Ansehen - Berliner Dom

Transcrição

Ansehen - Berliner Dom
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Pfarrer Alexander Höner
Sonntag Estomihi, 6. März 2011, 18 Uhr
Predigt über Lukas 10,38-42
>> Marta und Maria sein <<
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei
mit uns allen. Amen.
Liebe Abendgemeinde,
ihre Arme sind kräftig, die Haut blass, ihre Wangen leicht gerötet von der Anstrengung. Sie zerstößt
Knoblauchzehen mit einem metallenen Mörser. Sie trägt ein dick gestepptes braunes Oberteil und einen
grauen Rock. Erdige Farbtöne. Auch ihr Haar. Ein weißer Stoffhaarreif hält es aus dem Gesicht. Das
Gesicht. Volle Lippen mit Schmunzelgrübchen an den Mundwinkeln, die nicht schmunzeln. Die Nase
passt zu ihren Armen. Ihre Augen sind schön, nachdenklich. Klar gezeichnete schwarze Augenbrauen.
Nicht zu dicht. Sie hat etwas Kräftiges und zugleich etwas Feines. Sie ist jung. Strahlt Lebenslust,
gleichzeitig eine Unsicherheit aus. Das Leben, ein Geschenk – was mache ich damit, wo ist mein Platz?
Was tut Not, was ist jetzt dran für mich? Sie schaut uns Betrachter an.
Was ist noch auf dem Gemälde von Diego Rodriguez de Silva y Velazquez zu sehen? Ein Küchentisch, an
dem die junge Frau mit dem Mörser sitzt. Zwei Knoblauchzehen, eine aufgepult. Eine getrocknete
Peperoni, vier Fische, zwei Eier auf schwarzen Tellern. Ein Krug. Dunkelbraune Wand. Das ganze
Zimmer ist dunkelerdig. Allein auf die Menschen und Lebensmittel fällt ein helles Licht. Eine alte Frau
mit weißem lockerem Kopftuch sitzt hinter der jungen Frau. Drahtiger, faltiger, mit dunklen tiefen
Augen. Und doch ist da eine Ähnlichkeit. Vielleicht die Mutter? Oder die junge Frau selbst – vierzig
Jahre später – symbolisch für einen Lebensrückblick ins Bild gesetzt? Auch ihre Augen sind auf uns
Betrachter gerichtet, leerer, besonnener. Sie zeigt mit ihrem Zeigfinger in die rechte obere Ecke des
Bildes. Dort hängt ein Bild im Bild und darauf ist folgendes zu sehen:
„Als sie aber weiter zogen, kam Jesus in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.
Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede
zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst
du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!
Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist
not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“ (Lukas 10, 38-42)
Das Bild von Jesus zu Besuch bei Marta und Maria hängt in der Küche über dem Tisch. Darauf zeigt die
alte Frau, während die junge Frau in der Küche arbeitet. Schnell ist die Assoziation da: Marta ist die
Dumme. „Schau auf das Bild, Du willst doch nicht etwa, dass es Dir so ergeht wie der Marta und Du
Dein Leben mit Nebensächlichkeiten vergeudest. Das, worauf es im Leben ankommt, ist das Wort
Gottes zu hören.“ Aber warum diese Gegenüberstellung? Jesus sagt doch nicht: „Marta, Marta, du hast
viel Sorge und Mühe. Du hast das schlechte Teil gewählt.“ Er sagt lediglich: „Eins aber ist not. Maria hat
das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“ Ich versuche, es Jesus noch in anderen
Worten sagen zu lassen: „Marta, rege Dich nicht auf! Du hast Deinen Weg gefunden, wie Du mich
empfängst. Du richtest Dein Haus her und bereitest mir wunderbares Essen. Dafür danke ich Dir. Das ist
1
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Dein gutes Teil. Bei Maria ist im Augenblick etwas anderes dran. Sie hat gerade keine Kraft, sich so zu
veräußern wie Du. Sie empfängt und spürt, dass es ihr gut tut, dass es sie erfüllt und neu inspiriert,
wenn sie mir nur zuhört. Lass sie bitte. Lass ihr diese Freiheit und rechne nicht Dein Tun dagegen.“
Ich möchte Sie heute Abend einladen, die Geschichte von Marta und Maria nicht polarisierend zwischen
den Gegensätzen „die eine hat es gut gemacht“ und „die andere hat es schlecht gemacht“ zu hören,
sondern beide Einstellungen erst einmal wert zu schätzen. Und in einem zweiten Schritt malen Sie in
Gedanken ein eigenes Bild von dieser Szene. Was ist gerade dran bei Ihnen? Wie stehen Sie zu dieser
Geschichte? Sitzen Sie in der Küche, arbeiten und haben das Gefühl, dass das Eigentliche im Leben an
Ihnen vorbei zieht? Oder sind Sie erfüllt von Ihrem Tun und spüren, dass es Ihnen und anderen damit
gut ergeht? Vielleicht spüren Sie auch beides gleichzeitig, sind Marta und Maria. Malen Sie in Gedanken
Ihr eigenes Bild!
Musik (Chorgesang, „Hvad es du dog skjön“ von Edvard Grieg aus den „Fire Salmer“)
Die Geschichte von Marta und Maria verleitet einen, den alltäglichen Kram – das Wäsche waschen, das
Essen kochen, das Sockenstopfen – als unwichtig zu erachten. Was aber, wenn sich in dem alltäglichen
Kram etwas von dem verbirgt, was wirklich wichtig ist? Was, wenn der Kram die Hülle, die Verkleidung
des Eigentlichen, des Wesentlichen ist? (Vgl. Klaus Eulenberger, Nur die Stimme der Wahrheit kann
trösten, S.40)
Ich möchte Ihnen ein Beispiel erzählen: Bevor ich zum Berliner Dom gekommen bin, habe ich im
Institut für Praktische Theologie an der Universität Hamburg gearbeitet. Jeden Mittwoch um 9 Uhr
hatten wir Dienstbesprechung mit allen Mitarbeitenden. Unser Chef, Prof. Dr. Hans-Martin Gutmann,
bestand darauf, dass in den ersten 20 Minuten dieser Sitzung gemeinsam gefrühstückt wurde. So waren
wir also immer zu Beginn mit Unwesentlichem beschäftigt. Wir mussten früher kommen, um Kaffee
und Tee aufzusetzen, Tisch zu decken, Obst zu schneiden. Dieser alltägliche Kram sorgte allerdings
dafür, dass die Dienstbesprechungen in einer wertschätzenden, einander zugewandten und tatsächlich
auch produktiven Haltung durchgeführt wurden. Ohne das Frühstück, ohne die bewusste Anreicherung
der Sitzung mit Nebensächlichem wären wir zu manchem Hauptsächlichen gar nicht gekommen. Das
Eigentliche braucht das Uneigentliche. Gute Ideen, Kollegialität, Motivation, Inspiration brauchen
einen gut gedeckten Frühstückstisch!
Ich komme zurück zur Geschichte von Marta und Maria. Bevor Jesus im Haus der Marta einkehrt, erzählt
er einem Schriftgelehrten die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Das ist bemerkenswert. Denn
würdigt Jesus später das tatenlose Zuhören der Maria, so steht beim barmherzigen Samariter das aktive
Eingreifen im Vordergrund: „Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er den
Verletzten (ihn) sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und
verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.“ Hier ist der
Zusammenhang zwischen der Sorge um das körperliche Wohlergehen und dem Wichtigen unübersehbar,
denn es geht um ein Überleben.
Die einseitige Interpretation der Geschichte von Marta und Maria wird durch die beigesellte
Evangeliumslesung dieser Woche begünstigt. Denn dort heißt es, wie vorhin gehört: „Wer mir
nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer
sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des
Evangeliums willen, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt
gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele
2
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
auslöse?“ Die Antwort liegt auf der Hand: Er kann allein, wie es Maria tut, auf das Wort Gottes hören.
Das Leben erhalten zu wollen ist null und nichtig, Beiwerk, uneigentlich, ja gar nicht möglich.
Diese Interpretation tritt zu kurz. Marta und Maria taugen nicht als Karikaturen für die Viel-zuBeschäftigte auf der einen Seite und die fromme Nichtstuerin auf der anderen Seite. Gott dienen kann
man auf verschiedenen Wegen. Man kann eine gute Gastgeberein sein und eine gute Zuhörerin.
Wichtig ist dabei zu fragen: Was ist gerade für mich und andere dran? Was ist mein gutes Teil? „Wenn
du dich freuen kannst an dem, was du tust, wird es dir gut gehen.“ (Eulenberger, S.45f) Dann spürst du
Gottes Segen und wirst ein Segen für andere sein. Es ist das Gleichgewicht, was die benediktinische
Regel „ora et labora“ beschreibt. Bete und Arbeite! Höre auf Gott und gestalte das Leben! Das in einer
guten Balance zu halten, Marta und Maria zu sein, darauf kommt es an.
Amen.
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus
Jesus.“ (Phil 4,7) Amen.
3