kreuzer - Das Leipzig Magazin - Wohnungsgesellschaft mbH

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kreuzer - Das Leipzig Magazin - Wohnungsgesellschaft mbH
kreuzer - Das Leipzig Magazin
08.03.10 13:41
Kultur | Musik | aus dem kreuzer-Heft 03.10 | 06.03.2010 |
18:13 Uhr
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Das Bunte in der Grauzone
Neue Orte für Musik im Leipziger Westen
Ein Saxofon lehnt in der Ecke, Leute plaudern, ein
weißhaariger Mann bestaunt die neue Four Tet-LP.
In wenigen Minuten wird die Band mit ihren JazzKompositionen den Feierabend der Anwesenden
versüßen. Draußen warten Einige die
Raucherpause ab, um sich noch einen Platz im
mittelgroßen Laden in der Könneritzstraße zu
sichern.
Ähnliches könnte sich zur gleichen Zeit zwei
Straßenecken weiter abspielen. Schleußig, Plagwitz
und Lindenau sind in den letzten Jahren zunehmend wichtiger für die Leipziger
Kunst- und Musikszene geworden. Hier gibt es eine Vielzahl von Off-Spaces,
darunter AundV, Kuhturm, Raum der Kulturen, EEG, D21 und Ortloff, in denen
vorrangig bildende Kunst stattfindet. Aber es gibt auch Läden, in denen LiveAuftritte eine mindestens gleichwertige Rolle spielen und in angenehmer
Regelmäßigkeit angeboten werden.
Dominik Steiner, Tobias Bernet, Madleina Deplazes
und Ivo Brahmer (v.l.n.r.) im hinZundkunZ
Der Klanggarten ist ein gut sortierter
Wohnzimmer-Plattenladen mit mehr Vinyl als CDs
in den Regalen. Mindestens einmal im Monat gibt
hier es Konzerte. Die Bandbreite erstreckt sich von
Jazz über Songwriter-Pop hin zu elektronischer
Experimentalmusik. Inhaber Christoph
Stadelbacher, der sich selbst als »Alleshörer«
bezeichnet, beschreibt das Konzept: »Eigentlich
war keine Konzertreihe geplant. Mit den ersten
Gut sortierter Wohnzimmer- Plattenladen mit mehr
beiden Release-Partys von befreundeten Bands
Vinyl als CDs in den Regalen: Klanggarten
kamen andere Musiker aus deren Freundeskreis zu
Besuch. Sie suchten Auftrittsmöglichkeiten im kleinen Rahmen. Dadurch ergab sich
die stilistische Vielfalt und der Ansatz, hauptsächlich Bands aus Leipzig die
Möglichkeit zu geben, hier zu spielen.« Auch international renommierte Künstler
wie Eugene Chadbourne und Nils Berg haben dem Klanggarten schon einen
Besuch abgestattet.
Das hinZundkunZ besteht seit 2009 und wird im Kern von vier zugezogenen
Schweizern betrieben. Zu KunZstoffe e. V. gehören 15–20 weitere Helfer, die
Band-Kontakte besitzen und die Abende mit organisieren. Der Laden versteht sich
als offener Treffpunkt, an dem Vorträge, Lesungen, Frühstücksvolksküche und
eben Konzerte zu erleben sind. Bisher haben etwa Bobby Baby, The Wind Whistles
und Tim & Puma Mimi die Georg-Schwarz-Straße 9 beehrt. Die Betreiber halten es
keineswegs für Zufall, dass sie in Lindenau aktiv sind. Hier kann man
Wächterhäuser nutzen und von günstigen Mieten profitieren. Auf die Frage, ob ihr
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Projekt auch in anderen Stadtteilen denkbar wäre, erklärt Ivo Bahmer: »Hier
herrscht eine Umbruchsituation, es laufen viele Dinge parallel ab.« Im
stadtpolitischen Kontext würde Lindenau von bestimmten Leuten als sozialer
Brennpunkt bezeichnet, so Ivo. Gleichzeitig existiere eine alternative
Stadtentwicklungsschiene mit HausHalten e. V. als Leuchtturm, an den junge,
aktive, künstlerisch tätige Menschen andocken können. Darum kommt für ihn nur
Lindenau in Frage – und nicht Connewitz. »Dort wäre es mehr Wasser auf Mühlen,
die sich ohnehin schon drehen.«
Gleich um die Ecke vom hinZundkunZ befindet
sich Die Kassette. Hier werden seit dem Jahr 2007
Tapes getauscht und die besten Beiträge zur
»Kassette des Monats« gekürt. Bands, die hier
auftreten, werden gebeten, Mix-Tapes
mitzubringen, die dann ausgestellt werden. Einige
eingefleischte Fans beliefern den Laden mit
liebgewonnenen Scorpions- oder Van HalenKassetten, die einen Ehrenplatz unter der Decke
Kassettenumschlagplatz und Auftrittsort in einem:
erhalten. Mitbetreiber Jacob Schneikart, der auch
Die Kassette
als Promoter für das Klangbad-Label arbeitet, hat
hierher bereits Christy & Emily eingeladen, die im Februar im Cineding spielten.
Die Idee, das Singer/Songwriter-Duo aus Brooklyn in der heimeligen Kassette und
jetzt in einem Kinoraum spielen zu lassen, zeigt die Suche nach neuen Varianten,
um Kunst bestmöglich zu präsentieren.
Alle drei Orte vereint der nicht-kommerzielle Ansatz, in keiner der Lokalitäten wird
Eintritt verlangt. Ankündigungen erfolgen per Einladung über Newsletter,
Mundpropaganda und einschlägige Internetportale. Wenige Besucher reichen aus,
um die Räume zu füllen. Lärm wird vermieden, der Austausch mit den
angestammten Bewohnern der Viertel angeregt. Die Grenzen zwischen
Projektarbeit und Freundeskreis verschwimmen, man borgt sich Equipment,
verleiht Baumaterial und reflektiert gemeinsam über Ziele und Selbstverständnis
in Netzwerken wie der IG West oder Lindenow. Das Dörfliche im Urbanen wird
gepflegt und die Initiatoren können spontaner agieren als konventionelle
Veranstalter: Wenn zum Beispiel ein Konzert in der Nähe von Leipzig ausfällt,
kann man einspringen. Freunde empfehlen Bands. Bands werden zu Freunden und
empfehlen befreundeten Bands die Läden weiter. Aufgrund der finanziellen
Unabhängigkeit erfolgt die Programmauswahl ausschließlich nach Gefallen.
Die Beteiligten wissen um die voraussichtliche Kurzlebigkeit ihrer Projekte. Zum
einen gehört es zum Wesen der Gentrifizierung, dass beizeiten ein anderer
Stadtteil an der Reihe ist, zum anderen kann man schwerlich dauerhaft von nichtprofitorientierten Projekten leben. Daher sollten die Angebote genossen werden,
solange sie bestehen. Was für ein Leben! Fast wie im Westen. Kay Engelhardt
Rita Hey live: 8.3., hinZundkunZ
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