Bilaterale Verträge: Gegenseitige Anerkennung der Diplome
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Bilaterale Verträge: Gegenseitige Anerkennung der Diplome
Bilaterale Verträge: Gegenseitige Anerkennung der Diplome Rudolf Natsch Die Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung der Diplome ist Teil der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Sie ist zentral für die Umsetzung des Prinzips des freien Personenverkehrs. Bezüglich der gegenseitigen Anerkennung der Diplome und anderer beruflicher Titel räumen die bilateralen Verträge der Schweiz den Status eines Mitgliedlandes ein. Die von ihr attestierten Qualifikationen erlangen damit Gültigkeit im grössten zusammenhängenden Arbeitsmarkt. Dies bedingt aber, dass auch die Schweiz sich öffnet und in gewissen bisher geschützten Gärten ausländische Konkurrenten akzeptiert. Grundsätzliches Grundsätzlich herrscht in der EU Gewerbefreiheit. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist somit nicht an formelle Qualifikationen gebunden. Insofern gilt die gleiche Philosophie wie in der Schweiz: Die überwiegende Zahl von Berufen setzt keinen Fähigkeitsausweis voraus. Eidgenössische Fähigkeitszeugnisse, Meisterdiplome, akademische Grade usw. bescheinigen Qualifikationen, sind aber nicht Voraussetzung für eine entsprechende Berufsausübung. Wer ein Gewerbe ohne einschlägige Ausbildung betreiben will, kann dies tun. In einigen gesetzlich bezeichneten Berufen oder Berufsfeldern wird jedoch eine formelle Qualifikation vorausgesetzt. Dies gilt zum Beispiel für die Medizinalberufe, Kaminfeger, Skilehrerinnen, Anwälte, Bergführerinnen und Elektro- und Sanitärinstallateure. Es handelt sich dabei um Tätigkeiten, deren unsachgemässe Ausübung mit einer erhöhten potenziellen Gefährdung für die Ausübenden, die Kunden und Dritte verbunden ist. In der Schweiz bezeichnen wir diese gemeinhin als konzessionierte Berufe. Die Konzession kann nicht verweigert werden, wenn die einschlägige Ausbildung nachgewiesen wird. Art und Umfang konzessionierter Berufe variieren teils von Kanton zu Kanton. Bundesrechtlich vorgegeben sind nur die akademischen Medizinalberufe. «Reglementierte Berufe» im Sinne des EU-Rechts In der EU-Terminologie werden konzessionierte Berufe als «reglementierte Berufe» bezeichnet. Rechtslage und Normendichte sind auch zwischen den EU-Staaten sehr unterschiedlich. Grundsätzlich behält jeder Staat seine Regelungskompetenz. Das EU-Recht auferlegt ihm im Wesentlichen nur die Gleichbehandlung aller EU-Bürger und -Bügerinnen. Ist ein Beruf in einem EU-Land reglementiert und in einem andern nicht, so sind Personen aus diesem andern Land trotzdem zur Berufsausübung zuzulassen, wenn sie eine einschlägige Ausbildung vorweisen. Auch wenn in jedem Einzelfall objektive Gründe für die Reglementierung eines Berufes sprechen, so hat diese doch auch in einem gewissen Ausmass protektionistischen Charakter. Das Qualifikationserfordernis kann zum Ausschluss unerwünschter Konkurrenz missbraucht werden. Wenn der Vorbehalt der Nationalität EUrechtlich wegbedungen wird, kann die Versuchung bestehen, Zuzüger und Zuzügerinnen wenigstens unter dem Vorwand ungenügender fachlicher Qualifikation vom Markt fernzuhalten. Die Analogie zu den sogenannten nicht tarifarischen Handelshemmnissen im Warenverkehr ist augenfällig. Abwägung zwischen Freiheit und Ordnung Um solche unerwünschten dem Grundsatz des freien Personenverkehrs zuwiderlaufenden Praktiken zu verhindern, formuliert die EU relativ summarische Rahmenbedingungen, innerhalb derer die in einem Mitgliedstaat erworbene Qualifikation in einem andern nicht in Frage gestellt werden darf. Sie bedient sich dazu des Instruments der Allgemeinen und der Speziellen Richtlinien. Danach wird im Wesentlichen die minimale Dauer einer Ausbildung reglementiert, nicht aber deren Inhalte im Einzelnen. So sind grundsätzlich die Diplome aller Hochschulstudien von mindestens dreijähriger Dauer EUweit als gleichwertig anzuerkennen. Damit sind unsere schweizerischen Universitäts- und Fachhochschulstudien abgedeckt (Allgemeine Richtlinie Nr.1). Die Allgemeine Richtlinie Nr. 2 trägt der Tatsache Rechnung, dass einzelne höhere Ausbildungen von kürzerer Dauer sind. Sie gewährleistet auch den Absolventen solcher Ausbildungen Freizügigkeit (z. B.Techniker/ Technikerinnen TS, Absolventen/Absolventinnen gewisser Berufs- und Meisterprüfungen). Bestehen objektive Gründe dafür, dass der Aufnahmestaat spezifische Qualifikationen voraussetzt, um eine Berufsausübung zu bewilligen (z. B. Kenntnis des Landesrechts für Anwälte und Anwältinnen oder der nationalen Hausinstallations-Vorschriften für Elektriker und Elektrikerinnen), so kann er den Zuziehenden eine entsprechende Prüfung oder einen Ergänzungslehrgang (in der Regel in Form eines Praktikums während angemessener Dauer) aufer- Rudolf Natsch legen. Diese Auflagen dürfen aber nur mit grosser Zurückhaltung formuliert werden und unter keinen Umständen als Instrument der Marktlenkung dienen. Idee und Wirklichkeit Die Realität holt allerdings die hehren Grundsätze in jenen Kategorien ein, die – fast überall – einen besonderen reglementarischen Schutz geniessen, wie Medizinalpersonen, Anwälte und Anwältinnen, Architekten und Architektinnen. Hier bestehen sogenannte Besondere Richtlinien mit spezifischen Anforderungen bezüglich Ausbil- Der Autor ist Vizedirektor des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT) und zuständig für internationale Angelegenheiten im Berufsbildungsbereich. Adresse: Effingerstrasse 27, 3003 Bern, E-Mail: Rudolf. Natsch@bbt. admin.ch. 3/99 PANORAMA 19 dungsdauer und -inhalt. Während bei den Anwälten und Anwältinnen wenigstens der Trend in Richtung Liberalisierung geht, besteht noch ausgesprochenes Standes- oder Heimatschutzdenken bei Ärzten und Ärztinnen sowie bei Architektinnen und Architekten. Dies hat sogar dazu geführt, dass die EU auf Drängen einiger nationaler Standesorganisationen «akademischer» Architekten und Architektinnen kurz vor Unterzeichnung der bilateralen Verträge von der Anerkennung schweizerischer Fachhochschularchitekten und -architektinnen abrückte. Die Schweiz ist nicht bereit, diese Diskriminierung zu akzeptieren. Im Zuge der Vertragsanwendung ist sie zu beseitigen. Im Rahmen der Verhandlungen konnte es nicht darum gehen, die Normen der EU zu diskutieren oder gar anzupassen. Die Schweiz hat realistischerweise den «Acquis communautaire» bezüglich Diplomanerkennung F Accord bilatéral: reconnaissance réciproque des diplômes L’accord sur la reconnaissance réciproque des diplômes est une partie des accords bilatérales entre la Suisse et l’Union européenne. Elle est centrale pour la concrétisation du principe de la libre circulation des personnes. Alors que la plupart des professions doivent pouvoir être exercées sans formalités, une qualification particulière est exigée pour d’autres. Ces professions «concessionnées» (CH) ou «réglementées» (UE) se signalent par le fait qu’elles peuvent menacer dans une grave mesure les hommes ou les biens en cas d’exercice inapproprié (par ex. médecins, ramoneurs, etc.). Les exigences de ces professions en termes de qualifications peuvent toutefois être détournées pour s’assurer un état insatisfaisant de concurrence. Pour l’éviter, il existe dans l’UE un instrument de Directives générales et spéciales. Les Directives générales réglementent dans les faits la durée minimale de la formation, mais pas ses contenus détaillés. C’est ainsi par ex. que les diplômes de toutes les formations universitaires d’une durée de trois ans au moins sont reconnus comme équiva20 P A N O R A M A 3/99 akzeptiert und damit ausgehandelt, dass unser Land bezüglich seiner Titel und Diplome künftig gleich behandelt wird wie alle EU-Mitgliedstaaten. Damit sind entscheidende Hürden für Auslandeinsätze unserer Berufsleute beseitigt. Anderseits öffnen wir unsern Arbeitsmarkt zu gleichen Bedingungen qualifizierten Interessenten aus der EU. Es steht zu erwarten, dass die Umsetzung der Vereinbarung aus verschiedenen Gründen nicht reibungslos verlaufen wird. Die Entscheide des Europäischen Gerichtshofs stützen zwar die ungehinderte Freizügigkeit klipp und klar. Benachteiligte scheuen aber oft den langwierigen Rechtsweg und versuchen stattdessen, sich auf eigene Faust anderweitig auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren. Die mit der Umsetzung betrauten regionalen und lokalen Behörden sind möglicherweise mangelhaft informiert, was den vielerorts starken protektionistischen Tendenzen entgegenkommt. lents au niveau de l’UE. Les Directives spéciales réglementent les catégories de formations qui jouissent d’une protection particulière (personnel médical, avocats, architectes, etc.). En plus de la durée de formation, ces directives fixent également les exigences en termes de contenus. Avec la signature des accords bilatéraux, ces règles s’appliqueront également en Suisse, ainsi qu’aux Suissesses et Suisses. On peut s’attendre à ce que la concrétisation des bilatérales ne se passent pas sans difficultés, parce que les autorités responsables n’ont pour une part qu’une information lacunaire et qu’il existe partout des tendances protectionnistes fortes. Pour la Suisse, les bilatérales exigent des adaptations du droit national dans le domaine des professions médicales et des activités d’avocat. Aux niveaux cantonal et communal, certaines modifications devront également être entreprises. Les négociations sur la reconnaissance des diplômes concernent la libre circulation des personnes sur le marché du travail. La reconnaissance réciproque des diplômes n’est pas encore réglée en ce qui concerne l’accès aux études ou aux cycles ultérieurs de formation. Des discussions sur cet aspect devront être entreprises après la conclusion des négociations bilatérales. RN/RA Konsequenzen für das nationale Recht Die Verhandlungen mit der EU sind Anlass zu Anpassungen unseres Landesrechts in folgenden Bereichen: • Medizinalberufe: Das Freizügigkeitsgesetz von 1877(!) wird ergänzt durch Bestimmungen über die ärztliche Spezialausbildung. Diese lag bisher in den Händen der Berufsorganisation (Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH). Sie soll neu unter Oberaufsicht des Bundes erfolgen, da gemäss EU-Recht die Spezialisten-Diplome von einer staatlichen Stelle abgegeben werden müssen. Inhaltlich ändert sich nichts. Ohne diese Anpassung könnten zwar ausländische Spezialärzte aufgrund des Abkommens in der Schweiz praktizieren, Schweizer und Schweizerinnen würden aber die analogen Bedingungen im Ausland nicht erfüllen. • Rechtsanwälte: Es wird (erstmals) ein Bundesgesetz über die Anwaltstätigkeit erlassen, das vor allem die interne Freizügigkeit (zwischen den Kantonen) regelt. Ohne dieses Gesetz würden ausländische Anwälte und Anwältinnen auf dem schweizerischen Markt weniger Einschränkungen unterliegen als ausserkantonale. • Es ist nicht auszuschliessen, dass einzelne kantonale und kommunale Erlasse (z.B. Nationalitätsvorbehalte in Submissionsreglementen) oder Konkordate (z.B. über die Wählbarkeit von Lehrkräften) angepasst werden müssen, doch soll dadurch das Inkrafttreten der Abkommen nicht verzögert werden. Die Anpassung kann auch erst erfolgen, wenn Inkompatibilitäten mit dem Abkommen in der Praxis auftauchen. Geltungsbereich und Auswirkungen Das Normengefüge über die Diplomanerkennung regelt wie erwähnt nur die Zulassung zu den reglementierten Berufen. Für all die ungezählten Erwerbstätigkeiten, die keiner Konzession bedürfen, ist es an sich nicht von Belang. Immerhin existiert auch dort ein weit verbreitetes Interesse seitens der Zuziehenden, ihre ausländischen Titel offiziell als gleichwertig mit den entsprechenden des Gastlandes erklären zu lassen. Dies gilt in der Schweiz beispielsweise für Kandidaten einer Meisterprüfung, die als Zulas- sungserfordernis eine abgeschlossene Lehre nachweisen müssen, oder wenn Bewerbungen um Stellen auf gelernte Berufsleute beschränkt werden. In solchen Fällen werden die EU-Richtlinien mit Sicherheit angerufen zur Feststellung der Gleichwertigkeit. Dies ist für die Schweiz insofern etwas problematisch, als nach EU-Recht geregelte Berufslehren und mehrjährige Berufspraxis grundsätzlich gleichgestellt werden. Es ist aber daran zu erinnern, dass die Anerkennung eines Diploms keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz im Gastland beinhaltet. Die Arbeitgeber sind frei, nach eigenen Kriterien anzustellen, z.B. nur eigene Landsleute. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Öffnung des Arbeitsmarktes den Wettbewerb belebt, indem ausländische und inländische Fachkräfte in Konkurrenz treten. Für Schweizer und Schweizerinnen fallen Hindernisse weg, wenn sie berufliche Auslanderfahrung sammeln oder sich auch längerfristig zu Erwerbszwecken ins europäische Ausland begeben wollen. Weitere Schritte auf dem Wege der Integration Die Verhandlungen zur Diplomanerkennung haben sich strikte im Umfeld des freien Personenverkehrs auf dem Arbeitsmarkt bewegt. Noch nicht geregelt ist die gegenseitige Anerkennung von Zeugnissen (Matura, Berufsmatura, FH-Diplom, akademische Grade) im Hinblick auf die Zulassung zu Studien oder Nachdiplomstudien. Während für EUAngehörige auch dieser Aspekt der Freizügigkeit geregelt ist, verfolgen die einzelnen Mitgliedstaaten gegenüber Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürgern ihre eigene, mehr und mehr restriktive Politik. Schweizerinnen und Schweizer leiden darunter, dass sie zu bestimmten Studien nicht oder nur zu horrenden Gebühren zugelassen werden. Die Vertragsparteien sind übereingekommen, recht bald nach Abschluss der bilateralen Verhandlungen auch über diesen Aspekt – im Rahmen der Bildungs- und Forschungszusammenarbeit und der Projekte ERASMUS, LEONARDO, JUGEND FÜR EUROPA u.a.m. – Gespräche aufzu- nehmen. ■ Wt 3/99 PANORAMA 21