DiE MAChER blau

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DiE MAChER blau
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qvestions
»Eine Marke muss in der
Lage sein, den Markt mit
Kreatvität zu bereichern.«
Jason Denham
Shubhankar Ray
Giorgio Presca
Die blau macher
Anlässlich der Bread & Butter Berlin lud QVEST zum »ersten internationalen Jeans-Gipfel«.
Und so fanden sich mit Jason Denham (Creative Director Denham The Jeanmaker),
Shubhankar Ray (Global Brand Manager G-Star) und Giorgio Presca (President VF Jeanswear
International/ Wrangler) gleich drei Schwergewichte der Denim-Branche zu einem exklusiven
Expertengespräch über die Faszination der indigoblau gefärbten Baumwolle ein.
i n t e r v i e w Yorca Schmidt-Junker
p h o t o g r a p h y Mirjam wählen
QVEST: Gentlemen, QVEST begrüßt Sie zur illustren Herrenrunde zum
Thema »Jeans«. Als Repräsentanten dreier sehr unterschiedlicher Firmen
würde ich Sie bitten, zunächst erst einmal Ihre Brands sowie die individuellen Unternehmensphilosophien vorzustellen.
Jason denham: Also, Denham ist ja eine ganz junge Marke,
uns gibt es erst seit zwei Jahren. Daher haben wir auch noch
keinen Besitzstand. Anders als mein Freund hier (deutet auf
Giorgio Presca von Wrangler), dem der Markt gehört, denn
schließlich ist Wrangler ein Haus mit
Geschichte. Sie haben viele der
Trends, über die die Leute heute
sprechen, überhaupt erst geschaffen.
Wir würden jetzt niemals hingehen
und versuchen, die Vergangenheit
bzw. Wrangler zu kopieren, das funktioniert für uns nicht.
Meine Firma ist noch ein Baby, ein ganz neues Ding. Unsere
Philosophie fusst auf zwei Grundsätzen: »Traditionen ehren,
Konventionen brechen«. Ich bin ein großer Denim-Fan und
Sammler, ich besitze viele Secondhand-Stücke. Vintage ist ja
ohnehin der Riesentrend im Markt. Wenn wir neue Denham74 / QVEST spring 10
Jeans entwerfen, dann kommt der erste Anstoß für das Design
aus meinem Sammler- Archiv, ist also vintage-inspiriert. Mit
anderen Worten: Wir setzen zwar bei der Vergangenheit an,
aber wir bringen die Sache dann nach vorn, übertragen sie also
in die heutige Zeit. Dabei lautet unser Leitspruch fürs Design: »Die Wahrheit steckt im Detail.«
Giorgio Presca: Wrangler ist ja aus einer anderen Firma
namens Blue Bell hervorgegangen, die schon seit 1904 bestand. Als diese 1947 anfing, Hosen für
den Rodeo- und Cowboy-Markt zu produzieren, kam es zum Namenswechsel.
Unsere Marke ist also schon ziemlich
alt, was bedeutet, dass sie auf eine lange
Vergangenheit zurückblicken kann.
Aber natürlich geht es bei uns nicht nur um die Wahrung der
Tradition, sondern auch um ganz bestimmte Werte, die wir
propagiert haben: Wrangler steht für Rodeo, für das Leben in
der freien Natur. Für das Wilde, Ungezügelte; bei Wrangler
geht es nicht nach Schema F. Man darf schließlich nicht vergessen, dass Denim ja ursprünglich Arbeitskleidung war, und
in vielen Ländern ist das heute noch so. Deswegen mussten
Jeans verschiedene Voraussetzungen und Ansprüche erfüllen:
Sie mussten bezahlbar, sie mussten funktional sein. Und für
Wrangler sind diese Werte wie Freiheit, Ungezähmtheit,
Natur auch heute immer noch sehr wichtig. Unser Ziel ist
also, diese Werte in die Gegenwart zu übertragen und einen
Look zu schaffen, der die Menschen von heute überzeugt.
Wenn es gelingt, den Anschluss an die Gegenwart nicht zu
verlieren beziehungsweise einen wesentlichen Beitrag zum
Jetzt zu leisten, dann können Marken tatsächlich sehr lange
leben.
Shubhankar Ray: Wir haben da einen etwas anderen
Blickwinkel. Viele Jeansfirmen tragen ja ein bedeutendes
Erbe mit sich herum. Da ist natürlich auch oft eine gewisse
Nostalgie mit im Spiel. Wir sind erst 20 Jahre alt, haben also
noch kein Vermächtnis, das wir bewahren müssen, und deshalb versuchen wir auch gar nicht erst, uns darauf zu berufen.
Das macht uns fast zwangsläufig moderner. Für G-Star gilt,
dass wir eher vom Industriedesign her kommen, nicht so sehr
aus dem Modedesign. Wir lassen uns in unseren Entwürfen
eher vom Objektdesign inspirieren, also von Autos, Möbeln
und so fort. Da ist eher etwas Architektonisches im Spiel.
Jedenfalls sind wir vom klassischen Entwurf mit fünf Hosentaschen abgekommen.
Woran erkennt der Kunde eigentlich den Unterschied zwischen einer Jeans
von G-Star oder Denham und einer Wrangler?
SR: Ach, so viele Unterschiede gibt es da gar nicht, um ganz
ehrlich zu sein! (Alle lachen). Auf einer Messe für Streetwear
wie hier bei der Bread & Butter ist das sicher anders, da erkennt
das Fachpublikum schon kleine Nuancen und Unterschiede.
Aber doch nicht der ganz normale Käufer, der denkt über so
was doch gar nicht nach. Das Besondere an der Jeans ist ja,
dass es auch immer um ein emotionales Element geht. Anders
gesagt: Eine Jeans ist immer mit einem Gefühl verknüpft. Und
Gefühle sind individuell halt unterschiedlich ausgeprägt,
differieren also stark. Und daher macht dann das individuelle
Gefühl für den Konsumenten den Unterschied aus.
GP: Absolut richtig.
JD: Ja!
Geht es nicht primär um das Image, das eine Marke hat?
JD: Ja, das ist wahrscheinlich auch das Interessante an
diesem Markt: Es gibt eine riesige Bandbreite an unterschiedlichsten Firmenidentitäten. Das sieht man doch
schon bei uns dreien hier, eine Firma ist zwanzig Jahre alt,
eine gerade mal zwei, und dann sitzt hier natürlich noch
das Original (allgemeines Gelächter). Und wie Shubhankar
vorhin schon am Beispiel von G-Star erklärt hat, das gibt
jedem die Gelegenheit, sein eigenes Ding zu tun.
GP: Aber ohne eigene Identität geht es nicht, das steht schon
mal fest. Eine Identität muss klar erkennbar sein. Man muss
etwas darstellen, jemand sein. Eine Marke muss zudem auch
immer etwas Magisches an sich haben. Und sie muss in der
Lage sein, den Markt mit Kreativität zu bereichern.
Es gibt wohl kein »demokratischeres« Kleidungsstück als eine Jeans.
Man trägt sie unabhängig von Alter, Geschlecht, Status, kulturellem
Hintergrund …
SR: Ja, eine Jeans ist universell. Ein Massenprodukt. Im
wahrsten und besten Sinne des Wortes. Und vergessen Sie
nicht, dass Marketing sowieso nicht mehr auf Altersgruppen
abzielt. Es geht eigentlich nur noch darum, was jemand im
Kopf hat, wie er denkt. Also um eine Geisteshaltung. Die
Frage ist nur noch, ob seine Geisteshaltung eher zu Jasons,
Giorgios oder unserer Marke passt.
GP: Man muss erkennbar sein, sein Ding durchziehen, wenn
man sich auf dem Markt behaupten will. Eben ist das Wort
»demokratisch« gefallen, für uns von Wrangler mit unserer
Geschichte ist das tatsächlich der entscheidende Begriff; wir
müssen demokratisch, also für die breite Masse erreichbar
sein. Da wäre es einfach nicht glaubwürdig, plötzlich im
Premium-Sektor mitspielen zu wollen.
SR: Jason zum Beispiel steht für Vintage, Luxus, für ein
Nischensegment. Giorgio dagegen repräsentiert den Massenmarkt: Wrangler steht für attraktive Produkte zu attraktiven
Preisen. G-Star vereint beide Aspekte. Wir zeigen unsere
Kollektion hier auf der Bread & Butter, aber auch auf der New
York Fashion Week gleich neben Calvin Klein, Ralph Lauren
und anderen Designern. Das ist an Jeans tatsächlich ziemlich
interessant: Weil sie von jedem getragen werden, können sie
im Luxussegment genauso mitspielen wie bei der Massenware.
Weswegen der Markt für Jeans auch zu einem der größten in der Modeindustrie gehört. Die Umsätze Ihrer sowie der Firmen Ihrer DenimKollegen belaufen sich auf immerhin 4 Milliarden Dollar im Jahr.
GP: Ja, die Umsätze bei Jeans sind stabiler und höher als bei
allen anderen Artikeln der zeitgenössischen Mode. Da kommen, glaube ich, nicht mal Sneakers mit.
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SR: Jeans sind in den Fünfzigern und Sechzigern cool geworden. Zu
einer Zeit, als die heute 60-Jährigen geboren wurden oder als die 70-Jährigen noch nicht mal Teenager waren. Das bedeutet, dass Jeans auch noch
für 80-Jährige interessant sind, das ist eine enorme Bandbreite, ein Riesenmarkt mit ungeheurem Potenzial.
GP: Und die Jeans ist wirklich jedermanns Liebling. Jeder will eine haben.
Wrangler verkörpert die amerikanische Jeans-Kultur, während G-Star und Denham
holländische Firmen sind. Haben die europäischen Marken inzwischen den Anschluss
geschafft?
JD: Das ist ein Trend. Trends kommen und gehen, Dinge verändern sich,
und immer kommt von irgendwoher was Neues. Ich bin Engländer, aber
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land, das spielt auch eine Rolle. Einfach eine
Spitzenlage für die globalisierte Welt von heute.
JD: Aber nicht, wenn man ans Wetter denkt!
SR: Stimmt, das Wetter könnte besser sein!
Jason, wie schafft man es, sich neu in einem Markt zu positionieren, der bereits an einer Übersättigung leidet? Ist das
nicht kontraproduktiv?
JD: Überhaupt nicht. Ich werde immer wieder
gefragt: »Musst du ausgerechnet in einer Rezession eine neue Firma gründen?« Alle sagen, der
Markt ist voll, der ist übersättigt. Ich sehe das ganz
anders, nämlich zuallererst mal als einen großen
Wäschereien, in der Wissenschaft und so. Aber
auch der künstlerische Aspekt beginnt jede Saison
aufs Neue. Wir verbessern uns alle permanent in
dem, was wir tun. Manchmal existieren Ideen oder
Verfahren schon länger, aber niemand kümmert
sich sonderlich drum. Bis jemand kommt, der sie
ganz neu umsetzt. Ich hatte gestern zum Beispiel
ein sehr interessantes Gespräch mit François
Girbaud über die Lasertechnik. Die wird zwar
schon seit über zehn Jahren bei der Jeansherstellung eingesetzt, aber bisher hat noch niemand was
Besonderes daraus gemacht. Girbaud hat damit
Die Key-Looks der F/ S
Kollektionen 2010,
oben: Body und Blazer von
G-Star Raw,
unten: Jeanshemd und -hose
von Wrangler Blue Bell
»Die Zukunft der Jeans
fängt jede Saison von neuem an.«
lebe jetzt schon über zehn Jahre in Holland, und in der Zeit ist der Jeansmarkt dort schon ziemlich gewachsen und hat sich auch sehr verändert.
Ich glaube, bei Jeans hält sich ein Trend so ungefähr fünf Jahre. Und in
den letzten fünf Jahren war der größte Trend Skandinavien. Alles, was
aus Skandinavien kam, war extrem einflussreich – da ist wirklich gute
Arbeit geleistet worden – und richtungsweisend in Sachen Design. Fünf
Jahre vorher war das noch L.A., und davor Japan. In Holland kann man
gerade beobachten, dass starke Marken neue Synergien schaffen und eine
neue Anziehungskraft entwickeln. Da spielt G-Star natürlich eine ganz
wichtige Rolle, die haben das im Grunde aufgebaut. Aber es entstehen
auch gerade ziemlich viele kleine Marken, die nur in Boutiquen verkauft
werden, also da ist eine Menge frischer Energie.
GP: Es gibt ganz klare Zentren für Jeansmode. Die Skandinavier tragen
grundsätzlich viel Denim und kombinieren es auch zu allem. Die gehen
wirklich ganz individuell mit dem Thema um und sind zudem führend im
Design. Wenn man wissen will, was ein neuer Trend sein könnte, schaut
man sich erstmal in Skandinavien um. Ein anderer wichtiger Ort ist natürlich Amsterdam. Es gibt verschiedene Knotenpunkte, wie gesagt.
SR: Ja, Amsterdam ist ein wichtiger Knotenpunkt. Sehr kreativ. Und auch
von der geografischen Lage her ideal. Es ist ja nicht weit bis England oder
Skandinavien, wo wichtige Einflüsse herkommen. Und nah an Deutsch76 / QVEST spring 10
Markt. Es ist eine riesige, enorme Industrie, was
bedeutet, dass immer noch Platz ist. Und ich bin
überzeugt davon, dass da für jeden was drin ist,
der eine Geschichte zu erzählen hat, der mit
Leidenschaft und echter Begeisterung an die
Sache geht. Der kriegt dann auch die Gelegenheit,
sein Ding durchzuziehen und zu zeigen, was er
draufhat.
SR: Eine Rezession ist doch meistens die beste
Zeit, um etwas Neues zu starten, oder?
JD: In Zeiten der Depression entstehen große
Dinge. Punk und all das ist ja aus ganz dunklen
Zeiten hervorgegangen, und Musik und Mode
haben ja immer sehr viel miteinander zu tun.
Gerade in solchen Zeiten wie heute kann sich unheimlich viel tun, glaube ich.
Und wie sieht die Zukunft der Jeans aus? Womit können wir
da rechnen?
JD: Die Zukunft der Jeans fängt jede Saison von
Neuem an. Im Moment scheint die Technik immer wichtiger zu werden. Das sieht man in den
jetzt was sehr Interessantes vor. Was ich sagen will:
Es gibt immerzu neue Entwicklungen, ständig
Veränderungen.
GP: Ja, wir entwickeln uns immer weiter, unaufhaltsam. Bei Jeans geht es ja nicht nur um die
reine Mode, also ob nun die Röhren-Jeans oder
der Boot-Cut gerade angesagt ist. Das hat immer
ganz viele, unterschiedliche Facetten, nicht nur
das Design. Also, nehmen wir das Beispiel von
François, wenn der mit Laserdrucken arbeitet,
dann tut sich da auch was in den Wäschereien und
in den Fabriken. Das ist nie nur eine Sache für
sich allein. Da kommen immer viele verschiedene
Aspekte zusammen.
SR: Das Einzige, was ich weiß, ist, dass die Jeans
uns alle drei überleben wird. Jeden Tag passiert
auf dem Gebiet von ganz alleine etwas Neues,
entwickelt sich was weiter, wird etwas wieder heraufbeschworen. Die Nadel stößt jeden Tag ein
wenig weiter vor. Und so hat man ein Produkt, das
sich ständig verändert. So eine Art superspeziali-
siertes Massenprodukt. Ich glaube, alle, die auf diesem Markt
Erfolg haben wollen, müssen extreme Spezialisten sein. Ich
müsste Jason ja gar nicht persönlich kennen, es reicht ja,
einen seiner Läden zu betreten und man weiß sofort, der Typ
hier ist mit absoluter Leidenschaft dabei, der brennt für seine
Sache, liebt verdammt noch mal seinen Job (alles lacht)…
Also in Zukunft geht es vielleicht mehr um das, was einem
wichtig ist, um den persönlichen Einsatz, den man spüren
muss. Also, dass die Sachen, die man besitzt, eine Bedeutung
haben sollen für das eigene Leben. Jeder braucht was zum
Anziehen, jeder hat was im Kleiderschrank. Und zu den
Dingen, die wirklich jeder hat, gehören nun mal eine Jeans
und Turnschuhe. Das ist eine Liebesbeziehung, auf die
wirklich keiner verzichten will. Obwohl das Produkt austauschbar ist, hat jeder eine ganz enge Beziehung dazu. Alle
lieben es. Und darin liegt wahrscheinlich die wahre Zukunft
der Jeans.
Wir danken den Veranstaltern der Bread & Butter Berlin für die
freundliche Unterstützung.
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