Kulturen müssen vermischt werden!

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Kulturen müssen vermischt werden!
PRESSE MACHT SCHULE
6
Montag, 16. Juni 2008
Lernen und
Verantwortung
übernehmen
Eine erfolgreiche
Integrationsgeschichte.
VON AZAD ACIKBAS
UND DOMINIK SCHATZ
Mustafa O. war vor 26 Jahren der
einzige Muslim unter 1200 Schülern und Schülerinnen, als er im
Alter von zehn Jahren an ein
Innsbrucker Gymnasium kam.
Sein Vater war, wie viele damalige
Migranten, als Gastarbeiter angeworben worden und deshalb mit
der Familie nach Österreich gezogen. Heute hat Mustafa O. eine
florierende kleine Kette von Lebensmittelsupermärkten. Damit
hat er für sich und seine Familie
eine Existenz geschaffen – eine
Verantwortung, derer er sich
schon in der Schule bewusst war.
So kann Integration funktionieren: Gemeinsam Abenteuer zu erleben, aber auch von- und miteinander zu lernen führt zu besserem Zusammenhalt.
„Kulturen müssen vermischt werden!“
WIR-GEFÜHL. Buddys, Streitschlichter, gemeinsame Abenteuer – das ist ein Anfang.
VON DANIEL KRAKER
UND MARTIN WOLF
Die Schule als Chance
Sein Bildungsweg war eine wichtige Voraussetzung für seinen Erfolg, und zum Thema Integration
in der Schule hat er natürlich
eine Menge zu sagen. „So wie
zum Streiten mehr als eine Person gehört, gehören auch zur Integration mehr als eine Person.
Die eine Person muss sich integrieren wollen, und die andere
offen für andere Kulturen sein
und auch ohne Vorurteile dem
anderen helfen“, meint er.
Der Schlüssel zu erfolgreicher
Integration sieht O. in der Sprache. Da kann in der Schule durch
entsprechende Förderung viel
getan werden – aber da geschieht
bei Weitem noch nicht genug.
Auch fände es O. gut, wenn es
mehr Lehrer mit migrantischer
Herkunft gäbe. Allerdings sollte
es seiner Einschätzung nach
nicht mehr als ein Sechstel Migrantenkinder in einer Schulklasse geben, damit es nicht zu Lagerbildungen kommt.
[ S. Riedler, P. Fally ]
K
ulturen müssen vermischt
werden“, sagt Mohammed
Fahad, Betreiber eines Jugendlokals in Innsbruck. Sein Ziel
war es, mit seinem Lokal die verschiedenen Kulturen zusammenzuführen, und das Zusammensein
von „Einheimischen“ und „Ausländern“ funktioniert dort einwandfrei.
Bei uns in der Schule gibt es
Klassen, in denen die muslimischen Schüler so gut integriert
sind, dass sie gar nicht auffallen.
Auch der Direktor sieht in den
Muslimen keine Problemgruppe.
Allerdings muss man bedenken,
dass es nur wenige Muslime bei
uns gibt. Daher sind die Rahmenbedingungen gut, noch dazu, weil
die meisten der Muslime schon
der zweiten Generation in Österreich angehören.
Das heißt aber nicht, dass es
keine Probleme gibt.
Die muslimischen Schüler haben untereinander einen sehr
starken Zusammenhalt. Man sieht
sie immer beieinander stehen.
Beim Buffet, im Hof und vor dem
Eingang. Sie bleiben unter sich,
kein anderer stellt sich dazu. Man
hat das Gefühl, man ist nicht erwünscht. Das wird dadurch verstärkt, dass die Muslime untereinander Türkisch sprechen. Dieses
Verhalten zeigt kein großes Interesse an Integration.
Wenn die Muslime aber einzeln
unterwegs sind, mischen sie sich
unter die Leute, bemühen sich
nicht aufzufallen, sprechen natürlich Deutsch, sind aufgeschlossener und wirken viel sympathischer.
Sonst kommt der große Bruder
Muslimische
Schüler
haben
grundsätzlich ein anderes Freizeitverhalten. Sie gehen in andere Lokale, trinken keinen Alkohol und
gehen auch mit Mädchen anders
um. Das macht ein Miteinander
oft schwierig.
Wenn die Kleinen mit zehn Jahren an unsere Schule kommen,
sind kulturelle Unterschiede noch
nicht sehr ausgeprägt – abgesehen
davon, dass jeder weiß, man darf
muslimische Mädchen nicht ärgern, sonst holen sie ihre großen
Brüder, und das kann schlimm
werden. Im Lauf der Zeit verstärken sich jedoch die Differenzen.
Allerdings liegt darin auch die
Chance gegenzusteuern, z. B.
gleich am Anfang den kleinen
Mädchen beizubringen, dass sie
ihre Probleme selber lösen können.
Wie das geht, vermitteln den
Kindern sogenannte „Buddys“,
das sind ältere Schülerinnen und
Schüler, die sie betreuen und ihnen bei ihren Schwierigkeiten helfen. Außerdem gibt es bei uns das
sogenannte „Soziale Lernen“, bei
manchen Schülern zwar gar nicht
beliebt, wenn man schon wieder
über die Klassengemeinschaft reden muss und gemeinschaftsfördernde Spiele spielt, und das am
Nachmittag, in der Freizeit. Aber
die Mehrheit der Schüler ist überzeugt, dass das über Jahre hinweg
sehr viel bringt.
Wenn es doch einmal zu gröberen Konflikten kommt, vor allem
zwischen Schülern aus verschiedenen Klassen, haben wir noch
Mediatoren – speziell als Streitschlichter ausgebildete Schülerinnen und Schüler.
In unserer Klasse ist eine Methode zu Förderung der Integration besonders beliebt: gemeinsam wegfahren und etwas miteinander unternehmen. Natürlich
kann man auch im Unterricht in
den einzelnen Fächern sehr viel
lernen, für dieses Projekt etwa
über den Einfluss der muslimischen Kultur auf die Entwicklung
des Abendlandes oder die Bedeutung der Türkei für die EU. Wenn
man weg ist von zu Hause, aus
dem Alltag, lernt man den anderen auch ganz anders kennen.
Unsere Befragungen (Interviews
von Klassenvorständen, Fragebögen an alle Klassen) zeigen noch
eine andere Seite: Viele unserer
Muslime schätzen sich zwar als integriert, aber klar benachteiligt
ein. Das heißt, wir sind noch meilenweit von tatsächlicher Akzeptanz und Chancengleichheit entfernt. Wir stehen erst am Anfang.
MEINUNG
zitiert
FLORIAN MEISCHL
UND PAUL FALLY
„Ich sitze neben einem
islamischen Jungen und kann ihn
supergut leiden, er ist mein
Freund. Er ist gar nicht anders
als andere.“
Lehrerinnen
ohne Autorität?
Martin, 11 Jahre
I
ch lasse mir von Ihnen
nichts sagen“, meint ein
muslimischer Schüler zu seiner
Lehrerin. Sie versucht, höflich
ihren Schüler umzustimmen,
dieser zeigt sich aber unbeeindruckt. Mit diesem Problem
müssen weibliche Lehrpersonen zurechtkommen, da manche männliche Muslime Frauen
nicht als Autorität anerkennen.
Ein solches Verhalten mag verständlich sein, weil es auf eine
andere Kultur und eine andere
Einstellung zu Frauen zurückzuführen ist. Aber was tun?
In der Schule sind die Burschen bei uns überwiegend mit
weiblichen Lehrpersonen konfrontiert. Die Lösung kann nur
sein, dass die Schule als Ganzes,
also Lehrerinnen und Lehrer
gemeinsam mit der Direktion,
den Schülern den nötigen Respekt gegenüber weiblichen
Lehrpersonen beibringt. Damit
lernen sie gleichzeitig einen anderen Umgang mit Frauen und
Mädchen insgesamt, was für
ein Leben in Österreich auf jeden Fall nötig ist. Außerdem
kann auch der eine oder andere
nichtmuslimische Macho in so
einer Schulkultur etwas lernen.
Diese Seite wurde von der 6e
des Reithmann-Gymnasiums
in Innsbruck gestaltet. Endredaktion: Azad Acikbas, Caglar
Calayir, Mustafa Duran.
Kopftuch und Integration – vereinbar?
„Viele Leute glauben, dass
muslimische Kinder aus der
Türkei kommen. Aber manche
sind so wie ich in Österreich
geboren und aufgewachsen. Mein
Papa ist Muslim, meine Mama ist
Christin. Ich finde das toll!“
Muslima in Innsbruck – und ihre Bemühungen um Akzeptanz.
Kemal, 11 Jahre
vorsieht. Auch können sie hier
einen Beruf ihrer Wahl ausüben.
Doch vor allem sehen es die Mädchen als Vorteil, dass sie in Österreich in Sicherheit und Freiheit leben können, und dass es ihnen
wirtschaftlich besser geht. Trotzdem möchten sie den Kontakt zu
ihrem Heimatland nicht missen.
Für Muslima hat die Familie einen
sehr hohen Stellenwert, der Zusammenhalt untereinander ist viel
größer, als wir es kennen.
„Manche Kinder können Muslime
nicht gut leiden. Wenn ein paar
streiten, kann es zu
Beschimpfungen kommen. Zum
Beispiel: „Verschwinde, du
blöder Türke!“ Die Türken
schimpfen auf Türkisch zurück,
zum Beispiel: „Esek!“
(bedeutet Esel) oder
„Inek“ (bedeutet Kuh).
Aber eigentlich wollen wir,
dass alle gut miteinander
auskommen.“
VON LIA THALER
UND SANDRA AUSSERLECHNER
Keiner will es wahrnehmen, trotzdem geschieht es jeden Tag: Muslimische Mädchen werden missachtet und gemobbt. Es gibt sogar
dramatische Übergriffe. An einer
Innsbrucker Busstation wurden
eine 15-Jährige und ihre Schwester bedroht. Zwei ältere Mädchen
beschimpften sie als Asoziale und
zogen ein Messer hervor. Nur
durch Glück kamen die beiden
Schwestern ohne Verletzungen
davon. Solche Vorfälle sind gar
nicht so selten. Denn oft stoßen
das andere Aussehen und die andere Kultur auf Inakzeptanz und
lösen Aggression aus.
An unserer Schule ist die Situation nicht so schlimm. Die meisten muslimischen Mädchen werden als „Österreicherinnen“ angesehen. Viele leben schon seit ihrer
Geburt hier und möchten ihr Leben in Österreich verbringen. In
Österreich können sie sich eine
Zukunft aufbauen, die nicht unbedingt einen Mann an ihrer Seite
Ein Teil der Kultur
Für die Familie ist es sehr wichtig,
dass die Mädchen ihren Ruf und
den ihrer Familie nicht schädigen.
Sie dürfen sich nicht zu oft in der
Öffentlichkeit sehen lassen, vor allem nicht mit Männern. Außerdem müssen sie unauffällige Kleidung tragen und oftmals auch ein
Kopftuch.
Doch es gibt auch Eltern, die
ihre Töchter unabhängig von den
strengen religiösen Regeln erziehen und es ihnen ermöglichen,
ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen. Trotzdem ent-
scheiden sich manche dieser Mädchen bewusst für das Kopftuch.
Der Hintergrund dafür, dass sie
das Kopftuch tragen, ist, dass die
Mädchen stolz auf ihr Heimatland
und auf den Islam sind.
Doch genau dies macht es ihnen andererseits schwer, sich zu
integrieren und von anderen aufgenommen zu werden. Auch werden sie oftmals wegen ihres anderen
Erscheinungsbildes als
fremd wahrgenommen.
Ein weiterer [ Martin, 11 Jahre ]
Nachteil ist, dass das Kopftuch
hinderlich ist, wie z. B. beim Sport
oder bei einer anderen Tätigkeit,
und die Mädchen können nicht so
gut mit den anderen mitmachen.
In der Schule geht es ganz besonders darum, die muslimischen
Mädchen zu respektieren. Was
zählt, ist die Person und nicht das
Äußere. Ihre Kultur hat gerade
zum Thema Frau, Mann und Familie viel zu bieten, über das es
sich lohnt nachzudenken.
Bedran, 11, und Dario, 10
„Meine Freundin und ich waren
unzertrennlich, aber seit einem
Jahr muss sie ein Kopftuch
tragen. Sie kommt nicht mehr
hinaus zum Spielen, sie darf
auch nicht mehr zum TaekwondoKurs gehen. Ich finde das
schlimm, weil sie keine Freunde
mehr hat, und ich bin traurig, weil
wir nicht mehr spielen können.“
Berfin, 10 Jahre