Berliner Morgenpost vom 09.06.2010

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Berliner Morgenpost vom 09.06.2010
Ein Song kann ein Leben
verändern. „What’s Going On“,
der einzige Hit der der
kalifornischen Band Four Non
Blondes beispielsweise. Die
Gruppe um Sängerin Linda Perry
war eines der großen
Jugendidole von Pink. Und Perry
produzierte folgerichtig 2001
Pinks zweites Album
„Missundaztood“. Es wurde der
große Durchbruch für die zum
Erfolg entschlossene USRocksängerin. Nun lässt sie am
Dienstagabend vor dem Auftakt
ihres Waldbühnenkonzerts
„What’s Going On“ als letzte
Pausenmusik spielen, und die
rund 22.000 Fans im seit
Wochen ausverkauften
Amphitheater klatschen und singen mit, als stünde bereits eine Band auf der Bühne. Der kleine
Popsong wirkt wie ein Sinnspruch im Poesiealbum von Alicia Beth Moore aus Pennsylvania, die als Pink
die Popwelt und nun auch die Waldbühne beim ersten Konzert der Saison im Sturm genommen hat.
Gleich drei Vorbands
Zuvor allerdings gab es Vorgruppen im Dreierpack. Falls Pink sie alle selbst ausgesucht hat, zeugt das
von ausgesucht gutem Geschmack. Auf Popsängerin Nikka Costa folgt der US-Rocker Butch Walker
(der mit Pink am aktuellen Album „Funhouse“ gearbeitet hat). Und mit dem Italo-Schotten Paolo
Nutini und seiner Band schließlich folgt eine kleine Offenbarung. Diese jungen Soul-Rebellen haben die
Musikgeschichte tief inhaliert und sich an Otis Redding, Beatles und Bowie geschult. Der Mix aus
Country und Folk, Soul und Rock’n’Roll, gepaart mit Nutinis beseelter Sehnsuchtsstimme, sind ein
Glanzpunkt noch vor der eigentlichen Show.
Pink scheint nach Experimenten zwischen Pop, Dancefloor und R’n’B ihre endgültige Bestimmung
gefunden zu haben: Breitflächiger Stadionrock dominiert diesen als „Funhouse Summer Carnival“
annoncierten Showaufwand, mit dem sie sich knappe 90 Minuten lang routiniert durch ihre steile
Karriere singt. Nach kantigen „Get The Party Started“-Riffs der in einem skurrilen Zirkus-Bühnenbild
samt Galerie und Showtreppe postierten Musiker und Musikerinnen erscheint Pink im knappen kleinen
Schwarzen und eröffnet mit dem fordernden Titelsong des „Funhouse“-Albums.
US-Mainstream-Rock vor Zirkuskulisse
Videoeinspielungen und kunstvolle zirzensisch-surrealistische Comics untermalen den ganzen Abend
auf einer gewaltigen Bildwand im Hintergrund. Zwei asiatische Tänzerinnen in kuriosesten,
quietschbunten Zuckerbäckerkostümen umtänzeln die blonde Entertainerin, die sich ganz ihrem
Publikum hingibt und auf andernorts inszenierte Showeffekte verzichtet. Nur einmal lässt sie sich,
flankiert von ihren artistischen Tänzerinnen, an rotem Tuch in luftige Höhen ziehen. Die Zirkuskulisse
bleibt ansonsten jedoch nur Vorwand für klassischen US-Mainstream-Rock. Dafür sind die Songs von
Pink bestens geeignet.
Die sehr persönlichen Texte um Liebe, Sucht und Leid, die mitunter wie Durchhalteparolen aus der
Selbsthilfegruppe klingen, fügen sich ein in das bewährte Stadionhymnen-Muster aus harten GitarrenRiffs, eingängigen Strophen und mehrstimmigen, zum Mitsingen geradezu nötigenden Refrains. „Just
Like A Pill“ vom „Missundaztood“-Album gibt es ebenso wie „Who Knew“ vom 2006er-Album „I’m Not
Dead“. Doch es sind die neuen Songs, die diese exakt arrangierte Showmaschine antreiben, wie „Ave
Mary A“ oder „Bad Influence“. Später an diesem frühen Abend kehrt Butch Walker zurück auf die
Bühne, um mit Pink „Mean“ zu singen.
Auf Händen getragen
Und dann geht es so richtig an die Grundfesten des Rock. Walker und Pink verkuppeln „My
Generation“ von The Who mit „Basket Case“ von Green Day, um schließlich in einer wild-harten
Version von „Roxanne” von Police zu enden. Während Ex-Police-Sänger Sting inzwischen versucht,
seine frühen Hits mit Symphonieorchester altersgerecht aufzuarbeiten, nimmt sich die nächste
Generation seinen Klassiker vor und verquirlt ihn ungestüm zu einer Melange aus Punk- und Hardrock.
Als Höhepunkt steigt Pink in einen riesigen Plastikball und lässt sich vom Publikum auf Händen tragen.
Dennoch macht sich ein wenig Gleichklang breit. So ist es vielleicht auch ganz gut, dass dieser
Sommerkarneval nach 80 Minuten mit „Leave Me Alone (I’m Lonely)“ sein Finale findet. Eine Zugabe
noch, „So What“, die Überlebenshymne einer Liebenden, mit Nebelfontänen und Flammenwerfern
links und rechts der Bühne. Das Publikum tobt. Und auf der Leinwand gibt es einen richtigen
Nachspann. Wie im Kino. Nur warum geht einem nach dieser geballten Ladung Stadionrock „What’s
Going On“ nicht mehr aus dem Kopf?
Quelle:
http://www.morgenpost.de/kultur/article1322068/Pink-auf-Haenden-getragen-in-derWaldbuehne.html