest“ den Niedergang eines heroinabhängigen Gitarristen. Opioide Opium (wirksam u.a. in Morphium, Opium, Heroin, Codein etc.) Wirkstoffe: natürlich vorkommende oder synthetisierte Substanzen, die sogenannte Opioid- oder μ-Rezeptoren im Gehirn und im Rückenmark stimulieren Konsumform: geraucht, gegessen, geschnupft oder intravenös injiziert Wirkung: vom überschwänglichen Glücksgefühl (Heroin) bis fantasieanregend und (erotische) Halluzinationen auslösend Prävalenz: Die Zahl der „problematischen Opioidkonsumenten“ wird auf 1,4 Millionen Europäer geschätzt. Drei Prozent aller drogeninduzierten Todesfälle unter Europäern zwischen 15 und 30 Jahren hängen mit Opioiden zusammen. Risiken: starke Abhängigkeit, Tod bei Überdosierung, schwere Entzugserscheinungen („Turkey“) – vor allem bei Heroin Herkunft und Geschichte: Opioide traten vor über 8.000 Jahren in der heutigen Türkei als Opium auf, der aus dem Schlafmohn gewonnen wurde. Genutzt wurde der zu Pillen verarbeitete Saft angeritzter unreifer Mohnkapseln als schmerzstillende Medizin. Geraucht wird Opium erst seit der Entdeckung Amerikas durch die Europäer, DRÄGERHEFT 392 | SPEZIAL Wirkstoff: Morphin Ò Opioid Alles geregelt: „Wer Opium rauchen will, hat persönlich einen Erlaubnis-Schein beim zuständigen Opium-Beamten zu lösen. Die Gebühr für diesen Schein beträgt monatlich einen Dollar und ist vierteljährlich im Voraus zu entrichten.“ Paragraph 5 der 1912 vom Kaiserlichen Gouverneur Meyer-Waldeck in Tsingtau erlassenen „Verordnung über Opium“. Speedball Mischung von Kokain mit Morphium oder Heroin Redaktionsschluss: Der Arzt Lord Dawson of Penn spritzte dem todkranken britischen King George V. am 20. Januar 1936 gegen 23.55 Uhr eine tödliche Mischung aus Kokain und Morphium, „damit die Nachricht vom Tod des Königs noch die Morgenausgaben der Zeitungen erreichen …“. Valium Ò Benzodiazepine Wenn die Kleinen nerven: „And though she’s not really ill, there’s a little yellow pill“ („Mother’s Little Helper“, The Rolling Stones, 1965) IMPRESSUM Herausgeber: Drägerwerk AG & Co. KGaA, Unternehmenskommunikation Anschrift der Redaktion: Moislinger Allee 53–55, 23558 Lübeck / [email protected], www.draeger.com Chefredaktion: Björn Wölke, Tel. +49 451 882 20 09, Fax +49 451 882 39 44 Redaktionelle Beratung: Nils Schiffhauer (V. i. S. d. P.) Art Direktion, Gestaltung, Bildredaktion und Koordination: Redaktion 4 GmbH, Hamburg Druck: Lehmann Offsetdruck GmbH ISSN 1869-7275 Sachnummer: 90 70 328 Die Beiträge im Drägerheft informieren über Produkte und deren Anwendungsmöglichkeiten im Allgemeinen. 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