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(Bild: Vector Informatik)
MESSEN UND TESTEN
ZF TRW testet weltweit Steuergeräte mit neuem Konzept:
In Rekordzeit
Ein erheblicher Teil der Entwicklungskosten eines Steuergeräts entfällt
auf die zahlreichen Tests vor jeder Serienfreigabe. Zudem ist der Aufwand für die Konzeption von Prüfständen und Programmierung von
Testabläufen immens gewachsen. Doch mit der neuen Prüfstandsgeneration kann der Automobilzulieferer ZF TRW Kosten und Zeit sparen.
Von Stefan Siefert-Gäde und Katja Hahmann
V
or Jahren zählten Antiblockiersysteme (ABS) zur ambitionierten Ausstattung von Fahrzeugen
ab der gehobenen Mittelklasse. Heute
gehören komplexe erweiterte Schlupfregelsysteme wie ESC (Electronic Stability Control), in Deutschland als ESP
(elektronisches Stabilitätsprogramm)
bezeichnet, zum aktuellen Stand der
Technik. Am Beispiel der Evolution von
ABS zu ESP lässt sich anschaulich demonstrieren, wie die Komplexität der
Automobilelektronik auf allen Gebieten
kontinuierlich zunimmt. Im Gegensatz
zu einem ABS-System, das nur tätig wird,
wenn der Fahrer aktiv bremst, arbeitet
ein ESP-System praktisch autonom.
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Entsprechend ist mehr Sensorik notwendig, um das System mit Informationen über Beschleunigungen, Querund Längskräfte oder Torsionsbewegungen zu versorgen. Daher müssen
moderne Steuergeräte immer mehr
Signale der Steuergerätesensoren oder
der angeschlossenen Bussysteme verarbeiten.
Testaufwand erreichte
­Schmerzgrenze
Der Automobilzulieferer ZF TRW entwickelt in seinem Werk in Koblenz unter
anderem Steuergeräte für ESP-Systeme.
Die zunehmende Komplexität der Ent-
wicklungen spiegelt sich nicht zuletzt im
Testaufwand wider. Sowohl die Anzahl
der Steuergeräte als auch deren erweiterter Funktionsumpfang verursachen
immer höhere Kosten für die Tests. In
den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl
der Steuergeräte von circa 30 auf bis zu
200 in einem Oberklassefahrzeug erhöht.
Der technische Aufwand, der hinter den
zahlreichen Prüfszenarien steckt, um
jeden Steuergerätetyp unter allen erdenklichen Betriebs- und Umgebungsbedingungen zu testen, ist immens. Für
jedes Fahrzeugmodell und jeden Hersteller ist eine spezielle Steuergerätevariante erforderlich. Bei ZF TRW gibt es
entweder eine Steuergerätevariante als
ESP-System oder eine Variante mit integrierter Parkbremse.
Insgesamt muss jedes Steuergerät
zahlreiche elektrische, funktionale und
mechanische Umwelt- und EMV-Tests
vor der Freigabe absolvieren. Simulationen bilden dazu Umgebungseinflüsse
sowie mechanische und elektromechanische Beanspruchungen oder Extremsituationen nach. So setzen zyklische
Temperaturwechsel-Dauerlauftests die
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Geräte und Platinen thermischen
Schocks von –40 bis +120 °C aus. Die
mechanischen Beanspruchungen reichen von Vibrationstests mit sinusförmigen Schwingungen und Rauschcharakteristiken bis zu Einzelschocks mit
Beschleunigungen von 30 g. Des Weiteren sind Dichtigkeitsprüfungen durch
Behandlungen mit Salzsprühnebel,
feinstem Sandstaub oder Wasserschwall
vorzunehmen; Hochdruckreiniger simulieren Motorwäschen.
Virtuelle
Steuergeräte-Umgebungen
Voraussetzung für diese Tests ist ein
laufender Betrieb des Steuergeräts.
Repräsentative Tests und eine umfassende Diagnose der Steuergerätefunktion sind jedoch nur möglich, wenn der
Prüfstand die elektrische und elektronische Fahrzeugumgebung lückenlos
nachbildet. Somit sind für alle digitalen
und analogen Eingänge Signale mit
realitätsnahen Spannungen und Strömen zu generieren. Dasselbe gilt für
angeschlossene Lasten und für die sogenannte Restbussimulation. Weil sich
neben CAN längst weitere Bussysteme,
wie FlexRay, LIN und MOST, im Automobil etabliert haben, kommunizieren
zahlreiche Steuergeräte gleichzeitig mit
mehreren Bussen. Diese Multibus-Systeme erhöhen die Komplexität ein
weiteres Mal und sind in den Restbussimulationen ebenfalls korrekt abzubilden – manchmal auch der Funktionsumfang von Gateways.
Um der steigenden Komplexität der
Steuergerätetests und den verfügbaren
Zeitschienen auch in Zukunft gerecht
werden zu können, suchten die Prüfstandsingenieure vor einiger Zeit nach
einer moderneren flexibleren Prüfstandslösung. Sie sollte global und
einheitlich an allen ZF-TRW-Standorten
umgesetzt werden. Inzwischen hat der
Automobilzulieferer insgesamt 32 der
neuen Prüfstände in Deutschland, USA,
Tschechien und China in Betrieb. Jeder
Prüfstand besteht aus einem 19-ZollSchrank mit sechs Einschüben, sodass
sich jeweils sechs Steuergeräte parallel
prüfen lassen (links im Aufmacherbild).
Über einen Scanner, einen Touch-Bildschirm und eine Tastatur pro Schrank
lassen sich Benutzereingaben vornehmen, Ergebnisse anzeigen oder Statusmeldungen ablesen (Bild 1). Die Energieversorgung für die Einschübe erfolgt
über eine zentrale Stromversorgung,
die für Hochstromverbraucher Ströme
bis 500 A oder eine Nennspannung bis
30 V liefern kann. Die hohen Leistungen
sind für die Tests der ESP-Steuergeräte
notwendig, bei denen 580-W-Antriebe
für den Druckaufbau der Bremshydraulik verantwortlich sind und hohe Anlaufströme entstehen. Dennoch ist es notwendig, den Energiebedarf während
paralleler Tests zu managen, damit nicht
alle Einschübe die Maximalleistungen
gleichzeitig abrufen.
Intelligentes Netzwerk-Interface
im Mittelpunkt
Weil die VN8900-Systeme auf die
Vector-Simulations- und Analysewerkzeuge CANoe und CANalyzer optimiert
sind, fügen sich die neuen Prüfstände
nahtlos in die Werkzeugkette bei ZF
TRW ein. Aus den Entwicklungsabteilungen vorhandene CANoe-Restbussimulationen lassen sich somit praktischerweise mit minimalen Anpassungen
in Tests direkt weiterverwenden. Diese
Restbussimulationen sind bereits intern
verifiziert, sodass zu diesem Zeitpunkt
kein zusätzlicher Aufwand mehr für
deren Qualitätssicherung anfällt. Durch
diesen Ansatz schließen sich interne
Bedenken damit quasi von selbst aus,
was zu einer spürbaren Entlastung der
Mitarbeiter und vor allem des Projektleiters führt. Die Rüstzeiten wurden
damit drastisch reduziert: in der Größenordnung von bis zu acht Monaten
zum Umrüsten eines Steuergerätetests
von OEM1 auf OEM2 auf jetzt zwei bis
drei Wochen. Gleichzeitig wurde die
Flexibilität bei der Reaktion auf späte
Kunden-Software-Änderungen kurz vor
Teststart mit Anpassungszeiten unter
einer Woche enorm gesteigert.
Eine zentrale Rolle im Konzept der
komponentenbasierten Prüfstände
spielt eine spezielle Hardware vom Typ
VN8900 aus dem Hause Vector Informatik (Bild 2). Der ZF-TRW-Prüfstandlieferant, die Smart Testsolutions GmbH
– nicht zu verwechseln mit dem Kleinwagenhersteller – hat pro Einschub
jeweils ein VN8900-System in seine
Lösung integriert (Bild 3). Beim
VN8900-System handelt es sich um ein
modulares Netz_0E5CB_mentor_EKAUTO_0809.pdf;S: 1;Format:(102.00 x 143.00 mm);13. Aug 2015 14:12:34
werk-Interface für
die Bussysteme
FlexRay, CAN (FD),
LIN, J1708 und KLine, das mit einem
eigenen x86-Echtzeit-Rechner ausgestattet ist. Dieser
sorgt insbesondere
bei Anwendungen
mit vielen parallelen Zugriffen auf
mehreren Bus-Kanälen für hohe E/ALeistung mit kurzen
Reaktions- und Antwortzeiten sowie
geringsten Latenzen. Neben den variabel konfigurierbaren Busschnittstellen stellt das
System Erweiterungsmöglichkeiten
für analoge und digitale Ein-/Ausgänge bereit. Dieses
intelligente Interface ist einfach von
einem PC aus über
USB oder Ethernet
konfigurierbar.
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MESSEN UND TESTEN
Robuste Testabläufe
Bild 1. Anwenderfreundliches Konzept mit Touch-Bildschirm, Scanner und Tastatur erleichtert das
Bedienen der Prüfstände.
(Bilder: Vector Informatik)
Eine weitere Besonderheit des VN8900Systems ist die Möglichkeit zum autonomen Betrieb, ohne dass eine Verbindung zu einem Bedien- oder Überwachungs-PC notwendig ist. Von den
Testingenieuren werden am normalen
PC-Arbeitsplatz mit Hilfe von CANoe
Restbussimulationen und Testabläufe
in der Skriptsprache CAPL erstellt. Anschließend lassen sie sich einfach auf
das VN8900-System laden und dort
ausführen. ZF TRW profitiert hier unter
anderem von einer höheren Stabilität
und Robustheit bei Langlauftests. Früher passierte es vor allem bei bis zu
sechsmonatigen Langlauftests hin und
wieder, dass der PC nach einigen Monaten abstürzte. Das ist insofern ärgerlich, als der Rechner dann über keinerlei
Kontrollmöglichkeit mehr über den
laufenden Testprozess verfügt. Derartige Probleme sind bei den neuen Prüfständen bisher nicht aufgetreten.
Heute sind Test Controlling, Visualisierung und Kommunikation zum Steuergerät streng getrennt. Das VN8900System kommuniziert mit einem Linuxbasierten Leitrechner von Smart Testsolutions über die LAN-Schnittstelle. Dabei
kommt ein spezielles, von Vector mitgeliefertes, echtzeitfähiges Ethernet/UDPProtokoll mit der Bezeichnung FDX (Fast
Data Exchange) zur Anwendung. Durch
eine enge Zusammenarbeit mit Vector
Informatik war ZF TRW in der Lage, das
FDX-Protokoll nach eigenen Vorstellungen zu modifizieren, und konnte in
diesem Rahmen beispielsweise einen
Datenaustausch nach dem Fifo-Prinzip
implementieren. Umgekehrt hat Vector
bei der Weiterentwicklung des VN8900Systems auch Ideen von ZF TRW aufgegriffen. FDX bietet nun weitreichenden
Zugriff auf autonom laufende Tests und
erlaubt neben dem Starten und Stoppen
von Anwendungen etwa das Auslesen
und Löschen von Fehler-Codes, das
Lesen und Sichern von XCP-Variablen,
das Beeinflussen der Restbussimulationen und vieles mehr.
Budget-freundliche Lösung
Bild 2. Das modulare VN8900-Netzwerk-Interface mit integriertem Echtzeitrechner spielt eine zen­
trale Rolle für die Netzwerk-Kommunikation des Steuergerätes.
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Für ZF TRW war die breite Unterstützung
in Hinsicht auf die benötigten Protokolle ein wichtiges Argument, sich zugunsten der Vector-Lösung zu entscheiden.
Der Werkzeughersteller hat aus Sicht
des Zulieferers für alle am Markt gängi-
MESSEN UND TESTEN
Steuergerät
TestController
Sensorik
Aktorik
Messtechnik
Teststeuerung-/überwachung
gen Protokolle sowie Automobilhersteller-spezifischen Netzwerke und Diagnosesysteme eine entsprechende Lösung parat.
Diese zudem kostenlosen Lösungen sind ein Alleinstellungsmerkmal von Vector am Markt. Der Vorteil möglicherweise günstigerer
Hardware-Komponenten anderer Hersteller löst sich durch höhere Folgekosten
auf, wenn ProtoPC
kolle für einzelne
ZF-TRW-Bedienoberfläche für Prüfstände
Busse oder die
Energieversorgung
USB-Multiplexer
für diverse OEMs
fehlende XCPBuskommuniSteuereinheit
kation
Unterstützung
erst nachzuentVN8900:
Ethernet - Restbuswickeln ist.
CAN
simulation
(FDX)
Vor teilhaf t
- Diagnose
LIN
(UDS, XCP)
gelöst hat der
FlexRay
Hersteller des
I/O
VN8900-Systems
auch die Lizenzfrage, weil AnBild 3. Blockschaltbild eines eigenständigen Subsyswendern wie
tems, von dem pro Prüfstand sechs Einheiten verbaut
dem Automobilsind.
zulieferer durch
die sogenannte CANoe-Stand-Alone-Extended-Lizenz praktisch
keine weiteren Kosten anfallen. Mit einer CANoe-Lizenz auf einem
Entwicklungs-PC lassen sich beliebig viele Prüfstandsanwendungen erstellen. Updates der VN8900-Systeme auf aktuelle CANoeVersionen sind dabei immer kostenlos enthalten. Selbst wenn sich
der Lebenszyklus der neuen Prüfstände einmal ihrem Ende zuneigen sollte, lassen sich die VN8900-Geräte am Arbeitsplatz
sinnvoll weiterverwenden, anstatt als totes Kapital ungenutzt zu
bleiben.
Die Entwicklung geht weiter
Mit seinen neuen Prüfständen, die erstmals beim Testen von ESPSteuergeräten zum Einsatz kamen, verfügt ZF TRW über ein komponentenbasiertes Testsystem, bestehend aus sechs bis sieben
Bausteinen, die in verschiedenen Konstellationen kombinierbar
sind. So kann das Unternehmen das Prüfstandkonzept zügig an
Tests für andere Steuergerätetypen adaptieren, zum Beispiel für
Airbags oder Fahrerassistenzsysteme. Beeindruckend sind die
verkürzten Rüstzeiten und die Geschwindigkeit, mit der die Verantwortlichen jetzt auf
Dipl.-Ing. (FH) ­
Anforderungsänderungen reagieren können.
Stefan Siefert-Gäde
studierte Elektrotechnik an der
Künftige Systeme für
FH Koblenz. Er trat 2006 in die
das autonome Fahren
TRW Automotive ein. Seit 2014
sind bereits avisiert.
koordiniert Siefert-Gäde im
Beim Testen der hierfür
Bereich Global Electronics die
unverzichtbaren Raglobale strategische Entwicklung von Test Equipment.
dar- und Kamerasysteme wird es für das
neue PrüfstandskonDipl.-Ing. ­
zept viele Gelegenheiten geben, seine LeisKatja Hahmann
studierte Elektrotechnik an der
tungsfähigkeit und
TU Chemnitz. Sie trat 1997 bei
sein RationalisierungsVector Informatik ein und ist
potenzial weiterhin
dort Gruppenleiterin der CAunter Beweis zu stelNoe-Anwendungsentwicklung.
len.
eck