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Physiotherapeutische Nachbehandlung der Rotatorenmanschettenruptur Eine postoperative Behandlungsanalyse Bachelorarbeit zur Erlangung des Grades Bachelor of Science (BSc.) an der Fachhochschule Schloss Hohenfels Staatlich genehmigte private Hochschule für Fachtherapien im Gesundheitswesen Studiengang Physiotherapie vorgelegt von: Sabine Krüger Prüfer: Prof. Dr. G. Hanne-Behnke Zweitprüfer: Prof. Dr. K. Karanikas Jena, 30.07.2010 Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis............................................................................................. 4 1. Einleitung .......................................................................................................... 5 1.1 Problemlage ............................................................................................... 6 1.2 Ziel ............................................................................................................. 7 2. Wissenschaftliche Fragestellungen und Hypothesen......................................... 9 3. Der Schultergelenkskomplex ........................................................................... 10 3.1 Anatomie des Schultergelenkkomplexes .................................................. 10 3.2 Biomechanik der Schultergelenksbewegung ............................................ 11 3.3 Funktionelle Zusammenhänge ................................................................. 12 4. Die Rotatorenmanschette ................................................................................ 14 4.1 Bedeutung der Rotatorenmanschette ....................................................... 14 4.2 Pathologie Rotatorenmanschettenruptur .................................................. 16 4.3 Veränderung der Schultermechanik ......................................................... 17 5. Sehne.............................................................................................................. 18 5.1 Phasen der physiologischen Sehnenheilung ............................................ 20 5.2 Belastungsfähigkeit .................................................................................. 21 6. Physiotherapie ................................................................................................ 26 6.1 Physiotherapeutische Interventionsschemata........................................... 26 6.2 Vergleich der Schemata ........................................................................... 31 7. Rehabilitationsprogramm der Jenaer Praxis .................................................... 32 8. Empirische Untersuchung ............................................................................... 35 8.1 Patientenbeschreibung............................................................................. 35 8.2 Procedere ................................................................................................ 36 8.3 Untersuchungsinstrumente....................................................................... 37 8.4 Statistische Verfahren .............................................................................. 42 9. Ergebnisse ...................................................................................................... 42 10. Diskussion ................................................................................................... 49 10.1 Belastungsfähigkeit einer heilenden Sehne .............................................. 49 10.2 Vergleich physiotherapeutischer Interventionen ....................................... 52 10.3 Vergleich der Studienergebnisse .............................................................. 55 10.4 Grenzen der Untersuchung und Methodenkritik ....................................... 59 11. Fazit............................................................................................................. 61 12. Anhangverzeichnis ...................................................................................... 65 13. Anhang ........................................................................................................ 66 14. Darstellungsverzeichnis ............................................................................... 82 15. Literatur- und Quellenverzeichnis ................................................................ 83 Abkürzungsverzeichnis Art./Artt. Articulatio/Articulationes (Gelenk) BWS Brustwirbelsäule C cervical Spine (Halswirbelsäule) DASH-D Disability of Shoulder, Arm, Hand deutsche Version ECM Extrazellulärmatrix M. Musculus (Muskel) MRT Magnetresonanztomographie PG Proteoglykane RM Rotatorenmanschette RMR Rotatorenmanschettenruptur Th thoracic Spine (Brustwirbelsäule) 1. Einleitung 85 von 100 Patienten, welche eine Physiotherapiepraxis aufsuchen weisen eine schmerzhafte oder verschlissene Rotatorenmanschette (RM) auf. Die Ruptur der RM ist eine häufige Ursache von Schulterschmerzen in Verbindung mit Behinderung beziehungsweise Arbeitsunfähigkeit. Baring, Emery und Reilly beschreiben eine Inzidenz von 30,24 % für das Vorliegen einer defekthaften RM.1 Die Schulterfunktion ist ein wichtiger Faktor, welcher zur Ausführung der Aktivitäten des täglichen Lebens und somit für die Teilhabe an der Umwelt von Bedeutung ist. Das Schultergelenk ist ein komplexes, muskelgeführtes Gelenk mit vielen Freiheitsgraden. Der RM kommt nach Abboud und Soslowsky dabei die Aufgabe der Steuerung der Schulterbewegung und die Kontrolle und Ausrichtung der Kräfte durch das Glenohumeralgelenk zu. 2 Für eine zielgerichtete und gut koordinierte Armbewegung ist demzufolge eine intakte RM wesentlich. Die Rotatorenmanschette ist eine Einheit aus vier Muskeln, welche sich kappenförmig um den Humeruskopf legen. Unter einer Rotatorenmanschettenruptur (RMR) wird eine Läsion einer oder mehrerer Muskeln der Manschette verstanden. Eine Ruptur der RM befindet sich in der Regel im Sehnenanteil des Muskels.3 Es haben sich laut Baydar et al. schon viele Studien mit der Effektivität der Operationsmethoden bei RMR beschäftigt. Nach Koo und Burkhardt hingegen wurde aber noch kein Rehabilitationsprogramm evaluiert, welches am besten die Sehnen-Knochen-Heilung ermöglicht und gleichzeitig eine Schultereinsteifung verhindert. Dabei betonen sie, dass das postoperative Interventionsschemata entscheidend für den Erfolg einer Operation an der RM ist.4 Die Bachelorarbeit befasst sich einerseits mit den Heilungsprozessen und der Belastbarkeit einer operativ versorgten Sehne und andererseits mit dem Outcome eines postoperativen physiotherapeutischen Interventionsplanes nach RMR. Weiterhin soll ein Vergleich mit anderen Behandlungsschemata erfolgen. 1 Vgl. Baring, Emery, Reilly, Management of rotator cuff disease, 2007, S. 280; ebenso Vgl. Baydar et al., Conservative treatment full-thickness rotator cuff, 2009, S. 623; ebenso Vgl. Bennell et al., Physiotherapy program for chronic rotator cuff pathology, 2007. 2 Vgl. Abboud, Soslowsky, Anterior glenohumeral Instability, 2002, S. 54. 3 Vgl. Favard, Bacle, Berhouet, Rotator cuff repair, 2007, S. 552. 4 Vgl. Baydar et al., Conservativ treatment after rotator cuff tears, 2009, S. 623; ebenso Vgl. Koo, Burkhardt, Rehabilitation Rotator Cuff Repair, 2010, S. 203, 204. 6 1.1 Problemlage Yadav et al. zeigt in dem wissenschaftliche Artikel auf den Sachverhalt hin, dass fehlende operative Interventionen und ein konservatives Management bei Sehnenrissen Fetteinlagerung und fortschreitende Atrophien begünstigen. Es wird ein operatives Vorgehen empfohlen, welches eine adäquate Nachsorge benötigt. Weiterhin verweist er darauf, dass postoperative Physiotherapie ausschlaggebend für eine erfolgreiche Wiederherstellung der Schulterfunktion ist. 5 Derzeit gibt es kaum Evidenz über die beste physiotherapeutische Behandlung nach der Versorgung einer Rotatorenmanschettenverletzung. In den Studien von Warner et al. und Kronberg, Wahlström und Broström wird die Notwendigkeit einer therapeutischen Nachsorge betont und eine groben Belastungseinteilungen vorgegeben. Sie empfehlen Immobilisationszeiten von fünf bis sechs Wochen in einer Schlinge, passive Bewegungsübungen ab dem ersten postoperativen Tag und assistiv-aktive Übungen nach der oben genannten Phase der Immobilisation. Warner beschreibt außerdem den Beginn des Muskelaufbaues ab der 16. Woche postoperativ.6 Es gibt zur Thematik der RM-Läsion einige Studien, welche physiotherapeutische Behandlungsverfahren bei einem chronischen Rotatorenmanschettensyndrom (z. B. Kuhn, Bennell et al.) 7 untersuchen und Andere, welche sich mit konservativen Interventionen nach einer RMR (z. B. Baydar et al., Anisworth) 8 beschäftigen. Jedoch ist kaum Evidenz über ein effektives und angemessenes therapeutisches Nachbehandlungsschema nach einer operativ versorgten Ruptur der RM zu finden. Bisher konnten lediglich die Studien von Klintberg et al. und Ellenbecker, Elmore und Bailie ausfindig gemacht werden, welche das physiotherapeutische Vorgehen nach Rotatorenmanschettenoperation beschrieben und untersucht haben. Ellenbecker, Elmore und Bailie beschäftigten sich mit den Kurzzeiteffekten der postoperativen Intervention (nach 6 und nach 12 Wochen). Anhand von 14 Patienten, welche einer progressiven und einer traditionellen Behandlungsgruppe zugeteilt wurden, erforschte Klintberg et al. in einer Pilotstudie das Outcome der beiden therapeutischen Behandlungsverfahren über einen Zeitraum von zwei 5 Vgl. Yadav et al., Rotator cuff tears, 2009, S. 411, 418. Vgl. Warner et al., Anterosuperior rotator cuff tears, 2001, S. 40; ebenso Vgl. Kronberg, Wahlström, Broström, Shoulder function after rotator cuff repair, 1997, S. 126. 7 Vgl. Kuhn, Exercise rotator cuff impingement, 2009; ebenso Vgl. Bennell et al., Physiotherapy program for chronic rotator cuff pathology, 2007. 8 Vgl. Baydar et al., Conservative treatment full-thickness rotator cuff, 2009; ebenso Vgl. Ainsworth, Physiotherapy rehabilitation irreparable rotator cuff tear, 2006. 6 7 Jahren postoperativ. Sie stellte dabei fest, dass ein progressiveres Behandlungsverfahren keine nachteiligen Ergebnisse im Vergleich zu einer langsameren Belastungssteigerung zeigte.9 Wobei kritisch angemerkt werden muss, dass sich die beiden Interventionsgruppen bezüglich der preoperativen Schmerzangaben und der Zusammensetzung der Größe der Rupturen stark unterschieden. Ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Schulterrehabilitation ist die Respektierung der Heilungsphasen des operierten Gewebes und deren spezifischen Belastbarkeit. Wang beschreibt in seinem Review, dass physikalisches Training einerseits die Kollagensynthese fördert und andererseits auch die Degeneration des Kollagens. Aufgrund differenzierter Stoffwechseleigenschaften verlaufen die Effekte der Immobilisation einer Sehne langsamer und weniger dramatisch als an der Skelettmuskulatur. Zu frühe Mobilisation sollte aus seiner Sicht vermieden werden, um den Heilungsverlauf nicht zu stören und somit keine Rerupturen zu provozieren. Auch nach Baring, Emery und Reilly ist es wesentlich eine Balance zwischen Sehnenheilung und Verhinderung einer Schultereinsteifung während der Immobilisationsphase zu schaffen.10 Ein weitreichendes Verständnis der schädlichen Effekte von Immobilisation auf alle Komponenten der Muskel-Sehnen-Einheiten ist eine Grundvoraussetzung für ein angemessenes Rehabilitationsprogramms nach einer muskuloskeletalen 11 Erkrankung. 1.2 Ziel Ziel der Bachelorarbeit ist die Analyse der postoperativen physiotherapeutischen Versorgung einer rupturierten Rotatorenmanschette und der Einflussfaktoren auf den Rehabilitationsverlauf. Hierzu wird einerseits das Behandlungsschema einer Physiotherapiepraxis in Jena evaluiert und mit Ergebnissen aus anderen Studien der Literatur verglichen werden. Ebenso erfolgt dazu eine Gegenüberstellung des Aufbaues des Interventionsplanes der Praxis mit anderen physiotherapeutischen Behandlungsplänen. 9 Vgl. Klintberg et al., Physiotherapy treatment rotator cuff repair, 2009; ebenso Vgl. Ellenbecker, Elmore, Bailie, Shoulder ROM and rotational Strenght following Rotator Cuff Repair, 2006, S. 326. 10 Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1568, 1570 f; ebenso Vgl. Baring, Emery, Reilly, Management of rotator cuff disease, 2007, S. 289. 11 Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S. 68. 8 Weiterhin zielt die Arbeit darauf ab den aktuellen Forschungsstand zum Thema Einflussfaktoren auf die Sehnenheilung, sowie der Belastbarkeit einer operierten Sehne mittels einer Literaturanalyse zu ergründen. Durch diese beiden Schwerpunkte soll die Best Practice evaluiert und die Grundlage für eine Längsschnittstudie der postoperativen Nachbehandlung der RMR geschaffen werden. Aus der aufgezeigten Problemlage und dem Ziel der Arbeit sind in den folgenden zwei Gliederungspunkten die wissenschaftlichen Fragestellungen und Hypothesen abgeleitet. 9 2. Wissenschaftliche Fragestellungen und Hypothesen Wie lange sollte die Immobilisationszeit einer verletzten Sehne sein, um einen optimalen Heilungsverlauf zu gewährleisten? Ab wann darf die Sehne in welcher Art und Weise beansprucht werden? Wie hat die postoperative Physiotherapie zu erfolgen, um eine erfolgreiche Wiederherstellung der Schulterfunktion zu gewährleisten? Welche funktionellen Ergebnisse können nach einer operativ versorgten RMR erreicht werden? Hypothese 1: Eine zu frühe Belastung der operierten Sehne verzögert den Heilungsprozess. Hypothese 2: Durch die physiotherapeutische Rotatorenmanschettenruptur Nachsorge nach dem einer operativ versorgten Interventionsschema der Physiotherapiepraxis in Jena können alltagstaugliche Ergebnisse und eine zügige Rückkehr ins Arbeitsleben gewährleistet werden. Da für ein umfassendes Verständnis eines adäquaten Therapieplanes anatomische Grundlagen und funktionelle Zusammenhänge notwendig sind werden diese im nächsten Abschnitt erläutert. Weiterhin folgen Ausführungen zu der Bedeutung der RM und Veränderungen dieser bei einer Ruptur. Für einen optimalen Heilungsverlauf einer operierten Sehne müssen physiologische Heilungsvorgänge und die Auswirkungen von Belastungsreizen verstanden werden. Deshalb wird darauf im Gliederungspunkt fünf eingegangen. Im Folgenden schließt sich die Darstellung von Interventionsschemata anderer Autoren an, bevor das spezifische Rehabilitationsprogramm der Jenaer Praxis erläutert wird. Unter Punkt acht wird das Vorgehen zur Evaluation des Jenaer Therapieplanes erläutert und anschließend die Ergebnisse aufgeführt und diskutiert. Weiterhin werden Grenzen der Studie aufgezeigt und die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst. 10 3. Der Schultergelenkskomplex 3.1 Anatomie des Schultergelenkkomplexes Das Schultergelenk ist das beweglichste Gelenk des Menschen. Aus funktioneller Sicht kann der Schulterkomplex in drei Systeme eingeteilt werden: das glenohumerale System, primäres und sekundäres skapulothorakales System. Zum glenohumeralen System wird das Art. humeri, die Junctura subacromialis und der Gleitmechanismus der Bizepssehne gezählt. Die Artt. acromio- et sternoclavicularis und die Junctura scapulothorakalis gehören dem primären skapulothorakalem System an und die Artt. intervertebrales C4 bis Th9, sowie Artt. costovertebrales Th1 bis Th9 sind dem sekundären System zugehörig. Das Glenohumeralgelenk wird vom Humeruskopf und der Cavitas glenoidale als knöcherne Gelenkpartner gebildet. Die Cavitas ist sehr flach und bedeckt nur 1/4 bis 1/5 des artikulierenden Humeruskopfes. Zur Erhöhung der Formschlüssigkeit ist die Oberfläche der Gelenkspfanne durch einen Knorpelring, das Labrum glenoidale vergrößert.12 Die Cavitas glenoidale ist am lateralen Winkel der Scapula lokalisiert. Deshalb spielt die Ausrichtung des Schulterblattes eine wesentliche Rolle für das Aufrechterhalten physiologischer Gelenksbedingungen im Art. humeri. Eine anteriore Postition der Scapula hängt mit einer nach vorne gerichteten Stellung des Humeruskopfes zusammen und wird von einer verstärkten BWS-Kyphose begünstigt. Außerdem beeinflusst die Position der Scapula den Gleitraum des M. supraspinatus.13 Die Kapsel des Schultergelenkes muss einen großen Bewegungsumfang ermöglichen, deshalb bildet sie abhängig von der Armposition verschiedene Reservefalten aus. Am kaudalen Teil befindet sich der Recessus axillaris, welcher sich bei Elevationsbewegungen entfaltet und über dem Humeruskopf aufspannt. Die Recessi stellen bei mangelnder Entfaltung durch unzureichenden Gebrauch des Bewegungsradius mögliche Angriffspunkte für Adhäsionen dar.14 12 Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 490. Vgl. Baring, Emery, Reilly, Management of rotator cuff disease, 2007, S. 281. 14 Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 492. 13 11 Die freie Beweglichkeit der drei Systeme plus die uneingeschränkte Gleit- und Dehnfähigkeit der Gelenkkapsel und ein ausgewogenes Zusammenspiel von Agonisten und Voraussetzung. Antagonisten Muskulär ist von für endgradige Bedeutung sind Bewegung hierfür des Armes insbesondere die Rotatorenmanschette, der M. deltoideus, die lange Sehne des des M. biceps brachii und die Schultergürtelmuskulatur (v. a. M. trapezius. M. serratus anterior, M. levator scapular und Mm. rhomboidei).15 3.2 Biomechanik der Schultergelenksbewegung Für die Stabilität einer dynamischen Bewegung des Schulterkomplexes ist die exakte Einordnung der Scapula, die Humeruskopfausrichtung, die Qualität des umliegenden Gewebes, sowie der glenohumeralen Kapsel und der Ligamente und darüber hinaus das richtige Längen- und Spannungsverhältnis der beteiligten Muskulatur notwendig.16 Stellvertretend für die Schultergelenksbewegungen, komplexen soll im Abläufe Folgenden während die einzelner abduktorische und eingeteilt. der elevatorische Bewegung näher erläutert werden: Die Bewegung der Abduktion wird in drei Phasen Bei Bewegungsinitiierung ist das korrekte Alignement aller korrelierenden Strukturen Voraussetzung. Der M. supraspinatus startet die Bewegung, während die übrigen Rotatoren den Humeruskopf in die Fossa glenoidale drücken. Der M. deltoideus ist wesentlich an der abduktorischen Bewegung beteiligt (s. Abb 1a). Im ersten Teil bis ca. 90° findet die Hauptbewegung im Glenohumeralgelenk statt. Begleitend beginnt ab 20° Abduktion glenohumeral eine geringfügige Aufwärtsrotation der Scapula, sowie Elevations- und Rotationsbewegungen der Clavicula. Um das Anschlagphänomen des Tuberlculum majus zu vermeiden kommt es im Weiteren zu einer Außenrotation und leichten Anteversionsbewegung des Humerus. Ist das Ende der glenohumeralen Beweglichkeit erreicht nehmen die Dreh- und Gleitbewegungen der Scapula in Kombination mit den mechanisch gekoppelten 15 Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 515; ebenso Vgl. Egmond, Schuitmaker, Manuelle Therapie Schulterregion, 2006, S. 352; ebenso Vgl. Hill, Bull, Wallace, Description of glenohumeral motion, 2008, S. 179; ebenso Vgl. Hochschild, Funktionelle Anatomie, 2002, S. 112. 16 Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 515. 12 Bewegungen des Art. acromio- et sternoclavicularis zu. Der M. trapezius und M. serratus anterior sind maßgeblich in dieser Bewegungsphase aktiv (s. Abb. 1b). Um eine vollständige Abduktion über 150° zu erreichen ist eine Mitbewegung der zervikalen und thorakalen Wirbelsäule, sowie bei beidseitiger Ausführung der Lendenwirbelsäule notwendig.17 Abbildung 1: Phasen der Abduktion a) b) c) a) Bewegungsstart b) mittlerer Abduktionsbereich mit Hauptmuskelaktivität c) Endphase der Abduktion mit zusätzlicher Aktivierung des M. erector spinae. Quelle: Hochschild, Funktionelle Anatomie, 2002, S. 112 Abb. 4.56. Ähnlich, wie die Abduktion kann auch die Elevation dreigeteilt werden. In den ersten 60° finden glenohumerale Flexions-, Abduktions- und Außenrotationsbewegungen statt. Muskulär ist hierfür v. a. der anteriore Teil des M. deltoideus, der M. coracobrachialis und M. pectoralis major verantwortlich. Im Weiteren Ablauf nimmt die Bedeutung der Schulterblattbewegung (Protraktion, Depression, Rotation) und des Acromio- und Sternoclavikulargelenkes zu. Die endgradige Bewegung erfordert hier ebenfalls kombinierte Wirbelsäulenbewegungen.18 3.3 Funktionelle Zusammenhänge Das Glenohumeralgelenk weist einen großen Bewegungsradius auf, welcher nur durch das Zusammenwirken zwischen statischen und dynamischen Faktoren stabil gehalten werden kann, d. h. unter Zentrierung des Kopfes in der Pfanne. Zu den statischen Strukturen zählt die Gelenkkapsel, das Labrum glenoidale, die Geometrie der Artikulationsflächen, die Ligamente des Schultergelenkes und die artikularen Kohäsionskräfte. Aktiv (dynamisch) wird das Gelenk durch die Schultergelenks- und Schultergürtelmuskulatur beeinflusst. Gohlke und Hedtmann verweisen darauf, dass die Bedeutung der einzelnen Stabilisationssysteme von der Gelenkposition abhängt 17 Vgl. Kapandji, Fuktionelle Anatomie, 2006, S. 64; ebenso Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 516 Tab. 14-8. 18 Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 516 Tab. 14-9. 13 und ihr jeweiliges Ausmaß nur schwer bestimmbar ist. Grundsätzlich ist ein Zusammenwirken aktiver und passiver Strukturen notwendig. Aktive Mechanismen steuern für die `Feinjustierung´ des Humeruskopfes und passive schützen vor groben Auslenkungen v. a. in Extrempostionen.19 Maximal 30% der Gelenkfläche des Humeruskopfes artikulieren mit dem Glenoid. Die geringe Formschlüssigkeit der Gelenkflächen des Schultergelenkes wird durch funktionelle Vergrößerung durch das Labrum glenoidale und die gespannten Fasern der Kapsel- und Ligamentstrukturen, sowie der langen Bizepssehne erhöht. Wenn durch Steuerung der muskulären Anspannung der Vektor der resultierenden Kraft auf die Fläche der Cavitas glenoidale zielt wird die Kompression der Gelenkkörper erhöht und somit auch die Stabilität des Gelenkes (s. Abb. 2a). Fällt die Kraftresultierende neben die Glenoidfläche, so besteht nur die Möglichkeit, dass der Kapselbandapparat dieser Dezentrierung entgegenwirkt (s. Abb. 2b). Translationsbewegungen werden durch auf die Kapsel wirkende Rotationskräfte begrenzt. Durch diese Kräfte kommt es über Spannungserhöhung der ligamentären Strukturen und Raffung des Kapselvolumens zur Zentrierung.20 Abbildung 2: Stabilisierung und Rezentrierung im Glenohumeralgelenk a) b) a) Zielrichtung der Kraftresultierenden innerhalb der Glenoidfläche, die Summe der Muskelkräfte erhöht die Kompression der Gelenkkörper b) Faserbündel der ligamentären Verstärkungszüge verhindern die Translationsbewegungen und unterstützen somit die Zentrierung im Schultergelenk Quelle: Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 36 Abb. 1.36a, 1.37b. Der Beitrag der Schultermuskulatur zur Gelenksstabilität basiert auf folgenden Mechanismen: Masseeffekt, Kontraktion fördert Kompression, Spannung der passiven ligamentären Hemmstrukturen durch Gelenkbewegungen und die 19 Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 35, 60, 66;ebenso Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 493 Tab. 14-2. 20 Vgl. Lugo, Kung, Ma, Shoulder biomechanics, 2008, S. 16, ebenso Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 35 f. 14 Ausrichtung der Gelenkkräfte zum Zentrum der Glenoidoberfläche durch die Koordination der Muskelkräfte.21 Ein weiterer grundlegender Mechanismus für die Stabilität ist die KonkaveKompression. Sie findet nach Abboud und Soslowsky in allen Bewegungsgraden statt, ist jedoch besonders wichtig im mittleren Bewegungsbereich, in welchem die Kapsel und die Ligamente entspannt sind. Die Muskeln der Rotatorenmanschette und die intraartikuläre Sehne des langen Kopfes der Bizepssehne drücken den Humeruskopf aktiv in die Pfanne. Zusätzlich tragen Muskeln, wie der M. pectoralis major, M. deltoideus und M. latissimus dorsi bedeutend zu diesem Mechanismus bei.22 Auch das Verhältnis der Bewegung von Humerus und Scapula, also der Scapulohumerale Rhythmus ist essentiell. Eine Störung des harmonischen Bewegungsverhältnisses ist ein prädisponierender Faktor für Schultergelenkspathologien. Folgende Muskeln sind für die Scapulabewegung von großer Bedeutung: M. trapezius, M serratus anterior, M. levator scapulae, Mm. rhomboidei und M. pectoralis minor.23 Die Wichtigkeit der Rotatorenmanschette wurde bisher nur angedeutet. Da die RM im hohen Maße zur Gelenkstabilität beiträgt und wesentlich an der Positionierung des Humeruskopfes in der Pfanne beteiligt ist, wird im Folgenden auf ihre funktionelle Bedeutung näher eingegangen. 4. Die Rotatorenmanschette 4.1 Bedeutung der Rotatorenmanschette Die Mm. supra- et infraspinatus, der M. teres minor und der M. subscapularis sind die vier Muskeln der Rotatorenmanschette. Diese Manschette fungiert als ein Kräftepaar, einerseits bei der Koordination der Gelenkbewegung und andererseits bei der Kontrolle und Ausrichtung der Kräfte durch das Gelenk. Sie erzeugt eine Kompressionskraft, welche den Humeruskopf in das Glenoid drückt. Durch diese 21 Vgl. Abboud, Soslowsky, Anterior glenohumeral Instability, 2002, S. 53 f. Vgl. Abboud, Soslowsky, Anterior glenohumeral Instability, 2002, S. 51 f; ebenso Vgl. Lugo, Kung, Ma, Shoulder biomechanics, 2008, S. 22. 23 Vgl. Lugo, Kung, Ma, Shoulder biomechanics, 2008, S. 17 f. 22 15 Kraft und durch koordinierte Kontraktion, gesteuert mittels Mechano- rezeptorimpulsen, kommt die Antischerfunktion dieser Muskeleinheit zum Tragen. Die RM steuert und stabilisiert somit aktiv den Humeruskopf in seiner Bewegungsbahn. 24 Der M. supraspinatus ist an der Initialisierung der Abduktionsbewegung des Schultergelenkes beteiligt. Des Weiteren hat er eine Kompressionsfunktion, indem er den Humeruskopf in der Gelenkpfanne zentriert. In Ruhestellung bewirkt die Supraspinatussehne eine Zugwirkung von 10° bis 20° nach kranial (zur Horizontalen). Während der Abspreizbewegung arbeitet der M. supraspinatus synergistisch mit dem M. deltoideus zusammen. Dieser craniale Rotator ist durch seine Ausdauer eine wichtige Unterstützung für den schnell ermüdenden Deltamuskel. Aufgrund des kleineren Hebelarmes des Supraspinatus kommt seine zentrierende Wirkung zum tragen und ein Anschlagen des Humeruskopfes am korakoacromialen Bogen wird verhindert. Unterstützt wird dieser Mechanismus wesentlich durch die caudalen Muskeln der RM (M. infraspinatus, M. teres minor, M. subscapularis), welche das Caput humeri nach innen und unten ziehen. Daraus folgernd muss die RM während der Abspreizbewegung aktiv sein, um den Humeruskopf in der Cavitas glenoidale zu zentrieren und somit eine Luxation bzw. ein Anschlagphänomen zu vermeiden. Die Abbildung 3 zeigt die Kraftwirkungsrichtungen der RM und des M. deltoideus.25 Der M. infraspinatus und der M. teres minor kontrollieren im Weiteren die Außenrotation des Humerus und verhindern Translationen nach posterior und superior. Der M. subscapularis bewirkt konzentrisch eine Innenrotation, hemmt exzentrisch eine Außenrotation und strafft den inferioren glenohumeralen Gelenkkomplex mit. Eine kombinierte Kontraktion von Subscapularis und Infraspinatus unterstützt die Stabilität im ganzen mittleren Elevationsbereich, sowie in Abduktion zwischen 60° und 150°.26 24 Vgl. Schünke, Funktionelle Anatomie, 2000, S. 242; ebenso Vgl. Abboud, Soslowsky, Anterior glenohumeral Instability, 2002, S. 54; ebenso Vgl. Lugo, Kung, Ma, Shoulder biomechanics, 2008, S. 18; ebenso Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 54. 25 Vgl. Lugo, Kung, Ma, Shoulder biomechanics, 2008, S. 18, 19 Tab. 1; ebenso Vgl. Kapandji, Fuktionelle Anatomie, 2006, S. 62; ebenso Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 56. 26 Vgl. Lugo, Kung, Ma, Shoulder biomechanics, 2008, S. 18, 19 Tab. 1; ebenso Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 56; ebenso Vgl. Abboud, Soslowsky, Anterior glenohumeral Instability, 2002, S. 54. 16 Abbildung 3: Zusammenspiel der Kräfte des M. deltoideus und der Rotatorenmanschette Darstellung der Kraftwirkungen unter physiologischen Bedingungen (M. teres minor nicht dargestellt) Quelle: Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 514 Abb. 14.26. Die Muskeln der Rotatorenmanschette können als ein Muskelkontrollsystem betrachtet werden, welche neuromuskuläres Feedback aus den Bewegungskräften erhalten, sowie von den glenohumeralen Ligamenten. Fast jede Bewegung muss mit einer Kontraktion der RM einhergehen, um eine optimale Einstellung der Gelenkpartner zu gewährleisten.27 4.2 Pathologie Rotatorenmanschettenruptur Rupturen der RM treten entweder bei hoher unmittelbarer Beanspruchung zum Beispiel bei Freizeitsportlern mit mangelhaftem Training auf, sind Zeichen einer chronischer Überbelastung mit repetitiven Mikrotraumen oder Folge eines traumatischen Ereignisses mit großen lokalen Krafteinwirkungen. Häufig sind die Sehnen durch die genannte Überbeanspruchung und aufgrund von Ermüdungsdefekten prädisponiert für Verletzungen. Als wesentliche extrinsische Faktoren, welche das Entstehen einer RM-Läsion begünstigen werden das Vorliegen eines Impingements 28 und mechanische Überbeanspruchung genannt. Altersbezogene Degeneration, systemische Erkrankungen, Hypovaskularität und 27 Vgl. Lugo, Kung, Ma, Shoulder biomechanics, 2008, S. 18; ebenso Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 54. 28 Impingement = Anschlagphänomen, man unterscheidet zwei Formen: externes (Rotatorenmanschette und Bursa subacromiales kollidieren mit dem korakoakromialen Bogen) und internes Impingement (Anschlagen der Rotatorenmanschette am posterosuperiorer Aspekt des Glenoidrandes). (Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 72.) 17 Entzündungen hingegen sind intrinsische Faktoren, die ein Entstehen begünstigen.29 Die Risse der Rotatorenmanschette sind meist im Sehnenanteil lokalisiert und entstehen häufig an der artikulierenden Fläche. Die meisten nicht-traumatischen Rupturen befinden sich im vorderen Anteil des M. supraspinatus. Komplette Rupturen der Supraspinatussehne führen zu einem permanenten Zug auf die übrigen Fasern. Dadurch wird die lokale Ischämie verstärkt und eine Ausweitung des Defektes auf benachbarte Fasern begünstigt. In Abwesenheit eines akuten Traumas ist der Verlauf (die Degeneration) zwar langsamer, aber unaufhaltsam. Es folgen entzündliche Veränderungen, oxidativer Stress und die Kollagenfasern sind zunehmend desorganisiert und ihre Konzentration nimmt ab. Ein Gewebeumbau entsteht und ist mit programmiertem Zelltod verbunden. Eine Verletzung steht im Weiteren im Zusammenhang mit Atrophie, Fibrosierung und fettigen Infiltrationen in der Sehne und beteiligtem Musekelgewebe. Zusätzlich entsteht auch ein Elastizitätsverlust der Sehnen-Muskel-Einheit.30 Dies lässt darauf schließen, dass je länger die Ruptur zurück liegt größere pathologische Gewebeveränderungen vorliegen. Der Umbauprozess in Richtung normaler Zustand des entsprechenden Gewebes benötigt dann ein Vielfaches mehr an therapeutischen Reizen. 4.3 Wie Veränderung der Schultermechanik oben erwähnt liegt die Primärschädigung häufig im Bereich der Supraspinatussehne, dies führt zu einer ungleichmäßigen Belastung der Sehne. Bei degenerativen Veränderungen und erst recht bei einer Ruptur der RM geht das Kräftegleichgewicht innerhalb des Schulterkomplexes verloren. Durch ein gestörtes Verhältnis von Synergisten und Antagonisten ist bei großen Rupturen die Deltoidkoordination beeinflusst. Je nach Ausmaß der Schädigung besteht die Möglichkeit, dass die übrigen intakten Anteile der RM den Defekt kompensieren können. Dieser Effekt kann allerdings zu einer Ausweitung der Ruptur führen. Weiterhin ist es möglich, dass es zum Aufsteigen des Humeruskopfes und somit zum Verlust des physiologischen Drehpunktes des Gelenkes kommt. Hierdurch ist 29 Vgl Koob, Biomimetic approaches to tendon repair, 2002, S. 1172 f; ebenso Vgl. Löhr, Uhthoff, Epidemiologie und Pathophysiologie, 2007, S. 791 Abb. 10; ebenso Vgl. Yadav et al., Rotator cuff tears, 2009, S. 409-412. 30 Vgl. Favard, Bacle, Berhouet, Rotator cuff repair, 2007, S. 552; ebenso Vgl. Yadav et al., Rotator cuff tears, 2009, S. 412; ebenso Vgl Koob, Biomimetic approaches to tendon repair, 2002, S. 1172 f; ebenso Vgl. Nho, Shane et al., Biomechanical and Biologic Augmentation, 2010, S. 619 f. 18 die Kraftwirkungsrichtung des M. deltoideus nicht zielgerichtet und kann zur Pseudoparalyse des Armes führen. Die Hauptbeschwerden, welche die Patienten zum Arzt führen sind in der Regel Schmerz und Schwäche. Bei der Inspektion zeigt sich häufig ein verkürzter M. trapezius und M. pectoralis major, was mit Schulterhochstand und Scapularotationen kombiniert ist. Die Mechanik des Scapulo-thorakalen-Gleitlagers ist meist gestört und es kommt zu einer primären Schultergürtelbewegung und zu einer verzögerten Bewegungsinitiierung im Glenohumeralgelenk. Weiterhin können subacromiale Adhäsionen, tendinotische Sehenenveränderungen, Verkürzungen der Außenrotatoren und eine postoriore Kapselschrumpfung die Schultermechanik negativ beeinflussen.31 Je länger die Schädigung zurück liegt (v. a. bei großen und symptomatischen Rupturen), umso mehr haben Umbauprozesse stattgefunden und die Mechanik sich verändert. Deshalb empfiehlt Yadav et al. ein frühes operatives Vorgehen bevor sich die Veränderungen strukturell manifestieren. 32 Was genau das Besondere einer heilenden Sehne ist und in welcher Art und Weise sie belastet werden darf, um ein gutes funktionelles Ergebnis zu erreichen, wird im Folgenden erörtert. 5. Sehne Sehnen sind lebendes Gewebe, welche die Fähigkeit besitzen auf äußere Einflüsse und somit auch auf mechanische Reize zu reagieren, indem sie ihre Struktur, Zusammensetzung und ihre mechanischen Eigenschaften anpassen. Dieser Prozess wird von Wang auch als mechanischer Adaptionsprozess des Gewebes bezeichnet. In Folge von Immobilisation der Sehne entstehen Deformationen der Kollagenfasern, Dilatationen von Arterien und Kapillaren und die Form- und Bruchfestigkeit geht verloren. Sehnen besitzen jedoch einen wesentlich langsameren Stoffwechsel als Muskelgewebe, wodurch der Adaptionsprozess verlängert ist. Dies hat zur Folge, dass Immobilisationsatrophien im Sehnengewebe langsamer und weniger drastisch sind als in der Muskulatur.33 31 Vgl. Baring, Emery, Reilly, Management of rotator cuff disease, 2007, S. 281; ebenso Vgl. Nho, Shane et al., Biomechanical and Biologic Augmentation, 2010, S. 620; ebenso Vgl. Löhr, Uhthoff, Epidemiologie und Pathophysiologie, 2007, S. 792, 794; ebenso Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 266 f, 287. 32 Vgl. Yadav et al., Rotator cuff tears, 2009, S. 411. 33 Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1563, 1568; ebenso Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S. 67 f. 19 Eine normale Sehne besteht aus Typ I Kollagen (95%), Typ III und Typ V Kollagen (5%), Proteoglykanen, Glykoproteinen, Wasser, endothelialen und synovialen Zellen und Chondrocyten, aber vor allem auch aus Fibroblasten. Diese Fibroblasten sind für die Herstellung extrazellulärer Matrixproteine, für die Organisation des Kollagengefüges und für Remodelierungsprozesse während der Sehnenheilung verantwortlich. Das umgebende Milieu ist nach Löhr und Uhthoff für die Heilungsprozesse nach Verletzungen der Sehnenstruktur von wesentlicher 34 Bedeutung. Sehnen haben viskoelastische Eigenschaften, dies bedeutet dass sie mehr Energie aufnehmen aber weniger Kräfte übertragen können. Niedrige Beanspruchungsraten führen eher zu Verformungen, währenddessen höhere Belastungen die Formfestigkeit positiv beeinflussen. Bis zu einer Dehnung von ca. 2% kommt es zur Parallelausrichtung der Sehnenfasern. Dann folgt eine lineare Region, welche durch geringere Faserverformung geprägt ist. Wird eine Sehne um mehr als 4% gedehnt, so entstehen Mikrorisse in ihrer Struktur. Steigt die Dehnung weiter an kommt es zu makroskopischen Defekten und ab ca. 14-15% zu einer Sehnenruptur (siehe Abb. 4). Bei fehlenden mechanischen Beanspruchungen kann der physiologische Belastungsbereich kleiner werden und es entstehen früher Strukturfehler im Gewebe.35 Abbildung 4: Spannungs-Dehnungskurve der Sehne Quelle: Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1567 Abb. 2. Die Sehne benötigt stufenweise, zyklisch ansteigende Trainingsbelastungen, um ihre strukturellen Eigenschaften zu verbessern. Im Weiteren führt mechanische 34 Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1566 f; ebenso Vgl. Löhr, Uhthoff, Epidemiologie und Pathophysiologie, 2007, S. 794. 35 Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1567 f. 20 Belastung zu einer dreidimensionalen und parallelen Ausrichtung der einzelnen Fasern. Zu viel Training kann jedoch schädlich sein, da hierdurch übungsinduzierte Entzündungsprozesse und Faserschädigungen entstehen können, welche zu einer reduzierten Reifung und einer Hemmung der Kollagenfasercrosslinks führen.36 5.1 Phasen der physiologischen Sehnenheilung Für eine adäquate Therapie ist es Grundvoraussetzung, dass Kenntnisse über die einzelnen Heilungsprozesse vorhanden sind und verstanden werden. Die Sehnenheilung erfolgt in drei sich überlappenden Phasen. Nach einer Ruptur oder/und einer Operation folgt eine Entzündungsphase, welche 24 Stunden bis fünf bzw. sieben Tage dauert. In dieser Zeit strömen Erythrozyten, Thrombozyten und Entzündungszellen in das Wundgebiet, welches durch Phagozytose von nekrotisierten Zellen gereinigt wird. Wahrscheinlich spielen Entzündungszellen eine entscheidende Rolle in der Initiierung und der Regulation von Heilungsprozessen nach einem chirurgischen Eingriff. Zytokine rufen eine Zellproliferation und Zelldifferenzierung hervor. Weiterhin bewirken sie die Einsprossung von Blutkapillaren und die Synthese von Matrixbestandteilen, wie zum Beispiel Kollagenfibrillen, elastische Fasern, Glykosaminoglykane und Proteoglykane (PG). Ab ca. dem zweiten Tag bis zur sechsten Woche befindet sich das Gewebe in der Proliferationsphase. Hier steht der Fibroblasteneinstrom im Vordergrund. Die Fibroblasten produzieren reichlich Kollagen und Bestandteile der extrazellulären Matrix (EZM). Buchanan und Marsh halten es für wahrscheinlich, dass die PG als Bestandteil der EZM zur Organisation und Orientierung der Kollagenfasern im Bindegewebe beitragen. Diese PGs stellen dadurch belastungsübertragenden Systemes der Sehne dar. einen Teil des Es kommt in dieser Heilungsabschnitt zur Bildung eines zellreichen und dicht kapillarisierten Gewebes. Das dritte Stadium, die Remodellierungsphase startet nach Kannus et al. ab der dritten Woche, jedoch nach Wang erst ab der sechsten Woche und dauert ungefähr bis zur zwölften Woche nach dem Ereignis an. In dieser Phase nimmt die Zellularität des Gewebes, sowie Kollagen- und Glykosaminoglycan-Synthese ab. In den letzten Wochen dieses Stadiums erfolgt die Parallelausrichtung der Kollagenfasern in 36 Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S. 68. 21 Kraftwirkungsrichtung der Sehne. Die kovalenten Bindungen der Kollagenfasern steigen an und es kommt somit zu einer größeren Festigkeit und Dehnbarkeit.37 Kannus et al. äußert die Vermutung, dass eine remobilisierte Sehne nicht alle biochemischen und biomechanischen Eigenschaften erreichen kann, wie eine gesunde Sehne. Die reparierten Sehnenanteile besitzen mehr Kollagen vom Typ III und sie erlangen nicht die optimale Faserausrichtung. Somit sind nach Ruptur und Reparation einer Sehne die tendinösen Kollagenfasern weiterhin defizitär in Bezug auf Fasergehalt, Qualität und Orientierung. Deswegen besteht während der Rehabilitation erhöhte Gefahr einer peritendinösen Entzündung oder einer Reruptur.38 Die Heilung einer operierten Sehne wird begünstigt durch folgende Faktoren: frische Ruptur, großer acromiohumeraler Abstand, Patienten jünger als 65 Jahre, Nichtraucher und geringe Fettinfiltrationen in der beteiligten Muskulatur. Negativ hingegen sind ein Fortbestehen von nach medial-cranial gerichteten Zugkräften, sowie einwirkende Scherkräfte, eine Hemmung von Wachstumsfaktoren, vaskuläre Veränderungen und Infiltration von Glukokortikoiden.39 5.2 Belastungsfähigkeit Nach Klintberg et al. benötigt verletztes Gewebe frühe Mobilisation, um die Heilungsvorgänge zu initiieren. Gleichzeitig muss dieses Gewebe vor zu hoher Beanspruchung geschützt werden, um eine erneute Verletzung zu vermeiden. 40 Was genau unter früher Mobilisation zu verstehen ist und welche Belastungsart angemessen sein ist, soll im Folgenden erörtert werden. Nach Kovacevic und Rodeo wird einerseits eine entzündliche Reaktion mit einem komplexen Zusammenspiel von pro- und antientzündlichen Cytokinen in der frühen Phase der Sehnenheilung benötigt. Andererseits scheint ein starker Anstieg von angiogenen 37 Markern und Entzündungsfaktoren, vor allem in Folge Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1569; ebenso Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S. 69; ebenso Vgl. Kovacevic, Rodeo, Biological Augmentation Tendon Repair, 2008, S.630 f; ebenso Vgl. Lüllmann-Rauch, Histologie, 2006, S. 115, 128 f; ebenso Vgl. Buchanan, Marsh, Effects of exercise on tendons, 2002, S. 1104. 38 Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S. 70. 39 Vgl. Favard, Bacle, Berhouet, Rotator cuff repair, 2007, S. 551; ebenso Vgl. Löhr, Uhthoff, Epidemiologie und Pathophysiologie, 2007, S. 794. 40 Vgl. Klintberg et al., Physiotherapy Treatment after subacromial decompression, 2008, S. 952. von 22 mechanischer Überbelastung, verantwortlich zu sein für Degenerationsprozesse an der Sehne und für geringe Gewebequalität.41 Daraus lässt sich für therapeutische Maßnahmen folgern, dass die Entzündungsreaktionen zu gelassen werden müssen, diese jedoch nicht verstärkt werden dürfen durch mechanische Beanspruchung. In Anlehnung an die Wundheilungsphasen würde dies physikalische Anwendungen innerhalb der ersten fünf Tage weitgehend ausschließen. Weitgehend insofern, als dass gewebeentlastende Maßnahmen (Pendelübungen) und gewebeschonende, passive Maßnahmen möglich sein sollten. Wang betont im Weiteren, dass für einen störungsfreien Heilungsprozess Training und Dehnung während der Entzündungsphase zu vermeiden sind. Jedoch nach ca. einer Woche, wenn die erste Heilungsphase abgeklungen ist, fördert eine kontrollierte Mobilisation die Qualität des heilenden Sehnengewebes. Dem stimmen auch Baring, Emery und Reilly zu, denn sie treffen die Aussage, dass die physiotherapeutischen Maßnahmen auf die Vulnerabilität abgestimmt sein und die Wiederherstellung der Verbindung zwischen Sehne und Knochen erlauben müssen. Es muss ein Ausgleich in der zeitlichen Koordination zwischen der Phase der Sehnenheilung und der Vermeidung einer Schultereinsteifung geschaffen werden. 42 Die Immobilisationszeit sollte so kurz wie möglich gehalten werden, aber mindestens so lange, wie sich das Gewebe in der Entzündungsphase befindet. Nach diesen ersten sieben Tagen ist mit einer dosierten Belastung zu beginnen. Im Gewebe befindliche Fibroblasten sind verantwortlich für Wachstum und Entwicklung der Sehne. Sie synthetisieren Kollagen und andere makromolekulare Grundsubstanzen. Somit sorgen sie für molekulare Bindungen und die Organisation der Fasern in Richtung der Zugbeanspruchung. Es ist bekannt, dass die Fibroblasten auf mechanische Reize reagieren. Allerdings ist der zugrunde liegende Mechanismus der zur Anpassung von Größe und Eigenschaft der Sehne führt noch ungeklärt, so Koob. Darüber hinaus weist er darauf hin, dass frühe Mobilisation nach operativ versorgter Sehnenruptur signifikant die Gleitfähigkeit dieser fördert und die Bruchfestigkeit verbessert. Deshalb empfiehlt Koob schnelle postoperative Mobilisationsmaßnahmen. Diese müssen allerdings unter Einhaltung der notwendigen partiellen oder vollständigen Immobilisation erfolgen, um die strukturellen Reparationsvorgänge zu sichern.43 An dieser Stelle bleibt offen, was Koob genau unter einer zügigen Mobilisation im zeitlichen Rahmen versteht. 41 Vgl. Kovacevic, Rodeo, Biological Augmentation Tendon Repair, 2008, S. 626. Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1570 f; ebenso Vgl. Baring, Emery, Reilly, Management of rotator cuff disease, 2007, S. 289. 43 Vgl. Koob, Biomimetic approaches to tendon repair, 2002, S. 1173, 1175. 42 23 Kannus et al. hingegen beschreibt Art der Belastung und Zeitpunkt etwas genauer, indem er zum Ausdruck bringt, dass kontrollierte Dehnungen des reparierten Gewebes nach der Entzündungsphase zu einer Beschleunigung der Kollagensynthese, der Fibrillenneuformation, sowie zu einer angemessenen Faserausrichtung führen. Durch diese Faktoren nimmt die Zugfestigkeit der Sehnen zu. Wang unterstützt ebenfalls die Auffassung, dass mechanische Beanspruchung eine Aktivitätssteigerung der Fibroblasten bewirkt und somit die Reparations- und Remodellierungsvorgänge gefördert werden. Er gibt aber zu bedenken, dass für einen Wundverschluss und eine geringfügige Narbenausprägung eine optimale Fibroblastenbeanspruchung angestrebt werden sollte. Seiner Erkenntnis nach verstärken zu hohe Belastungen die Narbenausprägung und fehlende Reize behindern den Wundheilungsverlauf.44 Kovacevic und Rodeo weisen darauf hin, dass die Gewebequalität der SehenKnochen-Verbindung ansteigt mit der Abnahme an Beanspruchung. Große Belastung während des Heilungsprozesses führen zu Mikroschädigungen an den Grenzflächen und zur Unterdrückung Kollagenfaserintegration in den Knochen. Dennoch ist mechanische Belastung wichtig für die Organisationsprozesse des Gewebes, insbesondere für die sich neubildenden Kollagenfibrillen und ihrer Faserbündel. 45 Dieser Fakt spricht für dosierte nicht zu frühe spezifische Reizsetzungen auch wiederum ab der Proliferationsphase. Unterstützt wird dies durch Kannus et al., welcher ebenso in seiner Arbeit festhält, dass Kollagen, welches in der Proliferationsphase nicht unter mechanischer Beanspruchung steht kränker ist als gestresstes Kollagen.46 Dies lässt die Vermutung erwecken, dass ein verzögerter Beginn der spezifischen Gewebebelastung schlimmer ist, als eine frühere und erhöhte Beanspruchung. Soeben wurde die Wichtigkeit der mechanischen Gewebsbelastung erwähnt. Nun stellt sich die Frage, welche Beanspruchungsform in welcher Phase vorzugsweise zu wählen ist. Wang beschreibt hierzu in welcher Form die intratendinöse Kraft einer Sehne beeinflusst wird. Seiner Meinung nach hängt diese von folgenden Faktoren ab: aktive oder passive Kraftausübung, Gelenkposition, Stärke der Muskelkontraktion und relative Größe der Sehne zur Muskelgröße. Bei passiven Bewegungen ist die angreifende Kraft kleiner. Erfolgt eine Bewegung von distalen 44 Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S. 70; ebenso Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1571. 45 Vgl. Kovacevic, Rodeo, Biological Augmentation Tendon Repair, 2008, S.630. 46 Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S.70. 24 Gelenken nimmt die Kraft auf die Sehne weiter zu, wenn diese in den Bewegungsverlauf integriert ist. Im Weiteren verweist Wang auf Erkenntnisse aus Tierversuchen, welche zeigten dass selbst bei der größten aktiv aufgebrachten Kraft eine Sehne nur bis ca. 30% ihrer Grenzlast beansprucht wird. Dies bestätigen in ähnlicher Weise auch Buchanan und Marsh, denn in ihrem Review führen sie auf, dass bei alltäglichen Aktivitäten die Zugfestigkeit der Sehne weniger als 25% beansprucht wird. Physiologische Belastungen, welche normalerweise an Sehnen angreifen, sind nach ihren Aussagen in der Regel wesentlich geringer als die Bruchfestigkeit ermöglichen würde. 47 Passive Bewegungen scheinen demnach schonender, wobei hier die Frage offen bleibt, ob assistive Belastungen nicht auch schonend genug wären und eher zum Funktionsanstieg führen würden. Gerade weil die Belastung der Sehne im Vergleich zur Muskelbeanspruchung geringer ist, kann dies als Indiz für keinen bzw. wenig negativen Effekt gesehen werden. Dies wird unterstützt durch die Aussage von Koob, das eine frühe passive oder besser aktive Mobilisation eine schnellere Wiederherstellung der Zugfestigkeit, ein früheres Anwachsen, eine bessere Gewebsernährung und kleinere reparationsseitige Deformationen fördert.48 Buchanan und Marsh zeigen auf, dass Sehnenbestandteile auf eine Vielzahl von wiederholten Belastungen eher reagieren als auf einen hohen Belastungsreiz an sich. Weiterhin stellen sie einen Zusammenhang zwischen ansteigender Bruchfestigkeit und Biegesteifheit von Sehnen in Verbindung mit Langzeittraining fest. Ausdauertraining resultiert ihren Erkenntnissen nach in einer kräftigeren Sehne. Durch Erhöhung der Ermüdungswiderstandsfähigkeit kann die Qualität der Sehne verbessert werden. Dies ist ein adaptiver Prozess, welcher zum Gewebeschutz beiträgt. Sehnen scheinen auf diesen Anpassungsprozess mit einer Verbesserung ihrer elastischen Eigenschaften, der Möglichkeit Energie zu speichern, zu reagieren. 49 Daraus kann geschlossen werden, dass im Langzeitverlauf ein Ausdauertraining immer im Vordergrund stehen sollte. Da einerseits die Qualität des Sehnengewebes zunimmt und andererseits Muskelkräfte besser übertragen bzw. gespeichert werden können. Die physiologische Belastungsfähigkeit wird dadurch erhöht. 47 Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1564; ebenso Vgl. Buchanan, Marsh, Effects of exercise on tendons, 2002, S. 1106. 48 Vgl. Koob, Biomimetic approaches to tendon repair, 2002, S. 1172. 49 Vgl. Buchanan, Marsh, Effects of exercise on tendons, 2002, S. 1101 f, 1104-1106. 25 Kubo et al. untersuchte die Wirkung von langen (15 Sekunden) und kurzen (1 Sekunde) isometrischen Kontraktionen auf den Hämoglobingehalt, die Sauerstoffsättigung und Dehnfähigkeit der Achillessehne. Nach wiederholten Kontraktionen höherer Dauer stiegen in seiner Untersuchung die Dehnfähigkeit der Sehne und folgend aus vorhergehenden Untersuchungen auch die Bruchfestigkeit. Währenddessen in den Wiederherstellungsphasen nach den kurzen Kontraktionszeiten der Hämoglobingehalt und die Sauerstoffsättigung der Achillessehne anstieg. Verglichen mit der involvierten Muskulatur sind die Veränderungen der Blut- und Sauerstoffwerte allerdings geringer. 50 Schlussfolgernd aus diesen Erkenntnissen scheint eine kurze isometrische Anspannungsphase zu Beginn des Heilungsprozesses sinnvoll. In der Remodellierungsphase ist eine Steigerung der Belastungsdauer zu empfehlen, da diese zur Verbesserung von Elastizität und Widerstandsfähigkeit der Sehne beiträgt. Abschließend soll noch einmal auf Wang verwiesen werden. Er hat die Aussage getroffen, dass Sehnen die Fähigkeit besitzen sich an verändere mechanische Bedingungen an zu passen, indem sie ihre Struktur und Zusammensetzung ändern. Sie verändern ihre Genausprägung, ihre Proteinsynthese und ihren Zellphenotyp. Diese Adaptionsfähigkeiten führen über langfristige Modifikationsprozesse zu Veränderungen des mechanischen Verhaltens. Weiterhin schlussfolgert er in seinem Review, dass mechanische Belastungen elementare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sehnenrekonstruktion, Reparation und Regeneration sind. 51 Daraus lässt sich ableiten: Nur wenn eine heilende Sehne mechanische Belastung erfährt, kann sie sich anpassen und später anderen Krafteinflüssen unbeschadet entgegen stehen. Wie oben erwähnt ist die Ermüdungswiederstandfähigkeit des Gewebes dafür elementar. Und dies kann nur durch kontrolliertes und dosiertes Training erreicht werden. Es wurde soeben ein Einblick in die Phasen der Sehnenheilung gegeben und die theoretische Meinung verschiedener Autoren über Adaptionsprozesse und die Wirkung verschiedener Reize auf eine Sehne dargestellt. Eine konkrete Aussage zum optimalen Belastungszeitpunkt und -reiz kann daraus nicht abgeleitet werden. Im nächsten Gliederungspunkt wird ein Querschnitt verschiedener etablierter 50 Vgl. Kubo et al., Effects of different duration contractions of human tendon in vivo, 2009, S. 445 f, 449-51. 51 Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1572 f, 1575. 26 Behandlungsprogramme nach einer RMR dargestellt. Ziel ist es hiermit einen Einblick in praktische Erfahrungen und Vorangehensweisen zu erlangen. 6. Physiotherapie Für den Erfolg eines chirurgischen Eingriffes nach RMR ist das postoperative Rehabilitationsprogramm von entscheidender Bedeutung.52 In der Analyse der gefundenen Literatur sind viele wesentliche Unterschiede in den Rehabilitationsprogrammen auffällig. Im Folgenden werden acht Rehabilitationsschemata mit ihren Schwerpunkten und Empfehlungen kurz erläutert und anschließend Gemeinsamkeiten und Unterschiede dargestellt. 6.1 Physiotherapeutische Interventionsschemata Gohlke und Hedtmann befürworten eine ausreichende Gabe von Analgetika um einer frühestmögliche Mobilisation der rekonstruierten RM zu ermöglichen, denn laut ihnen kann es bereits nach sechs Stunden zu Adhäsionen kommen. Sie nehmen an, dass eine Zeit von sechs Wochen zur Ausbildung und Organisation der Narbe benötigt wird. Nach drei Monaten sollen ca. 50% der Festigkeit erreicht sein. Weiterhin sehen sie Kraft, Ausdauer der beteiligten Muskulatur und einen physiologischen Bewegungsablauf als Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit (v. a. für das Überkopfarbeiten).53 Die Nachbehandlung teilen Gohlke und Hedtmann in Phasen ein, betonen aber, dass der Zeitpunkt von Phasenübergängen anhängig ist von der Größe des Defektes und vom individuellen Verlauf des Patienten. In der Protektionsphase geben sie daher eine Dauer von wenigstens zwei bis zu acht Wochen an. Hier liegt der Therapieschwerpunkt auf dem Erhalt des passiven Bewegungsausmaßes, der Innervationsschulung (isometrische Übungen) und der Skapulastabilisierung. Der operierte Arm befindet sich während dieser Zeit in einem teilmobilisierende Verband oder Abduktionskissen (3-6 Wochen Tag und Nacht, weitere 2-3 Wochen nachts). Die zweite Phase ist in den Grenzzeiten von der dritten bis zur 14. Woche einzuordnen. 52 53 Diese beinhaltet passive, aktiv-assistive Vgl. Koo, Burkhardt, Rehabilitation Rotator Cuff Repair, 2010, S. 203. Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 299, 301. und später aktive 27 Bewegungsübungen mit kurzem Hebel zur Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit. Es erfolgen manuelle Mobilisationstechniken, Schulung physiologischer Bewegungsmuster und je nach Gewebsqualität wird mit Widerstandübungen zur Humeruskopfzentrierung begonnen. Im dritten bis achten Monat stehen Kräftigungsübungen, Schulung der Alltagsbewegungen und vor allem Kraftaufbau, sowie Forcierung der endgradigen Bewegung auf dem Behandlungsplan. Eine weitere vierte Phase wird mit dem Ziel der Intensivierung von alltags- und sportartspezifischen Übungen ab dem vierten bis neunten Monat angeben.54 Gohlke und Hedtmann warnen vor übertriebenem Ehrgeiz in der Behandlung und mahnen zu realistischen Zielen, um Schaden zu vermeiden. Ein Therapieschwerpunkt hat stets die Förderung der Zentrierung im Art. humeri zu sein, mit allen seinen korrelierenden Faktoren.55 Dutton sieht die Sehnen-Knochen-Heilung als primären limitierenden Zeitfaktor für die Geschwindigkeit der postoperativen Belastungssteigerung. Weiterhin sind das Aktivitätsniveau des M. deltoideus von Bedeutung, die Rissgröße und der allgemeine und lokale Gewebszustand.56 Er empfiehlt für einen aktiven Freizeitsportler folgendes Interventionsprogramm: In der ersten Phase, welche sich vom ersten Tag bis zur sechsten Woche erstreckt, steht die Schmerzreduktion an oberster Stelle. Es erfolgen Maßnahmen zum Erhalt der passiven glenohumeralen Beweglichkeit, sowie der Mobilität der Halswirbelsäule, weiterhin zur Verhinderung von Muskelatrophie und schädlichen Immobilisationseffekten, unter dem Schutz des Operationsgebietes. Nach drei bis vier Wochen sollen nach diesem Schemata 60-70% der Bewegung erreicht sein, d. h. 45° Außenrotation, 80° Abduktion und 140° Flexion. Der Übergang zu assistivaktiven und aktiven Bewegungen macht Dutton abhängig von dem Ausmaß der Schädigung: kleine Risse (bis 1cm) ab vier Wochen, mittlere (bis 3 cm) ab sechs Wochen, große (bis 5 cm) nicht vor 8 Wochen und massive Abrisse mit einer Größe von mehr als 5cm sollen nicht vor der 12. Woche aktiv belastet werden. Als therapeutische Maßnahme nennt er die Initiierung der Scapulakontrolle, Weichteiltechniken, wie z. B. Triggerpunktbehandlung, manuelle Mobilisation im Art. humeri (Grad I-II) und der Hals- und Brustwirbelsäule. Weiterhin wird ein 54 Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 300-302. Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 303. 56 Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 1673. 55 28 Hausübungsprogramm übermittelt und allgemeine konditionierende Übungen für die nichtbetroffenen Körperteile durchgeführt. In der sechsten bis elften Woche werden die Übungen gesteigert und die Bewegungsausmaße erweitert. Das Ziel der Bewegungswinkel liegt bei: 160° Flexion, 60° Außenrotation und 90° Abduktion. In diesem Abschnitt stehen neuromuskuläre Schulungen im Vordergrund. Es erfolgen Gelenkmobilisation aller beteiligten Gelenkkomplexe, sowie manuelle Widerstandübungen in funktionellen und diagonalen Bewegungsmustern. In der dritten Rehabilitationsphase, welche ca. in der 16. Woche beginnt, soll die maximale Beweglichkeit wiedererlangt werden, sowie Schmerzfreiheit, neuromuskuläre Kontrolle, Verbesserung der Propriozeption und Kräftigung. Hier empfiehlt Dutton Anfangsgewichte von ca. 2 bis 4,5 kg für Hebeübungen. Bei der Kraftzunahme ist auf funktionelle, alltags- und sportspezifische Übungen und Ausgangsstellungen zurück zu greifen.57 Oberstes Ziel der physiotherapeutischen Intervention ist nach Millett et al. die Heilung der operierten Manschette zu gewährleisten und gleichzeitig Schmerzfreiheit, Bewegung und die Funktion zu fördern. Weiterhin betonen er und seine Kollegen, dass die Qualität der operierten Sehne stark differenzieren kann und dass die Ausgeprägtheit der Muskelatrophie und der fettigen Degenerationen wesentlich mit der Reparationsfähigkeit zusammen hängen. Der Rehabilitationsprozess wird entsprechend der Auffassung der Heilungsphasen in vier Abschnitte eingeteilt: Die anfängliche postoperative Periode wird bis zur sechsten Woche beschrieben. In den ersten Tagen erfolgen hauptsächlich Pendelübungen, Bewegungsübungen für die distalen Gelenke, isometrische Übungen für die Scapulamuskulatur und Schulung der Rumpfaufrichtung. Ab dem siebten Tag wird abhängig von der Toleranzgrenze des Patienten passive Flexion bis 90°, Außenrotation in Scapulaebene bis 35° und Innenrotation in Rückenlage begonnen und kontinuierlich gesteigert bis 125° Flexion und 75° Außen- und Innenrotation erreicht sind. Weiterhin erfolgen Widerstandsübungen am Ellenbogen- und Handgelenk. In der dritten Woche beginnt die Wassergymnastik. Millet et al. betonen, dass in den ersten vier Wochen die Belastung der operierten RM klein gehalten werden muss, 57 Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 1673-1675. 29 da das Kollagen noch unzureichend formiert ist. Bei dem Übergang in Phase zwei beginnen assistiv-aktive Flexionsübungen in Rückenlage und es erfolgt die progressive Weiterführung Beweglichkeit. Im der weiteren Bewegungsübungen in Mobilisation zeitlichen Flexion, der Verlauf Abduktion, passiven wird glenohumeralen langsam Außen- und zu aktiven Innenrotation übergegangen. Darüber hinaus werden isometrische Kontraktionen der RM in das Trainingsprogramm aufgenommen, sowie funktionelle Aktivitäten des täglichen Lebens. In der zehnten Woche sollen die volle passive und aktive Beweglichkeit erreicht werden. Ab diesem Zeitpunkt beginnen dynamische Stabilisations- und Kräftigungsübungen. Es wird davon ausgegangen, dass ab der zehnten bis zwölften Woche die Sehen-Knochen-Heilung stark genug für den Beginn eines sukzessives Kräftigungsprogramm ausgeprägt ist. Auch bei Millett et al. steht die Muskelkraftausdauer im Vordergrund und wird in der vierten Rehabilitationsphase intensiviert. In dem letzten Interventionsabschnitt stehen alltags- und 58 arbeitsspezifische Belastungsübungen auf dem Trainingsplan. Koo und Burkhart unterscheiden die Steigerung ihres therapeutischen Vorgehens nach dem Vorhandensein von Risikofaktoren. Unter diesen verstehen sie z. B. Tendinitis calcarea, Adhäsive kapsulitis, Operation nur einer Sehne und begleitende Labrum Reparation. Bei Patienten ohne Risikofaktoren erfolgt die Rehabilitation langsamer zur Schonung der heilenden Sehne. In den ersten sechs Wochen nach der Operation führen die Patienten ausschließlich Hausübungen aus, welche die folgenden Punkte enthalten: aktive Bewegung der distalen Gelenke und passive Außenrotation mit einem Stab. Die Risikogruppe macht zusätzlich noch Gleitübungen auf einem Tisch zu Anbahnung der Elevation. Für die Übungen soll die Immobilisationsschlinge dreimal täglich abgenommen werden. Ab der siebten Woche beginnen passive Dehnungen auf der Horizontalen und über Kopf mit Hilfe eines Seilzuges. Erst ab dem dritten oder vierten Monat erfolgen Kräftigungsübungen mit einem Theraband, v. a. für Außen- und Innenrotatoren, für den Bizeps und die Scapula stabilisierende Muskulatur. Die Bewegungsübungen werden zu diesem Zeitpunkt intensiviert. Die Freigabe der vollen Aktivität wird in der Regel im sechsten Monat gegeben.59 58 59 Vgl. Millett et al., Rehabilitation of the Rotator Cuff, 2006, S. 603-607. Vgl. Koo, Burkhardt, Rehabilitation Rotator Cuff Repair, 2010, S. 204-206, 208 f. 30 Klintberg et al. verglichen ein konventionelles Behandlungsschema mit einer progressiveren Behandlungsweise. Das traditionelle Programm enthält folgende Etappen: Ab dem ersten postoperativen Tag erfolgt die passive Mobilisation des Art. humeri zwei- bis dreimal wöchentlich, begleitet von einem Hausübungsprogramm. Der immobilisierende Verband wird hier bis zur sechsten Woche getragen. Dann beginnen die Aktivierung der Rotatoren und assistiv-aktive Bewegungen in Flexion und Abduktion. In der zehnten Woche starten leichte Übungen im warmen Wasser. Sechs Wochen später wird mit dynamischen Kräftigungsübungen im gesamten Bewegungsausmaß begonnen und die Wassergymnastik intensiviert. Das exzentrische Training der RM startet in der 24. postoperativen Woche unter physiotherapeutischer Aufsicht. Bei der progressiven Behandlungsgruppe wird der Ruhigstellungsverband nach vier Wochen entfernt. Hier beginnen auch die assistiv-aktiven Bewegungsübungen und erste Wasserübungen. Nach weiteren zwei Wochen wird die Belastung der Rotatorenmanschette zunehmend gesteigert. Als Hausübungen erfolgen isometrische Übungen und aktive Bewegungen mit kurzem Hebel. In der achten Woche wird mit Kräftigungsübungen mit einem Theraband begonnen. Zu diesem Zeitpunkt starten während der physiotherapeutischen Behandlung auch die dynamischen Kräftigungsübungen über das gesamte Bewegungsausmaß und Bewegungsübungen mit langem Hebel. Ab der zwölften Woche wird ein exzentrisches Training durchgeführt.60 Ellenbecker, Elmore und Bailie untersuchten die frühzeitigen Effekte (nach sechs und nach zwölf Wochen) des im Folgenden erläuterten Behandlungsschemas: Grundlegende Richtlinien sind frühzeitige Hausübungen und die Orientierung der Übungssteigerung an der Toleranz des Patienten, seiner Schmerzgrenze, der Gewebequalität und der Rissgröße der RM. Postoperativ bis zur vierten bzw. sechsten Woche erfolgt die Mobilisation der passiven Beweglichkeit in Flexion, Abduktion und Innen- und Außenrotation in 4590° Schulterabduktion. In den ersten beiden Wochen werden weiterhin isometrische Übungen in Flexion, Extension, Innenrotation, Außenrotation und Adduktion durchgeführt, sowie das glenohumerale und skapulo-thorakale Gelenk mobilisiert. 60 Vgl. Klintberg et al., Physiotherapy treatment rotator cuff repair, 2009, S. 636. 31 Als Hausübungsprogramm sind hier u. a. assistive Übungen mit einem Seilzug bzw. unter Zuhilfenahme des nicht operierten Armes vorgesehen. Ab der dritten Woche werden Übungen bis zu assistiv-aktiven Bewegungen gesteigert. Im Weiteren erfolgen scapulastabilisierende Übungen und Maßnahmen zur rhythmischen Stabilisation des Schultergelenkes in verschiedene Bewegungsrichtungen (in Rückenlage bei ca. 90° Flexion). In der fünften bis sechsten postoperativen Woche wird zu einer möglichst endgradigen passiven Beweglichkeit gesteigert und eine Erweiterung des aktiven Bewegungsausmaßes in allen Bewegungsdimensionen durchgeführt. Darüber hinaus wird mit resistiven Übungen begonnen, wobei Muskelkraftausdauer umgesetzt durch hohe Wiederholungszahlen anzustreben ist. Bei der Muskelschulung steht die Kräftigung der caudalen RM im Vordergrund und wird durch Übungen in Innen-und Außenrotation, sowie in Extension betont. Diese Interventionen sind am kurzen Hebel auszuführen. Im Hausübungsprogramm werden zu diesem Zeitpunkt Therabandübungen integriert. In der achten Woche steigern sich die kräftigenden Maßnahmen und es werden Stabilisationsübungen im Vierfüßlerstand durchgeführt. Ab der zehnten Woche erfolgt ein submaximales isokinetisches Training in Innen- und Außenrotation, welches im Verlauf kontinuierlich unter der Prämisse der Beschwerdefreiheit gesteigert wird. Ungefähr ab dem vierten Monat startet das aktivitäts- und sportartspezifische Training.61 6.2 Vergleich der Schemata Die allgemeine Gewebequalität, die Größe der Ruptur und die Phasen der SehnenKnochen-Heilung werden in allen vorgestellten Therapieschemata als wichtige und limitierende Faktoren bezeichnet. Die Umsetzung in die therapeutische Praxis wird jedoch differenziert und teilweise weitgefächert dargestellt. Gerade in der Anfangsphase wäre eine konkrete Vorgabe günstig, da hier das Gewebe am wenigsten belastbar ist und dadurch Überbelastungen gravierende Folgen haben würden. Gohlke und Hedtmann, sowie auch Dutton orientieren sich bei den Angaben, wann die assistiven und aktiven Bewegungsübungen begonnen werden sollen an der Größe der Ruptur und geben deshalb ein großes Intervall von der 3./4. Woche bis zur 12./14. Woche an. Im traditionellen Programm nach Klintberg et al. und die Empfehlungen nach Millett et al. starten die assistiv-aktiven Bewegungen in der sechsten Woche. Das progressivere Vorgehen nach Klintberg et al. und das Interventionsschema von Ellenbecker, Elmore und Bailie führen in der dritten bzw. 61 Vgl. Ellenbecker, Elmore, Bailie, Shoulder ROM and rotational Strenght following Rotator Cuff Repair, 2006, S. 327, 334 f. 32 vierten Woche Formen der aktiven Gelenkbewegung auf. Isometrische Übungen werden nach Gohlke und Hedtmann, Millett et al., Ellenbecker, Elmore und Bailie innerhalb der ersten Rehabilitationsphase begonnen. Klintberg und Mitarbeiter beschreiben in ihrem progressiven Interventionsschema ab der achten Woche dynamische Kräftigungsübungen im vorhandenen Bewegungsausmaß und auch mit langem Hebel. Ähnlich beschreibt auch Dutton von der sechsten bis zur elften Woche funktionelle und diagonale Bewegungsübungen mit manuellem Widerstand. Millett et al. beginnt diese in der zehnten postoperativen Woche. Währenddessen Gohlke und Hedtmann noch auf die Verwendung von kurzen Hebeln achten. Die Behandlungsansichten von Koo und Burkhart sind völlig konträr zu den anderen Genannten. Die Mobilisierung und kräftigende Maßnahmen beginnen hier ausgesprochen spät. Ein Schutz des heilenden Gewebes hat zwar die obererste Priorität, aber dennoch darf der Erhalt der Funktionsfähigkeit und die Möglichkeit zur Rückkehr zu einer alltagsgerechten Funktion nicht behindert werden. Nur zu den Interventionsschemata von Klintberg und Mitarbeitern, sowie von Ellenbecker, Elmore und Bailie erfolgte eine Evaluation. Im Folgenden wird das Nachbehandlungsprogramm einer Jenaer Praxis erläutert und anschließend auf dessen Wirksamkeit untersucht. Im Anschluss daran erfolgen ein Vergleich und eine Diskussion der verschiedenen Ergebnisse und Vorgehensweisen. 7. Rehabilitationsprogramm der Jenaer Praxis Die operative Rekonstruktion der Verletzten Sehne der RM wurde ambulant durchgeführt. Der Patient verbrachte eine Nacht im Operationszentrum zur Kontrolle und zur Einstellungen auf Analgetika. Über einen Zeitraum von drei Wochen postoperativ ist der Patient in einem Gilchristverband62 Tag und Nacht ruhig gestellt, die darauf folgenden drei Wochen wurde der Verband nur noch in der Nacht getragen. Die physiotherapeutische Nachbehandlung beträgt durchschnittlich 16 Wochen, wobei bis zur zwölften Woche ein Interventionsintervall von in der Regel dreimal pro Woche mit einer Dauer von einer halben Stunde pro Sitzung vollzogen wird. Eine Fortführung der Therapie erfolgt sporadisch und intervallhaft je nach Bedarf. 62 Gilchristverband = Verband zur Ruhigstellung und v. a. zur Protektion der operierten Schulter/Sehne durch spannungsfreies Anlegen des Armes am Thorax (Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 300.) 33 Alle im Folgenden geschilderten Maßnahmen und die entsprechende zeitliche Einordung sind als Richtlinie zu betrachten. Grundsätzlich ist die Steigerung der einzelnen Maßnahmen abhängig von der Gewebebeschaffenheit, dem Ausmaß der Schädigung, der lokalen Belastbarkeit und dem subjektiven Schmerzempfinden des Patienten. Im Anhang eins auf Seite 65 ist ein Überblick der zeitlichen Einteilung der verschiedenen physiotherapeutischen Maßnahmen dargestellt, welche nun ausführlich geschildert werden. Zwei bis drei Tage nach der ambulanten Operation wird der Patient beim Physiotherapeuten vorstellig. Es erfolgt ein Patientenaufklärungsgespräch über Verhaltensregeln, sowie Informationen über Ablauf und Vorgehensweise der Nachbehandlung. Darauf wird er in ein Hausübungsprogramm eingewiesen. Diese besteht aus Pendelübungen des Armes, Beuge- und Streckübungen des Ellenbogen- und Handgelenkes und isometrischen Muskelkontraktionen in Außenund Innenrotation des Schultergelenkes im schmerzfreien Bereich. Der Patient ist angehalten die Hausübungen dreimal täglich unter Abnahme des Ruhigstellungsverbandes durchzuführen. Unter Fortführung des Heimprogrammes werden ab der zweiten Woche postoperativ folgende Maßnahmen durchgeführt: Entstauung, Muskelrelaxationstechniken, Mobilisation der Halswirbelsäule und des Cervico-Thorakalen- Überganges, isometrische Übungen vor allem in Außenrotation, Innenrotation und Abduktion, sowie Ausnutzung der Irradiation über Widerstände an der nichtbetroffenen Seite. Mit Beginn der dritten Woche erfolgen außerdem die Initiierung der posterioren Depression der Scapula für die Betonung der Rumpfaufrichtung, das achsen- und ebenengerechte passive und assistive Bewegen des Schultergelenkes bis 90° Abduktion und Flexion bei Außenrotationsnullstellung. In Abhängigkeit vom Schmerzempfinden des Patienten und der Fähigkeit der Durchführung koordinierter assistiver Muskelkontraktionen auf der betroffenen Seite wird das Hausübungsprogramm durch Flexionsübungen mit einem Stab bis 90° Beugung Ende der vierten Woche ergänzt. Weiterhin erfolgt in 90° Flexionsstellung des Schultergelenkes eine rhythmische Stabilisation, diese wird unter Approximation 34 und Rotationsbetonung bei dezentem Widerstand durchgeführt. Begleitend finden Triggerpunktbehandlungen der periscapulären Muskulatur und das Gleiten der Neuralstrukturen statt. Ab der sechsten postoperativen Woche erfolgt eine Steigerung des Bewegungsausmaßes und der Belastbarkeit der operierten Schulter bzw. der Sehne. Behandlungsschwerpunkte sind die Mobilisation des Caput humeri in Translation nach dorsal und kaudal, die anguläre Mobilisation des Art. humeri in Flexion und Abduktion unter Scapulafixation, sowie die Behandlung der funktionell korrelierenden Nachbargelenke. Weiterhin werden Techniken der postisometrischen Relaxation für Außenrotatoren, Flexoren und Abduktoren durchgeführt. Als aktive Maßnahmen stehen Neuromuskulären Stabilisierende Übungen Fazilitation Umkehr aus aus dem (PNF) 90° im Konzept Vordergrund. Abspreiz- oder der Propriozeptiven Hierzu gehört Flexionsstellung die des 63 Schultergelneks, sowie die dynamische Umkehr, Hold Relax und Combination of Isotonics 64 der dreidimensionalen Bewegung in Flexion, Abduktion und Außenrotation, sowie des Rückwegs. Weiterhin erfolgt die Koordinations- und Ausdauerschulung der Schultergürtelmuskulatur über eben genannte Techniken. Die Steigerung der dynamischen Bewegungsübungen und des Widerstandes sind abhängig vom individuellen Heilungsverlauf und der lokalen Belastbarkeit. Das Hausübungsprogramm besteht aus Mobilisationsübungen mit dem Stab in Flexion und Abduktion, sowie achsengerechten Bewegungen des Schultergelenkes in Außenrotation, Innenrotation und Abduktion bis 90° mit einem Theraband. Ab der zehnten Woche erfolgen eine Intensivierung der genannten Maßnahmen und die weitere Steigerung der Übungsintensitäten. Es werden stabilisierende Techniken unter Belastung durchgeführt, sowie Übungen mit dem Propriomed in verschiedenen Ausgangsstellungen. Bei allen kräftigenden Maßnahmen steht die Muskelkraftausdauer mit geringem Widerstand und hoher Wiederholungszahl im Vordergrund. 63 Hold Relax = isometrische Kontraktion antagonistischer Muskelgruppen in einem 3-dimensionalen Bewegungsmuster zur Schmerzlinderung von Bewegungsvergrößerung. (Vgl. Buck, Beckers, Adler, PNF, 2001, S. 46 f.) 64 Combination of Isotonics = Kombination aus konzentrischer, exzentrischer und isometrischer Muskelkontraktion mit dem Ziel der Verbesserung des aktiven Bewegungsausmaßes, Koordinationstraining und Kräftigung. (Vgl. Buck, Beckers, Adler, PNF, 2001, S. 29.) 35 Hieraus ergeben sich folgende Therapieprinzipien: Stabilisation Schulung der posterioren Depression der Scapula und Rumpfaufrichtung Schaffung der Voraussetzung für normales Bewegen durch Mobilisation beteiligter Nachbargelenke Verbesserung der Flexibilität der Schultergelenkskapsel (manuelle Mobilisation Caput humeri) Progressive dosierte Belastungssteigerung zur Unterstützung der Ausrichtung der Kollagenfasern und zum Kraftaufbau 8. Empirische Untersuchung In der Literatur waren keine konkreten Aussagen über einen optimalen Zeitpunkt und Belastungsintensität an einer operativ rekonstruierten Rotatorenmanschette zu finden. Auch bei der Analyse vorhandener Studien und Reviews, welche sich mit den physiotherapeutischen Maßnahmen befassten gibt es weit gefächerte Auffassungen. Im Folgenden Abschnitt wird das eben erläuterte physiotherapeutische Interventionsschemata nach rekonstruierter RMR der Jenaer Praxis hinsichtlich des funktionellen Outcomes untersucht. Es erfolgt hierzu eine deskriptive Studie mit einer Datenerhebung. Diese Untersuchung stellt eine einfache Querschnittsstudie dar, ohne Kontrollgruppe, in retrospektiver Betrachtungsweise. Im nachstehenden Abschnitt wird die Vorgehensweise beschrieben und die Messinstrumente- und verfahren erläutert, bevor im Gliederungspunkt neun die Ergebnisse der Untersuchung dargestellt werden. 8.1 Patientenbeschreibung An der Untersuchung haben 26 Patienten teilgenommen, 11 Frauen und 15 Männer, mit einem mittleren Alter von 61 (39-71) Jahren. Alle Teilnehmer hatten sich innerhalb der vergangenen drei Monate bis dreieinhalb Jahre aufgrund einer Ruptur einer oder mehrerer Sehnen an der RM einer Operation unterzogen. Der chirurgische Eingriff wurde stets vom gleichen Operateur unter Anwendung derselben Operationsmethode durchgeführt. Die Teilnehmer wurden durch Analyse der Patientenakten, der Jenaer Praxis ausfindig gemacht. In Kooperation mit dem operierenden Chirurgen erfolgte 36 weiterhin die Sichtung der jeweiligen MRT-Berichte und der ausführlichen Operationsberichte. Somit konnten 39 Patienten in die Studie einbezogen werden, welche im Folgenden schriftlich um Teilnahme am Studienvorhaben gebeten wurden. Der Einschluss der Patienten erfolgte bei Zusage. Ausschlusskriterien waren: Rheumatoide Arthritis, zervikale Radikulopathien, vorherige Operationen an der RM, Diabetes mellitus, neurologische oder psychologische Erkrankungen, Trauma des behandelten Schultergelenkes nach Abschluss des Rehabilitationsprozesses, mangelnde Compliance, Multimorbidität, sowie Schwierigkeiten im Lesen und verstehen der deutschen Sprache. 8.2 Procedere Alle Probanden, welche einer Untersuchung ihrer Schulterfunktion zustimmten, waren aufgefordert kurz vor dem Untersuchungsbegin selbstständig einen subjektiven Fragebogen (Disability of Arm-Shoulder-Hand, s. 8.3 S. 37) und einen Bogen zur Bestimmung der Basisdaten auszufüllen. Weiterhin wurde den Patienten ein Aufklärungsbogen ausgehändigt und eine Einverständniserklärung zur Untersuchung und anonymisierten Verwendung der Daten eingeholt. Die beiden Formulare sind im Anhang zwei auf Seite 67 zu finden. Als Basiskriterien erfolgte die Ermittlung von Alter, Geschlecht, betroffene Schulter, dominanter Arm, Zeitdauer der Symptome bis zur Operation, Anzahl der postoperativen Krankentage und sportliche Aktivitäten. Anhand der Differenz zwischen Operationsdatum und Untersuchungsdatum wurde eine Zuordnung der Patienten in Gruppen vorgenommen. So entstand eine Einteilung von vier Gruppen: Gruppe A (4 Patienten): dritter bis vierter postoperativer Monate Gruppe B (8 Patienten): sechs Monate bis ein Jahr postoperativ Gruppe C (6 Patienten): ein bis zwei Jahre postoperativ Gruppe D (8 Patienten): zwei bis dreieinhalb Jahre postoperativ Um die Größe der RMR zwischen den einzelnen Studienteilnehmern vergleichen zu können wurde mittels der MRT- und Operationsberichte das Ausmaß der Sehnenverletzung bestimmt. Hierzu erfolgte eine Bestimmung der Ausdehnung der Verletzung in sagittaler Ebene. Die Einteilung der Sehnenbeteiligung wurde in vier 37 Klassen vorgenommen: Die Klasse eins beinhaltet isolierte Supraspinatusschädigungen, die Klasse zwei Supraspinatus- und Infraspinatusverletzungen und zu der dritten Klasse zählen Defekte im Bereich des M. supraspinatus und des M. subscapularis. Unter die vierte Kategorie fallen Verletzungen, welche alle drei Muskeln betreffen. Weiterhin wurde in Gruppe eins bis vier nach PATTE unterschieden. Der Gruppe eins sind Partialdefekte und kleine Totaldefekte zugeordnet, in der nächst höheren Stufe Totalrupturen des Supraspinatus, zu der dritten Gruppe zählen Totalrupturen von mehr als einer Sehne und der letzten Gruppe fallen massive Defekte von mehr als 2 Sehnen. Anschließend wurden ebenfalls nach PATTE die Retraktionsgrade der Sehnenstümpfe bestimmt. Hier wird in Grad eins bis drei klassifiziert, was einem distalen Sehnenstumpf (Grad 1), einer mittleren Retraktion zwischen Humeruskopf und dem Glenoid als Grad 2 entspricht und hinter dem höchsten Retraktionsgrad ist ein Zurückweichen der Sehne hinter das Labrum glenoidale zu verstehen. Eine Einteilung der Rissgröße in Zentimetern konnte nicht vorgenommen werden, da diese Daten den OP- und MRT-Berichten nicht zu entnehmen waren. Aber nach Lichtenberg et al. ist für eine gute Heilung auch nicht die Rissgröße entscheidend, sondern die Fähigkeit die Sehne ausreichend zu mobilisieren und adäquat am angefrischten Knochen zu refixieren. 65 Alle 26 Studienteilnehmer wurden einmalig nach den im nächsten Abschnitt geschilderten Untersuchungskriterien in ihrer Schulterfunktion analysiert. 8.3 Untersuchungsinstrumente Es erfolgte eine subjektive Evaluation der Patientenzufriedenheit und die Ergründung der Einschränkungen der Alltagstätigkeiten über den Disability of ArmShoulder-Hand in der deutschen Version (DASH-D). Weiterhin wurde der Constant und Murley Fragebogen erhoben und eine objektive Messung der Beweglichkeit und Kraft beider Schultergelenke in Elevation, Abduktion, Innen-und Außenrotation durchgeführt. Alle Messwerte wurden vom selben Untersucher erhoben. 65 Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 290; ebenso Vgl. Charousset et al., Full-Thickness Rotator Cuff Tear, 2010, S. 303; ebenso Vgl. Lichtenberg et al., Sehnenheilung nach Supraspinatussehnennaht, 2006, S. 55. 38 Patientenzufriedenheit Mit Hilfe einer fünfstufigen Antwortskala ist die Zufriedenheit der Patienten mit dem Ergebnis der Operation und der Physiotherapie erfasst wurden. Die Teilnehmer waren hierzu gebeten auf folgende Frage zu antworten: Wie zufrieden sind sie mit dem Behandlungsergebnis Ihrer Schulterfunktion? Die Antwortmöglichkeiten waren in der nachstehenden Form vorgegeben: 1. sehr zufrieden, 2. zufrieden, 3. weder zufrieden, noch unzufrieden, 4. unzufrieden, 5. sehr unzufrieden. DASH-D Die deutsche Version des Disability of Arm-Shoulder-Hand (DASH-D) wurde als weiteres subjektives Assessment verwendet. Hier beurteilt der Patient selbst seinen persönlichen Gesundheitszustand zu Fragen aus verschiedenen Lebensbereichen. Der DASH ist ein komplexes Instrument zur Evaluation der patientenspezifischen Einschränkungen im Bereich der oberen Extremität. Er ermittelt Beschwerden, Funktions- und Aktivitätsniveau, Partizipation und somit auch die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Dieses Assessment wurde hinsichtlich seiner Validität und Reliabilität überprüft und als effizientes Instrument zur Beurteilung des funktionellen Status eingestuft.66 Der Fragebogen, welcher im Anhang drei auf Seite 70 abgebildet ist, besteht aus 30 Fragen mit je fünf Antwortmöglichkeiten von: keine Schwierigkeiten, über geringe, mäßige, erhebliche Schwierigkeiten bis zu nicht möglich. Dadurch werden Score-Werte zwischen Null und 100 Punkten produziert, wobei Null das Beste und 100 das schlechteste Ergebnis darstellt. Constant und Murley Score Der Constant und Murley Fragebogen ist ein weit verbreitetes, valides Schulterassessment, welches u. a. von der Deutschen Gesellschaft für Schulterund Ellenbogenchirurgie als Standardinstrument empfohlen wird. Dieser Bogen enthält subjektive und objektive Parameter, welche vom Untersucher dokumentiert wurden. Der Score besteht aus vier Kategorien, in denen insgesamt 100 Punkte erreicht werden können. Die Schulterfunktion ist umso besser, je höher der ScoreWert ausfällt. Die Gesamtpunktzahl setzt sich durch folgende Gewichtung zusammen: 15 Punkte für Schmerzfreiheit, 20 Punkte im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens, 40 Punkte für das Bewegungsausmaß und 25 Punkte für die Kraft 66 Vgl. Skutek al., Outcome analysis following open rotator cuff repair, 2000, S. 432; ebenso Vgl. Jester et al., DASH, 2005, S. 23; ebenso Vgl. Jester, Harth, German, DASH-Erfahrungen, 2008, S. 381 f; ebenso Vgl. Westphal, Piatek, Winckler, Reliabilität und Veränderungssensitivität DASH-D, 2007, S. 548, 551. 39 in Abduktion. 67 Die Ermittlung des Kraftwertes erfolgte unter Verwendung des isometrischen Dynamometers der Firma DigiMax (siehe Kraftmessung). Als Messposition wurde entsprechend der Angaben von Constant et al. und Lichtenberg et al. ein Winkel von 90° Abduktion auf Scapulaebene im Art. humeri bei innenrotiertem Arm und extendiertem Ellenbogengelenk gewählt. 68 Im Anhang auf Seite 73 ist der Fragebogen mit seinen einzelnen Kategorien dargestellt. Bewegungsuntersuchung Die Bewegungsmessung erfolgte aktiv und beidseits. Sie wurde unter Verwendung eines flüssigkeitsgedämpften Plurimeter V (Inklinometer Dr. Rippstein, Desimed GmbH & Co. KG, Badenweiler) durchgeführt. Zur Ermittlung der Abduktion saß der Patient mit leicht außenrotiertem Arm aufrecht an der Wand gelehnt, um eine Bewegung in der Frontalebene zu sichern. Weiterhin wurde er aufgefordert, die Bewegung stets beidseitig durchzuführen, zur Vermeidung der Ausweichbewegungen in lateraler Richtung. Das Inklinomerter lag dabei auf Höhe der Tuberositas deltoidea an (siehe Abb. 5a). Die Messung des Bewegungsumfanges in Elevation erfolgte, wie in Abbildung 5b dargestellt, ebenfalls aus sitzender Position mit Arm in Neutralstellung. Auch diese Messung wurde symmetrisch ausgeführt, wobei das Messgerät am dorsalen distalen Humerus platziert war. Die Rotationsausmaße wurden in Rückenlage bei 90° Abduktion und 90° Ellenbogenflexion bestimmt. Zusätzlich erfolgt die Messung der Außenrotation bei adduziertem Arm und flektiertem Unterarm. Zur Verhinderung der Mitbewegung des Schultergürtels wurde die Schulter von ventral-kranial fixiert (siehe Abb. 5c, d). Das Messgerät wurde am distalen Unterarm platziert.69 67 Vgl. Tavakkolizadeh et al.,Gender-specific Constant score, 2009, S. 529 f; ebenso Vgl. Boehm, Dirk et al., Fragebogen zur Selbstevaluation basierend auf dem Constant-Murely-Score, 2004, S. 397. 68 Vgl. Constant et al., Review of Constant Score, 2008, S. 357; ebenso Vgl. Lichtenberg et al., Sehnenheilung nach Supraspinatussehnennaht, 2006, S. 52. 69 Vgl. Bruzek, Rippstein, Physio-Test Ortho, 2006; ebenso Vgl. Ellenbecker, Elmore, Bailie, Shoulder ROM and rotational Strenght following Rotator Cuff Repair, 2006, S. 328; ebenso Vgl. Klintberg et al., Physiotherapy Treatment after subacromial decompression, 2008, S. 625. 40 Abbildung 5: Messpositionen für die Ermittlung der Bewegungsgrade a) b) c) d) a) Bewegungsmessung in Abduktion b) Bewegungsmessung in Elevation c) Ausgangsstellung für Rotationsmessungen in 90° Abduktionsposition d) Messung der Außerrotation bei adduziertem Arm Quelle: Eigene Darstellung Kraftmessung Die isometrische Maximalkraftmessung erfolgte anhand eines isometrischen Dynamometers der Firma DigiMax (DigiMax Messtechnik Erkart, Hamm) mittels der mitgelieferten ISO-Test Software. Das Messgerät bestand aus einem PC-Interface, PC-Netzteil, eine Schlinge zur Kraftabnahme und einem Kraftsensor für Druck und Zug bis 2kN. Weiterhin wurden für den Messaufbau eine stabile, elektrisch höhenverstellbare Therapieliege der Firma Enraf Nonius, eine Multifunktionstrainingsbank, ein Fixierungsgurt, eine Stahlkette aus ovalen Kettengliedern zur Vergrößerung der Verbindungsstrecke zwischen Kraftsensor und Schlinge und Karabinerhaken aus dem Schlingentischequipment verwendet. Zur Fixierung des Kraftsensors diente eine Öse, welche an einem Doppelseilzug befestigt und somit fest in der Wand verankert war. Mittels eines Computers und der installierten Software konnten die Kraftwerte abgelesen und zur Dokumentation aufgenommen werden. Die Messungen wurden in aufrecht sitzender Position bei fixiertem superioren Aspekt der Schulter durchgeführt. Die Krafttestung erfolgte in folgenden 41 spezifischen Gelenkstellungen: Die Flexion wurde in der Sagittalebene bei 30° Flexion, innenrotierten Arm und extendiertem Unterarm gemessen, wobei die Messschlinge proximal des Epicondylus lateralis humeri anzulegen war. Die Abduktionskraft ist bei 45° Abduktion in der Scapulaebene und 90° flektiertem Unterarm ermittelt wurden. Die Messschlinge befand sich hierbei am distalen Oberarm. Die Beurteilung der Innen- und Außenrotationskraft erfolgte in 45° Abduktionsposition in Scapulaebene und 90° flektiertem Ellenbogengelenk. Neben dem Schultergelenk wurde zusätzlich der distale Unterarm fixiert. Die Messschlinge war proximal der Procc. styloidei anzubringen.70 Vor Beginn einer jeden Messung erfolgte eine kurze Aufwärmphase von ca. 10 Minuten am Seilzugapparat. Der Patient führte funktionelle Bewegungsübungen durch, wobei die kompletten Muskelketten der Oberextremität erwärmt wurden. Der Maximalkrafttest wurde an beiden Schultergelenken durchgeführt, wobei die nichtbetroffenen Seite startete. Nach Erläuterung und Überprüfungen der Spannungsrichtung erfolgten in jeder Position ein bis zwei submaximale Kontraktionen der spezifischen Muskulatur. Darauf wurden drei schmerzfreie Maximalkraftwerte produziert. Der Proband war aufgefordert innerhalb von fünf Sekunden das Kraftmaximum aufzubauen und dieses für zwei Sekunden zu halten. Zwischen jeder Messwiederholung lagen 30 Sekunden Pause. War der Wert der letzten Kraftmessung deutlich höher erfolgte eine weitere Maximalkontraktion. Beim Wechsel in die verschiedenen Kraftrichtungen war eine Pausenzeit von zwei Minuten einzuhalten.71 Alle Kraftmessungen erfolgten im schmerzfreien Ausmaß. Die Patienten wurden durch einen verbalen Stimulus zur Maximalkontraktion animiert. Nur bei der Gruppe der frisch Operierten (Gruppe A) wurde hierauf aus Sicherheitsgründen verzichtet. Der höchste Wert, welcher pro Position und Proband generiert werden konnte wurde als Testergebnis verwendet. 70 Vgl. McFarland, Examination of the Shoulder, 2005, S.96; ebenso Vgl. Andrews, Thomas, Bohannon, Isometric Muscle Force Measurements, 1996, S. 251 Table 2; ebenso Vgl. Kuhlmann et al., Isokinetic and isometric measurement of strength, 1992, S. 1320; ebenso Vgl. Vermeulen et al., Comparison of two portable dynamometers, 2005, S. 105; ebenso Vgl. Hughes et al., Isometric Shoulder Strength, 1999, S. 652. 71 Vgl. Hughes et al., Isometric Shoulder Strength, 1999, S. 652; ebenso Vgl. Essendrop, Schibye, Hansen, Reliability of isometric muscle strength, 2001, S. 381. 42 8.4 Die Statistische Verfahren statistische Auswertung wurde mit Hilfe der Analysesoftware SPSS durchgeführt. Es sind deskriptive Werte generiert wurden, wobei hauptsächlich die Bestimmung des Medians erfolgte. Im Weiteren wurden die einzelnen Gruppen mit ihren jeweiligen Parametern auf Unterschiede überprüft. Hierzu fand der WilcoxonMann-Whitney-U-Test als ungepaarter Signifikanztest seine Anwendung. Dieser Test wurde gewählt, da er für kleine Stichproben geeignet ist. Ebenso ist die Stichprobe hinsichtlich bestehender Zusammenhänge, zwischen z. B. den verschiedenen Assessments oder/und Basiskriterien, überprüft wurden. Es wurde hierzu der Rangkorrelationskoeffizient nach Spearmen errechnet, da dieser unter anderem auch robust gegenüber Ausreißern ist. 9. Ergebnisse Zwischen den vier Untersuchungsgruppen konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Insgesamt waren 11 rechte und 15 linke Schultergelenke betroffen, wobei 11mal die dominante Seite geschädigt war. Die durchschnittliche Beschwerdedauer bis zur Operation lag bei sechs Monaten. Alle Patienten wiesen einen kleinen Totaldefekt oder einen Totaldefekt der Supraspinatussehne auf. Weiterhin sind Beteiligungen anderer Sehnen am Defekt aufgetreten, hier lag aber nicht in jedem Fall ein Totaldefekt der anderen Sehne vor, teilweise wurden Auffaserungen oder kleinere Partialdefekte im MRT- bzw. OP-Bericht beschrieben. Im Folgenden sind die Gruppenmerkmale in Tabelle eins dargestellt. Untersuchungsbedingt liegen 26 Datenpaare unterschiedlicher Patienten vor. Das heißt, dass von jedem Patient nur ein Wert vorliegt und dieser nicht anhand früherer Ergebnisse verglichen werden kann. Da die individuelle Veranlagung für Kraft und Bewegung unterschiedlich ist und aufgrund der großen Altersspannweite innerhalb der einzelnen Gruppen, sowie den geschlechtsspezifischen Unterschieden vor allem bei den Kraftmessungen wurden die Differenzen zwischen operierter und nicht operierter Seite der jeweiligen Patienten gebildet. Die Ergebnisse sind in Tabelle 2 zusammengefasst. 43 Tabelle 1: Gruppenmerkmale Anzahl Zeitabstand OP bis Untersuchung in Monaten Alter Geschlecht Retraktionsgrade n. PATTE: Gruppe A 4 Gruppe B 8 Gruppe C 6 Gruppe D 8 3 63,5 (49 - 69) 1m, 3w 7,5 63 (42 - 71) 6m, 2w 17 61 (50 - 70) 2m, 4w 36 60 (39 - 71) 6m, 2w distal 2 4 4 intermediate 2 1 1 retracted / 3 1 Lokalisationsgruppe n. PATTE: Partialdefekt, kl. Totaldefekt 1 3 3 Totaldefekt SSP 3 5 3 Totaldefekt mehr als 1 Sehne / / / Sehnenbeteiligung: SSP 3 5 4 SSP + ISP / / 1 SSP + SSC 1 1 / SSP + ISP + SSC / 2 1 (m-männlich, w-weiblich, SSP-Supraspinatus, ISP-Infraspinatus, SSC-Subscapularis) Quelle: Eigene Darstellung 6 2 / 3 3 2 4 2 / 2 Tabelle 2: Studienergebnisse des Jenaer Interventionsplanes Bewegung (in Grad) Elevation Abduktion Außenrotation in Abd Außenrotation in Add Innenrotation in Abd Kraft (in Newton) Flexion Abduktion Außenrotation Innenrotation Constant Score Gruppe A (n = 4) Gruppe B (n = 8) Gruppe C (n = 6) Gruppe D (n = 8) 23 25 42 18 18 10 9 24 12 0 2 5 3 4 2 4 3 2 4 6 72, 31 66,41 30,62 39,17 31,45 6,42 24,31 3,71 21, 26 -6,23 13,80 13,99 4,04 16,50 16,31 24,77 75 Punkte 57 63,5 67 71,5 100 Punkte 58 72 73,5 82 altersnormiert 13,5 8,5 6,5 1 DASH-D 28,33 15,83 14,16 6,67 (Medianwerte der einzelnen Untersuchungsparameter, ausführliche Darstellung inklusive der Minimal- und Maximalwerte im Anhang auf S. 78) Quelle: Eigene Darstellung Bei Betrachtung des Medians der einzelnen Bewegungsunterschiede ist ein kontinuierlicher Rückgang des Defizits im Seitenvergleich vor allem zwischen Gruppe A, B und C sichtbar (s. Abb. 6). Die Ergebnisse der Gruppe C und D sind ähnlich bzw. ist bei der Gruppe D teilweise ein mild höheres Defizit zu verzeichnen. Anhand des Wilcoxon-Mann-Whitney-U-Test konnten durch Rangklassenbildung der Medianwerte signifikante Bewegungsunterschiede auf einem Niveau von 44 P<0,05 zwischen Gruppe A und D bei der Flexion und Innenrotation festgestellt werden. Die Kraftwerte zwischen den frisch operierten Patienten und den restlichen Gruppen differieren im Mittel deutlich. In der Gruppe A liegen die höchsten Unterschiede zur gesunden Seite vor. Bei der Betrachtung der Kraftdifferenz der gesunden zu der operierten Seite ist die Gruppe, der vor 1-2 Jahren Operierten im Median die Bessere (s. z. B. Abb. 7) Die Probanden nach 0,5-1Jahr weisen die mildeste Krafteinbuße in Innenrotation auf. Signifikant ist der Kraftunterschied zwischen Gruppe A und B in Abduktion, sowie zwischen A und C, A und D in Flexion (P<0,05) und in Abduktion (P<0,01). Abbildung 6: Bewegungsdifferenz der Abduktion Die Bewegungsdifferenzen sind in Grad gemessen. Quelle: Eigene Darstellung 45 Abbildung 7: Kraftdifferenz in Außenrotation Die Kraftdifferenz ist in Newton angegeben. Ein negativer Wert zeigt eine höhere Maximalkraft der operierten Seite an im Vergleich zur Gesunden. Quelle: Eigene Darstellung Weiterhin wurde der Constant Score erhoben. Einerseits ohne Kraftwerte (75 Punkte) und mit Kraftmessung (100 Punkte). Dieses Vorgehen wurde gewählt, um einen besseren Einblick auf die Ausprägung der Felder der Beweglichkeit, des Schmerzes und der Aktivitäten des täglichen Lebens zu erhalten. Ein weiterer Grund für diese Aufteilung ist, dass die Kraft entscheidend auf den Endwert des Scores einwirkt, sie aber erst in der späten Rehabilitationsphase begonnen wird zu trainieren. Der Constant Score zeigt einen kontinuierlichen leichten Anstieg, je größer der Abstand zu Operation wird. Der Score mit 75 Punkten ist auf einem Niveau von P>0,05 zwischen Gruppe A und D, sowie Gruppe B und D signifikant. Für den Constant Score 100 liegt ein signifikanter Unterschied zwischen Gruppe B und D vor (P>0,01). Der Constant Score wurde zusätzlich auf das Alter normiert. Diese Normwerte wurden anhand der Daten von Constant et al. 72 erstellt, um altersbezogene Normwertdefizite zu erkennen. Hierbei ist, wie in Abbildung 8 dargestellt, ein Rückgang der Differenz vom optimalen Wert zum tatsächlichen Wert von 13,5 Punkten bei Gruppe A, über 8,5, 6,5 bis zu 1 Punkt bei Gruppe D zu verzeichnen. 72 Vgl. Constant, et al., Review of Constant Score, 2008, S. 359 Tab. 2. 46 Abbildung 8: Altersnormierter Constant Score Die Differenzen zum Altersnormwert sind in Punkten angegeben. Eine negative Punktzahl zeigt ein Ergebnis über dem Altersdurchschnitt an. Quelle: Eigene Darstellung Der DASH als subjektives alltagsbezogenes Instrument zeigt ebenso einen Rückgang der Punktzahl an. Dies ist mit einer besseren patientenspezifischen Alltagsfunktion gleich zu setzen. Nach der Untersuchung von Clarke et al. ist ein Wert mit einer Abweichung von 1,85 Punkten mit einem perfektem Ergebnis gleichzusetzen, weiterhin verweist er darauf, dass ein Gesamt-DASH-Wert bis zu 10 Punkte als ein Normalwert innerhalb der gesamten Population einzustufen ist.73 Die Gruppe nach drei bis vier Monaten postoperativ weißt im Median 28,33 Punkte auf, alle anderen drei Gruppen fokussieren ihren mittleren Wert um die 10-Punkte Marke (siehe Tabelle 2). Bei der Frage nach der Zufriedenheit der Patienten mit dem Ergebnis von Operation und Physiotherapie gaben 13 Teilnehmer an sehr zufrieden zu sein, 10 waren zufrieden, 2 weder zufrieden noch unzufrieden und 1 war unzufrieden. Von den 26 Studienteilnehmern waren zum Zeitpunkt der Rehabilitation 14 noch im Berufsleben. Durchschnittlich sind die Patienten nach drei Monaten wieder in ihren beruflichen Alltag gestartet. Zwei Patienten begannen bereits nach dem zweiten 73 Vgl. Clarke et al., Normal shoulder outcome, 2009, S. 426 f. 47 Monat mit der Arbeit, einer erst nach sechs Monaten und die Restlichen nach drei bis vier Monaten. Im Weiteren wurde die Stichprobe auf Rangkorrelationen nach Spearman untersucht. Bei Betrachtung der gesamten Stichprobe konnten mittlere bis starke Korrelationen auf einem Niveau von P>0,01 zwischen den einzelnen Assessments festgestellt werden. Die Patientenzufriedenheit zeigt einen Zusammenhang zu den erreichten Punkten vom DASH-D und den Varianten des Constant Scores. Der DASH-D hängt am höchsten mit dem Constant Score mit 75 Punkten (0,811) zusammen. Der altersnormierte Constant Score korreliert am stärksten mit dem Constant Score 75 (0,852). Bei der Analyse der Zusammenhänge des Ausmaßes der einzelnen RMR in den verschiedenen Ebenen (siehe Einteilung auf S. 36 bzw. Tab. 1) ist eine mittlere Korrelation auf einem Niveau von P>0,01 der Retraktionsgrade nach PATTE mit der Defektgröße (Gruppe nach PATTE) und der Sehnenbeteiligung der RM festgestellt wurden. Weiterhin korreliert die Gruppe nach PATTE mild mit dem altersnormierten Constant Score und dem Constant Score mit 75 Punkten. Eine Beziehung zwischen der sportlichen Aktivität, sowie der Arbeitsbelastung mit der Kraft konnte bezogen auf die gesamte Stichprobe nicht festgestellt werden. Eine mittlere positive Korrelation besteht zwischen der Arbeitsbelastung und der Bewegungsdifferenz der gesunden zur operierten Seite in Flexion, Abduktion und Innenrotation. Bei diesen Zusammenhängen ist jedoch die Größe der Stichprobe bzw. der jeweiligen Gruppe zu beachten. Einige Unterschiede konnten eventuell nicht aufgezeigt werden, da die Gruppengröße zu gering war. Des Weiteren sind Korrelationen z. B. zwischen Arbeitsbelastung und Sport zur Kraft nicht deutlich. Es sind insgesamt Tendenzen aufgetreten, jedoch wären für eine genauere Aussage Stichproben von einer wesentlich größeren Probandenzahl von Nöten. Bei der Auswertung der Studienergebnisse sind Ausreißer in positive und negative Richtungen festgestellt wurden. Diese werden einerseits bei der Betrachtung der Abbildungen sechs bis acht und andererseits bei genauer Analyse der Minimal- und Maximalwerte in der im Anhang fünf auf Seite 78 dargestellten Tabelle sichtbar. Die Abweichungen nach oben zeigen, dass nicht alle Patienten verglichen mit ihrer nicht operierten Seite gleich gute Werte erzielt haben. Dies spiegelt sich auch in der Auswertung der Patientenzufriedenheit wieder. Da die Stichprobe sehr klein ist haben Abweichungen bezogen auf den Median einen verhältnismäßig hohen 48 Einfluss auf den Endwert. Weiterhin ist aber auch zu erkennen, dass die Gruppe D, bei welcher der operative Eingriff am längsten zurück liegt und wo der größte Abstand zu der letzten physiotherapeutischen Intervention besteht, teilweise bei den Kraftwerten (Abduktion, Außen- und Innenrotation, s. u. a. Abb. 7) und mild auch bei der Bewegungsdifferenz (Flexion, Innenrotation) schlechtere Werte erzielten, als die Gruppe C. Vermutungen über Gründe liegen im Zusammenhang mit der beruflichen Belastung und der sportlichen Aktivitäten, welche allerdings nicht nachgewiesen werden konnten. 49 10. Diskussion Die Studie zeigt kurz-, aber vor allem mittel- und langfristige Ergebnisse von Patienten nach Operation der RM mit Nachbehandlung in der Jenaer Praxis auf. Es konnten durchweg gute funktionelle Resultate erreicht werden, welche auch im Langzeitverlauf weiterhin verbessert oder gehalten werden konnten. Dies zeigt, dass mit dem physiotherapeutischen Programm zügige und gute Ergebnisse erzielt werden. Dem Patienten wird eine schnelle Wiedereingliederung ins Arbeitsleben, sowie in seine Aktivitäten des täglichen Lebens ermöglicht. Im Folgenden werden die Belastungsfähigkeiten einer heilenden Sehne dargestellt und diskutiert. Ein weiterer Schwerpunkt des nachstehenden Abschnittes liegt im Vergleich und der Auseinandersetzung mit den Maßnahmen, Belastungszeiten und den Ergebnisse des Therapieschemata nach Jenaer Standard mit anderen Aussagen aus der Literatur. 10.1 Belastungsfähigkeit einer heilenden Sehne Autoren, wie z. B. Kovacevic und Rodeo, verweisen immer wieder auf den Sachverhalt, dass zu wenige Untersuchungen an Sehnen gemacht wurden (v. a. am menschlichen Gewebe), um die Größe und genaue Art der einwirkenden Kraft für eine optimale Sehnenheilung zu bestimmen.74 Insgesamt wird eine Einhaltung der Wundheilungsphasen als Grundlage für den Rehabilitationsverlauf gesehen. Wang, Baring, Emery und Reilly, sowie Kovacevic und Rodeo betonen die Notwendigkeit die Entzündungsphase zu zulassen. Jedoch darf diese nicht verstärkt werden, um Gewebeschädigungen zu verhindern. Erst nach einer Woche soll mit dosierter Mobilisation begonnen werden.75 Auch Untersuchungen an der Achillessehne von Ratten durch Godbout, Ang und Frenette zeigen, dass ein später Belastungsbeginn einer verletzten Sehne nach dem siebten Tag die mechanischen Eigenschaften dieser positiv beeinflusst ohne sich negativ auf den Heilungsprozess aus zu wirken.76 Galatz et al. beschäftigten sich mit den Heilungsvorgängen am SehnenKnochen-Übergang nach einem akuten Trauma der Supraspinatussehne bei Ratten. 74 Vgl. Kovacevic, Rodeo, Biological Augmentation Tendon Repair, 2008, S. 630. Vgl. Kovacevic, Rodeo, Biological Augmentation Tendon Repair, 2008,, S. 626; ebenso Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1570 f; ebenso Vgl. Baring, Emery, Reilly, Management of rotator cuff disease, 2007, S. 289. 76 Vgl. Godbout, Ang, Frenette, Early voluntary exercise in a rat model of Achilles tendon injury, 2006, S. 1720, 1725. 75 50 Die Untersuchungen geben ein Indiz, dass die initiale Entzündungsphase bei Heilungsvorgängen an der Sehne (v. a. insertionsseitig) am zehnten Tag nach dem Ereignis seinen Höhepunkt erreicht. 77 Nach diesen Erkenntnissen hält die Entzündungsphase länger als sieben Tage an und es ist fraglich ob mit einer spezifischen Mobilisation direkt zu Beginn der zweiten postoperativen Woche begonnen werden sollte. Allerdings ist die zelluläre Reaktion von Ratten nicht ein zu eins auf menschliches Gewebe übertragbar. Millett et al. beschreibt für die unmittelbare postoperative Periode in seinem Interventionsschemata Pendelübungen, Isometrie und Bewegungsübungen für die distalen Gelenke. Er beginnt mit den passiven Bewegungsübungen erst nach sieben Tagen.78 Ebenso erfolgen auch im Nachbehandlungsprogramm der Jenaer Praxis in den ersten Tagen nur gewebeentlastende und schmerzreduzierende Maßnahmen. Im Übergang zur dritten Woche wird mit spezifischen Bewegungsübungen im Glenohumeralgelenk gestartet. Die Schutzphase ist hier etwas ausgedehnter. Möglicherweise wird dadurch die Sehnen-Knochen-Integration positiv beeinflusst, da diese ein niedriges Belastungsniveau benötigt.79 In der Proliferationsphase strömen Fibroblasten in das Wundgebiet. Es ist bekannt, dass diese auf mechanische Reize reagieren, welche sie zur Kollagensynthese und Faserausrichtung anregen. An dieser Stelle empfehlen Kannus et al. kontrollierte Dehnungen.80 Hier stellt sich die Frage, ob darunter isometrische Übungen, passive oder sogar assistive Bewegungsübungen zu verstehen sind. Kubo et al. führte Untersuchungen zur Wirkung von isometrischen Spannungsübungen durch. Aus seinen Erkenntnissen heraus empfiehlt er eine kurze Anspannungsphase am Beginn des Heilungsprozesses. Zu den Wirkungen passiver Bewegungsausführungen schreibt Wang, dass die auf die Sehne angreifende Kraft geringer ist, als bei aktiver Bewegung. Weiterhin führen nach Wang zu hohe Belastungen zu einer Ausprägung des Narbengewebes. 81 Offen bleibt, was genau unter zu starken Belastungen zu verstehen ist und ob assistive Bewegungsausführungen auch das heilende Gewebe ausreichend schonen. 77 Vgl. Galatz et al., Characteristics of the Rat Supraspinatus Tendon, 2006, S. 541, 544. Vgl. Millett, et al., Rehabilitation of the Rotator Cuff, 2006, S. 604. 79 Vgl. Kovacevic, Rodeo, Biological Augmentation Tendon Repair, 2008, S. 630. 80 Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S. 70. 81 Vgl. Kubo et al., Effects of different duration contractions of human tendon in vivo, 2009, S. 452; ebenso Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1564, 1571. 78 51 Kannus et al, sowie Buchannan und Marsh halten auf Grundlage ihrer Erkenntnisse sich zyklisch wiederholende Belastungsreize förderlich für die Verbesserung der Beanspruchbarkeit des Sehnengewebes. 82 Auch in den verschiedenen Interventionsschemata (z. B. nach Millet et al., nach Ellenbecker, Elmore und Bailie, im Jenaer Programm) steht die Muskelkraftausdauerschulung im Vordergrund der Trainingsphase. Bei allen Maßnahmen sollte stets die Aussage von Wang beachtet werden, dass Training den Durchsatz von Kollagen Typ I fördert und hohe Dauerbelastung die Kollagenreife in den Sehnen verringert. Physikalische Training fördert demzufolge beides: Synthese und Degeneration.83 Im Rattenmodell konnten Galatz et al. einen Heilungsvorgang am Sehnen-KnochenÜbergang der Supraspinatussehne nachweisen. Weiterhin kamen sie zu dem Schluss, dass histologische und biomechanische Eigenschaften nach dem Heilungsprozess unorganisierter und schlechter in ihrer Qualität sind als bei unverletzten Sehneninsertionen.84 Diese Vermutung stellte auch Kannus et al. auf,85 hieraus lässt sich eine erhöhte Anfälligkeit für Verletzungen auch nach abgeschlossenem Heilungsprozess hypothetisieren. Fealy et al. untersuchten die lokalen vaskulären Veränderungen nach einer Operation an der RM. Dabei wurde festgestellt, dass es eine anfänglich stabile Gefäßreaktion gibt, welche im Zeitverlauf deutlich abnimmt. 86 Gamradt et al. beschäftigten sich mit der Vaskularität des Supraspinatusgebietes drei Monate nach der operativen Rekonstruktion. Dabei war auffällig, dass dieser Bereich einen mangelhaften Blutflussanstieg nach einer Übungseinheit aufweist. Im Vergleich mit einer früheren Untersuchung an gesunden Probanden besteht eine beträchtliche Durchblutungseinschränkung drei Monate postoperativ im Sehnenbereich. 87 An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob die entdeckte mangelnde Durchblutung in Verbindung mit degenerativen Prozessen im Operationsgebiet einher geht. In jedem Fall ist eine mangelnde Durchblutung mit einer unzureichenden Gewebeernährung verbunden, was die Gleitfähigkeit der Sehnenfasern einschränken kann. Weiterhin bleibt offen, nach welchem Physiotherapieschema die Patienten behandelt wurden bzw. ob die verschiedenen Interventionsprogramme überhaupt die Durchblutung 82 Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S. 68; ebenso Vgl. Buchanan, Marsh, Effects of exercise on tendons, 2002, S. 1101. 83 Vgl. Wang, Mechanobiology of tendon, 2006, S. 1568. 84 Vgl. Galatz et al., Characteristics of the Rat Supraspinatus Tendon, 2006, S. 541, 548. 85 Vgl. Kannus et al., Effects on tendon, 1997, S. 70. 86 Vgl. Fealy et al., Vascular and anatomical Response after Rotator Cuff Repair, 2006, S. 126. 87 Vgl. Gamradt et al., Vascularity of the supraspinatus tendon, 2010, S. 78, 79 Tab. 2. 52 des Sehnengebietes maßgeblich beeinflussen. Fakt ist, dass die Defekt- bzw. Rerupturrate, welche in verschiedenen Studien durch Magnetresonanz- oder Computertomographieuntersuchungen festgestellt wurde, hoch ist (s. 10.3, S. 57). Auch die mechanischen Veränderungen, welche auf das Gewebe in Folge einer RMR einwirken sind in der Therapie zu berücksichtigen. Nach Löhr und Uhthoff verhindert ein Fortbestehen von Zug- und Scherkräften die Integration von sich neubildenden Sehnenfasern. Atrophien und fettige Degenerationen von beteiligtem Muskelgewebe behindern ebenso Gewebeeinsprossungen. Hinzu kommt, dass die Fettinfiltrationen sich nach Favard, Bacle und Berhouet zwar postoperativ stabilisieren, aber nicht Rehabilitationsprogramm abnehmen. nach 88 Standard Im Folgenden der Jenaer Abschnitt Praxis mit wird das anderen postoperativen Protokollen verglichen. Diese Gegenüberstellung erfolgt einerseits hinsichtlich der Belastungszeit und andererseits bezüglich der spezifisch verwendeten Maßnahmen. Weiterhin werden auch Schwerpunkte aus konservativen Interventionsprogrammen in die Diskussion einbezogen. 10.2 Vergleich physiotherapeutischer Interventionen Das untersuchte Jenaer Programm ist von den Steigerungszeitpunkten etwa an den mittleren bis unteren Grenzen, welche von Gohlke und Hedtmann, sowie Dutton genannt werden, angesiedelt. Ellenbecker, Elmore und Bailie beginnen bereits in der ersten postoperativen Woche mit assistiven Hausübungen, während im Jenaer Programm diese erst ab der dritten Woche begonnen werden. Die aktiven Bewegungsübungen erfolgen nicht wie bei Ellenbecker, Elmore und Bailie, sowie bei Klintberg et al. in der dritten bzw. vierten Woche, sondern ab der sechsten postoperativen Woche. Übungen zur Stabilisation in 90° Flexionsstellung starten ähnlich wie bei Ellenbecker und Kollegen, allerdings mit dezentem und nicht submaximalen Widerständen. Der Übergang zu dynamischen Stabilisationsübungen wird nach dem Jenaer Interventionsschemata im Zeitraum von der sechsten bis zehnten Woche durchgeführt, dies entspricht in etwa dem Vorgehen nach Dutton. Millet et al. beginnt mit solchen Übungen ab der zehnten Woche, im progressiven Behandlungsprogramm nach Klintberg et al. starten diese zwei Wochen früher. Der Zeitpunkt, an welchem Übungen zum Kraftaufbau intensiviert werden divergiert ähnlich stark wie der Übergang zu dynamischen Stabilisationsmaßnahmen. Hier 88 Vgl. Löhr, Uhthoff, Epidemiologie und Pathophysiologie, 2007, S. 794; ebenso Vgl. Favard, Bacle, Berhouet, Rotator cuff repair, 2007, S. 552. 53 werden Startzeiten von der achten postoperativen Woche (Klintberg et al., progressives Schemata), über beispielweise der 16. Woche (Dutton) bis zum sechsten Monat (Koo und Burkhart) angegeben.89 Insgesamt weist das Rehabilitationsprogramm der Jenaer Praxis eine anfänglich ausgedehnte Schutzphase auf und geht dann ab ca. der vierten Woche in eine progressive Mobilisation und Belastungssteigerung über. Ähnlich wie bei Dutton verwendet die Jenaer Praxis Maßnahmen zur Erlangung der Scapulakoordination, Weichteiltechniken, manuelle Mobilisation des Schultergelenkes, sowie der funktionell korrelierenden Nachbargelenke und neuromuskuläre Schulung in diagonalen Bewegungsmustern. Im Jenaer Behandlungsschema steht die Stabilisation bzw. die Schulung neuromuskulärer Kraftqualitäten im Vordergrund. Dieser Schwerpunkt wird beispielsweise auch von Gohlke, Hedtmann und Dutton gewählt.90 Ein umfassendes Interventionsprogramm in Anlehnung an die komplexe Anatomie des Schultergelenkes sollte mit der Schulung der Rumpfaufrichtung und der Scapulakontrolle beginnen. Die Bewegungen im Glenohumeralgelenk sind günstiger Weise mit Pendelübungen einzuleiten. Entsprechend der Steigerungsauffassung und des konservativen oder operativen Vorgehens erfolgen die Übergänge zu assistiven und später zu aktiven Bewegungsübungen. Bei den aktiven Bewegungsausführen als Hausübung empfiehlt sich die Durchführung vor einem Spiegel, um mögliche Mitbewegungen des Schultergürtels zu kontrollieren. Kuhn empfiehlt in seinem Review, ebenso wie die Jenaer Praxis, Therabandübungen in Außen- und Innenrotation aus anatomischer Nullstellung des Humerus. Manualtherapeutische Maßnahmen sind laut Kuhn evident und sollten Bestandteil jeder standardisierten Schulterbehandlung sein. Er versteht unter manueller Therapie gelenkmobilisierende Techniken und Interventionen zur Mobilisation von Weichteilgewebe. Bennell et al. beschreibt für die konservative Behandlung einer degenerativ veränderten RM eine oszillierende Mobilisation im Art. humeri nach 89 Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 300-302; ebenso Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 1673-1675; ebenso Vgl. Millett et al., Rehabilitation of the Rotator Cuff, 2006, S. 603-607; ebenso Vgl. Koo, Burkhardt, Rehabilitation Rotator Cuff Repair, 2010, S. 204-206, 208 f; ebenso Vgl. Klintberg et al., Physiotherapy treatment rotator cuff repair, 2009, S. 636; ebenso Vgl. Ellenbecker, Elmore, Bailie, Shoulder ROM and rotational Strenght following Rotator Cuff Repair, 2006, S. 327, 334 f. 90 Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 303; ebenso Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 1673 f. 54 anteroposterior und inferior, sowie in der unteren Halswirbelsäule (C5-7) und der Brustwirbelsäule (Th1-8).91 Hayes et al. untersuchte in einer randomisierten Studie die Effektivität eines individuellen Physiotherapieprogrammes mit einem standardisierten Hausübungsprogrammes. Sie stellte keine signifikanten Unterschiede der beiden Gruppen in ihren funktionellen Ergebnissen fest. 92 Jedoch gab es für das Physiotherapieprogramm keine konkreten Vorgaben und jeder Therapeut entschied über die einzelnen Maßnahmen selbst. Somit lässt sich dies nicht mit anderen Rehabilitationsprotokollen vergleichen und es bleibt offen, ob ein standardisiertes Interventionsschemata bessere Ergebnisse liefern würde. Weiterhin erfragten neun von 32 Patienten aus der Hausübungsgruppe nach individueller physio- therapeutischer Betreuung. Dieser Fakt deutet auf eine Unzufriedenheit der jeweiligen Patienten hin. Zudem verwendete Hayes et al. manuelle Muskel-KraftTests zur Evaluierung und es erfolgte eine Bestimmung der passiven Beweglichkeit über eine visuelle Beurteilung. In einer weiteren Studie verglich Michael et al. die krankkengymnastische Nachbehandlung der versorgten RMR mit einer Krankengymnastik in Kombination mit einer motorisierten Bewegungsschiene. Dabei wurde festgestellt, dass die Krankengymnastik plus Bewegungsschiene zu einem früheren Erreichen eines 90° Abduktionswinkels führt und die Arbeitsunfähigkeitsdauer um 21 Tage verkürzt ist.93 Da in der gegenwärtigen Untersuchung keine Messwerte vor der zwölften Woche genommen wurden ist ein erreichen der 90° Abduktion nach 31 Tagen nicht belegbar. Eine genaue Anzahl der Krankentage ist in der Untersuchung von Michel et al. nicht aufgeführt und deshalb ist dieser Messwert nicht mit der Evaluation des Jenaer Programmes vergleichbar. Das standardisierte Krankengymnastikprogramm der Studie unter Michael et al. beginnt mit einer passiven endgradigen Mobilisation des Schultergelenkes am Operationstag, weiterhin erfolgen am ersten bis dritten Tag Übungen zur Humeruskopfzentrierung, funktionelle Übungen (auch an Geräten) erfolgen ab der vierten Woche und mit der siebten postoperativen Woche wird ein 91 Vgl. Kuhn, Exercise rotator cuff impingement, 2009, S. 154 f.; ebenso Vgl. Gohlke, Hedtmann, Schulter, 2002, S. 300; ebenso Vgl. Dutton, Orthopaedic, 2007, S. 1673; ebenso Vgl. Millett et al., Rehabilitation of the Rotator Cuff, 2006, S. 604; ebenso Vgl. Bennell et al., physiotherapy program for chronic rotator cuff pathology, 2007, S. 5. 92 Vgl. Hayes et al., Efficacy of physiotherapy, 2004, S. 77, 80. 93 Vgl. Michael et al., Behandlung mittels motorisierter Bewegungsschiene nach RMR, 2005, S. 441, 443. 55 Krafttraining begonnen. 94 Diese Steigerung der Übungsintensitäten erscheint, im Hinblick auf die im vorherigen Kapitel diskutierten und im Gliederungspunkt fünf aufgeführten Besonderheiten einer heilenden Sehne, als ein zu progredientes Vorgehen für das Erreichen einer guten lokalen Gewebequalität. Einerseits sind die einzelnen Maßnahmen wichtig und andererseits die Zeit in welcher sie zum Einsatz kommen. Hierzu wird im nächsten Gliederungsabschnitt das untersuchte Therapiekonzept der Jenaer Praxis mit zwei weiteren evaluierten physiotherapeutischen Interventionsschemata verglichen. 10.3 Vergleich der Studienergebnisse Es konnten zwei Studien gefunden werden, welche ein spezifisch erläutertes Physiotherapieprogramm nach RMR evaluierten. Diese Therapieprogramme von Klintberg et al. und Ellenbecker, Elmore und Bailie wurden unter dem Gliederungspunkt 6.1 bereits geschildert. Ein direkter Vergleich der Studien ist aufgrund des Studienaufbaues und der Verwendung unterschiedlicher Untersuchungsinstrumente v. a. zur Kraftmessung nur eingeschränkt möglich. Bei Betrachtung der Bewegungswerte nach zwölf Wochen von Ellenbecker, Elmore und Bailie 95 erreichen diese hohe Werte, welche in der gegenwärtigen Studie nicht erlangt werden konnten. Allerdings waren an der eben genannten Untersuchung 37 Patienten beteiligt (im Gegensatz zu 4 Patienten in vergleichbarer postoperativer Periode) und es gibt keine Langzeitergebnisse oder andere Messinstrumente, welche verglichen werden können. Im Folgenden werden die Messergebnisse der Jenaer Patienten nach dem dritten bis vierten postoperativen Monat (Gruppe A) mit denen von Klintberg et al. nach dem sechsten Monat dargestellt. Weiterhin erfolgt ein Vergleich des Outcomes der Teilnehmer im sechsten bis zwölften Monat (Gruppe B) nach der RM-Operation mit denen der schwedischen Studie nach dem zwölften Monat. In Abbildung neun und zehn sind die jeweiligen Bewegungsergebnisse abgebildet. Eine ausführliche Tabelle der einzelnen Ergebnisse aus der Bewegungsmessung und der Ermittlung des Constant Scores sind mit dem entsprechenden minimalen und maximalen Stichprobenwert im Anhang sechs auf Seite 79 dargestellt. 94 Vgl. Michael et al., Behandlung mittels motorisierter Bewegungsschiene nach RMR, 2005, S. 441 Tab. 5. 95 Vgl. Ellenbecker, Elmore, Bailie, Shoulder ROM and rotational Strenght following Rotator Cuff Repair, 2006, S. 330 Tab. 2. 56 Abbildung 9: Bewegungsmessergebnisse Jena und Klintberg et al. (3.-6.Monat) 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Studie Jena (3.-4. Monat) Studie Klintberg et al. traditionell (6. Monat) Studie Klintberg et al. progressiv (6. Monat) Vergleich der Bewegungsmessergebnisse zwischen der Jenaer Untersuchung und der Untersuchung von Klintberg et al. in der frühen postoperativen Phase (3.-4. bzw. 6. Monat), die Winkelwerte wurden in Grad gemessen Quelle: Eigene Darstellung Abbildung 10: Bewegungsmessergebnisse Jena und Klintberg et al. (6.-12.Monat) 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Studie Jena (6.-12. Monat) Studie Klintberg et al. traditionell (12. Monat) Studie Klintberg et al. progressiv (12. Monat) Vergleich der Bewegungsmessergebnisse zwischen der Jenaer Untersuchung und der Untersuchung von Klintberg et al. nach dem 6.-12. bzw. 12. postoperativen Monat, die Winkelwerte wurden in Grad gemessen Quelle: Eigene Darstellung Bei den Bewegungswerten in Elevation konnten im Median deutlich höheren Werte erzielt werden und auch das Minimum ist im Vergleich besser. In der Abduktion sind die Winkelgrade nach dem Jenaer Programm bezüglich des kleinsten erreichten Wertes höher als die nach dem traditionellen Vorgehen von Klintberg und ihren Mitarbeitern. Die Grade in Außenrotation bei adduziertem Arm liegen mit 46° (nach 3-4 Monaten) und 59° (nach 6-12 Monaten) über dem Mittel beider anderer Gruppen. Dieses Verhältnis dreht sich in etwa bei den Außenrotationswerten in Abduktion um. Der Minimal- und Maximalwert sind hier mit den Ergebnissen des 57 progressiven Konzeptes vergleichbar, der Median in der Studie von Klintberg et al. ist jedoch stets höher. Ein letztes Bewegungsausmaß, welche gemessen wurde ist der Winkelgrad in Innenrotation bei abduziertem Arm. Hier sind Werte der gegenwärtigen Untersuchung deutlich höher. Die Kraftwerte sind aufgrund des isokinetische Messverfahrens durch Klintberg et al. und der isometrischen Messung der durchgeführten Studie nicht vergleichbar. Im Weiteren kann aber der Constant Score, als einheitlicher Score mit standardisierten Fragen gegenüber gestellt werden. Bei Betrachtung des Constant Scores auf der Basis von 75 Punkten ist der minimal erzielte Punktwert zwischen den einzelnen Untersuchungsgruppen höher als bei der traditionellen Gruppe der schwedischen Studie. Der Maximalwert befindet sich in etwa auf gleichem Niveau. Jedoch liegt der Median stets unter dem Ergebnis von Klintberg et al., außer nach sechs Monaten in der progressiven Gruppe hier ist der mittlere Wert höher (Klintberg et al: 51 Punkte, Jena: 57 Punkte). Der Score nach Constant mit 100 Punkten ist in der gegenwärtigen Studie im Median geringer ausgeprägt, die Schwankungsbereiche sind jedoch ähnlich. In der gegenwärtigen Studie waren die Patienten im Median einerseits im dritten bzw. andererseits im 7,5 Monat nach der Operation (Klintberg et al.: 6. Monat und 12. Monat). Die Messwerte der Jenaer Patienten sind demzufolge deutlich früher genommen wurden. Beide Gruppen von Klintberg et al. enthalten je sieben Probanden, welche mit einem Altersdurchschnitt von 55 Jahren wesentlicher jünger sind als die vier Probanden der Gruppe A (63,5 Jahre) und die acht Teilnehmer der Gruppe B (63 Jahre). Unter Beachtung dieser Fakten deutet die Gegenüberstellung auf ein mild besseres Outcome der gegenwärtigen Studie hin, oder zumindest auf ein vergleichbares Ergebnis. An dieser Stelle muss aber weiterhin kritisch angemerkt werden, dass die Größe der Rupturen aufgrund nicht vorhandener Angaben über die Zentimeterausdehnung mit der von Klintberg et al. nicht in Beziehung gesetzt werden können. Jedoch ist das Rupturausmaß wesentlich für die Prognostik und die Steigerungsfähigkeit der Übungsintensitäten. Es gibt zu der gegenwärtigen Studie und zu den beiden eben genannten Studien keine Nachkontrolle des Heilungszustandes bzw. der spezifischen Gewebequalität der operierten Sehne. Es bleibt somit offen, ob die Sehnen tatsächlich geheilt sind und es deswegen zu diesen funktionellen Ergebnissen geführt hat oder ob die Sehnen rerupturiert sind und das Training ein entsprechendes Outcome bewirkte. 58 Für den Alltag des Patienten zählen aber letztendlich die Einsatzmöglichkeiten der operierten Schulter in jeglichen Bewegungsabläufen, welche für das tägliche Leben jedes Teilnehmers an sich notwendig sind. Da die Lebensqualität von dem subjektiven Empfinden des Klienten abhängig ist, sollte dessen Ziel und Einschätzung auch maßgeblich für Therapie und Outcomemessung sein. Lichtenberg et al. stellte bei der Rekonstruktion einer isolierten Supraspinatusruptur eine Rerupturrate von 24,5 % und eine deutlich höhere Gefahr für ältere Patienten (65,3 Jahre) fest. In den Untersuchungen wurde eine Korrelation zwischen der Kraft in Abduktion (und somit zum Constant Score) und der Reruptur festgestellt. Die Patienten mit einer eingeheilten Sehne wiesen einen signifikant besseren altersnormierten Constant Score auf. Der altersnormierte Wert lag zwei Jahre postoperativ im Mittel bei 86 %.96 In der Jenaer Studie lag in der Gruppe C und D ein Defizit von im Mittel 6,5 und einem Punkt zum Altersnormwert vor. 97 Beim alleinigen Betrachten des Durchschnittswertes des Constant Score, als Indiz für eine intakte Sehne, deutet dies auf eine Einheilung hin. Allerdings kann durch diesen Vergleich keine eindeutige Aussage über den lokalen Heilungszustand getroffen werden. Charousset et al. untersuchte die Sehnenintegrität mittels Computer Tomographie. Dabei war eine Reruptur bei 42 % der operierten Schultern auffällig. Eine höhere Defektrate bei älteren Patienten konnte nicht nachgewiesen werden. Vielmehr hängt nach Charousset et al. eine mangelnde Sehneneinheilung mit der Sehnenverankerung, dem Wundzug, der Sehnenqualität, der Sehnenretraktion, der fettigen Degenerationen und vor allem von der Qualität der Sehnenheilung ab.98 Diese Aussage verweist auf die Wichtigkeit Kenntnis über die Belastungsfähigkeit einer Sehne während des Heilungsprozesses zu haben, um den Einheilungsverlauf optimal unterstützen zu können. 96 Vgl. Lichtenberg et al., Sehnenheilung nach Supraspinatussehnennaht, 2006, S. 51,53 f. In der gegenwärtigen Studie ist nicht wie bei Lichtenberg et al. der altersnormierte Constant Score in Prozenten angegeben, sondern der Defizitwert ist in Punktwerten berechnet wurden. Bei der Umrechnung in Prozentwerte resultiert aus einem Defizit von 6,5 Punkten bei einem Normwert von 70 Punkten (für Frauen im Alter von 61-70 Jahren, niedrigste verwendete Normwert der Jenaer Studie) einen altersangepassten Constant Score von 90,7%. 98 Vgl. Charousset et al., Full-Thickness Rotator Cuff Tear, 2010, S. 302, 307. 97 59 10.4 Grenzen der Untersuchung und Methodenkritik Einschränkungen bezüglich der Aussagekraft der durchgeführten Untersuchung zur Evaluierung des Physiotherapieprogrammes der Jenaer Praxis liegen vor allem im Studiendesign begründet. Es ist eine Querschnittsstudie durchgeführt wurden, somit liegt von jedem Teilnehmer nur ein Messwert für die unterschiedlichen Parameter vor. Ein Vergleich prä- und postoperativ konnte nicht durchgeführt werden. Weiterhin sind alle Patienten nach dem gleichen Therapieschemata behandelt wurden, somit ist keine Vergleichsgruppe vorhanden. Die Zahl der untersuchten Klienten war insgesamt zu gering, dadurch haben Ausreißer einen starken Einfluss auf das Studienergebnis. Weiterhin konnten Beziehungen zwischen einzelnen Variablen nicht nachgewiesen werden, wobei als ursächlicher Grund hier die Stichprobengrößen vermutet wird. Eine Blindung der Patienten und des Untersuchers hinsichtlich des Zieles der Studie hat nicht stattgefunden. Zur Vermeidung von Verzerrungen kamen standardisierte Messprotokolle und Assessments zur Anwendung. Die Assessments (DASH-D, Constant Score) wurden aufgrund des Studiendesigns einmal erhoben. Ein Vorher-Nachher-Vergleich konnte somit nicht durchgeführt werden. Durch dieses Vorgehen konnten Testeffekte durch wiederholtes Anwenden ausgeschlossen werden. Der DASH-D als subjektives Assessment ist laut Westphal, Piatek und Winckler ein reliables Instrument, welches für interindividuelle Vergleiche geeignet ist. Jester, Harth und Germann bestätigen eine Vergleichbarkeit der innerhalb einer untersuchten Daten- bzw. Diagnosegruppe.99 Constant et al. verweisen bei der Benutzung des Constant Scores auf die exakte Einhaltung der Messbedingungen. Die Bewegungsmessungen sind alle in einem schmerzfreien Ausmaß zu dokumentieren, auch wenn mit leichtem Schmerz ein deutlich höheres Bewegungsausmaß hätte erreicht werden können. 100 Die Daten der gegenwärtigen Studie wurden entsprechend dieser Vorgaben erhoben. Auch milde Schmerzen wurden bei der Bewegungsmessung nicht zur Ergebnisbestimmung zugelassen, dies hat einen deutlichen Einfluss auf die gemachten Ergebnisse. Auch der Constant Score wurde bei jedem Patienten vom gleichen Untersucher bestimmt und somit kann eine Variabilität verursacht durch 99 Vgl. Westphal, Piatek, Winckler, Reliabilität und Veränderungssensitivität DASH-D, 2007, S. 551; ebenso Vgl. Jester, Harth, German, DASH-Erfahrungen, 2008, S. 383. 100 Vgl. Constant et al., Review of Constant Score, 2008, S. 355 f. 60 verschiedene Beobachter ausgeschlossen werden. Nach Constant et al. ist der Score das meist genutzte Schulterassessment, welches ein akzeptables und vor allem praktikables Instrument ist. Die Kraftmessung hat einen großen Einfluss auf das Testergebnis, wobei Messpositionen und Messbedingungen nicht genau festgelegt wurden. Eine Generierung von alters- und Geschlechtsspezifischen Normalwerten ist essentiell aber schwierig aufgrund von geografisch bedingten Populationsunterschieden. 101 In der gegenwärtigen Untersuchung wurde die Altersnormierung nach Constant et al. durchgeführt. Es gibt gegenwärtig eine Veröffentlichung von Tavakkolizadeh et al.102, welcher höhere Normwerte angibt, als Constant et al.. In der Studie von Tavakkolizadeh et al. waren allerdings nur 270 gesunde Probanden involviert. Die Bewegungsmessungen sind alle von einem erfahrenen Untersucher in standardisierten Messpositionen vorgenommen wurden, somit konnten Verzerrung der Ergebnisse durch verschiedene Beobachter vermieden werden. Das verwendete Inklinometer ermöglichte eine auf zwei Grad messgenaue Ablesung des Testergebnisses. Green et al. zeigt zuverlässige Ergebnisse für die Nutzung eines Plurimeter V Inklinometers. Die Intraklassenkorrelation für beispielweise die Außenrotation in Adduktion lag bei 0.93, für die Außenrotation in Abduktion bei 0.82 und für die Abduktionsmessung bei 0.75.103 Als weiteres Merkmal zur Bestimmung der Effizienz des Jenaer Therapieprogrammes ist die isometrische Maximalkraft ermittelt wurden. Die Messung isometrischer Kräfte wird von Hughes et al. für Patienten mit Defekten in der Rotatorenmanschette bevorzugt, da es für Probanden mit einer derartiger Verletzung schwierig ist ein gleichmäßiges isokinetisches Drehmomente zu erzeugen.104 Während der durchgeführten Untersuchung traten keinerlei Schmerzen bei den Teilnehmern auf, dies bestätigt die Wahl des Messverfahrens und vor allem der Messpositionen. Die verwendete Krafttestmethode mit den spezifisch gewählten Winkelpositionen wurde nicht hinsichtlich ihrer Reliabilität überprüft. Goepel untersuchte in seiner Doktorarbeit die Validität, Reproduzierbarkeit und Objektivität von Kraftmessungen, welche mit dem isometrischen Dynamometer der Firma DigiMax durchgeführt wurden. Seine Untersuchung zeigt durchweg gute und 101 Vgl. Constant et al., Review of Constant Score, 2008, S. 358 f. Vgl. Tavakkolizadeh et al., Gender-specific Constant score, 2009, S. 530, 531 Tab. 3. 103 Vgl. Green et al., Measurement of Shoulder ROM Inclinometer, 1998, S.43, 49 Tab. 3. 104 Vgl. Hughes et al., Isometric Shoulder Strength, 1999, S. 657. 102 61 zuverlässige Ergebnisse.105 Allerdings hat er die Messungen an anderen Gelenken und demzufolge auch in anderen Gelenkpositionen durchgeführt, somit sind die Untersuchungsergebnisse nicht übertragbar. Weiterhin hängen die erzeugten Maximalkraftwerte stark von der Motivation des jeweiligen Probanden ab, so auch in der gegenwärtigen Untersuchung. Faktoren, wie Alter, Geschlecht, Größe und Gewicht haben ebenso Einfluss auf die Kraftmessung. Eine Bestimmung von Größe und Gewicht und eine gesonderte Betrachtung nach dem jeweiligen Geschlecht haben nicht stattgefunden. Es wurde die Kraftdifferenz zwischen gesunder und operierter Seite bestimmt, wodurch Einflüsse aufgrund interindividueller Unterschiede weitgehend reduziert werden konnten. Hughes et al., bestätigen dieses Vorgehen insofern, dass sie keine deutlichen Unterschiede zwischen dominanter und nicht dominanter Schulterkraftmessung feststellten. Schulter bei der Ebenso fanden auch Kim isometrischen et al. keine signifikanten Unterschiede der Schulterkraft bezüglich der Handdominanz bei Männern.106 11. Fazit Das Behandlungsverfahren eines Patienten nach einer Ruptur einer oder mehrerer Sehnen der Rotatorenmanschette gibt immer wieder Anlass für Diskussionen. Die beste Operationstechnik liefert keine guten funktionellen Resultate, wenn die physiotherapeutische Intervention nicht optimal verläuft. Im rehabilitativen Bereich gibt es viele kontroverse Ansichten über den zeitlichen Ablauf und die spezifisch zu wählenden Maßnahmen. Entsprechende randomisierte und kontrollierte Studien über krankengymnastische Behandlungsgrundlagen sind wenig veröffentlicht wurden. Das Ziel der gegenwärtigen Bachelorarbeit war es die Faktoren, welche die Heilung einer operierten Sehne der RM beeinflussen ausfindig zu machen, ein Physiotherapieschema zu evaluieren und daraus Richtlinien für eine postoperative Behandlung zu erstellen. Diese Behandlungsgrundlagen sollen zu einer bestmöglichen Reintegration des Verletzten Gewebes führen bzw. ein optimales funktionelles Ergebnis für die Patienten ermöglichen. 105 Vgl. Goepel, Entwicklung, Überprüfung und Normierung eines Kraftmessverfahrens, 2002, S. 280. Vgl. Hughes et al., Isometric Shoulder Strength, 1999, S. 656; ebenso Vgl. Kim et al., Shoulder Strength, 2009, S. 295. 106 62 In der Literatur sind wenige Untersuchungen zu finden, welche sich mit den Einflussfaktoren auf ein heilendes Sehnengewebe am Menschen beschäftigt haben. Die gefunden Angaben sind meist unkonkret hinsichtlich der zeitlichen Angaben zur Belastungssteigerung und bezüglich der Intensität förderlicher einwirkender Reize. Es lässt sich somit keine umfassende und genaue Empfehlung für den Rehabilitationsprozess nach verletzter oder operierter Sehne geben. Lediglich folgende Hinweise, können gegeben werden: Die Steigerung der Übungsintensitäten ist an die Größe der Sehnenruptur und an die allgemeine Gewebequalität anzupassen. Die Phasen der Sehnenheilung sind als Orientierung zur Belastungssteigerung zu beachten. In der Entzündungsphase bis zum siebten bzw. bis zum zehnten Tag soll das Gewebe geschont werden. Im Stadium der Zellproliferation erfolgen dosierte Dehnungen unter anderem mit isometrischen Kontraktionen kurzer Dauer und passiven Bewegungsübungen. Der Übergang in assistive und aktive Bewegungsformen ist zur Ausprägung der Sehnenfestigkeit rasch zu wählen (evtl. anfänglich unter Verwendung eines kurzen Hebels). Jedoch sollen bis zur vierten postoperativen Woche die Belastungen der operierten Sehne gering gehalten werden. Insgesamt sind zum Muskel- und Sehnenaufbau zyklisch wiederholende Übungen durchzuführen, da diese den physiologischen Beanspruchungsbereich positiv beeinflussen. Die Ausdauerschulung ist der Kräftigung vorzuziehen. Insgesamt sollte auch die Erkenntnis, dass die Qualität des Sehnen-KnochenÜberganges besser ist mit niedrigerer Belastung im Hinterkopf behalten werden. Die erste Hypothese, dass eine zu frühe Belastung der operierten Sehne den Heilungsprozess verzögert bzw. sich schädlich auswirkt kann durch folgende Fakten bestätigt werden: Eine Verstärkung der Entzündungsreaktion durch mechanische Beanspruchung resultiert in schlechter Gewebequalität. Weiterhin führen große lokale Belastungen zur Ausprägung von Narbengewebe und sie verhindern die Sehnen-Knochen-Integration. Im zweiten Teil der Ausarbeitung ist das Interventionsprogramm einer Jenaer Praxis dargestellt und hinsichtlich seines Outcomes überprüft wurden. An dieser Querschnittsstudie nahmen 26 Patienten teil, welche innerhalb der letzten dreieinhalb Jahre eine Behandlung nach dem spezifischen Nachbehandlungsprogramm der Jenaer Praxis erhielten. 63 Es konnten durchweg gute funktionelle Resultate und eine hohe Patientenzufriedenheit nachgewiesen werden. Anfängliche Bewegungsdefizite mit einem maximalen Median von 42° (Außenrotation in Abduktion Gruppe A) konnten kontinuierlich gesenkt werden. Im Zeitraum von einem bis dreieinhalb Jahren postoperativ lagen die Bewegungsunterschiede der operierten zur nicht operierten Seite bei durchschnittlich fünf bis sechs Grad (Abduktion Gruppe C, Innenrotation Gruppe D). Ebenso senkten sich die Kraftunterschiede rasch auf ca. 30 Newton (Kraft in Flexion Gruppe B) und weniger ab. Der DASH-D als subjektives Assessment zeigte ein halbes Jahr nach Operation schon annähernd Normalwerte an. Ähnlich sind auch die Ergebnisse bezüglich des altersnormierten Constant Scores. Die Patienten konnten in der Regel nach drei Monaten wieder in ihr Berufsleben eingegliedert werden. Diese Studienergebnisse des Jenaer Rehabilitationsschemata bestätigen die zweite Hypothese. Es wurden gute funktioneller Ergebnisse nach diesem Behandlungsprogramm erreicht, sowie weiterhin eine schnelle Rückkehr zu den Aktivitäten des täglichen Lebens und in den Berufsalltag ermöglicht. Auch im Vergleich mit den Ergebnissen aus anderen Studien zur Wirksamkeit eines postoperativen Physiotherapieprogrammes sind ähnliche und teilweise bessere Ergebnisse erzielt wurden. Als unterscheidender Fakt zu den Studien von Klintberg et al. (progressives Schemata) und Ellenbecker, Elmore, Bailie ist festzustellen, dass die Jenaer Vorgehensweise insgesamt zwar ebenso progressiv gestaltet ist, aber die anfängliche Gewebeschonphase ausgedehnter eingehalten wird. Im Abgleich mit anderen physiotherapeutischen Interventionen lassen sich folgende Therapiegrundsätze ableiten: Im Mittelpunkt jedes Vorgehens sollten stabilisierende Techniken und Maßnahmen zur Schulung neuromuskulärer Kraftqualitäten stehen. Weiterhin ist für eine umfassende Intervention die manuelle Mobilisation des Schultergelenkes und aller korrelierenden Gelenke notwendig. Neben der Schulung der Rumpfaufrichtung ist einer Förderung der Kraftausdauerqualitäten, vor allem der Muskeln der Rotatorenmanschette und der Schultergürtelmuskulatur, therapierelevant. Aufgrund der Evaluation der Interventionsprogramme von Klintberg et al., Ellenbecker, Elmore, Bailie und des Jenaer Schemata ist ein Beginn mit assistiven Übungen ab der dritten postoperativen Woche empfehlenswert. Der Übergang zu 64 aktiven Bewegungen kann in der fünften bis sechsten Woche initiiert werden und ab der zehnten Woche ist ein Kräftigungsprogramm unter der Prämisse der Kraftausdauerschulung zu beginnen. Bei jedem Vorgehen sind allerdings die individuellen Voraussetzungen des jeweiligen Patienten zu beachten. Ebenso wie bei Klintberg et al. und Ellenbecker, Elmore und Bailie ist auch bei der Analyse des Jenaer Outcomes keine Nachkontrolle bezüglich des Einheilungszustandes und der Integrität der Sehne gemacht wurden. Somit ist die Frage, ob durch diese Behandlungsprogramme ein optimaler Sehnenheilungsverlauf gewährleistet ist nicht restlos geklärt. Im nächsten Schritt müsste eine prospektive Langzeitstudie des Behandlungsprogrammes mit einer wesentlich größeren Patientenzahl durchgeführt werden. Weiterhin sollte dann auch eine Überprüfung der postoperativen Sehnenintegrität stattfinden. Ebenso ist das Kraftmessverfahren hinsichtlich seiner Testgütekriterien zu überprüfen. 65 12. Anhangverzeichnis Anhang 1: Behandlungsplan nach Rotatorenmanschettenrefixation 65 Anhang 2: Patientenaufklärungsbogen und Einwilligungserklärung 67 Anhang 3: Disabilities of Arm, Shoulder and Hand (DASH-D) 70 Anhang 4: Constant and Murley Score 73 Anhang 5: Studienergebnisse des physiotherapeutischen Interventionsschemata der Jenaer Praxis 78 Vergleich der Studienergebnisse von Klinberg et al. mit der Jenaer Praxis 79 Anhang 6: 66 13. Anhang Anhang 1: Behandlungsplan nach Rotatorenmanschettenrefixation Ruhigstellung im Gilchristverband 21 Tage Tag und Nacht, sowie weitere 21 Tage nur in der Nacht. Zeit 2./3. post-OP 2. Woche post-OP 3.-6. Woche postOP (ab Ende 4. Woche) ab 6. Woche Maßnahmen - Patientenaufklärung über Verhaltensmaßregeln - Einweisung Hausübungen (3x tgl.: Armpendeln, EG-FLEX, Isometrie im SG in AR/IR) - Lymphdrainage - PNF-Armpattern nicht betroffene Seite (EXT/ABD/IR) - globale Mobilisation HWS, CTÜ - Relaxation der Muskulatur (z. B. M. trapezius, M. levator scapulae, Mm. pectorales) - PNF-Pattern betroffene Seite nur EG+HG - Isometrie im SG, vorzugsweise in AR, IR, ABD - Hausübungen s. o. - PNF-Armpattern nicht betroffene Seite (EXT/ABD/IR) - Relaxation Muskulatur, Triggerpunktbehandlung der periscapulären Muskulatur - Gleiten der Neuralstrukturen - Scapulapattern betroffene Seite mit Betonung posteriore Depression (Rhythmic initiation) - Isometrie im SG, vorzugsweise in AR, IR, ABD - achsen- und ebenengerechte assistive Bewegung des SG in ABD, FLEX bis max. 90°, AR bis Nullstellung - PNF-Armpattern in 90° Flexionsstellung der SG (Rhythmic stabilisation, unter Approximation und Rotationsbetonung mit dezentem Wiederstand) - Hausübungen: Bewegung EG+HG, Isometrie im SG in AR+IR, Flexionsübung mit Stab - Freigabe der Bewegung, Steigerung der Belastbarkeit - Scapuapattern - manuelle Mobilisation Caput humeri in Translation nach caudal und dorsal - manuelle Mobilisation Art. acromiocalviculare, HWS, CTÜ - manuelle angular Mobilisation des Art. humeri unter Scapulafixation in FLEX, ABD, sowie PIR dieser Bewegungsrichtungen und für AR - PNF-Armpattern in 90° ABD und 90° FLEX (Stabilizing Reversal), sowie in FLEX/ABD/AR (Dynamic reversal, Hold Relax, Combination of Isotonics) - Hausübungen: achsengerechte Bewegung des SG mit Theraband in AR, IR, ABD bis 90°, Mobilisationsübungen mit Stab in FLEX und ABD 67 ab 10. Woche - Intensivierung der Maßnahmen und Steigerung der Übungsintensitäten -stabilisierende Techniken unter Belastung (Wandstütz, Vierfüßlerstand) - Übungen mit Propriomed aus verschiedenen AGST EG-Ellenbogengelenk, FLEX-Flexion, AR-Außenrotation, IR-Innenrotation, EXT-Extension, ABDAbduktion, PNF-Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation, HWS-Halswirbelsäule, CTÜcervicothorakaler Übergang, HG-Handgelenk, SG-Schultergelenk, PIR-postisometrische Relaxation, AGST-Ausgangsstellungen Quelle: Eigene Darstellung 68 Anhang 2: Patientenaufklärungsbogen und Einwilligungserklärung 69 70 Quelle: Eigene Darstellung 71 Anhang 3: Disabilities of Arm, Shoulder and Hand (DASH-D) 72 73 Quelle: Work & Health Institute, DASH, 2002. 74 Anhang 4: Constant and Murley Score 75 76 77 78 Quelle: Kupsch, Kessler, Imhoff, Constant und Murley Score, o. J. 79 Anhang 5: Studienergebnisse des physiotherapeutischen Interventionsschemata der Jenaer Praxis Gruppe A (n = 4) Gruppe B (n = 8) Gruppe C (n = 6) Gruppe D (n = 8) 23 10 2 4 (8 - 34) (0 - 32) (-2 – 48*) (-14 - 16) 25 9 5 3 (4 - 66) (2 – 40*) (-2 – 30*) (-4 - 12) 42 24 3 2 (-2 - 70) (5 - 48) (-8 - 32) (-4 - 52) 18 12 4 4 (-10 - 48) (-4 - 28) (-10 - 26) (-4 - 30) 18 0 2 6 (6 - 24) (-4 – 32*) (0- 24*) (-2 - 14) Bewegung (in Grad) Elevation Abduktion Außenrotation in Abduktion Außenrotation in Adduktion Innenrotation in Abduktion Kraft (in Newton) Flexion Abduktion Außenrotation Innenrotation 72, 31 31,45 21, 26 4,04 (31,53 - 224,09) (-21,96 - 82,48) (0,71* - 39,58*) (-19,72 - 56,56) 66,41 6,42 -6,23 16,50 (31,81 - 209,95) (-35,27 - 54,43) (-12,82 - 18,83) (-56,92 - 46,00) 30,62 24,31 13,80 16,31 (12,09 - 85,39) (-17,10* - 78,62*) (-46,39* - 23,66) (-23,93 - 69,27) 39,17 3,71 13,99 24,77 (13,27 - 167,11) (-37,19 - 82,93) (-37,78* - 26,78) (5,40 - 93,44*) 57 63,5 67 71,5 (38 - 70) (57 - 73) (45 - 75) (68 - 75) 58 72 73,5 82 (42 - 74) (61 - 90) (51 - 95) (78 -94) 13,5 8,5 6,5 1 (-4 - 50) (-7* - 23*) (-12 -19) (-11 - 12) 28,33 15,83 14,16 6,67 Constant Score 75 Punkte 100 Punkte altersnormiert DASH-D (3,33 - 41,66) (0 - 35,83) (0 - 50,83*) (0 - 39,61) Die Medianwerte sind fett geschrieben dargestellt. In den Klammern sind jeweils erst der minimale und dann der maximale Stichprobenwert dargestellt. *Ausreißer Quelle: Eigene Darstellung 80 Anhang 6: Vergleich der Studienergebnisse von Klinberg et al. mit der Jenaer Praxis Studie Jena Studie Klintberg et al. traditionell progressiv Elevation nach 3-4 Monaten Minimum Median Maximum 146 152 160 nach 6-12 Monaten Minimum Median Maximum Abduktion 148 162 180 nach 3-4 Monaten Minimum Median Maximum 104 136 156 nach 6-12 Monaten Minimum Median Maximum Außenrotation in Add 122 151 178 nach 3-4 Monaten Minimum Median Maximum 20 46 66 nach 6-12 Monaten Minimum Median Maximum Außenrotation in Abd 22 59 78 nach 3-4 Monaten Minimum Median Maximum 28 40 70 nach 6-12 Monaten Minimum Median Maximum Innenrotation in Abd 48 64 86 nach 3-4 Monaten Minimum Median Maximum 44 59 70 nach 6-12 Monaten Minimum Median Maximum 38 62 84 nach 6 Monaten 60 140 165 nach 12 Monaten 110 150 175 nach 6 Monaten 50 170 180 nach 12 Monaten 100 175 180 nach 6 Monaten 20 30 60 nach 12 Monaten 20 45 60 nach 6 Monaten 40 70 100 nach 12 Monaten 40 90 100 nach 6 Monaten 30 40 55 nach 12 Monaten 40 45 70 110 140 165 135 150 165 130 163 175 140 170 180 30 43 60 30 40 55 25 65 100 15 70 90 25 48 75 35 50 70 81 Studie Jena Studie Klintberg et al. traditionell progressiv Constant Score 75 Punkte nach 3-4 Monaten nach 6 Monaten Minimum 38 21 43 57 67 51 Median Maximum 70 74 70 nach 6-12 Monaten nach 12 Monaten Minimum 57 45 57 63,5 71 69 Median Maximum 73 75 75 Constant Score 100 Punkte nach 3-4 Monaten nach 6 Monaten Minimum 42 21 50 58 76 60 Median Maximum 74 86 84 nach 6-12 Monaten nach 12 Monaten Minimum 61 48 67 72 78 80 Median Maximum 90 93 97 Quelle: Eigene Darstellung mit Werten aus: Klintberg et al., Physiotherapy treatment rotator cuff repair, 2009, S. 630. 82 14. Darstellungsverzeichnis Abbildung 1: Phasen der Abduktion........................................................................ 12 Abbildung 2: Stabilisierung und Rezentrierung im Glenohumeralgelenk ................. 13 Abbildung 3: Zusammenspiel der Kräfte des M. deltoideus .................................... 16 Abbildung 4: Spannungs-Dehnungskurve der Sehne ............................................. 19 Abbildung 5: Messpositionen für die Ermittlung der Bewegungsgrade.................... 40 Abbildung 6: Bewegungsdifferenz der Abduktion.................................................... 44 Abbildung 7: Kraftdifferenz in Außenrotation .......................................................... 45 Abbildung 8: Altersnormierter Constant Score ........................................................ 46 Abbildung 9: Bewegungsmessergebnisse Jena und Klintberg et al. (3.-6.Monat) ... 56 Abbildung 10: Bewegungsmessergebnisse Jena und Klintberg et al. (6.-12.Monat)56 Tabelle 1: Gruppenmerkmale ................................................................................. 43 Tabelle 2: Studienergebnisse des Jenaer Interventionsplanes ............................... 43 83 15. Literatur- und Quellenverzeichnis Abboud, Joseph; Soslowsky, Louis (Anterior glenohumeral Instability, 2002): Interplay of the Static and Dynamic Restraints in Glenohumeral Instability, in: Clinical Orthopaedics and related Research Jg. 400, 2002, S. 48-57. Ainsworth, Roberta (Physiotherapy rehabilitation irreparable rotator cuff tear, 2006): Physiotherapy rehabilitation in patients with massive, irreparable rotator cuff tears, in: Musculoskeletal Care, Jg. 4, Nr. 3, 2006, S. 140–151. Andrews, Williams; Thomas, Michael; Bohannon, Richard (Isometric Muscle Force Measurements, 1996): Normative Values for Isometric Muscle Force Measurements Obtained With Hand-held Dynamometers, in: Physical Therapy, Jg. 76, Nr. 3, 1996, S. 248–259. 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